Die Panzerspitze kommt - TASK FORCE BAUM and the

Transcrição

Die Panzerspitze kommt - TASK FORCE BAUM and the
Das Buch
Viele Besucher unserer Homepage haben sich schon gefragt, wo unsere ganzen
Nachforschungen hinführen sollen. Wir haben über 5 Jahre Material zusammengetragen
und Zeitzeugen befragt. Am Ende soll ein Buch erscheinen - es ist nun fertig und trägt
den Titel:
Alarm! Die Panzerspitze kommt!
Das Buch ist nun endlich fertig und wurde am 29.03.08 in Gemünden am Main im
Huttenschloß, mit einem entsprechenden Event, veröffentlicht.
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Das Buch kann seit dem 31.03.08 gekauft werden. Da wir Privatpersonen sind, dürfen wir
das Buch nicht selbst vertreiben. Sollten Sie Interesse an den Buch haben, gibt es zwei
Bezugsquellen:
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Druckerei Bürobedarf G. H. Hofmann
Inh. Jürgen Sommerer
Bahnhofstraße. 27
97737 Gemünden
Telefon: (09351) 3237
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"Alarm! die Panzerspitze kommt!"
ISBN 978-3-932737-07-7
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oder im Internet unter www.buchhandel.de
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Die englische Version des Buches befindet sich bereits in der Übersetzung - wird aber noch
etwas auf sich warten lassen müssen.
ALARM!
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Die Panzerspitze kommt!
Peter Domes & Martin Heinlein
www.taskforcebaum.de
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Rechtlicher Hinweis:
Die in diesen Buch verwendeten Texte und Abbildungen dienen ausschließlich zu
Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger und
verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der Aufklärung oder Berichterstattung über die
Vorgänge des Zeitgeschehens oder der militärhistorischen und wissenschaftlichen
Forschung (§86 und §86a StGB).
Impressum:
Autoren:
Titel:
Verlag:
ISBN:
Peter Domes und Martin Heinlein
Alarm! Die Panzerspitze kommt!
G. H. Hofmann, Gemünden am Main
978-3-932737-07-7
1. überarbeitete Auflage (Vs. 28.12.2008)
© 2008 www.taskforcebaum.de
Alle Rechte vorbehalten, auch der auszugsweise Abdruck
gleich welcher Medien.
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Inhalt
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Vorwort ................................................................................. 7
Begleitwort ........................................................................ 11
– TOP SECRET – ............................................................. 15
Größter Feldherr seit Stonewall Jackson .................... 19
OFLAG 64 – Altburgund ...................................................... 37
OFLAG XIII-B – Hammelburg .............................................. 41
Pattons Vorbereitungen ....................................................... 50
Vorstoß auf Aschaffenburg .................................................. 54
Die Gliederung des Kampfverbandes .................................. 69
Verzögerung bei Schweinheim ............................................ 84
Durch den Spessart ............................................................. 94
Den Main entlang............................................................... 100
Saalebrücke gesprengt ...................................................... 111
Verzögerung und Umweg .................................................. 128
Route wieder gefunden ..................................................... 154
Lager Hammelburg ............................................................ 180
Der Rückmarsch ................................................................ 196
Ausbruch bei Höllrich ......................................................... 205
Das letzte Gefecht ............................................................. 213
Kampf beendet .................................................................. 226
Als sei nichts gewesen ...................................................... 264
Alles lange vorbei .............................................................. 310
Epilog ................................................................................. 311
Danksagung....................................................................... 312
Gefechtsfahrzeuge der Task Force Baum ......................... 313
Fahrzeuge und Waffen der Wehrmacht ............................ 325
Taktische Zeichen.............................................................. 327
Englische Fachbegriffe ...................................................... 329
Abkürzungsverzeichnis ...................................................... 332
Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................... 334
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Begleitwort
Als Jugendlicher hatte ich Dr. Alois Stadtmüllers Buch “Spessart und Maingebiet im Zweiten
Weltkrieg“ gelesen, in dem ich erstmals vom Unternehmen Hammelburg und der sogenannten Task Force Baum1 erfuhr. Ich war fasziniert! Es las sich wie ein echtes Abenteuer aus
dem Zweiten Weltkrieg, das zudem auch noch in meiner unmittelbaren Heimat stattgefunden
hatte. Mit den mir damals zur Verfügung stehenden begrenzten Mitteln, habe ich mir alles
zusammengekauft, was darüber als Buch oder als Druckschrift in Deutschland erschienen
war. Ich fand sogar ein Buch, dass von damaligen Beteiligten geschrieben worden war:
“Kommandounternehmen Hammelburg 1945“2. Später bedingt durch meinen Dienst bei der
Bundeswehr und die Familie geriet mir die Geschichte dann zunehmend in Vergessenheit.
Etwa 10 Jahre vergingen. Ende der neunziger Jahre fand ich im Internet zufällig die britische
Magazinreihe AFTER THE BATTLE. In der Ausgabe Nummer 91 “The Hammelburg Raid“
wurde die Geschichte dieses Unternehmens auf der Grundlage neuester Forschungen und
Erkenntnisse dargestellt. Ich bestellte mir in Großbritannien die besagte Ausgabe und las mit
Begeisterung den hervorragenden Artikel von Karel Margry. Gleichzeitig musste ich konstatieren, dass bisher von deutscher Seite sehr wenig dazu recherchiert bzw. publiziert worden
war, obwohl es doch noch viele deutsche Zeitzeugen geben musste.
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Im Sommer 2000 begann meine intensivere Beschäftigung mit dem Unternehmen Hammelburg. Da ich mich schon immer sehr für Militärgeschichte interessiert hatte, beschloss ich
nunmehr meine eigenen Nachforschungen aufzunehmen. Zum Glück war das Internet inzwischen flächendeckend ausgebaut und half mir bei meinem Vorhaben. Nach und nach fand
ich Quellen zu der Geschichte und bekam sogar Kontakt zu damals unmittelbar Beteiligten
und zu Zeitzeugen in Deutschland und den USA. Einer dieser Kontakte war Robert “Bob“
Thompson. 1945 befand er sich als amerikanischer Kriegsgefangener in Hammelburg. Bob
vermittelte mir den Kontakt zu weiteren seiner damaligen Kameraden, die ebenfalls in Hammelburg gewesen waren. Er stellte mir freundlicherweise auch die Verbindung zu Abraham
J. Baum3 her, der wohl wichtigsten Person in dieser ganzen Geschichte. Im Frühjahr 1999
lernte ich über den Autor Karel Margry meinen heutigen Forschungsfreund und Mitstreiter
Martin Heinlein kennen. Er hatte damals an Karel Margry einen Leserbrief geschrieben, in
dem er einige Details zu einem SHERMAN-Tank4 auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg
richtig stellte. Martin war zu dieser Zeit Ausbilder in der Offiziersanwärterausbildung an der
Infanterieschule in Hammelburg. Der sog. Hammelburg Raid wurde dort als kriegsgeschichtliches Beispiel in der Offizieranwärterausbildung behandelt. Bereits seit 1994 hatte Martin
Material zusammengetragen und baute die Fahrzeuge der Task Force Baum als Modelle im
Maßstab 1:35 nach. Ein ständiger Informationsaustausch begann, der nach einiger Zeit zum
gemeinsamen Beschluss führte, unsere bis dahin individuellen Bemühungen und dabei
erzielten Forschungsergebnisse zu vereinen und eine “Arbeitsgruppe Task Force Baum“ zu
gründen. Im Laufe der Zeit hat sich diese Gruppe auf heute 12 Personen erweitert. Öffentliches Podium ist unsere eigens eingerichtete Website www.taskforcebaum.de – dort können unsere ständig auf dem neuesten Stand gebrachten Forschungsergebnisse nachverfolgt
werden.
Peter Domes
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Kampfverband Baum – benannt nach seinem Kommandeur Captain Abraham Baum
US Originaltitel “Raid!“
Führer des Kampverbandes Baum
Benannt nach General William Tecumseh Sherman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.
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Anfang 2003 erhielten wir eine Anfrage vom National D-Day Museum aus New Orleans, ob
wir für eine Gruppe amerikanischer Veteranen eine Führung auf den Spuren der Task Force
Baum übernehmen könnten. Martin und ich willigten ein, zu mal, Bob Zawada, ein ehemaliger Angehöriger der Task Force Baum mitkommen wollte. Bob Zawada wollten wir unbedingt
kennen lernen. Abraham Baum hatte von dem Vorhaben ebenfalls Kenntnis erlangt und
beschloss, sich den amerikanischen Veteranen anzuschließen, um uns auf diese Weise
persönlich kennen zu lernen. Am 21. März 2003 reiste er mit den amerikanischer Veteranen
nach Deutschland. An zwei erlebnisreichen Tagen informierte er sich zwischen Aschaffenburg und Hammelburg über unsere neuesten Forschungserkenntnisse zum Unternehmen
Hammelburg. Er war tief beeindruckt von dem Erlebten – wie wir später in einer amerikanischen Zeitung lesen konnten, die ihn dazu interviewt hatte.
Hammelburg Raid 2003 – von links nach rechts:
Bob Zawada, Peter Domes, Abe Baum, Martin Heinlein
(Quelle: Inken Kleibömer)
Zum Jahresbeginn 2005 nahm Gudrun Schneider vom Gemündener Film-Foto-Ton Museumsverein Kontakt zu uns auf. Sie hatte von Bekannten in Rieneck von einem Film gehört,
der den amerikanischen Einmarsch 1945 in Gemünden dokumentiert und der sich als Kopie
in unserem Besitz befindet. Sie schlug uns eine gemeinsame Ausstellung zum 60. Jahrestag
des Kriegsendes 1945 in Gemünden am Main vor. Der Film sollte hierbei erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt werden und wir unsere Forschungsergebnisse im entsprechenden
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Rahmen präsentieren. Wir nahmen dieses Angebot dankend an, da wir dadurch die Gelegenheit bekamen, erstmalig mit unseren Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit zu
treten.
Am 26. März 2005 war es dann endlich soweit: Mit unseren gesammelten Materialen traten
wir erstmals vor eine breite Öffentlichkeit und stellten unsere Forschungsergebnisse in den
neu bezogenen Ausstellungsräumen des Gemündener Film-Foto-Ton Museumsvereins im
historischen Huttenschloss vor. Unter anderem wurde unsere Filmkopie des US Army Signal
Corps gezeigt, in dem die Einnahme von Gemünden am 4. April 1945 nachverfolgt werden
kann. Unser amerikanischer Freund Dr. James L. Sudmeier hatte das original Filmmaterial
zufällig in den US National Archives5 in Washington, D.C., entdeckt. Mit Gudrun Schneider
gewannen wir ein weiteres Mitglied unserer Arbeitsgruppe. Sie vermittelte uns Kontakte zu
vielen Zeitzeugen, die das damalige Geschehen unmittelbar miterlebten. In etlichen Ortschaften im Raum Gemünden-Hammelburg folgten daraufhin Vorträge über das Unternehmen Hammelburg.
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Im Juni 2005 stellten wir unsere Forschungsergebnisse beim 9. Tag der Infanterie an der
Infanterieschule des deutschen Heeres und dem Bonnlandfest 2005 im Schloss Greifenstein
auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg aus. Bei dieser Gelegenheit bekamen wir erstmals Kontakt zu Reenactors6 aus Süddeutschland und aus Tschechien. Sie waren in original Uniformen und mit authentischen Waffen und Fahrzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg
angereist. Dies schuf die Gelegenheit, unsere Geschichte mittels realistischer Akteure und
Gerätschaften nochmals zum Leben zu erwecken. In Gesprächen mit den Reenactors wurde
von uns die Idee entwickelt, die historische Route der Task Force Baum in originaler Uniformierung und entsprechenden Fahrzeugen zu wiederholen und somit nach über 60 Jahren
nachvollziehbar zu rekonstruieren.
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Nach längeren Vorbereitungen und umfangreichem Schriftverkehr mit Behörden war es dann
am 22. Oktober 2005 endlich soweit: Am Sportplatz bei der Nilkheimer Eisenbahnbrücke in
Aschaffenburg waren historische US-Fahrzeuge aufgefahren, “US-Soldaten“ in Originaluniformen aus dem Zweiten Weltkrieg bereiteten sich geschäftig auf den Marsch vor. Durch
unsere ersten Kontakte beim Bonnlandfest hatten wir noch weitere Verbindungen zu entsprechenden Fahrzeugliebhabern und zur Reenactor-Szene bekommen. Viele waren mit
ihren Jeeps angereist, um ein Stück Militärgeschichte mitzuerleben. Die lokalen Tageszeitungen hatten vorab auf unser Vorhaben aufmerksam gemacht und viele Zuschauer waren
gekommen, um sich Fahrzeuge und “US-Soldaten“ anzuschauen. Einige der älteren Zuschauer hatten plötzlich das Gefühl eines Dèjá vues – sie befanden sich auf einer emotionalen Reise, die sie 60 Jahre zurück in die Vergangenheit führte. Als “Kommandeur“ unseres
kleinen “Kampfverbandes“ war kein geringerer als Abraham J. Baum, inzwischen im Alter
von 84 Jahren, mit seiner Familie aus den USA angereist, um in einem offenen Jeeps mit
uns durch halb Unterfranken zu fahren. Alle Beteiligten erlebten zwei unvergessliche Tage
auf den Spuren der Task Force Baum. In mehreren Städten und Ortschaften wurde Abe
Baum sogar durch die Bürgermeister begrüßt, in Gemünden wurde ihm die besondere Ehre
zuteil, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen. Am Ende der Veranstaltung bemerkte
Abe Baum uns gegenüber, dass er sehr berührt von der Wärme und der Freundlichkeit der
unterfränkischen Bevölkerung war, die ihn mit offenen Armen empfangen hatte – und diesmal ohne Panzerfäuste. Sein größtes Kompliment an uns war: „Ihr wisst mehr über den
Hammelburg Raid als ich selbst – und ich war schließlich dabei!“
Viele Bekannte und historisch Interessierte fragten uns während dieser Tour: „Wann schreibt
Ihr denn endlich ein Buch darüber?“ Wir denken, dass nun die Zeit dazu gekommen ist und
wir genug Material zusammengetragen und Zeitzeugen befragt haben.
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US-Nationalarchiv
Zeitgenössische Geschichtsdarsteller
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Mit unserem Buch “Alarm! Die Panzerspitze kommt!“ wollen wir die tatsächlichen Begebenheiten rund um das Unternehmen Hammelburg darstellen. Der Titel ist in Anlehnung an
den Warnruf des Panzerwarndienstes gewählt. Das Buch beinhaltet die Ergebnisse von über
fünf Jahren gemeinsamer intensiver Quellenforschung und -auswertung sowie Interviews
von annähernd 100 Beteiligten und Zeitzeugen beider damals sich feindlich gegenüberstehenden Seiten. Das Buch ist eine Sammlung typischer Kriegserlebnisse, von
sowohl tragischen Ereignissen, als auch skurril anmutenden Geschichten, die sich in diesem
Zusammenhang vor über 60 Jahren zugetragen hatten. Wir haben all diese Berichte sorgsam aufbereitet, so dass sie so weit wie möglich authentisch bleiben. Dadurch ist es jedoch
möglich, dass manche Darstellungen auf Widerspruch oder sogar Unverständnis stoßen
können, was wir bewusst in Kauf genommen haben. Soweit es uns möglich war, haben wir
die Sachverhalte geprüft und verglichen. Es ist aber dennoch nicht auszuschließen, dass sie
fehlerhaft sein können. Noch nicht zu Wort gekommene Zeitzeugen sowie die Diskussion
über dieses Buch werden hoffentlich neue Erkenntnisse zum Vorschein bringen.
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Peter Domes und Martin Heinlein in US Class A Uniform
(Quelle: Peter Domes)
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Den Main entlang
05:30 Uhr – Rechtenbach
Vom Bischborner Hof war der Kampfverband ohne weitere nennenswerte Schwierigkeiten
bis Rechtenbach gekommen. Angeblich ist aus Rechtenbach auch der Gefechtsstand im
Lohrer Stadtschloss über den Durchmarsch der Amerikaner telefonisch informiert worden.
An der “Wasserhauskurve“ hinter dem Ort ereignete sich dann eine folgenschwere Begegnung mit einem entgegenkommenden deutschen LKW.
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Der gerade 17-jährige Karl Schmitt war bisher noch nicht zur Wehrmacht eingezogen worden. Als Hitlerjunge diente er jedoch im Rechtenbacher Volkssturm. Am 26. März teilte man
ihn zum Panzerwarndienst in Lohr ein. Seine Aufgabe sah vor, beim Herannahen amerikanischer Panzer von Rechtenbach nach Lohr zu fahren, um dort Panzeralarm auslösen zu
lassen, falls die Telefonverbindung gestört war. Am Abend befanden sich Karl Schmitt und
sein gleichaltriger Kamerad Adolf Rosenberger nach ihrem Dienst noch auf der Rechtenbacher Hauptstraße. Dort kam den beiden der Rechtenbacher Albin Geist mit seinem französischen Citroen LKW entgegen. Der LKW war ein Beutefahrzeug, das noch im Originalanstrich
nach dem Frankreichfeldzug irgendwie den Weg in den Spessart gefunden hatte. Aufgrund
der Rationierung von Kraftstoff war der Laster nachträglich mit einer Holzvergaseranlage
nachgerüstet worden. Albin Geist war um die 20 Jahre alt und nicht zum Militärdienst eingezogen worden. Infolge eines tragischen Unfalls in seiner Jugend222 war er als kriegsuntauglich eingestuft worden und hatte eine Anstellung als LKW-Fahrer gefunden. Albin Geist hielt
bei den beiden Hitlerjungen an und fragte, ob sie mit nach Würzburg fahren wollten, da er
einen Transportauftrag hatte, bei dem er noch Helfer gebrauchen konnte. Geist sollte dort
die Möbel des Forstbeamten Staub abholen, der dort am 16. März ausgebombt worden war.
Da dies eine willkommene Abwechslung zu sein schien, willigten Karl Schmitt und Adolf
Rosenberger sofort ein und fuhren mit nach Würzburg. Auf der Hinfahrt saß Karl Schmitt auf
der Beifahrerseite des LKWs, dort wo sich direkt der Kessel der Holzvergaseranlage hinter
dem Führerhaus befand. Da es Ende März schon außergewöhnlich warm war, entpuppte
sich der Platz an der Beifahrertür, direkt vor dem Holzvergaser, als ziemlich heiß und unangenehm. Beide Jungen machten darum untereinander aus, dass Karl Schmitt bei der Hinfahrt dort sitzen mußte und bei der Rückfahrt Adolf Rosenberger diesen Platz haben sollte.
Der Platz neben dem Fahrer war bei den jungen Passagieren sehr begehrt, da dieser es
ermöglichte hin und wieder ins Lenkrad zu greifen, um etwas mitzulenken, was wohl großen
Spaß bereitete. In Würzburg angekommen, wurden die Möbel verladen und ungefähr um
Mitternacht machten sie sich wieder auf den Rückweg. Zusätzlich war nun der Forstbeamte
Staub mit dabei, der ebenfalls im Führerhaus saß. Karl Schmitt hatte für die Rückfahrt nicht
auf der Abmachung bestanden, neben Albin Geist sitzen zu dürfen. Aus für ihn heute unerklärlichen Gründen setzte er sich wieder auf die Beifahrerseite. Da der LKW eine breite
durchgehende Sitzbank im Führerhaus hatte, fanden sie zu viert dort Platz. Adolf Rosenberger saß hierbei sogar links neben dem Fahrer, der Forstbeamte Staub rechts daneben, Karl
Schmitt direkt an der Beifahrertür.
Die Rückfahrt dauerte annähernd fünf Stunden, da der LKW immer wieder an eingerichteten
Kontrollpunkten von der Feldgendarmerie223 überprüft wurde. Man fuhr auf der linken Mainseite über Karlburg und Wiesenfeld in Richtung Lohr. Um ca. 05:00 Uhr kam der LKW aus
Richtung Sendelbach an der Lohrer Mainbrücke an. An der inzwischen von deutschen Pionieren zur Sprengung vorbereiteten Brücke wurde ebenfalls von der Feldgendarmerie kontrolliert. In der Fahrbahn war ein Loch ausgehoben worden, in dem sich zwei große Fliegerbomben befanden. Die Brückenposten verweigerten dem LKW nun die Weiterfahrt auf der
Reichsstraße 26 in den Spessart, da eine amerikanische Panzerspitze gemeldet worden sei.
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Ein zu früh explodierender Böller hatte ihm an Silvester den Unterarm abgerissen.
Militärpolizei
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Albin Geist beschwor jedoch die “Kettenhunde“224, seinen LKW weiterfahren zu lassen, da
man nur bis Rechtenbach, der nächsten Ortschaft nach Lohr, wollte. Die Soldaten ließen den
Laster schließlich nur widerwillig weiterfahren, da sie glaubten, die Panzerspitze wäre noch
weit genug entfernt. Soldaten legten schließlich Bohlen über das Loch mit den beiden Bomben – der LKW konnte passieren.
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Der LKW von Albin Geist - Citroen Typ 45 mit IMPERT Holzgasanlage
(Quelle: Martin Heinlein)
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Die Fahrt ging nun weiter durch das verdunkelte und menschenleere Lohr, dann die AdolfHitler-Straße225 hinauf in Richtung Rechtenbach. Am Gasthaus “Felsenkeller“ sah Karl
Schmitt, dass die großen Bäume vom Lohrer Volkssturm wohl bereits angesägt worden
waren. Beim Herannahen der Amerikaner wollte man sie als Panzersperre über die Straße
fallen lassen. Er wusste, dass dort ein Posten stehen musste und wollte sich dort noch entschuldigen, dass er nicht rechtzeitig zum Dienst kommen konnte. Vom Lohrer Volkssturm
war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Sie ließen Lohr hinter sich und die Fahrt ging
weiter auf der Reichsstraße 26 in Richtung Rechtenbach.
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An der “Wasserhauskurve“ hatte der Rechtenbacher Volkssturm unter dem Kommando des
Feldwebels Geist226 inzwischen eine ähnliche Baumsperre wie in Lohr vorbereitet. Karl
Schmitt sah sie aus dem LKW, aber auch hier war niemand zu sehen. Es begann langsam
zu dämmern. Plötzlich kam in schneller Fahrt ein kleinerer Panzer227 um die Kurve gefahren.
Die Wageninsassen rätselten, woher das Fahrzeug wohl kommen möge. Man überlegte, ob
es wohl Italiener seien, weil der Panzer nicht wie einer von der Wehrmacht aussah und die
heraus schauende Besatzung merkwürdige Helme trug. Dass es vielleicht Amerikaner sein
konnten, daran dachte in diesem Moment niemand, weil die ja noch bei Aschaffenburg stehen mussten. Es wäre aber die naheliegendste Vermutung gewesen. Die typischen weißen
Sterne auf dem Fahrzeug waren nicht zu erkennen, da sie wohl vor der Fahrt mit Öl und
Schlamm übermalt worden waren, um keinen Haltepunkt für einen Panzerfaustschützen
abgeben zu können. Im nächsten Moment eröffnete der Panzerkommandant mit seinem .30
Cal. Turm-MG das Feuer auf den deutschen Lastwagen. Das Gesicht des Panzerkommandanten hat Karl Schmitt noch heute vor Augen, es war ein junger Soldat, schlank und von
heller Hautfarbe, er hatte rotblonde Haare. Karl Schmitt konnte ihn damals ganz genau erkennen. Der Panzer fuhr mit hoher Geschwindigkeit am LKW vorbei, selbst als er ihn schon
passiert hatte, hörte das MG-Feuer nicht auf, da der Panzerkommandant wohl das MG gedreht hatte und selbst noch nach hinten schoss. Der Geschosshagel ging durch die Windschutzscheibe des LKWs, Glas zersprang klirrend und Holz splitterte. Karl Schmitt nahm im
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Spitzname für die deutsche Feldgendarmerie
heute Hauptstraße
Feldwebel Geist – er kann auch Oberfeldwebel gewesen sein – war der Vater des heutigen
Rechtenbacher Bürgermeisters, der im Krieg verwundet wurde. Mit dem LKW-Fahrer Albin
Geist war er nicht identisch.
Vermutlich ein leichter M5A1 Panzer
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Fußraum des LKWs Deckung, er spürte heftige Schläge auf seinem Brustkorb und glaubte,
nicht mehr atmen zu können. Albin Geist rief ihm zu, er solle die Beifahrertüre öffnen, damit
sie alle in den Straßengraben in Deckung springen konnten. Karl Schmitt entgegnete, dass
sie im Fahrzeug bleiben müssten, da es draußen keine Deckung gäbe. Albin Geist hatte
Angst, dass der LKW von einem Panzer zur Seite gestoßen und überrollt werden könnte. Es
folgten weitere Fahrzeuge, man konnte aber immer nur eines sehen, da die Kurve sehr
scharf und nicht in ganzer Länge einsehbar war. Außer dem Spitzenpanzer hatte zum Glück
kein weiteres Fahrzeug das Feuer auf den LKW eröffnet. Sie blieben also zunächst bewegungslos im Führerhaus des LKWs in Deckung liegen, bis die gesamte amerikanische Kolonne vorbeigefahren war. Da entsprechende Marschabstände zwischen den Fahrzeugen
eingehalten wurden, kam es ihnen wie eine endlos lange Zeit vor. Vermutlich hatten die
Amerikaner das französische Beutefahrzeug für einen Wehrmachts-LKW gehalten, da es ja
immer noch den militärischen Anstrich trug.
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Nach Auffassung von Karl Schmitt hatten sie in diesem Moment den Feindbeschuss unmittelbarer und näher erlebt als viele Soldaten, die sich sechs Jahre lang im Krieg befanden.
Nachdem der Spuk vorbei und wieder Ruhe eingekehrt war, sammelte Karl Schmitt die MGGeschosse der Querschläger auf, die auf dem Boden des Führerhauses lagen und steckte
sie in seine Uniformtasche. Er sprang als erster aus dem Fahrzeug in den Straßengraben.
Durch die Leuchtspurmunition hatte der LKW in der Zwischenzeit Feuer gefangen und begann zu brennen. Ihm folgte der Forstbeamte Staub, der einen Streifschuss am Kopf abbekommen hatte. Den Fahrer Albin Geist hatte es noch schlimmer erwischt, bei ihm waren
Arme und Beine angeschossen und er blutete stark. Adolf Rosenberger, der links neben dem
Fahrer an der Tür gesessen hatte, bewegte sich nicht mehr, MG-Geschosse hatten ihn im
Kopf getroffen. Adolf Rosenberger hatte wohl durch seinen gewählten Sitzplatz Albin Geist
das Leben gerettet.
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Karl Schmitt denkt heute, dass es Schicksal gewesen sein muss, da er bei der Rückfahrt, gemäß der Abmachung, dort hätte sitzen sollen. Karl Schmitt und der Forstbeamte Staub
schleppten nun den schwerverletzten Albin Geist die steile Böschung hinauf in den schützenden Wald. Sie wussten ja nicht, ob noch mehr amerikanische Fahrzeuge kommen würden. Nach ungefähr 200 Metern stießen sie im Wald auf Angehörige des Rechtenbacher
Volkssturms. Die hatten wohl die Panzerkolonne bereits von Weitem kommen hören und
waren vorsorglich in Deckung gegangen. Gemeinsam machte sich nun die ca. 15 Mann
zählende Gruppe auf den Weg zurück nach Rechtenbach. Karl Schmitt lief durch den Wald
voraus ins Dorf und informierte die Eltern von Albin Geist. Der Vater spannte das von Kühen
gezogene Fuhrwerk an und fuhr der Gruppe entgegen, um seinen verletzten Sohn zu holen.
Ohne Betäubung und bei vollem Bewusstsein wurde Albin Geist mit dem holprigen Fuhrwerk
dann nach Hause gebracht.
Karl Schmitt und der Forstbeamte Staub überbrachten anschließend den Eltern von Adolf
Rosenberger die Nachricht vom Tode ihres Sohnes. Danach war Karl Schmitt nach Hause
gegangen und schaute versonnen durch ein Fenster auf die Hauptstraße, er stand noch
unter dem Schock der Ereignisse. Ein älterer Mann kam vorbei und schimpfte ihn aus, ob er
verrückt sei, da er immer noch die HJ228-Uniform trug, wo doch die Amerikaner bereits
durchgekommen waren. Nach ein paar Tagen ging Karl Schmitt noch einmal zum LKW, der
als ausgebranntes Wrack noch immer an der Wasserhauskurve stand und suchte nach den
MG-Geschossen, die er beim Verlassen des LKWs verloren hatte. Aber er fand sie nicht
mehr.
Als die Amerikaner am 1. April, dem Ostersonntag, Rechtenbach besetzten, fanden sie auch
den schwerverletzten Albin Geist. Ein Sanitätswagen wurde herbeigeholt und Geist abtransportiert. Aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten mit den Amerikanern wussten die
angsterfüllten Eltern nicht, wohin er gebracht werden sollte. Sie glaubten nicht, ihn nochmals
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Hitlerjungend
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lebend wieder zu sehen. Albin Geist wurde in ein Lazarett in Heidelberg gebracht, von wo
aus er nach einigen Monaten der Genesung wieder nach Hause kam.229
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Der LKW von Albin Geist wird vor der “Wasserhauskurve“ beschossen
(Quelle: Martin Heinlein)
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05:45 Uhr – Lohr am Main
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Toni Spieler kam nach Mitternacht mit einem Bekannten in Lohr an, wo man ihnen vermutlich
ebenfalls an der Main-Brücke die Weiterfahrt in den Spessart verweigerte. Sie begaben sich
so dann zum Stadtschloss, wo sie hofften in der Kreisleitung im Schlosskeller eine Sondergenehmigung für ihre Reise zu erhalten. Dort hatten sie aber ebenfalls kein Glück. Keiner
der Anwesenden kümmerte sich dort um die beiden. Im Schlosskeller waren Soldaten und
Parteileute in hellster Aufregung und rannten kopflos durch die Gänge. Ständig klingelte
irgend ein Telefon und Toni Spieler hörte, wie man laufend Meldungen von einer aus dem
Spessart durchbrechenden amerikanischen Panzerspitze entgegen nahm. Die Anwesenden
waren auf Grund der Meldungen ratlos und wussten anscheinend nicht was zu tun sei.
Schließlich sagte eine der Personen - vermutlich war es Kreisleiter Röß - resigniert: „Wie
wollen wir mit ein paar Leuten diese Panzer aufhalten. Sie werden unser Lohr kaputt schießen und wenn wir Panzeralarm auslösen, wird es noch höhere Verluste geben!“230
Die amerikanische Kolonne fuhr ohne weitere Zwischenfälle nach Lohr hinein, die Baumsperre am Felsenkeller war aus unerklärlichen Gründen vom Volkssturm nicht mehr geschlossen worden. Von den Verteidigern war weit und breit nichts zu sehen. An der Kreuzung Rechtenbacher Straße/Adolf-Hitler-Straße auf Höhe des Felsenkellers stand jedoch
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Schmitt Karl, Interview mit Verfasser, Rechtenbach, 22. u. 28.10.05
Stadtmüller Alois Dr., Maingebiet und Spessart im Zweiten Weltkrieg, (3. Auflage), Aschaffenburg, 1987 (Seite 539)
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ein einsamer Volkssturmmann auf Posten. Da dieser noch nie zuvor in seinem Leben Amerikaner gesehen hatte, hielt er deshalb die Kolonne für Deutsche, zumal die ersten Fahrzeuge auch keinen weißen Stern trugen. Neben ihm hielt plötzlich ein Jeep und ein Soldat
aus dem Wageninneren fragte ihn auf deutsch nach dem Weg durch Lohr in Richtung Gemünden. Er gab deshalb auch bereitwillig dem Dolmetscher Irvin Solotoff Auskunft, welcher
Weg durch Lohr zu nehmen sei.
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Der damals 12-jährige Rolf Gerlach war der Sohn des Inhabers des Gasthauses “Zur Krone“. Sobald die Amerikaner angerückt kämen, wollte der Bahnhofsvorsteher die Familie
Gerlach sofort warnen. Am Morgen des 27. März war es dann soweit, die feindlichen Truppen waren von Aschaffenburg in Richtung Lohr unterwegs. Der alte Opel P4 stand abfahrtsbereit, auf dem Dach war eine Matratze festgebunden. Um ca. 06:00 Uhr ging es von der
“Krone“ die Stadt aufwärts, Rudolfs Vater und er waren alleine im Auto. Das Ziel sollte der
Bauershof bei Partenstein sein. Der Rest der Familie war bereits dort. Am Ende der AdolfHitler-Straße, auf Höhe der Kreuzung mit der Rechtenbacher Straße, tauchte plötzlich ein
großer Panzer aus Richtung Rechtenbach kommend auf. Aus dem Turm schaute der Kommandant heraus. Sie fuhren in gleicher Höhe, der Opel nach rechts, der Panzer nach links
stadteinwärts. Der Vater sagte, dass wären wohl deutsche Truppen auf dem Rückzug. Dem
ersten Panzer folgten weitere, Rudolf Gerlach dachte sich im Stillen: „Aber was war das für
ein hohes Ungetüm und warum hatte es einen weißen Stern am Turm? Nein, das waren
keine deutschen Panzer!“ Der Opel hatte nun schon das Bahnwärterhäuschen erreicht und
war somit außer Sichtweite der potentiellen Gefahr. Sie hatten mindestens zwei Schutzengel und waren knapp dem Tod entronnen. Denn keine 100 Meter weiter, am alten Finanz232
amt, schossen die Amis einen parkenden PKW231 zusammen.
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Die Kolonne fuhr nun die Adolf-Hitler-Straße hinunter, die Fahrzeugkommandanten bestrichen die Häuserfassaden beiderseits der Straße vorsorglich mit MG-Feuer, da man
Widerstand erwartete. Amerikanische Panzerkommandanten feuerten grundsätzlich auf
geöffnete Fenster, konnte doch in jedem Zimmer ein Panzerfaustschütze laueren. Durch die
Schießerei aus dem Schlaf geschreckte Einwohner wollten aus dem Fenster sehen, nahmen aber sofort Deckung vor den Geschossgraben der Panzer.
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Der 15-jährige Hitlerjunge Günter Schmelzle hörte den Lärm der schweren Fahrzeuge, die
um diese Tageszeit durch Lohr brummten. Er rannte von der Kellergasse bis zum Marktplatz und konnte die letzten drei Panzer gerade noch sehen. Zunächst dachte er es handelte sich um deutsche Fahrzeuge, da auch einige deutsche Soldaten auf den Panzern saßen.
Im selben Moment hörte er auch schon das Knattern von Maschinenwaffen etwas weiter die
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Straße hinunter.
Auch der 15-jährige Hitlerjunge Roland Thein hatte den Lärm gehört. Er rannte von der
Apothekengasse zur Adolf-Hitler-Straße. Er dachte natürlich zuerst an deutsche Panzer.
Doch statt des Balkenkreuzes sah er den großen weißen amerikanischen Stern auf dem
Panzer. Wenig später hörte er Schüsse, danach war wieder Ruhe, Er rannte die Straße
234
hinunter und schlug den Weg in Richtung der Firma REXROTH ein.
Am Ende der Adolf-Hitler-Straße befand sich eine Kreuzung, die von dort nach links abzweigende Bahnhofstraße führte weiter in Richtung Gemünden. Das dortige Gasthaus “Zur
Krone“ diente durchreisenden deutschen Soldaten als Quartier. Vor dem Gasthaus war ein
Wehrmachts-LKW geparkt, der von den Panzern ebenfalls unter Beschuss genommen
wurde. Bei diesem kurzen Schusswechsel kam die 21-jährige deutsche Luftwaffenhelferin
Magdalene Verhoeven ums Leben. Von Zeitzeugen wird der genaue Hergang widersprüchlich geschildert und ist somit nicht näher bekannt – sie war in der Dämmerung wahrschein231
232
233
234
Personenkraftwagen
Gerlach Rolf, Brief an Verfasser, Norderstedt, 02.07.03
Volkshochschule Lohr, Als die Amerikaner kamen, Lohr, 1999 (Seite 35)
Ebenda (Seite 29)
- 104 -
lich für einen deutschen Soldaten gehalten und versehentlich erschossen worden. Sie wurde später auf dem Soldatenfriedhof "Einmal" bei Gemünden beigesetzt.
Der 15-jährige Andreas Bernhard war gerade mit Großvater und Tante von einer nächtlichen
“Hamstertour“ in die elterliche Wohnung zurückgekehrt. Plötzlich wurde es draußen laut, ein
Blick durch die Haustür ließ ihn vor Schreck das Blut erstarren. Ein amerikanischer Panzer
nach dem anderen rollte die Hauptstraße entlang. Im gleichen Augenblick fing es auch schon
an zu schießen. Andreas Bernhard fasste den Entschluss, zur Wohnung seiner Tante zu
eilen. Das Bitten seines Großvaters, doch hier zu bleiben, schlug er aus und machte sich auf
den Weg.235
Viele Lohrer Einwohner und Flüchtlinge flohen nun aus der Stadt über die Mainbrücke in
Richtung Sendelbach auf das andere Ufer in Sicherheit. Diese war aus unerklärlichen Gründen noch nicht gesprengt worden236. Vom Ostufer des Mains aus konnte man das Dröhnen
der Fahrzeuge und das Schiessen der MGs hören.
06:00 Uhr – Lohr am Main - Mainbrücke
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Der ehemalige Polizeihauptmeister Georg Heilmann kam gerade an der Mainbrücke mit
einem Munitionstransport an. Er hatte am Vortag vom stellvertretenden Gauleiter in Würzburg den Befehl bekommen, einen LKW-Transport mit Granatwerfermunition über Lohr in
den Spessart zu bringen. Lohr war seine Heimatstadt, die er seit drei Jahren nicht mehr
gesehen hatte. Mitten auf der Brücke waren zwei Gräben ausgehoben worden, in denen
zwei große Sprengbomben lagen. Daneben befanden sich Bohlen mit der Aufschrift des
Lohrer Tünchermeisters Anton Franz. Die LKW-Besatzung deckte mit diesen Bohlen die
Löcher mit den Bomben ab, um in die Stadt weiterfahren zu können. Als Georg Heilmann
gerade dabei war, den Fahrer über die Bohlen einzuweisen, eilten ihnen ca. 80 bis 100
Soldaten und ein paar Zivilisten aus Richtung Lohr in wilder Flucht entgegen. Er hörte wie
Soldaten riefen: „Die Amis sind in Lohr! Die Amis sind in Lohr!“ Dabei warfen sie Waffen,
Munition und Ausrüstungsgegenstände weg. Im gleichen Augenblick schossen Panzer, die
auf der Straßenkreuzung Bahnhofstraße/Sackenbacher Straße angekommen waren, mit
Leuchtspurmunition auf zwei mainaufwärts fahrende Schiffe. Zum Glück schossen sie nicht
auf den mit Munition beladenen LKW. Georg Heilmann und sein Fahrer ließen den Lastwagen stehen und rannten ebenfalls in Richtung Sendelbach. Unterwegs hob er sich einen
weggeworfenen Stahlhelm als Kopfschutz auf. Bei den ersten Bäumen konnte er viele Soldaten aufhalten, die sich bei der Suche nach Deckung in Gefahr begaben, an den blinden
Brückenbögen abzustürzen. Mehrere Soldaten waren schon hinab gestürzt und hatten sich
zum Teil schwer verletzt.237
PFC Zawada war im MG-Stand seines Half Tracks etwas eingenickt, es war bereits die
zweite Nacht, in der er nicht richtig ausschlafen konnte. Die ganze Fahrt durch das Waldgebiet war ereignislos verlaufen. Gelegentlich war Gewehr- oder Maschinengewehrfeuer von
der Spitze der Kolonne zu hören gewesen. Die Kolonne hatte außerhalb einer Stadt angehalten, die Sonne war bereits aufgegangen und es versprach ein schöner Tag zu werden.
Bei Helligkeit konnte er nun sehen, wo sich sein Half Track innerhalb der Kolonne befand.
Sie waren nun am Ende der Kolonne, da hinter ihrem Half Track nur noch vier andere standen, danach war die Straße leer. Er entdeckte, dass das letzte Fahrzeug der Half Track mit
dem Wartungstrupp war. Normalerweise war der schließende Half Track mit einer Infanteriegruppe besetzt, aber dieses Fahrzeug war nun fort. Vermutlich hatte es seine Position
innerhalb der Kolonne gewechselt und war nun weiter vorne. Die Panzer weiter vorne begannen nun zu schießen, etwas später kamen drei Personen die Straße entlang gegangen,
es waren zwei Männer und eine Frau. Die Männer hatten ihre Arme hinter den Kopf geho235
236
237
Ebenda (Seite 55- 56)
Dies wurde um 10:00 Uhr auf Befehl des Kampfkommandanten nachgeholt.
Stadtmüller Alois Dr., Maingebiet und Spessart im Zweiten Weltkrieg, (3. Auflage), Aschaffenburg, 1987 (Seite 539)
- 105 -
ben, die Frau hielt die Arme gerade über den Kopf. Sie trugen alle eine Art blauer Uniform,
als wenn sie von der Marine wären. Die Frau trug einen blauen Blouson mit kurzen Ärmeln
und einem großen Kragen. Sie waren bereits einige hundert Meter hinter dem letzten Fahrzeug, als sie bemerkten, dass keine weiteren mehr folgten. Sie setzten sich resigniert an
den Straßenrand und reagierten nicht weiter auf Zeichen der Amerikaner noch weiter zu
laufen.238
Am nördlichen Ortsausgang von Lohr, beim Sportplatz in der Nähe der Firma REXROTH,
waren LKWs der OT - Organisation Todt - am Straßenrand und auf dem Feld abgestellt.
Einer davon hatte Panzerketten geladen. Zivilpersonen, die eine Mitfahrgelegenheit gesucht
hatten, befanden sich ebenfalls auf der Ladefläche. Die militärisch aussehenden LKWs
wurde von den Panzern entdeckt und sofort unter MG-Feuer genommen.
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Roland Thein erreichte wenig später den Sportplatz. Noch ehe er sich alles ansehen konnte,
wurde er von einem deutschen Unteroffizier angebrüllt, dass er hier nicht so dumm in der
Gegend herumstehen solle. Er erhielt sogleich den Auftrag eine scheinbar verletzte Frau ins
Krankenhaus zu bringen. Sie lag neben einem der LKWs der in einem Graben stand. Es
wurde eine Trage besorgt, auf die man dann die verletzte Frau legte. Sie lebte noch und
schlug kurz einmal die Augen auf. Neben ihr lag ein totes Kind, das eine Kopfverletzung
hatte. Etwas weiter entfernt lag ein toter Mann in OT-Uniform, er musste aus dem Führerhaus des Wagens geschleudert worden sein. Mit dem gleichaltrigen Ludwig Maier, schleppte er die Frau dann zum Lohrer Krankenhaus. Ein Arzt im weißen Mantel, der vor dem
Krankenhaus stand, schaute sich die Frau kurz an und stellte dann nüchtern fest, dass sie
239
tot war.
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Die OT-Fahrer Franz Pipota und Josef Schörr, der Obergefreite Kurt Helmut Laukner, der
Zivilist Günter Sandl sowie die 27-jährige Wilhelmine Schroth und deren 8-jährige Tochter
kamen beim Durchmarsch der Amerikaner ums Leben. Auch sie wurden später zum Teil auf
dem Soldatenfriedhof "Einmal" bei Gemünden beigesetzt.
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Andreas Bernhard war inzwischen bis zum Haus von Josef Steger in der Ignatius-TaschnerStraße gekommen. Dort standen einige Frauen und unterhielten sich aufgeregt. Er legte eine
kurze Verschnaufpause ein. Die Frauen klagten ständig und Josef Steger trat hinzu und
sagte: „Ihr dummen Leute, seit froh, dass der Ami kommt, dann ist der Krieg wenigstens
vorbei." Unterdessen rasselte und krachte es ununterbrochen in einiger Entfernung. Über
dem Postamt stand eine riesige Rauchwolke. Vom Hauptbahnhof stiegen Leuchtkugeln auf.
Es schien, als verlagerte sich der Gefechtslärm in Richtung Sackenbach. Nach einem kurzen
Blick in die Rechtenbacher Straße rannte Andreas mit seinem mit Lebensmitteln vollgepackten Rucksack über die Eisenbahnbrücke in Richtung Partenstein. Vor dem Gasthaus Rexroth
wurde er von einem deutschen Kradmelder angehalten: „Junge, was ist hier los?“ „Amerikanische Panzer sind durchgefahren“, antwortete Andreas Bernhard. „Wieviele?“, fragte der
Soldat. „Keine Ahnung, es können etwa 20 bis 30 Stück gewesen sein.“ Der Kradmelder:
„Bist du auch sicher?" Andreas Bernhard: „Ich habe die Hoheitszeichen genau gesehen."
Kradmelder: „Verfluchte Scheiße! Wo willst du hin?" Andreas Bernhard: „Da lang, zu meiner
Tante." Im selben Augenblick vernahmen die beiden ein lautes Krachen und Bersten. Sie
blickten in Richtung Sackenbach und sahen eine Rauchfontäne. Der Kradmelder grinste und
meinte: „Der Panzer fährt nicht mehr! Auf, setz dich bei mir hinten drauf. Wenn du absteigen
willst, tippe auf meine Schulter.“ Nach rasanter Fahrt kamen sie beim Haus seiner Tante an,
man hatte sich dort schon Sorgen um ihn gemacht.240
Als Franz Imhof die durchfahrenden Panzer in Sackenbach sah, war er der Meinung, dass
es ein deutscher Kampfverband sei. Als die Kolonne anhielt, ging er zu einem Panzer und
fragte einen Panzermann: „Kommen die anderen auch bald?" Gemeint waren die Deutschen.
238
239
240
Zawada Robert, Schreiben an Verfasser, New Orleans, USA, 29.09.06
Volkshochschule Lohr, Als die Amerikaner kamen, Lohr, 1999 (Seite 35)
Ebenda (Seite 55 – 56)
- 106 -
Weiterhin fragte Franz Imhof den rauchenden Panzermann, ob er auch eine Zigarre haben
könnte. Dieser antwortete ihm im besten deutsch und reichte ihm eine Zigarre aus einer
Schachtel. Später stellte sich heraus, dass der Kampfverband doch Amerikaner waren und
Imhof der irrigen Meinung aufgesessen war, es seien Deutsche gewesen.241
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Route der Task Force Baum vom Bischborner Hof bis Nantenbach
(Quelle: Peter Domes)
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Die Kolonne passierte die Staustufe bei Sackenbach. Private Andy Clark saß im Heck seines Half Tracks und blickte nach hinten zum Mainufer. Plötzlich erkannte er einen deutschen Soldaten, der über den Schleusensteg zum jenseitigen Ufer rannte. Er hob seinen
Garand hoch und wollte anlegen, doch der Deutsche war schon hinter einer Tür in einem
Gebäude verschwunden.242
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Zwischen Sackenbach und Nantenbach verlief die Reichsstraße 26 direkt zwischen dem
Main auf der rechten und der Bahnlinie auf der linken Seite. Lieutenant Norman Hofer, der
Platoon Leader des Aufklärungszuges, erinnerte sich an drei bis vier Eisenbahnzüge, die
dort abgestellt waren. Es soll sich um Truppenzüge gehandelt haben; niemand hatte das
Auftauchen der amerikanischen Kolonne bemerkt und Gegenwehr geleistet. Die Züge sollen
alle zerstört worden sein.243
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Vor Nantenbach gab es einen Bahnübergang über die zweigleisige Hauptstrecke. Gemäß
den Aussagen amerikanischer Panzerbesatzungen will man dort auch auf die Lokomotive
eines aus Gemünden entgegen kommenden Güterzuges geschossen haben. Näheres
hierüber ist jedoch nicht bekannt.
Zwischen Nantenbach und Neuendorf waren vier ungarische SS-Freiwillige244 mit einem
Handkarren unterwegs, die Panzerkolonne eröffnete sofort das Feuer auf diese Soldaten –
die Männer brachen im Kugelhagel tödlich zusammen. Später nach dem Krieg wurden sie
auf dem Soldatenfriedhof "Einmal" bei Gemünden beigesetzt.
Der damals 13-jährige Gerhard Freitag aus Neuendorf war am Nachmittag dieses Tages auf
dem Weg nach Nantenbach. Er fand den Handkarren der vier Ungarn im Straßengraben
liegen. Der Wagen hatte zwei große Räder und sah aus wie ein Marktkarren. Von toten
Soldaten war nichts mehr zu sehen, sie mussten wohl schon geborgen worden sein. Auf
dem Karren lagen mehrere Polizei- und Luftwaffenuniformen. Dazu jede Menge Büchsen241
242
243
244
Ebenda (Seite 52)
Clark Andrew, persönliche Aufzeichnungen, USA, 14.05.04
Hoffner Norman, Interview mit Dr. James L. Sudmeier, USA, 10.04.07
Die vier gefallenen Ungarn sind namentlich bekannt: Janos Sulajdona Korcz, Peter Adalbert,
Bela Bekk und Stefan Istvan Flander
- 107 -
fleisch und Kommissbrot. Auch Waffen waren dabei – zwei Karabiner 98k und die dazugehörige Munition. Gerhard Freitag griff sich eine der Luftwaffenuniformen und nutze sie als
Transportsack. Darin hinein lud er sich jede Menge Verpflegung und schleppte sie anschließend nach Hause. Den Karren selbst konnte man nicht mehr benutzen, da eines der Räder
gebrochen war. In seinem jungendlichen Leichtsinn nahm er auch einen der Karabiner mit
Munition an sich. In einem nahegelegenen Waldstück probierte er die Waffe später auf dem
Hochsitz eines Jägers aus. Durch die Schießerei wurden einige ältere deutsche Soldaten
aufgeschreckt, die in der Nähe lagerten. Sie hatten wohl angenommen, die Amerikaner
kämen. Gerhard Freitag hatte Glück, dass die Soldaten nicht das Feuer auf ihn eröffneten.
Als sie ihn mit der Waffe entdeckten, nahmen sie ihm kurzerhand den Karabiner ab und
gaben ihm ein paar Ohrfeigen.245
06:15 Uhr – Neuendorf
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Der 9-jährige Erhard Ebert-Vetter erlebte die Durchfahrt der Task Force Baum durch Neuendorf. Im Hause seiner Familie war ein deutscher Soldat einquartiert. Der Mann war 27 Jahre
alt und hatte an der Front seinen linken Unterarm verloren. Seine Aufgabe bestand darin,
täglich polnische Kriegsgefangene zu bewachen und zur Arbeit in den Wald zu führen. Erhard hatte sich mit ihm angefreundet, denn er saß immer mit der Familie bei Tisch und teilte
seine Verpflegungsrationen. Am Morgen als die Panzerspitze kam, klopfte die Nachbarin
Rosa Rüfer ans Fenster und rief: „Die Amis kommen!“ Der Soldat schreckte aus dem Schlaf
hoch, packte eilig seine Ausrüstung zusammen und rannte aus dem Haus den Berg hinauf,
nach wenigen 100 Metern wurde er von den Amerikanern entdeckt und durch Maschinengewehrfeuer tödlich in den Rücken getroffen. Am Nachmittag kamen zwei Soldaten der Feldgendarmerie auf einem Beiwagenkrad, nahmen dem Toten Erkennungsmarke und Gewehr
ab und fuhren damit davon.246
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Captain Baum will auf der Bahnstrecke bis zu 12 abgestellte Eisenbahnzüge mit ca. 20
Wagons pro Zug gesehen haben. Er hatte das Gefühl, auf eine große Sache gestoßen zu
sein. Angeblich wurden alle Wagons durch die Panzer beschossen. Doch der richtige Fang
sollte erst noch kommen.247
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Beim Verlassen der Ortschaft Neuendorf stieß der Kampfverband auf einen vermeintlich
gefährlicheren Gegner. Zwischen Neuendorf und Langenprozelten hatte die Reichsbahn auf
freier Strecke einen Flak-Zug mit ca. 30 Flak-Wagons abgestellt. Die Bahnstrecke verlief
hier rechts von der Straße. Die Wagons bestanden aus jeweils zwei hohen Betonröhren mit
einem MG-Drilling sowie einem hüttenförmigen Holzaufbau dazwischen für die Besatzung.
Da Gemünden ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war, wurden einige dieser Flak-Züge
dort zum Schutz eingesetzt. Der vor Nantenbach stehende Flak-Zug sollte wahrscheinlich
Einflüge entlang des Main-Tales in Richtung Gemünden verhindern oder war aufgrund der
Zerstörungen im Gemündener Bahnhof lediglich hier abgestellt worden.248
Private Ariel Wright passierte in seinem M5A1 Tank ebenfalls diesen Flak-Zug. Er wurde
dabei Zeuge, wie der erste Panzer aus ungefähr 30 Metern Entfernung das Feuer auf die
Lokomotive eröffnete, diese aber knapp verfehlte. Der zweite Schuss traf schließlich und
Dampfwolken quollen aus dem Kessel. Die ahnungslosen Geschützbedienungen glaubten
an einen Luftangriff und begannen in die Luft zu schießen. Mit amerikanischen Bodentruppen hatten sie in dieser Gegend nicht gerechnet. Eine der 105 mm Assault Guns
eröffnete dann das Feuer und traf einen geschlossenen Güterwagen. Ein Quadratmeter
großes Holzteil wirbelte durch die Luft.249
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247
248
249
Freitag Gerhard, Interview mit Verfasser, Neuendorf, 25.03.06
Ebert-Vetter Erhard, Interview mit Verfasser, Neuendorf, 25.03.06
Baum Statement vom 10.04.45, USNA, Washington, USA
Handschuch Hans-Jürgen, Schreiben an Verfasser, Ansbach, 29.05.05
Wright Duane, Schreiben an Verfasser, Kentucky, USA, 03.02.01
- 108 -
ten, die dort untergebracht waren, hatten den Alarm gegeben. Doch die Bewohner und Soldaten stellten sehr schnell fest, dass es sich nicht um einen Fliegerangriff gehandelt hatte,
sondern statt dessen um feindliche Panzer. Herr Vogt, der Hausbesitzer hatte seine Frau
Hertha mit den Worten geweckt: „Panzer kommen! Panzer kommen!“
Bis die deutschen Soldaten aus dem Truppenzug ihren Irrtum erkannten, war es zu spät.
Viele versuchten noch über das freie Feld den rettenden Wald am Einmalberg zu erreichen.
Familie Vogt hatte sich in der Zwischenzeit im Keller des Hauses in Sicherheit gebracht.
Vom Kellerfenster aus konnten sie beobachten wie die Panzer mit ihren Maschinengewehren
auf die flüchtenden deutschen Soldaten schossen. Acht Marinesoldaten, die aus Griechenland gekommen waren, wurden getötet und einige verwundet. Man begrub die Gefallenen
nach dem Gefecht in Langenprozelten und bettete sie nach dem Krieg zum Soldatenfriedhof
“Einmal“ um.
Maria Madlon und ihre Tochter Marianne waren zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg von
Gemünden nach Langenprozelten. In der Nähe der Zollbergschranke waren sie von den
Amerikanern angeschossen worden. Die näheren Umstände dieses Vorfalls sind nicht bekannt, vielleicht waren sie aus Versehen getroffen worden, als die anrückenden Panzer das
Feuer des deutschen MG-Schützen am Forsthaus erwiderten.
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Sechs verwundete deutsche Soldaten und die beiden schwerverletzten Frauen wurden
vermutlich von den Amerikanern in den Keller des Forsthauses gebracht. Der Unterschenkel
von Maria Madlon war durch ein Geschoss völlig zerfetzt worden. Ihre Tochter Marianne
hatte einen Bauchschuss. Amerikanische Sanitäter kümmerten sich um die Verwundeten.
Einer von ihnen bat sogar die Schwägerin der Hausbesitzerin Hertha Vogt ihm bei der Versorgung der Verwundeten zu helfen, da sie ausgebildete Rotkreuzschwester war.271
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Vom Forsthaus Buchrain aus schickte Captain Baum Lieutenant Norman Hoffner und seinen
Aufklärungszug in die Stadt. Die drei Jeeps fuhren zunächst unbehelligt die Frankfurter
Straße entlang und kamen bis zu dem freien Platz vor der Saalebrücke. Aus abgestellten
Eisenbahnwagons an der Eisenbahnbrücke wurden sie plötzlich beschossen. Die Männer
erwiderten das Feuer mit ihren auflaffetierten Maschinengewehren und den Handwaffen.
Nach kurzer Zeit verstummte der Beschuss von der Brücke, statt dessen wurden sie nun aus
dem Bereich des Huttenschlosses sowie der Saalebrücke beschossen. Die Männer rissen
ihre Waffen herum und feuerten auch auf diesen Gegner.272
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Nach kurzer Zeit erhielt Captain Baum die Meldung vom Reconnaissance Platoon, dass die
Saalebrücke noch intakt sei, aber von Deutschen gesichert werde. Er befahl daraufhin einen
Tank Platoon und einen Infantry Platoon in die Stadt, um die Steinbrücke im Handstreich zu
nehmen. Im Anschluß ließ er gegen 07:30 Uhr einen Funkspruch an die 4th Armored Division
absetzen: „Informieren sie die Air Force über Truppenaufmarsch in Gemünden."273
Der Beschuss des Truppenzuges, das Dröhnen der Panzer und das Rasseln der Ketten auf
dem Kopfsteinpflaster hatte derweil die in Kleingemünden liegenden deutschen Pioniere
aufgeschreckt. Durch den Ruf „Panzeralarm!“ der Brückenwache wurden die Soldaten, die
im Huttenschloss und entlang der Frankfurterstraße einquartiert waren aufgeschreckt. Mehrheitlich nur halb angezogen und unvermittelt aus dem Schlaf gerissen, griffen sie zu den
Waffen und rannten auf die Straße.
271
272
273
Historischer Verein Gemünden am Main und Umgebung e. V., Eine Stadt stirbt – Der Untergang Gemündens am Ende des 2. Weltkrieges, Gemünden, 1988 (Seite 38)
Burke Binnie (Tochter von John P. Solensky), Schreiben an Verfasser, New York, USA,
04.05.07
Notes on Task Force Baum, USNA, Washington, USA
- 118 -
07:00 Uhr – Gemünden
Walter Degenhard war mit seinem Pionierzug zur Bewachung der Eisenbahnbrücke eingesetzt. Die Posten wechselten alle zwei Stunden. Die jungen Pioniere, welche die Eisenbahnbrücke sicherten, waren gerade im Begriff zum Gasthof “Zur Linde“ zu gehen und
dort das Frühstück zu empfangen, als sie von einem Feuerüberfall überrascht wurden. Die
Kleingemündener Häuser lagen im Beschuss von Waffen unterschiedlichster Kaliber. Die
Soldaten packten in höchster Eile ihre Waffen und Ausrüstung sowie Panzerfäuste und
Sprengmittel zusammen und rannten auf ihre Posten und den zugewiesenen Stellungen in
der Nähe, oder zu den beiden Brücken. Walter Degenhard warf sich auf der Eisenbahnbrücke zwischen die Schienen und hoffte, dort genügend Deckung zu finden, um nicht getroffen
zu werden.274
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Kurz darauf sah er zwei hintereinander fahrende SHERMAN-Tanks aus der Frankfurter
Straße hinter dem Gasthof “Zur Linde“ hervor kommen, gefolgt von amerikanischer Infanterie. Die Panzer feuerten aus ihren Maschinengewehren während sie langsam auf die
Saalebrücke zu rollten. Da die Pioniere dort nur Panzerfäuste zu ihrer Verteidigung hatten,
feuerten sie mit diesen auf die Panzer und auf die Infanterie. Auch aus den Obergeschossen der Häuser versuchten Pioniere auf die Panzer unten auf der Straße zu schießen. Als
der Spitzenpanzer gerade auf die Brücke fahren wollte, wurde er aus nächster Nähe von
einer Panzerfaust in den Bug getroffen. Die Besatzung öffnete die Lucken, da sie die Explosion ihres Fahrzeuges befürchtete. Beim Ausbooten sprangen sie den deutschen Pionieren
direkt vor die Füße. Der Platoon Leader, 2nd Lieutenant Raymond Keil und Teile seiner
Besatzung wurden sofort gefangen genommen und ins Huttenschloss gebracht. Da die
Frankfurter Straße sehr schmal war, versperrte nun dieser bewegungsunfähige Panzer den
anderen SHERMANs den Weg. Im nächsten Moment flog mit einem dumpfen Knall der
dritte Bogen der Saalebrücke in die Luft. Die Sprengladung war kurz zuvor von den Pionieren notdürftig dort angebracht worden. Dabei sollen zwei amerikanischen Infanteristen ums
Leben gekommen sein, die sich in diesem Moment bereits auf der Brücke befanden. Pionier
Fritz Schüngel sah wie sich ein nachfolgender schneller Half Track mit zwölf Infanteristen an
Bord fest fuhr und liegen blieb. Einer der beiden erfolgreichen Panzerfaustschützen legte
auf den nächsten Half Track an, wurde aber dabei durch eine Maschinengewehrgarbe
tödlich getroffen.275
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Staff Sergeant George Capp befand sich mit einigen Infanteristen auf dem ersten Panzer
von Lieutenant Raymond Keil. Nachdem der Panzer getroffen worden war, sprangen die
Infanteristen herunter und nahmen den Feuerkampf mit den deutschen Pionieren rechts der
Straße auf. George Capp sah, wie der Panzerfahrer sich nach hinten absetzte. Lieutenant
Elmer Sutton, der Platoon Leader des Infanteriezuges, der die Panzer begleitete, gab den
Befehl, die Brücke zu überqueren. Lieutenant Sutton stürmte voran, knapp dahinter folgten
zwei weitere Soldaten. Staff Sergeant George Capp war der nächste, der los rannte, eine
Kugel traf ihn ins Bein und er blieb verwundet an der Brücke liegen. Danach flog die Brücke
in die Luft, von den beiden Soldaten, die Lieutenant Sutton gefolgt waren, war nichts mehr
zu sehen – es hatte sie erwischt! George Capp konnte Lieutenant Sutton noch auf dem
anderen Ufer sehen, wie er sich der linken Seite zuwendete. George Capp wurde von seinen Kameraden geborgen und machte den Weg weiter bis Hammelburg mit, später wurde
er dort im Lager von den Soldaten der 14th US Armored Division befreit.276
274
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276
Degenhard Walter, Es dauerte mehr als 40 Jahre..., 01.04.96
Schüngel Manfred (Sohn), Brief an Verfasser, Bonn, 03.02.07
Capp Christopher (Sohn), Schreiben an Verfasser, Chicago, USA, 08.07.07
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vor der erste Panzer die Brücke erreichte wurde sie gesprengt
(Quelle: Martin Heinlein)
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Als der letzte Panzer heranrollte, wurde Fritz Schüngel Zeuge einer unwirklich scheinenden
Episode. Einer seiner Pionierkameraden rannte mit seiner Panzerfaust blindlings aus dem
Tor des Huttenschlosses auf die Straße und direkt vor den Panzer. Der Kommandant in der
Turmluke lies abrupt anhalten und rief ihm auf deutsch und in Anspielung auf dessen geringe Körpergröße zu: „Händchen hoch!!“ Dem “Kleinen“ fiel dabei vor Schreck die schwere
Waffe zu Boden, worauf der Kommandant aus Angst vor einer Explosion rasch den Kopf
einzog und die Kommandantenluke über sich schloss. Geistesgegenwärtig nahm der “Kleine“ die Panzerfaust wieder auf, legte an und schoss den Panzer aus nächster Nähe ab. Als
die Besatzung ausstieg, äffte er den Panzerkommandanten mit „Händchen hoch! Händchen
hoch!“ nach und fordert ihn mit einer Pistole auf, herauszukommen.277
Das Huttenschloss in Gemünden hier noch als RAD-Lager
(Quelle: Film-Foto-Ton Museumsverein Gemünden & “Der Arbeitsgau 28“)
Der tatsächliche Ablauf des Gefechtes lässt sich heute nur sehr schwer rekonstruieren.
Nach anderen deutschen Zeugenaussagen hatte der dritte Panzer bei seinen Drehbewegungen eine Kette geworfen und war ebenfalls bewegungsunfähig im Garten des Anwesens
277
Schüngel Manfred (Sohn), Brief an Verfasser, Bonn, 03.02.07
- 120 -
Hennermann liegen geblieben. Zusätzlich soll er auch noch einen Panzerfausttreffer aus
dem Obergeschoss des Hauses abbekommen haben, vor dem er stand.
Der zweite Panzer war im wahrsten Sinne des Wortes eingekeilt. Er stand dicht neben der
Polizeistation. Die Panzerbesatzung wurde durch diese Ausweglosigkeit wohl dazu veranlasst, das Fahrzeug unverzüglich zu verlassen, obwohl es noch nicht getroffen worden war.
Ein Besatzungsmitglied steckte vermutlich beim Ausbooten noch den Panzer in Brand. Der
Panzerbesatzung gelang es, zwischen den Häusern in Richtung Bahnstrecke zu entkommen. 278
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Die Bewohner der Polizeistation neben dem Huttenschloss hatten sich zu Beginn des Gefechts in den Keller des Gebäudes in Sicherheit gebracht. Ein junger deutscher Soldat
schleppte sich mit letzter Kraft dorthin, wo er zusammenbrach. Er hatte in einer Engstelle
versucht, eine Panzerfaust abzufeuern und wurde durch den Rückstrahl der eigenen Waffe
schwer verletzt. Die damals 21-jährige Elfriede Domstreich legte ihn auf eine Bank und
wollte ihn verbinden. Die Eingeweide hingen dem Jungen zum Teil aus seinem Bauch heraus. 279
In der engen Frankfurterstraße brach die Hölle los
(Quelle: Martin Heinlein)
Der 21-jährige US-Infanterist PFC James H. Nease befand sich bei einer Infanteriegruppe,
die den Auftrag hatte, die Brücke im Handstreich zu nehmen. Infolge des heftigen deutschen
Feuers waren die Soldaten nicht bis an die Brücke herangekommen. Die Soldaten suchten
daher Deckung in einem Gebäude vor der Brücke. James Nease sah bei dieser Gelegenheit
278
279
Schlereth Roland, Interview mit Verfasser, Gemünden, April 2005
Historischer Verein Gemünden am Main und Umgebung e. V., Eine Stadt stirbt – Der Untergang Gemündens am Ende des 2. Weltkrieges, Gemünden, 1988 (Seite 40)
- 121 -
auch, wie einer der amerikanischen SHERMANs280 getroffen wurde und wie die Besatzung
den Panzer verließ. Durch diesen Vorfall machte er sich langsam mit dem Gedanken
vertraut, dass er seine Heimat wohl nie mehr wieder sehen würde.281
Während des Gefechts mit der abgesessenen US-Infanterie sah sich Fritz Schüngel in einem
Haus unverhofft einem etwa gleichaltrigen Amerikaner gegenüber. Fritz überwand die
Schrecksekunde etwas schneller als der Amerikaner – er schoss zuerst. Der Amerikaner
brach tödlich getroffen zusammen. Das ihm in diesem Moment, wie schon einmal an der
Oder, das Soldatenglück beistand, merkte Fritz kurz darauf: seine leichte französische Beute-MP hatte nun Ladehemmung!282
Zwei verwundete deutsche Pioniere brachten sich aus der Gefahrenzone über die Eisenbahnbrücke in Sicherheit. Sie berichteten ihren Kameraden über die Größe des Kampfverbandes, den sie vor Kleingemünden gesehen hatten.283
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Während ein Teil der Task Force Baum in Gemünden in Kämpfe verwickelt war, wartete die
Masse am Ortseingang von Kleingemünden auf der von Langenprozelten kommenden Straße. Private Andy Clark wurde von etwas herum fliegenden am linken Knie getroffen. Er
erhob sich und sagte zu dem Soldaten neben sich: „He! Ich bin getroffen!“ „Na und?!“ gab
ihm dieser desinteressiert zur Antwort. Er rollte sein Hosenbein hoch und dachte, nun eine
klaffende Wunde vorzufinden, doch es war wohl nur ein kleiner Kratzer von einer verirrten
Kugel gewesen.284
Oberfeldwebel Eugen Zöller
(Quelle: Albrecht Englert)
Pionier Fritz Schüngel
(Quelle: Manfred Schüngel)
Nachdem der Angriff auf die Straßenbrücke gescheitert war, versuchten die Amerikaner nun
die Eisenbahnbrücke zu nehmen, um dort über die Saale zu gelangen. Eine deutsche Pioniergruppe unter Führung eines Unteroffiziers war zur Sicherung der Eisenbahnbrücke zu280
281
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Wahrscheinlich war es der erste Panzer von Lieutenant Raymond Keil.
Nease James H., Interview mit Dr. James L. Sudmeier, USA, 11.06.03
Schüngel Manfred (Sohn), Brief an Verfasser, Bonn, 03.02.07
Degenhard Walter, Es dauerte mehr als 40 Jahre..., 01.04.96
Clark Andrew, persönliche Aufzeichnungen, USA, 14.05.04
- 122 -
rückgeblieben. Auf der Brücke stand ein zerstörter Güterzug, der tags zuvor beim Bombenangriff mehrere Volltreffer erhalten hatte. In dieser Deckung lag die Pioniergruppe mit Panzerfäusten und Karabinern zwischen den Gleisen in Stellung. Es gelang ihnen den Angriff
der Amerikaner abzuwehren. Oberfeldwebel Zöller erkannte, dass der Unteroffizier gerade
im Begriff war, diese Brücke ebenfalls zu sprengen, obwohl man sehen konnte, dass die
Amerikaner gerade dabei waren, sich von der Eisenbahnbrücke zurückzuziehen. Mitten
durch das feindliche MG-Feuer rannte Oberfeldwebel Zöller zur Eisenbahnbrücke, um die
Sprengung zu verhindern. Als er die Brücke schließlich erreichte, war die Zündschnur schon
auf 12 Zentimeter herunter gebrannt. Zöller schrie: „Nicht zünden, nicht zünden, die Amis
hauen ab!" Oberfeldwebel Zöller riss nun selbst die Zündschur aus der Sprengladung und
verhinderte somit die Sprengung.
Die deutschen Pioniere versuchten nun, im Gegenstoß die Amerikaner aus Kleingemünden
zu werfen. Sie setzten dabei in Ermangelung an Gewehren auch Panzerfäuste ein, die sie
auf die amerikanische Infanterie abfeuerten. Ein auf den Boden oder an einer Hauswand
einschlagendes Panzerfaustgeschoss hatte etwa die gleiche Wirkung wie eine Splitterhandgranate. Im Verlaufe des Gefechtes hatten die deutschen Pioniere zwischen 65 und 70 ihrer
Panzerfäuste abgefeuert. Captain Baum, der sich mit einigen Soldaten bei den vordersten
Panzern befand, bekam dies selbst am eigenen Leibe zu spüren.
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Der Reconnaissance Platoon deckte mit den Maschinengewehren auf den Jeeps den Rückzug der Infanterie aus Kleingemünden. Corporal John P. Solensky, der Fahrer von Lieutenant Norman Hoffner, räumte dabei einen festgefahrenen Jeep beiseite, der den Rückzug
eines amerikanischen Panzers aus der Frankfurterstraße blockierte – dafür sollte er später
den Silver Star bekommen.285
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Den Pionieren gelang es nach fast zwei Stunden hartem Kampf, die Amerikaner bis an den
Abzweig der Straße nach Rieneck zurückzuwerfen. Trotz ihres Rückschlages in Kleingemünden schossen die amerikanischen Panzer weiter mit ihren Kanonen auf Kleingemünden und in Richtung Bahnhof, wo Lokomotiven versuchten, die zerstörte Wagons wegzuziehen, um die Strecke wieder freizubekommen.286 Inwieweit auch die Gemündener Flak
in diesen Kampf eingegriffen hatte, konnte bisher noch nicht abschließend geklärt werden.
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Nachdem Gertrud Nikola mit ihrer Familie die Nacht im Kloster Schönau verbracht hatte,
sahen sie am Morgen nach ihrem Gepäck, das sich noch auf dem Leiterwagen befand.
Unbekannte hatten in der Nacht die Federbetten aufgeschlitzt und ihre Koffer gestohlen. Sie
hatte jetzt nur noch die Sachen, die sie am Leibe trugen. Die Familie konnte in dieser Lage
somit nicht in Schönau bleiben und entschlossen sich deshalb, nach Gemünden zurück zu
kehren. Als sie bis an den Ortseingang in der Nähe von Steigers Scheune287 gekommen
waren, kamen ihnen Leute aus der Stadt entgegen. Diese rieten ihnen umzukehren, da
amerikanische Panzer in Kleingemünden wären und die Stadt beschießen würden. Ihnen
blieb somit nur noch, den Handwagen stehen zu lassen und sich mit dem Rucksack durch
den Wald den Berg hinauf in Richtung Reichenbuch in Sicherheit zu bringen. Vielleicht fand
man dort fürs erste eine Bleibe.288
Als das Gefecht zu Ende war, sammelte sich der 1. Pionierzug auf dem Platz zwischen dem
Gasthaus “Zur Linde“ und der gesprengten Saalebrücke. Der Schauplatz der vorausgegangenen Kämpfe wirkte auf den Pionier Walter Degenhard äußerst bedrückend. Vor
dem zweiten Panzer lag ein toter deutscher Pionier – er war während des Gefechtes von
einer MG-Garbe tödlich getroffen worden, als er versucht hatte, den Panzer mit einer Pan285
286
287
288
Burke Binnie (Tochter von John P. Solensky), Schreiben an Verfasser, New York, USA,
04.05.07
Zöller Eugen, Bericht über die Kampfhandlungen in Gemünden, 10.05.96
Heute Anwesen Richard Franz.
Hepp (geb. Nikola) Gertrud, „Der schlimmste Tag in meinem Leben – Erinnerungen an die
Kriegstage März/April 1945 in Gemünden“, überlassen an Gudrun Schneider, 05.04.07
- 123 -
zerfaust frontal anzugreifen. Der Zugführer des 2. Zuges war mit seinen Pionieren gerade
dabei 15 bis 20 gefangene Amerikaner im Hof des Huttenschlosses zu durchsuchen. Mit ein
paar Brocken Schulenglisch und entsprechender Zeichensprache wurden sie aufgefordert,
alles abzulegen, was wie eine Waffe aussah. Die Amerikaner folgten dieser Aufforderung mit
Gelassenheit.289
Fritz Schüngel zählte allein in seiner Nähe zwölf amerikanische Gefangene, die entwaffnet
und abgeführt wurden. Am Straßenrand sah er später drei von ihnen tot liegen. Sie waren
durch Kopfschuss getötet worden; ihre Waffen lagen auf der anderen Straßenseite. Offenbar
hatte man “kurzen Prozess“ mit ihnen gemacht; wahrscheinlich ein wütender Racheakt für
die vielen Toten des Bombenangriffes vom Vortag und die drei Gefallenen der Pionierkompanie in diesem Gefecht, darunter die Matrosen Bruno Schmitt und Hans Wied. Ein deutscher Zivilist kam ebenfalls ums Leben.290
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Während des Gefechtes waren auch Captain Baum und Lieutenant Nutto verwundet worden.
Beide hatten neben einem Panzer gestanden, als ein Panzerfaustgeschoss direkt neben
ihnen einschlug. Lieutenant Nutto wurde am Oberkörper durch den Splitterregen verletzt.
Captain Baum hatte an Arm und Bein etwas abbekommen, die Verwundungen waren bis auf
den Knochen gegangen. Lieutenant Nutto wurde auf einen Half Track verfrachtet. Er musste
zunächst das Kommando über seine Tank Company abgeben.
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Captain Baum erkannte, dass ein Weiterkommen durch Gemünden nicht möglich war. Die
Straßenbrücke war von den Deutschen gesprengt worden, die Eisenbahnbrücke wurde zäh
von ihnen verteidigt. Nachdem ihn das Gefecht weitere wertvolle Zeit gekostet hatte, befahl
er schließlich den Rückzug aus der Stadt. Einer der deutschen Gefangenen berichtete ihm
von einer weiteren Brücke bei Burgsinn. Nach einem Blick auf die Karte stellte er fest, dass
Burgsinn ungefähr 15 km nördlich von Gemünden lag, was nun einen erheblichen Umweg
für den Kampfverband zur Folge hatte. Die Karte, die Baum mit sich führte, endete in ihrem
Ausschnitt außerdem bei Obersinn. Da er im Voraus keine Alternativroute geplant hatte,
nahm die nun folgende Umgruppierung erhebliche Zeit in Anspruch, da die Infanterie erst
aus der Stadt herausgezogen werden musste. Aufgrund der Tatsache, dass er in Gemünden
erstmals auf heftigen Widerstand und auf so viele deutsche Soldaten gestoßen war, glaubte
Baum, er wäre in den Aufmarschraum einer deutschen Division gestoßen. Die Aussagen
verschiedener deutscher Gefangener müssen diese Schlussfolgerung noch erhärtet haben.291
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In seinem Half Track sah Andy Clark wie auf der anderen Straßenseite die Panzer und Half
Tracks vom Anfang der Kolonne zurückkamen. Sie fuhren an ihm vorbei, und bogen etwas
weiter hinten an der Kreuzung nach Norden den Berg hinauf ab. Als auch sein Fahrzeug
gewendet hatte, geriet es unter deutschen Handwaffenbeschuss. Die Soldaten warfen sich
auf die Bodenplatten und suchten Deckung hinter den gepanzerten Seitenwänden. Andy
Clark landete auf einem Kameraden, der wütend schrie: „Geh sofort von mir runter, du Arschloch!“ Er rappelte sich wieder hoch und hob dabei Kopf und Schultern über die Bordwand, um ein paar Schüsse in Richtung der vermeintlichen deutschen Schützen abzugeben.
Im Stillen murmelte er: „Bastard! Wenn ich getroffen werde, ist das Deine Schuld!“ Nachdem
der Half Track gewendet hatte, brauste er mit Höchstgeschwindigkeit hinter den anderen
Fahrzeugen her – so waren sie zunächst in Sicherheit.292
PFC Robert Zawadas Half Track stand direkt an der Abzweigung nach Burgsinn. Sie hatten
das Schießen verschiedener Waffen als Anzeichen eines größeren Gefechts gehört. Etwas
später kamen dann Soldaten im Laufschritt zurück gerannt und riefen ihnen zu: „Fahrt zu289
290
291
292
Degenhard Walter, Es dauerte mehr als 40 Jahre..., 01.04.96
Schüngel Manfred (Sohn), Brief an Verfasser, Bonn, 03.02.07
Lake Austen, Interview mit Captain Abraham Baum, Gotha, 10.04.45, USNA, Washington,
USA
Clark Andrew, persönliche Aufzeichnungen, USA, 14.05.04
- 124 -
rück! Fahrt zurück!“ Der Half Track setzte sich in Bewegung, er musste ein Stück zurück
setzen, um die Kreuzung frei zu machen, damit die anderen Fahrzeuge, die bereits gewendet hatten, in geordneter Formation weiter in Richtung Norden fahren konnten.293
Captain Baum forderte vor dem Abmarsch in Richtung Burgsinn über Funk noch einen Luftangriff auf Gemünden und dessen Eisenbahneinrichtungen an. Es waren aber zu diesem
Zeitpunkt keine Flugzeuge in der Luft, die diesen Angriff hätten direkt ausführen können. Ein
Luftangriff hätte an der Tatsache, dass die Brücke gesprengt war und dem zwangsweisen
Umweg auch nichts mehr geändert.
Der Task Force Baum war somit der direkte Weg in Richtung Hammelburg verwehrt. Captain
Baum hatte sich hier auf ein sinnloses Gefecht einlassen müssen, das die Kampfkraft seiner
Truppe erheblich geschwächt und wertvolle Zeit gekostet hatte. Fazit: 3 mittlere Panzer, 3
Half Tracks und einen Jeep hatte er eingebüßt, 3 Tote, 18 Verwundete, 37 Mann in deutscher Gefangenschaft.
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Für Kleingemünden hatte der Schrecken dieses Morgens noch kein Ende – der zerstörte
Panzer, der dicht neben der Polizeistation getroffen worden war, stand mittlerweile in hellen
Flammen. Das Feuer griff auf das Haus über und setzte es in Brand. Der Gemündener
Feuerwehr war es nicht möglich, auszurücken, da die Saalebrücke gesprengt war. Auch von
der Bevölkerung war keine große Hilfe zu erwarten, da viele nach dem Bombenangriff vom
Vortag im Wald am Harras Schutz gesucht hatten und sich zu diesem Zeitpunkt nicht in
Kleingemünden befanden.
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Durch den Lärm fahrender Kettenfahrzeugen waren die Soldaten der Linzer Panzerjägerkompanie am Einmalberg aufgewacht. Kurze Zeit später hörten sie die Explosion einer
Sprengung aus Gemünden. Nachdem alle wach waren, kam der Befehl des Kompanieführers, dass sich die Kompanie außer Sichtweite weiter auf den Einmalberg zurückziehen sollte. Die meisten Soldaten kamen diesem Befehl unverzüglich nach, in der Hektik
ließen viele jedoch ihre Ausrüstung und die Waffen einfach liegen. Lediglich um die 16
Mann, unter ihnen der Gefreite Rudi Focke, blieben am Waldrand zurück. Sie wollten sehen,
was in der Stadt vor sich ging.
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Nach einer Weile kamen Panzer die Straße hochgefahren und die Soldaten realisierten zunächst nicht, dass es sich um eine amerikanische Fahrzeugkolonne handelte. Der erste
Panzer kam die Straße herauf und fuhr zum Haus unterhalb des heutigen Soldatenfriedhofes. Dort drehte er sich mit dem Bug in Richtung Kleingemünden und eröffnete das Feuer
auf die Stadt. Es sah aus, als wollte er der abrückenden Kolonne Feuerschutz geben. Auf
dem Panzer saßen Infanteristen, die nur nach vorne in Richtung Gemünden schauten. In der
Nähe des Panzers stand die Feldküche der Panzerjägerkompanie, die aber zum Glück
unentdeckt blieb. Gefreiter Rudi Focke fasste im ersten Gedanken den Entschluss, diesen
Panzer mit seinem Panzerschreck abzuschießen. Da er jedoch bereits Erfahrung in der
Panzerbekämpfung hatte, verwarf er diesen Gedanken schnell wieder, da er keine ausreichende Deckung zum Schießen fand. Die amerikanischen Soldaten hätten wahrscheinlich
den Abschuss der Waffe gesehen und das Feuer auf ihn eröffnet. Kurze Zeit später kam die
gesamte amerikanische Kolonne den Berg herauf gefahren. Sie rollten auf der Straße unterhalb des sichernden Panzers entlang in Richtung Rieneck. Es waren unter anderem Jeeps
und Half Tracks dabei. Gefreiter Rudi Focke stand hinter einem Baum und konnte von dort
aus alles gut einsehen. Der Panzer am Haus hatte bis zum Schluß geschossen und sich
dann als letztes Fahrzeug ebenfalls in die Kolonne eingereiht.
Nachdem die Kolonne vorbeigefahren war und es wieder ruhig geworden war, ging Focke
mit zwei oder drei anderen Kameraden nach Kleingemünden hinunter. In der Frankfurter
Straße standen abgeschossene amerikanische Panzer. Deutsche Soldaten von dort untergebrachten Einheiten liefen geschäftig umher.
293
Zawada Robert, Schreiben an Verfasser, New Orleans, USA, 29.09.06
- 125 -
Route wieder gefunden
14:00 Uhr – Würzburg Ortkommandantur
Gegen 14:00 Uhr traf Hauptmann Gehrig mit seinen Lehrgangsteilnehmern im zerstörten
Würzburg ein. Die Innenstadt war am 16. März durch einen schweren britischen Bombenangriff fast vollkommen zerstört worden. Die mainfränkische Metropole hatte den Krieg
bis zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Die Einwohner hatten
darauf vertraut, dass sie durch den Status einer Lazarettstadt den entsprechenden Schutz
genießen würden. Die barocke Balthasar Neumann Stadt sank innerhalb von 30 Minuten in
Schutt und Asche. Nach dem Angriff hatte Standortkommandant Generalmajor Bornemann
seinen Gefechtsstand in die unbeschädigte Kaserne auf dem Galgenberg verlegt. Hauptmann Gehrig wurde hier in die Lage eingewiesen. Durch die von der 7. Armee veranlasste
Luftaufklärung war bekannt, dass sich der amerikanische Kampfverband im Raum Rieneck –
Burgsinn befand. Gehrig erhielt nun den Auftrag, über Gemünden in Richtung Burgsinn
aufzuklären und den Feind zu vernichten.384
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Generalmajor Bornemann hatte nur einen kleinen Stab und erledigte die Masse der Stabsarbeit selber. Er hatte mehrere Telefonapparate, die er allesamt selbst bediente. Für das Gebiet mit den Verteidigungsvorbereitungen in seinem Verantwortungsbereich wurde keine
Lagekarte geführt, der General hatte alle notwendigen Details im Kopf. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass die Stabsarbeit nicht gut durchorganisiert war, wie sich später beim
Kampf um Würzburg noch zeigen sollte. Das Verhältnis zwischen Gauleiter Dr. Helmuth und
dem Standortkommandanten war nicht besonders gut. Der Gauleiter, als Reichsverteidigungskommissar für diesen Bereich, führte ohne Wissen des Generals seinen eigenen
Krieg. Er hielt u. a. große Bestände an Panzerfäusten zurück, welche die Truppe anderen
Orts dringend benötigt hätte.385 Der bedingungslose Glaube an den Endsieg und die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Bevölkerung konnten eine solide militärische Ausbildung eines
Generalstabsoffiziers nicht ersetzen. Das Schicksal der Zivilbevölkerung in ihren Dörfern und
Städten, hatten viele dieser “Goldfasane“386 zu verschulden.
14:00 Uhr – Burgsinn
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Der Durchmarsch der amerikanischen Panzerspitze hatte Burgsinn in große Aufregung
versetzt, die weiterhin andauerte. Lieselotte Gradenegger war ebenfalls ins Dorf gegangen,
um noch freie Waren kaufen zu können. Die Leute standen überall auf den Straßen herum
und sprachen über das Ereignis. Vor dem Rathaus stand die örtliche Führerclique und beriet
sich tuschelnd und mit Verschwörermienen. Gruppen von befreiten Russen und Polen zogen teils bettelnd, teils plündernd durch den Ort. Darunter befanden sich seltsame Gestalten, abenteuerliche, bemitleidenswerte und furchterregende Gesichter mit europäischslawischer Prägung oder auch solche mit mongolischen und armenischen Gesichtszügen.
Auf die Freude über die Befreiung folgte nun die plötzliche Ernüchterung. Den Panzern
waren keine weiteren Truppen gefolgt. Das Rathaus war nicht besetzt worden. Als Lieselotte Gradenegger gerade vor einem Geschäft in der Schlange etwas weiter aufgerückt war,
wurde der Freiverkauf urplötzlich eingestellt. Sie ging nach Hause und schaltete ihren
Volksempfänger an. Aber es gab keine Meldungen über das Geschehen in dieser Gegend,
da anscheinend Nachrichtensperre verhängt worden war.387
Erhardt Heil und ein Freund hatten ebenfalls die befreiten Gefangenen gesehen. Die beiden
standen an der Kreuzung zum “Roten Weg“ am Bahnübergang, als von dort eine Ge384
385
386
387
Gehrig Franz, Interview mit Hanns-Helmut Schnebel, Hammelburg, 01.12.85
Spiwoks/Stöber, Der Endkampf zwischen Mosel und Inn – das XIII. SS-Armeekorps, Osnabrück, 1976 (Aufzeichnungen von Oberst Richard Wolf - Seite 191)
Spitzname für Parteifunktionäre der NSDAP.
Gradenegger Lieselotte, Tagebuchaufzeichnung, Kitzingen, Juni 2005
- 154 -
fangenengruppe geradewegs heruntermarschiert kam. Deutsche Bewacher waren nicht zu
sehen – es hieß, diese seien entwaffnet worden. Einer der Gefangenen hatte eine deutsche
Maschinenpistole MP 40, an der er sich zu schaffen machte. Er versuchte, sie in Gang zu
bringen, weil sie offenbar etwas beschädigt war. Als sie das sahen, sagte Erhardt Heil zu
seinem Freund: „Komm wir verschwinden!“ Die beiden bewegten sich vorsichtig rückwärts in
Richtung Mittelsinn. „Du bist ein Todeskandidat!“, dachte sich Erhardt Heil noch im Weggehen. Aber er traute sich nicht, dem Gefangenen die MP abzunehmen. Er hatte aber auch
den Eindruck, dass die anderen Kriegsgefangenen nicht begeistert darüber waren, dass
einer von ihnen mit einer deutschen Maschinenpistole herumlief.388
14:20 Uhr – Reichsstraße 27 Hainbuche
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Mit Erreichen der Kreuzung Hochstraße Aschenroth zur Reichsstraße 27 war man endlich
am Ziel des stundenlangen Umweges durch den Spessart und die Vorrhön. Die Reichsstraße 27 lag nun im Tal vor den Amerikanern. Sie schlängelte sich von Süden durch mehrere kleinere Ortschaften und verschwand über eine Kuppe in einem dichten Kiefernwald.
Hinter den bewaldeten Hügeln jenseits der Straße lag der Truppenübungsplatz Hammelburg.
Karl Stürzenberger wurde auf sein Bitten hin freigelassen, weil er zu seiner Frau zurück
müsse. Er riet Captain Baum, weiter direkt nach Osten über den Truppenübungsplatz zu
marschieren, da dies der schnellste Weg wäre. Captain Baum misstraute jedoch diesem Rat
und folgte mit der Kolonne weiter der Reichsstraße 27 nach Hammelburg. Schließlich hatte
er den Weg wieder gefunden, der in seiner Militärkarte eingezeichnet war. Die amerikanische
Karte ließ ihn offenbar nicht die Möglichkeit erkennen, dass sie das Lager auch über die
Hochstraße und entlang der Hohen Lanz erreichen konnten. Baum sah auch keinen Grund
darin, auf den Rat eines unzuverlässigen Deutschen hin ins mögliche Verderben zu fahren.
Route der Task Force Baum von Weickersgrüben bis Obereschenbach
(Quelle: Peter Domes)
Karl Stürzenberger musste sich nach seiner Rückkehr noch tagelang verstecken, da er
Repressalien durch die SS befürchtete. Nach der endgültigen Befreiung konnte er wieder zu
seiner Familie zurückkehren.
Aus der bewaldeten Kuppe des Reussenberges ragte in drei Kilometern Entfernung der
Turm der Ruine Reussenburg heraus. Sie gehörte einst dem Geschlecht derer von Thüngen
und war um 1525 in den Bauernkriegen zerstört worden. Von den Gebäuden war im Laufe
der Jahrhunderte nur ein hoher dreistöckiger Turm übrig geblieben, der wie ein hohler Zahn
wirkte. Der Turm wurde nach Eingliederung der Burg in den Truppenübungsplatz als Beo388
Heil Erhard, Interview mit Verfasser, Burgsinn, 19.08.05
- 155 -
bachtungsstelle genutzt. Um ihn vor dem endgültigen Zerfall zu bewahren, wurde er durch
Einbau einer Holzverstrebung abgestützt und dabei gleichzeitig eine Aussichtsplattform
geschaffen. Das Auftauchen der Panzer an der Hochstraße blieb darum den Deutschen nicht
unentdeckt. Hauptmann Rose war mit einem Trupp Soldaten von der Eisenbahnpionierschule als Beobachter auf der Ruine Reussenburg eingesetzt und hatte von der Aussichtsplattform eine gute Rundumsicht. Er entdeckte die Panzerkolonne auf der Hochstraße
und meldete dies an Oberst Hoppe, dem Standortältesten und Kommandanten des Truppenübungsplatzes Hammelburg: „12 feindlichen Panzer auf der Straße Aschenroth in Richtung Obereschenbach".389
14:40 Uhr – Obereschenbach
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In Obereschenbach hatten die Gottesdienstbesucher der Frühmesse am Morgen bereits eine
entfernte Detonation gehört – sie stammte von der Brückensprengung in Gemünden. Ebenso
war tagsüber vereinzeltes Schiessen zu hören. Niemand ahnte etwas davon, dass die Panzerkolonne gegen 14:20 Uhr bereits die Hainbuche erreicht hatte und im Begriff stand, weiter
in Richtung Hammelburg zu marschieren. Der 10-jährige Egid Hauk war morgens noch in der
Schule gewesen. Nach der Frühmesse kam der Lehrer Galmbacher in das Klassenzimmer
und verkündete, dass die Schulferien bereits heute beginnen sollten und nicht erst am nächsten Tag, dem Gründonnerstag. Er händigte den überraschten Kindern die Zeugnisse aus.
Damals endete das Schuljahr bereits mit den Osterferien. Es hatte sich wohl auch bis Obereschenbach herumgesprochen, dass die Amerikaner im Anmarsch seien, nur ahnte niemand, wie nahe sie bereits waren.
Die drei Mädchen aus Obereschenbach
Im Gespräch mit den deutschen Soldaten
(Quelle: Martin Heinlein)
Egid Hauk stand am Nachmittag im Bereich der Kreuzung der Reichsstraße 27 zur Verbindungsstraße nach Diebach. Dort hielten sich auch drei 16- bis 18-jährige Mädchen aus
dem Dorf auf. Von der Hainbuche brauste in schneller Fahrt ein mit zwei Soldaten besetztes
389
Paul (geb. Hoppe) Christel, Gefechtsbericht von Oberst Hoppe, 29.03.45
- 156 -
deutsches Beiwagenmotorrad herunter. Die Maschine bremste, hielt kurz an und die Soldaten redeten aufgeregt auf die Mädchen ein. Egid Hauk konnte von seinem Standort nicht
hören, was gesprochen wurde. Das Beiwagen-Krad setzte dann seine Fahrt fort und fuhr mit
hohem Tempo in Richtung Diebach weiter. Die Mädchen aber standen auf der Straße und
lachten. Egid Hauk ging zu Ihnen, um zu erfahren, was die Soldaten denn so Lustiges erzählt hätten. Er bekam zur Antwort: „Dar Ami künnt die Habuch ro!“ (Der Ami kommt die
Hainbuche herunter!)
Das Beiwagen-Krad war vermutlich der Aufklärungstrupp der Panzerjägerabteilung 251 und
an der Hainbuche als stehender Spähtrupp eingesetzt. Die Jagdpanzer der Panzerjägerabteilung lagen im Raum Diebach in Stellung – Hauptmann Köhl erwartete den Angriff über
Schwärzelbach/Warthmannsroth, oder entlang der Saale. Da er wahrscheinlich von der
winzigen – und somit für Panzer ungeeigneten Brücke – bei Michelau wusste, hatte er diesen Stellungsraum mit Wirkungsrichtung nach Südwesten und Westen gewählt. Vermutlich
wollte er mit dem Aufklärungstrupp nur auf Nummer sicher gehen, um nicht von hinten durch
die “kalte Küche“ überrascht zu werden.
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Die Vermutung liegt nahe, dass Hauptmann Köhl wahrscheinlich aufgrund der Meldung des
Motorrad-Spähtrupps den sofortigen Stellungswechsel seiner Jagdpanzer in die Saaleaue
befahl.
Die Scheune vom Anwesen Egid Hauk Martin Heinlein im Gespräch mit Egid Hauk
(Quelle: Peter Domes)
Nachdem Egid Hauk bereits von seinem Vater gehört hatte, dass eine amerikanische Panzerspitze in Richtung Hammelburg vorstoße, hatte er keinen Grund mehr, die Warnung der
Soldaten anzuzweifeln. Er rannte zum elterlichen Anwesen und kletterte ins Scheunengebälk. Aus dem Eulenloch hatte er eine gute Aussicht auf die Reichsstraße 27 in Richtung
Hainbuche, von wo aus bereits die ersten Panzer angerollt kamen. Egid Hauk stieg aus
seinem Versteck herunter und rannte schleunigst in den Hauskeller, da er ein Gefecht fürchtete.390
Gregor Reuter, damals 14 Jahre alt, befand sich mit anderen Kindern zur gleichen Zeit auf
Höhe des Gasthauses “Zur goldenen Krone“, als die amerikanische Kolonne dort ankam.
Das Haus von Eugen Reith war damals noch nicht gebaut, so war die Kegelbahn das letzte
390
Hauk Egid, Interview mit Verfasser, Obereschenbach, 10.06.02
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Haus des Dorfes. Das erste Fahrzeug war ein Half Track, auf dem ein deutscher Unteroffizier in Luftwaffenuniform saß. Er rief den Kindern zu, dass sie von hier verschwinden sollten,
da es gleich zum Feuergefecht kommen werde. Zwei von ihnen rannten zum Kirchturm, um
dort die weiße Fahne aufzuhängen, die der Pfarrer Robert Kümmert bereits vorbereitet hatte.
Gregor Reuter rannte zum Anwesen der Familie Geisner und beobachtete von dort aus das
weitere Geschehen. Vom Neuberg her waren einige Schüsse zu hören, die sofort durch die
Amerikaner mit MG-Feuer erwidert wurden. Nach 15 Minuten setzte die Kolonne ihren
Marsch in Richtung Hammelburg fort. Kurze Zeit später erschienen zwei deutsche Flugzeuge
vom Typ Ju 87 STUKA391 am Himmel über Obereschenbach. Sie hatten über dem Truppenübungsplatz eine Kampfschleife gezogen und versuchten nun, einen Nachzügler der Kolonne – einen Half Track – mit Bomben anzugreifen. Gregor Reuter sah noch, wie eines der
Flugzeuge plötzlich Bomben ausklinkte392. Er rannte, so schnell er konnte, zu Geisners in
den Keller, als es hinter ihm auch schon krachte. Er war froh, dass der Flieger nicht die
Reichsstraße getroffen hatte, sonst wären wohl alle verschüttet worden.
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Nach dem Angriff des STUKAs wurden die zerbrochenen Dachpfannen
ersetzt wie man noch heute sehen kann – Anwesen Martin Heinlein
(Quelle: Peter Domes)
Der Krater, den die Bomben gerissen hatten, war 12 Meter tief und lag westlich der Reichsstraße 27 in den so genannten “Grüben“. Der amerikanische Half Track blieb unbeschädigt,
jedoch einige Hausdächer und das Dach der Kirche waren durch die Explosion beschädigt
worden.393 Eine Bombe war aber wohl nur ein Blindgänger und musste später entschärft
werden.394 Die Flugzeuge flogen dann die Reichsstraße 27 entlang nach Norden und beschossen mit ihren Bordwaffen die amerikanische Kolonne.395
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Junkers 87 Sturzkampfbomber
Später wurden in Obereschenbach fünf Bombentrichter gezählt.
Reuter Gregor, Interview mit Verfasser, Obereschenbach, 27.03.05
Feß (geb. Desch) Gundalinde, Interview mit Verfasser, Obereschenbach, 15.08.05
Seufert Ludwig, Interview mit Verfasser, Untereschenbach, 08.10.05
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