Der Dreh mit dem Licht

Transcrição

Der Dreh mit dem Licht
F o k u s Blaulicht
B l a u l i c h t - M o n t a g e
Der Dreh mit dem Licht
Wie kommt das blaue Licht aufs Autodach? Ein Blick in die
Werkstatt in Neuhausen, wo Kabel und Leuchtdioden den Takt
angeben und flinke Hände Autos in Feuerwehr-, Polizei- und
Ambulanzwagen ­verwandeln.
Drei Generationen Blaulichttechnik:
Halogen-Drehlicht (Mitte), BlitzlichtTechnologie (rechts) und LEDs (links).
Text Sue Lüthi Fotos Simone Gloor
D
er Balken blinkt und blitzt in Blau und Gelb, die
Lämpchen rennen von links nach rechts, bleiben
plötzlich stehen, leuchten mal im Takt, mal aus
der Reihe. Scheinbar. Andreas Marty kippt den
Schalter um, und das Lichtgewitter erlischt. In seiner
Werkstatt in Neuhausen, dem Dorf in der Kniekehle des
Rheinfalls, wird das Blaulicht konfiguriert und auf die Fahrzeuge montiert.
Das Blaulicht ist bei Polizeifahrzeugen ein etwa dreissig
Zentimeter breiter Lichtbalken, der sich quer übers Autodach
spannt, plus zwei Frontblitzer am Kühlergrill. Zum ästhetischen gehört das akustische Signal. Immer. Das ist Vorschrift. Einsetzbar nur bei einem Notfall.
Der Lichtbalken
Die Firma Marty Systemtechnik bezieht die Grundmodelle
der Lichtbalken aus Spanien und passt sie in der Werkstatt
6 I 2014
der
arbeitsmarkt
29
F o k u s Blaulicht
Marty Systemtechnik
Gründung 1992 von Andreas Marty
M i ta rbe i tende 4 Automechaniker,
1 Automechatroniker, 1 Aussendienst­
mitarbeiter in der französischen Schweiz,
1 kaufmännische Angestellte.
Dienstleistung Import von und Han­
del mit Beleuchtungsartikeln, Signaltech­
nik, Verkabeln und Einbau von Licht- und
Warnsignalen, individueller Ausbau von
Fahrzeugen.
K u nds c h a ft Fahrzeugimporteure,
Polizei, Schutz und Rettung, Ambulanz,
Privatfirmen, Gemeinden.
Vorsichtig zieht der Automechaniker
die farbigen Kabel am Airbag vorbei
zur Batterie in der hinteren Radmulde.
F o k u s Blaulicht
Lichtbalken im Showroom.
für die Schweizer Feuerwehr, die Ambulanz oder, meistens,
für die Polizei an. Die Blinkfrequenz und die Signaltöne sind
an allen Fahrzeugen in der Schweiz identisch, die Polizei
wünscht oft zusätzlich ein Tableau mit Text.
Andreas Marty, 50, und seine sieben Mitarbeitenden, Auto­mechaniker und Automechatroniker, verwandeln pro Jahr
rund 100 Autos zu Polizei- oder Feuerwehrwagen. Die Autos
kommen direkt vom Importeur, meist sind es Marken wie
BMW, Volvo und Volkswagen. Auf dem grossen Werktisch,
umgeben von elektronischen Teilen und Abdeckhauben,
­zerlegt der Mechaniker den spanischen Lichtbalken und gibt
ihm eine Schweizer Identität. Er setzt zwei gelbe Warnblinker ein, das Tableau für den Text «Stopp Polizei», «Bitte anhalten», «Unfall» oder «Stau» und weisse Suchscheinwerfer. Einer
zündet nach vorne, zum Beispiel, um zu sehen, was im Vorwagen passiert, und je einer kann seitlich in ein dunkles
Gässchen leuchten. Sitzt die Blaulichtanlage auf einem Auto,
das nur kurz mit Warnsignalen fährt, ist das Horn im Balken
integriert. Denn auch die Polizisten im Wageninnern halten
das 100 Dezibel laute Da-Dü-Da-Dü oder, musikalisch aus­
gedrückt, Cis-Gis-Cis-Gis, nicht lange aus. Darum heult das
Klanghorn je länger, je öfter aus dem Kühlergrill.
Das Da-Dü in wilder Fahrt
Diese beiden Töne sind übrigens schweizerisch genormt,
unterschiedlich sind jedoch der Klang und die Wahrnehmung. Ein elektronisches Cis klingt anders als dasjenige des
Martinshorns. Kommt dazu, dass ein Ton, der mit hundert
Stundenkilometern an einem Ohr vorbeirauscht, nur noch
als jaulender Aufschrei wahrgenommen wird. Diese unterschiedliche Wahrnehmung bei Fahrt nennt man Dopple­r­
effekt. Er entsteht, wenn sich die Schallquelle und der Beobachter einander nähern und sich wieder entfernen. Geht
der Klang auf Fahrt, werden die Schallwellen vorne zusammengedrückt und hinten ausgedehnt. Die veränderte Wellenlänge klingt höher oder tiefer.
Das Hilfelied der Österreicher übrigens bedient sich der
Töne G und C, die Niederländer bahnen sich mit Fis und H
den Weg durch den Verkehr, die Schweden brausen mit A
und D über den Fjäll, und die Klangwelt der Belgier bewegt
sich zwischen A und H.
Woher der typische Zweiklang kommt, lässt sich historisch nicht genau nachverfolgen. Er könnte den Jägern entstammen, die für «Halt» C und G bliesen, oder auch dem
Hornsignal der Kavallerie für «Strasse frei», die mit den gleichen Lauten C und G den individuellen Pferdeverkehr aufscheuchte.
Im Gesetz steht, dass das Signalhorn nur mit dem Blaulicht zusammen ertönen darf. Erklingt aber ein Notruf aus
einem verschlafenen Quartier, schalten die Einsatzleute oft
das Konzert auf dem Dach aus, um nicht alle aufzuwecken –
die Behörden drücken meistens ein Auge zu.
Der Doppel- und Nachblitz
Nichts an dem, was in Andreas Martys Lichtbalken geleuchtet hat, war Zufall. Und unregelmässig war die Blitzabfolge auch nicht, sie wirkte beim ersten Hinschauen einfach
wirr, doch sie ist genau genormt. Schon 1958 hat sich die
Schweiz einer europäischen Norm angeschlossen, die Ausrüs-
30
der
arbeitsmarkt
6 I 2014
tungsteile an Kraftfahrzeugen beschreibt. Die R65 regelt
­Geschwindigkeit, Lichtstärke, Farbe und vieles mehr von
Blinklichtern. Ergänzt wird die Regel von einer schweizerischen Verordnung (siehe unten).
Im Lichtbalken der Polizei leuchtet heute abwechslungsweise links und rechts ein Doppelblitz, bestehend aus einem
stärkeren Haupt- und einem schwächeren Nachblitz. Dazwischen erschallt das Signalhorn und blinzeln je nach Einsatz
die gelben Warnblinker.
Das menschliche Auge nimmt ein Farbspektrum von 380
bis 780 Nanometer wahr. Blaues Licht liegt mit einer Wellenlänge von 420 bis 490 Nanometer mittendrin, es ist bei Tag
und bei Nacht gut sichtbar. Mediziner erforschen zurzeit die
Wirkung von blauem LED-Licht auf den menschlichen Organismus: Es soll Schmerz lindern und den Schlafrhythmus
beeinflussen.
Verkabelt von Kühlergrill bis Radmulde
Am Fahrzeug arbeiten sich die Mechaniker von vorne nach
hinten. Vorne am Kühlergrill funkeln zwei blaue Frontblitzer.
Am Armaturenbrett ist das Bediengerät – vergleichbar mit
einer Fernsehbedienung – befestigt, und auf dem Dach sitzt –
wie ein Gepäckträger – der Lichtbalken. Mit einer Taste geht
die Warnanlage los: Frontblitz, Dachblaulicht und Sirene sind
gekoppelt. Die Sirene kann der Polizist separat ausschalten
und den gewünschten Text auf dem Dach wählen.
Die Kabel für Blaulicht und Sirene sind ein Can-Bus-System. Auch die Elektronik des Fahrzeuges ist in einen solchen
G e s e t z
u n d
V e r o r d n u n g
Wie blaues Licht blinken darf
Europäische Norm Zusammen mit
anderen europäischen Ländern unter­
zeichnete die Schweiz 1958 die UN/
ECE (United Nations Economic Com­
mission for Europe), damit einheitliche
Bedingungen für Produkte in Kraftfahr­
zeugen gelten. Die Regel 65 beinhaltet
auf fünfzig Seiten Angaben über Kenn­
leuchten und Blinklichter. Dort steht
zum Beispiel, dass bei einem Blinkzei­
chen der zeitliche Abstand von Spitze
zu Spitze höchstens 0,04 Sekunden
dauert. Die Frequenz liegt zwischen 2
und 4 Hertz (120 bis 240 Impulse pro
Minute), die Dunkelzeit ist maximal 0,4
Sekunden geteilt durch die Frequenz.
Die Lichtstärke am Tag ist bei Blaulicht
120, bei gelbem Licht 230 Lux.
Schweizerisches Strassenverkehrsgesetz In diesem Gesetz
steht, welche Organisationen mit Blau­
licht fahren dürfen und wie sich die
Verkehrsteilnehmer beim Wahrnehmen
der Warnsignale verhalten müssen.
Blaulichtverordnung Die
Verordnung über die technischen An­
forderungen an Strassenfahrzeuge ist
eine Ergänzung zum Strassenverkehrs­
gesetz. Sie definiert die technischen
Details an Fahrzeugen, zum Beispiel,
dass ein Einsatzfahrzeug vier blaue
Lichter und zwei Frontblitzer haben
darf. Geregelt sind auch Blinkfrequenz,
Kontrolllampen oder Form und Grösse
der Abdeckhauben.
V er o rdn u ngs ä nder u ng Der
Schweizerische Feuerwehrverband
hat einen Antrag zur Lockerung der
Blaulichtverordnung eingereicht. Er
fordert die Prüfung von drei Punkten:
Ein Fahrzeug soll mehr blaue Lichter
tragen dürfen, zum Beispiel auch am
Heck, an den Kotflügeln oder an den
Seitenspiegeln. Zweitens sollen im
Notfall auch die Scheinwerfer genutzt
werden, und drittens sind Verkehrs­
leitsysteme am Blaulichtfahrzeug
gewünscht – Zeichen, die den Verkehr
am Unfallort umleiten. Der Antrag wird
nun beim Bundesamt für Strassen
(Astra) geprüft und soll diesen Sommer
in die Vernehmlassung.
6 I 2014
der
arbeitsmarkt
31
F o k u s Blaulicht
Kabelbund gepackt. Can-Bus kann mehrere Informationen
durch ein Kabel schicken – im Gegensatz zu früher, als jedes
elektronische Teil ein eigenes Kabel erforderte. Die beiden
Can-Bus-Systeme – das vom Fahrzeug und das vom Blaulicht –
sind komplett voneinander getrennt, eine Störung im Blaulichtsystem kann somit nicht die Ursache für einen Defekt an
Öllampe, Scheibenwischer oder Fensterkurbel sein.
Im gleichen Zug wie die Mechaniker die Kabel unter die
Verkleidung packen, versetzen sie auch Halterungen für
Schlagstöcke und Taschenlampen. Vorsicht geboten ist bei
Passagen, die bereits von den Airbags besetzt sind. Nach diesen heiklen Durchgängen leitet der Mechaniker die Kabel der
Autowand entlang zur hinteren Radmulde. Dort steckt das
Herz der Anlage, die Zusatzbatterie, die von der Autobatterie
getrennt ist, sich aber beim Laufen des Motors an ihr auflädt.
Und was ist das geheimnisvolle rote Kästchen in der Mulde?
«Das ist ein RAG», sagt Andreas Marty stolz und erklärt, wofür
die Abkürzung steht: für Restwegaufzeichnungsgerät. Dieses
speichert die Blaulichtdaten der letzten 300 Meter vor einer
Kollision. Wie die Blackbox bei Flugzeugen. Blaulicht, Sirene,
Blinklicht, Abblendlicht und Geschwindigkeit werden dort
aufgezeichnet, um im Ernstfall die Warnanlage und das
Ob Kombi oder
Lieferwagen, Volvo
oder BMW: Die
Autos bekommen
mit Leuchtstreifen
und Blaulicht eine
neue Identität.
32
­ empo nachvollziehen zu können. Im Wagen nebenan ist ein
T
UDS eingebaut, ein Unfalldatenschreiber. Dieser hat eine
­andere Speicherart, kann auch Fliehkräfte festhalten.
Manchmal bestellt die Polizei direkt bei der Firma Marty
einen Wagen nach ihren Vorstellungen, zum Beispiel ein
Fahrzeug für verdeckte Einsätze. Dieses ist technisch genau
gleich ausgerüstet, einfach ohne Dachbalken und Signalfarben. Der zivile Polizist setzt das magnetische Drehlicht beim
Einsatz aufs Dach, das Warnsignal ertönt aus dem Kühlergrill, und die Textplatte ist in der Sonnenblende versteckt.
Die Lebenserwartung des Blaulichts ist bedeutend höher
als diejenige der Polizeiautos. Nach drei bis fünf Jahren wird
der fahrende Untersatz entsorgt, und so ziehen die blauen
Lämpchen in ihren zwölf Lebensjahren etwa zwei Mal um.
Anders bei Feuerwehrwagen, die bis 25 Jahre alt werden. In
dieser Zeitspanne verändert sich erfahrungsgemäss die Licht-
der
arbeitsmarkt
6 I 2014
technologie. Ein Ambulanzauto hat eine durschnittliche
­Lebenserwartung von acht Jahren.
Die Blaulichtgenerationen
Im Trend ist heute ein flacher Balken mit einer blass­
blauen Kunststoffhaube. Ein Blick unter die Haube enthüllt
90 bis 120 blaue oder gelbe LEDs. Die winzigen Dioden auf der
Montageplatine haben den Vorteil, dass der Automechaniker
sie einzeln ansteuern und die gewünschte Lichtblitzabfolge
programmieren kann. Und der Dachbalken hat weniger
Höhe, nur noch zehn Zentimeter, das bedeutet weniger Luftwiderstand und weniger Benzinverbrauch. Zudem sank der
Preis für eine blaue Diode in den letzten Jahren von zwölf
Franken auf 50 Rappen.
Die Blitzlichttechnologie, die vor 25 Jahren entwickelt
wurde, funktioniert anders: Ein separates Gerät im Wagen
erzeugt Hochspannung und schickt Blitzer aufs Dach durch
ein kleines, gebogenes Glasröhrchen mit einem Durchmesser
von etwa drei Millimetern. Darüber setzten die Techniker
eine Streulinse, eine weisse strukturierte Kunststoffhaube.
Das Ganze wird mit einer blauen Haube in Form eines Balkens oder eines Rundlichts abgedeckt.
Noch eine Generation davor beherrschte das Drehlicht die
Autodachszene. Es besteht aus einem weissen Halogenlämpchen und einem gebogenen Spiegel, der sich um das Licht
dreht. Darüber wurde eine blaue oder gelbe Haube gestülpt.
Andreas Marty drückt auf den Knopf, und der Spiegel dreht
seine Pirouetten: Die Halogentechnik wirkt im Vergleich zu
den Computermodellen direkt gemütlich.
Kampf um Aufmerksamkeit
Sogar das aggressive Blaulicht kämpft heute um Aufmerksamkeit. Tagsüber und bei starkem Verkehr nehmen die
Auto­fahrerinnen und -fahrer einen Wagen mit blauem Warnsignal nicht unbedingt mehr wahr. Sogar das Wechselklanghorn wird vom Verkehrslärm oder von lauter Musik im
Innern der gut gedämmten Autos verschluckt. Auf Grund
eini­ger Beinahe-Unfälle hat der Schweizerische Feuerwehrverband den Griffel in die Hand genommen und dem Bundesamt für Strassen einen Antrag zur Anpassung der Verordnung
über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge
unterbreitet. Ziel ist, dass Feuerwehr und Polizei im stetig
lauter und farbiger werdenden Umfeld gesehen und gehört
werden. Der Antrag stellt drei Punkte vor, die in der Verordnung behandelt werden sollten (siehe Seite 31).
In den Niederlanden dringt zum Teil das Polizeihorn
­direkt ins Wageninnere vor und schallt aus dem Autoradio.
Das geht, weil ein FM-Signal alle Autoradios, CD- und MP3Player im Umkreis von 300 Metern unterdrückt. Die Polizei
kann auch eine Textnachricht aufs Display schicken. Nur: Das
Bundesamt für Kommunikation erlaubt dies nicht. Zukunft
hat eher die interaktive Kommunikation, die über Wireless
Informationen zu den Verkehrsteilnehmern sendet. Doch
das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Licht und
Klang spielen also vorerst in der bewährten Aufstellung. n
Wie die Sirenen verschiedener Nationen tönen, hören
Sie auf www.derarbeitsmarkt.ch/audio/Sirenen