GeoResources Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik
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GeoResources Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik
Zeitschrift Fachzeitschrift für Ressourcen, Bergbau, Geotechnik, Tunnelbau und Equipment Bergbau 4.0 Gründung Deponiebau Geothermie Förderanlagen Sprengtechnik Erdbeben Streckenauffahrung Deutschland Schweiz Kasachstan International GeoResources Verlag Free of Charge • ISSN 2364-0278 www.georesources.net 01 | 2015 Wengeler & Kalthoff Tools for drilling and rockbolting MINING. TUNNELLING. CONSTRUCTION INDUSTRY. STEELMAKING. Wengeler & Kalthoff produce one-off and seriesmanufactured boring and hammer drilling tools for special assignments and to any customer specification. Tool functionality and long service life are ensured thanks to a wide range of machining and finishing processes that deliver the required hardness, shape and toughness for a cost effective and high performance result every time. Wengeler & Kalthoff Hammerwerke GmbH & Co. KG Wittener Straße 164 58456 Witten Germany Phone: +49 (23 24) 93 47-0 Fax: +49 (23 24) 93 47-44 E-Mail: [email protected] www.we-ka.de We know how… because we do it ourselves RAG Mining Solutions GmbH Shamrockring 1 44623 Herne GERMANY Tel.: +49 (0) 23 23 15 - 53 00 http://www.ragms.com Inhaltsverzeichnis 4 Impressum 5 Auf ein Wort Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft Eckehard Büscher Anfang 2015 wurde das Netzwerk Bergbauwirtschaft bei der EnergieAgentur.NRW gegründet. Das Netzwerk unterstützt vor dem Hintergrund der Beendigung des Steinkohlenbergbaus in NRW Unternehmen bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder und ausländischer Märkte. Weltweit wächst nach wie vor die Nachfrage nach Energie und insbesondere nach intelligenten und effizienten Techniken. Bergbau · Energie · Zulieferer · Dienstleister · Netzwerk · Deutschland Bergbau 7 Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen! Antworten zur Hightech-Strategie Industrie 4.0 – und wie sie für den Bergbau gelingen kann Thomas Bartnitzki Industrie 4.0 – unter diesem Stichwort entwickelt die deutsche Bundesregierung derzeit in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden (u. a. Fraunhofer-Gesellschaft, IG Metall, Bitkom, VDMA, ZVEI) eine neue Hightech-Strategie, die industrielle Produktionsprozesse mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik verknüpft. Auch auf dem BergbauForum 2015 wird dieses Thema diskutiert – Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki erklärt vorab, was der Begriff für die Bergbauindustrie bedeutet. Geotechnik 9 Kreative geotechnische Lösungen für die Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger Teil 1: Gründung eines neuen Lastenaufzugs Jens Jähnig und Annett Geppert Die Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Ostflügel des Dresdner Zwingers ist auch in geotechnischer Hinsicht anspruchsvoll. Dieser Beitragsteil 1 gibt kurz einige allgemeine Informationen zum Sanierungsprojekt und befasst sich zunächst mit der Ausführung der Pfahlgründung eines neuen Lastenaufzugs. Besondere Herausforderungen waren der schwierige Baugrund, der Denkmalschutz und der laufende Museumsbetrieb. Geotechnik · Gründung · Pfähle · Baugrund · Denkmalschutz · Baubetrieb 14 Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien Detlef Löwe Seit einigen Jahren treten in deutschen Deponien vermehrt Schäden an PE-HD-Rohren zur Ableitung von Sickerwasser auf. Inhaltsverzeichnis Dieser Beitrag befasst sich mit den Schadensursachen und der Sanierung. Er gibt Hinweise zur statischen Berechnung und erläutert das Berstlining-Verfahren als grabenlose Sanierungsmethode. Geotechnik · Deponiebau · Sanierung · Entwässerung · Rohre · Kunststoff Geotechnik und Energie 19 Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung Damian Schink Die Verfügbarkeit der Weichen während der Wintermonate ist ein wichtiger Schlüssel für den reibungslosen Bahnbetrieb. Damit die Weichenzungen, die bewegten Teile von Weichen, nicht festfrieren, werden sie mit Heizungen schnee- und eisfrei gehalten. Neben den bekannten elektrischen und gasbefeuerten Heizsystemen ist nun auch eine vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zugelassene geothermische Weichenheizung ohne Zuführung externer Energie verfügbar. Diese neue Technologie stellt die Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges Heizen. Energie · Geotechnik · Geothermie · Bahninfrastruktur · Innovation · Kostenreduktion Tunnelbau 25 Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun Teil I: Rohbauphase Michael Flender Der 57 km lange Gotthard-Basistunnel wurde in fünf Baulosen mit drei Zwischenangriffen errichtet. Der Zwischenangriff Sedrun besteht aus zwei Blindschächten mit ca. 820 m Teufe, die nur über einen etwa einen Kilometer langen Zugangsstollen erreicht werden konnten. Die komplexen und schwierigen Rahmenbedingugen und die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der Schachtförderanlagen sind eine besondere Herausforderung für den Bau und Betrieb der Anlagen. Dieser Beitrag berichtet im ersten Teil über Bau und Betrieb der Schachtförderanlage als Förder-, Material- und Seilfahrtsschacht und Einrichtungen zur Klimatisierung des Tunnelabschnitts Faido für die Ausbruchphase sowie im zweiten Teil über die Demontage und Umrüstung der Schächte und die Funktionen der endgültigen Hebeeinrichtungen der Schächte Sedrun für die Betriebsphase des Tunnels. Tunnelbau · Schachtbau · Schweiz · Zulieferer · Schachtförderung · Klimatisierung Bergbau und Tunnelbau 35 Auswirkungen des Erdbebens vom 17. Mai 2014 in Nieder-Beerbach (Hessen) und Ableitung von realistischen Anhaltswerten für Erschütterungen Bernd Müller, Benjamin Litschko und Uwe Pippig Am 17.05.2014 ereignete sich unmittelbar unter der Ortslage von Nieder-Beerbach, Südhessen, ein Erdbeben der Stärke 4,2 (nach EMS98 VI bis VII). Dabei wurden mehr als 125 Gebäude GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net und Bauwerke beschädigt. Die entstandenen Schäden wurden an ausgewählten Bauten systematisch erfasst und kinematisch bewertet. Schwinggeschwindigkeitsmessungen während des Erdbebens gestatten eine Bewertung des Ausmaßes der Erschütterungen und werden mit Sprengerschütterungsimmissionen des Gabbro-Tagebaus von Nieder-Beerbach verglichen. Die Beurteilung und Zuordnung von entstandenen Bauwerksschäden zu den ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten gestattet in Verbindung mit festigkeitsmechanisch-dynamischen Untersuchungen von Gesteinen und Baustoffen die Festlegung von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten sowie Bruchdehnungen. Aus diesen vielfältigen Ergebnissen werden zuverlässige, physikalisch eindeutig begründbare Anhaltswerte von Schwinggeschwindigkeiten und Dehnungen für das Bauwesen abgeleitet. logischen Bedingungen mit großen Konvergenzen soll durch eine in Deutschland bewährte Auffahrungstechnik begegnet werden. Im Jahr 2011 gründeten zwei deutsche Bergbauspezialunternehmen ein kasachisches Tochterunternehmen und erhielten Oktober 2012 einen Auftrag über 4.150 m Streckenauffahrungen. Am 15. August 2013 erfolgte die erste Sprengung in etwa 900 m Teufe für das Projekt „Herstellen einer Strecke auf der Sohle –480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“. Nach einer schwierigen Anlaufphase im Jahr 2013 und einem guten Start in 2014 konnten bis Mitte April 2015 nahezu 1.250 m Strecke mit Kurven, Bahnhofsbereichen und Streckenabzweigen aufgefahren werden. Bergbau • Kasachstan • Erzbergbau • Streckenauffahrung • NÖT Erdbeben · Sprengtechnik · Erschütterungen · Bergbau · Tunnelbau · Geotechnik Bergbau 53 Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge für Chromerzbergwerk Sergej Hübscher, Franz Stangl und Eugen Hoppe Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen zu den größten und reichhaltigsten Lagerstätten weltweit. Schwierigen geo- Impressum GeoResources Zeitschrift GeoResources Journal 1. Jahrgang, Fachzeitschrift für Bergbau, Tunnelbau, Geotechnik und Equipment 1st Year, Journal for Mining, Tunnelling, Geotechnics and Equipment ISSN 2364-0278 Erscheinungsweise: Das Erscheinen von GeoResources ist mit jeweils 4 Ausgaben pro Jahr in deutscher (GeoResources Zeitschrift) und 4 Ausgaben in englischer Sprache (GeoResources Journal) als Online-Ausgaben (www.georesources.net) geplant. Ein eventueller Druck bleibt vorbehalten. Bei Interesse an einem gedruckten Exemplar setzen Sie sich bitte mit der Chefredaktion in Verbindung, um weitere Informationen zu erhalten. Bezugspreis: online-Ausgaben kostenfrei, Print-Ausgaben auf Anfrage Chefredaktion: Dr.-Ing. M.A. Katrin Brummermann Mobil: +49 151 70 888 162 E-Mail: [email protected] GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Dipl.-Ing. Manfred König Mobil: +49 172 244 16 16 E-Mail: [email protected] Media und Anzeigen: E-Mail: [email protected], Mobil: +49 172 244 16 16 oder +49 151 70 888 162 Herstellung/Layout/DTP: Herbert Stimper E-Mail: [email protected] Gudrun Klick E-Mail: [email protected] www.grafiklick.de Herausgeber: GeoResources Portal Manfred König Oleanderweg 12 47228 Duisburg Mobil: +49 172 244 1616 oder Tel.: +49 2043 93 75 222 E-Mail: [email protected] Copyright: Alle Rechte vorbehalten ©GeoResources Portal, Duisburg, www.georesources.net Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne die Genehmigung des Copyrightinha- bers in irgendeiner Form, durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren, reproduziert oder in eine von Maschinen oder Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Form gebracht und genutzt werden. Ausgenommen sind Wissenschaft und nichtkommerzieller Unterricht. Eine Anzeige der Nutzung ist erwünscht. Die Inhalte der eingereichten Manuskripte bleiben im Eigentum der Autoren (Verfasser), solange die Einreichung unentgeltlich erfolgte. Die inhaltliche Verantwortung für mit Namen gekennzeichnete Beiträge und gelieferte Fotos und Grafiken übernimmt der Verfasser. Titelbild: Foto © Istock: Tief unter den Alpen bauen die Schweizer eine Hochgeschwindigkeitseisenbahnverbindung zwischen Zürich und Mailand. Mit 57 km Länge ist der Gotthard-Basistunnel der weltweit längste Eisenbahntunnel. Schwierige Geologie im Bereich des Zwischenangriffs Sedrun haben den Einsatz von konventioneller Tunnelbautechnik notwendig gemacht. (Foto: Johannes Simon) Inhaltsverzeichnis | Impressum Auf ein Wort 5 Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft Dr. Eckehard Büscher, Leiter Netzwerke Bergbau- und Energiewirtschaft, EnergieAgentur.NRW, Düsseldorf, Deutschland A nfang des Jahres 2015 wurde das Netzwerk Bergbauwirtschaft bei der EnergieAgentur NRW gegründet. Das Netzwerk unterstützt vor dem Hintergrund der Beendigung des Steinkohlenbergbaus in Nordrhein-Westfalen (NRW) Unternehmen bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder und ausländischer Märkte. Weltweit wachsende Rohstoffnachfrage Weltweit wächst nach wie vor die Nachfrage nach Energie und insbesondere nach intelligenten und effizienten Techniken. Hier leistet das deutsche Know-how einen wesentlichen Beitrag. Auch nach Einschätzung des VDMA im Jahrbuch der europäischen Energie- und Rohstoffwirtschaft 2015 kann „die Energiewende möglicherweise neue Märkte für Bergbautechnik eröffnen“. Der Rohstoffmarkt wird durch den Bau insbesondere von Windkraftwerken und PV-Anlagen weiter wachsen. Denn auch erneuerbare Energien brauchen u. a. Stahl, Kupfer, Aluminium, Sand, Beton und Industrieminerale. Die Entwicklung und der Ausbau von Speichertechnologien stellen große Anforderungen sowohl an die Rohstoffwirtschaft als auch an das Ingenieur-Knowhow. Ehrgeizige Klimaschutzziele und Industriepolitik mit Perspektive widersprechen sich nicht. Deutsche Bergbautechnik – State of the Art Deshalb muss es unser Ziel in NRW sein, weiter an der Spitze des technologischen Fortschritts zu stehen. Dies gilt für die deutsche Bergbautechnik als Exporteur des „State of the Art“ für tiefe Gruben und große Tagebaue. Die Energiewende ist in den kommenden Jahrzehnten das größte Infrastrukturprojekt in Deutschland und damit ein wichtiger Auftraggeber. Vor diesem Hintergrund sind die Schwerpunkte der Netzwerkarbeit zunächst in den Bereichen Bergbautechnik, Grubengasnutzung und der Sanierung bergbaulicher Schäden und Altlasten. Basierend auf einer engen Zusammenarbeit mit Partnern wie NRW. International, der Bergbehörde, dem VDMA Mining und weiteren Akteuren der Zulieferindustrie sollen zusätzliche Absatzmärkte erschlossen und Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen erhalten werden. Erfolgreicher Auftakt Bei der Auftaktveranstaltung am 24. März mit ca. 150 Gästen in der Zeche Zollverein wurden mit den Verantwortlichen der NRW-Bergbauwirtschaft und dem Wirtschaftsminister Duin folgende Fragen diskutiert: Büscher: Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft ▶▶ Wie sind die Zukunftsperspektiven der NRW-Bergbauwirtschaft? ▶▶ Welche Exportchancen bestehen und wie gestalten wir die Auslandsmärkte? Die Unternehmen und Beschäftigten der Zulieferindustrie des Bergbaus in NRW reichen von Handwerksbetrieben und lokalen Dienstleistern bis hin zu technologieorientierten Hightech-Unternehmen. Sofern diese im Bereich Steinkohle aktiv sind, müssen sie sich bis „2018“ nicht nur mit weiteren Produkt- und Prozessinnovationen auf die Erschließung von Anschlussmärkten und neuen Kundengruppen einstellen, sondern dies auch verwirklichen. Wir müssen uns daher mit den verbliebenen rd. 120 Bergbauzulieferern in NRW – überwiegend inhabergeführten KMUs – konsequent auf potenzielle Märkte konzentrieren. Hier kann ein gemeinsames Auftreten als Systemanbieter unter Moderation der Experten des Netzwerks Bergbau zum Erfolg verhelfen. Wichtige Bergbaumärkte Nach unserer Einschätzung sind – die Kohle betreffend – in erster Linie die Märkte China, Indien, Russland, Ukraine, Kasachstan, Polen, Südostasien, eventuell GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Auf ein Wort 6 auch Länder wie Mozambique und andere Bergbaunationen im südlichen Afrika perspektivisch interessant. Nischen können wir erfolgreich auch in Chile, Brasilien oder etwa in Kolumbien und der Mongolei besetzen. Ansonsten stellt sich stets die Frage: Welche alternativen Absatzfelder gibt es und wie werden sie erschlossen? Etwa in den Bereichen U-Bahn (Taiwan, weltweite Großstädte), Tunnelbau (z. B. Alpen), Nicht-KohleBergbau (Kupfer Polen, Chile usw.)? Die Ergebnisse einer globalen Kohlestudie (Borgmeier, Geldermann, v. Hartlieb) vom Juni 2014 weisen hierzu interessante Szenarien nach. Aber auch in den Bereichen Endlagersuche und -ausbau, Urban Mining/Recycling und im Bereich der tiefen Geothermie, die in vielen Bereichen der Welt sowohl für die erneuerbare Strom- als auch für die Wärmeversorgung ausgebaut wird, ergeben sich viele Ansätze, das deutsche Bergbau-Know-how zu vermarkten. Kompetente Partner Liebe Leserin, lieber Leser, die Idee eines tragfähigen Netzwerks funktioniert nur als gemeinsame Idee mit vielen Beteiligten. Deshalb bin ich zum einen sehr froh, dass das Netzwerk Bergbau mit dem VDMA und hier insbesondere dem Bereich „Mining“ einen kompetenten Partner gefunden hat, mit dem wir gemeinsame zielgerichtete Aktivitäten für unsere Unternehmen z. B. in Indien durchführen. Darüber hinaus hoffen wir mit Ihnen und Ihrem Unternehmen Mitstreiter gefunden zu haben, mit denen wir gemeinsam „Bergbau aus NRW“ vorstellen und entwickeln können. Ein kräftiges Glückauf ! Ihr Eckehard Büscher Bündelung von Kompetenzen Wichtig für langfristig erfolgreiche Geschäftsbeziehungen ist der Bereich „Ausbildung“ bzw. „Capacity Building“ bis hin zu Arbeitsschutz, Unfallverhütung und Nachfolgebergbau. Das weltweit anerkannt gute Niveau der dualen Ausbildung und die damit verbundene hohe Qualifikation deutscher Facharbeiter sollte intensiver genutzt werden. Das Netzwerk Bergbau verbindet, moderiert und bündelt die Kompetenzen der Bergbaubranche. Damit helfen wir Ihnen, Ihre ausländischen Kunden über die Vorteile von „Bergbautechnik und Dienstleistungen Made in Germany“ – auch unter ökonomischen Gesichtspunkten – zu überzeugen. Kontakt: Dr. Eckehard Büscher EnergieAgentur.NRW Leiter Netzwerke Bergbau- und Energiewirtschaft Tel: +49 211 210 944-15 Fax: +49 211 210 944-23 [email protected] Völklinger Str. 4, c/o rwi4, 40219 Düsseldorf www.energieagentur.nrw.de/bergbau Im Interview auf den beiden folgenden Seiten erhalten Sie Anregungen, wie durch Kooperation die Hightech-Initiative Industrie 4.0 als Bergbau 4.0 erfolgreich werden kann. Foto: © morganimation – Fotolia.com GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Büscher: Netzwerk Bergbau – Perspektive für die Bergbauwirtschaft Bergbau 7 Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen! Antworten zur Hightech-Strategie Industrie 4.0 – und wie sie für den Bergbau gelingen kann. Interview mit Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki Industrie 4.0 – unter diesem Stichwort entwickelt die deutsche Bundesregierung derzeit in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden (u. a. Fraunhofer-Gesellschaft, IG Metall, Bitkom, VDMA, ZVEI) eine neue Hightech-Strategie, die industrielle Produktionsprozesse mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik verknüpft. Auch auf dem BergbauForum 2015 wird dieses Thema diskutiert – Dr.-Ing. Thomas Bartnitzki erklärt vorab, was der Begriff für die Bergbauindustrie bedeutet. Frage: Industrie 4.0 ist ein Sammelbegriff für komplexe Prozesse, welche die Digitalisierung der Industrie und Wirtschaft umfassen. Was verstehen Sie konkret darunter? Thomas Bartnitzki: Ich halte es mit einem Zitat des Arbeitskreises Industrie 4.0 aus seinem Abschlussbericht 2013: „Nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Informatisierung der Industrie läutet der Einzug des Internets der Dinge (...) eine 4. Industrielle Revolution ein.“ Frage: Was heißt „Einzug des Internets der Dinge“? Thomas Bartnitzki: Im letzten Jahrhundert haben wir drei Revolutionen erlebt – die der Mechanisierung und der Elektrifizierung im ausgehenden 19. Jahrhundert und dann der Informatisierung in den letzten 25 Jahren. Aktuell haben wir eine neue Revolution in der industriellen Produktion erreicht: Die der Nutzung des Internets und der Cyber-Physical Systems (CPS), also Netzwerke kleiner, mit Aktoren und Sensoren ausgestatteter Computer, die u. a. in Maschinen eingebaut werden und sich über das Internet miteinander verbinden können. den Fehler selbst beheben und nachgeschaltete Prozesse informieren können. Es geht also bei der Industrie 4.0 oder dem Bergbau 4.0, wie ich es bezogen auf die Branche nenne, nicht darum, noch mehr Maschinen in den Produktionsablauf zu integrieren, sondern die Maschinen und Komponenten untereinander zu vernetzen. Frage: Welchen Part übernimmt der Mensch dann in den Produktionsabläufen? Thomas Bartnitzki: Detlef Wetzel, erster Vorsitzender der IG Metall hat es so formuliert: „Die Beschäftigten sind nur noch vernetzte Rädchen (…) ohne nennenswerte Handlungskompetenz und entfremdet von der eigenen Tätigkeit.“ Frage: Das klingt mehr nach einer Angstvision? Thomas Bartnitzki: Genau dort liegt die Herausforderung: Wenn Sie neue Technologien in ein Unternehmen einführen und Sie vergessen, die Menschen auf diesen Prozess vorzubereiten und sie aktiv in den Prozess einzubinden, passiert Folgendes: Sobald zum Beispiel ein Sensor an der Maschine ausfällt, werden sie diesen nicht reparieren, sondern erst recht mit dem Schraubenschlüssel „draufhauen“. Um dann sagen zu können, das funktioniere doch alles nicht. Für den gelungenen Veränderungsprozess beim Bergbau 4.0 ist es also sehr wichtig, die einzelnen Mitarbeiter, also die Menschen, mitzunehmen. Frage: Was bedeutet das konkret für den Bergbau? Thomas Bartnitzki: Auch hier möchte ich gerne den Arbeitskreis zitieren: „Unternehmen werden zukünftig ihre Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel als CPS weltweit vernetzen.“ Der nächste Entwicklungsschritt im Bergbau ist also die Kommunikation und Vernetzung der Systeme und Maschinen untereinander. Es gibt zwar schon Maschinen, die mittels Aktoren und Sensoren den teil- oder vollautomatisierten Betrieb ermöglichen. Bislang fehlt aber die bergwerksweite Kommunikation der Maschinen untereinander. Zum Beispiel soll eine Maschine in der Lage sein, wie ein Mensch zu agieren: Wenn es ihr schlecht geht, also ihr Produktionsprozess gestört ist, soll sie das selbst merken, Interview mit Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen! GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau 8 Über das BergbauForum 2015 Zum 13. Mal bietet die Veranstaltung den Teilnehmern eine thematisch breitgefächerte und umfangreiche Betrachtung komplexer rohstoffrelevanter Themen an. In diesem Jahr spiegelt sich die zunehmend internationale Ausrichtung des Events sowohl in den Inhalten als auch in der Akzeptanz der rund 300 Teilnehmer wider. Das Vortragsspektrum umfasst in diesem Jahr die Hauptbereiche: ▶▶ Förderung & Transport ▶▶ Exploration & Lagerstättenentwicklung ▶▶ Modernisierung & Automatisierung ▶▶ Bergbaufolge & Nachnutzung ▶▶ Training & Sicherheit Ergänzt wird die Veranstaltungsreihe am zweiten Tag um einen rein international ausgerichteten englischsprachigen Themenblock. Dieser umfasst die Themen: ▶▶ Mining Project Development ▶▶ Mine Operations ▶▶ Mine Closure Eine Exkursion in das Verbundwerk Werra, Standort Hattorf-Wintershall der K+S Aktiengesellschaft rundet das Programm in diesem Jahr ab. Termin: 18. + 19. Juni Ort: Kassel, Kongress Palais Kontakt: Jörn Philipp Jordan Tel.: + 49 201 172-1284 [email protected] www.bergbauforum.de Frage: Wie kann so ein Veränderungsprozess in der Praxis gelingen? Thomas Bartnitzki: Zum Beispiel durch Einsatz von Assistenzsystemen, die den Menschen bei der Arbeit aktiv unterstützen: Von Beginn an muss den Mitarbeitern deutlich gemacht werden, dass die neue Technologie ihnen assistiert, sie aber nicht ersetzen soll. Natürlich werden das einige Führungskräfte anders sehen. Ihr Wunsch ist es, dass sich der Einsatz der Technologie rentiert, indem er durch Personalabbau die Produktionskosten senkt. Und das wird auch so passieren: Irgendwann wird es statt 1.000 Mitarbeitern nur noch 250 hochausgebildete, spezialisierte Mitarbeiter geben. Aber, seien wir realistisch: Einen Personalabbau können wir im Bergbau ohnehin nicht verhindern. Durch Bergbau 4.0 können wir den Personalabbau aber zeitlich strecken und so angleichen, dass die Betriebe nicht urplötzlich von einer riesigen Kündigungswelle überrollt werden. Den Begriff der Industrie 4.0 gibt es seit 2011. Im Jahr 2013 nahm die sogenannte Plattform Industrie 4.0, getragen von Bitkom, VDMA und ZVEI, ihre Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki ist Akademischer Oberrat an der RWTH Aachen, Institut für Maschinentechnik der Rohstoffindustrie (IMR), und arbeitet als freier IT-Berater für Systemanalyse und -einführung. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist die Schneidtechnik für den Bergbau. Auf dem BergbauForum 2015 wird er einen detaillierten Vortrag über das Thema Bergbau 4.0 halten. Kontakt: [email protected] GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Arbeit auf. Doch schon dieses Jahr wurde harsche Kritik geäußert. So erklärte Reinhard Clemens, CEO von T-Systems, die Ziele der Plattform für gescheitert: den deutschen Konzernen mangele es an konzertiertem Vorgehen, der Plattform an konkreten Ergebnissen. Dem würde ich widersprechen. Vor allem, was die Bergbaubranche betrifft: Der Bergbau wird gerade enorm durch australische Bergbauunternehmen, die derzeit die dritte Stufe der Informatisierung verlassen, angetrieben. Das heißt: Immer mehr Bergbaubetreiber fordern von ihren Zulieferern, dass sie Schnittstellen zur Kommunikation der Maschinen untereinander schaffen und selbst ihren Automatisierungsgrad erhöhen. Natürlich stellt das alle vor große Herausforderungen: Solchen übergreifend zusammenarbeitenden Systemen stehen eine Menge Einzelinteressen im Weg. Frage: Also ist der Veränderungsprozess demnach nicht gescheitert, sondern nur verlangsamt? Thomas Bartnitzki: Ich denke, dass die Ziele der Industrie 4.0 zu Beginn zu hoch gesteckt waren. Man kann nicht einfach irgendeine Revolution anzetteln und erwarten, dass diese binnen kürzester Zeit zum Selbstläufer wird. Aber wir sind auf dem richtigen Weg: Der deutsche Ansatz der Industrie 4.0 genießt international hohes Ansehen und hat sich binnen kürzester Zeit als Begriff etabliert. Frage: Was muss jetzt in der Bergbaubranche passieren? Thomas Bartnitzki: Bislang genießt die deutsche Bergbauzulieferindustrie ein hohes Ansehen. Wir haben eine Menge „Hidden Champions“ in der Branche: Mittelständische Firmen, die international erfolgreich agieren, aber hier nicht so bekannt sind. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen, weil wir sonst von der internationalen Konkurrenz überholt werden. Frage: Das bedeutet ganz genau? Thomas Bartnitzki: Unsere Maschinenhersteller beispielsweise müssen begreifen, dass sie nicht mehr nur Maschinen herstellen dürfen, sondern auch die Software zur Kommunikation der Maschinen mitliefern müssen. Und das ist eine Herausforderung für kleine bis mittelständische Unternehmen: jeder agiert mit anderen Standards und Schnittstellen. Damit die Maschinen untereinander kommunizieren können, brauchen wir aber miteinander kompatible Schnittstellen. Die Norm IEC 61449 liefert hierzu interessante Ansätze. Frage: Wie lautet Ihr Lösungsansatz für dieses Problem? Thomas Bartnitzki: Mein eindringlicher Appell an die vielen unterschiedlichen Unternehmen in der Bergbaubranche lautet: Schließt euch unter dem Label Bergbau 4.0 zusammen und arbeitet gemeinsam an neuen Entwicklungen. Setzt euch zusammen! Schafft euch gemeinsam neue Geschäftsfelder in der Maschinenkommunikation, die euch weiterhin als internationale Marktführer stärken. Das Interview führte Nina Schmulius. Interview mit Dr.- Ing. Thomas Bartnitzki Bergbau 4.0: Setzt euch zusammen! Geotechnik 9 Kreative geotechnische Lösungen für die Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger Teil 1: Gründung eines neuen Lastenaufzugs Dipl.-Ing. (FH) Jens Jähnig und Dipl.-Geol. Annett Geppert, Jähnig GmbH, Dorfhain, Deutschland Die Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Ostflügel des Dresdner Zwingers ist auch in geotechnischer Hinsicht anspruchsvoll. Dieser Beitragsteil 1 gibt kurz einige allgemeine Informationen zum Sanierungsprojekt und befasst sich zunächst mit der Ausführung der Pfahlgründung eines neuen Lastenaufzugs. Besondere Herausforderungen waren der schwierige Baugrund, der Denkmalschutz und der laufende Museumsbetrieb. Geotechnik • Gründung • Pfähle • Baugrund • Denkmalschutz • Baubetrieb Auftrag umfasste die Ausführung der Gründung für ei nen neuen Lastenaufzug sowie eine Tunnelerweiterung mit dafür notwendigen Injektionen für die Einrichtung eines unterirdischen Museumsgangs (Bild 2). Wegen des unter Denkmalschutz stehenden weltberühmten historischen Dresdner Gebäudes und wegen des laufen den Museumsbetriebs war der Auftrag eine nicht alltäg liche besondere Aufgabe. Dieser Beitragsteil 1 gibt einige allgemeine Informa tionen zur Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister (siehe Kasten) und behandelt die Ausführung der geotechnischen Arbeiten zur Gründung eines neu en Lastenaufzugs. Nachfolgende Beitragsteile werden sich mit den Injektionen und der Tunnelerweiterung für den unterirdischen Museumsgang befassen. Allgemeines Lage des Lastenaufzugs und Die in der Region Dresden ansässige Jähnig GmbH Gründungskonzept wurde mit geotechnischen Arbeiten für die Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Ostflügel des Sem perbaus am Dresdner Zwinger beauftragt (Bild 1). Der Die baulichen Maßnahmen dienen unter anderem der Verbesserung der Infrastruktur des Gebäudes. Ein Trep penhaus und ein neuer Lastenaufzug sollen für den si Bild 1: Semperbau bzw. Sempergalerie im Ostflügel des Dresdner Zwingers Quelle: © Alexander - Fotolia Jähnig und Geppert: Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik 10 schwach schluffigen Sedimenten, unverfestigte Fluss kiese und Sande sowie Zwischenlagen aus Auelehm bil den dafür jedoch nur eine schwache Basis am hinteren Ende des Ostflügels. Maßnahmen zur Baugrundverbesserung bezie hungsweise eine Nachgründung der vorhandenen Fundamente wurden nötig. Eine Tiefgründung in den tragfähigeren Untergrund war die Lösung. Als Ergeb nis der Tragwerksplanung wurde die Installation von 31 GEWI-Druckpfählen mit einem Durchmesser von 50 mm mit Längen bis zu 12 m erforderlich. Planung und Vorbereitung der Gründungsarbeiten Bild 2: Ostflügel des Zwingers in der Draufsicht mit Kennzeichnung der Lage des Lastenaufzugs und des Tunnels Quelle: Planautor Sunder-Plassmann und SIB NL D1, modifiziert durch Jähnig GmbH cheren Transport der fragilen, wertvollen Kunstwerke genutzt werden. Zu diesem Zweck wurde der Gebäude teil der ehemaligen Rüstkammer über mehrere Etagen entkernt (Bild 3). Die Umbaumaßnahmen belasten die vorhandenen Fundamente und Bodenplatten. Baukörperreste aus Sandsteinbruch und Betonmörtel, Auffüllungen aus Für die beauftragten Pfahlgründungsarbeiten im In neren des Gebäudes – in engen Räumen und während des laufenden Museumsbetriebs musste – ein spezielles technisches Konzept entwickelt werden. Zum einen er forderte die Bauaufgabe ein leistungsstarkes Bohrgerät, das zudem schallgedämpft, vibrationsarm und staubre duziert arbeitet. Zum anderen erforderte die örtliche Situation eine außergewöhnliche und ausgefallene Lo gistiklösung, um das Bohrgerät an seinen Einsatzort zu bringen. Der Raum der ehemaligen Rüstkammer misst nur knapp 7,5 x 8,5 m. Stellenweise waren die Bohransatz punkte nur 5 cm von der Wand entfernt. Weitere Ein schränkungen brachten die niedrigen Deckenhöhen in den angrenzenden Räumen. Dort standen maximal Zur Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement SIB führt gemeinsam mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine mehr jährige und schrittweise Sanierung der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger durch. Bauliche und technische Gründe führten zur grundlegenden Instandsetzung des ursprünglich im Jahr 1855 nach den Plänen Gottfried Sempers errichteten Baus: Es müssen die heute vorgeschriebenen Fluchtwege geschaffen, die barrierefreie Erschließung ermöglicht, die gravierenden bauphysikali schen, klimatischen und technischen Mängel beseitigt und die Infrastruktur ertüchtigt werden. Besucher und Kunstwerke sollen von der Sanierung profitieren. Um den Kunstgenuss zu erhöhen, wurde ein grundlegend neues Ausstellungskonzept für das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Galeriegebäude am Zwinger entwickelt. Das Konzept ist nicht nur architektonisch anspruchsvoll, sondern bringt auch geotechnische und baubetriebliche Herausforderungen mit sich. Es sieht einen unterirdischen, in die Ausstellung integrierten Durch gang im Untergeschoss und einen neuen Lastenaufzug vor. Der Museumsbetrieb läuft mit baubedingten Einschränkungen während der Sanierung weiter. Zahlreiche Meisterwerke, wie Raffaels „Sixtinische Madonna“, Giorgiones „Schlummernde Venus“, Correggios „Heilige Nacht“, Cranachs „Katharinenaltar“, Vermeers „Briefleserin“ und Bellottos Dresdener Stadtansichten, ziehen jährlich mehr als eine halbe Million Besucher an. GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Jähnig und Geppert: Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugss Geotechnik 11 Bild 3: Schnitt durch das Treppenhaus Ost mit Darstellung der Neuinstallationen. Die Bodenplatte und das Fundament im Untergeschoss (UG) werden neu gegründet. Quelle: Schnitt 5-5, Planautor Sunder-Plassmann Architekten und SIB NL D1 lichte 4 m für den Einbau von Ankern mit 12 m Länge zur Verfügung. Wegen der ungünstigen Kombination aus schwie rigem Baugrund, beengten örtlichen Verhältnissen und dem weiterhin laufenden Museumsbetrieb waren die Anforderungen an das Bohrgerä sehr hoch. Klein, kompakt und wendig, leistungsstark bis in beträcht liche Tiefen bei großen Bohrdurchmessern, schallge dämpft und abgasreduziert, sollte sie sein. Das Keller bohrgerät der Hütte Bohrtechnik GmbH, Olpe, D, erfüllte diese Anforderungen. Ausgestattet mit Elek tromotor und Preventer zur Staubabdichtung erfolgte die Versorgung des Geräts mittels Stromgenerator von der Baustelleneinrichtungsfläche (BE-Fläche) außer halb des Gebäudes und schaffte so ein ungestörteres, saubereres Arbeitsumfeld in den Räumlichkeiten. Die flexible Kinematik ermöglichte das Abteufen mehrerer Bohrungen von einem Standpunkt aus. Für den leistungsstarken Kraftdrehkopf war auch die Bohr tiefe trotz Verrohrung und 200 mm Bohrdurchmesser kein Problem. Die teleskopierbare Lafette schaffte die Bild 4: Einheben des Bohrgeräts mit Autokran durch ein Fenster des Semperbaus Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Robert Michael Jähnig und Geppert: Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik 12 Bild 5: Bohrgerät im Einsatz Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Jähnig Bild 6: Baustelleneinrichtung außerhalb des Gebäudes. Die Materialandienung und Versorgung der Baustelle erfolgten durch ein geöffnetes Fenster. Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Peschke notwendige Voraussetzung, um auch bei niedrigen De ckenhöhen arbeiten zu können. Mit viel Fingerspitzengefühl und in Millimeterar beit wurde das knapp 8 t schwere Bohrgerät Typ Hütte HBR 202 E mit einem Autokran durch ein Fenster des Semperbaus ins Innere gehoben (Bild 4). Durchführung der Gründungsarbeiten Die Arbeiten wurden im August 2014 durchgeführt. Drei Wochen Bauzeit standen zur Verfügung. Die alte Bodenplatte verblieb zunächst und wurde an den Bohransatzpunkten durchbohrt. Für Mensch und Maschine bestand so ein standfester Untergrund und die Kernung bot bessere Ansatzpunkte für das Bohrgerät. An besonders engen Stellen musste durch andere Gewerke die Bestandsmauer teilweise abgebro chen werden, um eine minimale Baufreiheit von 30 cm zu schaffen. Zeitgleiche Arbeiten anderer Gewerke schränkten den Bauraum zusätzlich ein und erforderten ein hohes Maß an Flexibilität und Koordination. Das Bild 5 zeigt das Bohrgerät im Einsatz und Bild 6 die Baustelleneinrichtung außerhalb des Gebäudes. Bild 8: Ankereinbau bei niedrigen Deckenhöhen Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Peschke Bild 7: Exakte Steuerung des Bohrverlaufs durch das Bohrteam per Fernbedienung Quelle: Jähnig GmbH, Fotograf: Jens Jähnig GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Jähnig und Geppert: Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugss Geotechnik 13 Die Bohrungen wurden verrohrt. Das dabei ent standene schlammige Bohrklein musste angesichts des engen Bauraums aufwändig und in Handarbeit mit Schaufel in einen Transportkübel entsorgt und dieser wiederum durch ein Fenster auf die BE-Fläche ver bracht werden. Von der BE-Fläche aus erfolgte auch die notwendige Versorgung durch Stromgenerator, Kom pressor und Verpressstation. Beim Einbau ergab sich immer wieder die bau grundbedingte Problematik, dass das Bohrloch ein schwemmte und das tiefengerechte Einbringen des Pfahls verhinderte. Hier halfen Fachwissen und jahre lange Erfahrung des Bohrteams (Bild 7). Im Zusam menspiel von Baugrund, geeignetem Bohrwerkzeug und erfahrenen Bohrmeistern konnte der gewünschte Erfolg erzielt werden. Die bis zu 12 m langen GEWI-Stabstähle wurden wegen ihres Gewichts von über 180 kg und der stellen weise niedrigen Deckenhöhen in miteinander gemuff ten Teilstücken eingebaut und anschließend verpresst (Bild 8). Im nächsten Arbeitsgang wurden nach dem Rück bau der alten Bodenplatte die Pfahlhalsverstärkungen und Ankerköpfe niveaugerecht eingebaut. Damit waren alle Voraussetzungen für die Herstellung der neuen Bo denplatte erfüllt. Fazit Der erste Bauabschnitt des Auftrags am historischen Standort Dresden stellte eine besondere Herausforde rung dar – technologisch wie auch logistisch. Kreativi tät und Know-how waren an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt gefordert. Die Jähnig GmbH hat diesen ers ten Bauabschnitt erfolgreich umgesetzt. Über den zwei ten Bauabschnitt, also die Tunnelerweiterung, wird in weiteren Beitragsteilen berichtet werden. Dipl.-Ing. (FH) Jens Jähnig Dipl.-Geol. Annett Geppert studierte in Cottbus an der Ingenieurschule für Bauwesen und erreichte 1990 seinen Ingenieursabschluss. Die Stabilisierung von Fels und Baugrund war seit jeher sein Metier. Nach kurzer Phase der Bauleitertätigkeit bei der Felssicherung Königl gründete er 1992 die Einzelunternehmung Jens Jähnig Felssicherung. Seit 1996 ist er Geschäftsführer der Jähnig GmbH. Mit seinen innovativen Ideen und Visionen bringt er das Unternehmen erfolgreich voran. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Bohrverfahrenstechnik in unterschiedlichen Baugründen, Fels- und Böschungssicherung durch Steinschlagschutznetze, Fangzäune und Spritzbeton sowie Gründungen und Nachgründungen von Bauwerken. studierte nach Abschluss der Ausbildung zur Bauzeichnerin im Straßen-, Tief- und Landschaftsbau Geologie/Paläontologie an der TU Bergakademie Freiberg mit Vertiefung im Fachbereich Geotechnik/Ingenieurgeologie. Bereits während des Studiums entstand eine enge Zusammenarbeit mit der Jähnig GmbH. Seit dem Studienabschluss als Diplom-Geologin und Master of Science ist sie Mitarbeiterin der Jähnig GmbH und hat sich über die Geologie und Geotechnik hinaus im Marketing etabliert. Kontakt: [email protected] Kontakt: [email protected] Jähnig und Geppert: Sanierung der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger – Teil 1: Gründung eines Lastenaufzugs GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik 14 Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien Detlef Löwe, bds Boden- und Deponie-Sanierungs GmbH, Neufahrn, Deutschland Seit einigen Jahren treten in deutschen Deponien vermehrt Schäden an PE-HD-Rohren zur Ableitung von Sickerwasser auf. Dieser Beitrag befasst sich mit den Schadensursachen und der Sanierung. Er gibt Hinweise zur statischen Berechnung und erläutert das Berstlining-Verfahren als grabenlose Sanierungsmethode. Geotechnik • Deponiebau • Sanierung • Entwässerung • Rohre • Kunststoff 1 Einleitung In Deponien dienen Entwässerungsrohre mit Dränageöffnungen über der Basisabdichtung zur Abführung des anfallenden Sickerwassers. Mangels ausreichender statischer Untersuchungen und wegen des Fehlens geeigneter Rohrtypen auf dem Markt wurden in den Anfangszeiten des geordneten Deponiebaus Rohre aus dem kommunalen Tiefbau für diese Aufgabe eingesetzt, wie aus PVC oder Steinzeug. Ab Mitte der 1980er-Jahre kamen aber verstärkt Rohre aus PE-HD, also Polyethylen hoher Dichte, zum Einsatz. Viele dieser Entwässerungsleitungen aus unterschiedlichen Rohrmaterialien, die üblicherweise für Überdeckungshöhen von 10 bis 20 m konzipiert waren, weisen mittlerweile Schäden auf (Bild 1). Schäden an Deponieentwässerungsleitungen sind seit Anfang der 1990er-JahBild 1: Beschädigtes PE-HD-Rohr re bekannt und bedürfen in der Regel einer Sanierung. Häufig haben die Schäden folgende Ursachen: ▶▶ Die Überdeckungshöhen, die bei der statischen Bemessung zugrunde gelegt wurden, wurden überschritten. ▶▶ Die Anforderungen an den Werkstoff wurden damals nicht an die vorliegenden Randbedingungen angepasst. ▶▶ In diversen Deponien wurde festgestellt, dass bei der Verlegung der PE-HD-Rohre mangels ausreichender Bauüberwachung nicht die gemäß statischer Bemessung erforderlichen Druckstufen eingehalten wurden, sondern niedrigere verwendet wurden. Die an den Rohren festgestellten Schäden bedürfen aus statischer Sicht einer Sanierung beziehungsweise einer Erneuerung der betroffenen Leitungen. Auch zur Aufrechterhaltung einer kontrollierbaren Sickerwassersammlung und -abführung ist die Sanierung der Schäden unabdingbar, wobei die Forderungen der Deponieverordnung (DepV) einzuhalten sind [1]. Weitere Gründe für eine Sanierung – in diesem Fall Ertüchtigung – von Sickerwassersystemen können auch Änderungen der Deponienutzung, der Deponiehöhe oder der Abfallzusammensetzung sein. Im Deponiebereich können Rohrschäden meist nicht mit Verfahren behoben werden, die im kommunalen Kanalbau eingesetzt werden. Eine einfache Auswechslung scheitert an den Einbautiefen, der Einbau eines Inliners an der Dränagefunktion. Lokale Sanierungen sind im Regelfall wenig sinnvoll, da die Hauptschadensursache der Lastüberschreitung über beinahe die gesamte Leitungslänge vorhanden ist. Die Rohre müssen also durchgehend ertüchtigt oder ausgetauscht werden. 2 Wahl der Sanierungsmethode Die Sanierung von Deponieleitungen unter einem Abfallberg von 20, 30 oder auch mehr Metern Höhe ist eine technisch anspruchsvolle Aufgabe. Im städtischen Bereich des kommunalen Kanalbaus werden Rohre meist durch den Einzug eines statisch ausreichend bemessenen neuen Rohrs in ein bestehendes defektes Altrohr ertüchtigt. Dieses Verfahren eignet sich jedoch nicht für perforierte Rohre. Es ist technisch nicht möglich ist, die Perforierungen von Alt- und Neurohren passgenau übereinander anzuordnen. Die nachträgliche Herstellung von Dränageöffnungen schwächt Altund Neurohre und ist technisch aufwendig. Zur Sanierung eines Deponiesickerwasserrohrs ist demnach der Austausch des defekten Strangs erforGeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Löwe:: Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien Geotechnik 15 derlich. Da der Aushub eines Rohrgrabens quer durch einen Abfallberg Kosten und Emissionen in beträchtlichen Höhen bedingt, ist in nahezu allen Fällen der Einsatz grabenloser Austauschverfahren sinnvoll. Für Deponien hat sich seit dem Jahr 1990 das Berstlining-Verfahren durchgesetzt [2]. Der Grundgedanke dieses Verfahrens besteht darin, einen Bodenverdrängungskörper durch die defekte Rohrleitung zu ziehen, die Rohrwandung zu zerstören und in den anstehenden Boden zu verdrängen. Unmittelbar hinter dem Verdrängungskörper wird eine neue Rohrleitung gleicher oder größerer Nennweite eingezogen. 3 Rohrmaterial Im Deponiebau wird für Berstliningmaßnahmen seit 2013 ausschließlich das Material PE 100, also Polyethylen mit einer Mindestfestigkeit MRS = 10 N/mm2 (PE-HD), eingesetzt. Das Material ist gegen chemische Angriffe aller üblicherweise in Deponien auftretenden Stoffe resistent. Mechanische Belastungen können insbesondere kurzzeitig sehr gut aufgenommen werden. Einschränkungen der Einsetzbarkeit können durch extreme Temperaturbelastungen entstehen. Eingesetzt werden Rohre nach DIN 8074 [3] und DIN 8075 [4]. Die Werkstoffliste [5] für zugelassene PEWerkstofftypen für Druckrohre enthält in der Fassung von 2014 36 Typen PE 100. Während die anzuwendenden Abminderungen für die deponiespezifischen Einwirkungen in Normen und Regelwerken festgelegt sind, sind die für eine statische Berechnung erforderlichen Ausgangswerte materialspezifisch und müssen durch Versuche ermittelt werden. Als Mindestanforderung gelten für alle PE-Materialien die in den DWA-Regelwerken [6] beziehungsweise durch das DIBt festgelegten Materialkennwerte. Da die neueren PE-Typen auch ein anderes Alterungsverhalten haben, sind hierfür zusätzliche Materialinformationen erforderlich, wenn die Werte in einer Berechnung angesetzt werden sollen. Es empfiehlt sich, alle tragenden PE-Bauteile aus zugelassenen Werkstoffen herzustellen, für die zuverlässige Werksstoffkennwerte vorliegen. Diese werden in den Prüfbescheinigungen dokumentiert. Der Hersteller muss gemäß bundeseinheitlichem Qualitätsstandard BQS 8-1 [7] die Forderungen der Güterichtlinie „Rohre, Rohrleitungsteile, Schächte und Bauteile in Deponien“ [8] erfüllen und entsprechend zertifiziert sein. 4 Statische Berechnung der Entwässerungsleitungen Die übliche statische Berechnung für Rohre in Deponien basiert auf den ATV-DVWK-Regelwerken Arbeitsblatt A 127 „Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen“ [9] und dem Merkblatt ATV- M 127-1 „Richtlinie für die statische Berechnung von Entwässerungsleitungen für Sickerwasser aus Deponien“ [10]. Die entscheidenden Aspekte der Berechnung sind neben der geometrischen Beschreibung der Rohre die Materialkennwerte des Rohrmaterials und die Beschreibung des Rohreinbaus mit den Verfor- Bild 2: Rohreinbau bei offener Verlegung [11] mungsmodulen des umgebenden Bodens und der Art der Auflagerung (Bild 2). Die beiden letztgenannten Punkte sind für die Verlegung beim Berstlining-Verfahren nicht vorab exakt bestimmbar. Um eine belastbare Aussage zur Standsicherheit und zur Lebensdauer der Rohrleitungen zu erhalten, erfolgen daher Parameterberechnungen. Eine Vorbemessung der Rohre berücksichtigt zusätzlich zur statischen Berechnung für die zu erwartenden Langzeiteinwirkungen auch für verschiedene Einbausituationen die wahrscheinlichen Einwirkungen aus dem Herstellverfahren. Bei den Einbausituationen müssen die Wahrscheinlichkeit und die Art verbleibender Altrohrteile berücksichtigt werden. Während der Ausführung wird eine Bauüberwachung mit Aufnahme der entstandenen Einbausituationen durchgeführt. Mit der Methode der finiten Elemente (FEM) erfolgt eine endgültige statische Berechnung (Bild 3). Mit dieser Berechnungsmethode kann die vorgefundene Einbausituation ebenso wie mögliche Wanddickenverminderungen durch Riefen oder Materialverschwächungen berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen wurde durch die LGA in zwei Forschungsvorhaben zum Thema „Bemessung von Rohren beim Berstlining-Verfahren auf Deponien“ im Auftrag des Lf U (Bayrisches Landesamt für Umweltschutz) ausgearbeitet und seine Anwendbarkeit in mittlerweile vielen Maßnahmen erfolgreich getestet [12, 13]. 5 Ausführung von Sanierungen mit dem Berstlining-Verfahren 5.1 Beschreibung des dynamischen Verfahrens Beim Berstlining-Verfahren wird zwischen dem statischen und dynamischen Verfahren unterschieden. Löwe: Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik 16 Bild 3: FEM Modelle eines Berstliningrohrs Quelle: TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH Da zur Sanierung von Sickerwasserleitungen mit dem dynamischen Verfahren die effektivsten Erfolge erzielt werden, wird hier nur auf dieses eingegangen. Im Bild 4 ist das Verfahren schematisch dargestellt. Beim dynamischen Berstliningverfahren unterstützt Bild 4: Prinzipskizze des dynamischen Berstlining-Verfahrens die Zugkraft einer Seilwinde den Berstvorgang. Als Verdrängungskörper kommt ein druckluftbetriebener Bersthammer auf Basis eines Bodenverdrängungshammers zum Einsatz. Die Berstwerkzeuge, die je nach Aufgabenstellung entweder am vorderen oder hinteren Ende des Bersthammers angeordnet sein können, übertragen die Rammenergie auf die Altrohrleitung und brechen diese auf. Ein nachfolgender Aufweitkörper verdrängt die geborstene Altrohrleitung in den umgebenden Boden und vergrößert den Querschnitt so weit, dass gleichzeitig mit dem Vortrieb ein neues Rohr gleicher oder größerer Nennweite eingezogen werden kann. Für die Durchführung des Verfahrens (Bild 5) ist die Herstellung von Baugruben erforderlich. Von diesen aus wird das Windenzugseil eingespült oder mithilfe eines Glasfiberstabs (Röhrenaal) eingezogen. Die einzubringenden Rohre werden außerhalb der Baugruben zu einem Rohrstrang zusammengefügt und an den Bersthammer angeschlossen, nachdem dieser mit dem erforderlichen Druckluftschlauch verbunden wurde. Daraufhin wird die Bersteinheit mit angeschlossenem Rohrstrang in der Startbaugrube positioniert. Dann beginnt der Berstvorgang durch Starten des Kompressors. Die Vorwärtsbewegung und Richtungsstabilität werden durch die über die Seilwinde aufgebrachte Zugkraft unterstützt; die Verdrängungsarbeit übernimmt der Bersthammer. Nach Ankunft des Bersthammers in der Zielbaugrube wird dieser dort geborgen. Dynamische Bersthämmer sind in vielen unterschiedlichen Leistungsklassen und Bauarten verfügbar. Mit dem dynamischen Berstlining-Verfahren lassen sich insbesondere spröde Altrohrwerkstoffe sanieren. Hierzu gehören Grauguss – allerdings nur dünnwandige Leitungen –, PVC sowie Faser- oder Asbestzement. Für die Sanierung von PE-Leitungen wird das dynamische Verfahren ebenfalls eingesetzt – jedoch mit höheren Zugkräften als bei den vorab genannten Rohrmaterialien. Bedingt durch die größeren zu überwindenden Mantelreibungskräfte während des Berstvorgangs lassen sich in Abhängigkeit von der Überdeckungshöhe bei der Erneuerung von PE-Leitungen Haltungslängen von bis zu 100 m realisieren, während die vorab genannten Werkstoffe Berstlängen von bis zu 200 m ermöglichen. 5.2 Besonderheiten beim Bersten von Deponieentwässerungsleitungen In Deponien stellt insbesondere die Lage der Sickerwasserleitungen oft hohe Anforderungen an die Ausführung. Bevor die eigentliche Sanierung erfolgen kann, muss grundsätzlich von zwei Seiten ein Zugang zu der defekten Leitung hergestellt werden (Bild 4). Hierfür müssen entsprechende Baugruben hergestellt werden, die je nach Ausbildung der Deponie als „einfache“ Böschungsanschnitte oder als tiefe Baugruben im Müllkörper hergestellt werden. Zusätzlich sind die Länge der zu sanierenden Rohrleitung und die Abfall überdeckung von entscheidender Bedeutung für die Wahl der Ausbildung der erforderlichen Baugruben. GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Löwe:: Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien GEOTECHNIK 17 Darüber hinaus werden an den Arbeitsschutz erhöhte Anforderungen gestellt, dieser wird nach BGR 128 realisiert [14]. Die Anforderungen an das neue Rohr aus PE 100 sind in der Güterichtlinie für Rohre, Schächte und Bauteile in Deponien [8] festgelegt, die gleichzeitig als bundeseinheitlicher Qualitätsstandard BQS 8-1 gemäß Deponieverordnung gilt. Ebenso sind in diesem BQS die Anforderungen an den Verlegefachbetrieb beschrieben, der eine entsprechende Zertifizierung nachweisen muss. Sofern Lage und Länge der Rohrleitungen einen Zugang von den Böschungsseiten der Deponie ermöglichen, wird im jeweiligen Bereich ein Böschungsanschnitt bis zur Deponiebasis hergestellt. Die so hergestellte Baugrube wird in der Regel geböscht hergestellt; eine statische Berechnung des Böschungswinkels erfolgt im Vorwege. Die Baugruben dienen als Start- und Zielbaugrube. Wenn die Lage und/oder Länge der zu sanierenden Rohrleitungen keinen Zugang über entsprechende Böschungsanschnitte erlauben, ist die Herstellung von verbauten Baugruben notwendig. Diese Baugruben werden grundsätzlich kreisrund hergestellt und mit Spritzbeton oder speziellem Stahlrohrverbau statisch gesichert (Bilder 6 und 7). Der Baugrubendurchmesser richtet sich nach dem Mindestbiegeradius des als Rohrstrang einzuziehenden PE-Rohrs. Der Biegeradius ist temperaturabhängig und beträgt beispielsweise bei 20 °C das Zwanzigfache des Rohraußendurchmes- Bild 5: Durchführung des Berstlining-Verfahrens sers. Das bedeutet, dass ein PE-Rohr mit einem Außendurchmesser von 280 mm mindestens eine Startbaugrube mit einem Innendurchmesser von 5,60 m benötigt. In Abhängigkeit von den Randbedingungen der jeweiligen Deponie ist auch eine Kombination einer tiefen Baugrube mit einem Böschungsanschnitt möglich. Unsere maßgeschneiderten Lösungen und innovativen Produkte sind der Garant für erfolgreiche Projekte. Überall dort, wo Erde bewegt wird stehen wir für die Sicherheit des starken Verbundes. Entdecken Sie die Welt der Geokunststoffe, entdecken Sie HUESKER. Löwe: Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien Jedes Projekt sicher im Griff. www.HUESKER.com | E-Mail: [email protected] | Tel.: +49 (0) 25 42 / 701 - 0 GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net GEOTECHNIK 18 Bild 6: Blick in eine Startbaugrube für das BerstliningVerfahren Bild 7: Blick in eine Zielbaugrube für das BerstliningVerfahren 7 Schlussfolgerungen [8] Das Berstlining-Verfahren stellt eine technisch ausgereifte und kostengünstige Methode zur Rohrsanierung im Deponiebereich dar. Es birgt gegenüber einer Neuverlegung Risiken bezüglich der Einbauqualität. Dieses Risiko wird minimiert, wenn unter Berücksichtigung des Verlegeverfahrens eine geeignete Rohrauswahl getroffen wird. Hierfür sind im Planungsstadium Vorarbeiten erforderlich. Wegen der nicht eindeutig vorab festlegbaren realisierbaren Berstlängen sind die endgültig entstehenden Kosten nicht in jedem Fall vorher exakt bestimmbar. [9] Quellen [12] [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Verordnung über Deponien und Langzeitlager (Deponieverordnung - DepV). Deponieverordnung vom 27. April 2009 (BGBl. I S. 900), zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 2. Mai 2013 (BGBl. I S. 973) geändert. Stegner, A; Löwe; D.: Sanierung von Sickerwasserleitungen im Berstlining-Verfahren. 23. Nürnberger Deponie-Seminar 2012. DIN 8074:2011-12: Rohre aus Polyethylen (PE) - PE 80, PE 100 - Maße. DIN 8075: 2011-12: Rohre aus Polyethylen (PE) - PE 80, PE 100 - Allgemeine Güteanforderungen, Prüfungen. Fachverband der Kunststoffrohr-Industrie (KRV): Werkstoffliste „Zugelassene PE-Werkstofftypen für Druckrohre und Formstücke“. Stand: September 2014. Online: http://www.krv.de/home/zertifizierung/krvwerkstofflisten.html DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.: DWA-Regelwerk. http:// de.dwa.de/regelwerk-fachpublikationen.html LAGA Ad-hoc-AG „Deponietechnik“: Bundeseinheitlicher Qualitätsstandard 8-1 Rohre, Rohrleitungsteile, Schächte und Bauteile in Basis- und Oberflächenabdichtungssystemen von Deponien vom 24.09.2013. GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net [10] [11] [13] [14] SKZ/TÜV-LGA: Güterichtlinie „Rohre, Schächte und Bauteile in Deponien“. Stand September 2013 ATV-DVWK Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.: Arbeitsblatt A 127 „Statische Berechnung von Abwasserkanälen und -leitungen“. 4. Auflage, 04/2008. ATV-DVWK Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.: Merkblatt ATV-M 127-1 „Richtlinie für die statische Berechnung von Entwässerungsleitungen für Sickerwasser aus Deponien“. Ausgabe 03/1996. DIN 19667:2009-10: Dränung von Deponien – Planung, Bauausführung und Betrieb. Hoch, A.; Stegner, A. ; Henkel, F.-O.; Reuchlein, R.: Bemessung von Rohren beim Berstliningverfahren in Deponien. Forschungsvorhaben der Landesgewerbeanstalt Bayern (LGA) und der Wölfel Beratende Ingenieure GmbH & Co. im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (Lf U), 2000. TÜV Rheinland LGA Bautechnik GmbH, Institut für Statik: Bemessung von Rohren beim Berstliningverfahren in Deponien unter Berücksichtigung des statischen Berstens und des Kurzrohrberstlining. Untersuchung im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (Lf U), 2006. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Fachausschuss „Tiefbau”: Berufsgenossenschaftliche Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, DGUV Regel 101-004 (bisher BGR128) Kontaminierte Bereiche: Mai 2014. Quelle der Bilder ist die bds Boden- und Deponie-Sanierungs GmbH, sofern die Bilder nicht anders gekennzeichnet sind. Dipl.-Ing. Detlef Löwe ist Prokurist der bds Boden- und Deponie-Sanierungs GmbH in Neufahrn in Deutschland. ,POUBLU: [email protected] Löwe: Sanierung von Entwässerungsleitungen aus PE-HD in Deponien Geotechnik und Energie 19 Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung Dipl.-Ing. Damian Schink, Pintsch Aben geotherm GmbH, Dinslaken, Deutschland Die Verfügbarkeit der Weichen während der Wintermonate ist ein wichtiger Schlüssel für den reibungslosen Bahnbetrieb. Damit die Weichenzungen, die bewegten Teile von Weichen, nicht festfrieren, werden sie mit Heizungen schneeund eisfrei gehalten. Neben den bekannten elektrischen und gasbefeuerten Heizsystemen ist nun auch eine vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zugelassene geothermische Weichenheizung ohne Zuführung externer Energie verfügbar. Diese neue Technologie stellt die Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges Heizen. Energie · Geotechnik · Geothermie · Bahninfrastruktur · Innovation · Kostenreduktion 1 Einleitung Seit Jahrzehnten macht die Pintsch Aben geotherm GmbH mit Weichenheizungssystemen den Bahnverkehr winterfest. Die neueste Entwicklung ist eine geothermische Weichenheizung, die ohne externe Energiezufuhr für den Heizbetrieb völlig autark arbeitet und im Betrieb kein CO2 ausstößt. Das neuartige Weichenheizungssystem erreicht durch die technische Nutzung eines sogenannten Wärmerohrs ein hohes Maß an Energieeffizienz. Der Schlüssel zu dieser Effizienz ist die Erschließung der oberflächennahen Erdwärme durch den naturgegebenen Prozess des latenten Wärmetransports mithilfe der CO2-Technologie. Die natürliche Zirkulation des Arbeitsmediums CO2, die nur von der Temperaturdifferenz zwischen der Weiche und dem Boden abhängig ist, sorgt ganz ohne Umwälzpumpen und Steuerelemente für die Beheizung der Weichen. Dieses technische Konzept hat einen enormen Einfluss auf die Lebenszykluskosten (LCC) des Systems. Zu den Betriebskosten der konventionellen Weichenheizungen tragen die Energiekosten den größten Anteil bei. Bei der geothermischen Weichenheizung spielen die Energiekosten keine Rolle mehr. Weiterhin werden durch den Verzicht auf aktive Steuerelemente und Förderpumpen die Instandhaltungskosten sowohl beim Einsatz von Personal als auch von Ersatzkomponenten positiv beeinflusst. Durch den Betrieb der geothermischen Weichenheizung mit dem Arbeitsmedium CO2 entsteht keinerlei Gefährdung für das Grundwasser, da CO2 nach der „Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe (VwVwS)“ vom 27.07.2005 als nicht wasser- gefährdend eingestuft ist. Damit steht dem Betrieb der geothermischen Weichenheizungen sogar in Wasserschutzbetrieben nichts entgegen. Die Verwendung dieses Arbeitsmediums führt zu keinen Umweltschäden, falls es durch Leckagen im System freigesetzt wird. 2 Wirkungsprinzip Für die Weichenheizung wird das technische Prinzip des Wärmerohrs (Thermosyphon) genutzt, in dem CO2 als Arbeitsmedium zirkuliert. Wie Bild 1 zeigt, erschließt das Wärmerohr einerseits die Energiequelle, nämlich die oberflächennahe Erdwärme, und sorgt andererseits Bild 1: Schematische Darstellung der geothermischen Weichenheizung 1 Wärmeabgabezone: Das Arbeitsmedium CO2 kondensiert in den Wärmeübertragern und gibt die Energie in Form von Wärme ab. 2 Transportzone: Das Arbeitsmedium CO2 wird horizontal zu den Wärmeübertragern verteilt. 3 Wärmeaufnahmezone: Das Arbeitsmedium CO2 verdampft im Wärmerohr durch die aufgenommene Erdwärme. Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik und Energie 20 3 Technik Die Hauptkomponenten der geothermischen Weichenheizung sind: ▶▶ Tiefensonde ▶▶ Beheizbare Gleitstühle ▶▶ Wärmeübertrager für das Schwellenfach (Bild 2) Bild 2: Technische Ausführung der geothermischen Weichenheizung zusammen mit den Wärmeübertragern im kritischen Bereich der Weiche für Schnee- und Eisfreiheit. Der Phasenübergang des Arbeitsmediums zwischen Flüssig- und Dampfphase ist dabei die Grundlage für den Transport der latenten Wärme. Er ist die Basis für ein Weichenheizungssystem, das ohne extern zugeführte Energie für eine ständige Verfügbarkeit von Schienenwegen sorgt. Das Arbeitsmedium CO2 wird in dem Wärmerohr mit einem solchen Druck beaufschlagt, dass es innerhalb des Systems seinen Siedepunkt bei der im Boden vorherrschenden Temperatur hat. Es liegt im Ruhezustand des Systems in beiden Aggregatzuständen (flüssig und gasförmig) im Wärmerohr vor. Das Wärmerohr wird bei der geothermischen Weichenheizung aus der Sonde zusammen mit den beheizten Komponenten an der Weiche gebildet. Sobald die Temperatur der zu beheizenden Komponenten unter die Bodentemperatur sinkt, beginnt das CO2 in den beheizbaren Gleitstühlen und den Wärmeübertragern in den Schwellenfächern zu kondensieren. Der dadurch hervorgerufene partielle Druckabfall hat zur Folge, dass flüssiges CO2 in der im Boden befindlichen Sonde zu sieden beginnt und als Dampf zu den Weichenbauteilen aufsteigt, wo es wiederum kondensiert. Dieser Kreislauf bleibt so lange in Gang, wie die zu beheizenden Weichenbauteile kälter sind als der Boden. Die zum Heizen erforderliche Wärme wird latent übertragen. Durch den Phasenübergang von flüssig zu gasförmig, der in dem Teil des Systems erfolgt, der sich im Boden befindet, wird Energie aufgenommen und in dem an der Weiche befindlichen Teil durch das Kondensieren (Phasenübergang von gasförmig zu flüssig) wieder in Form von Wärme abgegeben. Der in dem Wärmerohr ablaufende Prozess ist ein Kreislauf, der in seiner Intensität nur durch die Temperaturdifferenz von Boden und Weichentemperatur angetrieben und durch die Gravitationskräfte aufrecht gehalten wird. Das ermöglicht ein pumpenloses Umwälzen des Arbeitsmediums ohne Zuführung externer Energie. GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Die Tiefensonde besteht aus einem Rohrbündel von einander unabhängiger Sondenrohre (Wärmerohre) und wird in den Boden eingebaut. Jedes Sondenrohr stellt für sich zusammen mit den verbundenen Wärmeübertragern ein eigenes abgeschlossenes System (Wärmerohr) dar. Die Länge der Tiefensonde wird durch die erforderliche Heizleistung und die meteorologischen und geologischen Gegebenheiten bestimmt. Um die Zungenbewegung der Weiche auch bei Eis und Schnee zu gewährleisten, werden im Bereich der Zungenvorrichtung beheizbare Gleitstühle und Wärmeübertrager in den Schwellenfächern eingesetzt. Diese sind aus Gründen der Redundanz sektionsweise mit jeweils einem Sondenrohr der Tiefensonde verbunden. Durch die Kondensation des CO2 in beiden beheizten Komponenten werden diese immer in einem positiven Temperaturbereich gehalten und Schnee und Eis im Spalt zwischen Zungen- und Backenschiene abgetaut. Die beheizbaren Gleitstühle sind für diesen Anwendungsfall von Pintsch Aben geotherm entwickelt worden. Die Basis dazu bildet die schon zuvor übliche Bauform mit Innenverspannung, der zusätzlich links und rechts der Gleitfläche jeweils ein Kondensator angefügt wurde. Die Kondensatoren dienen der Wärmeübertragung. Die beiden Kondensatoren bilden zusammen mit dem Gleitstuhl als einteiliges Gusswerkstück eine Einheit. Nur so wird eine optimale Wärmeübertragung vom Kondensator zur Gleitfläche des Gleitstuhls und auf die Zungen- beziehungsweise Backenschiene gewährleistet. Die Wärmeübertrager in den Schwellenfächern sind Aluminiumkörper, deren Innenstruktur als Kondensator dient. Im Inneren des Wärmeübertragers findet durch den Phasenwechsel von der Dampf- zur Flüssigphase die Freisetzung der latent gespeicherten Energie als Wärme im Arbeitsmedium CO2 statt. Die gesamte himmelwärts gerichtete Oberfläche des Wärmeübertragers bildet die Taufläche für winterliche Niederschläge, die in das Schwellenfach fallen. Indem der Wärmeübertrager bei der Montage auf den Schienenfuß der Backenschiene geschoben wird, wird auch in die Schiene Wärme eingetragen. Eine Adaption des Wärmeübertragers an unterschiedliche Schienenprofile ist durch ein integriertes Adapterprofil möglich. Unterschiedliche Varianten des Wärmeübertragers für das Schwellenfach erlauben es auch, Schwellenfächer mit Rollenvorrichtungen und weiteren Einbauten zu beheizen. Die Heizleistung der Wärmeübertrager wurde für die Wetterbedingungen im deutschen Alpenraum bemessen. Die Leistung entspricht dem notwendigen Abtauvermögen, das anhand der Wetterdaten der Testreferenzjahre Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung Geotechnik und Energie 21 des Deutschen Wetterdienstes für die Alpen ermittelt wurde. In dieser Region sind in Deutschland die widrigsten winterlichen Wetterbedingungen zu erwarten. Sowohl der beheizte Gleitstuhl als auch der Wärmeübertrager im Schwellenfach sind mit der Tiefensonde über Rohrleitungen verbunden. Hierzu sind unterhalb der Wärmeübertrager in den Schwellenfächern Schutzwannen montiert, die die Leitungen und Verbindungen vor dem Schotter und mechanischen Beschädigungen beim Weichenunterhalt schützen. Zusätzlich werden alle im Schotter verlegten Rohrleitungen durch massive Schutzrohre geführt. Die Entwicklungsarbeiten der geothermischen Weichenheizung erfolgten im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags geförderten Forschungsvorhabens (FKZ 0327446B) und machen sich die Technologie des CO2-Wärmerohrs, patentiert durch das FKW Hannover, zunutze [1, 2]. 4 Anwendungsvoraussetzungen 4.1 Weichentypen Die wichtigsten Bauteile der geothermischen Weichenheizung nach dem Prinzip der Direktverdampfung sind der beheizte Gleitstuhl und der Wärmeübertrager für das Schwellenfach. Wegen der verschiedenen verwendeten Weichen- und Schienenprofiltypen ist es notwendig, unterschiedliche geometrisch passende Kernkomponenten zu konzipieren. Während der Entwicklungsphase wurden die Schienenprofile S49 beziehungsweise SBB I und S54 respektive SBB IV priorisiert und entsprechende Komponenten konstruiert. Somit können alle Weichen mit den genannten Schienenprofilen mit dem System ausgerüstet werden. Die Schwellenart spielt keine Rolle; sowohl Weichen mit Betonschwellen als auch mit Holzschwellen können ausgerüstet werden. Im günstigsten Fall sollte der Einbau der geothermischen Weichenheizung beim Neubau der Weichen berücksichtigt werden. Dabei können die Gleitstühle vor der Montage der weiteren Weichenbaugruppen mit den Schwellen verschraubt und als Einheit in die Trasse eingebaut werden. Auf den nachträglichen Wechsel der Gleitstühle kann in diesem Fall verzichtet werden Bei den Prototypanlagen wurden bereits im Schienennetz liegende Weichen ausgerüstet. Dazu mussten zunächst die konventionellen Gleitstühle durch beheizbare ausgetauscht werden, um danach die Ausrüstung mit dem gesamten System zu vollziehen. 4.2 Geologie Die geothermische Weichenheizung nutzt die oberflächennahe Erdwärme mit Tiefen von bis zu 100 m, wobei Bodentemperaturen von 10 bis 12 °C zu erwarten sind. Außer von der Temperatur wird die mögliche Energieausbeute durch den Wärmeleitwiderstand des Bodens bestimmt. Dieser hängt von der Beschaffenheit der Erdschichten am geplanten Standort ab. Für den wirtschaftlich sinnvollen Betrieb sollte der Wärmeleitwiderstand des Erdreichs größer als 1,5 W/(m K) sein. Dieser Wert hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Länge der Sonde. Je höher die Wärmeleistung des Bodens ist, um so kürzer kann die Tiefensonde werden. Niedrige Energieausbeuten erfordern große Sondenlängen. Eine erste Einschätzung der Standorteignung kann durch das Studium der von den geologischen Landesämtern herausgegebenen Leitfäden zur oberflächennahen Geothermie oder in geothermischen Portalen im Internet durchgeführt werden [3]. Weitere Informationen haben die unteren Wasserbehörden der Landkreisämter, die später auch die Genehmigung zur Errichtung der geothermischen Anlage erteilen. Die Genehmigung beinhaltet auch die Auflagen zur baulichen Realisierung der Tiefenbohrung in Bezug auf Bohrungsdurchmesser, Verpressmaterial und zulässige Bohrtiefen. Einen verlässlichen Aufschluss über die geothermische Ergiebigkeit am geplanten Standort kann nur ein geologisches Gutachten spezialisierter Unternehmen beziehungsweise Institute geben. Dieses ist vor der Planung und dem Bau einer Anlage erstellen zu lassen. 5 Betriebssicherheit Nicht nur in analytischen, sondern auch in diversen Versuchen wurde die Betriebssicherheit der Komponenten der geothermischen Weichenheizung sowohl hinsichtlich der thermischen Funktion als auch der mechanischen Festigkeit nachgewiesen. Alle Ergebnisse dieser Vorprüfungen wurden durch die Erfahrungen der Prototypanlagen im laufenden Betrieb bestätigt. 5.1 Dauerfestigkeit Nachdem der Nachweis der statischen und dynamischen Festigkeit analytisch erbracht worden war, wurden die Hauptkomponenten der geothermischen Weichenheizung im Materialprüfungsamt der TU München entsprechend den Belastungsanforderungen der Deutschen Bahn AG in einem Dauerschwingversuch geprüft. Die Untersuchung ergab ein positives Ergebnis als eine wichtige Voraussetzung für die Zulassung und den Einsatz der Komponenten in den Schienennetzen. 5.2 Messtechnischer Funktionsnachweis Um einen messtechnischen Nachweis der Funktion des Systems zu erbringen, wurden die Prototypanlagen mit umfangreicher Messtechnik ausgestattet. Es werden neben der Umgebungstemperatur die Temperaturen entlang der Tiefensonde im Boden und an den Wärmeübertragern in der Weiche erfasst. Weiterhin werden von jedem Kreislauf die jeweils herrschenden Drücke des Arbeitsmediums aufgenommen. Diese Messdaten geben ein umfassendes Bild der jeweiligen Betriebszustände der geothermischen Weichenheizung. In dem Diagramm im Bild 3 sind die Messdaten der Prototypanlage im Bahnhof Grünberg für die Winter- Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik und Energie 22 Bild 3: Messdaten der Prototypanlage Bahnhof Grünberg saison 2012/2013 dargestellt. Im Einzelnen sind die Umgebungstemperatur [°C] (grün), mittlere Bodentemperatur [°C] (braun), Übertragertemperaturen [°C] von drei Wärmeübertragern (rot, orange und gelb) und der Niederschlag [mm/h] (blau) für den Zeitraum vom 30.11.2012 bis 15.04.2013 dargestellt. Die Auswertung der Messdaten hat ergeben, dass die Temperatur der Wärmeübertrager unabhängig von der Außentemperatur und den herrschenden Niederschlägen zu jedem Zeitpunkt über dem Gefrierpunkt lag. Eis und Schnee konnten immer abtauen. Im gesamten Beobachtungszeitraum sind die Temperaturen an den Wärmeübertragern nicht unter 5 °C gesunken. Auch zum Ende der Wintersaison konnte keine Verminderung der Funktion durch ein mögliches Auskühlen des Erdreichs festgestellt werden. Damit wurde die exakte Auslegung der Anlage bezüglich der meteorologischen Lasten und der Energieergiebigkeit des Bodens mit dem eigens hierfür von Pintsch Aben geotherm in Zusammenarbeit mit dem ZAE Bayern entwickelten Projektierungswerkzeug [4] bestätigt. Der Boden hatte sich bereits Mitte April wieder vollständig regeneriert. Die mittlere Bodentemperatur war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf dem Niveau der mittleren Bodentemperatur zu Beginn der Heizsaison, was äußerst positiv im Hinblick auf die Langzeitfunktion der Weichenheizung positiv zu bewerten ist. 5.3 Wartung der Weiche Mit einem Stopfversuch wurde eine mit geothermischer Heizung ausgestattete Weiche getestet. Untersucht wurde, ob und gegebenenfalls wie bei Instandhaltungsmaßnahmen, also der Neuausrichtung der Weiche und Verdichtung des Schotters unterhalb der GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Schwellen, gegebenenfalls die Heizungskomponenten im eingebauten Zustand negativ beeinträchtigt werden. Die Stopfarbeiten wurden in dem Versuch seitens der DB Netz AG vorgenommen. Vor dem Stopfen wurden entsprechend der Streckenlage die horizontalen und vertikalen Abweichungen der Gleislage ausgemessen und auf dem Schienenkopf kenntlich gemacht. Die Komponenten der geothermischen Weichenheizung wurden dagegen nicht gekennzeichnet. Die Schutzrohre, in denen die CO2-Leitungen in die Schwellenfächer geführt werden, waren komplett mit Schotter bedeckt. Der gesamte Aufbau entsprach dem für das Heizsystem vorgesehenen, üblichen funktionellen Aufbau. Nach den Stopfarbeiten konnte festgestellt werden, dass die Konstruktion den mechanischen Anforderungen, die durch das Stopfen auf das System einwirken, gewachsen ist. Der Versuch hat gezeigt, dass keine die Funktion beeinträchtigenden Beschädigungen an den Funktionsbaugruppen aufgetreten sind, da diese bis auf die Zuführungsleitungen unterhalb der Backen- und Zungenschiene angeordnet sind und damit außerhalb des Stopfbereichs liegen. Es wurden nur an den Oberflächen Kratzspuren festgestellt, die von herumwirbelnden Schottersteinen hervorgerufen wurden. Das am meisten beanspruchte Bauteil ist das Schutzrohr, das entlang der Schwellen – vom Stützpunkt aus bis zum Schwellenkopf – direkt in dem Bereich verlegt ist, in dem auch die Stopfpickel zum Einsatz kommen. Für dieses Bauteil konnte die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung konstruktiv nur dadurch minimiert werden, dass der Raumbedarf des Schutzrohrs im Stopfbereich sehr klein gehalten wird. Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung Geotechnik und Energie 23 Bild 4: Pilotanlage im Bahnhof Grünberg in Hessen: Weiche mit geothermischer Heizung Bild 5: Pilotanlage im Bahnhof Grünberg in Hessen: Schnee- und eisfreier bewegter Weichenteil 6 Zulassung 7 Pilotanlagen Das System der geothermischen Weichenheizung der Pintsch Aben geotherm GmbH wurde im Dezember 2013 vom Eisenbahn-Bundesamt zugelassen [5]. Diese Zulassung ist ein wichtiger Meilenstein in der jahrelangen Entwicklung der Komponenten und für ihren Einsatz in den Schienennetzen. Sie bildet die Anerkennung der durch Prüfungen nachgewiesenen Betriebstauglichkeit mit zahlreichen Versuchen zur Funktion und Dauerfestigkeit sowie Betriebssicherheit und Stopffestigkeit. Zurzeit sind drei Pilotanlagen im Betrieb. Eine befindet sich im Schienennetz der HPA (Hamburg Port Authority). Sie wurde zur Wintersaison 2010/2011 als erste Anlage dieser Art in Betrieb genommen. Zwei weitere befinden sich im Schienennetz der DB Netz AG. Eine wurde in der Wintersaison 2011/2012 im Bahnhof Grünberg/Hessen (Bilder 3, 4 und 5) in Betrieb genommen und die jüngste nahm im Bahnhof Sponholz vor der Heizperiode 2014/2015 ihren Dienst auf. Tabelle 1: Geothermische Portale Nr. URL geothermischer Portale 0 http://geoportal.bayern.de/energieatlas-karten/?1 1 http://maps.lgrb-bw.de/?app=lgrb&lang=de 2 http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas/k218.htm 3 http://geoportal.bayern.de/energieatlas-karten/?1 4 http://www.hlug.de/start/geologie/erdwaerme-geothermie/oberflaechennahe-geothermie/karten-standortbeurteilung.html 5 https://www.umweltkarten.mv-regierung.de/script/?aid=89 6 http://nibis.lbeg.de/cardomap3/?TH=GTSCHNITT# 7 http://www.geothermie.nrw.de/geothermie_basisversion/?lang=de 8 http://mapclient.lgb-rlp.de//?app=lgb&view_id=10 9 http://www.geothermie.de/fileadmin/useruploads/wissenswelt/gesetze/Leitfaden/Saarland_Leitf_Erdwaerme.pdf 10 http://www.lagb.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/LaGB/geothermie/portal/Leitfaden_LSA_03_12.pdf 11 http://asellus.thueringen.de/cadenza/show.xhtml?repositoryId=Anwendungen.Geothermie.geothermie%2Ftiefe_geothermie_uebersichtskarte.mml 12 http://www.umweltdaten.landsh.de/nuis/upool/gesamt/geologie/geothermie_2011.pdf Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Geotechnik und Energie 24 Die Pilotanlagen haben die Erwartungen bezüglich der Schnee- und Eisfreihaltung weit übertroffen und unter Beweis gestellt, dass das zum Einsatz kommende natürliche Funktionsprinzip der CO2-Technologie eine uneingeschränkte Verfügbarkeit der Fahrwege garantiert. 8 Ausblick Für die Schienennetzbetreiber bietet das innovative System der geothermischen Weichenheizung im Vergleich zu konventionellen Heizungen durch die Unabhängigkeit vom Energiemarkt ein Maximum an Effizienz. Die Energiekosten für den Betrieb werden vollständig eingespart. Zusätzlich verringert sich der Wartungsaufwand durch den Verzicht auf aktive Systemkomponenten und Verschleißteile auf ein Minimum. Das Gesamtpotenzial der möglichen Energieeinsparung ist enorm. Allein die DB Netz AG besitzt etwa 60.000 Weichen im Schienennetz, die mit einer elektrischen Gesamtheizleistung von mehr als 500 MW ausgerüstet sind. Der jährliche Energieverbrauch beläuft sich auf geschätzte 2,5 GWh. Dieses Potenzial an möglicher Energieeinsparung unterstreicht die Umweltfreundlichkeit dieser Weichenheizungstechnologie, bei der die Schnee- und Eisfreihaltung ohne extern zugeführte, aus fossilen Brennstoffen gewonnene Energie erreicht werden kann. Zusätzlich erfolgt im Betrieb keine Emission von klimaschädlichen Abgasen oder bei Systemstörungen von bodenverunreinigenden Stoffen. Die Funktionalität der geothermischen Weichenheizung der Pintsch Aben geotherm GmbH mit Wärmerohren wurde durch den Betrieb dreier Pilotanlagen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net seit dem Jahr 2010 in positiver Weise erbracht und durch die Zulassung des Eisenbahn-Bundesamts bestätigt. Jetzt liegt es an den Betreibern der Schienennetze durch den Einsatz dieser nachhaltigen Technologie die Weichen für energiebewusstes und kostengünstiges Heizen zu stellen. Quellen zu Forschungsvorhaben FKZ 0327446B im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie [1] Forschungsbericht [2] FKW Hannover Forschungszentrum für Kältetechnik und Wärmepumpen GmbH: CO2-Wärmerohr. http:// www.fkw-hannover.de/9.html [3] Geothermische Portale der deutschen Bundesländer: s. Tabelle 1 [4] Pintsch Aben geotherm GmbH/ZAE Bayern: Projektierungswerkzeug [5] Eisenbahn-Bundesamt: Zulassung 21izbo/013-2010# 045-(522/10-ZzB) für Pintsch Aben geotherm GmbH Bilderquelle: Pintsch Aben geotherm GmbH Dipl.-Ing. Damian Schink ist Projektleiter bei der Pintsch Aben geotherm GmbH in Dinslaken. Kontakt: [email protected] Schink: Weichenstellung für innovative geothermische Weichenheizung Tunnelbau 25 Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun Teil 1: Rohbauphase Michael Flender, Siemag Tecberg GmbH, Haiger, Deutschland Der 57 km lange Gotthard-Basistunnel wurde in fünf Baulosen mit drei Zwischenangriffen errichtet. Der Zwischenangriff Sedrun besteht aus zwei Blindschächten mit ca. 820 m Teufe, die nur über einen etwa einen Kilometer langen Zugangs stollen erreicht werden konnten. Die komplexen und schwierigen Rahmenbedingungen und die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der Schachtförderanlagen waren und sind eine besondere Herausforderung für den Bau und Betrieb der Anlagen. Dieser Beitrag berichtet im ersten Teil über Bau und Betrieb der Schachtförderanlage als Förder-, Material- und Seilfahrtsschacht und Einrichtungen zur Klimatisierung des Tunnelabschnitts Faido für die Ausbruchphase sowie im zweiten Teil über die Demontage und Umrüstung der Schächte und die Funktionen der endgültigen Hebeeinrichtungen der Schächte Sedrun für die Betriebsphase des Bahntunnels. Tunnelbau • Schachtbau • Schweiz • Zulieferer • Schachtförderung • Klimatisierung 1 Einleitung Der Gotthard-Basistunnel (GBT) in der Schweiz ist ein Jahrhundertbauwerk. Er wird mit seinen zwei parallel verlaufenden einspurigen Tunnelröhren von je 57 km Länge der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Diese Pionierleistung im Tunnelbau wird massive Verbesserungen des Reise- und Güterschwerverkehrs im Herzen Europas mit sich bringen. Reisezüge können durch die flache und relativ gerade Schienenführung der Gotthardbahn mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h verkehren, wodurch sich beispielsweise die Fahrzeit zwischen Zürich und Mailand um rund eine Stunde verkürzt. Durch die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene verwirklicht die Schweiz zudem eines der größten Umweltschutzprojekte zur Erhaltung der Berg- und Alpenwelt in Europa. Die Eröffnung des GBT ist für Dezember 2016 geplant. Die AlpTransit Gotthard AG ist Bauherrin der neuen Eisenbahn-Alpentransversale Achse Gotthard mit den Basistunnels am Gotthard und Ceneri. 1998 gegründet, beschäftigt die Tochtergesellschaft der SBB heute am Bild 1: Gesamtansicht des Gotthard-Basistunnels Quelle: AlpTransit Gotthard AG Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Tunnelbau 26 Hauptsitz in Luzern und an den Außenstellen in Altdorf, Sedrun, Faido und Bellinzona rund 160 Mitarbeitende. Die Siemag Tecberg GmbH wurde im Jahr 1999 erstmals von der AlpTransit Gotthard AG mit dem Bau und Betrieb von Schachtförderanlagen am Zwischenangriff Sedrun beauftragt. In der Tunnelbauphase folgte die Lieferung einer mobilen Schachtwinde für den sicheren Betrieb der Schächte Sedrun und für den Zwischenangriff Faido wurden Einrichtungen zur Tunnelklimatisierung geliefert. Für die zukünftige Inspektion, Wartung und Kabelmontage in den Schächten Sedrun wurden weltweit erstmalig Hebeeinrichtungen mit runden Inspektionsplattformen für eine vorgegebene 100-jährige Nutzungsdauer geliefert. Nach einigen Informationen zum Gesamtprojekt Gotthard-Basistunnel und den Schächten am Zwischenangriff Sedrun wird in diesem Beitrag erläutert, wie die Herausforderungen bei komplexen und schwierigen Rahmenbedingungen und hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der Förderanlagen gelöst wurden. Der Teil 1 befasst sich mit den Einrichtungen für die Bauphase und der Teil 2 mit der Umrüstung der Schächte und den Funktionen der neu gelieferten Hebeeinrichtungen für die Betriebsphase des GBT. 2 Gotthard-Basistunnel, Multifunktionsstellen, Schächte Sedrun Das Bild 1 enthält eine Gesamtansicht des GBT. Auf der nördlichen Seite der Alpen befindet sich das Portal Erstfeld, südlich der Alpen liegt das Portal Bodio. Die beiden Tunnelröhren des Eisenbahntunnels sind alle 325 m über Querschläge miteinander verbunden. Um die Bauzeit des GBT kurz zu halten, wurde der Tunnel in fünf Abschnitte unterteilt, in denen gleichzeitig gearbeitet wurde. Die Tunnelvortriebe wurden sowohl von den Portalenden als auch von drei sogenannten Zwischenangriffen aus durchgeführt. Durch die beiden Zwischenangriffe Sedrun und Faido wird der Tunnel in drei annähernd gleich lange Abschnitte aufgeteilt. Aus diesem Grund wurden an diesen Stellen ganze Bahnhöfe in den Fels gesprengt, die als Multifunktionsstellen (MFS) bezeichnet werden. Bei einer Störung oder einem Notfall können die Züge in den seitlich angelegten Nothaltestellen der MFS parken. Von dort aus können die Passagiere über Fluchtwege in die jeweils andere Röhre gelangen und in einen Rettungszug umsteigen. Sollte ein Brand entstehen, wird über die Betriebslüftung der Rauch abgesaugt. Die MFS bestehen neben den Nothaltestellen aus großen Kavernen, in denen die erforderlichen Technikgebäude für den Bahnbetrieb und die Betriebslüftung untergebracht sind. Die MFS Faido wird über einen 2.700 m langen Zugangsstollen und die MFS Sedrun über zwei Vertikalschächte mit etwa 800 m Teufe sowie einen Entlüftungsschacht belüftet. Die beiden Blindschächte und die Schachtförderanlagen in Sedrun sind über einen ca. Bild 2: Zwischenangriff für Teilabschnitt Sedrun Quelle: AlpTransit Gotthard AG GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase Tunnelbau 27 1.000 m langen Zugangsstollen erreichbar (Bild 2). Für die Schachtförderanlagen wurden Kavernen ausgebrochen. Der Zwischenangriff in Sedrun war nicht nur aufgrund seiner Zugänglichkeit über die Schächte und seiner untertägigen Baustelle eine Besonderheit, auch die Tunnelvermessung über die Schächte, der hohe Gebirgsdruck und die weichen Gesteinsschichten stellten große Herausforderungen dar. Ein Bohren mit einer Tunnelbohrmaschine und ein schnelles Fortkommen waren aufgrund der besonderen Geologie im 8,5 km langen Teilabschnitt Sedrun nicht möglich. Die MFS und die vier Tunnelvortriebe wurden daher im konventionellen Sprengvortrieb ausgebrochen und jeder neu gewonnene Meter musste aufwendig gesichert und befestigt werden. Für eine mögliche unterirdische Bahnhaltestelle, die sogenannte „Porta Alpina Sedrun (PAS)“, erweiterte die AlpTransit Gotthard AG die beiden Nothaltestellen in der MFS Sedrun um je zwei Wartehallen. Der aktuelle Planungsstand zur Leistungsfähigkeit des GBT sieht die Realisierung und Nutzung der PAS aber nicht vor. Eine alternative Nutzung der bestehenden Wartehallen zu touristischen Zwecken oder eine Realisierung der PAS in der Zukunft sind jedoch möglich. 3 Übersicht des Projektablaufs Die AlpTransit Gotthard AG hat Siemag Tecberg während des GBT-Projekts mit folgenden Baulosen beauftragt: ▶▶ Teil 1: Planung, Herstellung, Lieferung, Montage, Inbetriebnahme und Betrieb von Einrichtungen zur Schachtförderung und zur Tunnelklimatisierung für die Bauphase in den Jahren 1999 bis 2012: ▷▷ Im September 1997 Auftrag zur Lieferung, Inbetriebnahme und Betrieb der Schachtförderanlagen Schacht I (Lose 356, 360) ▷▷ Im August 2001 Auftrag zur Lieferung, Inbetriebnahme und zum Betrieb einer mobilen Schachtwinde (Los 372) ▷▷ Im Jahr 2001 Auftrag zur Lieferung zusätzlicher Einrichtungen für den Wagenumlauf am Schachtkopf und -fuß der Schachtförderanlage Schacht I (Auftraggeber hierfür war die ARGE Transco/UN Los 360) ▷▷ Inbetriebnahme der Schachtförderanlagen (Los 356), gemäß TAS und BVOS, im September 2002 ▷▷ Betrieb der vollautomatischen Schachtförderanlagen von September 2002 bis August 2012 in eigener Regie und Verantwortung der Siemag Tecberg für den Bau der untertägigen Bahntunnel und der Multifunktionsstelle (Los 360) ▷▷ Im Jahr 2002 und 2008 Lieferung eines Dreikammerrohraufgebers zur Klimatisierung des Tunnelabschnitts Faido ▶▶ Teil 2: Umrüstung der Schächte Sedrun und Funktionsbeschreibung der neu gelieferten Hebeeinrichtungen für die Betriebsphase des Bahntunnels: ▷▷ Im November 2011 Unterzeichnung eines Werkvertrags zwischen der AlpTransit Gotthard AG und Siemag Tecberg über die Installation und den Betrieb der neuen und endgültigen Hebeeinrichtungen (Los D) für die zwei 800 m tiefen Vertikalschächte in Sedrun ▷▷ Im August 2013 Inbetriebnahme der Doppeltrommel- und Einseiltrommelwinde der neuen Hebeeinrichtungen zunächst für den Betrieb der temporären Baustelleneinrichtungen für den Schachtausbau ▷▷ Im März 2014 Inbetriebnahme der neuen Hebeeinrichtungen Los D mit spurlattengeführter Inspektionsplattform für die Betriebsphase des GBT ▷▷ Zurzeit Integration der neuen Hebeeinrichtungen in die Leittechnik des Bahntunnels und Schulungen des Wartungs- und Prüfpersonals 4 Schachtförderanlagen für die Tunnelbauphase (Los 356) 4.1 Allgemeines Der Schacht I war die Hauptschlagader der Tunnelbaustelle im Teilabschnitt Sedrun. Durch dieses Nadelöhr gingen während der Bauphase nahezu der gesamte Schüttgut- und Materialtransport sowie die Personenbeförderung. Außerdem wurde über den Schacht I die Versorgung der Baustellen mit elektrischer Energie, Druckluft, Brauchwasser und Verbrauchsstoffen sowie die Versorgung für die Wasserhaltung und insbesondere auch die Bewetterung mit Frischluft sichergestellt. Zusätzlich war die gesamte Signal- und Kommunikationstechnik im Schacht I untergebracht. Die Schachtförderanlagen im Los 356 mussten in der Ausbruch- und Rohbauphase im 3-Schichtbetrieb an sieben Tagen pro Woche und 340 Tagen im Jahr mit der maximalen Förderleistung für folgende Aufgaben zur Verfügung stehen: ▶▶ Personenbeförderung (Seilfahrten) ▶▶ Materialtransporte (Ausbruchmaterial) ▶▶ Transporte von Einbaumaterial ▶▶ Schwerlasttransporte ▶▶ Langteiltransporte ▶▶ Nebenseilfahrten (Selbstfahrerseilfahrten) ▶▶ Schachtrevisionen Die kompletten Schachtförderanlagen im Los 356 wurden nach den Regelwerken der deutschen Bergverordnung für Schacht- und Schrägförderanlagen (BVOS) und den zugehörigen Technischen Anforderungen an Schacht- und Schrägförderanlagen (TAS) ausgelegt. Darüber hinaus wurden die Richtline für Schachttransportanlagen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und weitere geltende Schweizer Vorschriften berücksichtigt. Das Los 356 für den Schacht I bestand im Wesentlichen aus den beiden folgenden Schachtförderanlagen (Bild 3): ▶▶ Hauptseilfahrtanlage als vollautomatische Großkorbförderanlage mit Seilführung ▶▶ Mittlere Seilfahrtanlage mit Schienenführung Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Tunnelbau 28 Bild 3: Schachtförderanlagen im Schacht I Sedrun für die Rohbauphase Quellen: Siemag Tecberg GmbH, wenn nicht separat gekennzeichnet Zusätzliche Einbaukomponenten im Schacht I waren: ▶▶ Führungsgerüst Schachtkopf ▶▶ Krananlagen Schachtkopf und -fuß ▶▶ Schachtfußeinrichtungen ▶▶ Schachtstuhl ▶▶ Beschickungseinrichtungen ▶▶ Seilauflege- und Seilwechseleinrichtungen ▶▶ Unabhängige mobile Schachtwinde (Los 372) Mit der Großkorbförderanlage (Bild 3) wurden die Baumaterialien für die untertägigen Kavernen, Technikgebäude und vier Tunnelvortriebsstellen transportiert und das Ausbruchmaterial gefördert. Die als Hauptseilfahrtanlage konzipierte Großkorbförderanlage bestand aus einer eintrümigen, zweietagigen Großkorbgegengewichtsanlage. Auf jeder Korbetage GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net wurde ein Förderwagen mit einem Fassungsvermögen von 11 m³ und einer Nutzlast von 19,2 t transportiert. Am Schachtkopf und am Schachtfuß sorgten automatische Beschickungseinrichtungen für eine kontinuierliche Be- und Entladung des Großkorbs. Bei Notfällen oder Betriebsunterbrechungen konnten zusätzlich Personen mit dem zweietagigen Förderkorb der Mittleren Seilfahrtanlage (MSFA) befördert oder evakuiert werden. Die Mittlere Seilfahrtanlage diente hauptsächlich als vollautomatische Seilfahrtanlage für Selbstfahrer. Die Anlage wurde für Schachtrevisionsfahrten, gelegentliche Seilfahrten zur Beförderung von Wartungsund Bedienpersonal sowie für die eventuelle Personenrettung vom Großkorb oder aus dem Tunnelvortrieb genutzt. Eine Personenrettung vom Großkorb wäre auf der Westseite des Großkorbs durch Notverschlüsse in den Seitenwänden der beiden Fördermittel möglich gewesen, kam glücklicherweise aber nie zum Einsatz. Die Schachtfördermaschinen von Los 356 befanden sich, wie im Bild 3 dargestellt, in einer separaten Fördermaschinenkaverne westlich des Schachts I in Flur aufstellung. Die 2-Satz-4-Seil-Umlenkscheiben mit einem Durchmesser von 4,8 m waren am Schachtkopf oberhalb des Führungsgerüsts auf Trägerkonstruktionen – der oberen und der unteren Seilscheibenbühne – in der Schachtglocke montiert. Die Seilführung der Förderseile erfolgte vom Fördermaschinenraum durch einen Schrägschacht (Seilkanal) in die Schachtglocke, in der die Seile über die Seilscheibenbühnen in den Schacht I umgelenkt wurden. Auf der unteren Seilscheibenbühne mit den Seilscheiben für das Gegengewicht der Hauptseilfahranlage war auch die Seilscheibe der Mittleren Seilfahrtanlage mit einem Durchmesser von 3,2 m angeordnet. In den folgenden Kapiteln werden die Schachtförderanlagen und ein Teil der zusätzlichen Einbaukomponenten näher beschrieben. Das Kapitel 4.5 geht auf den Betrieb der Anlagen in der Rohbauphase ein. Die wesentlichen technischen Daten der beiden Förderanlagen sind in der Tabelle 1 zusammengefasst. [1] 4.2 Hauptseilfahrtanlage 4.2.1 Maschine, Treibscheibe und Bremseinrichtungen Die 4-Seil-Koepe-Fördermaschine (Bild 4) wurde direkt über einen Fördermotor mit einer Motorleistung von ca. 4,2 MW angetrieben. Der Fördermaschinenmotor war mit einer Wasserkühlung ausgestattet, um eine unnötige Aufheizung des Fördermaschinenraums zu verhindern. Die Rückkühlanlage arbeitete im geschlossenen Kreislauf mit einem Wärmetauscher. Die Seilbetriebslast der Anlage setzte sich aus der Nutzlast von 50,8 t, dem Korbgewicht von 26 t, dem Seilgewicht von 32 t und sonstigen Lasten in Höhe von 7,2 t zusammen und betrug insgesamt 116 t. Die Treibscheibe mit einem Durchmesser von 4,8 m verfügte über zwei Bremsscheiben. Die hydraulische Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase Tunnelbau 29 Scheibenbremseinrichtung, Typ SB1 bremste im Sicherheitsbremsfall die Fördermittel mit verzögerungsgeregelter Bremskraft sicher bis zum Stillstand. Insgesamt zehn Bremszangen des Typs BE 100 hielten die maximale Überlast statisch mit mindestens dreifacher Sicherheit. Die Koepe-Fördermaschine war mit robusten Gleitlagern ausgerüstet, die mit einer Ölumlaufschmierung und hydrostatischer Anfahrhilfe versorgt wurden. Doppelrilliges Treibscheibenfutter ermöglichte ein einfaches Nachdrehen mittels einer Abdrehvorrichtung. Die Treibscheibe der Fördermaschine wurde zur Vereinfachung von Transport, Montage und Demontage zweiteilig ausgeführt. [1] 4.2.2 Großkorb, Gegengewicht und Beschickungseinrichtungen Der zweietagige Großkorb mit den Abmessungen 6,0 m × 2,6 m × 9,5 m wurde im Schacht I an vier Seilen geführt. Der mittlere Etagenboden konnte für Großteiltransporte mittels einer Schiebebühne leicht demontiert werden. Der Kopfrahmen des Großkorbs war mit zwei Kettenzügen mit einer Hublast von je 10 t ausgerüstet, welche die Handhabung schwerer und sperriger Transportteile erleichterten. Der Gegengewichtsrahmen war zum Auflegen des notwendigen Ballasts beziehungsweise zur Kompensierung der halben Nutzlast mit Gewichtsplatten ausgelegt. Das Gegengewicht wurde ebenfalls an vier Seilen geführt. Alle Transporte für die untertägigen Baustellen wurden mit schienengebundenen Förderwagen mit einer maximalen Gesamtmasse von ca. 25 t durchgeführt. Das Ausbruchmaterial der Tunnelvortriebe wurde mit der Schachtförderanlage nach über Tage und dann mit Loks bis zur Kippstation transportiert. In umgekehrter Folge wurde das Ausbaumaterial vom übertägigen Installationsplatz zu den Tunnelvortrieben transportiert. Ein eigens konzipierter Wagenumlauf (Gleisharfe) am Schachtkopf und -fuß sowie eine völlig neu entwickelte Beschickungseinrichtung stellten den reibungslosen Betrieb sicher (Bild 5). Die Förderwagen wurden auf der Tunnelsohle und im Zugangsstollen im Zugverband auf ein Zuführgleis gefahren, dort automatisch entkuppelt und einzeln dem Schacht zugeführt. Eine Vorsperre und eine Schachtsperre regelten den Zulauf der Förderwagen zur Aufschiebeposition. Die Beschickungseinrichtung ermöglichte es, die besonders schweren Förderwagen dennoch schnell, sicher und punktgenau auf den Korb aufzuschieben und vom Korb abzuziehen. Die Förderwagen wurden von Aufschiebern bzw. Abziehern zur Zielposition geführt, die durch Kupplungsklauen kontrolliert wurden. Eine besondere Herausforderung lag darin, das vollautomatische Beschleunigen, Abbremsen und punktgenaue Positionieren von Förderwagen mit automatischen Kupplungen zu gewährleisten. Dies wurde mithilfe einer speicherprogrammierbaren Steuerung und frequenzgeregelten Antrieben mit einer Leistung von 30 kW realisiert. Tabelle 1: Technische Daten der Schachtförderanlagen im Schacht Sedrun I für die Ausbruchphase Bezeichnung Art der Förderung Förderkapazität Fördermittel Art der Führung im Schacht Förderhöhe Nutzlast Hauptseilfahrtanlage Mittlere Seilfahrtanlage 4-Seil-Koepe Eintrommel täglich 6.350 t + 50 Material einheiten + 960 Personen 18 Personen/Zug zweietagiger-Großkorb + Gegengewicht zweietagiger Korb Seilführung Schienenführung 795 m 795 m 50,8 t 1,6 t 18 m/s (Material); 12 m/s (Seilfahrt) 4 m/s KW / 4800 / D SDW / 3000 / G 4,8 m 3,0 m Motorleistung 4.176 kW 270 kW Seilbetriebslast 1.140 kN 60 kN Anzahl der Seile 4 1 Fördergeschwindigkeit Maschinentyp Treibscheiben-/ Trommeldurchmesser Seildurchmesser 52 mm 28 mm Seilbruchlast 4 x 1.980 kN 570 kN Bremsentyp Scheibenbremse, 2 Scheiben Scheibenbremse,1 Scheibe 4 1 Anzahl und Typ der Bremszangen 10 BE 100 3 BE 100 Bremsensteuerung SB1 ST1 SB verzögerungsgeregelt Restdruckbremse Anzahl Bremsständer Art der Sicherheitsbremse Bild 4: 4-Seil-Koepe-Fördermaschine 4.800 mm mit Direktantrieb Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Tunnelbau 30 Bild 5: Beschickungseinrichtung zur Be- und Entladung des Förderkorbs mit kontrolliert geführten Förderwagen Der Großkorb wurde an beiden Anschlägen mittels einer Korbhaltevorrichtung auf Sohlenniveau in Position gehalten, sodass die Beladung des Korbs horizontal erfolgen konnte und keine Schwingbühnen zum Ausgleich der Seillängungen erforderlich waren. Nach dem Be- oder Entladen wurde über die Steuerung der Korbhaltevorrichtung die Last in die Seile übergeben. [1] 4.2.3 Seillastmess- und Bremseinrichtungen Die Schachtförderanlagen des Loses 356 wurden nach den Sicherheitsvorschriften der deutschen TAS und der BVOS sowie den geltenden Schweizer Vorschriften und im Hinblick auf die Sicherstellung der Förderleistung und Verfügbarkeit ausgelegt. Wie für moderne und sichere Schachtförderanlagen üblich, wurden folgende dem Stand der Technik entsprechende Sicherheitseinrichtungen installiert: ▶▶ Seillastmesseinrichtungen (SME) ▶▶ Siemag Tecberg Safety Arrestor (SSA) Die Oberseil-Zwischengeschirre des Typs ST 320 am Großkorb waren mit Klemmkauschen und hydrauli- schen Versteckvorrichtungen sowie mit einer integrierten elektronischen Seillastmesseinrichtung SME ausgerüstet. Die Verstecklänge des Geschirrs betrug 600 mm. Die Seillastmesseinrichtung SME wurde für die kontinuierliche Überwachung der Seillasten bei Mehrseilanlagen entwickelt. Für jedes Seil war jeweils eine Kraftmessdose vorgesehen, die vor mechanischen Beschädigungen geschützt im Oberseil-Zwischengeschirr des Großkorbs integriert war. Mit einer SME können genaue und zuverlässige Lastmessungen durchgeführt und ausgewertet werden. In den Übertreibwegen des Großkorbs und Gegengewichts im Schachtkopf sowie im Schachtsumpf waren SSA-Übertreibabbremseinrichtungen eingebaut, die bei unkontrolliertem Überfahren der Schachtendpunkte den Großkorb und das Gegengewicht sicher und kontrolliert abzubremsen vermochten. Aus Platzgründen wurden für das Gegengewicht die SSA-Bremseinrichtungen in die Vierkant-Hohlprofile der Spurlatten eingebaut. Über Fanghaken konnte das Gegengewicht aufgenommen und sicher abgebremst werden. Die SSA funktioniert über Umwandlung von kinetischer und Bild 6: Prinzipieller Aufbau der SSA-Bremseinrichtung GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase Tunnelbau 31 potenzieller Energie in Verformungsenergie und Wärme. Der prinzipielle Aufbau der SSA-Bremseinrichtung ist im Bild 6 dargestellt. Sie besteht in der Regel aus einem Bremsrahmen mit Rollenboxen, welche an Flachstahlbändern (Bremsbänder) geführt werden. Die Bremsbänder sind fest im Schacht verlagert. Beim Übertreiben prallt das Fördermittel (1) auf den Bremsrahmen (4) und die Bremsbänder (3) werden durch die Rollenboxen (2) in linearer Richtung plastisch verformt. Als Endanschlag am Fahrwegende befinden sich die Prellträger (5). Die Bremskraft wird durch die wechelseitige Kaltumformung der Flächstähle erzeugt und führt zu einer kontrollierten Verzögerung des Fördermittels. Da die SSA-Bremseinrichtung relativ genau berechnet werden kann, kommt es im Ereignisfall nicht zur Überlastung der dafür ausgelegten Bauteile. [1, 2, 3] 4.3 Mittlere Seilfahrtanlage Die Mittlere Seilfahrtanlage bestand aus einem schienengeführten zweietagigen Förderkorb, der maximal 18 Personen bzw. 1,6 t Nutzlast aufnehmen konnte. Die Führung des Förderkorbs im Schacht erfolgte über gefederte Führungsrollen. Der EinseiltrommelFörderhaspel (Bild 7) wurde mit einem Fördermotor mit einer Leistung von 270 kW indirekt über ein Kegelstirnradgetriebe mit einer maximalen Fördergeschwindigkeit von 4 m/s betrieben. Die Trommel mit einem Durchmesser von 3 m verfügte über eine Bremsscheibe. Eine hydraulische Scheibenbremseinrichtung Bauart ST1 SB bremste im Sicherheitsbremsfall das Fördermittel mit konstanter Bremskraft sicher bis zum Stillstand. [1] Bild 7: Einseiltrommel-Förderhaspel der mittleren Seilfahrtanlage Tabelle 2: Technische Daten der mobilen Schachtwinde Seilkapazität 4.4 Mobile Schachtwinde Seilbetriebslast Das Sicherheitskonzept für den Zwischenangriff Sedrun sah eine unabhängige mobile Schachtwinde (Bild 8 (a+b)) zur Rettung von Personen an den beiden Schächten Sedrun beispielsweise für einen Ausfall der Spannungsversorgung der Förderanlagen vor, sodass in in derartigen Fällen die mobile Schachtwinde an der dafür vorgesehenen Position am jeweiligen Arbeitsradius 885 m 5t 7,2 bis 9,7 m Maximale Auslegehöhe 12,2 m Schwenkbereich 360 ° Seildurchmesser 22 mm Maximale Seilgeschwindigkeit 1 m/s Trommeldurchmesser 1.200 mm Bilder 8 a und b: Mobile Schachtwinde a Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase b GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Tunnelbau 32 Bild 9: Mobile Friktionswinde mit Umlenkrollenbock Schacht aufgestellt und fixiert werden konnte. Für die Personenrettung standen zwei unterschiedlich große Rettungskörbe zur Verfügung. Im Einsatzfall konnte ein Rettungskorb an der Rundseilkausche der mobilen Schachtwinde angeschlagen werden. Zur Personenrettung konnte der Rettungskorb mithilfe des verdrehbaren und teleskopierbaren Auslegers über den Schacht geschwenkt und in diesen herabgelassen worden. Die technischen Daten der mobilen Schachtwinde sind in der Tabelle 2 zusammengefasst. Alle Arbeitsfunktionen werden hydraulisch angetrieben. Die Energieversorgung erfolgt über ein Kabel oder alternativ über ein fest auf der Winde installiertes Dieselaggregat. Die maximale Seillast beträgt 5 t. Die Geschwindigkeit ist im Bereich von 0 bis 1,0 m/s stufenlos einstellbar. Ein Kabel im Förderseil ermöglicht die Kommunika tion zwischen dem Windenfahrer und der Besatzung im Rettungskorb. Die Winde ist auf einem vierachsigen Lkw montiert und entspricht den Bergbauvorschriften mit bergamtlicher Zulassung. [1, 4] 4.5 Betrieb der Schachtförderanlagen in der Rohbauphase und Hilfseinrichtungen für den Seilwechsel Die vollautomatische Großkorbförderanlage musste von September 2002 bis August 2012 im 3-Schichtbetrieb, an sieben Tagen pro Woche und 340 Tagen im Jahr dem Tunnelbauunternehmen ARGE TranscoSedrun für seine Personenbeförderung und Materialtransporte zur Verfügung stehen. Die Siemag Tecberg GmbH war als Betreiberin verpflichtet, jederzeit die maximale Förderleistung von 6.350 t Berge/d zuzüglich Tabelle 3: Technische Daten der mobilen Friktionswinde Trommeldurchmesser Zugkraft Geschwindigkeit GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net 1.200 mm 700 kN 0 bis 0,2 m/s 50 Materialeinheiten fördern zu können. Bis zu 650 m³ Betonkies/d wurden für den Innenausbau der Tunnelröhren verbraucht. Die Hauptaufgabe bestand also darin, einen störungsfreien Betrieb der Schachtförderanlagen zu gewährleisten. Das erforderte gezielte Maßnahmen, wie planmäßige Wartungen oder vorbeugende Ersatzmaßnahmen bei Verschleißteilen mit entsprechender Ersatzteilhaltung. Um ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten, wurden alle verfügbaren sicherheitsrelevanten Einrichtungen in die Schachtförderanlagen im Schacht I eingebaut. Darüber hinaus wurden während des 3-Schichtbetriebs alle bergrechtlich vorgeschriebenen Revisionen der Anlagenteile vom Betriebspersonal durchgeführt. Unterstützt wurde das Personal vor Ort bei Bedarf durch Mitarbeiter der Service- und Montageabteilung des Hauptsitzes in Deutschland. Die kaufmännische Betreuung des Betreibers der Betriebsstätte erfolgte ebenfalls von dort aus. Der Seilwechsel ist eine höchst sicherheitsrelevante und durch die deutschen Sicherheitsstandards TAS und BVOS vorgeschriebene Maßnahme. Seile müssen an den Schachtförderanlagen täglich visuell durch das Betriebspersonal überprüft werden. Durch mindestens jährlich stattfindende magnetinduktive Seilprüfungen durch Sachverständige wird der Zeitpunkt eines notwendigen Seilwechsels festgestellt. Zu den typischen Seilwechseleinsätzen zählt das Wechseln der Förderseile, Unterseile und der zugehörigen Seilgeschirre. An der Großkorbförderanlage im Schacht I erfolgte der Seilwechsel in der Regel alle drei Jahre. Die Mitarbeiter von Siemag Tecberg führten mit ihrem Know-how als Spezialisten für Schachtfördereinsätze für die Schachtförtechnik die Seilwechsel deranlagen in Sedrun selber durch. Um kostspielige Betriebsunterbrechungen zu minimieren, wurden geeignete Hilfseinrichtungen aus eigener Konstruktion genutzt. Das notwendige Equipment wurde an den dafür vorgesehenen Stellen aufgebaut. In Sedrun wurden für den Seilwechsel folgende Einrichtungen aufgebaut: ▶▶ Mobile Friktionswinde, ▶▶ Klemm- und Hubvorrichtung ▶▶ Wickelhäspel mit leeren Seiltrommeln ▷▷ zum Aufspulen der alten Seile ▷▷ zum Einhängen neuer Seile ▶▶ Vertikale Umlenkscheiben am Schacht ▶▶ Horizontale Umlenkscheiben am Einlauf der Frik tionswinde. Mit der im Bild 9 dargestellten mobilen Mehrseil-Friktionswinde konnten alle vier Seile gleichzeitig in den Schacht eingezogen und im Umkehrbetrieb herausgezogen werden. Die Fahrwerke der Friktionswinde sind hydraulisch absenkbar, sodass selbige auf den vorgesehenen Fundamenten abgesetzt und verankert werden konnte. Die Tabelle 3 enthält die technischen Daten der mobilen Friktionswinde. Die im Bild 10 dargestellte Klemm- und Hubvorrichtung war auf der Prellträgerbühne unterhalb der Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase Tunnelbau 33 Tabelle 4: Technische Daten der Klemm- und Hubvorrichtung Hubkraft 1.000 kN Hub 1.200 mm Seilscheibenbühne fest installiert und konnte im Bedarfsfall von der Parkposition in die Arbeitsposition zwischen die Förderseile gefahren werden. Mithilfe der Klemm- und Hubvorrichtung konnten gleichzeitig alle vier Förderseile geklemmt und die Gesamtlast eines Fördertrums angehoben oder abgesenkt werden. Neben dem Einsatz beim Seilwechsel kann mit der Klemm- und Hubvorrichtung auch Schlaffseil zum Seilkürzen und für das Wechseln der Fördermittel erzeugt werden. Die Tabelle 4 enthält die technischen Daten der Klemm- und Hubvorrichtung. Mithilfe der mobilen Friktionswinde und der Klemm- und Hubvorrichtung konnten die komplizierten und gefährlichen Arbeiten am Schacht I in Sedrun sicher durchgeführt werden. Das schachterfahrene Personal der Betreiberin führte die Seilwechsel der 4-SeilKoepe-Fördermaschine in ca. sechs Schichten durch. Es galt außerdem zu beachten, dass die neuen Förderseile zu Beginn des Förderbetriebs langsam eingefahren wurden. [1, 5, 6, 7, 8, 9] 5 Tunnelklimatisierung im Teilabschnitt Faido An die Tunnelklimatisierung werden die gleichen Anforderungen wie an Schachtförderanlagen gestellt. Höchste Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Betriebssicherheit muss gewährleistet sein, um Wartungs- und Instandhaltungskosten auf ein Minimum zu reduzieren und um Stillstands- und Produktionsausfallkosten möglichst zu vermeiden. Wegen der Gebirgswärme und der Abwärme von Maschinen war eine Kühlung erforderlich, um die schwül-heißen Arbeitsbedingungen unter Tage zu verbessern. Für untertägige Arbeiten sind von der SUVA (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) klare Vorgaben an den Arbeitsplatz formuliert, um Hitzekrankheiten bei achtstündiger Schwerstarbeit vorzubeugen. Die Lufttemperatur darf aus diesen Gründen in den Bereichen der Hauptarbeitsstellen nicht höher als 28 °C Trockentemperatur (bei 100 % Luftfeuchtigkeit) betragen [1]. Für die Kühlung im Tunnelabschnitt Faido wurde im Jahr 2002 ein Dreikammerrohraufgeber geliefert. Der Dreikammerrohraufgeber ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Primärkreislauf der Kaltwassererzeugung und dem Sekundärkreislauf mit der Weiterleitung des Kaltwassers zu den Wetterkühlern. Als Drucktauscher schleust er das Hochdruckwasser in den Niederdruckbereich und übernimmt das Niedrigdruckwasser in den Hochdruckbereich. Mit einem Durchsatz von 800 m³/h kann eine Kälteleistung von bis zu 13 MW ausgetauscht werden. Bei herkömmlichen Hochdruck-Niederdruck-Wärmetauschern entsteht ein Temperaturverlust von rund 4 °K. Alternativ Bild 10: Klemm und Hubvorrichtung dazu kann ein im Betrieb effizienterer Dreikammerrohraufgeber eingesetzt werden. Bei diesem resultiert lediglich ein Temperaturverlust von kleiner 0,5 °K. Dies wirkt sich auf das gesamte restliche System (Pumpen, Leitungsdurchmesser, Wärmetauscher, Wassermengen, etc.) positiv aus [nach 1, jedoch mit von Siemag Tecberg korrigierten IST-Angaben]. Die thermischen und energetischen Vorteile des Dreikammerrohraufgebers ermöglichten einen wirtschaftlichen Einsatz bei der temporären Tunnelklimatisierung in Faido. Im Jahr 2008 wurde aufgrund eines erhöhten Kühlungsbedarfs im Tunnel – bedingt durch höhere Gebirgstemperaturen als ursprünglich prognostiziert – ein zweiter Dreikammerrohraufgeber in den Kühlkreislauf integriert und im Gesamtsystem als Parallelanlage betrieben. [1, 10, 11] 6 Fazit Teil 1 Der Gotthard-Basistunnel (GBT) selbst wird voraussichtlich ab Dezember 2016 am besten die Frage beantworten: Wie umgeht man das Verkehrshindernis „die Alpen“? Am Zwischenangriff Sedrun betrieb die Siemag Tecberg GmbH, Haiger, Deutschland, eine vollautomatische Schachtförderanlage für den Transport der Berge, des Baumaterials und des Personals während der gesamten Tunnelbauphase. Die Schachtförderanlage im Schacht I war die Hauptschlagader der Tunnelbaustelle. Die Hauptaufgabe bestand darin, einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Zur Ausrüstung der Gesamtanlage gehörten neben der Hauptseilfahrtanlage eine mittlere Seilfahrtanlage für Nebenseilfahrten, Einrichtungen zum Handling der Förderseile und eine mobile Schachtwinde zur Personenrettung. Um ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten, wurden alle sicherheitsrelevanten Einrichtungen aus dem eigenen Lieferpro- Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Tunnelbau 34 gramm in die Schachtförderanlage eingebaut. Für die Siemag Tecberg war insbesondere der eigene Betrieb der Schachtförderanlagen in Sedrun vorteilhaft. Das direkte Feedback des eigenen Betriebspersonals hat zu innovativen Lösungen, Konstruktionsverbesserungen und Weiterentwicklungen der Produkte geführt. Zur Tunnelklimatisierung wurde für die Tunnelvortriebe am Zwischenangriff Faido erst einer, und – bedingt durch höhere als ursprünglich prognostizierte Gebirgstemperaturen – später ein zweiter Dreikammerrohraufgeber beauftragt. Durch eine permanente Überwachung der einzelnen Parameter des Tunnelklimas konnte frühzeitig das Kühlsystem erweitert werden, um jederzeit die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen während des Vortriebs unter Tage sicherstellen zu können. Die mit den Schachtförderanlagen und den leistungsfähigen Bergwerkskühlanlagen gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass der verantwortliche Betrieb solcher Anlagen eine besondere Herausforderung darstellt, da alle Eventualitäten abzudecken sind, um die Förderleistung der Anlagen jeder Zeit sicherzustellen. Höchste Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Be- Autor Dipl.-Ing. Michael Flender, (geb. 1978), Vertriebs-Manager, SIEMAG TECBERG GmbH, war von 2011 bis zur Inbetriebnahme im Jahr 2014 verantwortlicher Projektleiter für die Umrüstung der mechanischen Komponenten der Schachtförderanlagen Sedrun. Kontakt [email protected] Tel.: +49 2773 9161 308 Über Siemag Tecberg GmbH Die Siemag Tecberg GmbH mit Hauptsitz in Haiger, Deutschland, und weltweit ca. 400 Beschäftigten ist seit 1871 im Bergbauzuliefergeschäft tätig. Sie ist eine international tätige Systemanbieterin im Maschinen- und Anlagenbau der Schacht-, Schräg- und Schwerlastfördertechnik, der Endlagertechnik sowie der Untertage- und Tunnelkühlung für die Bergbau-, Energie- und Infrastrukturindustrie. www.siemag-tecberg.com GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net triebssicherheit muss jederzeit gewährleistet sein, um Wartungs- und Instandhaltungskosten auf ein Minimum zu reduzieren und um Stillstands- und Produktionsausfallkosten sowie Behinderungskosten möglichst zu vermeiden. Im nächsten Teil dieses Artikels wird ein Überblick über den Endausbau des Zwischenangriffs Sedrun, die Demontage und Umrüstung der Schächte und die Funktionen der neu gelieferten Hebeeinrichtungen Los D für die Betriebsphase des GBT gegeben. Literatur [1] J. Fuhrmann: Hochleistungsförderanlage GotthardBasistunnel. Siemag Tecberg, internes Papier, 2007 [2] Seillast-Messeinrichtung SME. Technische Information, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/ technische-informationen/) (2015) [3] Sicherheits-Bremseinrichtung (SSA). Technische Infor mation, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/ technische-informationen/)(2015) [4] Mobile Schachtwinde für Befahrungs-, Hilfsfahrund Notfahranlage. Technische Information, Siemag Tec berg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http:// www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015) [5] Betrieb eigener Schachtförderanlage. Technische Infor mation, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015) [6] Der Gotthard-Basistunnel, Sedrun 2011. Infobroschüre, AlpTransit Gotthard AG, 11/2011 [7] Mobile Friktionswinde. Palabora Mining Company, Phalaborwa, Südafrika. Technische Information, Sie mag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http:// www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015) [8] Klemm- und Hubvorrichtungen. Technische Informa tion, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http://www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015) [9] H. Sunderhaus: Seilwechsel an der Siemag M-Tec²Schacht förderanlage am Gotthard-Basistunnel, Schweiz, News Siemag M-Tec², 2009 [10] P. Zbinden; A. Sala; Dr. Busslinger: Probleme der Kli matisierung bei Vortrieb und Betrieb von Tunneln mit hoher Überdeckung: Lösungskonzepte für den Gott hard-Basistunnel. IUT`02. Erschienen in : Tunnel, Heft 06/2002, Bauverlag BV GmbH, Gütersloh. (2002) [11] Bergwerkskühlung. Technische Information, Siemag Tecberg, (zuletzt abgerufen: 12.05.2015, http:// www.siemag-tecberg.de/infocenter/technischeinformationen/)(2015) Flender: Gotthard-Basistunnel: Die Schachtförderanlagen von Sedrun – Teil 1: Rohbauphase Bergbau und Tunnelbau 35 Auswirkungen des Erdbebens vom 17. Mai 2014 in Nieder-Beerbach (Hessen) und Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Dr.-Ing. habil. Dipl.-Geol. Bernd Müller, Geschäftsführer Dipl.-Geol. Benjamin Litschko, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dipl.-Geoph. Uwe Pippig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, alle drei: Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller – Movement and Blasting Consulting, Leipzig, Deutschland Am 17.05.2014 ereignete sich unmittelbar unter der Ortslage von Nieder-Beerbach, Südhessen, ein Erdbeben der Stärke 4,2 (nach EMS98 VI bis VII). Dabei wurden mehr als 125 Gebäude und Bauwerke beschädigt. Die entstandenen dynamischen Schäden wurden an ausgewählten Bauten systematisch erfasst und kinematisch bewertet. Schwinggeschwindigkeitsmessungen während des Erdbebens gestatten eine Bewertung des Ausmaßes der Erschütterungen und werden mit Sprengerschütterungsimmissionen des GabbroTagebaus von Nieder-Beerbach verglichen. Die Beurteilung und Zuordnung von entstandenen Bauwerksschäden zu den ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten gestatten in Verbindung mit genauen festigkeitsmechanisch-dynamischen Untersuchungen von Gesteinen und Baustoffen die Festlegung von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten sowie Bruchdehnungen. Aus diesen vielfältigen Ergebnissen werden zuverlässige, physikalisch eindeutig begründbare Anhaltswerte von Schwinggeschwindigkeiten und Dehnungen für das Bauwesen abgeleitet. Erdbeben • Sprengtechnik • Erschütterungen • Bergbau • Tunnelbau • Geotechnik 1 Veranlassung und Zielstellung Am 17.05.2014 ereignete sich um die Ortschaften OberRamstadt/Modau, südlich Darmstadts, Südhessen, zur Anmerkung der Verfasser: Das nächstliegende Wohnhaus im Umfeld des Natursteintagebaues Nieder-Beerbach liegt mehr als 320 m entfernt. Von der zuständigen Aufsichts- und Genehmigungsbehörde des RP Darmstadt werden bei Annäherung < 450 m im Tagebau die Lademengen pro Zündzeitstufe auf 37,5 kg begrenzt, um die Schwinggeschwindigkeit im Niveau ≤ 3 mm/s im Fundament des Gebäudes einzuhalten. Durch Forschungsarbeiten konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass die Lademenge pro Zündzeitstufe nicht für die Herdzeit 16:46:26 Uhr ein Erdbeben der Magnitude 4,2 mit einer Herdtiefe von 5 bis 8 km [17]. In diesem Zusammenhang entstanden insbesondere in der Ortslage von Nieder-Beerbach dynamisch bedingte Schäden an über 125 Bauwerken und Gebäuden. Weitere, aber weitaus geringere 17 Schadensbildungen wurden aus den Ortsteilen Trautheim, Waschenbach und Nieder-Ramstadt nördlich von Nieder-Beerbach gemeldet. Die Hartsteinwerke Thomas GmbH & Co. KG, Waschenbach, betreiben nordöstlich zwei GabbroTagebaue zwecks Herstellung von gebrochenen, schweren Zuschlagstoffen. Das erforderliche Haufwerk wird mittels Bohr- und Sprengtechnik aus dem Festgebirge gelöst. Zur Überwachung der Sprengerschütterungsimmissionen sind zwei Dauermessstellen jeweils in der nördlichen Ortslage von Frankenhausen und NiederBeerbach installiert. Anlässlich des mehrere Sekunden andauernden Erdbebens wurden an den Messstellen Schwinggeschwindigkeiten mit den dazugehörigen Frequenzen aufgezeichnet. Da die sprengtechnische Betreuung durch das Geotechnische Sachverständigenbüro Dr. Müller erfolgte, wurden diesem freundlicherweise von dem übergeordneten Leitbetrieb Mitteldeutsche Hartstein-Industrie GmbH, Hanau, vertreten durch den technischen Leiter, Herrn Dipl.-Ing. B. Sc. C. Lüdiger, die Schwinggeschwindigkeitsmessungen des 17.05.2014 zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Einerseits auf Grundlage dieser Messungen und andererseits durch die abgeschlossenen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Sprengtechnik sowie Erschütterungsprognose u. a. im Gabbro-Tagebau von Nieder-Beerbach boten sich angesichts der verbreitet Erschütterungsprognose geeignet ist. Tatsächlich maßgebend sind die Lademenge eines Bohrlochs und der eingesetzte Sprengstoff [11, 12, 13]. Während des Erdbebens wurde im gleichen Gebäude eine Schwinggeschwindigkeit von 104,77 mm/s bei 7 Hz gemessen. Am historischen Mühlengebäude wurden keine Schäden festgestellt. Sind derartig strenge und der sprengtechnischen Praxis fern liegende behördliche Forderungen nach den neuesten Erkenntnissen hinzunehmen? Der beiliegende Bericht wird darauf eine klare Antwort geben. Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Die vorhandenen Normen sind im Interesse der praktischen, sprengtechnischen Tätigkeit zwingend den neuen, objektiven Erkenntnissen anzupassen. (Anm. d. Red.: Der Beitrag wurde bereits in der Spreng-Info, der Zeitschrift des Deutschen Sprengverbands H3/2014 veröffentlicht. Für die GeoResources Zeitschrift wurde er leicht überarbeitet. Die in dem Beitrag beschriebenen Ergebnisse sind nach Einschätzung der Redaktion auch für die Leserschaft der GeoResources sehr interessant und nützlich.) GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 36 aufgetretenen, erdbebenbedingten Bauwerksschäden folgende Zielstellungen für eine Bearbeitung an: ▶▶ Systematische Erfassung der wichtigsten, geschädigten Gebäude und Bauten mit einer digitalen Kamera, gelegentliche Aufnahmen von Thermogrammen mit einer Infrarotkamera sowie die zeichnerische Kennzeichnung zwecks kinematischer Beurteilung der dynamischen Einwirkungen ▶▶ Auswertung und Interpretation der durch das Erdbeben ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten unter Beachtung der regionalen tektonischen Situation einschließlich der lokalen Kinematik der beobachteten Bauwerksschäden in Nieder-Beerbach ▶▶ Bewertung der Bauwerksschäden hinsichtlich der möglichen Kinematik und Intensität der Riss- und Bruchbildungen ▶▶ Gesteins- und baustofftechnische Untersuchungen aus dem Archiv des Geotechnischen Sachverständigenbüros Dr. Müller mit neueren Ergänzungen zu den wichtigsten Baustoffen zwecks Ableitung von Bruchdehnungs- sowie Zugfestigkeitswerten ▶▶ Vergleich der Schwinggeschwindigkeits- und Dehnungsmessungen zur möglichen Ableitung von Bruchdehnungs- sowie Schwinggeschwindigkeitsgrenzen mit Bruchbildung an Baustoffen ▶▶ Unterschiede von anthropogenen Sprengungen und geogenen Erdbeben hinsichtlich ihrer Schadenswirkung bis zum Stärkegrad VII der EMS-98 mit der Bild 1: Vereinfachte geologische Übersichtskarte des Oberrheingrabens und kristallinen Odenwalds [verändert nach 8] Ableitung von objektiven Anhalts- und Grenzwerten für eine Erschütterungsprognose bzw. zur Beurteilung wirklicher, dynamisch bedingter Gebäudeschäden Die Analysen, Bewertungen und Untersuchungen durch das Geotechnische Sachverständigenbüro Dr. Müller wurden in Eigeninitiative vorgenommen, um möglichst eine bestehende Lücke zwischen der beginnenden Schadensentwicklung grenzwertiger dynamischer Belastungen und den tatsächlich, realistisch zulässigen Anhaltswerten bei Erschütterungseinwirkung auf Bauwerke und Gebäude objektiv zu schließen. Die empirischen Festlegungen der Anhaltswerte in der DIN 4150 sollen dabei eine kritische Beurteilung erfahren. 2 Auswertung des Erdbebenereignisses vom 17. 05. 2014 2.1 Lage des Gebiets um Nieder-Beerbach Nieder-Beerbach breitet sich im romantischen Tal des Beerbachs um N-S bis NNE auf einer Fläche von etwa 8,3 km² aus. Die Höhenlage schwankt zwischen 220 und 245 m ü. N. N. Die erste urkundliche Erwähnung geht auf das 14. Jahrhundert zurück und wird im Jahr 1318 als „Berbach“ urkundlich belegt. Im waldhufenartigen Straßendorf wohnen etwa 2.200 Einwohner. Die L 3098 verbindet den Ort mit Nieder-Ramstadt zur B 426 im Norden und Reichenbach zur B 47 im Süden. Der Ortsteil Nieder-Beerbach gehört zur Gemeinde Mühltal (Hessen) im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Landschaftlich befindet sich der Ort im nördlichen Teil des kristallinen Odenwaldes unmittelbar östlich der bekannten Burg Frankenstein. Nordöstlich wird das hochwertige Tiefengestein Gabbro in zwei Tagebauen der Hartsteinwerke Thomas GmbH & Co. KG Waschenbach zur Herstellung gebrochener Zuschlagstoffe abgebaut. Die Umgebung Nieder-Beerbachs wird von ausgedehnten Waldflächen mit hohem Erholungswert entlang der 310 bis 427 m hohen Bergrücken bedeckt. Darmstadt liegt etwa 8 km nördlich der Ortslage Nieder-Beerbach. 2.2 Geologisch-tektonische Verhältnisse Für die geologische Kennzeichnung des Gebiets um Nieder-Beerbach ist regionalgeologisch sowohl der kristalline Odenwald als auch der Oberrheingraben maßgebend. An der östlichen Grabenschulter des Oberrheingrabens tritt zwischen Darmstadt und Heidelberg das variszische, kristalline Grundgebirge des Odenwaldes zutage (Bild 1). Im westlichen Teil, welcher Bergsträsser Odenwald genannt wird, befindet sich Nieder-Beerbach. Die kristallinen Gesteine des Bergsträsser Odenwaldes verschwinden im Norden unter das Rotliegende des Sprendlinger Horstes. Im Süden und Osten wird das Grundgebirge von mächtigen Sedimentgesteinen des GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 37 Buntsandsteins diskordant überlagert. Nach Westen begrenzen ausgedehnte Tiefenbrüche um NNE-SSW streichend den Rand des Oberrheingrabens, die als Gebirgsabbrüche morphologisch deutlich in Erscheinung treten. Das Kristallin des Bergsträsser Odenwaldes wird von schmalen, oft zerteilten Zügen von Metamorphiten gekennzeichnet, in die ausgedehnte Tiefengesteinskomplexe bestehend aus Gabbros, Dioriten und Graniten intrudiert sind. Um Nieder-Beerbach verlaufen die metamorphen Komplexe NE-SW und setzen sich von NW nach SE wie folgt zusammen: ▶▶ Südöstlich Darmstadt: Schiefergneise, Amphibolite, Kalksilikatgesteine. ▶▶ Frankensteiner Gabbro-Massiv: Amphibolite. ▶▶ Schieferzug Bensheim-Groß Bieberau: Amphibolite, Schiefergneise, Kalksilikatgesteine, Marmore. Im Anschluss an die amphibolitfazielle Regionalmetamorphose drangen bei Nieder-Beerbach die Gabbros und Diorite des Frankenstein-Plutons zwischen die metamorphen Züge, die letztlich Gegenstand der Natursteingewinnung in den bestehenden Tagebauen sind. Die jüngste magmatische Tätigkeit erfolgte im Perm mit der effusiven Folge von Rhyolithen und Ignimbriten. Die Heraushebung des Odenwaldes insbesondere gegen den Oberrheingraben erfolgte vor allem im Pliozän. Die bruchtektonische Bildung des Oberrheingrabens bis in Tiefen von mehr als 3.000 m verdeutlicht gleichzeitig die aktiven, tektonischen Störungszonen an dessen Rändern im Odenwald (Bild 1). Parallel zum Grabenbruch bildeten sich im kristallinen Odenwald Bruchzonen aus, die bis heute aktiv sind. Eine solche regionale Störungszone verläuft durch das BeerbachTal und trennt einen westlichen metamorphen Gesteinszug vom massiven Gabbro-Komplex, der bis in große Tiefen reicht (Bild 1). Derartige Störungen können bei einem Erdbeben aktiv werden. Im jüngeren Tertiär bis heute änderte sich das für die Grabenbildung erforderliche regionale tektonische Spannungsfeld. Die Hauptspannung ist seither NW-SE ausgerichtet. Diese krustale Belastung löste eine Reaktivierung von NNESSW streichenden Störungszonen aus, von denen eine um Nieder-Beerbach anzutreffen ist. Diese Reaktivierung geschieht insbesondere im Zusammenhang mit der Erdbebentätigkeit, wobei eine erwartete relative Verschiebung der Ostscholle nach NNE und der Westscholle nach SSW stattfindet (Bild 1). Die Verschiebungen entlang von Bruchstörungen strahlen seismische Energie an die Umwelt ab und erklären das Erdbeben vom 17.05.2014 (Bild 4). 2.3 Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen und die Verteilung der Einwirkungen des Erdbebens um Nieder-Beerbach Im tektonischen Strukturbild Westeuropas bildet der Oberrheingraben einen Abschnitt einer von der Nord- see bis zum Mittelmeer reichenden, absetzenden und sich verzweigenden, gegenwärtig noch aktiven Bruchzone, die zwischen Basel und Frankfurt am Main durch Erdbeben mit geringeren bis mittleren Stärkegraden markiert wird. Das Ausmaß der Einsenkung des Grabens erreicht gegenüber seinen heutigen Grabenschultern bis zu 4.500 m (Bild 1). Die tektonischen Bewegungen der Grabenstruktur halten bis heute an, sodass mit den Vertikal- und Horizontalbewegungen eine seismische Aktivität verbunden ist. Die Ortslage von Nieder-Beerbach befindet sich in der Erdbebenzone 1 [4]. Die Erdbebenzone 1 umfasst Gebiete, denen gemäß der EMS-98 das zugrundegelegte Gefährdungsniveau dem Intensitäts- bzw. Stärkegradsintervall von 6,5 bis < 7,0 zugeordnet wird (Tabelle 1). Der zugehörige Bemessungswert der Bodenbeschleunigung beträgt in dieser Erdbebenzone bis ag = 0,4 m/s². Die Gefährdung innerhalb der Erdbebenzone wird als einheitlich angenommen. Veränderungen ergeben sich durch unterschiedliche geologische Untergrundbedingungen bzw. die jeweiligen Baugrundverhältnisse am Standort von Gebäuden oder Bauwerken [4]. Nach der DIN 4149 gehört das Gebiet zur geologischen Untergrundklasse R und der Baugrund für die Bereiche mit einer Schädigung der Gebäude zur Baugrundklasse C [4]. Zum besseren Verständnis, aus welchen Locker- und Festgesteinen die genannten Klassen zusammengesetzt sind, wurde im Bild 18 und in der Tabelle 2 ein Vorschlag auf der Grundlage der zahlreichen, vorliegenden Messungen der akustischen Impedanz (P-Welle, Primärwelle) und des dynamischen E-Moduls zur Quantifizierung der geologischen Untergrund- bzw. Baugrundklasse sowie des mechanischen Verhaltens der Gesteine abgeleitet [nach 10]. Für die zerstörende Wirkung eines Erdbebens oder einer anderen dynamischen Belastung und das Entstehen bzw. Ausmaß von Zug- und Scherbrüchen sind insbesondere die Elastizitäten des Untergrunds und der Baustoffe des Bauwerks maßgebend. Reagiert das Medium nur noch plastisch, kann sich keine Scherwelle aufbauen, und es kommt zu anderen Effekten, die schlimmstenfalls eine Verflüssigung oder Fließbewegung des Untergrunds auslösen (Bild 18). Alle vom Erdbeben geschädigten Gebäude und Bauwerke in Nieder-Beerbach sind nach Recherchen der Autoren auf bindigem, brauchbar tragfähigem Baugrund gegründet, sodass die Tragfähigkeitsbedingungen durchaus vergleichbar sind. Allerdings ist ein Großteil der Wohn- und Geschäftshäuser in Hanglage errichtet worden, bei der sich bei nicht sachgemäßer Gründung ein bauwerksschädigendes, ungleichmäßiges Setzungsverhalten ergeben kann. Weitere, ungleichmäßige Reaktionen der Gebäude bei dynamischer Belastung können unter anderem durch folgende Gegebenheiten entstehen: ▶▶ Alterung und Ermüdungserscheinungen von Baustoffen bei älteren Bauten ▶▶ Verwendung sehr verschiedenartiger Baustoffe beim Umbau, Ausbau oder bei der Aufstockung Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 38 Tabelle 1: Europäische Makroseismische Skala (EMS 98), verändert nach [3, 9, 17]; rot markiert = Erdbeben 17.05.2014 in Nieder Beerbach Stärke grad Durchschnittliche Spitzenge schwindigkeit [mm/s] Durchschnittliche Spitzenbe schleunigung (g= 980 cm/s²) Wirkung - Beschreibung Kurzbezeichnung Schäden an Bauwerken/Gebäuden sonstige Vorgänge ohne nur durch Messgeräte nachweisbar I <1 < 0,001 - nicht fühlbar (nur von Wenigen unter günstigen Umständen fühlbar) (unmerklich) II 1-5 0,001 - 0,002 - kaum bemerkbar (in oberen Stockwerken von hohen Gebäuden) (sehr leicht) ohne - III 6 - 10 0,002 - 0,005 - schwach besonders in oberen Stockwerken (leicht) ohne stehende Autos und hängende Objekte schwingen leicht 0,005 - 0,01 - deutlich in Gebäuden von vielen, außerhalb tagsüber von einigen Personen wahrgenommen; einige Schlafende erwachen ohne Teller, Fenster und Türen klirren, zittern; Wände knarren, stehende Autos schwingen sichtbar 0,01 - 0,02 - stark fast jeder spürt, viele Schlafende erwachen zersetzter Putz fällt teilweise ab Geschirr und Fensterscheiben können zerspringen, instabile Objekte fallen um, Pendeluhren können anhalten; Bäume, Masten schwanken, Fenster und Türen können aufgehen 0,02 - 0,05 - leichte Gebäudeschäden von allen verspürt; viele Menschen verängstigen, laufen nach draußen leichte Rissbildung und Abfallen von Putz, beschädigte Schornsteine gehen wird schwierig, schwere Möbel bewegen sich; Gegenstände fallen von Regalen, Bilder von Wänden; Bäume schwanken - Gebäudeschäden alle laufen aus den Gebäuden; stehen wird schwierig; selbst in fahrenden Autos spürbar leichte bis mäßige Schäden an normgerechten Bauwerken; Gebäude mit unzureichender Bauweise, gealterte oder mit fehlerhaftem Bauentwurf werden stark beschädigt; geringfügige Schäden an erdbebensicher gebauten Bauwerken; einige Kamine zerbrechen; Dachziegel stürzen ab Schäden an Möbeln; Kirchenglocken schwingen; Rutschungen in empfindlichen Lockergebirgen - schwere Gebäudeschäden teilweise Behinderung; Autofahren wird schwierig größere bis beträchtliche Schäden an normgerechten Bauwerken bis zum Teileinsturz; teilweise Zerstörung von Ziegelbauten; Mauern, Schornsteine und schlanke Türme stürzen ein; leichte Schäden an erdbebensicheren Bauwerken; größte Schäden an mangelhaft errichteten Gebäuden schwere Möbelstücke stürzen um; Veränderungen im Brunnenwasser; Abbrechen von Ästen, bei wenig tragfähigem Untergrund Risse im geneigten Gelände - zerstörend - große bis zerstörende Schäden an stabilen Gebäuden bis zum Teileinsturz; Häuser werden von den Fundamenten verschoben; Schäden an unterirdischen Rohrleitungen, Talsperren; Beträchtliche Schäden an Gebäuden mit guter Bauweise und -art; selbst gut geplante Tragwerksstrukturen verziehen sich Auslösen größerer Rutschungen; Bodenverschiebungen 7 - 10 cm Bahnschienen werden verbogen, starke Schäden an Dämmen; sehr große Rutschungen werden ausgelöst; Wasser in Seen, Kanälen und Flüssen tritt über die Ufer; Bodenverschiebungen 10 - 30 cm (Bodenaufreissungen) IV V VI VII VIII IX 11 - 25 26 - 50 51 - 100 101 - 250 251 - 500 (501 - 1000) 0,05 - 0,1 0,1 - 0,2 0,2 - 0,5 X (1001 - 2500) 0,5 - 1 - sehr zerstörend - selbst gut ausgeführte Holzrahmenkons truktionen werden teilweise zerstört; die meisten gemauerten Objekte und Tragwerkskonstruktionen werden samt ihrer Fundamente zerstört; Brücken werden teilweise zerstört XI (2501 - 5000) 1-2 - verwüstend - fast alle gemauerten Gebäude stürzen ein; Brücken werden zerstört; Versorgungsleitungen werden vernichtet Bahnschienen werden stark verbogen; große Bodenaufreissungen 30 - 100 cm; Felsstürze und Lockergesteins rutschungen werden ausgelöst totale Zerstörung anthropogener Bausubstanz; Erdbebenwellen werden sichtbar starke Veränderungen an der Erdoberfläche, Zerreissungen > 1 m; größere Felsmassen geraten in Bewegung, Gegenstände werden in die Luft geschleudert XII (> 5000) >2 GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net - vollständig verwüstend - Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 39 ▶▶ Statische Veränderungen durch spätere Auf-, Anund Umbauten von Gebäuden Die mit den Dauermessstationen der Hartsteinwerke Thomas GmbH & Co. KG erfassten Schwinggeschwindigkeiten sind in der Tabelle 3 zusammengefasst und beispielhaft in den Bildern 2 und 3 dokumentiert. Das Erdbeben dauerte nach den Messungen mehr als 10 s an. Die Frequenzen der Schwinggeschwindigkeitskurven des Erdbebens haben im Unterschied zu den Sprengerschütterungen stets Werte < 15 Hz. Die Station Waldmühle zeigte nahezu übereinstimmende horizontale Schwingungsebenen, die auf eine horizontale Verschiebung entlang der vorhandenen NNE - SSW Störungszone hinweisen könnten (Tabelle 3). Neben dieser Störungszone quer durch den Ort Nieder-Beerbach ist für die Bewertung der Erschütterungen des Erdbebens die dynamische Beschaffenheit des Untergrunds beachtenswert. Der im Osten von Nieder-Beerbach verbreitete Gabbro und Diorit des Odenwaldes wurde mit Ultraschallmessungen vielfältig untersucht. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 4 zusammenfassend aufgeführt. Mithilfe der dynamischen Eigenschaften des Gabbros unter dem Ostteil von Nieder-Beerbach und der gemessenen Schwingungskurven wurde in einem aufwendigen Berechnungsverfahren nachgewiesen, dass die Hauptschwingungsrichtungen tatsächlich NNE-SSW gerichtet waren und der Erdbebenherd mit großer Wahrscheinlichkeit > 5 km direkt unterhalb von Nieder-Beerbach gelegen haben müsste. Dafür sprechen insbesondere die festgestellten Bauwerksschäden in der Ortslage von Nieder-Beerbach gegen die wenigen von Nieder-Ramstadt und Trautheim im Norden (Bild 11). Die meisten geschädigten Bauten folgen dabei auffälligerweise etwa dem Einflussbereich der regionalen, tiefreichenden Störungszone. Auf der Grundlage der vorgenannten Messungen und Berechnungsergebnisse sowie unter Beachtung der beobachteten Bauwerksschäden wurde systematisch die Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte von Nieder-Beerbach erarbeitet (Bild 4). Im Ergebnis dieser Auswertung ist eine NNE-SSW Bild 2: Schwinggeschwindigkeitsmessung des Erdbebens vom 17.05.2014 – ppvmax = 104,77 mm/s Fundamentbereich Messstelle Waldmühle nördlich Nieder-Beerbach Tabelle 2: Empfehlung zur Quantifizierung der geologischen Untergrund- und Baugrundklasse nach DIN 4149 [4] (vgl. Bild 18) geologische Untergrundklasse Baugrundklasse mögliches kinematisches Verhalten akustische Impedanz (P-Welle) [106 kg/(m²s)] dynamischer Elastizi tätsmodul [kN/mm²] der Gesteine R A hochelastischer Bereich > 15 > 60 B mäßig elastischer Bereich 12 - 15 30 - 60 8 - 12 C elastoplastischer Bereich Übergangsbereich 2-4 >0-8 plastischer Bereich (Liquefaktion) <2 0 T S noch nicht zugeordnet nicht berücksichtigt Baugrund nicht tragfähig, Gefahr der Verflüssigung Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen 4-8 8 - 30 GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 40 Bild 3: Schwinggeschwindigkeitsmessung des Erdbebens vom 17.05.2014 – ppvmax = 25,114 mm/s Fundamentbereich Messstelle südöstlich von Nieder-Beerbach Tabelle 3: Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen der Station Waldmühle und Frankenhausen (rot = Maxima) vom Erdbeben am 17.05.2014 Schwinggeschwindigkeit ppv (mm/s) Messort Waldmühle Frankenhausen 1) Datum und Zeitanzeige der Messstationen 1) Frequenz f (Hz) horizontale Komponenten vertikale Komponente x y z fx fy fz 17. 05. 2014, 19:02:20 104,77 104,56 23,28 7 6 11 17. 05. 2014, 19:02:22 5,18 15,04 2,36 7 5 5 17. 05. 2014, 19:02:24 2,69 2,30 1,0 4 4 10 17. 05. 2014, 19:02:26 1,52 1,43 0,63 4 6 9 17. 05. 2014, 18:45:58 25,114 20,9092 16,3738 4,88 4,98 6,35 30. 03. 2014, 16:57:22 1,3611 1,4264 0,8163 12,5 17,19 10,35 Die Messstationen sind nicht auf die genaue Uhrzeit eingestellt worden. gestreckte, anisotrope Ausbreitung der Schwinggeschwindigkeiten festzustellen, die flächenhafte, in einer Größenordnung liegende Erschütterungen erkennen lässt. Die 50 mm/s -Isolinie zeigt beispielsweise um den Herd eine maximale Entfernung von 2.825 m an und belegt einen großen Wirkungsbereich des Erdbebens. Die Gebäude von Nieder-Beerbach wurden teilweise ganzheitlich von Schwinggeschwindigkeiten im gleichen hohen Niveau mindestens 2 bis 3 s belastet. Das Erdbeben hat auf einer größeren NNE-SSW geGeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net streckten Fläche entlang einer Tiefenstörung Erschütterungen in bauwerksschädigender Intensität ausgelöst (Bilder 4 und 11). Zum Vergleich wurde in gleicher Art und Weise eine Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte erarbeitet, die anlässlich der Gewinnungssprengung am 05.09.2012 mit 20 t Emulsionssprengstoff im Tagebau Nieder-Beerbach ausgelöst wurden (Bild 4 im NE). Man bemerkt, dass die hohen Schwinggeschwindigkeiten bis 50 mm/s in einem Bereich mit maximal 225 m Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 41 Abstand um die Sprengung entstehen und die abgestrahlten Werte in der Umgebung unter hoher Dämpfung rasch abgebaut werden. In diesem Fall würden theoretisch vorhandene Gebäude nur einseitig und im direkten Umfeld von < 80 m zur Sprenganlage mutmaßlich beschädigt. Infolge der Anisotropie des Gebirges und der Abstrahlrichtung der Sprengung breiten sich die Sprengerschütterungen in einer oval gestreckten Form aus. 3 Auswertung und Einstufung der dynamischen Bauwerksschäden von Nieder-Beerbach nach der Intensität der Bruchbildungen 3.1 Beschreibung einzelner, typischer Bauwerksschäden infolge des Erdbebens Die Ergebnisse der Schwinggeschwindigkeitsmessungen und deren Auswertung im Bild 4 zeigen, dass die Gebäude und Bauwerke von Nieder-Beerbach eine ganzheitliche dynamische Belastung insbesondere in den horizontalen Schwingungsebenen x und y erfahren haben. Diese Schwingungen folgten mutmaßlich einer NNE-SSW bzw. WNW-ESE Richtung (Bild 12) Bei den Untersuchungen und Aufnahmen der geschädigten Gebäude waren folgende, sich wiederholende Beobachtungen an den Risserscheinungen festzustellen: ▶▶ Die Schäden nahmen meist von unten nach oben in den einzelnen Stockwerken zu. Im unteren Geschoss war nicht selten zu beobachten, dass dynamische Schäden fehlten. ▶▶ Die neuen Rissbildungen bzw. -muster konnten bei der überwiegenden Anzahl der erfassten Schäden als dynamische Scherbrüche gedeutet und von solchen anderer Ursachen unterschieden werden. ▶▶ Die einzelnen Scherbruchbildungen ließen verschiedene Intensitäten der dynamischen Einwirkungen erkennen. ▶▶ Die Gebäude wurden infolge unterschiedlicher Bauweisen, wechselnder Lagen der Giebelseiten, altersbedingter Zustände, statisch unausgewogener Anbauten, Bild 4: Isoliniendarstellung der Schwinggeschwindigkeitswerte ausgelöst durch das Erdbebeben vom 17.05.2014 (blau) und durch die 20-t-Gewinnungssprengung vom 05.09.2012 (grün) um Nieder-Beerbach Tabelle 4: Gesteinstechnische und -dynamische Eigenschaften von Gabbro und Diorit des nördlichen, kristallinen Odenwalds Gesteinstechnische und -dynamische Eigenschaft Rohdichte Poisson-Zahl Festgestein Dimension Gabbro Diorit Streuung Mittelwert Streuung Mittelwert g/cm³ 2,83 - 3,0 2,9 2,81 2,81 - 0,159 - 0,278 0,2255 0,262 - 0,274 0,269 m/s 5867 - 6787 6386 6234 - 6311 6273 S-Wellengeschwindigkeit m/s 3385 - 3959 3787 3521 - 3540 3531 R-Wellengeschwindigkeit m/s 3115 -3601 3463 3252- 3264 3258 dynamisches Elastizitätsmodul kN/mm² 81,91 - 106,30 100,45 88,71 - 88,96 88,83 G-Modul kN/mm² 37,76 - 45,45 41,04 34,81 - 35,24 35,02 akustische Impedanz (P-Welle) 106 kg/(m²s) 16,77 - 79,27 18,24 17,51 - 17,72 17,62 einaxiale Druckfestigkeit (cal) MPa 138 - 160 155 - 150 P-Wellengeschwindigkeit Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau Bild 5: Putzausbrüche eines gealterten Mörtels 42 Bild 6: Horizontale Schubrisse mit leichten Mörtelabplatzungen im Deckenbereich Bild 7: Schwache, diagonale, treppenartige, fugenbezogene Schubrisse im Mauerwerk ungleicher Baustoffe usw. trotz vergleichbarer dynamischer Belastungen nicht einheitlich geschädigt. ▶▶ Ungenutzte, durch Fugen vom Bauwerk getrennte, alternde und frei stehende Schornsteine wurden infolge der hohen horizontalen Erschütterungen vergleichsweise häufig geschädigt bis zerstört, ohne dass die betroffenen Gebäude größere Rissbildungen aufwiesen. ▶▶ Nicht selten waren die Gebäude an einer Seite die richtungsorientiert zur NNE-SSW-Achse lag beGeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bild 8: Stärkere Treppen- bis X-förmige Schubrisse im Mauerwerk mit durchgehender Bruchbildung (digitales Bild und Infrarotaufnahme) sonders von dynamischen Rissbildungen und die Gegenseite nicht bzw. nur untergeordnet betroffen, sodass man oft eine Bewegungstendenz innerhalb des Bauwerks ableiten konnte. Die beispielhaft ausgewählten Bilder 5 bis 9 belegen die tatsächlichen Schadensbildungen an den erfassten Gebäuden. Das Bild 10 fasst die vereinfachten, überwiegend beobachtbaren dynamischen Schäden an den Bauwerken in einer kinematischen Darstellung zusam- Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 43 Bild 9: Zugbruchartige Trennung und Abkippen in Anbauund Kaminbereichen men. Putzausbrüche waren in leicht geschädigten Gebäuden insbesondere bereits dann zu beobachten, wenn es sich um sehr alte, bindemittelarme Mörtel handelte (Bild 5). Die Zugbruchbildungen sind häufige Schäden an Fugen von Anbauten, bei Materialwechsel, Schornsteinen oder anderen ausgeprägten Trennbereichen der Wände bzw. Decken, die auch ohne dynamische Einflüsse sehr häufig auftreten. Außerordentlich verbreitet sind horizontale Deckenschubrisse verschiedener Größenordnungen von ganz schwach gegeneinander bewegten Decken bis hin zu Schubbewegungen mit Mörtelausbrüchen und Zerreibsel auf den bewegten Bruchflächen (Bild 6). Andere Schub- oder Scherbeanspruchungen führen zu treppenartigen, geöffneten, fugenbezogenen Diagonalbrüchen (Bild 7). Derartige Brüche können bei stärkerer Belastung zu teilweisen bis vollständigen X-förmigen Schubrissen in den Wandbereichen führen (Bild 8 und unteres Schema in Bild 10). Das Bild 9 vermittelt die oft beobachteten Ablösungen oder Abkippungen entlang der Fugen zwischen Schornstein und Giebelseite, die ebenfalls meist richtungsorientiert den regionalen dynamischen Belastungen zugeordnet werden konnten. Bild 10: Vereinfachte kinematische Darstellung der überwiegend beobachteten dynamischen Schäden durch Erdbeben des Stärkegrads V bis VII rote Colorierung: Gebäude mit größeren, teilweise reparaturbedürftigen Rissbildungen; Zugrisse und Scherbrüche durchgehend; teilweise Scherbrüche im 3. Stadium; starke Putzabgänge hellgrüne Colorierung: Gebäude mit mittleren Rissbildungen; Zugrisse, Schubrisse 1. und 2. Stadium; verbreitet das ganze Gebäude geschädigt; leichte Putzschäden gelbe Colorierung: Gebäude mit leichten Rissbildungen; Zugrisse, Schubrisse im 1. Stadium überwiegen; Abfallen von altem Putz Markierung mit grünem Strich: Gebäude mit beschädigtem oder zerstörtem Schornstein (Sonderfall); andere Rissschäden können fehlen 3.2 Bewertung der Bauwerksschäden von Gebäuden in Nieder-Beerbach nach der Intensität der Bruchbildungen Von den über 125 festgestellten, dynamisch bedingten Bauwerksschäden wurden 43 Gebäude teilweise oder vollständig hinsichtlich der Riss- sowie anderer Schadensbildungen erfasst und dokumentiert. Inm Bild 11 wurden alle geschädigten oder schadhaft gemeldeten Bauten von Nieder-Beerbach farblich markiert und einer empirisch entwickelten Schadensintensität verbal zugeordnet (Bild 10). Die Schäden verteilen sich trotz hoher Schwinggeschwindigkeitseinwirkung im Fundamentbereich in der Ortslage nicht gleichmäßig (Bild 4). Dieser Umstand ist einerseits auf die recht unterschiedliche, nicht gleich alte Bausubstanz zurückzuführen und hängt andererseits mit zwei maximalen Schwinggeschwindigkeitsbereichen im Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 44 Norden sowie im Gebiet südlich der Mühlstraße/Kreuzgasse von Nieder-Beerbach zusammen (vgl. Bild 4). Bei der Entstehung der Schäden mit und ohne BruchbilBild 11: Durch das Erdbeben vom 17.05.2014 beschädigte Gebäude und Bauwerke in Nieder-Beerbach [nach 15] dung muss die im folgenden beschriebene Wirkung der Erschütterungen Berücksichtigung finden: Die vom Erdbeben ausgelösten und dargestellten maximalen Schwingungen gelangen zu den Fundamenten oder/und Untergeschossen der in den Baugrund eingebetteten Bauten und regen jedes Gebäude für sich oder die in einer ganzen Bautenreihe aneinander stehenden Häuser an, so in ausgerichtete Bewegungen zu geraten, dass sich die Schwinggeschwindigkeiten aufschaukeln und in jedem Stockwerk höhere Werte annehmen. Nach unseren langjährigen Erfahrungen und messtechnisch belegbaren Messergebnissen können für Gebäude, die nach den allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik errichtet worden sind, die nachstehenden, mittleren Übertragungsfaktoren gelten: ▶▶ Fundamentwert (= i. d. R. Messwert) x1 ▶▶ 1. Obergeschoss Fundamentwert x 1,6 ▶▶ 2. Obergeschoss Fundamentwert x 1,8 Lokale Abweichungen sind allerdings nicht auszuschließen. Die Vielfalt der beobachteten Schäden ist im Einzelfall für die Gebäude annähernd erklärbar; in der Komplexität der nebeneinanderstehenden Bauten mit unterschiedlichen Gründungstiefen und wechselnden Baustoffen kann die Bewertung der Ursachen von Rissbildungen durch dynamische Einwirkung nicht immer zweifelsfrei erfolgen. So sind beispielsweise in der Mühlstraße Nr. 17-1921 der nördliche Teil Nr. 21 und in der Häuserreihe Nr. 11-13-15 das südliche Wohnhaus Nr. 11 am stärksten von Schäden bei ähnlicher Schwinggeschwindigkeit im Fundamentbereich betroffen. Diese eigenwillige Situation könnte auf eine Impulswirkung mit N-S-Ausrichtung zurückzuführen sein, wobei die am jeweiligen Ende der Häuserreihe liegenden Gebäude den stärksten „Impuls“ erhielten und die mittigen Wohnhäuser nur als „Durchgangsleiter“ der Wellenfront fungierten. Im Falle der Gebäude In der Hohl Nr. 7, Kreuzgasse 2, Mühlenstraße 79, 77A, Burgweg 7 und 9 sind weitestgehend einzeln stehende Bauten mit starken Schäden belastet. Einige Wohnbauten zeigen vielfältige Rissbildungen, die durch die Erdbebeneinwirkung nur verstärkt oder von den Bewegungen benutzt worden sind und somit nicht als Neubrüche in Erscheinung treten. Die charakteristischsten, verallgemeinerungswürdigen Merkmale dynamischer Rissbildungen sind nach den Beobachtungen: ▶▶ Scherbrüche mit und ohne Zerreibsel an den Rissufern bzw. auf den Rissoberflächen ▶▶ Stockwerksbedingte Verstärkung von unten nach oben ▶▶ Häufiges Auftreten an Eck- und einseitigen Wandbereichen, richtungsorientiert zur Hauptausbreitungsrichtung der Wellenfront ▶▶ Treppenartige, diagonale Scherbrüche bei Belastungen von > 120 mm/s ≤ 15 Hz. Die Auswirkungen des Erdbebens sind trotz gleich hoher Erschütterungen auf die einzelnen Bauwerke GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 45 nicht einheitlich und durchgängig an den Schadensbildern nachzuweisen. Jedes Bauwerk reagiert infolge der Bauweise, der Baustoffe, des Alterungszustands, des Standorts, der Gründungsausführung sowie der Baugrundverhältnisse vollkommen unterschiedlich. Die Waldmühle wurde beispielsweise nahezu vollständig aus Naturstein und Holz errichtet. Die örtlich gemessenen Schwinggeschwindigkeiten im Fundamentbereich weisen Werte von 105 mm/s bei 7 Hz auf. Der Wohnhauskomplex wurde sichtbar nicht geschädigt. Allerdings haben die Bewohner die Erschütterungen extrem stark gespürt. Aus diesen objektiven Beobachtungen und den durchgeführten Befragungen der Bewohner ist die bereits bekannte Aussage in [13] eindeutig zu belegen: (siehe Kasten). Die letztere Aussage wurde von den meisten befragten Bewohnern von Nieder-Beerbach zum Erdbeben vom 17.05.2014 bestätigt und zeigt, dass die Anwendung der DIN 4150, Teil 2, nur für Dauerbelastungen von Erschütterungen gelten sollte. Wird eine Sprengung bei den Bewohnern angekündigt, sollten die Forderungen der DIN 4150, Teil 2 nicht gelten. 4 Begründete Einstufung der entstandenen dynamischen Bauwerksschäden nach Anhaltswerten der Schwinggeschwindigkeit 4.1 Methodische Vorgehensweise Es ist weltweit noch keine anerkannte und gesicherte Aussage zu den bauwerksschädigenden Größenordnungen der Schwinggeschwindigkeiten vorgelegt worden [1, 11, 12, 13]. In [13] wird auf der Grundlage von Forschungsarbeiten eine objektive, auf Messungen beruhende Erschütterungsprognose in Form einer fiktiven Energie-Abstandsbeziehung vorgeschlagen und in den Rahmen physikalisch begründbarer Anhaltswerte für die einzelnen Bauwerke und Gebäude gestellt. Die darin enthaltenen Ergebnisse sind auf der Basis von mehr als 10.000 Einzelmessungen der Schwinggeschwindigkeit mit der dazugehörigen Frequenz sowie von über 500 Messwerten der dynamischen Dehnung unter Sprengeinwirkung entstanden. Die im Teil 3 der DIN 4150 enthaltenen zulässigen Anhaltswerte sind empirisch und ohne messtechnisch begründbaren Datenfundus von einem Normenausschuss eingebracht worden, deren Mitglieder nicht mehr bekannt sind. Diese seit mehr als 30 Jahren gültigen Werte gehören zu den weltweit niedrigsten, die für den Schutz von Gebäuden und Bauwerken jeder Art Anwendung finden. In der Zulassungspraxis wird dazu oft von den Sprengtechnikern verlangt, dass lediglich 50 % der ohnehin niedrigeren Größen der Schwinggeschwindigkeit erreicht werden dürfen. Es ist daher von erheblicher praktischer Bedeutung, aus den Folgen des Erdbebens mit den entstandenen Bauwerksschäden und der Kenntnis der ausgelösten Schwinggeschwindigkeiten die bruchmechanisch wirksamen, tatsächlichen Grenzwerte der Erschütterungs- Objektive Messungen und subjektive Empfindungen der Menschen bei dynamischen Einwirkungen auf Bauwerke Dynamische Einwirkungen auf Bauwerke können größere Schwinggeschwindigkeitswerte annehmen, ohne dass Schäden entstehen. Diese Grenzen für eine Bruchbildung in Bauten und Gebäuden sind durch systematische Untersuchungen an Baustoffen messtechnisch zu finden. Im Gegensatz dazu sind die Empfindungen und Belästigungen der Menschen, die sich in den Gebäuden aufhalten, bei 400 bis 500-fach geringeren Schwinggeschwindigkeiten mit entsprechender, anhaltender Intensität wegen ihrer hohen Sensibilität weitaus kritischer zu bewerten. Eine angezeigte, signalisierte kurzzeitige Sprengung ≤ 2 s wird von den meisten Bewohnern als vertretbare Erschütterung angenommen. Nahezu jede dynamische Dauerbelastung wird als Belästigung empfunden. Ein Erdbeben mit einem Stärkegrad > V (nachTabelle 1) wird weder signalisiert noch vorhergesagt, sodass diese Art der dynamischen Belastung mit der Dauer von ≥ 2 s berechtigterweise als Belästigung bis Angst und panikauslösend angesehen wird. messgrößen Schwinggeschwindigkeit und Dehnung herauszufinden. Zur objektiven Findung von Grenzwerten, die eine Bruchbildung an und in den Bauwerken beginnend auslösen, werden vielfältige Beobachtungen und Messwerte herangezogen: ▶▶ Literaturrecherche zu Anhalts- und Grenzwerten von Schadensbildungen bei dynamischer Einwirkung [in 8] ▶▶ Bewertung der beobachteten Bauwerksschäden in Nieder-Beerbach unter Beachtung der ermittelten Bild 12: Beispielhafte Darstellung aller Riss- und Bruchschäden im Grundriss eines Gebäudes mit Kennzeichnung der einwirkenden Schwingungsrichtung [aus 7] Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau Bild 13: Beziehung zwischen dynamischem E-Modul und Schermodul verschiedener Baustoffe und Gesteine 46 Bild 14: Beziehung zwischen dynamischem E-Modul und akustischer Impedanz (P-Welle) verschiedener Baustoffe und Gesteine mit Abschätzung des statischen E-Moduls Bild 15: Beziehung zwischen Rohdichte und akustischer Impedanz (P-Welle) verschiedener Baustoffe und Gesteine Bild 16: Beziehung zwischen einaxialer Druckfestigkeit bzw. Zugfestigkeit und akustischer Impedanz (P-Welle) verschiedener Baustoffe Bild 17: Beziehung zwischen gemessener maximaler Schwinggeschwindigkeit ppvmax und ermittelter maximaler Dehnung εmax und die Festlegung von Grenzwerten und abgeschätzten Schwinggeschwindigkeiten (Bilmit möglicher, beginnender Baustoffschädigung der 4 und 11) ▶▶ Berechnung des Schwingwegs unter Einbeziehung der gemessenen Schwinggeschwindigkeiten und Frequenzen sowie der Idealisierung der Schwingungen als Sinuskurven (Bilder 2 und 3) ▶▶ Systematische Bestimmung der dynamischen Kennwerte von Baustoffen und deren Einordnung in die der Fest- und Lockergesteine (Bilder 13 bis 15) ▶▶ Vergleich der einaxialen Druckfestigkeit, Zugfestigkeit und akustischen Impedanz zwecks Ermittlung der minimalen Zugfestigkeit für Baustoffe (Bild 16) ▶▶ Ableitung der Bruchgrenzen von verschiedenen Baustoffen unter Beachtung der Schwinggeschwindigkeit mit geringen Frequenzen und der Bruchdehnung auf der Grundlage langjähriger Messungen und in-situ-Überprüfungen (Bilder 16 und 17) GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 47 Bild 18: Zusammenhang zwischen dynamischem E-Modul und akustischer Impedanz (P-Welle) der Gesteine und Baustoffe zur Abschätzung des mechanischen Verhaltens, der Poissonzahl, des statischen E-Moduls sowie der Verflüssigungsgefährdung bei Wassersättigung und dynamischer Einwirkung 4.2 Bewertung der dynamischen Eigenschaften von Festgesteinen und Baustoffen Die zerstörungsfreie Ermittlung der P-(Druck-) und S-(Scher-) Wellengeschwindigkeit, der akustischen Impedanz (P-Welle), des dynamischen Elastizitätsmoduls sowie des G- oder Schubmoduls ist sowohl für den wellenmechanischen Vorgang beim Erdbeben bzw. einer Sprengung als auch für die Beurteilung des Bauraumes, Untergrundes sowie der Sprengbarkeit des Festgebirges nach neuesten Erkenntnissen von großer Bedeutung [11, 12, 16]. Daneben liefern die gesteinsdynamischen Untersuchungen eine Reihe von Kennwerten der Festgesteine und Baustoffe, die im Rahmen der Beurteilung der Erdbebeneinwirkung und des Sprengvorgangs auf die Bausubstanz maßgebend sind. Als Messapparatur kommt das Ultraschallmessgerät UKS-D, bestehend aus einem Ultraschallgenerator USG 40 und einem PC-Oszilloskop Pico Scope 3224 von Geotron Elektronik, Rolf Krompholz, Pirna, seit 7 Jahren zum Einsatz [10, 11]. Zwischen den P- und S-Wellengeschwindigkeiten gibt es einen eindeutigen Zusammenhang und es können unabhängig von der Bildung sowie Beschaffenheit alle Materialien objektiv beurteilt werden. Mit steigenden Geschwindigkeiten verbessern sich die Festigkeiten und das elastische Verhalten nimmt zu. Zwangsläufig besteht zwischen dem dynamischen Elastizitätsmodul und dem G-Modul von allen Baustoffen – außer Holz – und den Gesteinen eine hohe Abhängigkeit (Bild 13). Die akustische Impedanz (P-Welle) zeigt mit dem dynamischen E-Modul die im Bild 14 dargestellte Beziehung. Im komplexen dynamischen E-Modul verbirgt sich das wechselvolle Verhalten von Dispersion und Absorption bei der Ausbreitung der Wellen [8]. Der frequenzabhängige Wert des dynamischen E-Moduls ist gegenüber dem statischen Modul, der das augenblickliche Deformationsverhalten bei zeitproportional zunehmender Belastung beschreibt, stets größer und stimmt bei hoher Elastizität überein mit dem statischen E-Modul. Die unterste Grenze des Streubereichs des dynamischen E-Moduls fällt etwa mit der Größe des statischen E-Moduls zusammen (Bild 14). Das mechanische Verhalten von Gesteinen und Baustoffen kann vereinfacht nach den Angaben des Bildes 18 zugeordnet werden. Die statistische Bewertung der dynamischen Kennwerte von Gesteinen und Baustoffen belegt, dass die gesamte Palette der möglichen Materialien voneinander abhängig ist, zusammengehörende Eigenschaften aufweist und eine objektive Beurteilung des Bruchverhaltens ermöglicht. 4.3 Beziehung zwischen Schwing geschwindigkeit und Dehnung auf Grundlage von in-situ-Messungen Zwischen der Schwinggeschwindigkeit und der Dehnung gibt es über die Gleichungen (1) und (2) einen physikalischen Zusammenhang, sodass die Dehnung neben der Schwinggeschwindigkeit als gleichberech- Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 48 tigte Messgröße für Erschütterungen genutzt werden kann: σ = ppv × ρG × cP ....................................................... ( 1 ) σ = ε × Estat .................................................................... ( 2 ) Es bedeuten: σ = Spannung (kN/mm²) ppv = Schwinggeschwindigkeit (mm/s) ρG = Rohdichte des Gesteins/des Baustoffs (kg/m³) cP = P-Wellengeschwindigkeit der Gesteine/Baustoffe (m/s) ε = Dehnung (mm/m) Estat = statischer Elastizitätsmodul (kN/mm²) Die Größe der Dehnung kann hierbei als dynamische Einwirkung sowohl zur genauen Bewertung einer Schädigung als auch zur Ermittlung der ausgelösten Spannungen direkt verwendet bzw. interpretiert werden [2]. Ist die Bruchdehnung eines Materials bekannt, wird die Festlegung von Grenzwerten der dynamischen Belastung näherungsweise ermöglicht. Die Messungen der dynamischen Dehnung mit dem Faser-Bragg-Gitter-Sensor sind insbesondere im Nahbereich ≤ 100 m wesentlich genauer als Schwinggeschwindigkeitsmessungen [2, 13]. Die Möglichkeit des statistischen Vergleichs der Schwinggeschwindigkeits- mit den Dehnungsmessungen gestattet eine objektive Beurteilung der Einwirkungen auf die Bausubstanz, wenn die Bruchdehnungen der Baustoffe bekannt sind. Aus der akustischen Impedanz (P-Welle) werden die einaxiale Druck- und Zugfestigkeit der wichtigsten Baustoffe über eine Regressionsbeziehung berechnet und mit den vielseitigen Angaben aus der Fachliteratur (Bild 17) verglichen [8, 10, 13]. Sind die Zug- und Druckfestigkeiten der Materialien bekannt, lassen sich mit den Beziehungen (1) und (2) die unteren Bruchdehnungen ermitteln, bei denen ein Bruch entsteht. Bei einer Zugbelastung von 0,3 N/mm² beginnt die Rissbildung im Mörtel, dem geringfestesten Baustoff (Bilder 16, 17). Aus den Zusammenhängen der Bilder 13 bis 16 und den Beziehungen (1)/(2) wurden letztlich die Bruchdehnungen abgeleitet (Bild 17). Mithilfe der messtechnisch gefundenen Beziehung zwischen εmax und ppvmax (Bild 17) sind die den Dehnungen entsprechenden Schwinggeschwindigkeiten be- rechnet worden. Auf diese Weise konnten die untersten Bruchgrenzen von Baustoffen und Gesteinen objektiv und auf verschiedenen Wegen ausgewiesen werden. Die berechneten Schwinggeschwindigkeiten gelten für den Frequenzbereich ≤ 10 Hz. Mit zunehmender Frequenz bei gleicher Schwinggeschwindigkeit nimmt der Schwingweg für angenommene sinusförmige Schwingungen deutlich ab, sodass bei höheren Frequenzen die grenzwertigen ppv-Größen deutlich ansteigen [1]. Für die niederfrequenten Erdbebeneinwirkungen sind die untersten Grenzwerte des Bilds 17 gültig. 4.4 Unterschiede der dynamischen Einwirkungen durch anthropogene Gewinnungssprengungen und geogene Erdbeben Das Studium des Erdbebenereignisses vom 17.05.2014 in Nieder-Beerbach zeigt die wesentlichsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der anthropogenen und geogenen Erschütterungen auf. Erdbeben und Sprengungen sind in einer bestimmten Reaktionsphase wellenmechanische Vorgänge mit einer sonischen Wirkung [11, 12, 13, 16]. Je nach der Größenordnung und Intensität des Erdbebens wird an der Erdoberfläche eine anisotrope Ausbreitung von Erschütterungen meist in Form von Rayleigh-Wellen über dem Erdbebenherd ausgelöst, die der Bruchfläche in der Tiefe folgen kann (Bild 4). Bei einer Sprengung sind dagegen die erzeugten Schwinggeschwindigkeitsamplituden auf einen wesentlich kleineren Raum beschränkt (Bild 4). Die Dauer der Einwirkungen ist bei Erdbeben mindestens 2 und mehr Sekunden messbar (Tabelle 3). Eine Gewinnungssprengung hält in ihrer Erschütterungseinwirkung weniger als 1 s und selten bis 2 s an. Infolge der flächenhaften Ausbreitung von Schwingungen geraten die Gebäude und Bauwerke ganzheitlich in Bewegung und Erschütterungseinwirkung, sodass charakteristische Riss- und Putzschäden entstehen. Bauwerksschädigende Einflüsse durch Sprengungen sind bisher nur im Nahfeld denkbar und belasten die Bauten einseitig. Nicht zuletzt sind Erschütterungen durch Erdbeben stets niederfrequent und solche durch Sprengungen haben je nach Baugrundverhältnissen Frequenzen von 5 bis 100 Hz. Die Tabelle 5 fasst die Unterschiede der dynamischen Einwirkungen zusammen. Tabelle 5: Dynamische Einwirkung von Erdbeben und Gewinnungssprengungen Art der Einwirkung Geogenes Erdbeben Anthropogene Gewinnungssprengung > 2 s (dauerhafte Erschütterung) ≤ 2 s (kurzzeitige Erschütterung) Frequenz < 1 bis 20 Hz 5 bis > 100 Hz Belastung der Bauwerke ganzheitlich einseitig ohne Vorwarnung möglich supersonisch sub-, trans- bis supersonisch anisotrop großflächig anisotrop, kleinflächig, stark gedämpft Dauer Vorwarnung Sonizität Ausbreitung der Schwinggeschwindigkeiten (Rayleigh-Wellen) GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 49 Abschließend sollte erwähnt werden, dass beim Erdbeben zwangsläufig keine quasi-statische Gasdruckphase wie beim Sprengvorgang nach der chemischen Umsetzung des Sprengstoffs stattfinden kann. Tabelle 6:Beziehung des Schwingweges zur Frequenz und Schwinggeschwindigkeit (berechnet) Schwingweg Schwinggeschwindigkeit Frequenz 2 mm ~ 90 mm/s ~ 7 Hz 2 mm ~ 126 mm/s 10 Hz 2 mm ~ 251 mm/s 20 Hz 4.5 Ableitung begründbarer Anhaltswerte für verschiedene Erschütterungseinwirkungen auf komplexer physikalischer Grundlage Zwecks Ableitung der begründbaren Grenzwerte der Schwinggeschwindigkeit und Dehnung, bei denen an verschiedenen Baustoffen eines Gebäudes die Rissbildung beginnt, wurde neben der Ermittlung der Bruchdehnung bzw. rissauslösenden Schwinggeschwindigkeit der Schwingweg berechnet. Die Berechnung ist möglich, wenn man einen sinusartigen Verlauf der Schwingungen annimmt oder in den Kurven beobachtet (Bilder 2 und 3) [1]. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Schwingweg von 2 mm, der eine Untergrundbewegung dieser Größenordnung angibt, etwa durch eine Schwinggeschwindigkeit von 90 mm/s bei 7 Hz ausgelöst wird. Diese 90 mm/s entsprechen einer Bruchdehnung von 157,8 μm/m für den einfachsten Kalkmörtel (Bild 17). Die Tabelle 6 vermittelt den Anstieg der rissauslösenden Schwinggeschwindigkeit bei zunehmender Frequenz. Mit steigender Frequenz wird die ankommende Schwinggeschwindigkeit quasi ungefährlicher, sodass frequenzabhängige Schwinggeschwindigkeitswerte angegeben werden müssen. Die im Bild 17 angegebenen Bruchgrenzen für Baustoffe gelten für Frequenzen unter 10 Hz. In Anlehnung und Weiterentwicklung der Empfehlungen in [13] sowie auf der Grundlage der erarbeiteten Ergebnisse in Nieder-Beerbach werden in den nachstehenden Tabellen 7 bis 12 tatsächlich zulässige Anhaltswerte für kurzzeitige und dauerhafte Erschütterungen vorgeschlagen. Die sogenannten „Zeilen“ der DIN 4150, Teil 3 werden sprachlich besser ersetzt durch die Objektklassen (OK) für Gebäude, Bauwerke, Verkehrswege, empfindliche Geräte und Rohrleitungen, geordnet nach dauerhaften (d), > 2 s, und kurzzeitigen (k), ≤ 2 s, Einwirkungen anthropogener, insbesondere Sprengerschütterungen. Die in den Tabellen 7 bis 12 Bild 19: Zusammenfassende Darstellung der Auswirkungen von dauerhaften und kurzzeitigen Erschütterungen auf Gebäude sowie Bauwerke (vgl. Tabellen 7 bis 12) Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 50 Tabelle 7: Zulässige Anhaltswerte der Schwinggeschwindigkeit vi und Frequenz für kurzzeitige Sprengungen (≤ 2 s) über und unter Tage [verändert nach 13] Tabelle 8: Zulässige Anhaltswerte der Dehnung/Stauchung εmax für kurzzeitige Sprengungen (≤ 2 s) über und unter Tage [verändert nach 13] Tabelle 9: Zulässige Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit vi zur Beurteilung der Wirkung von kurzzeitigen Erschütterungen (≤ 2 s) auf erdverlegte Leitungen [verändert nach 13] Tabelle 10: Zulässige Anhaltswerte für die Dehnung εmax zur Beurteilung der Wirkung von kurzzeitigen Erschütterungen (≤ 2 s) auf erdverlegte Leitungen [verändert nach 27] GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net enthaltenen zulässigen Anhaltswerte gelten nicht für Untergründe aus: ▶▶ wassergesättigten Torfen (Mooren), Faulschlämmen oder anderen organischen wasserreichen Lockergesteinen ▶▶ setzungsfließgefährdeten, wassergesättigten Sanden oder anderen wasserreichen Lockergesteinen oder ▶▶ Untergründen ohne Entwicklung einer S-Wellenfront. Im Wasser und in Gasen bzw. Luft kann sich physikalisch keine Scherwellenfront aufbauen, sodass in derartigen Medien andere Auswirkungen erwartet werden (Bild 18). Das Bild 19 enthält zusammengefasst sowohl die Ergebnisse für die grenzwertigen Eigenschaften von Baustoffen bei Erschütterungsbelastung als auch die in den Tabellen 7 bis 12 aufgeführten zulässigen Anhaltswerte. Im Bild 19 wird ebenfalls zwischen den geogenen und anthropogenen dynamischen Vorgängen vermittelt, um den Zusammenhang und die Unterschiede aufzuzeigen. Die Schadensfälle und deren Intensität an den Gebäuden in Nieder-Beerbach werden mit der Zusammenstellung der wichtigsten Eigenschaften und den gemessenen Schwinggeschwindigkeiten erklärbar. Glücklicherweise waren die ausgelösten Schäden in Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau und Tunnelbau 51 Tabelle 11: Zulässige Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit vi zur Beurteilung der Wirkung von Dauererschütterungen jeder Art auf Bauwerke (> 2 s) [verändert nach 27] Tabelle 12: Zulässige Anhaltswerte für die Dehnung εmax zur Beurteilung der Wirkung von Dauererschütterungen jeder Art auf Bauwerke (> 2 s) [verändert nach 27] allen Fällen reparabel und führten bis auf ungenutzte Schornsteine nicht zum Abriss von Gebäuden. Die physikalisch begründeten und durch das Erdbebenereignis sichtbaren Auswirkungen von grenzwertigen Schwinggeschwindigkeiten schaffen sichere Aussagen zur Festlegung tatsächlich zulässiger Anhaltswerte für Erschütterungseinwirkungen im Bauwesen. Die Angaben der Tabellen 7 bis 12 sollten genutzt werden, um die viel zu geringen, empirischen Festlegungen der DIN 4150, Teil 1 und 3 den realistischen Bedingungen anzupassen. Auf diese Weise wird die Bohr- und Sprengtechnik wirtschaftlicher und sicherer gestaltet sowie manche wenig sinnvolle Auflage der Behörden überarbeitet werden können. Literatur [1] Aimone-Martin, C. et al. (2014): Tall Structure Response to close in Urban Blasting in New York City. - The Journal of Explosives Engineering, Vol. 31, Number 4, July/August 2014, pp. 6 - 15 and 38. [2] Baumann, I. ; Müller, B. (2000): Neues Messverfahren für die Erfassung von Sprengerschütterungen und ande- [3] [4] [5] [6] [7] [8] Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen ren dynamischen Einwirkungen im Bauwesen. SprengInfo 22 (2): 19 - 32. Bolt, B. A. (1995): Erdbeben – Schlüssel zur Geodynamik. Spektrum Akad. Verlag Heidelberg, Berlin, Oxford. DIN 4149 (2011): Bauten in deutschen Erdbebengebieten: Lastannahmen, Bemessung und Ausführung üblicher Hochbauten, Teil 1 (2011) und Teil K Bautenschutz (2005). DIN 4150 (1997): Erschütterungen im Bauwesen, Teil 1: Allgemeine Grundlagen (VA 1997). Beuth Verlag, Berlin. DIN 4150 (1999): Erschütterungen im Bauwesen, Teil 2: Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden ( Juni 1999). Beuth Verlag, Berlin. DIN 4150 (1999): Erschütterungen im Bauwesen, Teil 3: Allgemeine Einwirkungen auf bauliche Anlagen (Februar 1999). Beuth Verlag, Berlin. Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller (2014): Ergebnisbericht zur Erfassung und Bewertung von Bauschäden in Nieder-Beerbach im Zusammenhang mit dem Erdbeben vom 17.05.2014, 16:46:26 Uhr. Leipzig, 10.10.14 (2 Teile, unveröffentlicht) GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau und Tunnelbau 52 [9] Grünthal, G. et al. (1998): European Macro Seismic Scale 1998, EMS-98. European Seismological Commission, Subm. on Engineering Seismology, Working Group Macroseismik Scales, Luxembourg 1998. [10] Müller, B. ; Pippig, U. (2011): Praktikable geotechnische Klassifikationen von Festgesteinen und Festgebirgen für das Bauwesen sowie den Bergbau. Felsbaumagazin, Heft 1, S. 10 - 31. [11] Müller, B. ; Pippig, U. (2011): Physikalische Zusammenhänge revolutionieren die Bohr- und Sprengtechnik und ermöglichen eine statistisch gesicherte Erschütterungsprognose. Felsbaumagazin, Heft 4, S. 253 - 272. [12] Müller, B. et al. (2013): Umsetzung der sonischen Wirkung bei Gewinnungssprengungen in die Praxis zwecks Reduzierung von Umwelteinwirkungen. Abschlussbericht Projekt 29049-21/0 gefördert von der DBU. Leipzig, den 31.01.2013. Unveröffentlicht. [13] Müller, B., Litschko, B. & Pippig, U. (2013): Richtige Erschütterungsprognose – sichere Anhaltswerte. SprengInfo 35 (2013) 2, S. 12 - 23. Dr.-Ing. habil. Dipl.-Geol. Bernd Müller 1961 bis 1967 Studium der Geologie an der Bergakademie Freiberg 1967 bis 1969 Assistent des Geologischen Instituts der Bergakademie Freiberg 1969 bis 1977 Geologe und Geotechniker in der Steine- und Erden-Industrie 1975 Dr.-Ing. Geotechnik/Felsbau Geschäftsführung Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr.-Ing. habil. B. Müller 1977 bis 1985 Assistent am Institut für Geotechnik, Hochschule für Verkehrswesen „F. List“ Dresden „facultas docendi“ 1985 bis 1990 Hochschuldozent für Ingenieurgeologie an der TH Leipzig 1986 Dr.-Ing. habil. Geotechnik 1990 bis 1996 Leiter verschiedener Büros Seit 1996 Selbstständig, Geotechnisches Sachverständigenbüro Dr. Müller, Sachverständiger Sächsisches Oberbergamt Gutachter Eisenbahnbundesamt Geotechnik, Felsbau, Bodendynamik Ausbilder Sprengschule Dresden Kontakt: Tel.: +49 341 358 70 30 E-Mail: [email protected] GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net [14] Müller, B. & Rossmanith, H. P. (2013): New physical findings revolutionize the drilling and blasting technologie as well as the prediction of ground vibrations, Part 1: The new drilling model; Part 2: Practical applications above ground and underground. Blasting in Mines – New Trends. Ghose & Joshi (Eds.); Workshop hosted by Fragblast 10, New Delhi, India, 24.-25. November 2012; pp. 29-50. CRC Press, Taylor & Francis Group. [15] Nieder-Beerbach/Freiwillige Feuerwehr (2014): Liste der am 17.05.2014 durch das Erdbeben geschädigten Bauwerke und Gebäude (freundlichst vom Ortsvorsteher, Herrn Muth mit der Bebauungskarte übergeben). [16] Rossmanith, H. P. & Müller, B. (2011): The importance of sonicity in blasting. Lisbon Conferenz Proc. 2011 Sixth EFEE World Conference on Explosives and Blasting. Ed. Holmberg, R., pp. 401 - 413. [17] www.simon.hlug.de (2014): Seismisches Monitoring im Zusammenhang mit der geothermischen Nutzung des nördlichen Oberrheingrabens (Erdbebenaufzeichnungen). Dipl.-Geoph. Uwe Pippig 1986 bis 1991 Studium der Geophysik an der Bergakademie Freiberg 1991 bis 2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Uran- und Salzbergbau 2000 bis 2010 Projektleiter in verschiedenen Ingenieurbüros Seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geotechnischen Sachverständigenbüro Dr.-Ing. habil. Bernd Müller Kontakt: Tel.: +49 341 358 70 30 E-Mail: [email protected] Dipl.-Geol. Benjamin Litschko 2000 bis 2002 Ausbildung zum Kaufmann im Großhandel 2003 bis 2012 Studium der Geologie/Paläontologie, Universität zu Leipzig Seit 1. August 2012 Geowissenschaftler Mitarbeiter im Geotechnischen Sachverständigenbüro Dr.-Ing. habil. B. Müller Kontakt: Tel.: +49 341 358 70 30 E-Mail: [email protected] Müller, Litschko und Pippig: Erdbeben: Ableitung realistischer Anhaltswerte bei Erschütterungen Bergbau 53 Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk Sergej Hübscher, Franz Stangl, Eugen Hoppe, alle Thyssen Schachtbau GmbH, Mülheim an der Ruhr, Deutschland Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen zu den größten und reichhaltigsten Lagerstätten weltweit. Schwierigen geologischen Bedingungen mit großen Konvergenzen soll durch eine in Deutschland bewährte Auffahrungstechnik begegnet werden. Hierzu gründeten im Jahr 2011 zwei deutsche Bergbauspezialunternehmen ein kasachisches Tochterunternehmen und erhielten im Oktober 2012 einen Auftrag über 4.150 m Streckenauffahrungen. Am 15. August 2013 erfolgte die erste Sprengung in etwa 900 m Teufe für das Projekt „Herstellen einer Strecke auf der Sohle –480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“. Nach einer schwierigen Anlaufphase im Jahr 2013 und einem guten Start in 2014 konnten bis Mitte April 2015 nahezu 1.250 m Strecke mit Kurven, Bahnhofsbereichen und Streckenabzweigen aufgefahren werden. Bergbau • Kasachstan • Erzbergbau • Streckenauffahrung • NÖT Einleitung Im Frühjahr 2011 gründeten die Schachtbau Nordhausen GmbH und die Thyssen Schachtbau GmbH die „TOO Schachtbau Kasachstan“. Hauptziele der Gesellschaft sind: ▶▶ das Teufen von Schächten, ▶▶ das Auffahren von Strecken sowie ▶▶ die Durchführung von Bohr- und Gefrierarbeiten. Der erste Auftrag konnte im Oktober 2012 mit 4.150 m Streckenauffahrung für das Chromerzbergwerk Donskoy GOK, Chromtau, Kasachstan, des Unternehmens TNK Kazchrome akquiriert werden. Der Auftraggeber Kazchrome, Aktöbe, gehört mit einem Umsatz von rund 7 Mrd. €/Jahr zu den führenden Exporteuren von Ferrochrom. Die kasachischen Chromerzlagerstätten zählen zu den größten und reichhaltigsten Lagerstätten weltweit. Die Projektierung, Maschinenakquisition und Mobilisierung von Personal mit anschließender Baustelleneinrichtung wurden unmittelbar nach Auftragserteilung für das Projekt „Herstellen einer Strecke auf der Sohle –480 m auf dem Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“ aufgenommen (Bild 1). Bereits am 15. August 2013 erfolgte die erste Sprengung in etwa 900 m Teufe. Nach einer schwierigen Anlaufphase im Jahr 2013 und einem guten Start in 2014 konnten bis Ende Juni 2014 nahezu 700 m Strecke mit zwei Kurven, einem Bahnhofsbereich und einem Streckenabzweig aufgefahren werden. Inzwischen wurden 1.250 Streckenmeter erreicht. Vertragsabschluss zur Streckenauffahrung Nach einem Planungsauftrag zum Teufen eines Schachts im Jahr 2008 für das Chromerzbergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“ von Donskoy GOK, einer Beteiligungsgesellschaft der AO „TNK Kazchrome“ im Nordwesten Kasachstans, gelang es im Bild 1: Bergwerk „10. Jahrestag der Unabhängigkeit Kasachstans“ Hübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau 54 Oktober 2012 bei eben dieser Gesellschaft einen weiteren Auftrag zu gewinnen. Der Einstieg in das Projektgeschäft Kasachstans konnte mit dieser wichtigen Akquisition realisiert werden. Verständlicherweise sind ein solcher Einstieg, ebenso wie der Neueinstieg in einem anderen fremden Land, mit zusätzlichen unternehmerischen Risiken und Unwägbarkeiten behaftet. Erklärtes strategisches Unternehmensziel ist es jedoch, in diesem prosperierenden, rohstoffreichen Land Fuß zu fassen und Projekte unter Anwendung heimischer Kernkompetenz zu realisieren. Die Devise ist, Schritt für Schritt das Geschäft aufzubauen und die Eigenheiten und Gesetze des Landes und die Anforderungen und Ansprüche der Auftraggeber kennenzulernen. Werkvertrag – Festvertrag Ein Werkvertrag darf nach kasachischem Gesetz nur ein Festvertrag sein und die Vertragssumme sich im Verlauf der Ausführung nicht ändern. Wie soll das gehen, wenn 4.150 m Strecke in einer Teufe von etwa 900 m in schwierigem Gebirge aufzufahren, jedoch die geologischen Kenntnisse über die aufzufahrende Strecke sehr spärlich sind? Das Vertragswerk wurde so gestaltet, dass diverse Variationen des Gebirges zugelassen und optional definiert wurden. Die als wahrscheinlich geltende Gebirgsklasse bildete die Basis des Festpreisvertrages. Abweichungen von den Normalbedingungen der Ausbruchsklasse 5 wurden in den Anlagen des Vertragswerks geregelt. Der Werkvertrag wurde Ende Oktober 2012 unterzeichnet. Bild 2: 14. November 2012: Ortsbrust nördlicher Querschlag nach Westen, steilstehende diagonale, subparallele Großklüftung mit Harnischen und Talk-Belag, bisherige Ausbaumethode Vorbereitungen Parallel zu den Vertragsverhandlungen wurde ein Kontingent von 51 Mitarbeitern als Expatriates für die Jahre 2013 bis 2016 beantragt und vom kasachischen Parlament im Juni 2012 bewilligt. Der Einsatz dieser deutsch-österreichischen Fachleute bildete die Grundvoraussetzung des Werkvertrags. Zwischen den Gesellschaftern der TOO Schachtbau Kasachstan wurde eine Beistellungsvereinbarung erarbeitet und signiert. Damit wurden die Verantwortlichkeiten ähnlich einem ARGE-Vertrag projektbezogen festgeschrieben. Schachtbau Nordhausen übernahm die technische und Thyssen Schachtbau die kaufmännische Verantwortung dafür, wie die beiden Gesellschafter ihre Ressourcen der TOO Schachtbau Kasachstan zum bestmöglichen Gelingen des Projekts beistellen. Gebirgsprognose Die Chromitlagerstätten von Chromtau befinden sich am südlichen Saum der Ural-Gebirgskette. Die in der Baugrundsäule beschriebenen Gesteine sind Gabbro-Amphibolit und ein serpentinisierter Peridotitkomplex. Die Gesteine wurden stark verfaltet, dann zerschert und mit unterschiedlicher Intensität zerbrochen, also kataklasiert, mylonitisiert oder brekzienartig verändert. Die Störungs- und Kluftflächen bzw. Scherklüfte sind stark ausgebildet. Extreme Druck- und Temperaturbedingungen während der Metamorphose mit Mineralumbildungen der basischen Minerale hatten unter anderem eine Serizitisierung und Chloritisierung zur Folge. Das fördert im Gesteinsverband glatte Mineral- und Kluftflächen sowie Mineralausfüllungen mit niedrigen Reibungswerten. Die Chromerzlagerstätte ist auch von plattentektonischen Einflüssen betroffen. Ein Großteil der aufzufahrenden Bergwerksstrecken sind in mittel- bis starkklüftigem Serpentinitgestein mit serizitischen Kluftfüllungen zu erstellen. Besonders in Verbindung mit Wasser löst sich der Gebirgsverband schnell auf und neigt zu Nachbrüchen. Das Beherrschen der daraus folgenden Konvergenzen erfordert neue bzw. in Kasachstan bisher eher ungewöhnliche Auffahrtechniken und Sicherungssysteme. Das bisherige Ausbaukonzept des Kunden mit Stahlbögen und Handsteinverzug bietet nur in Bereichen mit guten Gebirgseigenschaften längerfristigen Ausbauwiderstand (Bild 2). Planungsphase – „Das Projekt“ In den ehemals sowjetisch geprägten Regionen werden die Genehmigungsplanung als „P-Phase“ und die Ausführungsplanung als „RD-Phase“ unterschieden, gemeinsam als „Das Projekt“ bezeichnet. Im Rahmen der Genehmigungsplanung war für das akquirierte Streckenauffahrungsprojekt zunächst das passende Sicherungskonzept für verschiedene Gebirgsklassen zu GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Hübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk Bergbau 55 entwickeln. Darauf aufbauend erfolgte die Auswahl des dafür am besten geeigneten maschinentechnischen Konzepts. Donskoy GOK konnte davon überzeugt werden, dass ein Streckenquerschnitt von knapp 15 m² anstelle des ursprünglich geplanten, etwa 11 m² großen Querschnitts Voraussetzung für eine qualitativ hohe Auffahr- und Ausbauleistung ist. Schachtbau Nordhausen erstellte innerhalb von zwei Monaten als Beistellung für Schachtbau Kasachstan die Änderungen zur Genehmigungs- und Ausführungsplanung. Im Februar 2013 wurde „Das Projekt“ von drei Instituten aus Russland und Kasachstan genehmigt und von Donskoy GOK der Schachtbau Kasachstan schriftlich zur Ausführung freigegeben. Zwei Querschläge – im Mittelteil reduziert auf eine Strecke – sind von der bestehenden zur neuen Schachtanlage mit mehreren Verbindungsstrecken herzustellen. Einen Teil der Auffahrungen hat Donskoy GOK bereits selbst erstellt; davon sind einige Abschnitte wegen zu großer Konvergenzen nicht mehr nutzbar. Fortan ist auf der Sohle –480 m nur noch Schachtbau Kasachstan mit Vortriebsarbeiten beschäftigt und Donskoy GOK bedient das Hinterland. Statische Berechnung Die Berechnung der Spannungsumlagerungen im Gebirge und der Ausbaubelastungen erfolgen an ebenen Modellen für aufeinanderfolgende Vortriebs- und Ausbauphasen. Im Streckenausbaumodell wurden folgende Phasen erfasst: ▶▶ 1. Primärzustand Gebirge ▶▶ 2. Vorentspannung im Ausbruchbereich ▶▶ 3. Teilweise Sicherung ▶▶ 4. Vollständige Sicherung bzw. Auskleidung Die Berechnung wurde mit der Finite-Elemente-Methode durchgeführt. Mithilfe des Modells können die Veränderungen der Spannungen, Kräfte und Verformungen auf Grundlage von Steifigkeitsänderungen während der einzelnen Vortriebsphasen berechnet werden. Als tragende Ausbauelemente werden der Spritzbeton und die radial eingebauten Anker berücksichtigt. Weitere Ausbauelemente erhöhen die Sicherheit in der Bauphase. Bild 3: 10. September 2013: Ein Gebirgsverbund ist nicht mehr erkennbar, Vortrieb in AKL 7.1 mit Stahlbogen zepts als Anker-/Spritzbetonausbau nach dem System der sogenannten Neuen Österreichischen Tunnelbauweise (NÖT). Dadurch können erwartete Konvergenzen geringgehalten werden(Bild 3). Die bisher erzielten Auffahrleistungen bestätigen die Annahmen. Die Ausbaukonvergenzen bewegen sich im Millimeterbereich. Das gewählte Konzept ist im heimischen Berg- und Tunnelbau als Standardkonzept zu bezeichnen. Im kasachischen Bergbau, in dem die Mechanisierung und Flexibilisierung des Vortriebs- und Ausbausystems im Streckenvortrieb noch nicht eingeführt ist, stellt das gewählte Maschinen- und Ausbaukonzept jedoch ein NoBild 4: Die ersten Maschinen erreichen die Baustelle NÖT: Neuartiges Vortriebs- und Ausbau konzept im kasachischen Bergbau Die Anforderung, hohe Vortriebsleistungen mit maximalem Sicherheitsstandard zu gewährleisten, konnte nur unter Anwendung einer innovativen Technologie und mit Einsatz eines hochmechanisierten Bohr- und Sprengvortriebs realisiert werden. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, mit Anpassungen am Maschinen- und Sicherungskonzept auf etwaige unerwartete geologische Bedingungen kurzfristig reagieren zu können. Die gebirgsmechanischen Anforderungen führten zur Festlegung des Sicherungs- und AuskleidungskonHübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau 56 Bild 5: Bohrwagen mit Teleskoplafette beim Ankersetzen Bild 6: Ladearbeit mit dem Tunnel- und Ladebagger ITC 120 Bild 7: Die 3-Wege-Weiche von Maschinenbau Mark bei einem Streckenquerschnitt von 15 m² vum dar. Um die Mechanisierung und Flexibilisierung ohne nennenswerte Anlaufschwierigkeiten konsequent umsetzen zu können, wurde eine volle Vortriebsmannschaft aus beiden Mutterhäusern rekrutiert. Problematisch war die Auswahl des Maschinenparks für den relativ kleinen Streckenquerschnitt (Bild 4). Zur Realisierung des Vortriebs unter Einhaltung der vielfältigen Anforderungen wurde schlussendlich folgender Maschinenpark ausgewählt: ▶▶ Zweiarmiger Bohrwagen Typ AtlasCopco Rocket Boomer 282 mit zwei Teleskoplafetten(Bild 5): Damit können alle erforderlichen Bohrungen erstellt werden, auch die Radialanker im kleinen Querschnitt. Die installierte Luft-Wasser-Spülung schont den Gebirgsverbund und ersetzt zum Teil das Ausblasen der Sprenglöcher. ▶▶ Tunnel- und Ladebagger ITC Terex-Schaeff 120 F4 (Bild 6): Bereißen des freigelegten Gebirges, Laden des Haufwerks in 4,5 m³ große Bergewagen und Hilfestellung bei der Installation der Gitterbögen sind die wesentlichen Aufgaben, die wie erwartet erfüllt werden. ▶▶ Schleppweiche mit drei parallelen Gleisen des Typs Maschinenbau Mark (Bild 7): Diese kann nah an der Lademaschine nachgeführt werden. Mit einem Zugverband von etwa sieben Bergewagen können in kurzer Zeit jeweils der volle Wagen entfernt und ein leerer Wagen wieder dem ITC zugeführt werden. Dazu kann auf dem Mittelgleis die Rangierarbeit für die Großgeräte erfolgen. Die Rangierarbeit funktioniert zur Zufriedenheit aller. ▶▶ Betonnachmischer von Mühlhäuser (Bild 8): Bei einem Fassungsvermögen von 3,2 m³ Spritzbeton werden pro Abschlag ca. drei Einheiten verarbeitet. Kommt es zu geologisch bedingtem Mehrausbruch, wird dieser auch mit Spritzbeton verfüllt. ▶▶ Spritzbetontechnik mit der Spritzmaschine Meyco Altera und dem Spritzmanipulator Meyco Oruga (Bild 9): Sie passen exakt zu den getroffenen Anforderungen. Besonders der Spritzmanipulator mit einem bis zu vier Meter ausfahrbaren Spritzarm erlaubt ein beinahe sofortiges Einbringen der Erstsicherung bei schlechten Gebirgsverhältnissen. ▶▶ Stationäre Betonmischanlage des Typs Hartmann HA MP 1125/750 S: Herstellung des Spritzbetons in Eigenregie in der Schachthalle mit direkter Gleisanbindung zum Schacht. Die Halle wurde komplett abgedämmt, um in Verbindung mit Wärmestrahlern auch bei –40 °C Außentemperatur die nötigen +5 °C sicherzustellen. Die Zuschlagstoffe werden mit dem Fahrlader und der Zement aus Big Bags in Vorsilos gefüllt, bevor sie abgewogen dem Mischer zugeführt werden. Zwischenbilanz der Projektrealisierung Nach nur gut neun Monaten Mobilisierungszeit wurde am 15. August 2013 der erste Abschlag erstellt. Bereits nach wenigen Tagen wurde eine Störungszone durchörtert, deren Beherrschung bereits fünf Tage in Anspruch GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Hübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk Bergbau 57 nahm. Es bestätigte sich sogleich, dass das gewählte Vortriebskonzept beinahe perfekt auf die schwierige Geologie abgestimmt ist. Kein Mitarbeiter musste den gefährdeten Bereich betreten; alle Auffahrungsschritte konnten maschinentechnisch aus dem gesicherten Bereich heraus ohne Personen- und Maschinenschäden gelöst werden. Es wurde dabei bestätigt, wie wichtig es ist, so schnell wie möglich die Erstsicherung mit einer ca. 5 cm dicken Spritzbetonlage aufzubringen. Auflockerungen des Gebirges werden damit frühzeitig vermieden, zudem wird das Gebirge versiegelt und so vor Feuchtigkeit geschützt. Trotz Lernphase und widriger Gebirgsverhältnisse konnten bis Dezember 2013 bereits 172 m Strecke bei Begrenzung der Abschlagslängen auf 1,0 bis 1,5 m aufgefahren werden. Das entspricht einer Vortriebsleistung von 1,35 m/Tag. In den ersten fünf Monaten 2014 wurde die Leistung auf 3,1 m/Tag gesteigert. Der im Jahr 2014 aufgefahrene Streckenabschnitt hatte eine günstigere Geologie und überwiegend eine gerade Streckenführung. In diesen fünf Monaten wurden aber auch ein Bahnhofsbereich und ein Streckenabzweig sowie 25 % der Auffahrung in der von den Normalbedingungen abweichenden Ausbruchsklasse 6 erstellt. Die Tagesleistung hängt wesentlich von der Geologie und der Streckenführung ab. „Wir haben eine sehr motivierte Mannschaft (Bild 10). Unser Streckenausbausystem ist sicher und genügt unter gebirgsmechanischen Gesichtspunkten höchsten Ansprüchen. Die Bergleute befinden sich zu keinem Zeitpunkt in einem ungesicherten Bereich,“ resümiert der verantwortliche Reviersteiger Sergej Hübscher. Bis April 2015 sind nun insgesamt 1.250 m Strecke im Bohr- und Sprengbetrieb mit gleisgebundener Logistik aufgefahren und „TOO Schachtbau Kasachstan“ ist zuversichtlich, den im Jahr 2017 avisierten Durchschlag zum Nachbarschacht ohne nennenswerte Komplikationen und Schwierigkeiten planmäßig realisieren zu können. Bild 8: Der erste Betonnachmischer unter Tage am 15. August 2013 Bild 9: Spritzmanipulator Typ MEYCO Oruga mit Teleskoparm bei der Erstsicherung Bild 10: Durchschlag zur Nordstrecke nach 666 m Auffahrung am 5. Juli 2014 Fazit Die kompetenteder Mannschaft und das gewählte Vortriebs- und Sicherungskonzept haben sich in dieser doch äußerst schwierigen und anspruchsvollen Geologie in den Ausläufern des Uralgebirges vollumfänglich bewährt. Weiteres Optimierungspotenzial zur stetigen Leistungssteigerung auszuschöpfen ist Aufgabe der Betriebsleitung, die bereits erfolgreich daran arbeitet. Mit dem auf der Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode (kurz als „NATM“ bezeichnet) basierenden Ausbausystem, das selbstbohrende Anker und stahlfaserbewehrten Spritzbeton sowie Gitterbogenausbau resp. Stahlbogenausbau beinhaltet, konnte ein für den gesamten post-sowjetischen Raum fortschrittliches und neuartiges Streckenausbausystem auf dem Chromerzbergwerk von Kazchrome erfolgreich implementiert werden. Hübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Bergbau 58 Dipl.-Ing. Sergej Hübscher · Dipl.-Ing. Eugen Hoppe Dipl.-Ing. Sergej Hübscher ist seit 2007 bei Thyssen Schachtbau GmbH als Reviersteiger und nach seiner Rückkehr von der Schachtbaustelle in Norilsk ab dem Jahre 2012 für das Projekt der Streckenauffahrung zuständig, wo er in einem Schichtwechsel „ON/OFF“ 6 Wochen zu 2 Wochen federführend die Vortriebsarbeiten leitet. Dipl.-Ing. Eugen Hoppe begann im Jahr 2012 – nach dem Abschluss seiner Hochschulausbildung an der TFH Georg Agricola – bei der Thyssen Schachtbau GmbH in dem Projekt Streckenauffahrung in Kasachstan seinen beruflichen Werdegang. Er ist vor Ort für die Überwachung der technologischen Vorgänge beim Streckenvortrieb als führender Ingenieur-Technologe zuständig. Kontakt: Kontakt: [email protected] [email protected] Dipl.-Ing. Franz Stangl Dipl.-Ing. Franz Stangl zählt zu den erfahrensten Mitarbeitern im Auslandsgeschäft der Thyssen Schachtbau GmbH. Er hat das in diesem Beitrag beschriebene Projekt als stellvertretender Generaldirektor aufgebaut und bis zu seiner Pensionierung Ende 2014 aus Deutschland, aber auch vor Ort, geleitet. GeoResources Zeitschrift 1 | 2015 www.georesources.net Hübscher, Stangl, Hoppe: Kasachstan: Streckenauffahrung in großer Teufe und schwierigem Gebirge auf einem Chromerzbergwerk