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DEUTSCH 5s
WS 2013/14
Thema: KOMMENTAR
Lies beide Artikel. Bestimme jeweils die Textsorte. Finde Spezialbegriffe und unbekannte Wörter.
Versuche deren Bedeutung aus dem Kontext zu erschließen, schaue bei Bedarf im Internet nach.
Untersuche, welche stilistische Sprachmittel die Autoren verwendet haben. Welche Funktionen haben
sie? Markiere alle Verbindungswörter. Welche Funktion haben sie? Artikel 1: Schreibe die Einleitung
und alle zitierten Aussagen im Konjunktiv um. Artikel 2: Schreibe die ersten zwei Absätze im
Konjunktiv um, verwende dabei auch andere Konstruktionen zur Wiedergabe der indirekten Rede
(siehe Lehrbuch). Überlege, mit welchen Aussagen du einverstanden bist und welche dich aufregen.
Äußere deine Meinung zum Thema, formuliere schriftlich eigene Argumente, die du im Kommentar
verwenden könntest.
Aus dem Ukrainischen: Wir sind eine europäische Familie
Artikel 1.
Heftige Reaktionen auf Conchita Wurst in Russland, Beschwerde in
Serbien
In Russland gab es heftige Reaktionen auf Österreichs ESC-Sieg. - © AP
In Russland sorgte der Sieg von Conchita Wurst für heftige Reaktionen. Der
nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa gar den Untergang
voraus. In Serbien wurde unterdessen eine Beschwerde wegen abschätziger Kommentare
bei der TV-Übertragung eingereicht.
Das Ergebnis des Song Contests zeige “Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet
– ein Mädchen mit Bart”, schrieb Vizeregierungschef Dmitri Rogosin am Sonntag im
Kurznachrichtendienst Twitter.
”Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas”, sagte der nationalistische Abgeordnete
Wladimir Schirinowski, der in Staatsduma als Fraktionsvorsitzender seiner Liberaldemokatrischen
Partei Russlands (LDPR) amtiert, im russischen Fernsehen “Rossija”. “Da unten gibt es keine Frauen
und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es”, ergänzte der Politiker und fügte hinzu: “Vor fünfzig
Jahren (sic!) hat die Sowjetarmee Österreich besetzt und wir waren bis 1955 dort. Es war aber ein Fehler,
dem Land die Freiheit zu geben. Wir (unsere Truppen, Anm.) hätten dort bleiben sollen.” Er bezog sich
auf die Besatzungszeit in Österreichs Osten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Russland instrumentalisiert den ESC-Sieg
Gleichzeitig, so zeigte sich in sozialen Netzwerken, wurde der Sieg des Österreichers auch
propagandistisch gegen die Ukraine instrumentalisiert. Nachdem bereits kurz nach Wursts Sieg ein
scherzhaftes Sujet aufgetaucht war, die Julia Timoschenko mit Bart gezeigt hatte, verbreiteten russische
Dumaabgeordnete am Sonntag eine Fotomonage, das führende ukrainische Politiker, darunter auch
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Timoschenko, gemeinsam Conchita Wurst zeigte. Ukrainisch mit “Wir sind eine europäische Familie”
untertitelt sollte das Bild jenen Sittenverfall illustrieren, der Europa nach Sicht russischer Politiker
angeblich erfasst haben soll.
“Die schlimmste Niederlage der EU”
Ebenso im russischen Fernsehsender “Rossija” hatte der Sänger Danko im Zusammenhang mit dem Sieg
Wursts von der “schlimmsten Niederlage der Europäischen Union” gesprochen und davon, dass man
nun Europas “wahres Gesicht” gesehen hätte. Der Fernsehmoderator sekundierte: “Das ist ein Requiem
auf Europa, das ist das Begräbnis traditioneller Werte.”
Abschätzige Kommentare in Serbien
Die Moderatoren des serbischen staatlichen TV-Senders RTS sind am Sonntag vom Belgrader Gay- und
Lesben-Infozentrum wegen ihrer abschätzigen Kommentare über die österreichischen Song-ContestTeilnehmerin Conchita Wurst heftig kritisiert worden. Der Sender wurde aufgefordert, sich für das
Verhalten seiner Moderatoren zu entschuldigen.
“Es ist unzulässig, die transsexuelle Person Conchita Wurst in den Bereich des Bizarren, eines Zirkus
oder einer Freak Show zu versetzen und jedes Mal zu staunen, wenn sie die höchste Punktezahl erhielt”,
erklärte Predrag Azdejkovic, Leiter des Infozentrums. Mit diesem Verhalten hätten die Moderatoren die
LGBT-Gemeinschaft diskriminiert, sagte Azdejkovic. Das Infozentrum wird sich laut Azdjekovic mit
seiner Beschwerde auch an die Beauftragte für den Schutz der Gleichberechtigung sowie die staatliche
Rundfunkbehörde wenden. (APA)
www.vienna.at 11. Mai 2014 20:07
410 Wörter
Artikel 2.
Tolerantes Österreich, verzopftes Österreich
SONG CONTEST 2014: CONCHITA WURST AM FLUGHAFEN WIEN / Bild: (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG
HOCHMUTH)
Österreich war vor dem Songcontestsieg nicht so rückständig, wie manche
behaupten. Und ist danach nicht so weltoffen, wie viele schreiben.
Florian Asamer (Die Presse)
Da schau her, das ist aber schnell gegangen. Bis vor Wochenfrist war Österreich noch in den
internationalen Schlagzeilen, weil sich laut einer aktuellen Studie jeder Dritte einen starken Führer
wünscht (was sich wunderbar als Verlängerung der Debatte um die unseligen Aussagen des
Andreas Mölzer eignete). Und nun gelten wir nach dem Sieg von Thomas Neuwirth alias Conchita
Wurst beim europäischen Wettsingen in Kopenhagen auf einmal als Vorzeigeland für Weltoffenheit,
Toleranz und frei gestaltete Lebensentwürfe. Als Draufgabe sind wir noch zur Rolle als
Gegenentwurf zum finsteren Putin-Russland gekommen. Ein bisserl wie die Dragqueen zum Kind
freilich.
Das ist alles natürlich genauso wahr, wie es völlig falsch ist. Wobei speziell der Russland-Aspekt
schon zum Lachen ist: Nach den Anbiederungsversuchen heimischer Repräsentanten rund um die
Olympischen Spiele in Sotschi (und natürlich wärmen wir hier auch gern wieder die peinliche
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Nichtpräsenz beim Nelson-Mandela-Begräbnis in Südafrika ein paar Wochen davor auf) muss man
schon sehr genau darauf achten, wer sich von der Staatsspitze abwärts jetzt den WurstWiderstandsbutton am Bande an die stolzgeschwellte Brust zu heften versucht.
Bevor auch hier ein urösterreichischer Fehler gemacht wird, nämlich einen ausschließlich
höchstpersönlichen Erfolg kollektiv zu vereinnahmen, sei ausdrücklich festgehalten: Das Auftreten
von Neuwirth/Wurst auf und abseits der Bühne, die Authentizität der Lebensgeschichte, die Kreation
der Kunstfigur nötigen größten Respekt ab. Österreich hätte sich keinen besseren Vertreter
wünschen können. Der auch das Glück hatte, mit seinem Konzept genau zur richtigen Zeit am
richten Ort zu sein. Solche Erfolge und solche Wirkungen müssen passieren, planen kann man sie
nicht.
Apropos urösterreichisch: Wer in die Kritik einfällt, wie typisch es für dieses Land sei, wegen des
Sieges bei einer halblustigen Veranstaltung so begeistert zu sein, der möge sich den Hype in
unserem Nachbarland in Erinnerung rufen, als Lena Meyer-Landrut 2010 für Deutschland den
Songcontest gewinnen konnte. Bis zur Austragung der Veranstaltung ein Jahr später dauerte die
kollektive Begeisterung an. Auch in dieser Hinsicht reagiert Österreich ziemlich normal. Nur
gewinnen wir seltener.
Ganz abgesehen davon aber ist es schon überraschend (und vor allem sehr erfreulich), dass
Österreich nun in ganz Europa plötzlich als Blaupause für eine offene, moderne, mutige
Gesellschaft taugt, in der man sich etwas traut und mit Witz und Intelligenz auf Ausgrenzung
reagiert. Denn nach vielen Jahren der Prügel, in denen Österreich als Land beschrieben wurde, das
seine Lektionen aus seiner Geschichte nicht gelernt habe, das ohne EU-Sanktionen seinen Weg
innerhalb der Staatengemeinschaft nicht finde, als die Heimat der Fritzls und Priklopils, nehmen
viele nun erstaunt und erleichtert zur Kenntnis, dass man auch eine ganz andere Geschichte
erzählen kann. Und erzählt.
Die Geschichte über ein Land, in dem sich mit dem Life Ball die weltgrößte Aids-Charity schon zu
einer Zeit etablieren ließ, als das noch alles andere als selbstverständlich war. Ein Land, in dem
besonders auch Menschen mit anderer sexueller Orientierung gern und überproportional Urlaub
machen, weil sie sich hier wohl und akzeptiert fühlen. Ein Land der Kunst und Kultur. Nicht nur als
Reminiszenz an klassische Epochen, sondern auf der Höhe der Zeit. Man denke etwa nur an die
jüngst mit Preisen überhäuften Schöpfungen österreichischer Filmschaffender.
Insofern eignet sich das so widersprüchliche und für viele so schwer zu ertragende Bild einer Frau
mit Bart, die einfach ein Mann in Frauenkleidern ist, nur allzu gut als Chiffre für Österreich. Ein Land
mit vielen widersprüchlichen Facetten.
Es steht allen frei, sich öfter mit den positiven Seiten auseinanderzusetzen. Und die negativen
Seiten anzunehmen und zu verändern. Denn: Wenn man nur will und offen ist, kann man sogar
beim Songcontest noch etwas lernen.
E-Mails an: [email protected]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)
578 Wörter
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