Von einem, der um sich selbst kreist: ein Abend
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Von einem, der um sich selbst kreist: ein Abend
Von einem, der um sich selbst kreist: ein Abend mit Mark Kozelek Auf seinem Album Perils from the Sea, Produkt einer eher ungewöhnlichen Kollaboration, erzählt Mark Kozelek aus dem eigenen Leben. Seine bewegenden Anekdoten handeln von alltäglichen Schicksalen, von der Heimat, der Familie und dem Tod. Sehen und hören konnte man ihn vor Kurzem in San Francisco | von Moritz Müller-Schwefe Es ist schon ein paar Minuten her, seit der breitschultrige Gitarrist mit Bürstenschnitt die spärlich beleuchtete Bühne der Great American Music Hall San Franciscos betreten hat. Etwas ungelenk kam er daher, hochgewachsen und ganz in schwarz gekleidet, ein Bier in der Hand. Jetzt sitzt er schweigend auf einem Hocker am Rand der Bühne und beugt sich über die Saiten seiner Gitarre, um sie zu stimmen. Das Publikum wartet gebannt auf das Ende dieser kleinen Zeremonie; Drummer und Pianist haben längst hinter Ihren Instrumenten Platz genommen. Noisepop: An Evening with Mark Kozelek, ist auf dem schrill-bunten Plakat über der Bühne zu lesen. Der Slogan irritiert etwas, denn weder noise noch pop, das wird schnell klar an diesem Abend in San Franciscos berüchtigten Tenderloin District, scheinen Worte zu sein, die die Musik Mark Kozeleks in irgendeiner Weise fassen oder beschreiben könnten. „I don’t give a shit about Noisepop“ – beinahe folgerichtig scheint da sein Kommentar, den er auf den ersten Song und die Kürzest-Begrüßung des Publikums folgen lässt. Und doch überrascht die trocken vorgebrachte Ehrlichkeit natürlich. Immerhin sei es nett, ergänzt Kozelek, dass er bloß zehn Blocks von seinem Apartment zu laufen brauche, um mal eben 10.000 Dollar zu verdienen. Auch der sitzt, Applaus brandet auf. Doch wer sich den in Ohio geborenen Musiker als Entertainer denkt, der fehlt. Künstler, Musiker, Sänger – der klassische SingerSongwriter? Auch diese Begriffe wollen nicht so recht zu dem 47-Jährigen passen, der bisher meist als Bestandteil der Folk-Rock-Gruppen Red House Painters und Sun Kil Moon in Erscheinung trat und erst seit gut zehn Jahren Solo-Alben aufnimmt. Es dauert ein paar Songs, ehe man die passende Vokabel für Kozelek gefunden hat. Er ist – zumindest heute und auch beim Blick auf seine letzten Alben – vor allem eines: ein außergewöhnlicher Geschichtenerzähler. Perils from the Sea Da ist zum Beispiel das im vorigen Jahr veröffentlichte Album Perils from the Sea, aus dem er an diesem Abend überwiegend spielt. Die Songs, zu denen der inzwischen der elektronischen Musik zugewandte Jimmy LaValle (ehemals Tristeza, heute The Album Leaf), die Musik, Kozelek den Gesang beisteuerte, sind so einzigartig wie die Kollaboration der beiden Musiker selbst. Entstanden ist sie aus gegenseitiger Sympathie und Wertschätzung für die Musik des anderen, wie LaValle und Kozelek vor Kurzem in einem Interview angaben. So weit, so gut. Das Besondere an der ganzen Sache? Persönlich getroffen haben sich die beiden nie, um am gemeinsamen Album zu feilen. Vielmehr schickte der in San Diego lebende LaValle die von ihm komponierten Tracks per email an Kozelek, der in seinem Studio in San Francisco die Worte, die Lyrics für sie fand. Hakte ein Song, ging er zurück in den Süden. Dort nahm LaValle entweder gleich die von Kozelek vorgeschlagenen Änderungen vor oder schraubte selbst noch einmal am Sound, der nun die Stimme Kozeleks so wunderbar umfließt, so gekonnt inszeniert. Die Sache entwickelte sich. Hatten die beiden zunächst lediglich eine EP-Veröffentlichung ins Auge gefasst, wurde aus dem gemeinsamen Projekt bald mehr. Es entstand ein ganzes Album. Zum Glück, denn einzigartig ist eben nicht nur die Zusammenarbeit, auch die Songs sind es. Ein außergewöhnlicher Geschichtenerzähler Denn diese enthalten kurze Geschichten, Bruchteile aus dem Leben Kozeleks, rührende Beschreibungen des Alltäglichen. So wie in Caroline, einem Song, den Kozelek seiner Freundin widmet und an diesem Abend als einen der ersten zum besten gibt. Er handelt schlicht vom Heimweh, das der Protagonist (Kozelek, darf man annehmen) auf und gar vor seinen Tourneen verspürt, von der Sehnsucht nach der Nähe der Geliebten und der Heimat, den Straßen San Franciscos. Unterlegt mit einer einfachen Elektro-Melodie und einigen wenigen Gitarrenakkorden, entfaltet dabei die immer wieder überraschend weiche, warme Stimme Kozeleks ihre ganze Wirkung. Und wenn er zwischendrin von den einsamen Nächten in europäischen Sternehotels singt (oder besser: erzählt), fühlt sich das in etwa so an wie ein Film von Sofia Coppola – entwaffnend authentisch, eindringlich. Besonders ist Caroline dabei auch deshalb, weil es der einzige Track des Albums ist, der einen echten Refrain enthält, einen Kehrvers. Alle anderen Songs erzählen in einem fort – im parlando von den Drogenproblemen des eigenen Bruders zum Beispiel, wie in What Happened to my Brother?, von dem Tod eines alten Freundes (Somehow the Wonder of Life Prevails) oder dem bewegenden Schicksal des illegalen mexikanischen Auftragsarbeiters Gustavo. Dessen Geschichte beginnt mit dem Kauf eines heruntergekommenen alten Hauses im Nirgendwo Kaliforniens. Offen gesteht der Protagonist schon zu Beginn sein Misstrauen, seine Antipathie gegen die mexikanischen Tagelöhner, die er einstellt, um das marode Haus zu renovieren. Deren Gesäge und laute Musik bringen ihn um den Verstand. Doch als er die Hingabe bemerkt, mit der sich die Angeheuerten schon bald ihrer Arbeit widmen, ändert sich sein Blick. Ja, sie wachsen ihm ans Herz. Er verlängert den Auftrag und lässt sie bei sich wohnen („Made 'em a key and got 'em a microwave“), begleitet sie sogar auf ihren Abstechern in Stripclubs und Kasinos. Es sind die Mexicans, die ihn aus seiner Versenkung holen, die aus Holzhacken, Fertiggerichten und TV-Shows besteht. – Und doch will er sich die Freundschaft nicht recht eingestehen, entschuldigt die gemeinsamen Ausflüge beinahe („It gets boring in the mountains, you know“). Es ist die Beschreibung dieser eigenartigen Fast-Freundschaft, die an diesem Track fasziniert. Die Wendung, die dieser zuletzt nimmt, geht schlicht unter die Haut: Wenn Kozelek erzählt, wie Gustavo auf einem seiner Trips von der Polizei aufgegriffen und innerhalb kürzester Zeit nach Mexiko deportiert wird. Bewegend beschreibt der Song, wie ein Hilfe-(An)ruf Gustavos aus Tijuana, den Protagonisten in ein Dilemma stürzt, ihn in der Folge umtreibt, verzehrt: They deported him back to Mexico He called me collect from a Tijuana pay phone Asking man, could you wire me money? 2500 for a border coyote He needed work and he missed his family But I hung up and I said I’m sorry But I hung up and I felt uneasy I hung up and my heart was heavy I hung up and my back was aching (…) And I looked down and my hands were trembling And I looked up and my roof was leaking Sein einziger Ausweg, scheint es, ist das Verdrängen. Gelingen will das aber nicht. Ganz nämlich wird er das Vergangene nicht los – in seinem unfertigen Haus, unter dem leckenden Dach, das beinahe sinnbildlich für den unvermeidlichen Erinnerungsprozess stehen könnte, dem er sich ausgesetzt sieht. Angesprochen auf Gustavo, gibt er an, in letzter Zeit gar nicht an ihn gedacht zu haben („Really I don’t give much thought to Gustavo“). Das aber nimmt man ihm nicht ab, zu sehr berührt gerade auch den Hörer das Schicksal seines irgendwie-doch-Kumpels, die Geschichte dieser eigenartigen Freundschaft. Gustavo – Vom Song zur Anekdote Das Adressieren der Hörer, das Herausfordern jener (was würdest du tun, 2.500 Dollar für einen beinahe Unbekannten überweisen? Was würdest du antworten?) ist überhaupt eine faszinierende Nebenwirkung dieser kleinen Erzählung. Die nimmt damit gar die literarische Form der Anekdote an, in der für kurze Zeit Grenzen überwunden, Vorurteile gesprengt und Konventionen umgekehrt werden, ehe der Rückfall in die alten Standards (hier mit „Hilfe“ der Verdrängung) das Erlebte zu einer flüchtigen, beinahe surrealen Momentaufnahme degradiert. Unter die Haut gehen viele der Songs von Perils form the Sea, so auch Ceiling Gazing, dessen einfacher elektrischer Orgelsound einen wunderbaren Hintergrund für den intimen wie melancholischen Bewusstseinsstrom des Protagonisten abgibt. Schlaflos im Bett liegend, überkommen diesen Erinnerungen an seine Nächsten. Gänsehaut befällt den Hörer gleich zu Beginn, bei der so schlichten wie rührenden Beschreibung des Begräbnisses des verstorbenen Großvaters und der seltenen Tränen des Vaters. Got me thinking ‘bout my Grandpa for some reason Met him half a dozen times in the nursing home Last time I saw him he was in a box They were lowering him into the ground St. Mary’s Church stood so high It was the first and the last time I saw my Dad cry The ground had a thin coat of snow And I wandered off in the cold Von der Beerdigung des Großvaters wandern die Gedanken zur gerade geschiedenen Schwester in Ohio, zu deren alles andere als leichten Lebensumständen als alleinerziehende Mutter zweier Kinder. – Es ist der Blick aus dem Fenster, der den Schlaflosen schließlich zurück in die Gegenwart, zurück in die Heimat holt. Die Bay, die langsam vorbeiziehenden Frachtschiffe, die Lichter des nahen Sausalito, die marginalen, so alltäglichen (allnächtlichen) Beobachtungen, scheint es, lassen den Erzähler zu sich kommen, lassen ihn begreifen und justieren den Blick inwärts: Die Freundin und den Hund neben sich spürend, überkommt ihn ein plötzliches Glücksgefühl. Outside my window tonight, Sausalito’s twinkling lights My love’s beside me deep asleep The dog is laying between my feet Outside my window tonight The cargo ships are cruising And I’m so happy to be alive To have these people in my life Laying in my bed ceiling gazing In der Beschreibung des Unscheinbaren, des N e b e n s ä c h l i c h e n , i m Ve r m e r k e n d e r Randnotizen des Alltags, die doch so wichtig, so folgenschwer sein können, liegt eine weitere große Stärke der Songs, nein, der Erzählungen Mark Kozeleks. Kaum eine macht das so deutlich wie jene, die mit 1936 betitelt ist und einen Dime, eine fingernagelgroße amerikanische Münze zum Mittelpunkt hat. Welchen ideellen Wert diese für seine Mutter besitzt, ist dem pubertierenden Protagonisten nicht bewusst, als er sie in einer Schublade findet und in ein Tütchen Haschisch investiert. Als die Mutter Jahre später den Verlust bemerkt und die Geschichte der Münze offenbart, sind beide untröstlich: Sat down on the floor, I held her so close That little silver coin was all she had to show For her father's love and the time they had Before he held her last time, never came back Eindrücklich beschreibt Kozelek anschließend die plagenden Gewissensbisse des mittlerweile erwachsenen Protagonisten. Dessen Suche nach einem anderen 1936er Dime ist schließlich erfolgreich, eher zufällig entdeckt er ihn eines Tages im Wechselgeld. Sent it to my mom, said it ain't the one But please forgive me, please, for the hurt that I have done I won't stop looking, hurts me to this day You know I love you Mom, no words could ever say Blickt man auf die Texte des Albums, lässt sich interessanterweise in beinahe jedem von ihnen eine solche Kreisbewegung entdecken. Der Dime findet, auch wenn es nicht derselbe ist, zurück in die Hände der Mutter, die Gedanken drängen zurück ins Jetzt, das Haus bleibt zuletzt doch unsaniert, Kozelek selbst zieht es immer wieder in die Heimat. Letzteres beweist nicht nur der anfangs erwähnte Song Caroline, auch die großartige, achtminütige Ballade Baby in Death Can I Rest Next to Your Grave zeugt von der Liebe zu San Francisco, “seiner“ Stadt, “seinen“ Straßen, “seinem“ Tenderloin District, das er heute Abend gar nicht verlassen muss, um sich sein lohnendes Salär (wir erinnern uns) abzuholen. Übrigens sind die meisten der Kürzestgeschichten aus Perils from the Sea autobiografische, wie Kozelek während des Konzerts immer wieder betont. Und so dämmert einem bald schon, dass man es hier vielleicht mit einem zu tun haben könnte, der sich selbst umkreisen, der sich fassen, sich begreifen, der rekapitulieren möchte und damit unversehens auch den Hörer umkreist, bewegt und aufwühlt. Dass ihm das nicht nur mit seinen Alben, sondern auch an diesem Abend in der Great American Music Hall gelingt, überrascht kaum. So einnehmend ist Kozeleks Stimme, dass man gleich mit den ersten Songs ein- und abtaucht, in die so eindrücklichen Episoden seines Lebens, in die Welt, die Kreise dieses einzigartigen, so eigenen Geschichtenerzählers. Perils from the Sea (Studio Album) Mark Kozelek & Jimmy LaValle Caldo Verde Records, 2013