Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich

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Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich
Biografie- und Chronik-Service Dr. Ulrich Erdmann (BCE)
Hopfenstraße 2, 24114 Kiel, Tel.: 0431/ 6614300, www.erdmann-kiel.de
Ulrich Erdmann:
Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich
(1950 - 1962)
Gutachten
Kiel 2016
Im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Gliederung
1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage
S. 3
2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962
2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen
S. 10
2.2.) Als Landtagsabgeordneter
2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954)
S. 35
2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958)
S. 59
2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962)
S. 74
2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis
zu Trappenkamp
2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps
S. 95
2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp
S. 106
2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp
S. 122
(1957-1962)
2.4.) Epilog Oktober bis Dezember 1962
S. 134
3.) Zusammenfassung
S. 137
4.) Quellen und Literatur
S. 142
2
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage
Ausgangspunkt des hiermit im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp vorgelegten
Gutachtens „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich (1950-1962)“ war der
überraschende Fund einer Akte Gerhard Gerlichs (09.09.1911-27.12.1962) bei den
Beständen des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS von 1940 im Bundesarchiv Berlin.
Diese wurde 2012 in dem Aufsatz von Christina Schubert über „Die Abgeordneten des
Schleswig-Holsteinischen
Vergangenheit“
„Skandale
in
Landtags
nach
1945
und
ihre
nationalsozialistische
im Rahmen des von Sönke Zankel herausgegebenen Sammelbands
Schleswig-Holstein.
Beiträge
zum
Geschichtswettbewerb
des
Bundespräsidenten“ kurz und mit zwei Fußnoten erwähnt. 1
Der Bürgermeister von Trappenkamp, der Leiter der damaligen Grund- und Hauptschule
und heutigen Grundschule „Dr. Gerlich-Schule“ in Trappenkamp sowie der Vorstand des
Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig Holstein e.V. (SKW) wurden ab 2012
aufgefordert, sich mit diesen neuen Informationen über G. Gerlichs Vergangenheit und mit
daraus
erforderlichenfalls
erwachsenden
Konsequenzen
auseinanderzusetzen.
Im
Frühjahr 2013 wurde der Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann (Kiel)
dementsprechend vom Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. mit einem Gutachten über
„Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ beauftragt. Als ein wesentliches
Ergebnis
der
Untersuchung
dürfte
Gerhard
Gerlichs
aktives
und
bewusst
wahrheitswidriges Leugnen seiner zeitweisen Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS im
Entnazifizierungs-Fragebogen vom 21.10.1947 gelten, das er und sein Bruder Walter
Gerlich als Zeugen mit ihren Unterschriften bekräftigten.
Die meisten seiner Zeitgenossen hatten seinerzeit quer über alle Parteien hinweg dieses
schematische und auch inhaltlich fragwürdige Verfahren der Entnazifizierung zwar
ebenfalls abgelehnt. Aber im Unterschied zu ihnen konnte G. Gerlich mit seinem (lange
über den Tod hinaus wirksamen) Verschleiern in den Nachkriegsjahren die Basis für eine
eindrucksvolle Karriere in seiner Partei, in Vertriebenenverbänden, im Kieler Landtag und
1
Schubert, Christina: Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags nach 1945 und ihre
nationalsozialistische Vergangenheit, in: Sönke Zankel (Hg.): Skandale in Schleswig-Holstein. Beiträge
zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, Kiel 2012, S. 71-128, darin S. 90
3
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
in der Position als Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers auch als Teil der
Landesregierung von Schleswig-Holstein legen. Aus dem historischen Abstand ist
angesichts dieser zusätzlichen Informationen somit zu prüfen, inwiefern Gerlichs Wirken in
der Kommunal- und Landespolitik der Nachkriegszeit und sein Engagement bei einzelnen
Projekten vor diesem Hintergrund anders zu bewerten ist.
Als Ausgangspunkt wurde das Gutachten „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich
bis 1947“ dem Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. entsprechend der vereinbarten
Archivforschungen im Sommer 2013 vorgelegt. 2 Nach längeren Verhandlungen über
eventuell aus dem Familienkreis Gerlichs beizusteuernde Ergänzungen und juristische
Fragen kamen der Verfasser dieses Gutachtens, der Vorstand des SKW und die
Gemeinde Trappenkamp überein, diese Untersuchung im November 2015 auf der
gemeindeeigenen Homepage unter dem Link
http://www.trappenkamp.de/gutachten_dr_gerlich.html
zu veröffentlichen.
Zudem wurde diese Untersuchung am 11.11.2015 den Gemeindevertretern vorgestellt und
aus der angeregte Diskussion ergab sich der Wunsch, mit einer Ergänzung über die
Nachkriegsjahre
von
Gerhard
Gerlich,
sein
politisches
Wirken
als
CDU-
Landtagsabgeordneter und seine Verdienste für die Entwicklung der Gemeinde
Trappenkamp bis zu seinem überraschenden Tod im Dezember 1962 näher zu erforschen.
Mit einer Gesamtschau der historischen Lebensverhältnisse und seines jeweiligen
Handelns innerhalb dieser Rahmenbedingungen soll ein umfassenderes Bild vom Wesen
und Wirken Gerhard Gerlichs für weitergehende Diskussionen und Entscheidungen am
Ort gegeben werden. Dementsprechend erteilte die Gemeinde Trappenkamp im
Dezember 2015 dem Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann einen
ergänzenden Auftrag zu dem Gutachten „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich“.
Dieses wird hiermit im Juni 2016 vorgelegt.
Die Quellenlage zum Untersuchungsgegenstand erwies sich wie bei der Untersuchung
„Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ als problematisch. Bereits bei
diesem Erst-Gutachten hatten 2013 Anfragen nach Originalmaterial von Gerhard Gerlich in
2
Erdmann, Ulrich: Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947. Gutachten, Kiel 2013, im
Folgenden: Erdmann, Lebensstationen
4
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
der
Landesbibliothek
Schleswig-Holstein
in
Kiel,
dem
Schleswig-Holsteinischen
Landesarchiv in Schleswig, bei der Verwaltung des Schleswig-Holsteinischen Landtages
wie auch im Stadtarchiv Neumünster kaum oder keine Ergebnisse hervorgebracht.
Anfragen von 2016 bei dem CDU-Landesverband Schleswig-Holstein, der CDULandtagsfraktion oder dem CDU-Kreisverband Neumünster wurden zumeist mit spärlich
vorhandenen Auszügen aus der Sekundärliteratur und dem Hinweis auf das Archiv für
Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin
beantwortet.
Ähnliches Material bekam der Gutachter auf spezifizierte Anfrage auch von dort
zugesandt, auf gezielte Nachfrage bei Herrn Dr. Andreas Grau allerdings auch einen
prägnanten Gerlich-Artikel von November 1951. Bereits Zeitgenossen Gerlichs verfügten
aus Mangel an Quellenmaterial aus den Gründungsjahren der CDU über wenig
verlässliche biografische Fakten, wie die Pressemitteilung „Zum Ableben von Dr. Gerhard,
MdL“ des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein vom Todestag 27.12.1962 illustriert.
Darin heißt es (wohl in Verwechslung mit seinem gleichfalls promovierten Bruder Walter)
„Dr. Gerlich gehörte dem Landesvorstand seit 1947 an (...)“, obschon er im Oktober 1947
aus der russischen Kriegsgefangenschaft in Deutschland eintraf und erst im Januar 1948
in die CDU eintrat.3
Aus dem Archiv der Sudetendeutschen Landsmannschaft Schleswig-Holstein in Kiel,
deren Zweiter Landesobmann Gerhard Gerlich von ca. 1952 bis zu seinem Tod gewesen
war, konnte der Vorsitzender Wolfgang Steltzig ebenfalls kein Material aus der
Nachkriegszeit
beisteuern.
Zumeist
keine
Antworten
kamen
zudem
von
den
angeschriebenen wenigen Zeitgenossen Gerhard Gerlichs sowie seinen engsten
Familienangehörigen, die bei der Untersuchung „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard
Gerlich bis 1947“ noch 2013 mit Material aus Privatbeständen, Auskünften und
Korrespondenz freundlicherweise behilflich sein konnten.
Weitere Anfragen nach Sichtung des Archivs des Sudetendeutschen Kulturwerks SH in
Trappenkamp wurden vom Vorstand mit Verweis auf die auf diesen Beständen basierende
und 2007 herausgegebene Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich,
3
Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung Nr. 44/62 des
CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962; sowie Erdmann, Lebensstationen, S. 42-44 u. 49
5
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und
Bornhöved“ von Klaus Deneke abschlägig beschieden. Ein Zugang war auch nach dem
Hinweis auf dort fehlende Quellenangaben und die begrenzte wissenschaftlich
Aussagekraft der inhaltlich reichen und verdienstvollen Publikation nicht möglich.
Stattdessen bedankt sich der Gutachter bei dem SKW-Vorstandsmitglied Klaus Deneke,
für diese Untersuchung 2016 einiges kopiertes Material aus seinen Privatbeständen zum
Thema Gerhard Gerlich freundlicherweise zur Verfügung gestellt zu haben.
Zu den seltenen schriftlichen Nachweisen über eine direkte Mitwirkung und Einflussnahme
des Landes- und Kommunalpolitikers vor Ort konstatierte Deneke in seiner Broschüre
„Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich“ mit Recht:
„Er liebte es, aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen
Einfluss spielen zu lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im
Einzelnen alles bewirkte.“4
Gerlich pflegte offenkundig eine bewusste, uneitle Zurückhaltung, die auch im Positiven
wenige dokumentierte Spuren seines Agierens hinterließ, dafür aber im Stillen politisch
gewiss umso größere Wirksamkeit entfaltete. Exemplarisch für eine entsprechend
aufwändige Spurensuche in zeitgenössischen Medien mag das einzige Pressefoto von
Gerhard Gerlich in Trappenkamp sein, das der Gutachter im Rahmen seiner Recherchen
fand. Zu einem Besuch von „Bundesminister Lindrath in Trappenkamp und Wahlstedt“
fand sich in Artikeln der Segeberger Zeitung und den Kieler Nachrichten vom 21.02.1958
zwar der Hinweis auf die Begleitung des Ministerpräsidenten und des Landrats des
Kreises Segeberg, nicht aber auf die des Abgeordneten Gerhard Gerlich.
Erst ein Jahr später bekamen die Leser der Monatsschrift „Wort und Bild. Stimme der CDU
in Schleswig-Holstein“ in der Ausgabe vom März 1959 als Illustration des Artikels
„Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat“ eine
gemeinsame Fotografie von vier Prominenten im „Haus des Ostens“ am Ort zu Gesicht. In
der Bildunterschrift war dazu zeitlich bedauerlich unkonkret angegeben: „Rechts im Bild
stehend der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich, der von
4
Deneke, Klaus: Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und
zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved, Kiel 2007, S. 19; im Folgenden: Deneke,
Materialien
6
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Anbeginn mit Rat und Tat maßgeblich am Aufbau Trappenkamps Anteil nahm.“ 5
Diese für einen Spitzenpolitiker ungewöhnliche Pressescheu fand der Gutachter bei
seinen Recherchen 2016 erneut bestätigt, so dass sich die vorliegende Arbeit
schwerpunktmäßig auf die dokumentierten Äußerungen Gerhard Gerlichs während der
Plenartagungen des Schleswig-Holsteinischen Landtags von August 1950 bis Dezember
1962 stützt. Dazu wurden die Wortprotokolle der 2. Wahlperiode (1950-1954, 1858 Seiten)
sowie die stenographische Berichte der 3. Wahlperiode (1954-1958, 4017 S.), der 4.
Wahlperiode (1958-1962, 2944 S.) und zu Beginn der 5. Wahlperiode (29.10.196218.12.1962) auf Beiträge des Abgeordneten Gerlich hin gesichtet und analysiert.
Ebenso wurde mit den Protokollen der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse
verfahren, an denen Gerhard Gerlich mitwirkte. Diese betrafen seinerzeit Vorwürfe gegen
die Landtagspräsidenten Karl Ratz (1951) und Walther Böttcher (1959) sowie die beiden
Ausschüsse I und II in der Angelegenheit Prof. Heyde/Dr. Sawade (1960/61). Für die
Unterstützung bei der Einsichtnahme im Landeshaus in Kiel sei Manfred Hater vom
Informations- und Dokumentationsdienst des Schleswig-Holsteinischen Landtags herzlich
gedankt.
Ergänzend untersuchte der Gutachter die Jahrgänge 1950 bis 1962 der „SchleswigHolsteinischen Volkszeitung“ sowie in der „Segeberger Zeitung“ die Jahrgänge 1955-1960,
die für die Gründungszeit der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp entscheidend
waren. Entsprechend der derart aufgefundenen Spuren zu Gerhard Gerlich wurden
weitere Zeitungen wie der „Holsteinische Courier“, die „Kieler Nachrichten“ oder andere
Tageszeitungen punktuell herangezogen. Für die vielfältige Unterstützung dabei in der
Landesbibliothek Schleswig-Holstein in Kiel sei dem Leiter Direktor Dr. Jens Ahlers und
seinen Mitarbeiterinnen herzlich gedankt.
Inhaltlich lag das Augenmerk auf den politischen Erfahrungen Gerlichs in den
Nachkriegsjahren und damit auf der Wandlung seiner Schwerpunktsetzungen in den
Politikbereichen des Flüchtlingswesens, der Bildung (insbesondere seines Engagements
gegen die Volksoberschule Preetz) und der Finanzen (mit Rückwirkung auf den Ausbau
5
Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4/5 (Artikel:
Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat); im Folgenden: WuB, CDU-SH
7
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
der
Gemeinde Trappenkamp). Dieser Verlauf spiegelte sich auch in seiner Wahl von
Mitgliedschaften der Landtagsausschüsse von 1950 bis 1962 wider. Zugleich wurde vor
dem Hintergrund vor Gerlichs bewusster Falschauskunft seiner SS-Mitgliedschaft im
Entnazifizierungs-Fragebogen von 1947 untersucht, in welcher Weise er
an einigen Auseinandersetzungen der Schleswig-Holsteinischen Nachkriegspolitik mit der
NS-Vergangenheit teilnahm und wie sein Verhalten auf dem Weg des Bundeslandes wie
auch einzelner Kommunen zu einer gefestigten Demokratie zu interpretieren ist.
Die dargestellten Lebensstationen von Gerhard Gerlichs in Nachkriegsdeutschland von
1947 bis zu seinem Tod 1962 werden anfänglich chronologisch in die Kapitel „Neumünster
als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ sowie seine weiteren Jahre als Abgeordneter
in den Wahlperioden 1950-1954, 1954-1958 sowie 1958-1962 gegliedert. Das
Eingangskapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ kann als
Grundlage und Folie zum vertiefenden Verständnis der Folgekapitel dienen, die Gerhard
Gerlichs Entwicklung ab 1950 im Kieler Landtag und ab 1955 als Beteiligter an dem
Prozess nachzeichnen, auf welche Weise die Gemeinde Trappenkamp 1956 zur
Selbstständigkeit mit einem schließlich funktionierenden demokratischen Gemeinwesen
gelangte.
Die Anfänge Gerhard Gerlichs in Neumünster ab 1947 bieten dazu einen Rahmen mit
seiner Etablierung innerhalb von Vertriebenenorganisationen, dem Kreisverband der CDU
als Führungspersönlichkeit oder den miterlebten Problemen von Politikern auch anderer
Parteien beim praktischen Umsetzen neuer demokratischer Regularien. Gerlichs
kommunalpolitische und innerparteilichen Erfahrungen in Neumünster korrespondierten
während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder Walter Gerlich in
aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die Vorherrschaft innerhalb der
CDU zu erringen. Die jeweiligen Stadien ermöglichen es, plausible Zusammenhänge mit
seiner Karriere im CDU-Landesvorstand und insbesondere im Kieler Landtag herzustellen.
Diese werden in den drei Folgekapiteln insbesondere anhand von Debattenbeiträgen
zwischen 1950 und 1962 illustriert, wobei nach offizieller Zählung die „Zweite Wahlperiode
(1950-1954“) die erste von G. Gerlich als gewählter Abgeordneter darstellte.
Diese Zusammenhänge bieten zudem ein vertiefendes Verständnis für Gerlichs
8
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
besonderes Engagement ab 1955 in drei chronologisch angeordneten Kapiteln „Als
Vertriebenen- und Kommunalpolitiker im besonderen Verhältnis zu Trappenkamp“.
Gerade für das Gründungsjahr 1956 mit zwei Gemeindevertreterwahlen am Ort werden
Gerhard Gerlichs Erfahrungen und Mittel im partei- und landespolitischen Meinungskampf
anhand von verstreuten Indizien herangezogen. Nach dem Abschlusskapitel
„Epilog
Oktober bis Dezember 1962“ und einer zusammenfassenden Einordnung werden die
verwendeten Quellen, Periodika sowie die Fachliteratur aufgeführt.
Kiel, Juni 2016
Dr. Ulrich Erdmann
9
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962
2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Neumünster zu einer Stadt mit einem
Bevölkerungsanteil von rund 25 % Heimatvertriebenen oder Flüchtlingen. Zu diesen
gehörte Gerhard Gerlichs Bruder Walter, der dort die Kapitulation erlebte und
vorübergehend als Lehrer an der Holstenschule hatte arbeiten können, bis er Anfang 1947
vom Landesministeriums für Volksbildung für ihn überraschend entlassen wurde. Der
Studienrat hatte bei seinen Unterlagen freimütig seine Mitgliedschaft in der Allgemeinen
SS angegeben, die in der britischen Besatzungszone als „Organisationsverbrechen“ galt.
In
seine
Beschäftigung
mit
aktuellen
Lebensnöten,
den
tagesaktuellen
Versorgungsproblemen und den Bemühungen um eine Revision dieses Verwaltungsakts
hinein traf sein jüngerer Bruder Gerhard am 17.10.1947 überraschend aus der russischen
Kriegsgefangenschaft ein und fand ihn den Zeitverhältnissen entsprechend gut
untergebracht.6 Nach kurzer Eingewöhnung widmete sich Gerhard Gerlich den dringlichen
Aufgaben der Wohnungs- und Arbeitssuche (vorzugsweise seiner Wiedereinstellung in
den Schuldienst) und der Organisation von Zuzugsgenehmigungen für seine fünf
Familienmitglieder in der Sowjetischen Besatzungszone.
Zunächst hatte er allerdings das von den Besatzungsmächten angeordnete Verfahren zur
Entnazifizierung zu absolvieren. Dieses stieß in der Bevölkerung allgemein auch wegen
der bedrängten Zeitverhältnisse auf nachlassendes Interesse, wachsende Unzufriedenheit
oder
Kritik
an
allzu
pauschalen
Beurteilungsmaßstäben,
an
moralischen
Schuldzuweisungen oder an teilweise schematisiert verfügten Berufsverboten. Bei seinem
gleichfalls als Pädagogen ausgebildeten Bruder Walter waren kurz nach Kriegsende noch
strengere Maßstäbe als 1947 angelegt worden, denn: „Wegen ihrer Möglichkeiten, auf
Jugendliche einzuwirken, wurden Lehrer besonders sorgfältig überprüft.“ 7
6
7
Vgl. zum Folgenden: Erdmann, Lebensstationen, S. 43-52 (Kapitel „Neumünster 1947: Neuanfang und
Entnazifizierung“)
Jürgens, Jessica: Entnazifizierungspraxis in Schleswig-Holstein, Eine Fallstudie für den Kreis Rendsburg
1946-1949, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 125, 2000, S. 162; im Folgenden:
10
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Von den Siegermächten übertrug die britische Militärregierung 1947 als letzte die
Verantwortung an deutschen Stellen, so dass alle während des Dritten Reichs im
öffentlichen Dienst Beschäftigten einen entsprechenden zwölfseitigen Fragebögen
auszufüllen hatten. Nach deren Auswertung wurden die Betreffenden entsprechend der
Direktive Nr. 38 in fünf Kategorien von I Hauptschuldige, II Belastete, II Minderbelastete, IV
Mitläufer bis V Entlastete eingeteilt. Wie in ganz Schleswig-Holstein wurde auch an
diesem Ort niemand in die beiden niedrigsten Kategorien eingestuft:
„Im Rathaus Nms. wurde im Mai 1946 das Entnazifizierungsamt eingerichtet, dem
insgesamt zehn Ausschüsse zugeordnet waren, die bis Juni 1949 etwa 10.000 Fälle
berieten und Urteile fällten: 51 Personen der Kategorie III Minderbelastete gehörten als
aktive Mitglieder der Partei oder einer ihrer Gliederungen an. 1136 wurden als "Mitläufer"
in Gruppe IV klassifiziert und verurteilt, mehr als die Hälfte der Betroffenen ging aus dem
Verfahren
als
entlastet
(Gruppe
V)
hervor,
über
3000
Personen
galten
als
'Nichtbetroffene'.“8
Gleichwohl hatte sein Bruder Walter berufliche Nachteile erlitten und mit seinen
einschlägigen Erfahrungen konnte
sich Gerhard Gerlich
in der vorübergehend
gemeinsamen Wohnung im Holsatenring 71 auf das Ausfüllen des zwölfseitigen
Fragebogens vorbereiten. Neben einer Überfülle seiner aufgelisteten beruflichen und
militärischen Stationen auf einem Beiblatt vermerkte er zusätzlich, dass ihm als
Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft und Flüchtling keine Dokumente zur
Verfügung stünden, so dass er diese Angaben aus der Erinnerung nach bestem Wissen
und Gewissen gemacht habe. Dabei machte er sich diesen Umstand allerdings zu Nutze:
„Flüchtlinge
besitzen
größere
Chancen,
ihren
Lebenslauf
zu
beschönigen,
als
Einheimische, die vor Ort wohl bekannt sind. Und: zu diesem Zeitpunkt schon ist sich die
deutsche Bevölkerung weitgehend einig in der Ablehnung der Entnazifizierung.“ 9
Fehlende Dokumente waren auch der Grund für seine Angaben nach eventuellen
Benachteiligungen im Nationalsozialismus durch sein Verhalten, durch Rasse oder
8
9
Jürgens, Entnazifizierungspraxis
Dwars, Marianne u.a. (Hg.): Neumünster Lexikon, Neumünster 2003, S. 35
Danker, Uwe/ Schliesky, Utz (Hg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute. Eine historische Landeskunde,
Husum 2014, S. 293
11
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Religion, wie Gerhard Gerlich auf einem selbst gefertigten Beiblatt zu Frage 114 auf Seite
9 des Fragebogens vermerkte:
„114.) Da 'konfessionell gebunden' und 'weltanschaulich ungeeignet' als Prov. Leiter der
Oberschule f. Jungen 1941 enthoben, vorübergehend am Landesschulrat beschäftigt,
dann
als
Lehrer
zur
Schule
zurückversetzt.
Im April
1942
Einleitung
eines
Parteigerichtsverfahrens auf 'Ausschluss aus der Partei als weltanschaulich ungeeignet
wegen gesellschaftlichen Verkehrs mit jüdisch Versippten.' In diesem Zusammenhange
erfolgte auch die Aufhebung der U.K.-Stellung und die Einziehung zur Wehrmacht.“
Diese Angaben konnten bis in die Gegenwart hinein nicht verifiziert werden, waren aber
geeignet, die die entsprechende Bearbeitung in den Entnazifizierungsausschüssen zu
befördern: „Positiv wirkte es sich für die Betroffenen aus, wenn sie nachweisen konnten,
dass sie sich in irgendeiner Form in Opposition zum nationalsozialistischen Regime
befunden hatten. Allerdings musste aus dem Verhalten hervorgehen, dass sie auch die
Konsequenzen aus ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus gezogen hatten, also zum
Beispiel aus der NSDAP ausgetreten waren. (...) Wenn sich bereits aus den Fragebögen
ergab, dass jemand Gegner des Nationalsozialismus gewesen war und Verfolgten
geholfen hatte, wurde er ohnehin in die Kategorie V eingestuft und musste daher nicht vor
den Ausschuss angehört werden.“10
Zu einer für die Berufsausübung seines Bruders entscheidenden Frage machte Gerhard
Gerlich in seiner im Landesarchiv Schleswig erhaltenen gebliebenen Entnazifizierungsakte
zudem auf Seite 6 des Fragebogens bei den ersten drei der insgesamt 54 aufgelisteten
NS-Institutionen die folgende Eintragungen:
Ja/Nein
Von
Bis
Nummer
Amt
Antrittsdatum
31.3.42
unbekannt
keine
entfällt
41. NSDAP
ja
1.11.38
42. Allg. SS
nein
-
-
-
entfällt
entfällt
43. Waffen-SS nein
-
-
-
entfällt
entfällt11
10
Jürgens, Entnazifizierungspraxis, S. 163
Erdmann, Lebensstationen, S. 46 bzw. Anlage Nr. 9 als Faksimileabdruck aus der Entnazifizierungsakte
von Gerhard Gerlich im Landesarchiv Schleswig [LA SH Abt. 460.21 Nr. 196]
11
12
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Diese wahrheitswidrige Auskunft bezeugte Dr. Gerhard Gerlich auf der Schlussseite 12 mit
Unterschrift und Datum vom 21.10.1947 trotz der vorangestellten Versicherung: „Die auf
diesem Formular gemachten Angaben sind wahr, und ich bin mir bewußt, daß jegliche
Auslassung oder falsche und unvollständige Angabe ein Vergehen gegen die Verordnung
der Militärregierung darstellt und mich der Anklage und Bestrafung aussetzt.“ Darunter
bestätigte Dr. Walter Gerlich als Zeuge ebenfalls mit seiner Unterschrift, dass „die in
diesem Fragebogen gegebenen Antworten meines besten Wissens und Gewissens“ nach
richtig seien.
Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Bruder in der Akte seines SS-Heiratsgesuchs von
1940 ebenfalls mit der gemeinsamen SS-Einheit angegeben. Zusammen mit der
schriftlichen und bewusst falschen Auskunft von Walter Gerlich zu dieser bekanntermaßen
entscheidenden Tatsache einer SS-Mitgliedschaft seines Bruders ergibt sich ein
Selbstverständnis, sich bewusst außerhalb allgemeingültiger Regeln zu stellen. Mit diesem
sollten die beiden Brüder in der Stadt und in ihrer bald gemeinsamen Partei CDU in den
Fünfziger Jahren für nachhaltiges Aufsehen sorgen.
Den in diesem Geist ausgefüllten Fragebogen sandte G. Gerlich am 24.10.1947 in zwei
Exemplaren zusammen mit einer eidesstattlichen Erklärung und einem entsprechenden
Lebenslauf an das Schulamt der Stadt Neumünster. Zusätzlich schickte er an den
Regierungspräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein das Gesuch, in den Dienst für
Höhere Schulen für die Fächer Geschichte und Erdkunde wieder eingestellt zu werden.
Anfang November 1947 stufte der Vorsitzende des Entnazifizierungsausschusses Becker
ohne Wissen Gerlichs diesen intern in die Kategorie V (Entlastete) ein und gab dazu den
noch letztentscheidenden britischen Behörden in Kiel die Empfehlung:
„Nach Beratung des Falles schlagen wir vor, daß Dr. Gerlich, Gerhard, der nicht persönlich
befragt wurde, beibehalten wird. Aus folgenden Gründen: Unbelastet im Sinne der
Direktive 24.“12
Zum Jahreswechsel 1947/48 hatten die britischen Behörden die Entnazifizierung zur
Beschleunigung und Abwicklung an die deutschen Stellen abgetreten, von denen G.
12
s. Erdmann, Lebensstationen, S. 48
13
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Gerlich Mitte Januar 1948 die Mitteilung erhielt, endgültig in die Kategorie V (Entlastete)
eingestuft worden zu sein, so dass er sich seinen Entnazifizierungsbescheid abholen
könne. Allerdings bestätigte sich seine Befürchtung, dass zeitgleich mit ihm viele
potenzielle Konkurrenten und Bewerber für den Schuldienst als entlastet eingestuft
worden waren. So sollte es noch länger dauern, bis er trotz seiner persönlichen
Vorsprachen bei Behörden erst im April 1951 eine Planstelle an der Klaus Groth-Schule in
Neumünster, einer Oberschule für Mädchen, zugesprochen bekam. 13
Im Februar 1948 hatte der Schleswig-Holsteinische Landtag das „Gesetz zur Fortführung
und zum Abschluß der Entnazifizierung“ in Kraft gesetzt, in dessen Schlussbestimmungen
in § 49 a demjenigen Strafe angedroht wurde, „wer falsche oder irreführende Erklärungen
abgibt oder Tatsachen verschleiert, die für die Anwendung des Gesetzes von Erheblichkeit
sind.“14 Durch derartige Bestimmungen fühlte sich G. Gerlich aber aktuell offenkundig nicht
gefährdet. In der am Ort verbreiteten Tageszeitung „Holsteinischer Courier“ dürfte er zwar
am 08.07.1950 den Artikel „Hedler wurde in Gruppe IV eingestuft“ über eine potenzielle
Gefährdung wegen derartiger Falschangaben gelesen haben. Allerdings hatte der 1949
mit der „Deutschen Partei“ in den Bundestag gewählte Wolfgang Hedler mit
rechtsradikalen und antisemitischen Reden (zum Beispiel in Einfeld) die öffentliche
Aufmerksamkeit negativ auf sich gezogen.
Im Jahr 1948 war Gerhard Gerlich mit dem Erteilen von Nachhilfestunden, der Arbeit in
einer Referentenstelle beim Caritasverband und dem Bebauen von Ackerland stark
beschäftigt.
Zudem
bereitete
er vor,
seine
in
Sachsen
festsitzenden
engsten
Familienmitglieder nach Neumünster zu holen. Zugleich hielt er die Zeit für den Beitritt zu
einer politischen Partei (nach der Sudetendeutschen Partei und der NSDAP) für
gekommen
und
sein
Mitgliedsausweis
der
Christlich-Demokratischen
Union
im
Kreisverband Neumünster ist auf den 15.01.1948 datiert.
Für ihn bot sich schon aus strukturellen Gründen die Christlich-Demokratische Union
besonders an, denn im landesweiten Vergleich der CDU-Kreisverbände nahm Neumünster
mit einem Vertriebenen-Anteil von 41 % und einer starken katholischen Minderheit von 28
13
14
vgl. Klaus Groth-Schule (Hg.): 100 Jahre Klaus Groth-Schule 1888-1988. Gymnasium der Stadt
Neumünster, Neumünster 1988, S. 88
Gesetz- und Verordnungsblatt (GVOBl) für Schleswig-Holstein Nr. 6/1948, S. 40
14
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
% eine Sonderstellung ein. Letztere stieß bei der einheimischen Bevölkerung,
insbesondere an diesem Ort, allerdings noch lange auf Vorbehalte: „Es gab in Schleswig
Holstein eine deutliche Abwehrhaltung gegen Katholiken vor allem in Führungspositionen.
Immer wieder wurde ganz nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht der Eindruck
erweckt werden dürfe, dass die CDU ein verkapptes Zentrum sei.“ 15
Trotz dieser Voraussetzungen begann Gerhard Gerlich zusammen mit seinem Bruder
Walter eine kreis- und landesweite Karriere, die er gemessen an ihrer späteren
Wirkungsmächtigkeit vergleichsweise unauffällig gestaltete. Gerhard Gerlich nutzte die
Umbruchsverhältnisse der frühen Nachkriegsjahre in Neumünster, von denen kaum
Spuren seines Wirkens in Archiven dokumentiert blieben, erfolgreich für einen
gesellschaftlichen
Karrieremöglichkeiten
Aufstieg.
in
Zu
einem
Schleswig-Holstein
entsprechenden
schrieb
Ulrich
Zeitfenster
Matthée:
für
„Wenngleich
Heimatvertriebene und Ausgebombte auch unter der britischen Herrschaft nur eine
Minderheit der Eliten stellten, weil sie wegen der Schwierigkeit ihrer Lebensverhältnisse
weniger zur Übernahme von Ämtern geeignet waren, so stand ihnen doch damals
grundsätzlich die Chance zum Aufstieg offen. Ab 1951 waren diese Möglichkeiten aber
recht begrenzt (…).“16
Zu den aktiven Parteimitgliedern wie den Gebrüdern Gerlich und den seinerzeitigen
Rahmenbedingungen des Engagements in dieser Partei in Neumünster schrieb deren
CDU-Kollegin Lieselotte Juckel in einem Rückblick:
„Außerdem begann nun ein bewegtes Parteileben. Wir mussten uns ja auch erst
zusammenraufen. Und die Heimatvertriebenen mußten sich erst ihre Rechte erkämpfen.
Es ging heiß her. Die Sitzungen des Kreisverbandsausschusses dauerten oft bis in die
Nacht hinein, und auf dem Heimweg mit Johann Philipp und Dr. Walter Gerlich (wir
wohnten alle in Wittorf) wurde weiter diskutiert. Wir bauten die Arbeitsgemeinschaft der
Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf, deren Interessen wir viele Jahre vertreten haben.
Die CDU-Satzung schrieb vor, daß im Vorstand folgende Kreise vertreten sein mußten: ein
15
16
Wulf, Peter: Parteineugründungen in Schleswig-Holstein: Die Christlich-Demokratische Union, in:
Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes SchleswigHolstein, Kiel 1998, S. 53; vgl. Varain, Heinz Josef: Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren
Aufbau, ihrer Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945-1958, Köln/Opladen 1964, S. 45; im
Folgenden: Varain, Parteien
Matthée, Ulrich: Elitenbildung in der kommunalen Politik. Eine Untersuchung über die Zirkulation der
politischen Führungsgruppen am Beispiel des Kreises Segeberg (masch Diss. an der CAU Kiel), Kiel
1967, S. 137
15
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Katholik, ein Flüchtling, ein Vertreter der Jungen Union, eine Frau und ein Ratsmitglied.“ 17
Auch unter den Heimatvertrieben und Flüchtlingen nahm Gerhard Gerlich bald eine
führende Stellung ein und hatte den (gewiss unausgesprochenen) psychologischen
Vorteil, dass er nach seinen negativen Erfahrungen in Prag zur NS-Zeit keine Rückkehr für
sich und seine Familie in die ursprüngliche Heimat anstrebte. Als die alliierten
Besatzungsmächte das Koalitions- bzw. Vereinsverbot für Flüchtlinge aufgehoben hatten,
dürften er und sein Bruder beteiligt gewesen sein, als sich die Heimatvertriebenen der
verschiedenen ostdeutschen Gebiete in Neumünster organisierten, um ihre Belange
besser vertreten zu können.
Gemäß den Erinnerungen von Paul Riedel wurde am 15.01.1949 in "Harms Gasthof" in
der Friedrichstraße die Schlesisch-Sudetendeutsche Landsmannschaft mit über 100
Landsleuten aus der Taufe gehoben. Nach dem Aufbau einer eigenen Schlesischen
Landsmannschaft im Frühjahr 1950 fand die entsprechende Neugründung der
Sudetendeutschen am dann am 01.11.1950 am gleichen Ort statt, der für die Gebrüder
Gerlich auf Jahre hinaus auch Treffpunkt von bewegten Parteisitzungen der örtlichen CDU
blieb.18 Der spätere CDU-Ehrenvorsitzende Herbert Möller erinnerte sich 2015 zum Artikel
„CDU: Einheitspartei, gespalten, versöhnt“ im „Holsteinischen Courier“ zudem genauer an
Fraktionierungen und Spaltungen: „Es gab ein christlich-soziales Lager um die Brüder
Gerlich. Das waren vor allem Vertriebene. Die andere Gruppe waren alteingesessene
Neumünsteraner wie Moritz-August Schiffer. Das war das bürgerlich-christliche Lager. (…)
Die Sozialen bei Harder in der Bahnhofstraße, die Bürgerlichen im Hotel Harms an der
Friedrichstraße“.19 Diese Antagonismen und Spannungen sollten Gerhard und Walter
Gerlich wesentlich prägen und mitgestalten.
Zwar verfocht Gerhard Gerlich als einer der inzwischen führenden Vertreter der
Sudetendeutschen
Landsmannschaft
1950
öffentlich
eine
strikte
parteipolitische
Neutralität dieses Verbandes, aber eine Verzahnung seines Engagements auf der
kommunalen und allmählich auch auf der landesweiten Ebene war dabei nicht zu
17
18
19
Juckel, Lieselotte: Die ersten Jahre der CDU Neumünster, in: CDU-Kreisverband Neumünster (Hg.): 50
Jahre CDU-Kreisverband Neumünster. Verantwortung für Deutschland und Europa; Neumünster o.J. ,
o.S. (S. 6); im Folgenden: Juckel, CDU Neumünster
s. Obst, Carsten: Flüchtlinge in Neumünster, Erfurt 2007, S. 119
Holsteinischer Courier, 08.07.2015
16
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
vermeiden.
So
kam
er
auch
im
Ausschuss
des
CDU-Landesverbandes
für
Flüchtlingsangelegenheiten in eine entscheidende Stellung, welcher bereits bei der
Aufstellung der ersten CDU-Bundestagskandidaten 1949 ein Mitspracherecht in
Schleswig-Holstein ausübte.
Dabei blieb seine materielle Situation vorerst prekär, als er am 08.05.1949 wegen seiner
Entnazifizierung
einen
Einspruch
gegen
die
erhobenen
Kosten
für
sein
Kategorisierungsverfahren begründete: „Trotz grösster Bemühungen meinerseits war es
mir in den verflossenen 1,5 Jahren nicht möglich, in meinem Berufe unterzukommen und
bin erst seit Februar 1948 ohne Bezahlung und seit Juni 1948 gegen ein Monatsgehalt von
250 DM berufsfremd untergekommen. Dieser Betrag wurde am 1.I.49 ausserdem um 5 %
gekürzt. Da ich nicht nur Russlandheimkehrer, sondern ausserdem auch Flüchtling bin und
mein Hausstand aus 5 Personen besteht, hoffe ich keine Fehlbitte getan zu haben.“ 20
In Neumünster hatte die SPD mittlerweile bei den Kommunalwahlen am 24.10.1948 mit
49,8 % die Mehrheit der 35 Sitze errungen, aber im Gegensatz zu der auf Konfrontation
angelegten Politik zwischen SPD-Landesregierung und CDU-Opposition im Kieler Landtag
übte sie in der Ratsversammlung mit der CDU (15 Mandate) eine kooperative
Regierungspolitik unter den demokratischen Kräften aus. Als politisch stark interessierter
und engagierter Bewohner der Stadt war Gerhard Gerlich möglicherweise als Gast auf
dem SPD-Bezirksparteitag am 06.03.1950 in der Klaus Groth-Schule in Neumünster
zugegen. Dort hatte nach der Begrüßung durch den SPD-Kreisvorsitzenden Paul
Lohmann der Oppositionsführer Andreas Gayk unter anderem erklärt: "Politische Schieber
und Geschäftemacher profitieren von dem allgemeinen Unwillen über die Entnazifizierung.
Die sozialdemokratische Landesregierung hat als erstes der deutschen Länder die
Entnazifizierung praktisch so gut wie abgeschlossen und die Zweiteilung des deutschen
Volkes zu überwinden begonnen."21
An denselben Ort wurde am 28.04.1950 die entscheidende Sitzung des Neumünsteraner
Stadtparlaments verlegt, um einer Öffentlichkeit von 500 Hörern die Teilnahme an der
Wahl des neuen Stadtpräsidenten ermöglichen. Über den spektakulären Verlauf, der eine
s. Erdmann, Lebensstationen, S. 50/51
Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), 27.03.1950, S. 5/6; im Folgenden:
Volkszeitung
20
21
17
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Parallele im Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp 1956 finden
sollte, dürfte Gerhard Gerlich zumindest über die Presseberichterstattung informiert
gewesen sein. Nach den Mehrheitsverhältnissen im Rat und den interfraktionellen
Absprachen mit der CDU hatte die SPD das Vorschlagsrecht für diese Amt, aber innerhalb
der sozialdemokratischen Fraktion war es über den von der Kreispartei vorgesehenen
Kandidaten
zu
heftigen
Auseinandersetzungen
gekommen.
Paul
Lohmann,
Landtagsabgeordneter und Kreisvorsitzender, war im April 1950 noch kein Ratsmitglied
und konnte erst in dieser Eigenschaft zum Stadtpräsidenten gewählt werden, wenn ein
anderes SPD-Ratsmitglied ausschied und er dafür nachrückte.
Um dieses Problem zu lösen, beantragte das SPD-Ratsmitglied Frieda Borgwardt aus
angeblich gesundheitlichen und familiären Gründen ihr Ausscheiden aus dem Rat und
normalerweise hätte die Fraktion bzw. Partei einen Nachrücker für sie von einer
sogenannten Ersatzliste dafür bestimmen und einen entsprechenden Antrag stellen sollen.
Da aber Lohmann auch auf dieser Liste nicht vertreten war, teilte der SPD-Kreisvorstand
am 21.04.1950 der Stadtführung mit, keiner der darauf Verzeichneten sei „... aus
verschiedenen Gründen ... in der Lage ... die Zeit und Kraft aufzubringen, welche
erforderlich sind, um den Pflichtenkreis eines Ratsmitgliedes voll auszufüllen." Stattdessen
reichte die SPD nach der Wahlordnung am 21. April 1950 einen Ersatzvorschlag ein, den
der Betreffende als Kreisvorsitzender auch noch selbst unterzeichnet hatte: "Die
Sozialdemokratische Partei schlägt den Landtagsabgeordneten Paul Lohmann, geb. am
20.10.02, wohnhaft Neumünster, Am Brunnenkamp 2, vor."
22
Carsten Obst vermutet mit plausiblen Gründen hinter dem Verzicht der eigentlich als
Nachrücker anstehenden SPD-Mitglieder von der Ersatzliste wie auch hinter dem Antrag
von Ratsfrau Borgwardt parteipolitische und -taktische Erwägungen, um Lohmann diesen
Weg freizumachen. Nach interfraktionellen Absprachen und dem geplanten Szenario sollte
zunächst nach dem offiziellen Ausscheiden Frieda Borgwardts der auf diese spezielle
Weise nachrückende Lohmann zum neuen Ratsmitglied gewählt werden, um sich nach
seiner Einführung in den Rat aussichtsreich für das Amt des Stadtpräsidenten kandidieren
zu können. Allerdings lehnte der Rat überraschender Weise Frau Borgwardts Antrag mit
22
zit. nach Obst, Carsten: Der demokratische Neubeginn in Neumünster 1947 bis 1950 anhand der Arbeit
und Entwicklung des Neumünsteraner Rates, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 264, Anm. 842; im Folgenden:
Obst, Neubeginn
18
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
16 Nein- gegen 8 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen beziehungsweise ungültigen Stimmen
ab, so dass es unmöglich wurde, Paul Lohmann im Anschluss zu ihrem Nachrücker
wählen zu lassen.
Carsten Obst analysierte, dass (entgegen der interfraktionellen Absprachen) die 16 NeinStimmen vermutlich von den 14 Ratsmitgliedern der CDU und zwei weiteren der
Opposition herrührten. Entsprechend der zehn Enthaltungen bzw. ungültigen Stimmen
sollte zudem genau diese Anzahl von Mitgliedern der SPD-Fraktion vor der folgenden
Ratssitzung vom 12. Mai 1950 ihren Rücktritt erklären. So dokumentierte unter anderen
Frieda Borgwardt ihren Protest entweder gegen die Person und Ambitionen von Paul
Lohmann oder gegen das unter demokratischen Gesichtspunkten höchst fragwürdige
Umgehen mit parlamentarischen Regularien und den davon betroffenen Volksvertretern.
Erst auf der folgenden Ratssitzung vom 12. Mai 1950 mit neu formierter SPD-Fraktion
konnte Lohmann als neuer Stadtpräsidenten gewählt werden, allerdings mit nur 20 Ja
gegen 8 Nein-Stimmen bei 6 Enthaltungen. 23 Nähere inhaltliche Erklärungen für das zuvor
geübte bedenkliche Verfahren wurden nicht abgegeben, aber die CDU- und die SPDFraktion erkannten den offenkundigen Mangel an Fraktionsdisziplin und die sich daraus
ergebenden Gefahren. Dementsprechend bekräftigte nun CDU-Ratsmitglied Schäffer, in
Zukunft die Mehrheitsverhältnisse im Rat und die Vorschlagsrechte der Fraktionen nach
den jeweiligen Stärken für die von ihr zu beanspruchende Personalentscheidungen und
Ämter stärker zu beachten und anzuerkennen.
Genau ein Jahr später sollten diese Vorsätze in einer neuen parlamentarischen
Konstellation in der Stadtvertretung Neumünsters auf eine harte Probe gestellt werden und
führten zu einem ersten Versuch der Gebrüder Gerlich, die Vorherrschaft auch über den
örtlichen CDU-Kreisverband zu erringen. Zu diesen Jahren formulierte Lieselotte Juckel:
„Es begann die Ära der Gerlichs. Dr. Gerhard Gerlich gehörte später dem Landtag an, und
Dr.
Walter
Gerlich
war
Bundestagsabgeordneter.
Stadtrat
Mich
hat
in
Neumünster
immer
wieder
und
von
fasziniert,
1963
wie
sie
bis
sich
1956
auf
Parteiveranstaltungen gegenseitig bei Diskussionen die Bälle zuwarfen. Das war einfach
gekonnt.“24
23
24
Obst, Neubeginn, S. 271
Juckel, CDU Neumünster, S. 7
19
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Als Landtagsabgeordneter ab Juli 1950 hatte Gerhard Gerlich zwar dem Verlangen des
erstmals neugewählten BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) durch sein
mutiges abweichendes Votum im Parlament Widerstand geleistet, vorzeitige Neuwahlen
im April 1951 auf kommunaler Ebene herbeizuführen. Er war aber an den Zusagen der
CDU-Landesspitze und CDU-Landtagsfraktion als Preis für die Regierungsübernahme und
BHE-Unterstützung dafür gescheitert. Diese Flüchtlingspartei hatte erst nach 1948
gegründet werden können und strebte nun auch in den Kommunalparlamenten vorzeitig
zur Repräsentation und Beteiligung an der Gestaltungsmacht. Dabei schien im Abweichen
von den gesetzlichen Regularien das Vertrauen der Bevölkerung in die noch ungeübte und
ungefestigte Nachkriegsdemokratie ähnlich nachrangig zu sein wie im spektakulären
Vorgehen von Paul Lohmann in Neumünster.
Dieser eröffnete als Stadtpräsident nach diesen außerplanmäßigen Kommunalwahlen am
30.05.1951 die Sitzung einer Ratsversammlung. Dabei gab er u.a. die Zusammensetzung
der neugebildeten Ratsfraktion der bürgerlichen
Gemeinschaftsfraktion (Gemfra) aus
Mitgliedern der CDU, FDP, Deutscher Partei und der Schleswig-Holsteinischen
Gemeinschaft mit dem Sprecher Hinrichsen an der Spitze bekannt. Der Name Gerlich fand
sich
nicht
unter
den
aufgezählten
Ratsmitgliedern,
sollte
in
den
kommenden
Personalbesetzungen aber berücksichtigt werden. Diese fanden im allgemeinen
einstimmige Annahme mit einer einzigen, im Falle Walter Gerlichs aber folgenschweren
Ausnahme: „(…) Der Antrag des Ratsherrn Philipp, für Dr. Weyer den Studienrat Dr.
Gerlich (beide Gemfra) als Bürgerschaftsmitglied des Schulausschusses zu wählen, wurde
überstimmt.“25
In den Folgemonaten muss es wegen dieses Misserfolges bei einem eigentlich
nachrangigen Postentausch zu heftigem internen Streit in der Kreispartei gekommen sein,
so dass der Holsteinische Courier einen Artikel vom 09.06.1951 mit „Ausschluß aus der
CDU in Neumünster“ betitelte: „Wie uns von der Geschäftsstelle CDU in Neumünster
bestätigt wurde, ist der Fraktionsvorsitzende der Wahlgemeinschaft Neumünster, Stadtrat
Hinrichsen, wegen parteischädigenden Verhaltens aus der CDU ausgeschlossen worden.
Hinrichsen soll sich bei der Besetzung der Ausschüsse und Dezernate innerhalb der
25
Holsteinischer Courier, 31.05.1951, S. 3
20
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Stadtverwaltung nicht an die Beschlüsse seiner Partei gehalten haben. Gleichzeitig mit
seinem Ausschluß haben 18 weitere Mitglieder des Kreisvereins, darunter auch einige
Ratsmitglieder der Gemeinschaftsfraktion, ihren Austritt aus der CDU vollzogen. Man
nimmt jedoch an, daß die Ratsmitglieder in der 'Gemfra' der Wahlgemeinschaft
verbleiben.“
Der CDU-Kreisvorsitzende Walter Bartram war dieser Tage in den entscheidenden
Machtkampf mit dem CDU-Landesvorsitzenden Schröter verstrickt und sollte absehbar
seinen Posten als Ministerpräsident verlieren, so dass er insbesondere als Repräsentant
der Einheimischen auch mit einem Amtsnimbus keine Befriedung erreichen konnte.
Stattdessen schien wegen des vermutlich betroffenen 2. Vorstandsvorsitzenden Walter
Gerlich die Auseinandersetzung in Ton und Inhalt zugespitzt zu werden, wie aus dem
Artikel „CDU-Krise nimmt Formen an“ abzulesen ist:
„Bisher 32 prominente Neumünsteraner CDU-Mitglieder ausgetreten. 'Rebellen' fordern
Absetzung des Kreisvorstands. Nach dem Austritt von 19 prominenten Mitgliedern der
CDU in Neumünster haben jetzt abermals 13 CDU-Mitglieder die Partei verlassen, weil sie
den 'Befehlen' ihres Parteivorstandes nicht Folge leisten wollten. (…) In einer
gemeinsamen Erklärung unterstrichen neun von elf Mitgliedern der Gemeinschaftsfraktion,
daß sie das Gesamtwohl der Stadt über den 'engen Parteiegoismus' stellen wollen.“ 26
Mit dem mittlerweile ausgeschiedenen Ministerpräsidenten hatte Gerhard Gerlich schon
wegen der Regierungsentscheidung für die Vorverlegung der Kommunalwahlen in einem
kritischen Verhältnis gestanden. Nun erreichte die Zuspitzung und die parteiinterne
Auseinandersetzung einen vorläufigen Höhepunkt, als der Kreisvorsitzende Walter
Bartram am 03.09.1951 auf einer stark besuchten CDU-Mitgliederversammlung während
einer lebhaften Aussprache die Vertrauensfrage stellte und diese verlor. Daraufhin trat er
zurück und und bis zu einer Nachwahl konnte der zweite Vorsitzende Walter Gerlich mit
einem weiteren Repräsentanten des Flüchtlinge-Lagers, Wolfgang von dem Hagen, die
Geschäfte weiterführen und entsprechend gestalten. 27
Auf der außerordentlichen und ungewöhnlich stark besuchten CDU-Generalversammlung
am 24.09.1951 in Harms Gasthof wagte der Flügel um die Gebrüder Gerlich nach
26
27
Volkszeitung, 14.06.1951, S. 6
Holsteinischer Courier, 04.09.1951, S. 3 u. 19.09.1951, S. 3
21
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
mehrstündiger und sehr lebhafter Aussprache ein erstes Mal die Machtprobe in der
Kreispartei:
„Nach dieser Debatte stellte der z. Z. von Wolfgang von dem Hagen und Dr. Walter Gerlich
geführte Vorstand die Vertrauensfrage, machte aber ein weiteres Verbleiben in seinen
Aemtern von drei Forderungen abhängig. Diese betrafen die Bildung einer CDU-Fraktion
im Rathaus bis Ostern 1952, die Zustimmung zum Ausschluß des Ratsherrn Hinrichsen,
falls er nicht bis zum 1.10.51 selbst seinen Austritt aus der Partei vollzieht und die
Zustimmung zu einen Antrag an den Parteivorstand zwecks Einleitung eines Verfahrens
gegen die Mitglieder, die sich aktiv an der Gründung des 'Kommunalen Wählerverbandes'
beteiligt haben.“28
Derartig zugespitzte Ab- und Ausgrenzungen unterstrichen die amtierenden Mitglieder des
Kreisvorstands mit ihrer ausdrücklichen und ultimativen Festlegung, „daß er nicht die
satzungsmäßig verankerte Zweidrittelmehrheit für seinen Rücktritt fordern, sondern auch
der geringsten Mehrheit gegen sich nachgeben würde.“ Dennoch oder deswegen wurde
diese Vertrauensfrage mit 76 zu 79 Stimmen verneint, so dass nach dem folgerichtigen
Rückzug u.a. von Walter Gerlich eine Neuwahl des Vorstandes fällig wurden.
Ebenfalls in dieser Ausgabe des Holsteinischen Courier vom 25.09.1951 war im Artikel
"Äußerungen
zum
neuen
Landeswahlgesetz.
Mehrheitswahlrecht
von
der
CDU
befürwortet" die Auffassung von Gerhard Gerlichs CDU-Fraktionsgruppe wiedergegeben,
die als Teil des „Wahlblock"-Bündnisses im Landtag mit der "Gemfra" auf Neumünsteraner
Ebene zu vergleichen war. Nach dieser Strategie beabsichtigte die CDU im Kieler Landtag
durch eine Wahlrechtsänderung bis zu einer 10 %-Hürde ihre bürgerlichen Bündnispartner
letztlich zu assimilieren und so zu einem Zwei-Parteiensystem (nach britischem Vorbild) zu
gelangen. Auch wenn sich Gerhard Gerlich bei der entsprechenden Landtagsabstimmung
enthielt, bezeichnete er in den folgenden Auseinandersetzungen im November 1951 den
Bündnis-Partner FDP mehrfach öffentlich und schriftlich als „Geschwür“ und ließ mit
diesem Sprach- und Bildgebrauch Rückschlüsse auf die Art seiner CDU-intern geführten
Auseinandersetzungen zu.29
28
29
Holsteinischer Courier, 25.09.1951, S. 3
s. Volkszeitung, 07.12.1951, S. 2
22
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Auf der Neumünsteraner Ebene formulierte der Kooperationspartner „Deutsche Partei“
(DP) hingegen als Partner der bürgerlichen Wahl-Gemeinschaft in einem Leserbrief sein
Befremden über die konfrontativen Forderungen des Bruders Walter Gerlich. Die DP
kontrastierte dessen frühere Zustimmung zu Stadtrat Hinrichsen als dem Vorsitzenden der
Gemeinschaftsfraktion mit seiner nun folgende Ausgrenzung gegen diesen auch per Brief
sowie dem einst gemeinsam vereinbarten Verzicht auf Parteipolitik im Rathaus: „Zu
unserem größten Bedauern mußten wir feststellen, daß Dr. Walter Gerlich nicht bereit war,
sich an diese Wahlparole der WGN zu halten, sondern, vielmehr seine Parteiinteressen
durch die Vertreter der CDU in das Rathaus tragen lassen wollte.“ Gegen wen genau sich
im Einzelnen hinter den aufs schärfste kritisierten „Machenschaften einzelner CDUMitglieder“ richtete, war in dem Leserbrief des Kreisverbandes der Deutschen Partei im
Holsteinischen Courier nicht näher formuliert worden. 30
Auf der nächsten Versammlung der CDU Neumünster am 15.10.1951 versprach die Wahl
des neuen und alten 1. Vorsitzender Walter Bartram zwar eine Konsolidierung. Aber das
Ergebnis von 96:71 Stimmen gegen den Vorschlag, den alten Vorstand en bloc
wiederzuwählen31, spiegelte lediglich die aktuellen Kräfteverhältnisse und Spannungen
zwischen den Einheimischen und der Gruppe um die Gebrüder Gerlich wider. Diese
sollten wenige Jahre später wieder in einem ähnlichen Konflikt aufbrechen.
Den Auslöser lieferte wiederum die strittig werdende Personalfrage, wie lange Walter
Gerlich nach den Kommunalwahlen am 24.04.1955 in der neu gewählten Stadtvertretung
von Neumünster einen Stadtratsposten bekleiden sollte. Die aus CDU-Mitgliedern sowie
Vertretern mittelständischer Organisationen gebildete Vereinigung „Wahl-Union“ hatte mit
40,5 % 15 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung errungen und arbeitete mit der
größten Fraktion, der SPD (16 Sitze), in einem koalitionsähnlichen Verhältnis zusammen.
Dagegen fungierten der BHE mit drei Sitzen und eine Wahlgemeinschaft aus SHB, FDP
und DP mit einem Sitz als kleine Opposition.
Nach der Kommunalwahl 1955 wurde Walter Gerlich von der Wahlunion-Fraktion mit der
Maßgabe der Befristung zum Stadtrat gewählt, dass er nach einem Jahr zugunsten des
Fraktionsmitgliedes Dr. Hollenberg zurücktreten sollte. Dies ist einer nachträglichen (und
30
31
Holsteinischer Courier, 28.09.1951, S. 4
Holsteinischer Courier, 16.10.1951, S. 3
23
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
u.a. von dem CDU-Kreisvorsitzenden bzw. Bundesabgeordneten Hans Blöcker inhaltlich
bestätigten) Stellungnahme des großen bürgerlichen Bündnisses zu entnehmen, welche
auf dem Höhepunkt der folgenden Auseinandersetzungen unter dem Titel „Die Spaltung
der Wahlunion Neumünster“ im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957 erschien. Eine
Mehrheit in der Wahlunion für diese personelle Koppelung hätte sich demnach nur durch
die Fürsprache und die Zusage seines Bruders gefunden, der als Stellvertreter des CDUKreisvorsitzenden für ausreichend vertrauenswürdig befunden wurde: „Ausgangspunkt
dieser Regelung war die Erklärung Dr. Gerhard Gerlichs, daß sein Bruder nach einem Jahr
nach Kiel gehen würde“.
Nach Ablauf dieser Frist habe Walter Gerlich dann 1956 argumentiert, seine speziellen
Aufgaben auf dem Schulsektor noch nicht erfüllt zu haben und dass somit die
Voraussetzungen für seinen Rücktritt nicht gegeben seien. Daraufhin drohte die Spaltung
der Fraktion „Wahlunion“ und anstelle des stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden
Gerhard Gerlich wurde nun dessen gleichrangiger Vorstandskollege (und Innenminister)
Helmut Lemke im September 1956 zunächst
erfolgreich für eine Vermittlung der
Interessen herangezogen.
Der im späteren Streit veröffentlichte Wortlaut dieser Vereinbarung, die von allen
Beteiligten getragen wurde, illustrierte im Schlusssatz zwar eine Spitzfindigkeit in der
Argumentation Walter Gerlichs, die aber keine ernsthafte Gefahr für seine künftige
Verpflichtung auf diese gemeinsame Bekundung zu bedeuten schien: „Dr. Walter Gerlich
nimmt an, seinen von der Fraktion und dem CDU-Kreisvorstand übernommenen
kommunalpolitischen Auftrag etwa Mitte des Jahres 1957 erfüllt zu haben.
Im Hinblick darauf und um Doktor Hollenberg eine verstärkte Tätigkeit in der
kommunalpolitischen Arbeit zu ermöglichen, wird Herr Dr. Gerlich zum 1.7.1957 von
seinem Amt als Stadtrat zurücktreten, da er eine Verpflichtung schon früher
zurückzutreten, von sich aus nicht eingegangen ist.“ 32
Ein gegenteiliges Manöver wurde allerdings offenbar, als die CDU Neumünster ihren
Kreispartei Anfang März 1957 abhielt und bei einer vordergründig unspektakulären
Tagesordnung der 1. Vorsitzende Walter Bartram zusammen mit seinen Stellvertretern
32
Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 25
24
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Hans Blöcker und Gerhard Gerlich nach den Rechenschaftsberichten und Entlastungen
mit großer Mehrheil wiedergewählt wurde. 33 Kaum kritisch debattiert und ebenfalls
mehrheitlich beschlossen wurde zudem ein Antrag des CDU-Kreisfachausschusses für
Vertriebenenfragen, mit dessen Arbeit Gerhard Gerlich nicht nur deshalb eng vertraut war,
weil sein Bruder Walter selbst als Mitglied in dessen Vorstand mitarbeitete. Diese Initiative
sprach sich nun für seinen Verbleib im Magistrat der Stadt Neumünster und somit auf dem
umstrittenen Stadtratsposten u.a. für Vertriebenenangelegenheiten aus.
Während die Gebrüder Gerlich später auf einen ordnungsgemäß zustande gekommenen
Parteitagsbeschluss (und dessen vermeintlich zwingende Bindewirkung) verwiesen,
zweifelten die zahlreichen Kritiker u.a. dieses Prozedere an, so z.B. die hauptbetroffenen
Mitglieder der Fraktion Wahlunion (CDU/Bürgerblock) in Punkt 5 ihrer umfangreichen
Erklärung im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957:
„5.) Im Kreisparteitag der CDU, der am 6.3. dieses Jahres tagte, wurde ohne
Vorankündigung ein entsprechender Antrag des Vertriebenenausschusses vorgelegt.
Da die Frage 'Dr. Walter Gerlich' nicht rechtzeitig angekündigt war, war nur ein Drittel der
Mitgliedschaft etwa anwesend. Die Ueberrumpelung glückte, und der Parteitag beschloss
mit Mehrheit, dass Dr. Walter Gerlich als Vertriebenenvertreter Stadtrat bleiben solle.
Dieser nahm in der Versammlung nicht Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass er durch
die vorangegangenen Vereinbarungen gebunden sei.“ 34
Eine solche Kritik des Unterlassens wäre an alle in diese Zusammenhänge Eingeweihten
zu richten gewesen, aber Gerhard Gerlich setzte sich im weiteren Streit ohnehin öffentlich
noch oft für diese Ämter-Interessen seines Bruders ein und machte seine dabei
eingesetzten Druckmittel selbst zu einem kontroversen Thema. Der seinerzeit nicht
umstrittene Antrag fand im März 1957 jedenfalls die mehrheitliche Zustimmung des CDUParteigremiums in Neumünster. Daraus leiteten die Gebrüder Gerlich eine für sich als
höchstrangig geltende Legitimation ab und zogen sich hartnäckig auf diesen Standpunkt in
der äußerst streitbar geführten öffentlichen Debatte zurück. Diese wurde in der zweiten
Jahreshälfte 1957 unter anderem auch in einem heftigen Leserbrief-Krieg im
Holsteinischen Courier ausgetragen.
33
34
Holsteinischer Courier, 07.03.1957, S. 3
s.a. Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 4 u. 02.11.1957, S. 3
25
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde die gemeinsame Ratsfraktion Wahlunion erst
gespalten, dann eliminiert und vier hoch angesehene CDU-Repräsentanten in Neumünster
traten aus (vorläufig vergeblichem) Protest von ihren Parteiämtern zurück. Selbst die
gleich- bis höherrangigen Kollegen Gerhard Gerlichs im CDU-Landesvorstand, der
Ministerpräsident von Hassel und Innenminister Lemke, galten danach wegen ihrer
öffentlich bekannten und allein am Widerstand der Gerlich-Gruppe scheiternden
Vermittlungsversuche als politisch beschädigt.
Zum Ausbruch kam der lange angelegte Konflikt auf der Sitzung der Stadtvertretung in
Neumünster im Juli 1957 und der „Holsteinische Courier“ vom 04.07.1957 betitelte seinen
Bericht mit „Ratsversammlung bei Gewitterschwüle. Überraschende Entwicklung in der
Frage der Neubesetzung eines Stadtratspostens“. Tatsächlich hatte die Fraktion der
Wahlunion konsequenterweise als Antrag die Abberufung des Stadtrats Walter Gerlich auf
die Tagesordnung setzen lassen. Wie die meisten Anwesenden wurde sie aber von dem
Gegenmanöver und der Erklärung des CDU-Ratsherren Hermann Gerisch verblüfft, dass
er mit diesem und drei weiteren Ratsvertretern (mit CDU-Parteibuch) eine selbstständige
CDU-Fraktion innerhalb der Wahlunion gegründet habe.
In den erregten Debatten fiel offenbar kaum auf, dass Walter Gerlich mit dieser Spaltung
des bürgerlichen Lagers eine seiner drei ultimativen Forderungen durchsetzte, mit denen
er als kommissarischer Kreisvorsitzender noch im September 1951 an dem Beschluss der
Neumünsteraner CDU gescheitert war. Stattdessen gerieten die so dezimierten
Fraktionsvertreter der Wahlunion in die Pflicht, vor der Ratsversammlung und der
Öffentlichkeit die Hintergründe der zähen Verhandlungen mit den Gebrüdern Gerlich zu
erklären und die Notwendigkeit ihres Abberufungsantrags zu begründen. Diese
Kommunikationssituation nutzte der Auslöser dieser Turbulenzen offensiv für die
Argumentation in eigener Sache:
„Dr. Gerlich bedauerte, daß in dieser Angelegenheit das Wort ergriffen worden sei. Er
erklärte, was zu dieser Sache eben gesagt worden sei, stimme nicht. Die Absprachen
hinsichtlich des Wechsels im Stadtratsamt seien über seinen Kopf hinweg gemacht
worden. Er habe in dieser Angelegenheit sein Wort nicht gegeben. Vielmehr habe er der
Partei das Votum gegeben, und dazu müsse er stehen. Wo die Partei ihn brauche, wolle
26
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
er seine Pflicht erfüllen.“35
In dem nebenstehenden Kommentar „Nicht angebrachte Zersplitterung. Der Streit in der
Wahlunion“ stellte der Redakteur des „Holsteinischen Courier“ am 04.07.1957
dieser Haltung die naheliegende Ansicht der Wahlunion-Fraktion gegenüber. Demnach sei
die beschriebene Vereinbarung zum Personalwechsel einzuhalten und Dr. Walter Gerlich
hätte seinen Rücktritt zu erklären, zumal die Gesamtfraktion diese Haltung geschlossen
bis kurz vor Sitzungsbeginn vertreten habe. Auch der Vermittlungseinsatz des
stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Helmut Lemke vom Vorjahr wurde erwähnt,
den dieser dann im Herbst 1957 am Ort fortsetzen musste.
Die sozialdemokratische Volkszeitung zählte in ihrem Bericht „5 CDU-Abgeordnete
sprengten die Neumünsteraner Wahlunion“ offenkundig versehentlich den landesweit
bekannteren Gerhard Gerlich anstelle seines Bruders zu den Dissidenten, gab aber
bereits dessen verhandlungstaktisches Plädoyer wieder, dass nun die neugebildete CDUFraktion
als Ansprech- und
Kooperationspartner der regierenden
SPD
in der
Ratsversammlung gelten solle: „Den entgegengesetzten Standpunkt - nämlich, daß die
Parteien CDU und SPD den Vertrag geschlossen hätten und deshalb allein berechtigt
seien, darüber bzw. über seine evtl. neue Form zu verhandeln - vertrat der zweite
Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich (der Bruder des Stadtrats Dr. G.). Die
neue Fraktion bekenne sich vorbehaltlos zu diesem Vertrag.“ 36
Nach der Sommerpause beschrieb der „Holsteinische Courier“ am 24.10.1957 in dem
Artikel „Bleibt die Spaltung ein Dauerzustand? Kein Eingehen der CDU auf den
Vermittlungsvorschlag des Ministerpräsidenten“ die dogmatische Verweigerungshaltung
der Gebrüder Gerlich in dieser Prinzipienfrage. Zwei Tage später gab die Fraktion
Wahlunion Neumünster in dieser Zeitung in einer neun Punkte
umfassenden
Stellungnahme bekannt, dass das CDU-Kreisvorstandsmitglied Gerhard Gerlich die fünf
Dissidenten vor der Juli-Ratsversammlung nicht nur zur Abspaltung einer eigenen Fraktion
aufgerufen hatte, sondern machte ihn auch als den entscheidenden Kopf hinter den
Manövern der Zuspitzung und Polarisierung aus:
35
36
Holsteinischer Courier, 04.07.1957, S. 4
Volkszeitung, 05.07.1957, S. 3
27
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
„9.) Es muss festgestellt werden, daß für diese Entwicklung Herr Dr. Gerhard Gerlich die
Hauptverantwortung trägt. Seine Tätigkeit gipfelte in der jüngst an alle CDU-Mitglieder der
Wahlunionfraktion gestellten ultimativen Aufforderung, entweder vorbehaltlos der 'CDUFraktion' beizutreten oder innerhalb von 24 Stunden dem Stadtpräsidenten den
Mandatsverzicht bekanntzugeben.“37
Nach dem Rücktritt des wegen des radikalisierten Vorgehens und Tons konsternierten
CDU-Kreisvorsitzenden Hans Blöcker war diese vermutlich eigenmächtige politische
Bedrohung durch Gerhard Gerlich der letzte Anlass für den Ratsherrn Carl Schmidt,
ebenfalls seinen Austritt aus dem CDU-Kreisvorstand zu erklären. So konnten nun die dort
verbliebenen Anhänger der Gerlich-Gruppe im Namen des gesamten Parteivorstands
Erklärungen in ihrem Sinne abgeben. In Zweifel gezogen wurden dabei bloße
gesundheitliche Gründe für den Rücktritt des prominenten CDU-Mitglieds Walter Bartram
am 19.10.1957 und auch der Rückzug des allseits angesehenen Stadtpräsidenten Carl
Rahe am 01.11.1957 wegen dieser CDU-Abspaltung im Rat führten zu keinem Innehalten
oder ernsthaften Suchen nach möglichen Kompromissen.
Stattdessen hob bis zur Ermüdung der Leserschaft und der Redaktion ein mehrere
Wochen währender Meinungskrieg in Form von Leserbriefen an. Oft ähnlich wortgewandt
formuliert wurde die Position der Gerlichs, dass einem Parteitagsvotum und -auftrag der
Vorrang vor allen Verpflichtungen anderer Art einzuräumen sei, teils anonym oder in
wechselnden Konstellationen durch einzelne Ratsleute, die (verbliebenen) Spitzen des
CDU-Kreisvorstands, der neugegründeten CDU-Ratsfraktion oder auch durch die beiden
Brüder selbst vertreten.38
Weil gelegentlich auch mit Strafanzeigen gedroht wurde, wagte ein Neumünsteraner in
seinem Leserbrief „Gegebenes Wort wird nicht eingelöst“ nur mit dem Pseudonym„ Ein
Bürger der Stadt“ namentliche Kritik an den verblüffend schnellen Karrieren und einem
großen politischen Einfluss zu üben: „Es handelt sich um zwei Brüder, die Herren Dr.
Gerlich, Lehrkräfte an Oberschulen, teils vom Dienst dispensiert wegen ihrer politischen
Tätigkeiten. Was wollen diese beiden Herren uns Neumünsteranern aufzwingen? (…)
37
Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 25
s. Holsteinischer Courier, 29.10.1957, S. 4, 31.10.1957, S. 4, 05.11.1957, S. 3, 06.11.1957, S. 3 u.
07.11.1957, S. 4
38
28
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Wort- und federführend war Herr Dr. Gerhard Gerlich oder Herr Dr. Walter Gerlich! Aber
Worte haben - je nach Bedarf - einmal diese, einmal jene Bedeutung. Und wenn nichts
klappt, wird Zank gemacht.“39
Ebenfalls in dieser Ausgabe des „Holsteinischen Courier“ vom 30.10.1957 führte ein
Anonymus „B.“ die jüngsten Rücktritte der CDU-Kreisvorsitzenden Bartram und Blöcker
zurück auf „ihre Ohnmacht gegenüber der aktiven Minderheitengruppe Gerlich, die es
verstanden hat, in den letzten Jahren in allen Gremien der Partei durch ihre Gefolgsleute
die Majorität zu erlangen. (…) Auch die Mandate der Herren Gerlich sind doch wohl gut
dotiert. In der letzten Zeit ist offensichtlich geworden, daß ihre ehrenamtliche Parteiarbeit
in Neumünster nur darum so rege wurde, weil ihre Position ins Wanken geriet.“
Auf offenen Protest der Redaktion stieß schließlich im Bericht „Ratsversammlung in
prickelnder Atmosphäre“ des Holsteinische Courier vom 06.11.1957 die Interpretation des
CDU-Fraktionsvorsitzenden Herbert Gerisch, dass das schriftliche Protokoll über den
vereinbarten Wechsel auf dem umstrittenen Stadtratsposten „nicht eindeutig eine
bindende Verpflichtung“ Walter Gerlichs ausweise. Nach Meinung des kommentierenden
Redakteurs dürfe es derartig dürftige Abmachungen besonders innerhalb einer Partei und
im politischen Spiel nicht geben, so dass der abschließende Hinweis auf eine
übergeordnete Instanz als Appell an ein erneutes und nun entscheidendes Eingreifen des
CDU-Landesvorsitzenden von Hassel zu verstehen war.
Tags zuvor hatte die Wahlunion-Fraktion in einem „Offenem Brief an die Herren Dr.
Gerlich“ mit Hinweis auf diese schriftlichen Vereinbarungen, die 1955 und 1956 mit dem
mit Helmut Lemke erzielt wurden, zur Stellungnahme aufgefordert, dass kein
Parteitagsbeschluss einem frei gewählten und nur seinem Gewissen verantwortlichen
Ratsherrn zwingen könne und dürfe, den Bruch einer so getroffenen Vereinbarung
hinzunehmen.40
In ihrer Entgegnung „Antwort auf den Offenen Brief“ wiesen die beiden Brüder statt einer
konkreten Auskunft pauschal zurück, ehrenwörtliche Bindungen eingegangen zu sein,
unterstellten im Gegenzug ihren politischen Widersachern personelle Sonderwünsche
39
40
Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 4
Holsteinischer Courier, 05.11.1957, S. 3
29
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
ohne sachliche Begründung, und mit dem wiederholten Verweis auf die sie angeblich
bindenden (und selbst herbeigeführten) Beschlüsse der Kreis-CDU stellten sie sich als
Leidtragende ihres offenkundig gezielt ausgelösten Konfliktes dar: „Da für diese
Auseinandersetzung schon genug Zeit und Arbeitskraft verschwendet wurde, lehnen wir
es ab, weiter an diesem Pressekrieg, den wir nicht begonnen haben, teilzunehmen.
Hochachtungsvoll Dr. Gerhard Gerlich, Dr. Walter Gerlich“ 41
Nebenstehend druckte der „Holsteinische Courier“ einen „Appell an die Vernunft“ des
Neumünsteraner Kreisverbands der Heimkehrer als Unterstützungserklärung zu Gunsten
von Gerard Gerlich ab. Dieser dürfte durch die Unterschrift des 1. Vorsitzenden „Wolfgang
v. d. Hagen“ aber bei Sachkundigen negative Erinnerungen an den ersten Versuch von
Walter Gerlich im September 1951 geweckt haben, mit ähnlichen Ausgrenzungen und
Ultimaten
die
Vorherrschaft
in
der
hiesigen
CDU
zu
erringen.
Bei
diesem
Heimkehrerverband hatte Gerhard Gerlich noch im März 1957 für seine Verhältnisse
relativ freimütig zu seinem politischen Selbstverständnis erklärt:
„Die Angst, man käme doch nicht an den 'Drücker', wenn man einer Partei beitreten, sei
dann unberechtigt, wenn man den festen Willen habe zu arbeiten. (…) Alle Parteien sollten
darauf achten, Untaugliche auszuschließen, da [sie] das Ansehen der politischen Vertreter
ganz allgemein drückten. Aus dem selben Grund seien auch Diffamierungen
abzulehnen.“42
Das Ende dieser allseits kräftezehrenden innerparteilichen Konfliktstellung führte
schließlich der Bundestagsabgeordnete Hans Blöcker mit seiner Erklärung „Es lagen klare
Vereinbarungen zugrunde“ über die Gründe seines Rücktritts als CDU-Kreisvorsitzender
herbei. Demnach habe er den Vorrang der für Fraktionen geltenden Gemeindeordnung vor
Parteibeschlüssen ständig und mit Nachdruck im Kreisvorstand der CDU vertreten und
habe das gegenteilige Agieren der Mehrheit dort nicht länger mit seinem Namen
decken können. Stattdessen werde auf dem nächsten Kreisparteitag am 05.12.1957 eine
Klärung der Verhältnisse herbeigeführt. 43
Der CDU-Landesvorstand, der von dem hartnäckigen und politisch nicht zu vermittelnden
41
Holsteinischer Courier, 07.11.1957, S. 4
Holsteinischer Courier, 11.03.1957, S. 3
43
Holsteinischer Courier, 09.11.1957, S. 3
42
30
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Widerstand
seines stellvertretenden
Vorsitzenden
Gerhard
Gerlich
unübersehbar
beschädigt worden war, hatte sich im Vorfeld dieser entscheidenden Sitzung schließlich
mit einem gesichtswahrend wirkenden Beschluss durchsetzen können. Als Leiter des
außerordentlich stark besuchten CDU-Kreisparteitags am 05.12.1957 in Neumünster gab
Innenminister Helmut Lemke bekannt, dass Walter Gerlich von dem umstrittenen
Beschluss dieses Gremiums am 06.03.1957 nun durch den CDU-Landesvorstand
entbunden worden sei und daraufhin seinen Rücktritt als Stadtrat erklärt habe. Auf eine
nähere Aussprache auf dieser bis nach Mitternacht dauernden Sitzung wurde laut Bericht
„Die Krise im CDU-Kreisverband ist beendet“ im Holsteinischen Courier verzichtet. 44
Anderseits wurde Gerhard Gerlichs Strategie der konfrontativen Zuspitzung nachträglich
durch den zusätzlichen Beschluss des Landesvorstands legitimiert, nach dem es künftig
nur eine reine CDU-Fraktion in der Stadtvertretung Neumünsters geben solle, der sich die
Vertreter des Bürgerblocks als Hospitanten anschließen könnten. Zudem hatte das
intensive Engagement während der innerparteilichen Kämpfe zu einem erheblichen
Mitgliederzuwachs der Kreispartei geführt und dies mochte ein Grund sein, weshalb ein
Antrag, dass der von Gerhard Gerlich geleitete Vorstand von sich aus zurücktreten solle,
an dem Abend keine Mehrheit fand. Tatsächlich wurde Gerhard Gerlich bei diesen
Kräfteverhältnissen auch in den beiden Folgejahren als stellvertretender Vorsitzender in
den Kreisvorstand der CDU gewählt, bis er 1959 einen letzten Kampf um die Vorherrschaft
wagte.
Anlass boten wiederum die Kommunalwahlen im Oktober, zu der Gerhard Gerlich auf der
CDU-Kreismitgliederversammlung am 16.09.1959 den umstrittenen Vorschlag einer ihm
genehmen Kandidatenliste vorstellte und begründete. Zwar waren die Vorschläge
verschiedener Interessensgruppen nach Proporz auf den vorderen Plätze berücksichtigt
worden, aber das Fehlen seines einstigen Widersachers, des Ratsherrn Carl Schmidt
sowie anderer kommunalpolitische Erfahrener wurde in der Diskussion negativ vermerkt.
Noch stärkere Kritik wurde laut Holsteinischem Courier vom 16.09.1959 an dem Wagnis
geübt, auf dieser CDU-Liste bis zu 30 Prozent Angehörige der katholischen Kirche zu
präsentieren, obgleich deren Bevölkerungsanteil in Neumünster selbst rund 8 Prozent
betrug.
44
Holsteinischer Courier, 06.12.1957, S. 3
31
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Nach einer Reihe von kontroversen Leserbriefen zu diesem Thema griff der
Spitzenkandidat der FDP, Hermann Marsian, diese für die damaligen Zeitverhältnisse
gewichtige Disbalance mit Angriffen im Wahlkampf auf und verlagerte die Konflikte auf die
außerparteiliche Ebene. Dabei bezog er sich auch ohne direkte Namensnennung
erkennbar auf die Person Gerhard Gerlichs, der mit seinem konfrontativen Politikstil und
dem intensiven Einsatz für Vertreter seiner Interessen wie z.B. der von ihm inoffiziell
geleitete
Vertriebenen-Gruppierung
mittlerweile
zu
einer
bekannten
Reizfigur
in
Neumünster und landesweit geworden war.
So persiflierte die örtliche FDP einen bekannten Wahlslogan Konrad Adenauers in einer
Wahlanzeige im Holsteinischen Courier vom 17.10.1959 und spielte dabei auf zwei
jüngere politische Misserfolge Gerhard Gerlichs an: „'Keine Experimente'. Waren das
beschämende Schauspiel um den neuen Bundespräsidenten im Mai, der Versuch, einen
Katholiken zum neuen Landtagspräsidenten in Kiel zu ernennen, und die Sprengung der
bürgerlichen Wahlunion in unserem Rathaus vor zwei Jahren etwa keine Experimente?“
Selten finden sich Zeugnisse direkter Kritik von Zeitgenossen an Gerhard Gerlich und
seinem Verhalten, was gewiss auf dessen geschliffene Rhetorik, mentale Stärke, seine
kaum überschaubaren Verbindungen und Einflüsse im politischen und institutionellen
Machtapparat zurückführen ist. Als eine Ausnahme muss daher die FDP-Wahlanzeige
„Persönlichkeit oder 'Mannschaft'. Einige offene Worte zur Kommunalwahl am 25. Oktober
1959“ von Hermann Marsian gelten, in der dieser seine als berechtigt erscheinenden
Ressentiments gegen eine ungenannt bleibende „graue Eminenz“ am Ort formulierte:
„Man muß hier unwillkürlich an die Auseinandersetzungen denken, die in der letzten Zeit
über die konfessionelle Anteilhöhe in der CDU-Mannschaft geführt werden. Übrigens, wer
gibt eigentlich der 'Mannschaft' die Befehle? Wer ist der Drahtzieher dieses CDUPuppenspieles? Das zu wissen, ist für den Wähler doch entscheidend wichtig. Nachdem
es gelungen war, ehrenwerte Männer wie Rahe, Brockstedt, Carlsen, Lucht usw. aus der
Mitarbeit innerhalb der CDU zu verdrängen, ist diese CDU einem Manne hörig und
ergeben, einem Manne, der in seiner Mannschaft nicht etwa aktiv mitspielt, sondern aus
dem Hintergrund dirigiert, das weiß heute ein jeder in Neumünster. Gerade aber diesen
32
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Mann und seinen Einfluß müssen wir im evangelischen Neumünster abschütteln.“ 45
Eine derartige Bildsprache verfing auch bei den polarisierten CDU-Parteimitgliedern, wie
eine nachträgliche Analyse des Wahldebakels vom 25.10.1959 ergab. Noch als
gemeinsame „Wahlunion“ hatte die CDU 1955 zusammen mit Vertretern des Mittelstands
40,5 % oder 15 Sitze errungen und fiel nach dem maßgeblich von Gerhard Gerlich
forcierten Abschmelzen dieses Kooperationsbündnisses auf 30,5 % oder 12 Sitze ab. Die
FDP konnte dagegen ihr Ergebnis aus 1955 mit 5,2 % (noch in einem Bündnis mit SHB
und DP) mehr als verdreifachen auf 17,6 %.46
Auf
der
entsprechend
kritisch
erwarteten
CDU-Kreismitgliederversammlung
zur
Wahlnachlese bemühte sich der kommissarische Vorsitzende Hans Blöcker ausdrücklich
um eine sachliche Diskussion, aber die Schlagzeile im Holsteinischen Courier vom
08.12.1959 lautete in personalisierter Zuspitzung: „Dr.-Gerlich-Gruppe verließ die
Versammlung“. Blöcker räumte die Schwierigkeiten mit der Kandidatenliste insbesondere
wegen des konfessionellen Schwerpunkts ein, wegen der im Wahlkampf erstmals eine
Flugblattaktion
erforderlich
wurde.
Zu
dem
verheerenden
Ergebnis
vertrat
der
Kreisvorsitzende Hans Blöcker die Ansicht, daß viele ehemalige Stammwähler weniger
aus politischen Gründen als aus innerparteilicher Opposition gegen entsprechende CDURepräsentanten die FDP gewählt hätten. In der folgenden Diskussion wurden heftige
Vorwürfe gegen den Kreisvorstand in Gänze, insbesondere aber gegen seinen
wesentlichen Exponenten und der ihm nahestehenden Gruppe gerichtet:
„Das ging so weit, daß man Dr. Gerlich beschuldigte, den Vorstand wie Marionetten
behandelt zu haben. Im übrigen sah man die Gründe für die Niederlage bei der
Kommunalwahl in dem Komplex Dr. Walter Gerlich, in der Sprengung der von CDU und
Bürgerblock gebildeten Fraktion und in der Kandidatenliste, die bei vielen Wählern nicht
ankam. Bewährte und verdiente Kommunalpolitiker habe man diffamiert, andere geeignete
Persönlichkeiten habe man nicht gefragt.“ 47
Bereits vor der Versammlung war ein Antrag auf Neuwahl des Vorstandes von 82
45
Holsteinischer Courier, 23.10.1959, S. 3
s. Harbeck, Karl-Heinz: Neumünster von 1945 bis heute, in: Engling, Irmtraut (Hg.): Das NeumünsterBuch. Eine Stadtgeschichte in Wort und Bild, Neumünster 1985, S. 239
47
Holsteinischer Courier, 08.12.1959, S. 3
46
33
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Mitgliedern unterschrieben worden, und bevor dieser zur Abstimmung kam, verließ die
kritisierte Gruppe Gerlich mit etwa 20 Personen die Versammlung, so dass ein Ergebnis
von 93 Stimmen dafür und 9 Gegenvoten bei einer Enthaltung zustande kam. Wohl in
Kenntnis
einer
üblicherweise
spitzfindigen
Relativierung
von
solchen
Misstrauenserklärungen fügte der Redakteur an: „Ohne weiteres ist zu ersehen, daß der
Antrag auch unter Beteiligung der Gerlich-Gruppe angenommen worden wäre.“
Zu einem Rücktritt aller Vorstandsmitglieder konnte eine solches Abstimmungsergebnis
aus satzungstechnischen Gründen aber niemanden verpflichten und so gehörte Gerhard
Gerlich auf dem Kreisparteitag am 15.01.1960 zu den drei Spitzen-Christdemokraten, die
trotz vermittelnder Gesprächen von Carl Rahe in ihren Ämtern verblieben waren. Auf der
Versammlung selbst zog Gerhard Gerlich sich zunächst auf das Formalistische zurück, um
dann eine Erklärung abzugeben, „in der er dem Kreisparteitag das Recht absprach, eine
Abwahl vorzunehmen, in der er sich dann aber, um die bevorstehenden Abstimmungen zu
erleichtern, bereit erklärte, sein Vorstandsamt niederzulegen.“ 48
Das politische Gewicht in der Neumünsteraner Kreispartei war so groß, dass seine Person
die Schlagzeilen des Holsteinischen Courier vom 16.01.1960 dominierte: „Neuer CDUVorstand ohne Dr. G. Gerlich - 1. Vorsitzender wurde Hans Blöcker, MdB - Dr. Gerhard
Gerlich trat von seinem Amt zurück“. Ein Misstrauensantrag gegen den gesamten AltVorstand erhielt mit 115 Ja- und 95 Neinstimmen dabei am 15.01.1960 nicht die
erforderliche Zweidrittelmehrheit der CDU-Versammlung.
Dieses Verhältnis illustriert die zwiespältige Wirkung, dass Gerhard Gerlichs prononcierter
Einsatz und seine polarisierenden Methoden beim Engagement für die Belange ihm
nahestehender Gruppierungen wie Flüchtlingen oft Gegenbewegungen hervorriefen.
Dadurch führten sie hier wie an anderen Orten um einen bestimmten Preis aber auch zu
einer erhöhten Mobilisierung und einer verstärkten Beteiligung an gesellschaftlichen
Prozessen. Auch dies gehört zu einer Gesamtabwägung des Wirkens von Gerhard
Gerlich.
48
Holsteinischer Courier, 16.01.1960, S. 4
34
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
2.2.) Als Landtagsabgeordneter
2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954)
Zu Beginn des Wahljahres 1950 hatte der ehrgeizige Gerhard Gerlich bereits eine
Spitzenstellung in den Verbänden der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen errungen,
welche in Schleswig Holstein besonders zahlreich vertreten waren. Zwar hatte er Ende
Februar 1950 an der Gründung der „Landesarbeitsgemeinschaft der Vereinigungen der
Heimatvertriebenen in Schleswig-Holstein“ in Kiel teilgenommen, aber als im März 1950
„namhafte Vertreter der Heimatvertriebenen“ eine Erklärung veröffentlichten, mit der sie
gegen eine satzungswidrige Konstituierung und parteipolitisch tendenziöse Vorstandswahl
protestierten, fand sich der Name „Dr. Gerhard Gerlich (Prag)“ neben denen von elf
weiteren Unterzeichnern.49
Auch sein Engagement in der CDU kam ihm zugute, denn diese Partei war in Konkurrenz
zu
den
im
Land
regierenden
Sozialdemokraten
ebenfalls
absehbar
auf
das
Wählerpotenzial der Flüchtlinge bei der künftigen Landtagswahl angewiesen. Bereits im
Sommer 1949 hatte die Gruppierung der Flüchtlinge innerhalb der Partei bei der
Nominierung der Kandidaten für die erste Bundestagswahl ihre Forderungen begründet
und einen wesentlichen Einfluss ausüben können: „Die Auseinandersetzung innerhalb der
CDU ging in starken Maße um den Anteil der Vertriebenen an aussichtsreichen
Kandidatenstellen. Der Flüchtlingsausschuss der CDU hatte bestimmte personelle
Wünsche; er nominierte nach der erregten Debatte seine Kandidaten. Die Vertriebenen
fühlten sich innerhalb der CDU vernachlässigt, man sollte nicht nur bei Wahlen mit ihnen
rechnen, wurde gefordert, sondern auch Flüchtlingskandidaten aufstellen.“ 50
Zudem verschärfte sich diese Konkurrenz innerhalb der CDU sowie zwischen den
bürgerlichen Parteien um Wahlkreise und Landtagssitze durch taktische und strategische
Manöver auf der Ebene der Landespolitik. Nach den Wahlrechtsbestimmungen in
49
50
Volkszeitung, 28.02.1950, S. 7 u. 06.03.1950, S. 2
Varain, Heinz Josef: Kandidaten und Abgeordnete in Schleswig-Holstein 1947-1958, in: Politische
Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 2. Jg. (1961), S.
366
35
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Schleswig-Holstein von 1947 waren die untereinander als konkurrierend auftretenden
bürgerlichen Parteien im Nachteil gegenüber der SPD gewesen, weil nach dem
Berechnungssystem den erzielten Direktmandaten eine besondere Bedeutung zukam.
So hatten die bürgerlichen Parteien 1947 bei den ersten Landtagswahlen in SchleswigHolstein zwar einen gesamten Stimmenanteil von über 40 % erreicht, waren aber mit
lediglich 30 % der Mandate im Parlament deutlich unterrepräsentiert. In der Konsequenz
strebten sie nun aus strategischen Gründen an, entweder eine gemeinsame Partei zu
bilden oder sich zu einem Wahlbündnis zusammenzuschließen. 51
Entsprechende Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen hatten die Landesvorstände
CDU, FDP und Deutsche Partei (DP) zum Jahresende 1949 geführt und konnten im
Dezember 1949 den erfolgreichen Abschluss ihrer Verhandlungen bekannt geben. Nach
diesen Plänen sollten die drei Parteien nach dem gemeinsamen Auftreten ihre
Selbstständigkeit behalten und nach der Landtagswahl drei getrennte Fraktionen bilden.
Diese Absichten versuchte die SPD-Landesregierung durch eine Änderung des geltenden
Wahlgesetzes zu unterlaufen, das sie noch mit einfacher Mehrheit beschließen konnte:
"Danach sollten Listenverbindungen mehrerer Parteien verboten werden. Weiterhin wurde
angestrebt, Listenmandate nur noch den Parteien zuzuweisen, die in allen Wahlkreisen
eigene Kandidaten aufstellen. Der Landtag verabschiedete das Änderungsgesetz
27.02.1950 mit den Stimmen der SPD Mehrheit.“ 52
Zwar strengten die drei bürgerlichen Parteien gegen diese Einschränkungen beim
Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Klage an und stellten vorsorglich ihre Landeslisten
für den Fall einer Gesetzeskorrektur auf, durften sich allerdings lediglich der Chancen auf
die Direktmandate in den 46 Wahlkreisen sicher sein. Auf diese konnten sie ihre jeweiligen
Kandidaten
verteilen
und
einigten
sich
mühsam,
wobei
die
CDU
ihren
Verhandlungspartnern hatte weit entgegen kommen müssen und mit 24 deutlich
unterproportional vertreten war, wohingegen die DP 13 Wahlkreise und die FDP 9
Direktkandidaten zugesprochen bekamen.
51
52
s. Albert, Klaus: Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Lande SchleswigHolstein. Rückblick auf die Regierungszeit von Ministerpräsident Dr. Walter Bartram (1950/51), in:
Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 108, Neumünster 1983, S. 283;
im Folgenden: Albert, Regierungsverantwortung
Albert, Regierungsverantwortung, S. 287
36
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Vor diesem Hintergrund ist die teilweise drastische Wortwahl zu verstehen, mit der Walter
Gerlich
am
27.04.1950
bei
einer
gemeinsamen
Mitgliederversammlung
der
Neumünsteraner CDU, DP und FDP, die sich für die kommende Landtagswahl zu einem
Wahlblock zusammengeschlossen hatten, in der „Reichshalle" als Redner auftrat. Mit
seinem Bericht „über die Gesetze, die die Landesregierung kurz vor Beendigung ihrer
Wahlperiode noch durchgebracht hat, um auch weiterhin die SPD-Vorherrschaft zu
sichern“ dürfte er zugleich die damalige Gedankenwelt und Argumentationsweise seines
ambitionierten Bruders Gerhard repräsentiert haben:
„Dr. [Walter] Gerlich hob besonders hervor, daß Schleswig-Holstein das Experimentierfeld
des Marxismus sei. Bewiesen werde diese Behauptung durch die ohne die Majorität des
Volkes durchgebrachte Landessatzung, die Schulreform - die keine Reform, sondern
lediglich eine Umorganisation sei -, die neue Gemeindeordnung und nicht zuletzt durch
das neue Wahlgesetz, das den brüchigen Apparat der SPD verewigen solle und der
dänischen Minderheit mehr Rechte gäbe, als dem deutschen Menschen, indem es eine
Koalition zwischen den Parteien entgegen dem Grundgesetz verbiete.“53
In der noch ungefestigten Demokratie der frühen Nachkriegsjahre artikulierte der Redner
Walter Gerlich dabei in der gemeinsamen neuen Heimatstadt seines Bruders beim
Vorwahlkampf zeitgenössische Vorstellungen von Fremdbestimmung und dem Vorwurf
ungerechtfertigter Benachteiligungen durch die amtierende SPD-Landesregierung: „Diese
Voraussetzungen zwangen zur Bildung des Deutschen Wahlblocks, der nach dem letzten
Stand der Dinge nur direkte Kandidaten aufstellen wird und gezwungen ist, auf die
Restliste zu verzichten. Die Wahlvorbereitungen in Neumünster sind auf die Erreichung
der Ziele des Deutschen Wahlblocks abgestellt. Die SPD ihrerseits läßt nichts unversucht,
um ihre Machtposition zu behaupten. Das beginnt mit der Verschleierung des Wahltermins
und
der
Wahlkreiseinteilung
und
macht
nicht
halt
vor
der
Diffamierung
von
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.“
Für den ehrgeizigen CDU-Politiker und Vertriebenenfunktionär Gerhard Gerlich trat ab
April 1950 neben einer voraussichtlichen innerparteilichen Rivalität um eine reduzierte
Anzahl von Landtagswahlkreisen noch ein weiterer schwer zu kalkulierender Faktor.
53
Holsteinischer Courier, 28.04.1950, S. 4
37
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Die britischen Behörden hatten Ende März 1950 den Zulassungszwang für politische
Parteien aufgehoben, so dass sich am 1. April 1950 als absehbare Konkurrenz um die
Wählergunst
der
zahlreichen
Flüchtlinge
in
Schleswig-Holstein
der
„Bund
der
Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) konstituieren konnte. 54
Diesem späteren Koalitionspartner in der Landesregierung sprach Gerhard Gerlich als
reiner Flüchtlingspartei eine dauerhafte Existenzberechtigung ab und setzte sich wie
schon
zu
Jahresanfang
gegen
deren
Versorgung
des
eigenen
Klientels
mit
Verwaltungsposten und gegen deren Selbstalimentierung aus öffentlichen Geldern ein.
Gerade weil er selbst nach der Kriegsgefangenschaft und mit seiner Ankunft in
Westdeutschland insgeheim die Gedanken einer Rückkehr nach Prag oder in das
Sudetenland für sich ausschloss, konnte er sich umso überzeugter gegen eine vorsorglich
provisorische Unterbringung in Flüchtlingslagern und für eine Integration seiner Landsleute
in Schleswig-Holstein einsetzen.
Diese mentale Stärke und eine rhetorische Überlegenheit Gerlichs bekam vor der
Landtagswahl im Juli 1950 selbst der BHE-Mitbegründer, Landes- und spätere
Bundesvorsitzende Waldemar Kraft in Neumünster zu spüren. Die örtliche BHE-Kandidatin
und baldige Parlamentskollegin Margareta Weiss schilderte im Rückblick anschaulich, wie
Gerhard Gerlich in seiner neugewählten Heimatstadt ihren Landesvorsitzenden auf einer
öffentlichen Wahlkampfveranstaltung unerwarteter Weise in die Defensive brachte: „Was
mich ein bißchen in Erstaunen versetzt hatte, war, als Herr Kraft das erste Mal, '50, vor der
Landtagswahl hier in Neumünster gesprochen hatte, da war Herr Dr. Gehrlich [!] von der
CDU da, der Vertriebener war und der Herrn Kraft in der Öffentlichkeit zweimal festgelegt
hatte, daß er zugeben mußte, daß er von sich aus den BHE auflösen wollte, wenn den
Heimatvertriebenen geholfen sei und wenn entsprechende Gesetze geschaffen worden
seien.“55
Wegen derartiger Qualifikationen und mit starken Interessenverbänden innerhalb einer
noch mitgliederschwachen Partei im Rücken gehörte Gerhard Gerlich folgerichtig zu den
54
55
s. Wulf, Peter: „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945-1951, in:
Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 132, 2007, S. 239; im Folgenden: Wulf,
Landesfürst
Weiss, Margareta: Vom Lastenausgleich zum Hochschulgesetz, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in
Schleswig-Holstein , Husum 1987, S. 201/02
38
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
24 CDU-Mitgliedern aus der Landesspitze, die am 07. Juni einen Direktwahlkreis zugeteilt
bekamen. Mit dem folgenden Kurzlebenslauf trat er im Wahlkreis 23 Plön-Süd an:
„Dr. Gerlich (CDU), Studienrat, 39 Jahre, geboren in Troppau, Wohnort: Steverhof bei
Neumünster. Dr. Gerhard Gerlich kam als vertriebener Sudetendeutscher nach SchleswigHolstein, Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums erwarb er auf der
deutschen Universität Prag den Doktor der Philosophie. Er wurde Studienrat mit den
Fächern Geschichte, Geographie, Lateinisch und Griechisch. Er hat es sich zur Aufgabe
gemacht, mit besonderer Energie für die Belange der Vertriebenen einzutreten, die er im
Bund der Heimatvertriebenen vertritt.“ 56
Bei den Landtagswahlen am 09.07.1950 waren lediglich 16 der 24 CDU-Kandidaten
tatsächlich wie kalkuliert in ihren Wahlkreisen direkt gewählt worden. In Plön-Süd hatte
Gerhard Gerlich dabei mit rund 12 800 Stimmen deutlich vor der SPD mit 7 900 und dem
Überraschungsgewinner BHE mit 7 700 gelegen. Diese neue Partei hatte etwa die Hälfte
der Wähler aus der Gruppe der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf sich vereinigt und
mit landesweit 23,4 % der Stimmen auch fünf Direktmandate gewonnen.
Das Bündnis des deutschen Wahlblocks hatte somit sein Ziel der absoluten Mehrheit der
Mandate verfehlt, da ihm nach den neuen Bestimmungen des Wahlgesetzes, das das
Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Juni 1950 im Wesentlichen bestätigt hatte, keine
Listenplätze zustanden. Zwar wurde der bürgerliche Wahlblock durch den Gewinn von 31
Direktwahlkreisen noch stärkste Fraktion gegenüber der bisherigen Regierungspartei
SPD, die im Vergleich zur Landtagswahl 1947 von 43,8 % mit einem Verlust von 16,3 %
massiv auf 27,5 % verloren hatte. Aber das Zweckbündnis von CDU, FDP und DP blieb
selbst in dieser Konstellation auf einen Koalitionspartner angewiesen. Deren Abgeordnete
bildeten zusammen mit dem Neuparlamentarier Gerhard Gerlich am 12. Juli 1950 in Kiel
eine gemeinsame Landtagsfraktion und vertraten den Anspruch, als nunmehr stärkste
Fraktion
mit
dem BHE
über
eine
Koalitionsbildung
und
die
Übernahme
der
Landesregierung zu verhandeln.
Trotz gleichzeitiger Gespräche mit der SPD ließ diese Flüchtlingspartei eine solche
Präferenz erkennen und präsentierte dazu durch seinen Landesvorsitzenden Waldemar
56
Kieler Nachrichten, 04.07.1950, S. 5
39
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Kraft ein Sofortprogramm mit einer für den BHE nicht verhandelbaren, für das Ansehen
und die Verlässlichkeit des demokratischen Gemeinwesens aber prekären Forderung:
„Während eine Einigung über die verlangten sozialen Maßnahmen zur schnelleren
Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge mit dem Wahlblock relativ leicht möglich
erschien, musste die an erster Stelle des Programms erhobene Forderung nach sofortigen
kommunalen Neuwahlen auf entschiedenen Widerstand stoßen. Bei den letzten
Kommunalwahlen 1948 war es den Vertriebenen und Flüchtlingen wegen der alliierten
Bestimmungen noch untersagt gewesen, mit einer eigenen Partei zu kandidieren.
Der
BHE
hielt
aber
eine
verstärkte
Beteiligung
der
von
ihm
vertretenen
Bevölkerungsgruppe in den kommunalen Parlamenten für unbedingt erforderlich, um die
sozialen Spannungen abzubauen.“57
Diese Änderung war für den Parlamentsneuling Gerlich so wenig annehmbar, dass er bei
dem entsprechenden Antrag im Landtag zum Jahresende sein erstes von der
Fraktionsdisziplin abweichendes Votum wagen sollte. Auch dürfte ihm von früheren
politischen
Begegnungen
her
der
von
CDU-Landesspitze
vorgesehene
Ministerpräsidentenkandidat Paul Pagel nicht behagt haben, z.B. in einem Gremium,
dessen
Vorsitzender
Gerhard
Gerlich
selbst
werden
sollte:
„Der
Landesflüchtlingsausschuss der CDU hatte sich bereits bei der Aufstellung der
Bundestagskandidaten für die Wahl 1949 geweigert, ihn als seinen Vertreter zu
nominieren. Eine maßgebliche Rolle für die Ablehnung Dr. Pagels hat vermutlich auch sein
distanziertes Verhältnis zu denjenigen ehemaligen Nationalsozialisten gespielt, die über
eine Mitgliedschaft in den Wahlblockparteien und im BHE ihre Rehabilitierung
erwarteten.“58
Das Scheitern dieses Kandidaten bei dem Misstrauensantrag gegen die amtierende SPDLandesregierung auf der konstituierenden Landtagssitzung am 07.08.1950 konnte aber
nicht auf fehlende Stimmen aus den eigenen Reihen zurückgeführt werden. Der
zusätzliche Antrag des Wahlblocks auf geheime Abstimmung war sowohl von der SPD als
auch der BHE-Fraktion abgelehnt worden, der noch keinen Verhandlungsabschluss mit
dem bürgerlichen Lager getroffen hatte und durch sein Abstimmungsverhalten gegen
57
58
Albert, Regierungsverantwortung, S. 301/02
Albert, Regierungsverantwortung, S. 303
40
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Pagel
auch
seine
künftige
Stärke
gegenüber
dem
bürgerlichen
Blockbündnis
demonstrierte. Ein Abweichen von den parlamentarischen Bräuchen erlebte Gerlich am
07.08.1950 auch bei der Wahl des Landtagspräsidenten, der üblicherweise von der
stärksten Fraktion gestellt wurde.
An dieser Stelle begründeten SPD und BHE die Wiederwahl von Karl Ratz (SPD) gegen
den Kandidaten Walter Böttcher (CDU) mit ihrer Interpretation, dass der vorschlagende
Wahlblock zwar rechtlich, nicht aber politisch als Fraktion zu werten sei, weil die ihn
tragenden Parteien CDU, FDP und DP sich nicht aufgelöst hätten.
59
Derart spitzfindige
Umdeutungen oder das Verbiegen von geltenden Regularien mochten bei einem
Jungparlamentarier
wie
Gerlich
ebenso
wie
die
fragwürdigen
Umstände
der
Stadtpräsidenten-Wahl Paul Lohmanns in Neumünster den Eindruck vertieft haben, dass
ein ähnliches Vorgehen von ihm in späteren Jahren bei passenden Gelegenheiten
gerechtfertigt sei.
Nach diesen Auftaktniederlagen im Landtag fand sich die CDU-Landesspitze zu stärkeren
Kompromissen gegenüber dem BHE bereit und stellte mit Walter Bartram, der Gerlich als
Neumünsteraner CDU-Kreisvorsitzender zwar bekannt, aber nicht durch weiterreichende
politische Aktivität, Übernahme von Verantwortung oder Erfahrung aufgefallen war, einen
wenig profilierten und somit unstrittigen Konsenskandidaten auf. 60 Dieser erhielt gemäß
der mittlerweile abgeschlossenen Absprachen mit dem BHE auf der Landtagssitzung am
05.09.1950 alle 44 Stimmen von Wahlblock und der Flüchtlingspartei, so dass Bartram
zugleich die vereinbarte Regierungsmannschaft präsentieren konnte.
Von diesem Datum an sind bei der Kieler Landtagsverwaltung auch die Mitgliedschaften
Gerhard Gerlichs in den Ausschüssen für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung, für
Heimatvertriebene, für Volkswohlfahrt und für Verkehr verzeichnet. Nach dieser Quelle
hatte er bereits ab dem 07.08.1950 das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs für
den Bereich Kultus (Jugend und Sport) inne und wurde als gelernter Pädagoge erst ab
März 1952 in dem Ausschuss für Volksbildung und Erziehung Mitglied. Im Laufe dieser
Wahlperiode sollte Gerlich zudem 1951 noch in dem Untersuchungsausschuss zu
Vorwürfen gegenüber dem Landtagspräsidenten Ratz mitarbeiten.
59
60
Albert, Regierungsverantwortung, S. 304
Wulf, Landesfürst, S. 241/42
41
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Anfänglich widmete sich Gerhard Gerlich in der Landtagsarbeit dem ihm bekannten Feld
der Flüchtlingspolitik und hielt in der Sitzung vom 12.10.1950 seine Jungfernrede zu dem
Thema der Umsiedlung, nach welcher andere Bundesländer einen Teil der Vertriebenen
aufnehmen sollten, die in überproportionalem Maß in Schleswig-Holstein untergekommen
waren. Dabei dürften ihm in dieser Anfangsphase des wechselseitigen Kennenlernens
seine persönlichen Eindrücke und die Selbstdarstellung „als parlamentarischer Neuling“
aus dem Sitzungssaal gutwillig abgenommen worden sein: „Ich bin aber andererseits auch
hier in dieses Haus gekommen in dem guten Glauben, daß wir uns vielleicht von
erfahrenen, alten Strategen, Praktikern und Taktikern werden einführen lassen können in
eine geläuterte Form der Demokratie. Ich muß sagen, daß
ich durch die bisher erlebten Landtagssitzungen bitter enttäuscht bin.“ 61
Zwar konstatierte der Abgeordnete Gerlich den allseitig eingehaltenen Konsens, das
Debattenthema
der
Flüchtlingsverteilung
aus
dem
Parteienstreit
im
Wahlkampf
herausgehalten zu haben. Zugleich richtete er aber doppelbödig den Appell ausgerechnet
die Adresse der standhaft gebliebenen SPD-Fraktion an, dass diese (anstelle des
tatsächlichen Initiators BHE oder seines eigenen bereitwilligen Wahlblocks) nicht das
verunsichernde Szenario von möglichen Neuwahlen in den Gemeinden heraufbeschwören
solle:
„Ich habe den Eindruck, daß zwar vor den Landtagswahlen der Herr Sozialminister Damm
es für richtig gehalten hat, über das Thema Umsiedlung in den Wahlversammlungen nicht
zu sprechen. Wir haben uns selbstverständlich an dieses Abkommen gehalten, weil wir
wissen, daß das Schicksal der Heimatvertriebenen so grundlegend ist, daß es über das
Parteiengezänk erhaben sein müßte und uns allen ein gemeinsames ureigenstes Anliegen
sein müßte. Wenn man aber nun, nachdem der Wahlkampf zu Ende ist (...) von der Linken
des Hauses jenes neue Aufkreuzen möglicher Wahlen immer wieder in die Diskussion zu
werfen sich bemüht hat, dann habe ich das dunkle Gefühl, daß man hier bereits einen
neuen Wahlkampf beginnen möchte (…).“ 62
61
62
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 2.
Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 45; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 2. WP. (mit
Datum und Seitenzahl)
Protokoll LT-SH, 2. WP., 12.10.1950, S. 45
42
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
In der übernächsten Sitzung am 13.11.1950 nahm Gerhard Gerlich zu dem vor Jahresfrist
durch die SPD-Regierung einseitig zu ihrem Vorteil veränderten Landeswahlgesetz kritisch
Stellung. Bei seiner Begründung für die Revision einzelner Bestimmungen kontrastierte er
angebliche Aussagen früherer SPD-Spitzenpolitiker mit ihren aktuellen Debattenbeiträgen
und durfte sich als neuer Parlamentarier geradezu geadelt fühlen, dass er den rhetorisch
gefürchteten Oppositionsführer Andreas Gayk derart provozieren konnte, dass dieser
ausfallend wurde und Gerlich die Gelegenheit zum Understatement in einer süffisanten
Entgegnung bot:
„(Abg, Gayk: (…) Was schwätzen wir doch bloß heute hier zusammen!)
Präsident Ratz: Herr, Abgeordneter Gayk, ich muß doch bitten!
Dr. Gerlich (Wahlblock), fortfahrend:
- Ich habe mir in dieser Beziehung keine Kritik erlauben wollen, Herr Gayk! Es sei Ihnen
durchaus überlassen, dies nun bei mir zu tun. Ich weiß, Sie sind der wesentlich
erfahrenere Politiker; Sie sind ein wesentlich erfahrener Taktiker. Sie sind aber auch ein
wesentlich erfahrener Parteistratege. Zu dieser Gruppe von Persönlichkeiten wage ich
mich selbstverständlich nicht zu zählen.“ 63
In dieser Phase verfügte die Regierung Bartram noch über eine Zweidrittelmehrheit im
Parlament und konnte so die noch im Dezember 1949 mit einfacher SPD-Mehrheit
verabschiedete Landesverfassung ändern. Die Koalition aus Wahlblock und BHE
beschloss am 11.11.1950 mit ihren 46 Stimmen, die bis dahin verfassungsgemäß
verankerte Grundschulzeit von 6 Jahren zu revidieren und machte bei dieser Gelegenheit
auch den von den Sozialdemokraten durchgesetzten Wegfall von Schulgebühren
rückgängig.
Die sozialdemokratisch geprägte Schleswig-Holsteinische Volkszeitung berichtete von
dieser Sitzung unter der Überschrift „Schulgeldfreiheit gegen Neuwahlen“ über einen
kritikwürdigen Kuhhandel des BHE, der zwar mit einem Antrag die für die Flüchtlinge
wichtige Schulgeldfreiheit in der Landungssatzung verankern lassen wollte, diese
parlamentarische Initiative aber im Tausch gegen die angestrebten vorzeitigen Neuwahlen
zurückgezogen habe. Bemerkenswert erschien den VZ-Redakteuren an dem Beschluss,
63
Protokoll LT-SH, 2. WP., 13.11.1950, S. 75
43
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
diese in Kommunal- und Gemeindeparlamenten bis zum 30. April 1951 durchzuführen,
das uneinheitliche Votum aus dem Regierungslager bei der namentlichen Abstimmung von
37 Ja- gegen 28 Nein-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen. Von diesem mutigen wie
selbstbewussten Akt bei vier Gegenstimmen aus dem Wahlblock wurde in der SPDZeitung mit der korrekten Namensschreibung ferner festgehalten: „Der Stimme enthielten
sich die Abgeordneten Dr. Gerlich (CDU), Dr. Schönemann (FDP), Sieh (DP), Claussen
(CDU) und Dr. Schwinkowski (CDU).“64
Auch die von der Volkszeitung behauptete Koppelung des Neuwahl-Beschusses im
Gegenzug
für
die
unpopuläre
Wiedereinführung
des
von
der
früheren
SPD-
Landesregierung abgeschafften Schulgeldes schien sich durch das weitere und
konsequente Abstimmungsverhalten des gelernten Pädagogen Gerlich zu bestätigen. So
vermeldete
die
SPD-nahe
Tageszeitung
am
01.02.1951
unter
der
Überschrift
„Schulgeldfreiheit teilweise beseitigt“ zur Abstimmung: „Gegen die Stimmen der
sozialdemokratischen
Landtagsfraktion,
der
SSW-Abgeordneten
und
der
BHE-
Abgeordneten Frau Dr. Ohnesorge sowie des Wahlblockabgeordneten Dr. Gehrlich [!]
wurden in der Landtagssitzung am Mittwoch fast alle Paragraphen einer Gesetzesvorlage
in zweiter Lesung angenommen, mit denen die bisher bestehende Schulgeld- und
Lernmittelfreiheit teilweise aufgehoben wird.“
Den laut Koalitionsabsprachen anzuberaumenden vorzeitigen Neuwahlen versagte Gerlich
im Unterschied zu anderen Kritikern innerhalb des Wahlblocks auch die letzte Zustimmung
im Landtag, wie wiederum die Volkszeitung unter Überschrift „Letzter Versuch gegen die
Unglückswahl“ zu der Sitzung am 01.03.1951 zu berichten wusste: „Es fehlten die
Abgeordneten Jensen, Schoof und Dr. Gehrlich [!] (alle CDU).“ 65
Dagegen musste die Umsetzung der BHE-Forderung nach einem endgültigen Abschluss
der
Entnazifizierung
im
Januar
1951
den
Interessen
von
Gerhard
Gerlich
entgegenkommen, zumal er 1947 in seinem eigenen Auskunftsformular bewusst seine
Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS unterschlagen und diese Falschauskunft mit seiner
Unterschrift bestätigt hatte. Zu der 1. Lesung des entsprechenden Entwurfs eines
„Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung“ dürfte ihn in der Sitzung am 31.01.1951
64
65
Volkszeitung, 15.11.1950, S. 1
Volkszeitung, 02.03.1951, S. 1 u. 7
44
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
allerdings die Einlassung des BHE-Abgeordnete Martin Kohz zu dem Meinungsbild seiner
Fraktion und Partei, die für eine latente Nähe zu Rechtsextremisten und Rechtslastigkeit
bekannt war, überrascht haben: „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß Akten nicht zu
vernichten seien. Es könnte dadurch der Eindruck erweckt werden, als ob man etwas
beseitigen wolle. Interesse daran besteht nicht; es wird vielleicht im Gegenteil sogar
zweckmäßig sein, diese Kulturdokumente einer staunenden Nachwelt erhalten zu
lassen.“66
Obwohl manche Sozialdemokraten energisch gegen einige Gesetzesbestimmungen
protestierten, nach denen die von Entnazifizierungsausschüssen negativ Beurteilten damit
das Recht auf neue Verfahren, Aussicht auf Bessereinstufung und Ansprüche auf
Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst erhalten könnten, war bei dieser ersten
Lesung über Parteigrenzen hinweg der Wunsch nach einem Schlussstrich auszumachen.
Bei dem Redebeitrag des ihm persönlich bekannten Neumünsteraner Stadtpräsidenten
und SPD-Abgeordneten Paul Lohmann mochte sich Gerhard Gerlich von dem
Schlusssätzen auf eine besondere Weise angesprochen oder legitimiert gefühlt haben:
„Ich bin bereit - und das wissen meine Fraktionsgenossen -, mit einem früheren
überzeugten Nationalsozialisten heute durch dick und dünn zu gehen, wenn er sich zum
Begriff der Demokratie und zu den Mitteln bekennt, die wir als menschlich bezeichnen.
Und dann müssen wir noch eines voraussetzen: Wenn man bereit ist, mit diesen jungen
Leuten oder denen mittleren Alters, die aus ihrer Überzeugung heraus einen bestimmten
Weg gegangen sind, der uns ins Elend geführt hat, zu gehen und an nichts mehr zu
denken, dann darf man doch auch etwas Zurückhaltung und Einsicht erwarten.“ 67
Ungleich kontroverser argumentierten die Parlamentarier am 14.03.1951 bei der 2. Lesung
dieses in der jungen Bundesrepublik weitgehendsten und striktesten Gesetzes zur
Beendigung der Entnazifizierung. Nach diesem wurden die in der Gruppe III (Belastete)
oder IV (Mitläufer) Eingestuften mit der Rechtsstellung der Gruppe V (Entlastete)
gleichgestellt. Somit erhielten auch einst aktive oder überzeugte Nationalsozialisten einen
Anspruch auf Wiedereinstellung oder auf Wiederherstellung ihrer alten Rechte. Eine
Entsprechung auf Bundesebene wurde im Mai 1951 durch das „Gesetz zur Regelung der
66
67
Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 277
Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 286
45
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen"
beschlossen, demzufolge nahezu alle wegen der Entnazifizierung Entlassenen einen
Anspruch auf Wiedereinstellung zugesprochen bekamen. 68 Für deren Interessen im
Rahmen des sog. „131er-Gesetz" sollte sich Gerhard Gerlich in späteren Jahren noch mit
einer verblüffenden Akzentsetzung engagieren.
Persönlich dürfte ihn auf dieser Landtagssitzung die Frage nach dem Verbleib der
behördlichen Dokumente interessiert haben, mit deren Vernichtung man nicht so hastig zu
sein bräuchte, wie der BHE-Abgeordnete Alfred Gille erklärte. Dieser trug als Ergebnis der
Ausschussberatungen vor, dass man dem Innenminister eine nähere Entscheidung
überlassen wolle, wann, in welchem Umfange und wie diese Entnazifizierungsakten zu
vernichten seien, die auch für die wissenschaftliche Erforschung der Zeitgeschichte von
Bedeutung sein könnten.69
Gerlich stand weiterhin nicht in dem besten Verhältnis mit dem zuständigen Parteifreund
und Innenminister Paul Pagel, der sich nach diesen Debatten im Tagebuch vermerkte:
„Die Argumente der Opposition erscheinen mir weit stichhaltiger als die der
Regierungsparteien. Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen,
Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde
sind, wenn man ihnen hart entgegentritt.“ 70 Seinen auch im Dritten Reich politisch
unbelasteten gewesenen Ministerpräsidenten Bartram dürfte Pagel damit gewiss nicht
gemeint haben, der gleichwohl in der Landtagssitzung am 07.05.1951 auf eine Anfrage
des SPD-Abgeordneten Lüdemann hin seine nivellierende und verharmlosende Aussage
in der New York Herold Tribune rechtfertigte, dass es schwer gewesen sei, der NSDAP
nicht anzugehören. Mit dieser wenig taktvollen, aber dem Zeitgeist und der weit
verbreiteten Schlussstrich-Mentalität entsprechenden Aussage hätte Bartram sich auch
der Zustimmung Gerlichs gewiss sein dürfen. 71
Zum Abschluss der vorhergehenden Sitzung am 14.03.1951 wurde wegen eines
68
69
70
71
s. Godau-Schüttke, Klaus-Detlev: Die Heyde/Sawade-Affäre, Wie Juristen und Mediziner den
Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben, Baden-Baden 1998, S. 93; im
Folgenden: Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre
Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 213
zit. nach Varain, Parteien, S. 223, Anm. 902
Protokoll LT-SH, 2. WP., 07.05.1951, S. 118-120
46
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Zeitungsartikels mit anonym erhobenen Vorwürfen gegen den Landtagspräsidenten Karl
Ratz
beraten,
ob
auf
dieser
dürftigen
Grundlage
ein
Parlamentarischer
Untersuchungsausschuss eingesetzt werden solle. Gerhard Gerlich plädierte dafür mit
dem Argument, im Interesse des derart Angegriffenen zu handeln: „Es ist immer üblich
gewesen, daß, wenn eine solche Sache in die Öffentlichkeit getragen wird, der Betroffene
von sich aus auf allerschnellste Bereinigung dieses Falles Wert gelegt hat, und daß er und
seine politischen Freunde eigentlich das größte Interesse haben müßten, daß diese
Angelegenheit auf schnellste Art und Weise, und zwar klar, eindeutig und öffentlich
bereinigt wird, damit nicht der Eindruck entstehen kann, daß wir etwa Grund haben, etwas
zu verschweigen oder in die Länge zu ziehen.“ 72
Tatsächlich wurde Gerlich in der Sitzung von 08.05.1951 neben neun weiteren
Abgeordneten aus allen Fraktionen in diesen Parlamentarischer Untersuchungsausschuss
entsandt, in dessen Verlauf sich Behauptungen über eine missbräuchliche Nutzung von
Landtagsräumlichkeiten oder Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Druckaufträgen
wie zu erwarten als haltlos erwiesen. Soweit Einblick in die teils dem Datenschutz
unterliegenden
Protokolle
des
entsprechenden
Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses ermöglicht werden konnte, hat sich Gerlich bei den
nichtöffentlichen Beratungen zu Geschäftsordnung,
Verfahren und Zeugenbefragung
zwischen Mai und August 1951 nicht außergewöhnlich engagiert, sondern stimmte dort
dem Gesamtfazit zu, dass „nach den Tatbeständen und nach dem, was davon
übriggeblieben ist, Landtagspräsidenten Karl Ratz, hingesehen auf diese Vorwürfe, weder
das Ansehen seiner Stellung noch des Landtages, noch das der Demokratie beeinträchtigt
hat.“73
Derweil hatten die besonders im Regierungslager heftig umstrittenen Neuwahlen am 29.04
1951 in die Kommunalparlamente dem dort noch nicht vertretenen BHE ein
Stimmergebnis von rund 18,5 % ergeben, das auf Kosten der bereits etablierten Parteien
und Wahlgemeinschaften ging. Dieser absehbare Verlust fachte die offene Kontroverse im
CDU-Landesvorstand zwischen dem Vorsitzenden Carl Schröter und dem koalitionstreuen
Regierungschef Walter Bartram heftig an.
72
Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 331
Protokoll LT-SH, 2. WP., 08.10.1951, S. 60; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des
Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der gegen Landtagspräsident Karl Ratz
vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951
73
47
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Nun eskalierte der interne Kampf um die Macht in der CDU sowie der Landesregierung im
Mai/Juni 1951, an dessen Ende Gerhard Gerlich in den engsten Führungszirkel der
Landespartei aufrücken sollte. Die beiden Kontrahenten Schröter und Bartram
verweigerten in Sitzungen einander das Vertrauen, sondern strengten jeweils ergebnislose
Parteiehrengerichtsverfahren gegeneinander an. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer
führte in diesem Führungsstreit schließlich Gespräche mit beiden, in deren Folge und
begleitet von Sitzungen u.a. des CDU-Landesausschusses im Juni 1951 die Rücktritte
sowohl Schröters als auch Bartrams standen. 74
Für die Nachfolge in beiden Ämtern wurde am 23.06.1951 zunächst im Landesvorstand
und direkt im Anschluss auf einem CDU-Landesparteitag der Flensburger Landrat
Friedrich Wilhelm Lübke (der Bruder des späteren Bundespräsidenten) nach anfänglich
kontroversen Diskussionen über seine katholische Konfession mit großer Mehrheit
gewählt. Zu seinen Stellvertretern als Landesvorsitzender macht diese Parteiversammlung
dann den zeitweisen, für den BHE aber nicht als Regierungschef akzeptablen Kandidaten
Paul Pagel sowie die Landtagsabgeordneten Kai-Uwe von Hassel und erstmals Gerhard
Gerlich.75 Letzterer wurde seither in diesem Amt mit abnehmender Popularität und
entsprechenden Stimmergebnissen stets wiedergewählt, erreichte aber selbst dann eine
komfortable Mehrheit, als der zum Vorsitzenden aufgerückte von Hassel zu Beginn von
Gerlichs Sterbejahr 1962 presseöffentlich eine Verjüngung der Parteispitze einfordern
sollte.
Nach dieser ersten Wahl in den CDU-Landesvorstand wurde Lübke umgehend auch von
Gerlichs Wahlblock-Fraktion für das Amt der Regierungschefs nominiert. Diese hatte auf
der
Landtagssitzung
am
25.06.1951
keine
eigene
Mehrheit
und
nach
der
Rücktrittserklärung des bisherigen Ministerpräsidenten Bartram blieb Lübke dort der
einzige vorgeschlagene Kandidat für die Nachfolge. Er erhielt im ersten Wahlgang
lediglich 29 Stimmen, denn 36 Abgeordnete der SPD, des BHE und des SSW votierten
gegen ihn, wohingegen sich zwei Wahlblock-Mitglieder (allerdings nicht Gerlich) bei der
namentlichen Abstimmung enthielten. Nach dem gleichen Resultat im 2. Versuch genügte
74
75
s. Albert, Regierungsverantwortung, S. 310/11 u. Wulf, Landesfürst, S. 245-48
s. Mosberg, Helmuth: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, Kiel 1996, S. 139; ferner: Struck, Claus-Ove:
Die Politik der Landesregierung Friedrich Wilhelm Lübke in Schleswig-Holstein (1951-1954), Frankfurt
a.M. 1997, S. 23, mit der Titulierung „Gerhard von Gerlichs“; im Folgenden: Struck, Lübke
48
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
dann die einfache Mehrheit der Stimmen im dritten Wahlgang, so dass Lübke ohne
Gegenkandidaten mit 28 Ja- und 37 Neinstimmen bei weiterhin 2 Enthaltungen zum neuen
Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein gewählt worden war. 76
Direkt nach diesem sehr selbstbewussten Signal des Regierungspartners BHE
verhandelte die Wahlblock-Fraktion kurzzeitig, aber ohne Erfolg mit der SPD über einen
Wechsel.77
Nach
Lübkes
Androhung
von
Neuwahlen
setzte
der
BHE
der
Regierungszusammenarbeit mit seinen Vertretern Waldemar Kraft als Finanzminister und
Hans-Adolf Asbach als Minister für Soziales, Arbeit und Vertriebene im Kabinett auf der
Basis der vorherigen Koalitionsvereinbarungen fort. Dieser Konsolidierung in der
Landespolitik folgte im Herbst 1951 eine heftige Diskussion über den Umgang mit der NSVergangenheit und die Folgen, die die Landesregierung (wie auch die sie tragenden
Fraktionen) mit ihrem sehr weitreichenden Entgegenkommen gegenüber ehemaligen
Nationalsozialisten heraufbeschworen hatte.
In der Sitzung am 09.10.1951 debattierten die Abgeordneten teilweise sehr erregt über
dem exemplarischen Fall, dass der ehemalige Gauleiter und Oberpräsident SchleswigHolsteins Hinrich Lohse in der Konsequenz des umstrittenen Entnazifizierungsgesetzes
mit Erfolg eine Pension beantragt hatte und sie schließlich auch ausgezahlt bekommen
sollte.
In
das
Zentrum
„Sonderbeauftragten
für
der
die
Kritik
stellte
Entnazifizierung“,
die
den
SPD-Fraktion
weiterhin
Abgeordneten
und
den
CDU-
Landesgeschäftsführer Oskar Hubert Dennhardt, und dessen Unterlassungen in dem Fall
des SS-Obergruppenführers und Reichskommissars für Böhmen und Mähren, Reinhard
Heydrich. Im Unterschied zum Fall Lohse hatte der Sudetendeutsche Gerlich zu diesem
insofern nähere Bezüge, als Heydrich zur Zeit des tödlichen Attentats am 27.05.1942 in
Prag selbst noch in dieser Stadt fernab des Kriegsgeschehens gelebt und gearbeitet hatte.
Mit dem Antrag auf den eigentlich gesperrten Nachlass dieser „Personifikation des NSSchreibtischtäters und Massenmörders aus dem Reichssicherungshauptamt“ 78 war
Heydrichs Witwe ebenso erfolgreich gewesen wie 1950 in Lübeck mit dem Antrag auf
76
77
78
Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.06.1951, S. 5-25
s. Varain, Parteien, S. 229
Danker, Uwe: Vergangenheits'bewältigung' im frühen Land Schleswig-Holstein, in: Landeszentrale für
politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998,
S. 27; im Folgenden: Danker, Vergangenheitsbewältigung
49
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
„Kriegsopferversorgung“, den sie mit der Interpretation begründet hatte, dieser Todesfall
sei auf Kriegseinwirkung zurückzuführen. Auf sein für derartige Zweifelsfälle vorgesehenes
Einspruchsrecht nach § 45 hatte der „Sonderbeauftragte“ Dennhardt bewusst verzichtet
und erklärte im Parlament zu seiner bislang nicht bekannten Eigenmächtigkeit und
tendenziösen Handhabung, die Entnazifizierung selbst so dauerhaft beenden zu wollen,
gleichermaßen beeindruckend wie provozierend ungerührt an die Adresse der SPDFraktion:
„Ich habe mich im Rahmen des Gesetzes gehalten und habe die Möglichkeiten
ausgeschöpft, die mir im Rahmen dieses Gesetzes gegeben waren. Ich möchte aber doch
ganz ernstlich an Sie appellieren, ob Sie nicht auf diesem Wege umkehren sollten und ob
Sie sich nicht doch zu unserer Auffassung bekennen könnten, daß wir die Vergangenheit
endlich einmal ruhen lassen sollten.
(Beifall beim Wahlblock. - Zuruf von der SPD: Um den Nazis Pensionen zu geben! - Abg,
Gayk: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldigl – Abg. Lechner: Der Beifall ist
sehr interessant!)“79
Der Abgeordnete Gerlich beteiligte sich lediglich mit zwei kurzen Zwischenrufen zu der
Frage des Heydrich-Nachlasses an dem entsprechend emotionalen Abtausch, zu dessen
Bedeutung Uwe Danker zusammenfasste:
„Diese
außergewöhnliche
Parlamentsdebatte
hatte
die
Abgeordneten
der
Regierungsparteien jene politischen und juristischen Zwänge spüren lassen, die sie selbst
geschaffen hatten: Ihnen war es um den 'Schlussstrich' gegangen, auch damit hatten sie
die Landtagswahl gewonnen, und sie wollten - vor allem - die belasteten Staatsbeamten,
von ihnen durchweg als zu Unrecht belangt und als allenfalls unschädliche Mitläufer
begriffen, rehabilitieren, und zwar beamtenrechtlich ohne Ausnahme alle. Und sie
blendeten dabei aus, daß ein nationalsozialistischer Oberpräsident den Genuß der
exzessiven Regelungen für das preußische Beamtentum suchen könnte, von der
Berücksichtigung einer verantwortlichen Mitschuld regulär geförderter Beamten an NSVerbrechen und NS-Unrecht ganz abgesehen. Die Regierungsparteien, der BHE und die
zum deutschen Wahlblock zusammengeschlossenen CDU, DP und FDP, begriffen sich als
Anwälte der '131er', jener also, die in der unmittelbaren Nachkriegsphase aus dem
79
Protokoll LT-SH, 2. WP., 09.10.1951, S. 103
50
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
öffentlichen Dienst entlassen worden waren. Aber gerade weil ihre Bereitschaft zur
Beendigung der Entnazifizierung und Rehabilitation der Betroffenen sehr weit ging, sie die
britischen Spruchgerichtsverfahren als rein 'politische Verfahren' begriffen, störten so
eindeutige Symbole wie die Fälle Heydrich und Lohse.“ 80
Bei dem für das demokratische Gemeinwesen ebenfalls relevanten Thema der Änderung
des Landeswahlgesetzes demonstrierte Gerhard Gerlich in der folgenden Sitzung am
10.10.1951 zusammen mit sechs anderen Mitgliedern der Regierungsfraktionen seine
Eigenständigkeit, als er sich im Landtag bei dem Gesetz zur Änderung des
Landeswahlgesetzes in namentlicher Abstimmung enthielt. Damit wandte er sich gegen
die umstrittene Erhöhung der Sperrklausel auf 7,5 %, die auch für Partei der nationalen
Minderheit, dem SSW, gelten sollte. Nachträglich durfte er sich in dieser konsequenten
Haltung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt fühlen, das diese
Verschärfung am 05.04.1952 für nichtig erklärte.
Gerlichs Rücksichtnahme auf die Belange kleinerer Parteien erstreckte sich allerdings
nicht auf das politische Tagesgeschäft, sondern wie die CDU-Landesspitze und einige
Kreisverbände verfolgte er gegen Ende 1951 das Ziel einer Parteienkonzentration
innerhalb des bürgerlichen Lagers bis hin zur Assimilierung in der CDU. Diese Entwicklung
wurde begünstigt durch Spannungen zwischen den profilierungsbedürftigen Kleinparteien
FDP bzw. DP und deren Landtagsfraktionen, aus denen einzelne Abgeordnete austraten,
die anderenorts im Wahlblock hospitierten, ihre jeweiligen Ausschusssitze aber behalten
wollten.
Als die FDP-Spitze die Unterstützung des CDU-Landesvorstands für eine Rückgabe
dieser Posten einforderte, erhielt sie Ende November 1951 über die Presse eine harsche
Abfuhr in nationalsozialistischer Sprachdiktion. Noch ohne Nennung des Urhebers
formulierte und zitierte dabei der Holsteinische Courier in dem Artikel „Bedrohliche Wolken
über dem Wahlblock“: „Mit Erstaunen ist die Aeußerung eines prominenten Mitgliedes der
CDU-Landtagsgruppe aufgenommen worden, der [!] dieser Tage die Haltung der FDP als
seit langem zweideutig brandmarkte und einer Pressemeldung zufolge erklärte: 'Es wäre
80
Danker, Uwe: „Wir subventionieren die Mörder der Demokratie“. Das Tauziehen um die Altersversorgung
von Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse in den Jahren 1951 bis 1958, in: Zeitschrift für SchleswigHolsteinische Geschichte, Bd.120 (1995), S. 191
51
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter schwären zu lassen.' Diese
Aeußerung hat in Kreisen der FDP starkes Befremden und große Empörung ausgelöst.“ 81
Süffisant glossierte die sozialdemokratische Volkszeitung am 07.12.1951 diese rüde
Abqualifizierung als Beispiel eines guten Einvernehmens innerhalb des Wahlblocks und
gab mit Fehlschreibung den Namens des Verfasser bekannt: „Das sagte Dr. Gehrlich [!] in
Bezug auf die Auffassung der Jungdemokraten, daß die FDP sich aus dem Wahlblock
lösen solle.“
Diese Strategie der Ausgrenzung und Abspaltung, an der sich auch sein Bruder Walter im
Herbst 1951 als kommissarischer Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Neumünster
versucht hatte, entsprach der Linie des CDU-Landesvorstands mit dem Ziel der
Zersplitterung der anderen Parteien innerhalb des Wahlblockbündnisses. 82 Ihr lag die
Endvorstellung eines Zwei-Parteiensystems wie in Groß-Britannien zugrunde, nach deren
Vorbild die britischem Besatzungsmacht die Grundzüge des Schleswig-Holsteinischen
Wahlsystems vorstrukturiert hatte.
Zu diesem Zeitpunkt erschien nicht denkbar, dass Gerhard Gerlich ohne eine
Unterstützung
oder
Rückendeckung
des
CDU-Landesvorsitzenden
Lübke
derart
polarisierend in die öffentliche Debatte getreten wäre. Dafür spricht auch, dass nach der
Erstveröffentlichung Ende November am 15.12.1951 in dem hauseigenen und von ihm mit
geleiteten „CDU Landesdienst Schleswig-Holstein“ Gerlich sein „Geschwür“-Zitat mit einer
Wiederholung bekräftigte, die FDP zu der geplanten Diskussion darüber ermunterte und
mit seinem begleitenden Appell an die Selbstachtung der politischen Partei eine
Entscheidung bei scheinbar freier Wahlmöglichkeiten fast vorwegnahm:
„Es freut mich, dass sich die FDP am 12.12. mit der Meldung in der 'Welt' v. 28.11.
befassen will. Ich möchte jedoch hoffen, dass sie dabei nicht zu berücksichtigen vergisst,
was mich veranlasst hat, meine Gedanken nach längeren Ausführungen in dem Satz
zusammenzufassen: 'Es wäre besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter
schwären zu lassen.' (…) Ich würde es begrüssen, wenn die FDP eine eindeutige Stellung
beziehen würde, d.h. entweder dem Deutschen Wahlblock ein vorbehaltloses 'Ja' oder
81
82
Holsteinischer Courier, 01.12.1951, S. 3
Struck, Lübke, S. 120/21
52
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
aber ein ebenso klares und unmißverständliches 'Nein' sagen wurde.“ 83
Folgerichtig und wie kalkuliert traten Anfang Januar 1952 erst die FDP und dann die DP
aus dem Wahlblockbündnis aus, das damit zwar seine Zweidrittelmehrheit verlor.
Allerdings sollten im Laufe dieser Wahlperiode aus diesen beiden neugebildeten
Fraktionen noch weitere Abgeordnete zur CDU wechseln, so dass diese größte Fraktion
im bürgerlichen Lager bis 1954 von 16 auf 26 Mandate anwuchs. Erfolge wie diese
schienen Gerhard Gerlich gegenüber seinen Zeitgenossen Recht zu geben und seine
eingesetzten Mittel nachträglich zu legitimieren, wie diese Zusammenhänge auch bei einer
Einschätzung seiner Lebensleistung zu würdigen wären.
In seinem Fachgebiet der Flüchtlingspolitik erhielt Gerhard Gerlich in den Januarsitzungen
1952 bei der zweiten Lesung des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der
Vertriebenen in Schleswig Holstein“ Gelegenheit zu besonderer Profilierung. Mit
zahlreichen Beiträgen und Einwürfen zum sogenannten „Eingliederungsgesetz“ versuchte
er sich gegenüber den Sprechern anderer Fraktionen sowohl im Inhaltlichen wie auch zu
den verwaltungstechnischen und gesetzlichen Feinheiten als der sachkundigere Experte
zu profilieren. Dafür wurde Gerlich am 23.01.1952 im Kommentar der Volkszeitung als
„Beschwichtigungspolitiker“ verspottet, wohingegen die Kieler Nachrichten ebenfalls am
23.01.1952 zu seinem Redebeitrag seine erhobene Stimme bei der aufrecht erhaltenen
„Forderung auf Rückgabe unserer Heimat“ sowie seine Schlusspointe betonte:
„Abg. Dr. Gerlich dankte dann den Einheimischen für die Leistungen, mit der Aufnahme
der Flüchtlinge vollbracht hätten. Die Taten der schleswig-holsteinischen Bevölkerung
seien besser gewesen, als die Worte mancher Sprecher, die glaubten, die schleswigholsteinische Meinung für sich gepachtet zu haben. Die Fassung des Gesetzes sei Beweis
für die Mäßigung und den politischen Realismus des BHE, denn für Einheimische und
Vertriebene müsse gelten: 'Auf ewig ungeteilt!'“
Allein an dem zweiten Sitzungstag der Gesetzeslesung am 22.01.1952 verzeichnete das
Wortprotokoll von Gerlich 13 unterschiedlich lange Redebeiträge und über 20
Zwischenrufe. Dass er dabei die Kontroverse mit anderen Abgeordneten oder zu deren
83
Gerlich, Gerhard: „FDP und Wahlblock“, in: Informationsdienst CDU Schleswig-Holstein, Nr. 15
(15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7
53
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
parlamentarischen Beiträgen nicht scheute, sondern sogar suchte, illustriert aus dieser
Debatte die folgende Redenpassage des SPD-Abgeordneten Walter Damm:
„Die Ausführungen des Kollegen Dr. Gerlich zwingen uns jedoch, nun einige Erklärungen
zu machen, obwohl es bisher bei uns nicht üblich war, über Ausschußsitzungen zu
berichten. Herr Kollege Dr. Gerlich, ich bewundere Sie,
(Abg. Gayk: Sehr gut! - Abg. Dr. Gerlich: Herr Kukil hat damit angefangen!)
daß Sie hier im Plenum das Gegenteil von dem vertreten, was Sie bisher nicht nur
vertreten, sondern auch beantragt haben, und außerdem auch noch die Mitglieder des
Ausschusses angreifen, daß sie nicht klar formulierte Anträge gestellt hätten.“ 84
Mit seinem offensiven Vorgehen erarbeitete sich Gerhard Gerlich in den Folgejahren den
Ruf eines äußerst scharfzüngigen Debattenredners im Landtag. Abgeordnetenkollegen der
Opposition wie auch aus dem Regierungslager, Fachminister und deren Mitarbeiter, der
jeweilige Sitzungsleiter und gelegentlich selbst der jeweils amtierende Ministerpräsident
durften sich dabei vor Gerlichs geschliffenen wie sarkastischen Anmerkungen oft nicht
sicher fühlen. So konnte in der folgenden Wahlperiode, wie beispielsweise am 21.05.1957,
bereits seine Wortmeldung eine entsprechende Erwartungshaltung und gespannte
Aufmerksamkeit auslösen:
„Vizepräsident Siegel: Wird das Wort noch gewünscht? - Herr Dr. Gerlich, bitte!
(Abg. Mohr: So, nun haben Sie es, Herr Strack! Den haben Sie herausgefordert!)“ 85
Diese Fähigkeiten baute Gerlich sukzessive in verschiedenen Themenbereichen aus
und dies seit seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Volksbildung und Erziehung ab März
1952 in ähnliche offensiver wie polarisierender Weise auch bei schulpolitischen Fragen.
In der Sitzung am 02.04.1952 trug er bei dem ersten Tagesordnungspunkt „Stellungnahme
der
SPD-Landtagsfraktion
zur
schulpolitischen
Lage
in
Schleswig-Holstein“
mit
sophistischen Ausdeutungen zur Geschäftsordnung neben anderen Rednern zu einer
Beratungspause von acht Stunden über die Frage bei, ob zuerst dem Antragsteller oder
dem Kultusminister Pagel das Wort zu erteilen sei. Da anschließend ein SPDAbgeordneter mit einem Plakat gegen Missachtung von Minderheitenrechten protestierte,
84
85
Protokoll LT-SH, 2. WP., 22.01.1952, S. 178
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.1954-20.08.1958),
Kiel 1954-1958, S. 2781; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 3. WP., (mit Datum und Seitenzahl)
54
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
konnte Gerlich gegen diesen beim Landtagspräsidenten zwar keinen Ordnungsruf, aber
doch eine Rüge erreichen, und formulierte dazu ein von autoritären Elementen geprägtes
Werteverständnis:
„Wenn wir heute schon so viel von der Demokratie gehört haben, dann möchte ich, meine
Damen und Herren, daran erinnern, daß Demokratie nicht nur Diskussion und nicht nur die
Garantie dafür ist, daß die Menschen, die anderer Meinung sind, das Recht und die Pflicht
zur Kritik haben. Zur Demokratie - was ihr nämlich die Zukunft erhalten soll - ist auch ein
gutes Maß von Selbstzucht erforderlich, und diese Selbstzucht, meine Damen und Herren,
wird auch diesem Hause dringend notwendig sein.“ 86
Als auf der Landtagssitzung am 15.07.1952 über die „Regelung der Liegenschaften in der
industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“ debattiert wurde, wurde im Protokoll
dagegen kein Zwischenruf oder Beitrag Gerhard Gerlichs verzeichnet. Dies spricht für die
Auskunft
Josef
Holeys
im
Gegensatz
zu
der
Ernst
Schöffels,
dass
der
Landtagsabgeordnete tatsächlich erst ab 1955 für die Belange des Ortes und seiner
überwiegend Sudetendeutschen Bewohner eingeschaltet wurde. 87 Vermutlich folgte
Gerlich noch nicht der abschließenden Aufforderung von Ministerpräsidenten Lübke:
„Ich würde es sehr begrüßen, wenn einzelne Abgeordnete, die sich für diese Dinge
besonders interessieren, einmal Gelegenheit nähmen, diese Ansiedlung zu besichtigen,
um sich durch eigenen Augenschein davon zu überzeugen, daß hier tatsächlich eine
Möglichkeit besteht, vielleicht einigen Tausenden von Menschen wieder zu Arbeit, Lohn
und Brot zu verhelfen.“88
Da Gerlich mittlerweile mit einer Anstellung in Neumünster in den Schuldienst
übernommen worden war, dürfte ihn der Artikel „Personalakten werden 'entbräunt'“ in den
Kieler Nachrichten vom 13.10.1952 interessiert haben. Nach diesem Bericht sollten die
meisten Entnazifizierungsunterlagen laut Anordnung des Innenministers mit Ausnahme
derjenigen Dokumente vernichtetet werden, die der Bedienstete seinerzeit selbst
beigebracht habe. Derartige handschriftliche Beiblätter hatte Gerlich 1947 seinem
86
87
88
Protokoll LT-SH, 2. WP., 02.04.1952, S. 91
vgl. Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „GerhardGerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3, [Privatbesitz] u.
Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp 12.03.1969, 1 Bl,
[Privatbesitz] (im Folgenden: Holey, Ansprache)
Protokoll LT-SH, 2. WP., 15.07.1952, S. 60
55
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Formular zur Behauptung seiner regimekritischen Haltung im Dritten Reich beigefügt und
durfte sich somit weniger erleichtert als andere Betroffene gefühlt haben. Zu Ausnahmen
in der verfügten Praxis gab Innenminister Pagel auf der Landtagssitzung am 16.12.1952
in Kiel auf die von dem FDP-Abgeordneten Schönemann eingereichte Frage zur „Vorlage
von Entnazifizierungsunterlagen“ Auskunft.
Mit dessen Fachkollegen für den Bereich Finanzen, dem BHE-Abgeordneten Kraft
debattierte Gerlich am 04.02.1953 über „Dienstbezüge der kriegsgefangenen Beamten“
sowie der Lehrerbesoldung dabei über Themen, die ihn potenziell selbst betroffen hatten
oder betrafen. Seinen Kollegen vom Finanz- und Volksbildungsausschuss sprach er eine
Einladung in den Volksbildungsausschuss zu wechselseitigen Besuchen aus und
bekannte sich mit Bescheidenheitstopos und Selbstironie zu seinem Beruf, der ihm bei
kontroverseren Äußerungen oft noch zum ernstgemeinten Vorwurf gemacht werden sollte:
„Ich war einige Male Zuhörer im Finanzausschuß. Ich habe in dieser Zeit einiges gelernt,
und schließlich bin ich ja nicht umsonst ein Schulmeister, der nicht nur lehren will, sondern
gelegentlich auch dankbar etwas annimmt.“ 89
Im Juni 1953 wurde Gerhard Gerlich auf dem CDU-Landesparteitag in Itzehoe mit 214
von 251 Stimmen als stellvertretender Landesvorsitzender wiedergewählt und erhielt dabei
leicht schlechtere Ergebnisse als sein Kollege von Hassel oder der Vorsitzende Lübke.
Er hatte sich aber im Unterschied zu
Innenminister Pagel
nicht mit einem
Gegenkandidaten wie einem ehemaligen NS-Oberbürgermeister aus dem weit rechts
stehenden Parteiflügel auseinanderzusetzen. 90
Gestärkt
durch
dieses
Ergebnis
und
beflügelt
durch
den
Gewinn
aller
Bundestagswahlkreise in Schleswig Holstein für die CDU im September übte Gerhard
Gerlich in der Landtagsdebatte vom 20.10.1953 zum Thema Flüchtlingsbetreuung Kritik an
dem Gesetzesentwurf über die „Errichtung und Satzung der Hilfsgemeinschaft Schleswig
Holstein (Notgemeinschaft)“. Im Gegensatz zu dem Minister für Arbeit, Soziales und
Vertriebene, Hans-Adolf Asbach, plädierte er aus eigener Kenntnis der Verhältnisse und
der Psyche in den Flüchtlingslagern für eine Absenkung karikativer Hilfsleistungen wie
Möbelspenden und für eine stärkere Aktivierung der Eigenverantwortung, zum Beispiel
89
90
s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.02.1953, S. 492/93 u. S. 496/97
s. Volkszeitung, 15.06.1953, S. 2
56
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
durch Angebote günstiger Mietwohnungen und Wirtschafts-Kredite. Der BHE hatte für die
derartig organisierten Betreuungsprogramme durch den „Landesverband vertriebener
Deutscher“ eine Bereitstellung mit „erforderlichen Mitteln“
durch die öffentliche Hand
durchsetzen können und vor allem zum Ärger Gerhard Gerlichs so eine Postenwirtschaft
für die eigene Klientel finanzieren können, gegen die der engagierte Abgeordnete und
Vertriebenenfunktionär bis April 1954 opponieren sollte. 91
Für die inzwischen in „Gesamtdeutscher Block/BHE“ umbenannte Landtagsfraktion und
deren Anfrage „Betreuung der Spätestheimkehrer“ hatte Gerlich dagegen am 11.02.1954
ebenso Lob übrig wie für die Zusicherung des Sozialministers Asbach, den Eigenheimbau
zu fördern. Aus eigener Anschauung verwies er die positive Wirkung derartiger
Beschäftigung auf die seelische Stabilität von Heimkehrern und in seinem Hinweis auf
persönliche Kontakte zu Selbsthilfebaugruppen in Neumünster deutete er ein weiteres
Themenfeld seiner politischen Engagements an, zumal in diesen Jahre auch
Wohnungsbaugesellschaften oft Flüchtlingsgründungen waren. 92
Vor dem Hintergrund, dass von 148 000 Menschen im Jahr 1950 in Schleswig Holstein
1953 noch 30 000 in Flüchtlingslagern lebten, wurde am 25. März 1954 zum
Eingliederungsgesetz des Landes die „Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über
die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten“ beraten.
Dabei beschrieb Gerlich, dessen kühl-rationale und wohlberechnete Formulierungen oft
verletzend auf manche Abgeordneten wirkten, auf eine von ihm nicht gewohnte Weise die
ihm nachvollziehbaren Gefühls- und Gedankenwelt mancher Flüchtlinge und die Gründe
für deren fortwährende Verhaftung in Lagerbehausungen:
„Zum Teil sind es auch die noch bodenverwurzelten Teile unserer ostdeutschen
Heimatvertriebenen, die lieber mit ihrem Kaninchenstall oder sogar mit anderem
Kleinvieh in ihrer Baracke bleiben wollen, als daß sie in eine Mietkaserne eines neuen
Wohnungsbauprogramms mit vorgeschriebenen Kleinstwohnungen einziehen, in denen
sie dann auf Grund der Hausordnung nicht einmal berechtigt sind – ich selbst wohne zum
Beispiel in einem solchen Objekt -, einen Hund oder eine Katze zu halten, noch viel
weniger gar Kleinvieh. Meine Damen und Herren! Das sind doch alles so schwerwiegende
91
92
s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 20.10 1953, S. 940-42 u. S. 944; vgl. Varain, Parteien, S. 288
s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 11.02.1954, S. 1270-72
57
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Probleme, daß eine Formulierung wie 'sie wollen nicht heraus' sehr leicht mißverständlich
gedeutet werden kann.“93
Bei der Verabschiedung des Gesetzes am 26.04.1954 setzte Gerhard Gerlich gegen den
Widerstand des Koalitionspartners BHE durch, dass für die öffentlich subventionierten
Betreuungsprogramme für Flüchtlinge nicht mehr die „erforderlichen Mittel“, sondern im
Wortlaut lediglich noch „angemessene Zuschüsse“ beschlossen wurden. Für deren
sachgerechte Verteilung nahm er den vom BHE gestellten Sozialminister sogleich
öffentlich in die Verantwortung. Nicht wegen des darauf bezogenen Zwischenruf „Sophist!“
des BHE-Abgeordneten Eginhard Schlachta, sondern wegen eines vom Stenographen
nicht identifizierten Einwurfs des SPD-Kollegen Paul Preuß während seiner Rede regte
Gerlich beim Sitzungsleiter verklausuliert einen Ordnungsruf an. Zur allgemeinen
Heiterkeit wurde er darauf vom Vizepräsidenten des Landtags Walther Böttcher (CDU)
trocken beschieden: „Herr Dr. Gerlich! Ich möchte Sie ebenso eindeutig wie schonend
darauf hinweisen, daß die Leitung der Sitzung hier liegt.“ 94
In seinem Selbstverständnis und Auftreten ließ Gerlich sich aber nicht dauerhaft irritieren
und als zum Ende der dieser Wahlperiode am 04.08.1954 über die umstrittene
Versetzung fast aller Oberstaatsanwälte diskutiert wurde, ergänzte er seinen Vorwurf der
Überheblichkeit an den SPD-Abgeordneten Heinz Adler mit dem Rat: „Studieren Sie erst
einmal Beamtenrecht!“ 95
Der
resümierenden
Begründung
des
Innenministers
Pagel, die
Entnazifizierung
abzuschaffen und einen Schlussstrich darunter zu ziehen, dürfte Gerhard Gerlich zum
Ende seiner ersten Wahlperiode im Kieler Landtag aus eigener Anschauung zugestimmt
haben: „Sie wissen sehr genau, daß ich persönlich am Dritten Reich passiv beteiligt
gewesen bin; das möchte ich einmal sehr deutlich aussprechen. Ich bin aber der Meinung
gewesen – und meine Partei mit mir -, daß die - sagen wir einmal - Ausstoßung dieser
Leute, die im Dritten Reich irgendwie tätig gewesen sind, eine falsche Politik war.“ 96
In den Tagen danach wurde Gerlich erst auf dem CDU Landesparteitag in Bad Segeberg
93
94
95
96
Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.03.1954, S. 1478
s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 26.04.1954, S. 1516/1517; vgl. Varain, Parteien, S. 288/89
Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 1771
Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 1853
58
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
als stellvertretender Landesvorsitzender bestätigt und danach unangefochten auf dem
sicheren Listenplatz 6 für die bevorstehende Landtagswahl nominiert. Da der CDULandesverband Schleswig-Holstein 1954 allerdings noch mitglieder- wie finanzschwach
war und sich nicht von wirtschaftlichen Interessenverbänden vereinnahmen lassen wollte,
wurde jeder Kandidat verpflichtet, für die Wahlkampffinanzierung selbst rund 2000 DM zu
sammeln.97
Bei
seiner
fortgeschrittenen
Etablierung
und
einem
offenkundig
funktionierenden Netzwerk dürfte dies für Gerhard Gerlich allerdings kein Problem
dargestellt haben.
2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958)
Bei der Landtagswahl am 12.09.1954 hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd
erneut problemlos direkt gewinnen können und zog als einer von 25 CDU-Abgeordneten in
das Landeshaus ein. Genauso viele Sitze hatte die SPD bekommen, der GB/BHE war
dagegen von 15 Mandaten auf 10 gefallen, so dass für die Fortsetzung einer bürgerlichen
Regierung die FDP mit fünf Sitzen benötigt wurde. Der SSW als Partei der dänischen
Minderheit
war
hingegen
durch
die
gerichtlich
noch
angefochtenen
Wahlrechtsverschärfungen nicht mehr im Parlament vertreten, stattdessen war mit dem
Schleswig
Holstein-Block
(SHB)
und
vier
Abgeordneten
eine
rechtsgerichtete
Einheimischen-Partei in den Landtag eingezogen.
Bereits
bei
den
Koalitionsverhandlungen
hatte
der
geschäftsführenden
CDU-
Landesvorsitzende Kai-Uwe von Hassel den sterbenskranken Friedrich-Wilhelm
Lübke ersetzt und wurde dann als gemeinsamer Kandidat von CDU, BHE und FDP für die
Wahl zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Auf der konstituierenden Sitzung am
11.10.1954 wurde im Landtag zunächst Walter Böttcher (CDU) gegen seinen Vorgänger
Karl Ratz (von der prozentual stärkeren) SPD zum neuen Landtagspräsidenten gewählt
und anschließend bekam von Hassel die 36 Stimmen seiner Bündnispartner, während der
vorgeschlagene Gegenkandidat Max Ehmke, ein früherer CDU-Spitzenpolitiker und Kieler
Oberbürgermeister lediglich 28 Stimmen von der Opposition erhielt.
97
s. Varain, Parteien, S. 208
59
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Im neuen Kabinett fielen die Ministerämter für Soziales und Finanzen an den BHE, das für
Justiz an die FDP und dem neue geschaffenen Kultusministerium stand anfangs Gerlichs
Parteifreund Helmut Lemke vor. Ihn dürfte der im Amt verbliebene Innenminister Pagel
nicht
gemeint
haben,
als
er
seinem
Tagebuch
am
13.10.1954
von
dieser
Regierungsmannschaft als einer „Ansammlung von Unzulänglichkeiten“ schrieb. 98
Mit Beginn der Wahlperiode fügte Gerlich der Reihe seiner Ausschussmitgliedschaften
auch
die
im
Fachbereich
Finanzen
hinzu,
und
sollte
dort
1961
noch
Ausschussvorsitzender werden. Diese Besetzung dieser eher nachrangigen Positionen
sollte 1954 zu einer ersten größeren Belastungsproben der jungen Wahlperiode werden,
denn die Regierungsfraktionen verweigerten anfänglich zum ersten Mal der größten
Fraktion SPD, derartige Positionen gleichfalls nach dem üblichen Proporz des
Wahlergebnisses bekleiden zu können.
Gerhard Gerlich versuchte diese erneute Ausgrenzung zusammen mit anderen CDUPolitikern im Pressegespräch mit dem Eindruck und der Vermutung zu begründen, die
größte
Oppositionspartei
habe
durch
die
Vorsitzendenämter
Einfluss
auf
die
Landesverwaltung gewinnen wollen, was eine gebotene Trennung von Legislative und
Exekutive verletzt hätte.99
Mit dem Boykott des Ältestenrats und dem demonstrativen
Rückzug vom Amt des Landtagsvizepräsidenten erreichte die SPD in Januar 1955
dennoch das ihr zustehende Recht auf vier Ausschussvorsitze und führte damit diese
gesuchte Argumentation ad absurdum.
Unter den neuen Abgeordnetenkollegen in den Regierungsfraktionen hätte Gerhard
Gerlich auf einen alten Bekannten aus seinen NSDAP- (und geheimgehaltenen) SS-Zeiten
treffen können, denn der spätere Fraktionsvorsitzende des BHE, Heinz Kiekebusch, war
ab 1941 in Prag als Rechtsanwalt, Steuerberater und Rechtsrat an der der deutschen
Karls-Universität aktiv gewesen.100 Ob die beiden Parlamentarier sich über den Ort von
98
Oelze, Dorothea: Wiederentdeckt: Die Tagebücher des schleswig-holsteinischen Innenministers Paul
Pagel (29.12.1894-11.8.1955). Gründungsjahre und Regierungskrise Schleswig-Holsteins im Spiegel
einer zeitgenössischen Quelle, in: Historisch-politische Mitteilungen. Archiv für christlich-demokratische
Politik, Bd. 16 (2009), S. 319
99
Volkszeitung, 26.11.1954, S. 7
100
Smiatacz, Carmen: Ein gesetzlicher „Schlussstrich“?, Der juristische Umgang mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit in Hamburg und Schleswig-Holstein, 1945-1960, Berlin 2015, S.
60
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Gerlichs Promotion oder weitere Gemeinsamkeiten aus den Kriegsjahren in dieser Stadt
ausgetauscht haben, ist allerdings nicht zu ermitteln gewesen. Die Gelegenheit ihrer
Zusammenarbeit in den Themenfeldern Schule und Finanzen ergab sich bereits auf der
Landtagssitzung am 22.02.1955, als Kiekebusch bei der Feststellung des Haushaltsplanes
die Kürzung des Schulbaumittel im Landeshaushalt betonte, die in Zukunft vor allem als
Zuschüsse statt als Darlehen gewährt werden und mit zu erwartenden Mitteln des privaten
Kapitalmarktes ergänzt werden sollten. 101
Möglicherweise fühlte sich Gerhard Gerlich durch derartige Zusammenhänge und
Verbindungen ermutigt, nun in seinem Wahlkreis in solitärer Initiative und mit fragwürdigen
Mitteln einen in seinem Wahlkreis seit 1949 begonnenen und auf 13 Jahre angelegten
Schulversuch der „Volksoberschule“ (VOS) in Preetz zu torpedieren. Es handelte sich um
einen Reformversuch mit den hier nicht getrennten, sondern durchlässig organisierten
gängigen Schularten Volksschule, Mittelschule und Gymnasium, der in Form einer
kooperativen Gesamtschule angelegt worden war und nach der Regierungsübernahme ab
1950 auch von dem kommissarischen Kultusminister Pagel eine Fortsetzung zugesichert
bekommen hatte.102 Gegen die jahrelangen massiven Widerstände vor Ort, der Kommunalund Landespolitik inklusive des eigenen Koalitionspartners, anfänglich auch der
Kultusminister, Fachexperten sowie der öffentlichen Meinung sollte es Gerlich Gerlich
quasi im Alleingang gelingen, nach einer denkwürdigen Redeschlacht im Landtag 1960
das Projekt durch einen dubiosen Vertragsschluss 1962 schließlich zum Scheitern zu
bringen.
Den Auftakt machte Gerlich auf einer CDU-Veranstaltung vor Ort, indem er der als
„Mammutschule“ abqualifizierten VOS für eine sogenannte „Entflechtung“ sogleich seine
eigenen Vorstellungen mit mehreren Rektoren gegenüberstellte, wie die „Preetzer Zeitung“
am 02.03.1955 zur allseitigen Überraschung berichtete: „Dr. Gerlich teilte mit, daß für den
Weiterbau der Preetzer Volksoberschule in diesem Jahre keinerlei Gelder vorgesehen
sind. Ja, er betonte sogar, daß er nicht verstehen könne, warum in dieser Schule so viele
Schulkinder aus drei verschiedenen Schulsystemen zusammengefaßt seien. 'Noch in
diesem Jahr jedoch wird eine Lösung der Preetzer Schulprobleme gefunden werden, die
362, Anm. 223
s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 22.02.1955, S. 428
102
Christiansen, Julia: Die Volksoberschule Preetz. Eine Rekonstruktion ihrer Geschichte, Kiel 1996
(Staatsexamensarbeit), S. 58
101
61
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
sowohl Schüler als auch Schülereltern befriedigt.' Wie die Lösung aussehen könnte,
deutete Dr. Gerlich auch an, der am Montag mit Kultusminister Dr. Lemke eine
Besprechung gerade über diese Frage gehabt hat.“
Umgehend formierte sich in Preetz eine breite Protestbewegung aller Parteien des
Magistrats (inklusive der örtlichen CDU-Vertreter) und des Elternbeirats, die mit einer
Protestresolution für den „Weiterbau der VOS“ bei Kultusminister Lemke vorstellig wurde
und auf die vertraglichen Verpflichtungen des Landes zur Fertigstellung bis 1956 hinwies:
„Im Jahre 1950 wurde der erste Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der
Stadt Preetz über den Bau der Volksoberschule geschlossen. Auf Bitten der
Landesregierung, die die festgesetzten Termine nicht einhalten konnte, wurde dann im
Jahre 1953 ein zweiter Vertrag geschlossen, nachdem sich die Stadt Preetz bereit erklärt
hatte, das erforderliche Gelände für die Schule kostenlos dem Land Schleswig-Holstein zu
übereignen.“103
Die Delegation wurde zwar anstelle des Kultusministers persönlich durch den
Ministerialdirektor Kock empfangen, aber die Zurückweisung und das öffentliche Dementi
von
Gerlichs
Eigenmächtigkeit,
im
Namen
der
Landesregierung
derartige
Schließungspläne zu verkünden, hätte kaum deutlicher ausfallen können: „Im Verlaufe
dieser Unterredung teilte Min. Dir. Kock mit, daß die von Dr. Gerlich kürzlich in Preetz
wegen der Volksoberschule gemachten Äußerungen keinesfalls die Ansicht oder Meinung
des Ministers darstellten. Dr. Gerlich habe wohl mit Dr. Lemke über die Volksoberschule
gesprochen und auch diesbezügliche Vorschläge unterbreitet, denen der Minister jedoch
nicht zugestimmt habe.“104
Scheinbar ungerührt von dieser öffentlichen Blamage unternahm Gerlich stattdessen mit
der ihm eigenen Hartnäckigkeit einen modifizierten, aber inzwischen skeptischer
aufgenommenen Versuch vor Ort, wie aus einem Redemanuskript vom 01.04.1955 in den
Aktenbeständen des Preetzer Stadtarchivs hervorgeht: „Einige Tage nach der Unterredung
war Dr. Gerlich wiederum in Preetz und beharrte auf seinem Standpunkt, die VOS zu
entflechten. Sein Gedankengang, das jetzige Gebäude zu einer reinen Oberschule zu
machen, eine neue Mittelschule zu bauen und zwei neue Volksschulen in Preetz zu
103
104
Preetzer Zeitung, 11.03.1955, S. 4
Preetzer Zeitung, 16.03.1955, S. 4
62
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
errichten, klingt fantastisch, wenn nur die rauhe Wirklichkeit nicht anders aussähe und wir
Eltern es auch gar nicht wünschten.“ 105
Der Kultusminister Lemke kam 1955 noch zu mehreren Ortsterminen und langen
Besprechungen nach Preetz, vermied aber eine Festlegung, die der öffentlichen
Rückendeckung für Gerlich durch den Landesvorstand des Philologenverbandes für das
Vorgehen gegen "Mammutschulen" widersprochen hätte. Der Minister und Parteifreund
war gewiss erleichtert, diesen Problemfall ein Jahr später an seinen Nachfolger Edo
Osterloh abgeben zu können.106
Auf Landesebene wagte Gerlich ebenfalls im März 1955 eine weitere Kraftprobe, denn bei
der Landtagsdebatte am 31.3.1955 über den NDR-Staatsvertrag und die Liquidation der
Vorgängerinstitution des Nordwestdeutschen Rundfunks kritisierte er die späte Vorlage
des Papiers, sprach angebliche Versäumnisse bei den Ausschussberatung teils offen, teils
mit Andeutungen an und beantragte im Plenum eine Rücküberweisung dorthin.
Landtagspräsident Böttcher widersprach spöttisch dieser Kritik von dem „so tatkräftigen
Unterstützer bei der Einhaltung der Geschäftsordnung“ Gerlich, der nach der Ablehnung
seines Antrags sogleich auch gegen die gesamte Vorlage (wie nur noch ein weitere
Abgeordneter) stimmte. Dieses abweichende Votum wurde von der Volkszeitung als
sichtbarer „kleiner Hauskrach" innerhalb der CDU interpretiert, da „Dr. Gerlich (vermutlich
mit Billigung des Ministerpräsidenten von Hassel) die besondere Berücksichtigung von
Vertretern der Kirche in dem Programmbeirat bzw. dem Rundfunkrat“ gefordert hatte. 107
Obwohl Gerlich erst mit Beginn der jungen Wahlperiode ordentliches Mitglied im
Finanzausschuss geworden war, nahm er in öffentlichen Auftritten bereits die Stellung
eines ausgewiesenen Experten in Anspruch und wurde über seine tatsächlichen
Zuständigkeiten hinaus öfter von weniger selbstbewussten Abgeordneten in dieser Rolle
bestätigt. Diese verließen sich zunehmend auf seine Detailkenntnisse und vertrauten
seinem guten Gedächtnis wie auch seinen Ratschlägen (anstelle des tatsächlichen
Finanzausschussvorsitzenden), wie sich z.B. im Protoktoll der Haushaltsberatungen am
24.03.1955 illustrieren lässt:
105
Pauselius, Peter: ...trotz der Schwere der Zeit..., Dokumentation über das Leben in der Stadt Preetz
1945-1955, Neumünster/ Preetz 2009, S. 796, Anm 302; im Folgenden: Pauselius, Preetz
106
s. Pauselius, Preetz, S. 799 u. Kieler Nachrichten, 08.06.1955, S. 4 u. 6
107
Volkszeitung, 01.04.1955, S. 8 u. Protokoll LT-SH, 3. WP., 31.03.1955, S. 642/43
63
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
„(Abg. Lechner: Wo ist die Deckung, Herr Arfsten? - Abg. Dr. Gerlich: Die Sache ist
gedeckt, heben Sie ruhig die Hand! - Heiterkeit.)
Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.“ 108
Bei den Haushaltsberatungen am Folgetag hatte die CDU-Fraktion koalitionsintern leichte
Kürzungen an den öffentlich subventionierten Betreuungsprogrammen für Flüchtlinge in
dem Regierungsvorschlag durchgesetzt, so dass Gerlich in seinem Debattenbeitrag eine
positive
Würdigung
der
betreffenden
Hilfsgemeinschaft,
des
dahinterstehenden
Landesverband der vertriebenen Deutschen und den für seine Klientel erfolglosen BHE
leicht fallen konnte. Seine entsprechende überlegene Position artikulierte er freimütig wie
selbstbewusst im Plenarsaal:
„ Ich glaube, ich darf diese positiven Äußerungen gerade deswegen machen, weil ich in
den Kreisen der organisierten Heimatvertriebenen als einer der schärfsten Kritiker bekannt
- ich möchte fast sagen, berüchtigt bin
(Abg. v. Herwarth: Aber nicht nur da! - Heiterkeit). 109
Dass der Kultusminister Helmut Lemke wegen seiner negativen Erfahrungen mit dem
eigenmächtigen, problematisch agierenden und zuweilen provokativ auftretenden Gerhard
Gerlich diesen im Sommer 1955 in eine nähere Vertrauensstellung berief, erscheint trotz
der ausgeprägten, aber wenig greifbaren Machtstellung dieses Kollegen im CDULandesvorstand wie auch im schleswig-holsteinischen Landtag wenig plausibel. Vielmehr
war wohl die Aussicht des gleichfalls machtbewussten und gut vernetzten Lemke, wenige
Monate später auf den Posten des Innenministers zu wechseln, ebenso ausschlaggebend
wie der Umstand, dass in Schleswig Holstein, solange die CDU die Regierung führte,
immer ein katholischer Abgeordneter parlamentarische Vertreter des Kultusministers
war.110
Bei jedem anderen Repräsentanten als Gerlich hätten für diese redeberechtigten
Stellvertreter der Ministers bei dessen Abwesenheit im Plenum oder anderen Terminen
gewiss diejenigen Beeinträchtigungen gegolten, die der SPD Abgeordnete Eugen Lechner
am 23.05.1955 im Landtag beschrieben hatte: „Ich möchte vor allem wegen der Kollision
108
109
110
Protokoll LT-SH, 3. WP., 24.03.1955, S. 764
Protokoll LT-SH, 3. WP., 25.05.1955, S. 779
s. Varain, Parteien, S. 246
64
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
der Interessen sagen, daß die Parlamentarischen Vertreter sich insoweit auch als der
Exekutive zugehörig betrachten, daß sie also hier ganz offen sagen: Wir sind nun einmal
eine Art verlängerter Arm des Ministers und müssen insoweit Rücksicht darauf nehmen
und uns entsprechend verhalten; das heißt, daß wir bei der Legislative ein wenig gehindert
sind.“111
Nachdem Gerlichs Ernennung zum Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers am
04.07.1955 im Landtag bekannt gegeben worden war, nutzte er die Möglichkeiten dieser
Stellung und gab diese auch nicht (wie vorgeschlagen) ab, als er 1961 zusätzlich auf den
Vorsitz des Finanzausschusses nachrückte. Mit dieser neuen Machtstellung im Sommer
1955 korrespondiert auffällig
sein Engagement zugunsten der Industriesiedlung
Trappenkamp, von deren sudetendeutschen Vertretern Gerlich um Rat und Hilfe gebeten
worden war.
Die dortigen militärischen Liegenschaften drohten im Zuge der Wiederbewaffnung an die
Bundeswehr zu fallen und Gerlichs Engagement bei den Finanzbeschlüssen am
11.10.1955 sollte sich auch auf diese Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung beziehen:
„Auf die eigentliche Frage des Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für
die Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag zurückkommend, erklärte Dr. Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse,
vorzeitig diesen Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde,
daß ein militärischer Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“ 112 Auch als
Innenminister sollte Helmut Lemke ebenso wie der Ministerpräsident in den folgenden
Monaten durch einen von Gerlich losgetretenen Skandal beschäftigt werden, der am
19.12.1955 vorläufig in der Schlagzeile der Volkszeitung mündete: „Diskussion um den
'Fall Dr. Gerlich'. Von Hassel lehnt es ab, einem Lehrer den Mund zu verbieten“.
In einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern in Bad Bramstedt am 07.12.1955 über die
Wiedervereinigung hatte Gerhard Gerlich, noch unter dem Eindruck einer Reise im
Ausland und der dort erfahrenen Skepsis zu einer Rückkehr vertriebener Deutschen in die
ehemaligen Ostgebiete sensationellerweise erklärt, die deutschen Rechtsansprüche auf
das Gebiet jenseits jenseits der Oder-Neiße-Linie seien vorbelastet „vom Nazismus und
111
112
Protokoll LT-SH, 3. WP., 23.05.1955, S. 680
Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9
65
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Nationalismus". Stattdessen plädierte er für eine Art gemeinsamer föderalistischer
Regierung durch Polen und Deutsche in Form eines „Kondominiums“ und antwortete auf
den empörten Widerspruch der meisten Schüler mit seinem Vorwurf des „engstirnigen
nationalen Chauvinismus".
Dies berichtete die „Segeberger Zeitung“ vom 06.12.1955 unter der Überschrift
„Deutschland kann sich nicht selbst regieren . . sagt Dr. Gerlich. Ungeheure Empörung
über den Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers in der Schülerversammlung in
Bad Bramstedt“. Den Titel leitete die Zeitung dabei aus der folgenden Passage ihres
Berichtes her: „Ein anderer Schüler gab zu bedenken, daß Polen in seiner Geschichte
noch nie bewiesen habe, sich längere Zeit selber regieren zu können. Dr. Gerlich
entgegnete, dasselbe könne man auch von Deutschland behaupten.“ Wie die Redaktion
noch mehrfach in eigener Sache berichten musste, bezog sich in den folgenden heftigen
Debatten die spätere Kritik Gerlichs und des CDU-Landesgeschäftsführers Hanns Pusch
sowie deren fragwürdige Methoden der parteieigenen Pressepolitik nicht auf den korrekt
wiedergegeben Inhalt von Gerlichs Auftreten, sondern lediglich auf die so hergeleiteten
Schlagzeile.113
Vielfach wurden nun in der gesamten Landespresse durch Leserbriefe strenge
Maßnahmen gegen Gerlich als „Verzichtspolitiker“ gefordert, z.B. die sofortige Einleitung
eines Verfahrens gegen den in Bad Bramstedt als „parlamentarischer Vertreter des
Kultusministers"
angekündigten
Redner.
Neben
dem
BHE
forderten
um
den
Jahreswechsel herum verschiedene Gliederungen von Flüchtlingsverbänden seine
kritische Befragung bis hin zu einem Ausschluss aus dem „Landesverband vertriebener
Deutscher.“ Auch der Landesverband des Koalitionspartners FDP forderte in einer
Pressemitteilung die Prüfung, ob Gerhard Gerlich als Oberstudienrat in Neumünster noch
im Schuldienst tragbar sei, womit sich auch der CDU-Landesausschuss sowie der
Ministerpräsident zu befassen hatte. 114
Weder der im Januar vereidigte neue Kultusminister Edo Osterloh, noch sein wohl kaum
freiwillig übernommener Parlamentarischer Vertreter Gerlich sollten sich mit diesem
losgetretenen Skandal im Kieler Landtag direkt befassen müssen. Stattdessen fiel
113
114
Segeberger Zeitung, 24.12.1955, S. 9 u. 08.02.1956, S. 9
s. Volkszeitung, 19.12.1955, S. 2
66
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Innenminister Lemke auf der Sitzung am 06.02.1956 in der Fragestunde die höchst
problematische Aufgabe zu, stellvertretend die Redeinhalte, die Motivlage und das
Vorgehen Gerlichs mit Missverständnissen seitens der Bramstedter Schüler oder
Missdeutungen der Segeberger Zeitung verharmlosend zu
interpretieren. Diese
dokumentierte
mit
den
Wortlaut
dieser
ministeriellen
Erklärung
einer
erneuten
„Richtigstellung zum Fall 'Dr. Gerlich'“ und ihrer entsprechenden Korrektur. 115 Zu Beginn
dieser Landtagssitzung am 06.02.1956 hielt Gerhard Gerlich noch eine Rede über
sozialen Wohnungsbau und die kulturelle Betreuung von Heimatvertriebenen, hatte sich
aber vor dem Tagesordnungspunkt mit diesem für ihn absehbar prekären Thema schon
wegen einer früheren Zusage für eine Vortragsveranstaltung in Schleswig entschuldigen
lassen, wie Lemke in der aktuellen Fragestunde auf die Erkundigung nach der
Anwesenheit des Betreffenden erklärte. 116
Fünf Tage zuvor hatten sich die Abgeordneten des Hauses mit einem weiteren Auswuchs
einer allzu weitgehend beschlossenen Entnazifizierungsregelung auseinanderzusetzen.
Der ehemalige Lübecker NS-Polizeipräsident Walther Schröder, SS-Polizeiführer von
Lettland und wegen wahrheitswidrigen Leugnens verurteilter Kriegsverbrecher, war auf
diese Weise ebenfalls nachträglich in die Kategorie V (entlastet) eingestuft worden und
hatte
nun
eine
Entschädigung
von
100
000
DM
für
abhanden
gekommene
Einrichtungsgegenstände aus seiner ehemaligen Dienstvilla beantragt. 117 Als der
Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) im Plenarsaal dessen Einzelforderungen mit
Empörung aufzählte, konnte sich auch Gerhard Gerlich eines Kommentars nicht enthalten:
„Position 202: 100 Schulhefte und fünf Notizbücher.
(Abg. Adler: Donnerwetter! - Abg. Dr. Gerlich: Kluge Vorratswirtschaft! - Heiterkeit.)“ 118
Ebenfalls im Parlament wurde im Mai 1956 ein seltenes Mal sichtbar, wie umfassend und
ohne Rücksicht auf das Ansehen anderer Gerhard Gerlich nach seinem Selbstverständnis
selbst hochrangige Entscheidungsträger in die Pflicht zur Umsetzung seiner eigenen Ziele
zu nehmen pflegte. Dies konnte aktuell Helmut Lemke bei der erstmals gewählten
115
Segeberger Zeitung, 08.02.1956, S. 9
Protokoll LT-SH, 3. WP., 06.02.1956, S. 1465
117
s. Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 30 u. Kasten, Bernd: „Das Ansehen des Landes SchleswigHolstein“. Die Regierung von Hassel im Umgang mit Problemen der nationalsozialistischen
Vergangenheit 1954-1961, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 118, 1993, S. 268;
im Folgenden: Kasten, Hassel
118
Protokoll LT-SH, 3. WP., 01.02.1956, S. 1283
116
67
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Gemeindevertretung von Trappenkamp oder bei dem Neumünsteraner Streit über den
Stadtratsposten von Gerlichs Bruder Walter betreffen sowie dauerhaft bei der
„Entflechtung“ der Volksoberschule Preetz auch den neuen Kultusministers Edo Osterloh,
der öffentlich Gerlichs Position entgegen seiner anfangs zustimmenden Überzeugung zu
vertreten hatte. Dieser Haltung entspricht ein Zwischenruf im Landtag vom 30.05.1956 und
eine ebenfalls seltene Retourkutsche für Gerlich, als der CDU-Abgeordnete Carl Arfsten
zum Haushaltsplan den in diesen Punkt zuständigen Minister Osterloh ungleich
respektvoller ansprach:
„Ich sehe, daß der Herr Kultusminister inzwischen auch wieder erschienen ist. Ich darf
dem Herrn Minister eines sagen. Was wir über die nicht durchgeführten Schulbauten
gesagt haben, gilt nicht für seine Amtsperiode; er soll sich nicht beleidigt fühlen.
(Heiterkeit. - Abg. Dr. Gerlich: Aber die Verantwortung erträgt er!)
- Für das Vergangene, Herr Dr. Gerlich, kann er niemals die Verantwortung tragen. Ich bin
überzeugt, daß er für das, was jetzt geschieht, die Verantwortung freudig tragen wird.
(Abg. Lechner: Für die Vergangenheit haben wir den Parlamentarischen Vertreter! Heiterkeit.)“119
In diesem Verhältnis zu Osterloh sollte Gerlich dauerhaft der überlegene und Druck
ausübende Part bleiben, auch weil er trotz seiner bisherigen Skandale dennoch auf dem
Landesparteitag am 10.06.1956 offenkundig unangefochten als stellvertretender CDULandesvorsitzender
wiedergewählt
wurde,
wobei
in
den
führenden
Zeitungen
Landespresse keine einzelnen Stimmergebnisse vermerkt worden waren. 120 Osterloh sollte
es in den folgenden Jahren nicht an öffentlichem Lob für den als überaus fleißig gelobten
Gerlich fehlen lassen und nahm mit ihm zugleich oft die in Schleswig-Holstein immer noch
argwöhnisch betrachteten Katholiken in Schutz. So schrieb er z.B. in in der CDUZeitschrift „Wort und Bild“ vom September 1958: „Von den 27 Abgeordneten der CDULandtagsfraktion gehört einer der katholischen Kirche an. Gerade dieser Parteifreund
genießt bei allen Parlamentariern ohne Unterschied der Parteien besonderes Ansehen
wegen seiner sachlichen und politischen Kenntnisse und Fähigkeiten.“ 121
119
Protokoll LT-SH, 3. WP., 30.05.1956, S. 1817
ab 11.06.1956 weder in Lübecker Nachrichten, Holsteinischer Courier, Kieler Nachrichten, Flensburger
Tageblatt, Segeberger Zeitung oder Volkszeitung
121
WuB, CDU-SH, Nr. 8/1958, S. 14
120
68
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
In der sozialdemokratischen Volkszeitung sollte Osterloh hingegen als „gleichgeschaltet“
und sein mächtigerer „Vertreter“ Gerlich offen als sein eigentlicher Gegenspieler
bezeichnet werden.122 Jenseits eines öffentlich zu erzielendes Effektes wurde zu diesem
vor allem für Osterloh problematischen Verhältnis von einem Redakteur in der
evangelischen Landeskirche an einen geheimen Kreis die folgende Notiz vom 24.06.1957
im „Vertraulichen Informationsdienst“ versandt, die nach der Lektüre sofort zu vernichten
waren und in der es ungleich authentischer hieß:
„Zwischen Kultusminister Osterloh und seinem parlamentarischen Vertreter, Oberstud.Rat
Dr. Gerlich (kath.), ist es zu tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten gekommen.
Der einzige katholische Landtagsabgeordnete Kiels macht sich durch seine scharfen und
oftmals eigensüchtigen politischen Machenschaften verhasst. Auch seine Bindungen zu
den katholischen Organisationen lockern sich immer mehr.“ 123
Entsprechenden Einfluss auf ein solches persönliches Verhältnis zu Minister Osterloh
mochten zuvor die beiden Redebeiträge Gerlichs am 03.07.1956 im Kieler Landtag über
die ersten Gemeinderatswahlen in Trappenkamp gehabt haben, die dieser zu den
skandalösen Umständen ihrer Nichtanerkennung bzw. den Zwang zu Neuwahlen
abgegeben hatte. Diese werden im Detail im Kapitel 2.3.2 „Im Gründungsjahr 1956 der
selbstständigen Gemeinde Trappenkamp“ dieser Untersuchung analysiert. Wesentliche
Züge aller dortigen Debattenbeiträge hat Claus Dietrich Bechert in seiner Chronik der
Gemeinde Trappenkamp von 1976 dokumentiert. 124
Ergänzend problematisierte Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) in der Sitzung am
02.10.1956 ohne direkte Namensnennung von Gerhard Gerlich die Hintergründe der für
die SPD knapp verlorenen Wiederholungswahl, nahm den Ministerpräsidenten von Hassel
ohne dessen Widerspruch für die Feststellung in Anspruch, dass der Demokratie in
Trappenkamp mit dem (von Gerlich am 03.07.1956 verteidigten) dortigen Vorgehen kein
122
123
124
Volkszeitung, 03.09.1958, S. 2 u 27.10.1958, S. 2
Evangelischer Presseverband Schleswig-Holstein e.V. (Hrsg.): Vertraulicher Informationsdienst.
Kirchliche Informationen für Schleswig-Holstein, Nr. 2/1957 (24.06.1957), S. 8 (Kleine Meldungen), in:
Landeskirchliches Archiv Kiel [ 94 (Dokumentation) Nr. 2/1957, Vertraulicher Informationsdienst]; vgl.
Linck, Stephan: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr
Verhältnis zum Judentum, Kiel 2013, S. 285
Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976, S. 84-89; im
Folgenden: Bechert, Chronik
69
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Dienst erwiesen worden sei und forderte gemeinsame Gesetzesänderungen, um derartige
Manipulationen künftig auszuschließen. 125
Während dieses Teils von Käbers Rede verzeichnete das Wortprotokoll keinen
Zwischenrufs Gerlichs, dagegen zeigte er am Folgetag in der Haushaltsdebatte während
des Beitrags des SHB-Abgeordneten Otto Eisenmann zum Thema des Turnhallenbaus
seine Gestaltungsmacht für manche allzu deutlich auf:
„ Meine Damen und Herren! Daran ist doch gar kein Zweifel - (Zuruf des Abg. Dr. Gerlich: Das kommt in Ordnung!)
- Herr Dr. Gerlich?
(Abg. Dr. Gerlich: Das bringen wir wieder in Ordnung!)
- Das hoffe ich auch; ich nehme an, es ist ein Versehen, daß der Betrag gestrichen worden
ist.
(Abg. Dr. Gerlich: Ja, ja! - Abg. Siegel: Sind Sie, Herr Dr. Gerlich, eigentlich der
Finanzminister?)126
Als Anlass zu seiner umfassenden Kritik sowohl an diesem Minister, wie auch an dessen
Kollegen Osterloh und Asbach für Soziales sowie am Ministerpräsidenten nahm Gerlich
auf der nächsten Sitzung am 08.10.1956 eine ihm anonym überlassene Denkschrift zu
Gunsten von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern des Reichsarbeitsdienstes (RAD)
aus dem Dritten Reich. Dieses Klientel war nach Kriegsende anfänglich aus dem
öffentlichen Dienst des Landes entlassen und durch die „131er“-Regelung rehabilitiert
worden, aber Gerlich sah die Betreffenden in „unterwertigen Beschäftigungen“ als noch
nicht
angemessen
reintegriert
an. 127 Er
war
zwar
selbst
Abgeordneter
einer
Regierungsfraktion und setzte dennoch auch am 28.01.1957 in seinem forschen
Umgangston wiederum gegenüber dem BHE-Kollegen Hans-Adolf Asbach bei dem Thema
„Wohnungsbau 1957/58“ Standards in seinem robusten Umgang mit Vertretern der
Landesregierung: „Wir sollten uns darin einig sein, daß wir dem Sozialminister nicht nur
Vorhaltungen machen - er verträgt allerhand; (Heiterkeit).“ 128
s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.10.1956, S. 2010
127
Protokoll LT-SH, 3. WP., 08.10.1956, S. 2077-86, darin S. 2078/79
128
Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.01.1957, S. 2453
125
126
70
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
In diesen Monaten wurde zudem im CDU-Landesvorstand im Verborgenen ein Konzept
ausgearbeitet, nach dem die Partei in den entscheidenden Stellen der Landesverwaltung
Vertreter mit ihrem Parteibuch platzieren sollte, um so ihren Einfluss auf Entscheidungen
und Abläufe dauerhaft sichern zu können. Ein Strategiepapier, das vom CDULandesfachausschuss für öffentliche Verwaltung am 13.09.1956 entworfen wurde und vom
CDU-Landesvorstand am 16.01.1957 behandelt wurde, war folgerichtig unter der Maxime
formuliert: „Darüber hinaus sind diese Verwaltungsangehörigen mit CDU-Gesinnung die
einzigen, auf die wir auch dann noch rechnen können, wenn die politische Führung der
Verwaltung einmal in andere Hände übergehen sollte.“ 129 Als dieses Konzept im August
1962 öffentlich bekannt wurde, führte es zu einer erregten Landtagsdebatte, in der der
stellvertretende
Landesvorsitzende
Gerhard
Gerlich
größere
Nervenstärke
und
Souveränität zeigen sollte als der in den Sitzungen der Parteigremien gleichfalls beteiligte
CDU-Landesvorsitzende und Ministerpräsident von Hassel.
Federführend für derartige CDU-Personalpolitik war damals der Vorstandskollege und
Innenminister Lemke zuständig gewesen, der sich wohl kaum zufällig im Landtag am
09.04.1957 bei den Haushaltsdiskussionen in einem prekären Einzelfall entsprechenden
Vorwürfen von Oppositionsführer Käber ausgesetzt sah. Lemke hatte kurz zuvor während
dessen
Dienstabwesenheit
die
Entlassung
des
langjährigen
Leiters
der
Entschädigungsbehörde im Sozialministerium inszeniert, der selbst im Dritten Reich
Repressalien erlitten hatte und bereits 1952 über die Benachteiligung der NS-Verfolgten
bei einer Wiedergutmachung durch das Land geschrieben hatte: „Mit Recht weisen sie
darauf hin, dass für die sogenannten 131er genügend Geld vorhanden ist. Die von der
Landesregierung vertretende Politik der allgemein Befriedung wird gefährdet, wenn die
ehemals politisch Verfolgten immer wieder gegenüber früheren Mitgliedern der NSDAP
benachteiligt werden.“130
Diesen Behördenleiter mit einem SPD-Parteibuch ließ Lemke nun erklärtermaßen durch
einen Freund aus seiner Schulzeit ersetzen, der zudem Mitglied in der NSDAP gewesen
war. Als
der
SPD Abgeordneter Adler
in
Zweifel
zog,
dass
eine
derartige
Parteizugehörigkeit die richtige Voraussetzung für ausgerechnet dieses Amt sei, warf der
129
130
Varain, Parteien, S. 275 u. Anm. 1135
Zit. nach Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 39
71
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
SHB-Abgeordnete Eisenmann ein: „ Es hat auch anständige Mitglieder gegeben!“ 131
Eine vergleichbare Umkehrung von Verantwortlichkeiten und Werten seit der NS-Zeit
vollzog Gerhard Gerlich noch radikaler, als er im November 1957 bei der Debatte um das
Landesbesoldungsgesetz eine Rede über die Verpflichtung der Landesregierung
gegenüber diesen ehemaligen Nationalsozialisten und 131er-Betroffenen hielt.
Wieder
setzt Gerlich sich für die Ansprüche von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern der NSGliederung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) ein und formulierte dazu: „Denn wir sind der
Überzeugung, daß es bei der Anwendung der jetzt in der Zweiten Novelle uns gegebenen
Möglichkeiten in den fünf Haushaltsjahren, die vor uns liegen, möglich sein wird, Härten zu
vermeiden und diesem Personenkreis auch weiterhin das Vertrauen zu erhalten, das er zu
unserer Landesregierung und zu uns allen gefunden hat.“ 132
Damit definierte Gerlich, der seine SS-Mitgliedschaft fortwährend verschleierte, eine
Umkehr der Bringschuld: nicht ehemalige Nationalsozialisten wie er hatten ihre echte
Umkehr zu demokratischer Überzeugung unter Beweis zu stellen, sondern das
Gemeinwesen der Nachkriegszeit hatte um die Täter der NS-Zeit offenkundig mehr zu
werben als um das Vertrauen von deren einstigen Opfern. Eine derartige Haltung von
Selbstgewissheit und autoritärem Überlegenheitsgefühl mochte auch der aktuellen
Konfrontation in Neumünster um den Stadtratsposten seines Bruders zugrunde liegen.
In deren Verlauf hatte Gerhard Gerlich Ende 1957 die ausgleichenden Schiedssprüche
und auch die Autorität des CDU-Landesvorsitzenden von Hassel oder seines
Stellvertreterkollegen Lemke nicht anerkennen mögen.
Ähnliche Probleme der Rollenfindung zeigte Gerlich auf der Landtagssitzung vom
29.01.1958, als er sich über sogenannte „Vorkommnisse in der Bauwirtschaft“ zu
Korruptionsskandalen in zwei Reden auffällig bagatellisierend äußerte. Dies trug ihm die
Kritik des Oppositionsführers Wilhelm Kälber ein und nicht nur gegenüber diesem,
sondern auch zu dem Ordnungsruf des Sitzungsleiters an ihn kündigte er eine Gegenwehr
im Ältestenrat an:
131
132
Protokoll LT-SH, 3. WP., 09.04.1957, S. 2632; Gesamtdebatte S. 2629-32
Protokoll LT-SH, 3. WP., 19.11.1957, S. 3042
72
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
„[Käber:] Aber, Herr Dr. Gerlich, lassen Sie mich einmal eines mit vollem Bedacht sagen:
Wer in der von Ihnen geübten Art und Weise zu den Vorkommnissen Stellung nimmt,
bringt sich in den Verdacht, entschuldigen und beschönigen zu wollen,
(Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Abg. Dr. Beer: Das ist aber schlecht,
Herr Käber!)
was hier untersucht werden wird.
(Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Unruhe.)
Und wer wie Sie Stellung nimmt, greift dem Ergebnis einer vom Ministerpräsidenten
zugesicherten gründlichen Untersuchung vor.
(Glocke des Präsidenten.)
Vizepräsident Siegel: Herr Dr. Gerlich! Sie haben das Wort "Unverschämtheit"
gegen den Abgeordneten Käber gebraucht; Sie haben es nachher wiederholt.
(Abg. Dr. Gerlich: Ja!)
Ich rufe Sie zur Ordnung.
(Abg. Dr. Gerlich: Darüber werden wir uns noch unterhalten!)“ 133
Eine weitere Loslösung Gerlichs von allgemein verbindlichen Regularien wurde in dem
Volkszeitungs-Artikel „Protest der Gewerbelehrer gegen 'Gerlich-Vorschläge'“ vom
28.02.1958
deutlich,
nach
welchem
der
Landesvorstand
des
Deutschen
Gewerbelehrerverbands aus einer gemeinsamen Besprechung mit Abgeordneten zum
Landesbesoldungsgesetz massive Vorwürfe formulierte: „Dabei wurde gesagt, wenn Dr.
Gerlich hinsichtlich der Gehaltsregelungen und der Dienstbezeichnungen unter den
Regierungsentwurf gehe, dann sei dies nichts anderes als ein ausgesprochen
selbstherrlicher Schritt, der im Finanzausschuß nur deshalb Unterstützung habe finden
können, weil die Mitglieder dieses Ausschusses nicht hinreichend informiert worden seien.
Dies sei keine Vermutung des Landesvorstandes. Vielmehr gehe man dabei 'von dem
unmöglichen Verhalten des Dr. Gerlich' aus, der in Verhandlungen des Landesvorstandes
mit Abgeordneten der CDU wörtlich erklärt habe: 'Wenn Sie noch weitere Wünsche haben,
stufe i c h Sie niedriger ein!'“134
Weniger die Auseinandersetzungen mit dieser Klientel als Gerlichs nachhaltige
Streitigkeiten in anderen Politikfeldern und seine Beeinträchtigung von höchsten CDU133
134
Protokoll LT-SH, 3. WP., 29.01.1958, S. 3373
Volkszeitung, 28.02.1958, S. 4 (viertletztes Wort im Original gesperrt)
73
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Repräsentanten des Landes dürfte dazu beigetragen haben, dass er auf dem
Landesparteitag in Rendsburg am 20.06.1958 mit 171 Ja-Stimmen einen deutlich
schwächeren Rückhalt im Vergleich zu den anderen drei Stellvertretern (mit jeweils 244,
236 und 220 Stimmen) fand. Seine Popularitätswerte schienen für ihn und seine Stellung
innerhalb der Partei
nachrangig zu sein, denn auf der Landesliste der CDU für die
Landtagswahlen am 28.09.1958 erschien der Name Gerlich auf Platz sechs hinter dem
des Ministerpräsidenten von Hassel und dessen Landesministern. 135
2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962)
Das Landtagswahlergebnis vom 28.09.1958 spiegelte eine erfolgreiche Assimilationspolitik
der CDU wider, die ihren gesellschaftlichen Ausdruck in der weitgehenden Integration der
Flüchtlinge fand, für welche sich insbesondere Gerhard Gerlich in der Landtagsfraktion
und in der Regierungspolitik engagiert hatte. Der Stimmanteil der CDU war von 33,2 %
auf 44,4 % gestiegen und ihre 33 Mandate reichten zusammen mit den dreien der FDP für
eine Fortsetzung der Regierung.
Nicht mehr gebraucht wurde dagegen die um das einstige Wählerpotenzial der
Heimatvertrieben
Abwärtsentwicklung
konkurrierende
von
14,0
Partei
%
auf
GB/BHE.
6,9
%
Personeller
war
nun
Ausdruck
ihrer
Übertritt
ihrer
der
Spitzenrepräsentanten Lena Ohnesorge und Carl-Anton Schäfer zur CDU, die damit als
Minister
unverändert
Ministerpräsidenten
von
in
der
Hassel
Regierungsmannschaft
verbleiben
konnten.
des
Ähnlich
unumstrittenen
deutlich
war
die
Oppositionsrolle der SPD mit 26 Mandaten und des mit 2 Sitzen in den Landtag
zurückgekehrten SSW. Dementsprechend hatte es bei der Konstituierung am 27.10.1958
und bei der Wiederwahl von Walther Böttcher (CDU) zum Landtagspräsidenten dieses Mal
keine Einsprüche und kaum Gegenstimmen gegeben.
Dagegen war schon vor Beginn dieser ersten Sitzung der vierten Wahlperiode der
Fortbestand
135
von
Parlamentarischen
Vertretern,
wie
sie
s. Volkszeitung, 23.06.1958, S. 2 u. Segeberger Zeitung, 07.07.1958, S. 8
74
Gerhard
Gerlich
als
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
regierungsamtliche Stellung für den Kultusminister Edo Osterloh innehatte, infrage gestellt
worden. Zu dieser Personalie merkte die sozialdemokratische Volkszeitung in dem Artikel
„Heute erste Landtagssitzung“ zur Person des wiedergewählten Gerlich mit Süffisanz an:
„Auch die Bedenken gegen die parlamentarischen Vertreter in Form von Abgeordneten der
Landesminister fanden keine Berücksichtigung. Im Kieler Landtag wird es weiter diese
Vertreter geben, und Dr. Gerlich, der Gegenspieler von Kultusminister Osterloh (CDU),
wird weiter Osterlohs parlamentarischen Vertreter sein.“ 136 Entsprechend der politischen
Themenverlagerung nahm Gerlich anstelle des Ausschusses für Heimatvertriebene in
dieser Wahlperiode einen Sitz im Innenausschuss wahr und wurde ferner als
stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion gewählt.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit holte auch in der vierten Wahlperiode
die Arbeit im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. So hatte der BHE mit Heinz
Reinefarth einen Kandidaten aufgestellt, der als einziger ehemaliger SS-General des
Dritten Reiches nach 1945 auf Länderebene ein politisches Mandat erreichen sollte.
Im Zweiten Weltkrieg war Reinefarth als Kampfgruppenkommandant maßgeblich für die
blutige Niederschlagung des Warschauer Aufstands und für Massaker an der
Zivilbevölkerung mitverantwortlich gewesen. Entsprechend stark war die Kritik im In- und
Ausland daran, dass er zwar formalrechtlich korrekt gewählt, ab Oktober 1958 aber nun
tatsächlich als Volksvertreter die parlamentarische Tätigkeit in den Kieler Landtag
aufnehmen sollte.
Es war der Landesbeauftragte für staatsbürgerliche Bildung, das CDU-Mitglied Ernst
Hessenauer, der auf einer Veranstaltung mit Jugendlichen diesem Abgeordneten bei
derartiger NS-Vergangenheit die erforderliche Vorbildwirkung absprach. Als gewählter
Bürgermeister von Westerland hatte Reinefarth zwar auf Sylt mittlerweile die Akzeptanz
aller Parteien gefunden, aber die öffentliche Aufmerksamkeit für einen gewählten
Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages war ungleich größer und
entfaltete eine entsprechende Signalwirkung. So bezeichnete Hessenauer bei Nennung
des Namens Reinefarths dessen Mitwirken im Parlament als „Todsünde für die
Demokratie“ und schädlich für das deutsche Ansehen im Ausland.
136
Volkszeitung, 27.10.1958, S. 2
75
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Naturgemäß protestierte vor allem die BHE-Spitze heftig gegen diese Abqualifizierung und
forderte
Ministerpräsident
von
Hassel
energisch
zu
einer
Maßregelung
des
Landesbeamten Hessenauer auf. Der Regierungschef war selbst im Dritten Reich
unbelastet geblieben und hatte schon bei vielen Gelegenheiten so unbefangen wie
konsequent dazu aufgefordert, mit einer weiteren Beschäftigung oder Aufarbeitung der
nationalsozialistischen Vergangenheit in Schleswig-Holstein abzuschließen. Insofern lag
es auf seiner Linie, als er am 27.11.1958 im Namen des CDU-Landesverbandes zu der
Angelegenheit Reinefahrt-Hessenauer erklärte, „daß er Wert darauf lege, daß der
Schlußstrich unter die Entnazifizierung im Lande Schleswig Holstein, der vom
Gesetzgeber gezogen worden ist, auch durch die Beamten des Landes Schleswig
Holstein respektiert wird.“137
Zwei Tage zuvor hatte die CDU- Landtagsfraktion auf einer Pressekonferenz durch den
Fraktionsvorsitzenden Mentzel im Beisein Gerlichs erklären lassen, dass diese
Kandidatenauswahl allein vom BHE verantwortet werden müsse, in ihrer Partei CDU aber
niemals eine Mehrheit gefunden hätte. Dieser klaren Abgrenzung vom 25.11.1958 fügte
Mentzel auf der späteren Landtagssitzung am 16.12.1958 eine relativierende Ausweitung
hinzu, indem er neben den rechtsextremen ausdrücklich auch linksradikalen Kräften, also
Kommunisten, keinen Platz in der CDU einräume.138
Auf dieser November-Pressekonferenz hatte sich auch Mentzels Stellvertreter Gerlich
geäußert, der selbst bei seinem Entnazifizierungsverfahren 1940 gezielt über eine eigene
SS-Mitgliedschaft (allerdings von deutlich niedrigerem Rang) dauerhaft hinweggetäuscht
und dieses Geheimnis bewahrt hatte. Vor diesem Hintergrund wirkte seine gleichfalls
relativierende Stellungnahme auf dem Pressetermin am 25.11.1958 doppelbödig, denn
Gerlich gab zu bedenken, „es sei bedauerlich, dass diejenigen, die heute am Mandat
Reinefarth
Ärgernis nehmen,
damals
geschwiegen
hätten,
als
Reinefarth
zum
Bürgermeister von Westerland und im Vorjahr einstimmig wiedergewählt worden sei. Es
sei auch nicht möglich, dass ein Mann, der unter dem N[ational]S[ozialismus] eine hohe
Stelle eingenommen habe, bis zu seinem Lebensende disqualifiziert sei.“ 139
137
138
139
zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm. 40
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode (29.10.1958-22.08.1962),
Kiel 1958-1962, S. 94 (16.12.1958); im Folgenden: Protokoll LT-SH, 4. WP. (mit Datum und Seitenzahl)
zit. nach Marti, Phillipp: Der Fall Reinefarth. Eine Biographische Studie zum öffentlichen und juristischen
Umgang mit der NS-Vergangenheit, Neumünster/ Hamburg 2014, S. 157 u. Anm. 778 ( Pressestelle der
schleswig-holsteinischen Landesregierung, Protokoll eines Pressegesprächs mit dem CDU-
76
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Diesen Satz schrieb Bernd Kasten allerdings fälschlicherweise Mentzel zu und glaubte
deshalb die Haltung Gerhard Gerlichs (wie auch die des Kultusministers Edo Osterloh) als
Abgrenzung zu Kai-Uwe von Hassels umstrittener Position innerhalb der Landespartei
darstellen zu können. Dessen Zurechtweisung an den Landesbediensteten Hessenauer
vom 27.11.1958 wurde von einer empörten Öffentlichkeit als ein „Maulkorb“ verstanden
und tags darauf äußerten der Abgeordnete Gerlich wie auch dieser Minister Verständnis
für den engagierten Landesbeauftragten für staatsbürgerliche Bildung, „der sich schon seit
längerer Zeit Sorgen über eine zunehmende Renazifizierung in unserem Staate mache." 140
In der weiterhin offenen und für Gerlichs Glaubwürdigkeit latent bedrohlichen Frage, wie
mit den Entnazifizierungsakten in Schleswig-Holstein umzugehen sei, hatte Osterloh in
einer Besprechung der Landesregierung am 03.11.1958 die Vernichtung des Bestandes
vorgeschlagen, wohingegen bei Innenminister Lemke dieses Thema auf Desinteresse
gestoßen war.141 So wurde letzterer in der Segeberger Zeitung 13.11.1958 mit „Lasst die
alten Akten
liegen“
zitiert
und
in
seinem
Verantwortungsbereich
wurde
diese
sind
vom
Angelegenheit entsprechend nachrangig behandelt:
„Anweisungen
zur
Vernichtung,
Aussortierung
und
Verwertung
Innenministerministerium bisher nicht gegeben worden, weil 'niemand daran gedacht' hat.
Die Akten, verlautet von zuständiger Stelle, seien
'praktisch vergessen' worden.
Archivdirektor Professor Hoffmann, der sich nur als Treuhänder des Ministeriums für diese
Stöße von Papieren fühlt, meint, dass noch 5-10 Jahre mit Auswertungsrichtlinien gewartet
werden sollte, um mehr Abstand von diesen Problemen zu gewinnen. Dann werde das
Interesse des einzelnen an seiner Akte nicht mehr vorhanden sein.“ 142
Inwiefern diese Haltung von dem Betroffenen Gerhard Gerlich geteilt wurde, muss
ungewiss bleiben. In der Landtagsdebatte am 16.12.1958 beteiligte er sich jedenfalls nicht
an der strittigen Debatte um den SS-General Reinefarth und die Auswirkungen von
derartiger NS-Vergangenheit innerhalb des schleswig-holsteinischen Parlaments. Tags
darauf verstrickte er nach seiner sehr ausführlichen Rede zum Thema des sozialen
Fraktionsvorstand, 25.11.1958, Landesarchiv Schleswig [LASH, Abt. 605, Nr. 2626]); vgl. Volkszeitung,
26.11.1958, S. 4
140
zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm 50
141
Kasten, Hassel, S. 275, Anm. 672
142
Segeberger Zeitung, 21.10.1958, S. 8
77
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Wohnungsbaus die nachfolgenden Sprecher mit zahlreichen Zwischenrufen wie „Aber
hören Sie doch auf!“ und anderen Provokationen in störende Zwiegespräche am
Rednerpult. So konnte ihn auch die Bitte des Sitzungsleiters, des Landtagsvizepräsidenten
Arthur Schwinkowski nicht aufhalten: „Herr Abgeordneter Dr. Gerlich! Ich halte es für
richtig, daß wir den Redner erst aussprechen lassen.“143
Der Kieler CDU-Kreisvorsitzende Arthur Schwinkowski war nach einer Wahlperiode Pause
im Oktober 1958 wieder in den Kieler Landtag gewählt worden und arbeitete auf dem
Gebiet der Bildungspolitik eng mit Gerhard Gerlich zusammen. Weil sie als Katholiken im
Schleswig-Holsteinischen Parlament eine Sonderstellung einnahmen, wurden sie auch
von der Presse als politisch enge Vertraute wahrgenommen.
Die politischen Interessenschwerpunkte von Gerlich hatten sich im Laufe der Integration
von Flüchtlingen auf andere Themenfelder verlagert und als ein Symptom für diese
Entwicklung
stand
in
der
Landtagssitzung
am
6.1.1959
die
„Auflösung
der
Hilfsgemeinschaft Schleswig-Holstein (Notgemeinschaft)“ auf der Tagesordnung. Als der
BHE-Abgeordnete Georg Urban während der Debatte vage aus einem Sitzungsprotokoll
zitieren wollte, konnte ihm Gerlich mit einem Zwischenruf das genaue Datum sowie die
Uhrzeit nennen und zeigte sich damit laut des Sprechers „glänzend informiert.“ 144
Die penible Gründlichkeit und Gerlichs umfangreiches Fachwissen war zu ähnlichen
Gelegenheiten allerdings auch gefürchtet.
So war ihm bei der intensiven Lektüre des Haushaltsentwurfs zu dem umfangreichen
Landesbesoldungsgesetz aufgefallen, dass in der Besoldungsgruppe A 13 auf der
Stufenleiter von Regierungsräten auch ein neuer Beamtentitel für Landtagsstenographen
geschaffen werden sollte. Das Ergebnis seiner kritischen Kontrolle teilte er anstelle
interner Hinweise oder Nachfragen im Ministerium stattdessen in der Segeberger Zeitung
vom 14.01.1959 mit einem personalisierten Verdacht öffentlich mit:
„Doktor Gerlich
bestätigte,
Grundlage
dass
es
für
diese
Neuerung
keine
juristische
im
Beamtenbesoldungsgesetz gebe. Es könne sich daher eigentlich nur um einen
'Druckfehler' im offiziellen Etatentwurf handeln, der allerdings die Frage offen lasse, ob er
143
144
Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.12.1958, S. 128/29
Protokoll LT-SH, 4. WP., 06.01.1959, S. 212
78
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
rein zufällig dem Haushaltsreferenten im zuständigen Finanzministerium unterlaufen
sei.“145
Größere Aufmerksamkeit weckte der Name Gerlich in der Landespresse dieser Tage
allerdings durch einen Diskussionsbeitrag des Bruders Walter, der sich bei der Jungen
Union Neumünster zumindest missverständlich geäußert hatte. Auf der Basis einer dpaMeldung zitierte u.a. der Holsteinische Courier am 13.03.1959 unter dem Titel
„Schwerwiegende antisemitische Vorwürfe. Dr. Walter Gerlich im Mittelpunkt einer
Diskussion“ folgende Auszüge:
„Auf Grund der historischen Entwicklung des Antisemitismus könne festgestellt werden,
wenn das deutsche Volk es nicht getan hätte, hätten es andere Völker getan. (Damit ist
offenbar die Ausrottung der Juden gemeint. - Red.) Es sei nur eine Eigenart der
Deutschen, besonders gründlich zu sein und es auch beim Antisemitismus zur Perfektion
gebracht zu haben. Man müsse dieses Problem psychologisch betrachten, und dazu
könne er, (Dr. Gerlich) aus eigenem Erleben aus dem österreichischen Raum sagen, daß
die Einwanderung der Ostjuden, die bettelarm gekommen und in kurzer Zeit steinreich
geworden seien, den Antisemitismus gefördert habe. Der Ausrottungsgedanke des
Nationalsozialismus gegenüber den Juden sei erst nach dem 9. November 1938
erkennbar gewesen.“146
Womöglich war es Walter Gerlich entfallen, dass dieses Datum der Judenpogrome in NSDeutschland seinerzeit auch die Aufnahmezeremonie von Gerhard Gerlich und ihm in die
SS-Einheit 3/108 im sudetendeutschen Aussig markiert hatte. 147 Vorrangig dürfte in diesen
Tagen
für
ihn,
für
seinen
Bruder
im
Landesparlament,
die
Pressestelle
der
Landesregierung und für auch den Kultusminister Osterloh gewesen sein, der massiven
Kritik in der Öffentlichkeit und den erneuten Forderungen nach einer Entfernung aus dem
Schuldienst (wie zuvor gegenüber Gerhard Gerlich) etwas entgegen zu setzen. Der
Minister
zog
sich
wie
der
Regierungsapparat
auf
das Argument
angeblicher
Fehlinterpretationen zurück, kommentierte diesen Skandal aber vor der Jungen Union in
Eckernförde auf eine Weise, die die Spannungen zwischen ihm und seinem
145
Segeberger Zeitung, 13.01.1959, S. 10
Holsteinischer Courier, 13.03.1959, S. 9
147
Erdmann, Lebensstationen, S. 16/17
146
79
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
parlamentarischen Vertreter Gerhard Gerlich gewiss vertieften.
So war in der SPD-nahen Volkszeitung vom 19.03.1959 unter der wohl schmerzlichen wie
missverständlichen Überschrift „Kultusminister Osterloh korrigiert Dr. Gerlich. Auch im
christlichen Lager Antisemitismus“ zu lesen: „Zu den Neumünsteraner Aueßerungen von
Dr. Gerlich hielt es Osterloh für erwiesen, daß ein Diskussionsbeitrag, bei dem Dr. Gerlich
zu erklären versuchte, wie Antisemiten denken, fälschlich als dessen eigene Meinung
angesehen wurde. Minister Osterloh sagte, Dr. Gerlich täusche sich allerdings, wenn er
meine, daß Antisemitismus nur im nicht-christlichen Lager möglich sei. Es habe im
Mittelalter in der katholischen Kirche, später bei Martin Luther und auch in der Folge sehr
oft eine stark antisemitische Strömung innerhalb der Kirche gegeben.“ 148
In der öffentlichen Wahrnehmung sollte dieser Skandal im Jahr 1959 allerdings durch
einen weitaus größeren überstrahlt werden, die der Kieler Landtag zum Anlass nahm, zu
der „Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther
Böttcher
erhobenen
Vorwürfe“
einen
Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss
einzusetzen. In diesem Gremium beschäftigte Gerlich sich zusammen mit Vertretern
anderer Fraktionen während des Sommer 1959 in 17 teils nicht-öffentlichen Sitzungen mit
Fragen,
inwiefern
Böttcher,
ebenfalls
CDU-Abgeordneter
und
zudem
Lübecker
Bürgermeister, seine politischen Ämter dazu benutzt hatte, um private Dinge zu seinen
Gunsten zu regeln.
Unter dem Vorsitz des CDU-Abgeordneten Claus Joachim von Heydebreck wurde unter
anderem erforscht, ob Böttcher oder dessen Sohn unzulässig Einfluss auf Kultusbeamte
(bis hin zum Minister) und Lehrer genommen hatten, die Schulzensuren der
normalerweise nicht versetzten Tochter nachträglich aufzubessern. In der Vertiefung von
Schulverordnung, der Prüfberechtigung von Lehrern und anderer Versetzungsregularien
engagierte sich der Pädagoge Gerlich besonders stark und fiel daneben in der
Ausschussarbeit vor allem dadurch auf, dass er Fernseh- und Rundfunkübertragungen
von Ausschusssitzungen als Eingriff in die Privatsphäre ablehnte. Für die Öffentlichkeit
und die Presse waren andere Themen vorrangig, die sich auch in dem am 12.09.1959
verabschiedeten Abschlussbericht des Ausschusses stärker widerspiegelten. 149
148
Volkszeitung, 19.03.1959, S. 4
80
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Demnach hatte Landtagspräsident Böttcher seine Kontakte dafür eingesetzt, dass ihm
nahestehende Personen (wie ein darüber nicht informierter Schwager) eine Beteiligung an
der Spielbank Travemünde erwerben sollten, und dass er seinen Dienstwagen mit
Chauffeur während des Urlaubs unberechtigterweise nach Frankreich beorderte. Zudem
hatte mit seinem Wissen das Landtagspersonal die Doktorarbeit seines Sohnes (zum
Thema der Rechte und Pflichten eines Landtagspräsidenten) gegen Materialerstattung
vervielfältigen und auf Präsidenten-Briefbögen anderen Landesparlamenten zum Kauf
anbieten lassen. Dazu resümierte Klaus-Detlev Godau-Schüttke:
„Obwohl diese
Verfehlungen auch in CDU-Kreisen nicht als gravierend angesehen wurden, war die Spitze
der Partei in Schleswig Holstein dennoch froh, als Böttcher von seinem Amt als
Landtagspräsident zurücktrat.“150
Mit dieser Vakanz und einem auszufüllenden Machtvakuum verband Gerhard Gerlich die
Aussicht, seine Stellung im Landtagsapparat durch das Protegieren seines Vertrauten und
Fraktionskollegen Arthur Schwinkowski auszubauen und weiter zu festigen. Mit seinen
Personalplänen hatte er in den Umbruchtagen fraktionsintern gute Aussichten gehabt, um
dann doch überraschend zu scheitern, wie die Volkszeitung am 23.09.1959 unter der
Überschrift „v. Heydebreck wird Landtagspräsident“ auf der Titelseite vermerkte: „Der
CDU-Landtagsabgeordnete v. Heydebreck ist am Dienstag überraschend von seiner
Fraktion zum neuen Landtagspräsidenten vorgeschlagen worden. In geheimer Zettelwahl
unterlag der bisherige Favorit Dr. Schwinkowski nach einer zweistündigen Debatte in der
CDU-Fraktion. Damit unterlag parteitaktisch auch Dr. Gerlich, der sich betont für
Schwinkowski eingesetzt hatte.“
Diese personelle Verknüpfung war landesweit so bekannt, dass sie mit Hinweis auf das
katholische Glaubensbekenntnis der beiden CDU-Landtagsabgeordneten im Folgemonat
während des Kommunalwahlkampfes von der Neumünsteraner FDP als Argument gegen
Gerlichs umstrittene Favorisierungen eingesetzt wurde. Dies wurde im Kapitel 2.1. „In
Neumünster als Ausgangspunkt für Parteipolitik“ dieser Untersuchung näher dargelegt.
Immerhin war es innerhalb der CDU-Fraktion durchaus umstritten gewesen, dass
149
Protokoll LT-SH, 4. WP., 21.09.1959, S. 667-81; s. ferner: Schleswig-Holsteinischer Landtag:
Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der
Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe, 4. Wahlperiode
Kiel 1959, 211 S.
150
Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 306
81
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
ausgerechnet von Heydebreck indirekt von dem Fazit und den Auswirkungen des von ihm
geleiteten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses profitieren sollte. Ebenfalls
Ambitionen hatte der Abgeordnete Paul Rohloff gehabt, der sich an die entsprechenden
Seilschaften und Abläufe erinnerte:
„In der Fraktion ging es dann Ruck-Zuck, um Herrn von Heydebreck ins Amt zu bringen,
obwohl er ziemlich neu im Parlament war. Er war ein guter Freund des damaligen
Ministerpräsidenten von Hassel, er schien ihm offensichtlich leitfähiger. Ich fand es sehr
unpassend, dass Herr von Heydebreck, der den Untersuchungsausschuss mit dem
Ergebnis des Rücktritts von Landtagspräsident Doktor Böttcher geleitet hatte, jetzt im Amt
folgen sollte.“151
Im Unterschied zu anderen Fällen ließ sich Gerlich eine anhaltende Frustration anmerken,
da er nicht nur bei der Sitzung der Wahl von Heydebrecks zum Landtagspräsidenten am
29 09.1959 fehlte (als vermutlich demonstrativer Akt ebenfalls auf der Titelseite der
Volkszeitung vermeldet), sondern sich auch für die drei Novembersitzung abmeldete,
obwohl er sehr selten auch nur eine einzige Sitzung versäumte. Dazu stand bei seiner
Rückkehr am 04.12.1959
ein nächster großer Skandal der schleswig-holsteinischen
Nachkriegsgeschichte auf der Tagesordnung, der im gesamten Bundesgebiet für Aufsehen
sorgte. Diesen skizzierte später der Landtagspräsident Rudolf Titzck:
„Prof. Heyde war maßgeblich an der nationalsozialistischen Euthanasie beteiligt gewesen.
Beim Transport ins Frankfurter Untersuchungsgefängnis gelang ihm jedoch die Flucht.
Er setzte sich nach Kiel ab, wo er unter dem Namen Dr. Fritz Sawade untertauchte.
Zunächst wurde er Sportarzt an der Landessportschule in Flensburg, ab 1952 Gutachter
bei der örtlichen Staatsanwaltschaft und beim Landessozialgericht. Erst 1959 wurde die
wahre
Identität bekannt, Professor Heyde
stellte sich den Behörden, in der
Untersuchungshaft nahm er sich später das Leben. Im Dezember 1959 setzte der Landtag
einen Untersuchungsausschuss ein, der ermitteln sollte, wie es möglich war, dass
Professor Heyde über einen derart langen Zeitraum unentdeckt bleiben konnte.“ 152
151
152
Rohloff, Paul: Die Demokratie lebt vom Kompromiss, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in SchleswigHolstein, Husum 1987, S. 167
Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-Holstein, Husum 1987, S. 94; zum Gesamtkomplex s.
Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, sowie: Danker, Uwe: „Die Täter bildeten ein Kartell des
Schweigens“. Die unglaubliche Affäre Heyde/Sawade 1959, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd.
82
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Noch in der Sitzung am 04.12.1959 mit Gerlichs Wiedererscheinen versuchte
Ministerpräsident von Hassel mit Einwänden die Einsetzung eines solchen Gremiums
grundsätzlich
Abgeordneten
zu
verhindern. Aber
aller
Fraktionen
im
Verfassungsausschuss
auf
zwei
einigten
getrennte
sich
die
Parlamentarische
Untersuchungsausschüsse (PUA) zu Heyde/Sawade mit verschiedener Thematik. So
sollten einerseits Mitwisser und Helfershelfer dieses ehemaligen Mitentscheiders bei der
massenhaften Ermordung von Behinderten nach ihren Aktionen oder Unterlassungen in
den Nachkriegsjahren befragt werden. Zum anderen sollten die vermeintlichen Kenntnisse
von Journalisten (wie des Redakteurs und SPD-Abgeordneten Jochen Steffen) zu einer
angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung über die Personenidentität von
Heyde/Sawade verifiziert werden.
Gerlich
war
Mitglied
in
dem
entscheidenden
Ausschuss
für
Verfassung
und
Geschäftsordnung und wurde zudem in diese beiden am 16.12.1959 eingesetzten
Untersuchungsausschüsse berufen. Letzteres bezeichnete er in seiner Landtagsrede am
14.12.1959 als „traurige Pflicht“, räumte aber wohl bewusst und zum Ärger des
Ministerpräsidenten
eine
Wahrscheinlichkeit
der
erwähnten
(und
später
nicht
beweisbaren) journalistischen Verdächtigungen ein, indem er eine Formulierung
verwendete über „jene Personen des öffentlichen Lebens, über die offensichtlich der
Abgeordnete Steffen begründete Verdachtsmomente ins Treffen führen konnte, (...) als er
in der letzten Sitzungen Behauptungen aufstellte.“ 153
In der Forschung bislang unbekannt war hingegen, dass Gerhard Gerlich im Januar 1960
einen Redeentwurf gegen gehäuft auftretende „Antisemitische Vorfälle“ für eine Erklärung
des Landtagspräsidenten zur Sitzung am 25.01.1960 verfasste. Dies legt jedenfalls die
Kopie eines sechsseitigen Manuskripts mit Namenskürzel, Datierung und Spuren der
Textveränderung in der augenscheinlichen Handschrift Gerlichs nahe, die Klaus Deneke
aus seinem Privatbesitz freundlicherweise zur Verfügung stellte. Mehr Material dieser Art
und die Möglichkeit einer Authentifizierung wäre für diese Untersuchung wünschenswert
gewesen.154
3, Flensburg 1999, S. 168-87; im Folgenden: Danker, Täter
Protokoll LT-SH, 4. WP., 14.12.1959, S. 865
154
Gerlich, Gerhard: Antisemitische Vorfälle (handschriftlicher Redeentwurf für den Landtagspräsidenten),
Neumünster 1960, 6 Bl, Kopie [Privatbesitz]
153
83
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Unter der Voraussetzung einer Echtheit hatte Landtagspräsident von Heydebreck diesen
wohl von Gerlich stammenden Text mit wenigen Veränderungen und Streichungen
übernommen und zu Sitzungsbeginn u.a. vorgetragen: „Der Schleswig-Holsteinische
Landtag appelliert an alle für die Aufklärung und Ahndung solcher Untaten zuständigen
Behörden und Gerichte, gegen die Täter mit der gebotenen Strenge vorzugehen, dabei
aber auch die Motive und möglichen Hintermänner ermitteln zu helfen. Er erwartet, dass
alle für die Erziehung, Ausbildung und und Unterrichtung Verantwortlichen alles tun, um
die Bevölkerung, besonders aber die Jugend, sowohl über die Untaten des Hitler-Regimes
als auch über alle Gefahren totalitären Denkens und Handelns aufzuklären, damit unser
deutsches Volk nicht erneut einer Welle des Hasses und Neides, der Missgunst und
Zwietracht zum Opfer fällt.“155
Zu diesen staatstragenden Worten aus der Feder Gerlichs von 1960 scheint ein
zeitgenössischer Kommentar „Unsere Vergangenheit lebt“ des sozialdemokratischen
Chefredakteurs Karl Rickers zu passen, der am 27.07.1960 in der Volkszeitung schrieb:
„Weswegen haben wir die Vergangenheit bisher nicht zu bewältigen vermocht? Der
wesentliche Grund ist ganz einfach: wir sehen eine breite und gewichtige Schicht von
Menschen, die seinerzeit Mitläufer, Mitrufer und Mitdenker Hitlers waren, jetzt unsere
Demokratie aufbauen, kraft ihres Amtes. Den meisten von ihnen muß man schon aus
menschlichen[,] aber auch aus persönlichen Gründen die Anwendung der Formel
zubilligen: im Zweifelsfall Demokrat. Man muß es schon aus dem Grunde, weil man auf
die ehrlichen unter ihnen angewiesen ist, denn der Staat besteht aus a l l e n Menschen im
Volke.“156
Gerlich blieb jedenfalls in diesem Jahr weiterhin an der erweiterten Spitze der
Regierungspartei CDU, obwohl er auf dem Landesparteitag am 11.06.1960 in Mölln bei
den Wahlen zum stellvertretenden Landesvorsitz mit 158 Stimmen wieder deutlich hinter
den Ergebnissen von Gerhard Stoltenberg, Helmut Lemke und Detlef Struve mit 184 bzw.
181 Stimmen landete.157 Eine anhaltend geringere Popularität mochte auch daran liegen,
dass er ab Mai 1960 seine bekannte Auseinandersetzungen in Preetz zur „Entflechtung“
155
Protokoll LT-SH, 4. WP., 25.01.1960, S. 865; ebenfalls in: Volkszeitung, 26.01.1960, S. 8
Volkszeitung, 27.07.1960, S. 2, viertletztes Wort im Original gesperrt
157
Volkszeitung, 13.06.1960, S. 2
156
84
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
oder Schließung der Volksoberschule forciert hatte.
So schrieb die Volkszeitung am 25.05.1960 unter dem Titel „Preetz will seine VOS
behalten. CDU bricht vor der Wahl gegebenes Versprechen“ aus sozialdemokratischer
Perspektive mit besonderen Bezug auf diesen Bildungs- und Finanzpolitiker:
„Selbst die CDU-Stadtfraktion in Preetz setzte sich für die Erhaltung der Schule ein, weil
sonst die Stadt 'die Kosten allein tragen müßte'! Da außerdem eine Wahl bevorstand und
die Preetzer Schulfrage viel Staub aufgewirbelt hatte, versprach Dr. Gerlich, der auch in
Preetz für den Landtag kandidierte, daß er sich für die Erhaltung der Schule einsetzen
wolle. Die Mittel für den Weiterbau der Schule wurden zugesagt.Ueberrascht und
enttäuscht wurden aber die Preetzer Eltern, als sie kürzlich vom Vorsitzenden des
Gesamtelternbeirates, Pastor Werner Seibt, erfuhren, daß ihm der Kultusminister in einer
Verhandlung in Kiel mitgeteilt habe, daß der Schulversuch als beendet betrachten werden
müsse.“
Die Zuspitzung von Gerlichs augenscheinlich persönlicher Motivation zur Schließung der
VOS, sein Einfluss auf den anfangs wohlwollenden Minister Osterloh (wie zuvor auf
Lemke) und eine mögliche Instrumentalisierung griff im September 1960 sogar das
Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit dem Artikel „Schulreform. Keine Experimente“ auf:
„Der Kultusminister schätzte jedoch die VOS-Treue der Preetzer Elternschaft desto
geringer
ein,
je
mehr
der
schleswig-holsteinische
Philologen-Verband
seinen
schulpolitischen Einfluß geltend machte. Wie sehr die Interessen der StudienräteOrganisation im Land Schleswig-Holstein mit denen der CDU verquickt sind, wird an der
Doppelfunktion des CDU-Abgeordneten Dr. Gerhard Gerlich aus Neumünster deutlich: Er
ist gleichzeitig aktives Vorstandsmitglied des Philologen-Verbandes und parlamentarischer
Vertreter des CDU-Kultusministers im Kieler Landtag. Als CDU-Philologe Gerlich in
Vorträgen und Diskussionen immer nachdrücklicher die Entflechtung der "Mammutschule"
forderte; ohne seine Preetzer Berufskollegen auch nur einmal konsultiert zu haben,
verließen alle 30 Preetzer Philologen aus Protest den Studienräte-Verband. (…)
Nicht minder empört waren die Preetzer Pädagogen, als selbst die CDU/ BHEGemeinschaftsfraktion ihrer Stadt am 9. Juni der Entflechtung zustimmte. Zuvor hatten die
christdemokratischen Stadtvertreter, deren Kinder die VOS besuchen, stets kundgetan,
85
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
daß sie die Preetzer Bildungsstätte nicht missen wollten. Inzwischen war allerdings der
Kultusminister am 8. Juni in Preetz gewesen, um seine Parteifreunde umzustimmen. So
konnte Osterloh dann am 13. Juni die Kündigung aussprechen.“ 158
Die darauf folgende und im wesentlichen von Gerlich ausgelöste Debatte in der
Landtagssitzung vom 26.09.1961 stellt ein bemerkenswertes Stück Parlamentsgeschichte
dar.159 Dem Sitzungsprotokoll von rund 40 Seiten zufolge vertrat außer Gerlich und seinem
Fraktionskollegen Schwinkowski für die Dauer von rund 6 Stunden inklusive Mittagspause
kaum jemand im Saal mit Überzeugung die von ihm gewünschte Schließung der VOS und
damit die Ablehnung eines entsprechenden SPD-Antrags. Der Kultusminister trug
wortreiche Erklärungen offenkundig pflichtgemäß vor und schien aufgrund seines später
thematisierten Nickens stattdessen den zahlreichen Argumenten und Einwänden der
Opposition ebenso zuzuneigen wie schließlich auch die Regierungsfraktion der FDP.
Diese bot in der laufenden Debatte dem Antragsteller dann tatsächlich an, selbst einen
Antrag auf Überweisung in den Bildungsausschuss zu stellen, um besser dort
unvollständige Informationen, tendenziöse Interpretationen eines nur teilweise bekannten
Gutachtens zur VOS und andere Ungereimtheiten differenziert aufklären zu können.
Oppositionsführer Käber begegnete diesem auch landespolitisch bedeutsamen Angebot
eine Regierungsfraktion allerdings mit bemerkenswertem Ungeschick („Das machen wir
selbst!“)160, obschon Gerlich nun noch lediglich auf die Disziplin der zahlenmäßig
unterlegenen CDU-Fraktion zählen konnte. Ein seltenes Mal im Parlament wurde dabei
sein Wesen und eine Methode vom SPD-Abgeordneten Siegel persönlich charakterisiert:
„Verzeihen Sie, Herr Dr. Gerlich, wenn ich mit vielen anderen der Meinung bin, daß an der
Bedienung dieser Schranken Ihre Hand nicht unbeteiligt ist. Ich will Ihnen jetzt einmal ganz
kurz zeigen, worin dieses Stellen der Schranken für mich sichtbar geworden ist.
(Abg. Lechner: Weichen nennt man das!)
Weichen nennt man das, ja: Aber weich ist er nun leider Gottes nicht; er ist sehr hart.“ 161
158
„Schulreform. Keine Experimente“, in: Der Spiegel Nr. 38/1960, 14.09.1960, S. 35-39
Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1438-70
160
Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1460
161
Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1461
159
86
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Als auch der letzte Redner des SSW das Thema der Volksoberschule nach sechs Stunden
nicht nur beredet, sondern zerredet fand, hätte sich unter normalen Umständen eine
Mehrheit für die Ausschussüberweisung finden lassen müssen. Aber eine nochmalige
Auszählung der Stimmen ergab einen Gleichstand von 33:33 und damit eine
überraschende Ablehnung. Zu Gerlichs Vorteil hatte im entscheidenden Augenblick der
langen und wichtigen Debatte die SPD-Abgeordnete Anni Brodersen im Saal gefehlt.
Nach dem umgehenden Echo aus ihren eigenen Reihen sollte sie wie er ein Jahr zuvor
nach
dieser
weitreichenden
Fehlleistung
ihre
Teilnahme
für
die
nächsten
Landtagssitzungen absagen.162
Mit diesem Durchsetzungsvermögen bei seiner Einzelinitiative sollte sich Gerlichs Nimbus
in den politischen Debatten verstärken und sein rhetorisches Geschick sowie die
Wirksamkeit seiner Mittel mit irritierenden Zwischenrufen wurde zwar nicht immer
geschätzt, aber nun offen über die Parteigrenzen hinweg wahrgenommen, wie es
wiederum der Abgeordnete Siegel am 07.11.1961 feststellte:
„Wir denken gar nicht daran, bei Ihnen irgendwie das Klima etwa nach unserer Seite hin
beeinflussen zu wollen.
(Abg. Dr. Gerlich: Es kommt nicht auf das Wollen, sondern auf das Können an!)
Ob wir es können, das ist eine andere Frage; Sie werden es bestreiten, und ich will es
nicht behaupten. Aber - da hat der Kerl mich doch aus dem Konzept gebracht!
(Heiterkeit. - Abg. Dr. Schlegelberger: Das macht er bei uns auch!)
- Ich sagte - ach so, gerade bei Ihnen - (Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.) 163
Zum Jahreswechsel 1960/61 war das Ansehen des Bundeslandes Schleswig-Holstein
durch diverse Skandale im Umgang der Regierung wie der Behörden mit ehemaligen
Nationalsozialisten
derart
ramponiert,
dass
sich
Ministerpräsident
von
Hassel
widerstrebend genötigt sah, am 16.01.1961 eine Regierungserklärung zu Einzelfällen und
entsprechenden Versäumnissen abzugeben. Aus einer Liste von 13 prekären Personalien
fand von Hassel lediglich in einem Fall die bisherigen Maßnahmen aktuell nicht
ausreichend. Dabei handelte es sich um Prof. Dr. Beyer an der Pädagogischen
Hochschule in Flensburg, der nach von Hassels Darstellung 1942 Professor an der
162
163
s. Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1470
Protokoll LT-SH, 4. WP., 07.11.1961, S. 1683
87
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Universität Prag gewesen war und die rassentheoretischen Vorurteile der NS-Ideologie
auch an der späteren Heydrich-Stiftung vertreten hatte. 164
Für Gerhard Gerlich dürfte dieser Fall insofern von biographischem Interesse gewesen
sein, als er selbst 1942 in Prag noch ein NSDAP- und SS-Mitglied gewesen war. Zehn
Tage später sollte zu einer vergleichbaren Konstellation in dem Artikel „Viele wussten von
Heyde/Sawade - keiner von seinen Mordtaten“ der Volkszeitung von dem PUA-Zeugen
Hugo Jansen zu lesen sein, dass er Heyde zu dieser Zeit in Prag gesehen hätte und
dieser in SS-Uniform im dortigen Lazarett Patienten behandelt hatte. Möglicherweise hatte
Gerlich ausgerechnet dieses seltene Mal eine Ausschusssitzung versäumt, um kein
potenzielles Wiedererkennen mit dem Zeitzeugen Jansen zu riskieren. 165
Zu der Arbeit dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wirkte von Hassels
Versprechen vor dem Landtag zwiespältig, dass die Landesregierung „wie bisher alle
erforderlichen Schritte unternehmen würde, um schuldig gewordene Mitwisser und
Gehilfen des Prof. Heyde/Sawade zur Verantwortung zu ziehen.“ 166 Tatsächlich sollte von
diesem mindestens 18 Personen umfassenden Kreis allein derjenige Journalist
strafrechtlich verurteilt werden, der in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau frühzeitig
über eine angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung berichtet und den ganzen
Fall ins Rollen hatte. 167 Ferner zog der Ministerpräsident in der Sitzung am 16.01.1961 für
seine Regierung zudem das Fazit, dass in Schleswig Holstein von Verantwortung für das
Staatswesen ferngehalten würde, wer im NS Staat führend gewesen war und Schuld auf
sich geladen hätte.
Im Sommer 1961 legten dann die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse
Heyde/Sawade I und II ihren Abschlussbericht vor, an dem Gerhard Gerlich redaktionell
mitgearbeitet
hatte.
Der
für
die
Öffentlichkeit
interessantere
Ausschuss
I
zu
Mitwisserschaften und Versäumnissen hatte in 43 öffentlichen und teils nicht-öffentlichen
Sitzungen von Januar 1960 bis 1961 getagt, 60 Zeugen vernommen und ebenso viele
164
Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1897
s. Volkszeitung, 26.01.1961, S. 1; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des
Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4.
Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 2, Bl. 163 (Sitzung vom 25.01.1961); im Folgenden: PUA Heyde/Sawade I
166
Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1903
165
167
Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 310
88
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Ermittlungs- oder Personalakten analysiert. An Gerhard Gerlichs Anteilen dabei ist
bemerkenswert, dass er gleich in der ersten Sitzung am 15.01.1960 den Vorschlag
machte, Professor Heyde als Zeugen zu vernehmen und demzufolge kein wechselseitiges
Kennen in SS-Uniform aus ihrer Prager Zeit vorgelegen haben dürfte. 168
Zudem kommentierte er in der Ausschusssitzung am 22.02.1961 die Zeugenaussage des
Justizministers Bernhard Leverenz, wie Heyde/Sawade durch ein offensives Auftreten und
die gesuchte Nähe zu wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wesentliche
Teile seiner tatsächlichen NS-Vergangenheit lange Zeit verbergen konnte:
„Minister Dr. Leverenz:
Herr Heyde hat sich dadurch getarnt, dass sich nach vorn gespielt hat und überall
versucht hat, die besten Beziehungen zu allen möglichen einflussreichen Menschen zu
gewinnen. Das ist seine Tarnungsstrategie gewesen, die ihm ja tatsächlich jahrelang
geholfen hat. Im Gegensatz zu anderen, die als Waldarbeiter untertauch[t]en, hat er
dieses ganz andere System gewählt.
Abg. Gerlich: Er ist vor die Rampe gegangen.“169
Ferner bekam Gerlich am 12.04.1961 bei der Befragung des Zeugen Werner Born,
Direktor
der
Landesversicherungsanstalt,
demonstriert,
wie
sehr
die
von
ihm
mitverantwortete Gesetzgebung der Entnazifizierung und der „131er-Regelung“ das
Selbstbewusstsein von ehemaligen Angehörigen der SS (wie er selbst es gewesen war)
gestärkt und mittlerweile bis zu einem selbstgewissen wie beleidigt-offensiven Auftreten
beigetragen hatte:
„Abg. Strack: Herr Doktor Born! Sie sagten auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie einen
höheren SS-Dienstgrad gehabt hätten, nein. Waren sie in der SS?
Direktor
Dr.
Born:
Herr
Vorsitzender!
Darf
ich
fragen:
Bin
ich
in
einem
Entnazifizierungsausschuss?
Vorsitzender: Nein! Aber sie haben die Fragen des Ausschusses zu beantworten, Herr
Direktor Born, wenn sie nicht direkt neben der Sache liegen! Andernfalls werde ich schon
eingreifen.
168
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in
der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bl. 6 (Sitzung vom
15.01.1960)
169
PUA Heyde/Sawade I, Bd. 2, Bl. 266 (22.02.1961)
89
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Direktor Dr. Born: Ja, ich war.“170
Im Juni 1961 legte der von dem späteren Landtagspräsidenten Paul Rohloff geleitete
Ausschuss seinen ausführlichen Bericht vor, aus dem hervorging, dass mindestens 18
Personen die wahre Identität von Heyde/Sawade gekannt hatten, darunter mehrere
Professoren, Richter und Beamte. Diese Ergebnisse trug der Vorsitzende in der
Landtagssitzung am 27.06.1961 vor, und
ohne Aussprache
wurde
dazu eine
interfraktionelle Erklärung verabschiedet, der lediglich die BHE-Fraktion noch eine
relativierende Ergänzung hinzufügte. 171 Die Zusammenarbeit aller Fraktionen in diesem
parlamentarischen Untersuchungsausschusses war bei diesem außergewöhnlichen
Skandal von großer Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit geprägt gewesen.
Ab Herbst 1961 traten im Schleswig-Holsteinischen Landtag wieder übliche Themen in
den Vordergrund, zu denen Gerlich am 27.09.1961 eine Rede über Bau- und Mietkosten
beitrug. Inzwischen war er für sein erfolgreiches Agieren hinter den Kulissen bekannt
geworden. Als Gerlich in seinem Beitrag nun das Beispiel von Sozialmietwohnungen und
der Fehlbelegung mit einem Ministerialrat anführte, der auch Beförderungsmöglichkeiten
außerhalb des Bundeslandes Schleswig-Holstein hätte, verleitete dies den Abgeordneten
Strack zu der wahrscheinlich ernst gemeinten Zwischenfrage „Wen wollen Sie denn
loswerden?“, auf die hin im Protokoll bezeichnender Weise nicht die Anmerkung
„(Heiterkeit)“ notiert wurde.172
Eine nach Außen hin unübersehbare Krönung erfuhr diese auffällig unauffällige Karriere im
November 1961, als der bisherige Vorsitzende des Finanzausschusses Hartwig
Schlegelberger zum Finanzminister ernannt wurde und Gerhard Gerlich durch Votum der
CDU-Landtagsfraktion auf diesen freien Posten nachrückte. Die landespolitische
Bedeutung seiner Person wurde nun selbst von der sozialdemokratischen Volkszeitung bei
deren Jahresrückblick „Gewichte und Gesichter in der Landespolitik 1961/62“ anerkannt:
„Als nach monatelangem Zögern wenigstens ein Minister des von-Hassel-Kabinetts
ausgewechselt wurde, brachte das nicht nur dem bisherigen Flensburger Landrat Dr.
Hartwig Schlegelberger den längst vorhergesagten Ministersessel, sondern im Zuge
170
PUA Heyde/Sawade I, Bd. 3, Bl. 124 (12.04.1961, Anhörung Dr. Werner Born, 1. Direktor der
Landesversicherungsanstalt); vgl. Volkszeitung, 13.04.1961, S. 2
171
Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.06.1961, S. 2145-70; zum Gesamtkomplex s. Danker, Täter, S. 168-87
172
Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.09.1961, S. 2316
90
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
dieser Aenderung wurde auch nach außen sichtbar, wie wichtig innerhalb der CDUFraktion der jetzt zum Vorsitzenden des Finanzausschusses beförderte Abgeordnete Dr.
Gerlich war und ist.“173
Dieses neue Amt machte für die anderen 68 Landtagsabgeordneten aller Fraktionen den
Umgang mit dem Kollegen Gerlich nicht leichter. Seitdem er den Vorsitz im
Finanzausschuss wahrnahm, forderte er bei Landtagssitzungen immer häufiger zu einer
drastischen Abkürzung von finanzpolitischen Debatten und Nachfragen auf, weil derartige
Dinge ja schon zuvor bei Besuch „seines“ Fachausschusses hätten angesprochen werden
können. So verwahrte sich bereits in der Landtagssitzung vom 01.12.1961 der
Abgeordnete Gerhard Strack von der SPD-Opposition, derart von Gerlich „in echter Manier
eines Schulmeisters“ Zensuren erteilt zu bekommen. 174
Aber auch den Regierungsparteien bereite es Probleme, sich mit dem Machtzuwachs, der
neuen Deutungshoheit und gelegentlichen Eigenmächtigkeit von Gerlich zurechtzufinden.
Dies galt im Januar 1962 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses
bei seinen Erläuterungen vor der Presse zu der neuen Fassung des Etatentwurfs.
Diese stießen prompt auf Widerspruch, wie in der SPD-nahen Volkszeitung süffisant
kommentiert wurde: „Im Gegensatz zu dieser Meinung standen andere Mitglieder des
Finanzausschusses, die an der Pressekonferenz ihres Vorsitzenden teilnahmen. Es fiel
auf, daß nur CDU- und FDP-Abgeordnete von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Das
wurde schnell dahingehend interpretiert, dass die Koalitionsparteien ihren neuen
Finanzausschussvorsitzenden Dr. Gerlich 'nicht ohne Aufsicht' lassen wollten...“ 175
Während seiner ersten Haushaltsberatungen in dieser neuen Rolle hob die Volkszeitung
dagegen seine philologische Akribie hervor und adelte ihn nach Abschluss der langen
Debatten und Haushaltsbeschlüsse mit der Bildunterschrift „Dr. Gerhard Gerlich wurde von
allen Fraktionen gelobt wegen seiner sachlichen Arbeit.“ 176 Dies mochte ihn während der
Folgemonate in übermäßiger Identifikation darin bestärkt haben, in seiner Person für den
gesamten Finanzausschuss zu sprechen, mit spitzer Zunge weniger selbstbewusste oder
173
Volkszeitung, 30.12.1961, S. 24
Protokoll LT-SH, 4. WP., 01.12.1961, S. 2413
175
Volkszeitung, 11.01.1962, S. 5
176
Volkszeitung, 16.01.1962, S. 10 u. 23.01.1962, S. 7
174
91
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
sachkundige Abgeordnete zu verunsichern, zu maßregeln oder seine Überlegenheit dem
Hinweis auszuspielen, dass es im Finanzausschuss alle wesentlichen Informationen gäbe,
es müssten allerdings nur die richtigen Fragen gestellt werden.
Schließlich spielte Gerlich seinen Positionsvorteil derart deutlich aus, dass den
Nachrücker und Parlamentsneuling Klaus Konrad (SPD) in der Landtagssitzung am
26.06.1962 Zwischenrufe seines Ausschussvorsitzenden auch in diesem Gremium allzu
oft störten. Daraufhin machte Konrad diese Probleme im Sozialverhalten vor dem Plenum
öffentlich:
„ Ich habe doch nicht gesagt, daß ich etwas dagegen hätte. Sie gehen im übrigen, Herr Dr.
Gerlich, mit einem Anfänger - und das bin ich ja - nicht gerade pfleglich um.
(Oho!-Rufe bei der CDU.)
Sie wollen mich ja aufs Glatteis führen.
(Zurufe von der CDU.)
Das habe ich schon in drei Ausschußsitzungen gemerkt. Tomaten habe ich nicht auf den
Augen, auch wenn ich sonst rot bin. (Stürmische Heiterkeit.)“ 177
In seiner gefestigten Stellung war Gerlich nun auch innerparteilich kaum mehr auf Beweise
seiner
Popularität
angewiesen
und
so
konnte
er
die
Ergebnisse
des
CDU-
Landesparteitags am 02.07.1962 in Husum mit Gelassenheit aufnehmen. Ohne
Diskussion oder Gegenkandidaten war ihm dort für die Landtagswahlen im September
1962 der sichere Listenplatz 10 zugesprochen worden. Zu Jahresbeginn hatte der
Landesvorsitzende von Hassel zu einer Verjüngung der Parteispitze aufgerufen, was den
50jährigen Gerlich, der von Krankheit gezeichnet wirkte, kaum betroffen haben mochte.
Wohl aus anderen Gründen war er bei den Wahlen im Juli 1962 zum stellvertretenden
CDU-Landesvorsitz mit 143 Stimmen wieder deutlich hinter den weiteren Amtsinhabern
Gerhard Stoltenberg (178), Helmut Lemke (166) und Detlef Struve (163) gelandet. 178
Stattdessen demonstrierte der umtriebige und gut vernetzte Landespolitiker seine
Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von dem allgemeinen Kurs der CDU- Landes- und
Bundesspitze, als er bei dieser Gelegenheit den unter skandalösen Umständen aus der
Bundesregierung ausgeschiedenen Vertriebenenminister Theodor Oberländer wieder
177
178
Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.06.1962, S. 2793
s. Holsteinischer Courier, 27.01.1962, S. 9 sowie Volkszeitung, 03.07.1962, S. 4 u. 04.07.1962, S. 6
92
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
hoffähig machte. Gegen diesen wurde bis zu dessen Tod 1998 wegen Kriegsverbrechen
an Juden sowie Widerständlern in der Ukraine ermittelt und mit ihm hatte Gerlich die
biografische Station der Karls Universität Prag gemeinsam, an der Oberländer Mai 1941
kommissarisch die juristische Fakultät übernommen hatte. In dieser Zeit war Oberländer
ebenso wie nach eignen, aber unbewiesenen Angaben auch Gerlich in die Kritik des SSSicherheitsdienstes SD geraten und hatte dadurch deutliche Nachteile im Dritten Reich
erfahren.179
Die Volkszeitung berichtete von dem CDU-Landesparteitag über diese überraschend
präsentierte Verbindung mit Oberländer am 04.07.1962 und interpretierte diese Initiative
Gerlichs später als gegen den Landesvorsitzenden von Hassel gerichtet: „Die einzige
Sensation des Landesparteitages der CDU war gestern morgen in Husum der Besuch des
CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Theo Oberländer, Vorsitzenden des der
Landesgruppe Oder-Neiße seiner Partei. Der Vorsitzende des Landesausschusses für
Flüchtlinge und Vertriebene der CDU, MdL Dr. Gerhard Gerlich, erklärte vor dem Parteitag,
mit Prof. Oberländer sei eine neue Versammlungswelle in Schleswig Holstein
abgesprochen worden. Es sei nötig, das Bewusstsein der Bevölkerung wachzuhalten
gegen die immer noch aktive Politik aus der Zone.“ 180
Die Wahlperiode sollte mit einer turbulenten Sitzung des Landtages am 22.08.1962
abschließen und den einsetzenden Wahlkampf einleiten, denn im Mittelpunkt stand der
Vorwurf der Ämterpatronage durch die CDU-Landesregierung. Hintergrund war ein Aufsatz
des Wissenschaftlers Heinz Josef Varain, der in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift
„Volkshochschule, Blätter für die Erwachsenenbildung in Schleswig Holstein“ aus
entsprechenden Protokollen und Papieren des CDU-Landesvorstands der vergangenen
Jahre zitiert hatte. Dabei war unter anderem in einem Strategiepapier von 1956 formuliert
worden, dass die CDU ihren Einfluss geltend machen solle, „die Verwaltungen mit
geeigneten Frauen und Männern ihrer politischen Überzeugung zu durchsetzen.“ 181
179
vgl. Wachs, Phillipp-Christian: Der Fall Oberländer (Diss., Universität der Bundeswehr München),
München 1999, S. 196 ff. u. Erdmann, Lebensstationen, S. 37
180
Volkszeitung, 04.07.1962, S. 6
181
Varain, Heinz Josef: Parteien, Verbände und Exekutive, in: Volkshochschule. Blätter für
Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein, Heft 51/52 (Juli 1962), S. 57 u. 58, Anm. 12; vgl. Varain,
Parteien, S. 275, Anm. 1135
93
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Nach einer erregten Landtagsdebatte bestritt der CDU-Landesvorsitzende von Hassel
später in einem Brief vom 09.11.1962 an Varain, dass der CDU-Landesvorstand in seiner
Sitzung am 16.01.1957 das entsprechend behandelte und beigeheftete Konzept näher zur
Kenntnis genommen oder gar umgesetzt hätte. 182 Der gleichfalls dabei befasste
stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Gerhard Gerlich räumte stattdessen im Plenum
seine Kenntnis von dem Thema mit größerer Nervenstärke ein und hielt der heftigen Kritik
des
SPD-Abgeordneten
Jochen
Steffen
an
derartigem
CDU-Einfluss
bei
der
Personalpolitik in der Landesverwaltung dabei souverän wie provozierend entgegen:
„Ich gebe zu, daß wir, wenn Kollege Steffen mit seinen Unterstellungen auch nur zu 10 %
recht hätte, besorgt sein müßten. Ich erkläre hier ausdrücklich und betont, daß er für seine
Unterstellungen keine Veranlassung hat, und ich wage zu behaupten, daß er uns einen
Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptungen schuldig bleiben würde. Gott sei Dank,
daß ich das hier mit ruhigem Gewissen behaupten kann. Ich - zumindest für meine Person
- darf meine politischen Freunde in dieser Beziehung als absolut integer und korrekt
bezeichnen.“183
In einer derart zugespitzten Atmosphäre musste sich Gerhard Gerlich im einsetzenden
Landtagswahlkampf heftige Kritik nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch
aus
Reihen
der
mitregierenden
FDP
gefallen
lassen.
So
erklärte
auf
einer
Diskussionsveranstaltung im September 1962 der FDP-Sprecher Meyer-Bant den
„abgewürgten Schulversuch in Preetz“ zu einem deutlichen Beispiel für die Fehler der
CDU-Bildungspolitik. Dabei spielte er offenkundig auf den intensiven persönlichen Einsatz
Gerlichs und seine nun auch öffentlich bekannten Methoden an: „'Es ist leicht, zu
beteuern, wir machen Versuche, aber die zähen, nicht zu fassenden retardierenden
Momente kommen von der CDU. Die CDU allein hat die VOS Preetz abgeschlossen,
obwohl gerade dort die Durchlässigkeit der Schule bis ins Feinste ausgestaltet war.'
Für diesen Abbruch aus unerfindlichen Gründen müsse noch den Pädagogen ein
Abschlussbericht gegeben werden, verlangte Meier-Bant, das sei die 'verdammte
Schuldigkeit' des Kultusministers.“184
182
s. Varain, Parteien, S. 276, Anm. 1136
Protokoll LT-SH, 4. WP., 22.08.1962, S. 2917
184
Volkszeitung, 19.09.1962, S. 10
183
94
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Somit versprach eine neue Politikergeneration zur kommenden Wahlperiode nicht nur die
Ergebnisse von Gerlichs Politik näher in Augenschein zu nehmen, sondern auch seine
Einflussnahmen auf dem Weg dorthin kritisch zu hinterfragen.
2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis zu
Trappenkamp
2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps
In seiner Eigenschaft als Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft, über den
Ausschuss für Flüchtlingsangelegenheiten des CDU-Landesverbandes und in anderen
Funktionen war Gerhard Gerlich schon vor seiner Wahl in den Schleswig-Holsteinischen
Landtag am 07.07.1950 mit vielen Projekten von Landsleuten seiner alten Heimat in
Berührung
gekommen.
Nicht
belegt
ist,
ob
dies
seinerzeit
auch
schon
die
Industriesiedlung Trappenkamp in einer Waldfläche südöstlich von Neumünster betraf.
Deren Aufbau aus einem früheren Marinewaffenarsenal und die Weiterentwicklung vor
allen durch sudetendeutsche Flüchtlinge ist in zwei Chroniken von Claus-Dietrich Bechert
(1976) und Stefan Wendt (1992) ausführlich dokumentiert worden. 185
In einer seiner ersten Sitzungen als Landtagsabgeordneter wurde Gerlich am 12.10.1950
bereits zu Beginn vom Landtagspräsidenten und SPD-Abgeordneten Karl Ratz auf eine
Ausstellung mit Trappenkamper Produkten im Kieler Landeshaus aufmerksam gemacht
und dürfte dessen Aufforderung sicher gefolgt sein: „Meine Damen und Herren! Ich eröffne
die 3. Tagung des 4. Schleswig-Holsteinischen Landtages. Ich mache darauf aufmerksam,
daß im Konferenzsaal eine Ausstellung der Gablonzer Schmuckwarenindustrie von
Trappenkamp gezeigt wird. Ich möchte alle Damen und Herren bitten, sich dieselbe
anzusehen.“186
Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976; sowie Wendt, Stefan:
Trappenkamp. Geschichte einer jungen Gemeinde, hrsg. v. der Gemeinde Trappenkamp, Trappenkamp
1992; im Folgenden: Wendt, Trappenkamp
186
Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 5
185
95
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Zum Schluss dieses Sitzungstages war bezeichnenderweise der Landesminister für Arbeit,
Soziales und Vertriebene, der BHE-Abgeordnete Hans-Adolf Asbach ans Rednerpult
getreten und hatte die Abgeordneten erneut auf diese Ausstellung im Frühstücksraum des
Hauses hingewiesen. Bereits im Landtagswahlkampf hatten die neue Partei des BHE
(Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), die CDU (als Hauptteil der bald
gegründeten Wahlblock-Fraktion) und die bisher allein regierende SPD sich als Anwälte
der zahlreichen Flüchtlinge dargestellt und somit um ein besonders in Schleswig Holstein
beachtliches Wählerpotenzial konkurriert.
Hatten Vertreter der inzwischen abgelösten SPD-Landesregierung auch nach dem
Wahlkampf ihre bisherigen Verdienste für die Unterstützung am Ort reklamiert, stellte der
Minister der neuen Regierungsmannschaft dem am 12.10.1950 im Plenum seine
ausgesprochen
lobenden
Worte
für
die
wirtschaftlichen
Eigeninitiativen
in
der
Vertriebenensiedlung gegenüber:
„In Trappenkamp haben in völliger Einsamkeit und unter unerhörtem Einsatz sämtlicher
Beteiligten 61 sudetendeutsche Betriebe ihre Werkstätten errichtet. Vom Zwei-FamilienBetrieb angefangen bis zum 40-Mann-Betrieb sind alle Sparten vertreten. (…) Niemals
habe ich ein solches Beispiel eines unerhörten Einsatzes und der Selbsthilfe gesehen wie
in Trappenkamp. Diese Ausstellung ist ein Beweis dafür, daß Vertriebenenbetriebe,
gesund geleitet, in kürzester Zeit einen erstaunlichen Exportfaktor darstellen können. Und
sie ist zweitens ein weit über die Grenzen unseres Landes hinausgehender Beweis dafür,
daß Vertriebenenbetriebe und die Vertriebenen selbst keine Belastung zu sein brauchen,
sondern ein Faktor aufbauender Wirtschaftmacht und Tatkraft sind.“ 187
In den nächsten Tagen war wie in der gesamten Landespresse auch in der
sozialdemokratisch geprägten Volkszeitung von Verhandlungen des Sonderbeauftragten
des Sozialministeriums für Trappenkamp, Bürgermeister Herbert Wegener, zu lesen, die er
mit Finanzminister Kraft und Sozialminister Asbach über Unterstützungsleistungen der
Wirtschaft am Ort führte. Diese galten den verarbeitenden Betrieben, insbesondere aber
der zentralen Hohl- und Farbglashütte Trappenkamp. Wegener vermeldete in den
Folgemonaten wechselnde Erfolge auf der Suche nach Gesellschaftern, denen
187
Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 77
96
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
presseöffentlich hohe Fördermittel in Aussicht gestellt wurden, bis diese Initiative im April
1951 vorläufig in einem Streit von Gläubigern endete.
Seit dieser Zeit nahmen Vertreter Trappenkamps im benachbarten Bornhöved an
Sitzungen der Gemeindevertretung teil, um die Interessen ihres wachsenden Ortsteils zu
wahrzunehmen. Der Abgeordnete Gerhard Gerlich engagierte sich in dieser Wahlperiode
vor allem in den Ausschüssen für Heimatvertriebene, Volksbildung und Volkswohlfahrt, so
dass ihn derartige Presseberichte weniger unter finanziellen oder wirtschaftlichen
Aspekten, sondern in Hinsicht auf die Bereiche Soziales und Bildung interessiert haben
dürften.
Die wirtschaftlichen Probleme der Gemeinde Trappenkamp führten im Juli 1952 zu einem
Dringlichkeitsantrag des Wirtschaftsministers auf „Regelung der Liegenschaften in der
industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“, den stellvertretend Ministerpräsident
Lübke einbrachte und begründete. Dieser verwies in der Sitzung am 15.07.1952 auf die
gestiegene Beschäftigtenzahl von 600 Arbeitskräften, den steigenden Export der
Schmuck- und Glaswarenerzeugnisse auf dem Weltmarkt und betonte, dass auf seine
Veranlassung hin neue Kreditmittel für den Ausbau der dortigen Glashütte bewilligt
wurden. Für seinen Antrag, Liegenschaften im Landesbesitz in eine zu bildende
Ausbaugesellschaft einbringen zu können, bat er die Landtagsabgeordneten inklusive
Gerhard Gerlich um Zustimmung.
Auch der SPD-Abgeordnete Walter Damm betonte in der Debatte die vielen und teils
vergeblichen Bemühungen, die zuvor auch die SPD-Landesregierung für die Entwicklung
am Standort unternommen hatte, riet aber wie Abgeordnete aller Fraktionen zu einer
sorgfältigen Beratung im Wirtschaftsausschuss. Kurioserweise wähnte Ministerpräsident
Lübke dabei die Lage von Trappenkamp im Kreis Flensburg, wie auch der nachfolgende
SPD-Abgeordnete Lechner diesen Ort fälschlicherweise dem Kreis Eckernförde
zuordnete. Gleichwohl schloss der Regierungschef mit der Aufforderung an einzelne
Abgeordnete, diese Ansiedlung und ihr Potenzial persönlich zu besichtigen. 188 Ob Gerhard
Gerlich dieser Ermunterung schon im Jahre 1952 Folge leistete, ist nicht nachweisbar.
188
Protokoll LT-SH, 2.WP., 15.07.1952, S. 55-63
97
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Der Ortschronist Claus-Dietrich Bechert führt in diesem Zusammenhang einen Brief des
Wirtschaftsministeriums vom 07.08.1952 an die Landtags-Ausschüsse für Wirtschaft und
Finanzen an, nach welchem die Ausbaupläne der (von den Fraktionen des Wahlblocks
und des BHE getragenen) Landesregierung für die Gemeinde Trappenkamp bereits eine
Lösung dieses Ortsteils von der Gemeinde Bornhöved absehbar vorzeichneten. 189 Eine
wirtschaftliche wie soziale Instabilität in dem wachsenden Ort wurde durch die Insolvenz
einer sogenannten Genossenschaft der „Trappenkamper Glas- und Schmuckwaren
GmbH“ im Juli 1952 offenkundig, in deren Folge sich im Januar 1953 zwei konkurrierende
Nachfolgeorganisationen gründeten, an deren einer unter anderem die Wolfgang Beckert
KG (Lederwaren) beteiligt war. Der Inhaber, ein aufstrebender junger Geschäftsmann
sollte in den Folgejahren einer der engsten Vertrauten Gerhard Gerlichs und der erste
Bürgermeister von Trappenkamp werden.
Zur Jahresmitte 1953 ließ sich Wirtschaftsminister Hermann Böhrnsen in Bad Segeberg
von Landrat Alnor über die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung Trappenkamps informieren,
die auch der Referent für Glas und Keramik im Wirtschaftsministerium durch einige
Ansiedlungswünsche von Betrieben aus dem Ausland bestätigt sah. 190 Die Notwendigkeit
von Wirtschaftsförderung und Investitionen für gesteigertes Wachstum stand auch für
einen Redakteur der SPD-nahen Volkszeitung im Vordergrund, als er in dem Artikel
„Trappenkamp am Wendepunkt“ eine kritische Bilanz von gescheiterten Initiativen in
sozialen Bereichen sowie der jüngeren Regierungspolitik für den Ort zog:
„Mit Trappenkamp ist viel experimentiert worden. Vor drei Jahren verkündete einmal ein
'Sonderbeauftragter' des Sozialministeriums, daß man Trappenkamp in zwei Jahren auf
eine Einwohnerzahl von 6000 mit den entsprechenden Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten
bringen wolle. Solche Prognosen sind völlig abwegig. Es steht aber fest, daß
Trappenkamp erst dann krisenfest sein wird, wenn die Zahl von etwa 1000 Beschäftigten
erreicht ist. Es gilt also neue Betriebe anzusiedeln.“191
In dem überwiegend ländlich strukturierten Bundesland Schleswig-Holstein und bei einer
krisenanfälligen Wirtschaftsstruktur in einer Randlage nahm der Ort allerdings eine
Bechert, Chronik, S. 80/81
Kieler Nachrichten, 02.06.1953, S. 4
191
Volkszeitung, 16.01.1954, S. 10
189
190
98
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Sonderstellung
ein
und
bekam
schließlich
vorbildhaften
Charakter:
„Die
Industrieansiedlung Trappenkamp galt als das markanteste Beispiel für den industriellen
Aufbau in Schleswig Holstein: nach intensiver Förderung durch die Landesregierung
entstand hier unter der Leitung von Vertriebenen aus dem Sudetenland eine Glasindustrie,
die 1954 bereits einen Umsatz von 2,8 Millionen DM mit stark ansteigender Tendenz
vorweisen konnte.“192
Die deutlich unterschiedlichen Entwicklungen zwischen dem mit Betrieben, Arbeitskräften
und Anwohnern expandierenden Trappenkamp gegenüber dem in ländlichen Strukturen
verbliebenen Bornhöved führten bei begrenzten Finanzmitteln und einer fortwährenden
Mehrheit von Alteingesessenen auf den Sitzungen der gemeinsamen Gemeindevertretung
zu Spannungen. So kam es im August und September 1954 zu ersten Initiativanträgen,
Trappenkamp aus dieser Gemeinde auszugliedern, die von dem Bornhöveder
Bürgermeister Edwin Dobrint nicht weiter bearbeitet, sondern zu den Akten gelegt
wurden.193
Für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der Trappenkamper Geschäftsleute
musste auch eine Bilanz in der Segeberger Zeitung vom 07.05.1955 unter dem Titel „So
baute Bornhöved in zehn Jahren auf. Auch das Pflegekind Trappenkamp überwand so
manche Kinderkrankheit“ abträglich erscheinen.Darin hieß es zu einer Beschreibung von
angesiedelten Betrieben, dem Umbau von Bunkern zu Wohnungen und der Einschaltung
der „Nordmark“-Wohnungsbaugesellschaft unter anderem: „Werfen wir noch einen Blick
auf den Ortsteil Trappenkamp, dessen Entwicklung Bornhöved in jeder nur möglichen
Weise gefördert hat, wobei zu betonen ist, daß die Gemeinde Bornhöved rein finanziell
einfach gar nicht in der Lage war, den Wünschen der Trappenkamper immer zu
entsprechen.“
Auf diese positive Darstellung der Gemeinde Bornhöved folgte eine Woche später die
Notiz in der Segeberger Zeitung, dass Bürgermeister Dobrint mit großer Mehrheit
wiedergewählt worden war. Aus Trappenkamper Perspektive dürfte an dem Artikel
„Bornhöved weiter auf bewährtem Kurs“ angesichts des Umgangs mit ihren bisherigen
Initiativen allerdings die betonte Einmütigkeit in der Gemeindevertretung fragwürdig
192
193
Struck, Lübke, S. 61
s. Bechert, Chronik, S. 81 u. Wendt, Trappenkamp, S. 158
99
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
erschienen sein. Auf dieser war zudem aus Paritätsgründen beschlossen worden, jede
dritte öffentliche Sitzung in Trappenkamp abzuhalten. 194
In dieser Zeit setzte ein zielgerichteter Umgang der Trappenkamper Gemeindevertreter im
Umgang mit ihren Kollegen in Bornhöved zum Durchsetzen ihrer Interessen ein. Diese
deutliche Veränderung passt zu der Erklärung von Walter Holey, einen ihm persönlich
bekannten Landtagsabgeordneten einzuschalten und dessen Erfahrung, Geschick und
gute Verbindungen zu entscheidenden Stellen zu nutzen: „Ich habe 1955 den Anstoß
gegeben, daß Dr. Gerlich als Berater für die Selbständigmachung der Gemeinde
beigezogen wurde, da ich ihn durch die Zusammenkünfte der Sudetendeutschen
Landsmannschaft kennen gelernt hatte und von seinem Wirken wußte.“ 195
Bei der Einweihung der „Dr. Gerlich-Schule“ am 12.03.1969 an diesem Ort hatte
Bürgervorsteher Ernst Schöffel in seiner „Laudatio post mortem“ hingegen einen früheren
Zeitpunkt angenommen: „Dr. Gerhard Gerlich gehörte seit 1950 zu den besonderen
Förderern der Industriegemeinde Trappenkamp.“ 196 Spezifischere und entsprechend
wahrscheinlichere Angaben machte dagegen Walter Holey in seiner kurzen Rede bei
demselben Anlass und führte zu seinen damaligen Mitstreitern für ein weiteres
strategisches Vorgehen aus:
„Als erster Siedler in Trappenkamp im Jahre 1946 halte ich es für meine Pflicht und mein
Recht, heute und dieser Stelle unserem Landsmann Dr. Gerhard Gerlich die Ehre zu
erweisen und die Anerkennung zu zollen, die ihm gebühren. Er war es allein, der in den
verschlungenen Wegen der Bürokratie und den Unwägbarkeiten der Politik diejenigen
Türen zu öffnen wußte, die für die Siedlung Trappenkamp in kürzester Zeit zur
Selbstverwaltung führten. Er führte vor allem unsere Landsleute Wolfgang Beckert und
Otto Hub in den zuständigen Ämtern ein und vertrat die Siedlung mannhaft im Landtag, wo
es nicht wenige Gegner der Neugründung gab." 197
194
Segeberger Zeitung, 13.05.1955, S. 5/6 u. 14.05.1955, S. 6
Holey, Ansprache (vom 12.03.1969)
196
Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „GerhardGerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3 [Privatbesitz]
197
Holey, Ansprache (vom 12.03.1969)
195
100
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Schon im Folgemonat überraschte auf der Bornhöveder Gemeindevertretersitzung
ein von Trappenkamper Seite eingebrachter Antrag auf eine bessere Wirtschaftsförderung
der Industrie-Siedlung. Dazu gab der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert eine derart
professionell formulierte, analytisch strukturierte und eine klare Handlungsanweisung
vorgebende Begründung ab, dass die Federführung Gerlichs bereits hier naheliegt. Es
wäre einem jungen Lederwarenfabrikanten kaum zuzutrauen gewesen, von allein
derartige
Vertragsdetails
Wohnungsbaugesellschaft
zwischen
zu
dem
Kieler
analysieren,
die
Finanzministerium
Erfordernis
eines
und
einer
höheren
Finanzierungsanteils aus dem Gemeindehaushalt zu begründen und die verantwortlichen
Akteure vor Ort erstmals auf konkrete Initiativen bei Landesministerien wegen deren
spezieller Förderprogramme verpflichten zu können.
Zudem initiierte Beckert bei dieser Gelegenheit die Wahl eines entsprechenden
handlungsbefugten Gremiums, in dem neben Bürgermeister Dobrint und anderen ihm
ebenfalls eine strategisch nützliche Stellung mit Steuerungsmöglichkeiten zukam. Auch
das von Gerlich bekannte Stilmittel der Zuspitzung bei offenen Konstellationen, um mit
Druck drastisch deutliche Entscheidungen herbeizuführen, fand sich in dem Redebeitrag
Beckerts wieder: „Man muß die heutige Situation in Trappenkamp als ernst, als sehr ernst
bezeichnen. Die Lage in Trappenkamp ist so ernst, daß, wenn es nicht gelingt, sie in den
verbleibenden Monaten dieses Jahres zu lösen, Trappenkamp im nächsten Jahr
vollkommen zum Absterben verurteilt sein dürfte.“ 198
Umgekehrt setzte sich nun auch
Gerlich im Schleswig-Holsteinischen Landtag
nachweisbar für die Interessen Trappenkamps ein. In Zeiten der Wiederbewaffnung und
der Errichtung einer Infrastruktur für die ins Leben gerufene Bundeswehr bestand für die
Siedlung die Gefahr, dass die einst militärisch genutzten Liegenschaften wieder vom Bund
für
deren
Zwecke
in Anspruch
genommen
würden.
Die
Verabschiedung
des
Nachtragshaushalts im Landtag am 11.10.1959 gab Gerlich die Gelegenheit, frühzeitig
Gegenargumente für derartige Planungen zu verbreiten: „Auf die eigentliche Frage des
Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für die Bauvorhaben im
Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag - zurückkommend erklärte Dr.
Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse, vorzeitig diesen
198
Segeberger Zeitung, 06.07.1955, S. 5
101
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde, daß ein militärischer
Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“ 199
Zeitgleich folgte in Trappenkamp der nächste Schritt einer Eskalation, die sowohl für die
nicht eingeweihten Zeitgenossen als auch für die Nachwelt kaum nachvollziehbar war.
Vordergründig hatten sich die Trappenkamper Gemeindevertreter zwar mit ihren Kollegen
aus Bornhöved auf ein professionelles gemeinsames Vorgehen zum Einwerben von
Fördermitteln geeinigt. Stattdessen stritten sie nun öffentlich und offenkundig bewusst
über die vergleichsweise nachrangige Frage, wo genau das gemeinsame Gremium als
nächstes hätte tagen sollen. Für die turnusmäßige dritte Sitzung war die „Gaststätte
Trappenkamp“ vorgesehen gewesen, die aber wegen Konzessionsschwierigkeiten sehr
kurzfristig hatte schließen müssen, denn für den Anfang des Monats war noch die Feier
eines Oktoberfestes dort geplant gewesen. 200
Nun warfen die Repräsentanten Trappenkamps mit Beckert als ihrem Sprecher
Bürgermeister Dobrint öffentlich vor, dass er am Ort eine alternative Tagungsstätten hätte
suchen müssen, anstatt doch wieder nach Bornhöved einzuladen. Beckert forderte auf der
dortigen Sitzung in einer schriftlich vorbereiteten Erklärung von dem Bürgermeister
Aufklärung über die Gründe seiner Entscheidung, warf ihm eine Vertiefung der Spaltung
zwischen den beiden Ortsteilen vor und gab schließlich für sich und andere eine
persönliche Erklärung ab, dass er als angeblich nicht gleichberechtigt anerkannter
Gemeindevertreter seine Mitarbeit vorerst ruhen lasse. 201
Beckert entzog sich damit der Möglichkeit, nachvollziehbare Argumente auszutauschen
und eine konstruktiven Lösung in einem solchen Konflikt zu suchen. Stattdessen strebte er
offensichtlich mit den Mitteln der Zuspitzung und Polarisierung eine Entscheidung und
letztlich Abspaltung aus einer fragilen politischen Verbindung an, wie sie G. Gerlich auf
vergleichbare Weise anderenorts schon strategisch geplant und auf umstrittene Weise
auch durchgesetzt hatte. In dieser Konstellation kam (un)passenderweise am 14.10.1955
eine
Delegation
des
Finanzausschusses
des
Landtags
zusammen
mit
Ministeriumsvertretern zur Besichtigung von Betrieben und Wohnungen, die in ehemaligen
199
Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9
s. Segeberger Zeitung, 29.09.1955, S. 5
201
s. Segeberger Zeitung, 14.10.1955, S. 5 u. Bechert, Chronik, S. 81/82
200
102
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Bunkern eingerichtet worden waren. Im Rahmen dieses ersten von vielen auswärtigen
Besuchen dieser Art bekamen bei Gesprächen mit Anwohnern, Arbeitnehmern und
Arbeitgebern auch Bürgermeister Dobrint und die Trappenkamper Gemeindevertreter
Gelegenheit, ihre Positionen zu vertreten. 202
Ein offenkundig angestrebtes Ziel schien schon wenige Tage später erreicht worden zu
sein, als die Segeberger Zeitung am 19.10.1955 von der nächsten Sitzung unter der
Schlagzeile „Trappenkamp will selbständig werden. Bornhöveds Gemeindevertretung
geschlossen
für
die
Loslösung“
berichtete.
So
war
im
Unterschied
zu
der
vorangegangenen Sitzung auf Vorschlag von Bürgermeister Dobrint bewusst sachlich und
leidenschaftslos fünf Stunden lang über den erneuerten Antrag von Trappenkamper Seite
auf eine Selbstständig-Machung vom August 1954 debattiert worden.
Nach Erläuterungen des Wortführers Beckert wurde in einer gemeinsamen Erklärung
erneut das finanzielle Argument angeführt, dass die Gesamtgemeinde wegen der geringen
Finanzkraft beider Partner nicht in der Lage sei, den besonderen kommunalen Bedarf
Trappenkamps rasch und ausreichend zu erfüllen. Nach dem erfahrenen Druck wurde den
Bornhövedern die einmütige
Entscheidung zur Abspaltung oder Loslösung durch die
formulierte Erwartung erleichtert,
„daß seitens des Landes der neuen Gemeinde
Trappenkamp die zur Erhaltung der lebensfähigen Fähigkeit erforderlichen Geldmittel
zugestanden werden.“203 Der anstrebte Termin 01.04.1956 ließ dabei ebenfalls eine tiefere
Kenntnis der verwaltungstechnischen Verfahren und Fristsetzungen in den zuständigen
Ministerien erkennen.
Ähnlich
gut
vorbereitet
Wirtschaftsministers
folgte
Hermann
am
26.10.1955
Böhrnsen
der
zusammen
hochrangige
mit
dem
Besuch
des
Leiter
der
Kommunalabteilung im Innenministerium, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses
Hans Kersig und Vertretern des Kreises Segeberg. Diese besprachen mit den hiesigen
Gemeindevertretern und Bürgermeister Dobrint die Ausgestaltung und die finanziellen
Grundlagen der am 18.10.1955 beschlossenen selbstständigen Gemeinde Trappenkamp:
„Die Trappenkamper betrachten diesen Ministerbesuch, dem noch vor wenigen Tagen ein
Besuch des Landtagsausschusses für Finanzen vorausgegangen war, als ein erfreuliches
202
203
s. Segeberger Zeitung, 15.10.1955, S. 5
Segeberger Zeitung, 19.10.1955, S. 5
103
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Zeichen des großen Interesses, welches in Kiel der Entwicklung Trappenkamps
entgegengebracht wird, und sie hoffen auf günstige Beschlüsse von Landesregierung und
Landtag.“204
Auch bei dieser Gelegenheit wurde die sehr wahrscheinliche Mitwirkung des
Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich mit seinen bekanntermaßen guten Kontakten im
Landtag und zu höchsten Stellen in Landesministerien für die Anregung und Durchführung
derartiger Besuche augenscheinlich. Dahinter war ein komplexerer weitergehender Plan
erkennbar, auch wenn Walter Holey in einem späteren Rückblick zu dem Wechselspiel
zwischen dem Strategen Gerlich im Hintergrund und seinen durchführenden Vertrauten
am Ort wie Wolfgang Beckert die Zeitabfolge fälschlicherweise umgekehrt erinnerte:
„Mit Wolfgang Beckert als Bürgermeister, einem jungen dynamischen Landsmann aus
Böhmisch Leipa, der selbst als Inhaber einer Lederwarenfabrik hier tätig war und der
schon viel zur Selbständigwerdung der Gemeinde beigetragen hatte, ging es dann wirklich
voran. Und natürlich mit der Hilfe des Landes. Eine Schule und eine Turnhalle wurden
gebaut, Straßen befestigt, die Straßenbeleuchtung eingerichtet, Wohnungen gebaut und
der Bau der Kanalisation wurde begonnen. Beckert suchte die Verbindung zu unserem
Landsmann Dr. Gerlich, einem Mitglied des Landtags, der nicht ohne Einfluß im Lande
war.“205
Zutreffender schilderte dagegen Klaus Deneke die Initiatorenschaft und den Einfluss
Gerlichs auf die verschiedenen Beschlüsse des Landeskabinetts zum Erhalt der
Industriesiedlung und der Selbstständigwerdung Trappenkamps zu einer Gemeinde.
Dazu
zählte
auch
die
Berücksichtigung
von
deren
Projektanträgen
in
den
Landeshaushalten der folgenden Jahre: „In nahezu allen Bereichen hatte er Einfluss, was
ihm auch die Bezeichnung 'Graue Eminenz' der CDU-Fraktion einbrachte. Er liebte es, aus
dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen Einfluss spielen zu
lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im Einzelnen alles
bewirkte.“206
Segeberger Zeitung, 27.10.1955, S. 4
Heerdegen, Manfred/ Holey, Walter: Isergebirgler und ihre Glas- und Schmuckindustrie in Holstein,
Baden und im Taunus, Schwäbisch Gmünd 2007, S. 10/11
206
Deneke, Materialien, S. 19
204
205
104
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Diese Art des Vorgehens hatte Gerlich auch anderenorts mit großem Erfolg praktiziert, wie
an den vorhergehenden Kapiteln über seine Lebensstationen in der Nachkriegszeit
nachzuvollziehen sein dürfte. Gerlichs weitgehender Verzicht auf eine augenfällige
Beteiligung hat die Suche nach den seltenen Belegen für seine Planungen und direkte
Mitwirkung an Aktionen (mehr als bei dem offenkundigeren Einbeziehen und
Instrumentalisieren Dritter für die Durchsetzung seiner Ziele) erschwert. Unter diesen
Voraussetzungen hat auch Klaus Deneke seine Broschüre „Materialien zur Person von Dr.
Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinden
Trappenkamp und Bornhöved“ erstellt und konnte 2007 zu dem Wechselspiel zwischen
Wolfgang Beckert und Gerhard Gerlich feststellen:
„Die beiden Sudetendeutschen waren befreundet, und Beckert ging im Hause Gerlich in
Neumünster ein und aus. Außerdem liegt Trappenkamp auf der Achse Neumünster - PlönSüd, so dass Dr. Gerlich bei Reisen zu seinem Wahlkreis Gelegenheit hatte, in
Trappenkamp bei Beckert vorbeizuschauen. Zudem war Beckert sehr oft in Kiel, um seine
Pläne zum Ausbau und zur Entwicklung seiner Gemeinde in den Ministerien
voranzutreiben. Dabei war ihm Dr. Gerlich in allen Phasen behilflich.“ 207
Als ein Ausdruck dieses erfolgreichen Wechselspiels war zum Jahresende 1955 in der
Segeberger
Zeitung
unter
der
Trappenkamps. Landesmittel für
Überschrift
„Kiel
überprüft
Verselbständigung
Sofortmaßnahmen in der Industriesiedlung“ von
Einzelmaßnahmen zur Infrastruktur am Ort zu lesen. Diese waren nach einem
ausführlichen Bericht des Wirtschaftsministers von dem Landeskabinett als Hilfs- und
Aufbaumaßnahmen für die Industriesiedlung beschlossen worden und sollten aus dem
Nachtragshaushalt sowie dem des Folgejahres finanziert werden. Für die Pläne von
Beckert und Gerlich war die Aussicht auf eine weitere Entscheidung im Jahr 1956
mindestens ebenso bedeutsam: „Die Frage der Verselbständigung Trappenkamps, das
bisher als Ortsteil der Gemeinde Bornhöved zugehört, wird noch abschließend geprüft
werden.“208
207
208
Deneke, Materialien, S. 18
Segeberger Zeitung, 14.12.1955, S. 5
105
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp
In Ergänzung der Darstellungen in den Ortschroniken von Claus-Dietrich Beckert und
Stefan Wendt kann der Ablauf zur Selbstständigkeit der Gemeinde Treppenkamp im Jahr
1956 anhand von Artikeln der Segeberger Zeitung nachvollzogen werden, wobei auch hier
nur seltene Male die direkte Mitwirkung von Gerhard Gerlich an diesen Abläufen sichtbar
wird. Auf Anfrage der Redaktion hatte Bürgermeister Dobrint zu Beginn des Jahres 1956
bestätigt, dass die Muttergemeinde Bornhöved zwar der Ausgemeindung des Ortsteils
Trappenkamp auf deren Wunsch zugestimmt habe, dass nach seinen Informationen die
Landesregierung in Kiel diese Frage aber erst in nächster Zeit auf einer Kabinettssitzung
prüfen werde.209
Er
fügte
am
13.01.1956
Gemeindevertretung
hinzu,
Bornhöved
auf
dass
ihrer
erst
nach
deren
entsprechenden
Entscheidung
öffentlichen
die
Sitzung
zusammentreten könne, um ferner die unterschiedlichen Positionen bei Finanzen oder
Gebietsabtretungen nur im Einvernehmen mit Bornhöved, Trappenkamp und der
Kommunalaufsicht
auflösen
zu
können:
„Falls
entsprechende
Beschlüsse
zur
Zufriedenheit aller Parteien nicht herbeigeführt werden können, müssen nach der
schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung die strittigen Fragen vom Innenminister, im
Kabinett oder sogar auch vom Landtag entschieden werden“ 210
Diese Konstellation sollte sich im weiteren Verlauf als strategischer Vorteil für Gerlich und
seinem Trappenkamper Vertrauten Beckert erweisen, zumal der betreffende Minister
Helmut Lemke praktischerweise auch die Funktion des CDU-Kreisvorsitzenden von
Segeberg
innehatte.
Dieser
nahm
beispielsweise
am
19.01.1956
in
einer
Kreisausschusssitzung der Partei in Bad Segeberg zu dem aktuell kritisch diskutierten
„Fall Gerlich“ über die Zukunft der Ostgebiete und zu der Notwendigkeit von
staatsbürgerlichem Engagement bei der Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens
Stellung, wie er es auch am 06.02.1956 im Landtag durch Gerlich bewirkt zu tun hatte. 211
s. Segeberger Zeitung, 04.01.1956, S. 4
Segeberger Zeitung, 13.01.1956, S. 4
211
s. Segeberger Zeitung, 19.01.1956, S. 5
209
210
106
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Anfang Februar 1956 initiierte der „Bürger- und Gewerbeverein Bornhöved“ unter
Beteiligung
anderer
Organisationen
eine
Veranstaltung
über
den
aktuellen
Informationsstand, an der auch die interessierten Gemeindevertreter aus Trappenkamp
teilnahmen. Diese Versammlung unterlag nicht den allgemeingültigen Regularien einer
offiziellen Gemeindevertretersitzung und könnte somit als Vorbild für eine Krisengremium
Beckerts im Sommer 1956 gedient haben. Bei diesem Treffen benannte Bürgermeister
Dobrint besonders die zu verhandelnden Grenzänderungen und finanzielle Differenzen als
künftige Themen und mahnte eine gerechte Berücksichtigung der Interessen
an:
„Bornhöved habe Verständnis für Trappenkamp, aber Trappenkamp müsse auch
Verständnis für Bornhöved haben. Man dürfe aber nicht in den Fehler verfallen, daß man
Bornhöved über die Ausgemeindung Trappenkamps kaputt mache.“ 212
Zu einer nicht korrekten Informationspolitik von Landesseite erklärte Dobrint mit Bedauern,
„daß er als Bürgermeister in den letzten Wochen und Monaten von den zuständigen
Stellen (Landesregierung) nicht so über den Stand der Entwicklung unterrichtet worden
sei, wie es nach seiner Auffassung erforderlich gewesen wäre.“ Demgegenüber
präsentierte sich der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert als Sprecher Trappenkamps
bereits als deutlich besser instruiert und kritisierte mit diesem Vorteil auf aufreizende
Weise, wie sie auch von Gerlich bekannt war, seinen Vorredner: „Auch Bürgermeister
Dobrint wäre sicherlich bei den zuständigen Stellen die erforderliche Aufklärung zuteil
geworden, wenn er über den Stand der Entwicklung nachgeforscht hätte.“ Vermutlich hatte
eine Vorarbeit Gerlichs über Innenminister Lemke und dessen Verwaltungsapparat dazu
beigetragen, dass Beckert ohne Bedenken öffentlich versichern konnte: „Trappenkamp
füge sich jedem Beschluß, den die Landesregierung im Verfolg der Ausgemeindung zu
fällen habe.“213
In Vertiefung dieses Ungleichgewichts war eine Meldung, „wie von gut unterrichteter Seite
verlautet“, über die Absicht der Landesregierung, die Industriesiedlung bis zum 01.04.1956
aus der betroffenen Muttergemeinde Bornhöved auszugliedern, in der Ausgabe vom
14.02.1956 platziert worden. Aber zum offiziellen Kenntnisstand vermeldete die
Segeberger Zeitung am 21.02.1956: „Informationen stehen noch aus“.
212
213
Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5
Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5
107
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Damit kontrastierte allerdings das ausführliche Referat des Hauptredners Wolfgang
Beckert,
als
dieser
am
28.02.1956
auf
einer
Einwohnerversammlung
in
der
Trappenkamper Gastwirtschaft „Erholung“ über eine detaillierte Verteilung von insgesamt
610.000 DM referierte, die vom Landtag als Wirtschaftshilfe für Trappenkamp beschlossen
seien. Seinen gewiss durch Gerlich beförderten Informationsvorsprung (auch gegenüber
dem eigentlich zuständigen Bürgermeister von Bornhöved) begründete Beckert damit,
„daß das Problem Trappenkamp zuerst größter Vorsicht bedurft und den Charakter der
Vertraulichkeit getragen hätte.“
Schon in der Titulierung wirkte seine Gegenüberstellung der Differenzen „zwischen der
Bauerngemeinde Bornhöved und dem Ortsteil Treppenkamp mit seiner Industrie“ auf
bekannte Weise polarisierend. Zudem übte Beckert mit seiner öffentlichen Bewertung der
Vorschläge der Kreis- Kommunalaufsicht (z.B. zum Überlassen des gesamten
Arsenalgeländes und der anteilsmäßigen Finanzierung von Schulbau und Straßenbau)
indirekt Druck auf die am Folgetag getrennt tagenden Gemeindevertretersitzungen aus.
Abschließend formulierte er wohl kaum uneigennützig die Perspektive: „In diesem Fall
würde Trappenkamp Mitte März einen komm.[isssarischen] Bürgermeister erhalten.“ 214
Dass bei Beckerts aufgezählten Infrastrukturprojekten die Belange des Schulbaus einen
größeren Raum einnahmen, korrespondierte dabei mit dem bekannten Umstand, dass der
Landtagsabgeordnete Gerlich den Schwerpunkt seiner politischen Arbeit ab 1952 vom
Ausschuss für Heimatvertriebene auf den Bildungsausschuss verlagert hatte. Nach
weiteren Sitzungen dieser Gremien und des Kreisausschusses von Segeberg fassten die
Gemeindevertreter gemeinsam in Bornhöved den Beschluss zu der angestrebten
Ausgemeindung, so dass die Segeberger Zeitung am 09.03.1956 die Nachricht
„Trappenkamp wird selbständige Gemeinde. 14 Ja-Stimmen und eine Enthaltung. Gut
nachbarliche Beziehungen“ vermelden konnte. Ergänzend zu Details über erste
Gebietsabtretungen und der Trappenkamper Übernahme von Kostenbeteiligungen in Form
von Darlehen wurde mit entsprechend gutem Hintergrundwissen bereits eine für den 13.
März wahrscheinliche Zustimmung des Landeskabinetts angekündigt.
Tatsächlich aber ließ die Regierung sich nicht von einer derart interessierte Seite unter
Zeitdruck setzen und so konnte erst mit der Entscheidung am 19.03.1956 dieser
214
Segeberger Zeitung, 29.02.1956, S. 5
108
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
rechtskräftige Beschluss nach § 15 Gemeindeordnung mit der Wirkung zum 01.04.1956
vermeldet werden.
215
Diesen Schritt begründete Ministerpräsident von Hassel später in
Anwesenheit Gerlichs bei der Landtagsdebatte am 28.05.1956 in Zusammenhang mit dem
Problem, ob in der Folge nicht auch in Bornhöved eine Neuwahl stattfinden müsste: „Wie
Ihnen bekannt sein wird, hat die Landesregierung mit Wirkung vom 1. April 1956 die
Gemeinde Trappenkamp aus der Gemeinde Bornhöved ausgegliedert, weil wir der
Meinung waren, daß damit beiden Teilen - nämlich der Gruppe Trappenkamp, die ihren
Aufbau in einer besonderen Situation vollzieht, aber auch der Gemeinde Bornhöved - ein
großer Gefallen getan worden ist.“ 216
Mit dem Artikel über die Zustimmung in Bornhöved war in der Segeberger Zeitung am
09.03.1956 zugleich ein Bericht über einen Vortrag von Gerhard Gerlich erschienen, den
dieser bei der Feierstunde der Ortsgruppe Trappenkamp am 03.03.1956 als Mitglied der
Landsmannschaft der Sudetendeutschen zum Thema „Selbstbestimmungsrecht und
Recht auf Heimat“ gehalten hatte. In diesen Wochen erschienen weiterhin höchst kritische
Leserbriefe gegen seine umstrittenen Positionen zur Zukunft der ehemals deutschen
Ostgebiete. So diente es wohl der persönlichen Imagekorrektur wie auch der
Unterstützung Beckerts sowie ihrer sudetendeutschen Landsleute am Ort, dass Gerlich
seine Ideen über eine Neuordnung der Räume von Lübeck zur Donau mit dem
versöhnlichen Geist der Völkerverständigung aller Menschen erklärte, die in Europa ihre
Heimat verloren hatten.
In den folgenden Wochen wurde Trappenkamp auf Beschluss des Innenministers Lemke und sicher nicht ohne Empfehlung Gerlichs - nun von Beckert kommissarisch verwaltet,
der sich bei der Vorbereitung dieser ersten Wahl am Ort mit derartiger Gestaltungsmacht
und mit seinen erkennbar guten Verbindungen zu Landtagsabgeordneten wie zur
Regierungsspitze weiter bekannt machen konnte. Als die Segeberger Zeitung am
18.05.1956 die Namen der insgesamt 24 Kandidaten für sechs Direktwahlbezirke und fünf
Listenplätze
für
die
Wahl
am
28.05.1956
präsentierte,
fand
sich
unter
den
Wahlvorschlägen der vier teilnehmenden Parteien CDU, GB/BHE, SPD und FDP unter
denen der letztgenannten auch der Name von Wolfgang Beckert. Dessen Beitrag nahm in
der Berichterstattung der Segeberger Zeitung vom 26.05.1956 naturgemäß den breitesten
215
216
Segeberger Zeitung, 21.03.1956, S. 5
Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.05.1956, S. 1721
109
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Raum ein, als die gute besuchte Einwohnerversammlung mit Vorstellung aller 24
Kandidaten in der Gastwirtschaft „Zur Erholung" im Klima einer bemerkenswerten
Einmütigkeit und betonten Sachlichkeit beschrieben wurde.
In seiner doppelten Eigenschaft als kommissarischer Bürgermeister und FDP-Kandidat
konnte Beckert die beginnenden Straßenbauarbeiten am Ort wie auch Haushaltspläne zur
Ansiedlung von Betrieben für sich in Anspruch nehmen und betonte, dass von dem Geld,
das Trappenkamp gegeben werde, kein Flickwerk gemacht werden solle: „Mein
persönlicher und der Wunsch meiner Partei ist es, einzig und allein an das Wohl
Trappenkamps zu denken.“217 Nach ihm betonte SPD-Sprecher Erwin Wengel ohne
Widerspruch „die Einmütigkeit und gute Zusammenarbeit mit allen bürgerlichen
Fraktionen. Alle Trappenkamper Belange seien gemeinsam erarbeitet worden.“
Demgegenüber
stellte
CDU-Sprecher
Erich
Pohl
für
seine
Partei
das
gute
Vertrauensverhältnis zum Kreis und zur Landesregierung heraus. Insgesamt hatten sich
alle Richtungen so sehr an einen politischen Burgfrieden und pfleglichen Umgang
miteinander gehalten, dass es erstaunlicherweise keinen Bedarf an Anmerkungen oder
Fragen an einen Kandidaten mehr gegeben hatte: „Da keine einzige Wortmeldung in der
Diskussion vorlag, konnte die gut besuchte Versammlung nach längerer Pause
geschlossen werden.“218
Während der Bericht in der Segeberger Zeitung über diesen ungewöhnlich friedfertigen
und gemeinschaftlichen Wahlkampfabschluss am Folgetag auch in Trappenkamp zu lesen
war, spitzten sich am Ort die Turbulenzen an diesem Tag vor diesem ersten Wahlgang als
selbstständige Gemeinde zu. Der Ablauf des 27.05.1956 ist vor allem aus einer
Landtagsdebatte vom 03.07.1956 mit höchst streitigen Beiträgen zu rekonstruieren, in
deren Mittelpunkt nicht unerwartet Gerhard Gerlich stand. Insoweit er und sein
Hauptkontrahent Gerhard Stracke (SPD) sich in dieser Kontroverse nicht widersprachen,
waren demnach bis zu der geschilderten Einwohnerversammlung am Freitagabend
tatsächlich die von örtlichen Vertretern getroffenen Vereinbarungen eingehalten worden,
im Wahlkampf auf den Einsatz von Spitzenpolitikern der Landes- und Kreisebene oder von
217
218
Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5
Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5
110
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Ministern zu verzichten.219
Allerdings hatten am nächsten Morgen sowohl CDU als auch BHE offenbar länger
vorbereitete Wahlkampf-Drucksachen als Postwurfsendungen verteilen lassen, auf die die
SPD ihrerseits erst um 17 Uhr mit eigenen Flugblättern reagieren konnte. 220 Diese Abfolge
und Zusammenhänge verunklarte Gerlich in seinem Redebeitrag, als er ohne nähere
Spezifizierung den Vorwurf erhob, „dass die örtlichen Absprachen von den örtlichen
Partnern auf der einen Seite nicht eingehalten werden konnten“, und zudem das
betreffende SPD-Flugblatt mit einem zitierten Text seines Kontrahenten MdL Stracke
anfänglich als Nummer 5/II der „Schleswig-Holstein Post“ darstellte. Aus diesen im
Plenarsaal kaum nachvollziehbaren Zusammenhängen konstruierte er den diffus
formulierten Vorwurf parteipolitischer Einflussnahme auf höherer Ebene (andeutungsweise
seines politischen Gegners von der SPD), dass Absprachen vor Ort „nach entsprechenden
Interventionen von anderswo her“ geändert worden seien. 221
Zu einem landespolitisch beachteten Skandal sollte allerdings nicht das dadurch angeblich
beeinflusste Wahlergebnis selbst, sondern der Umgang der Unterlegenen mit diesem
werden. Noch ohne Kenntnis um diese Reaktion vermeldete die Segeberger Zeitung am
28.05.1956 über das Wahlergebnis „Die SPD führt in Trappenkamp“ mit einer ersten nicht
erwarteten Konsequenz: „Die höchste Stimmenzahl mit 1072 erreichte die SPD, gefolgt
von der CDU mit 518, dem BHE mit 440 und der FDP mit 380 Stimmen. Die SPD brachte
alle von ihr nominierten Kandidaten in direkter Wahl durch. Darüber fiel ihr ein
Überhangmandat zu, obwohl sie nur auf
5 Kandidaten Anspruch hatte. Die übrigen
Kandidaten der CDU, des BHE und der FDP wurden über die Liste gewählt. Angesichts
des Überhangmandates werden in der Trappenkamper Gemeindevertretung nicht nur 11,
sondern 12 Gemeindeväter anzutreffen sein.“ 222
Ein derartiges Ergebnis hätten die Freizeitpolitiker am Ort nicht unbedingt erwarten
können, denn als Gerlich bei den Landtagswahlen im September 1954 im benachbarten
Wahlkreis Plön-Süd als Abgeordneter
wiedergewählt wurde, hatte die CDU in
219
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1871/72
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1874
221
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1872
222
Segeberger Zeitung, 28.05.1956, S. 5
220
111
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Trappenkamp bei jeweils einfacher Stimmabgabe mit 496 Stimmen noch vor der SPD
(446), dem BHE (345) und der FDP (118) gelegen. In dem Artikel folgte der namentlichen
Aufzählung der so gewählten Volksvertreter (ohne den FDP-Kandidaten Wolfgang
Beckert) ein an sich selbstverständlicher Hinweis auf die Konstituierung der ersten
gewählten Gemeindevertretung der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp: „Die neue
Gemeindevertretung wird am 6. Juni sich erstmalig zu einer Sitzung zusammenfinden und
die Wahl des Bürgermeisters vornehmen.“
Dagegen zeigten sich die Spitzenvertreter der drei unterlegenen bürgerlichen Parteien
erstaunlicherweise umgehend für eine solche Eventualität gewappnet. Sie schienen nach
der Darstellung im Artikel „Schildbürger in Trappenkamp. CDU, FDP und BHE stellen
Partei-Egoismus über Gemeindewahlrecht“ der Volkszeitung vom 02.06.1956 keine
Krisensitzung oder ausführliche Beratungen in anderer Form zu benötigen, um einen
weitgehenden Schritt zu beschließen und öffentlich bekanntzugeben: „Unmittelbar nach
Feststellung des Wahlergebnisses wurde von den Vertretungen der drei Parteien
geäußert, daß sie zur Mitarbeit in einem Gemeindeparlament mit einer derart starken
sozialdemokratischen Fraktion nicht bereit seien. Auf keinen Fall sollte die SPD das Amt
des Bürgermeisters besetzen dürfen.“ 223
Die Segeberger Zeitung vom gleichen Tage vermeldete eine Woche nach der Wahl unter
„Gemeindevertreter lehnten Mandat ab“ den offiziellen Vollzug dieser Ankündigung mit
noch weitreichenderen Folgen: „Am gestrigen Freitag haben alle sechs über die Liste in
die Gemeindevertretung Trappenkamp gewählten Kandidaten der CDU, des GB/BHE und
der FDP ihr Mandat in der Gemeindevertretung nicht angenommen. Hieraus resultiert die
nüchterne Tatsache, daß die Gemeindevertretung Trappenkamp nur noch aus den sechs
direkt gewählten Kandidaten besteht, da auch sämtliche übrigen Listenbewerber von CDU,
GB/BHE und FDP auf eine Anwartschaft Verzicht leisteten. Lediglich ein Mitglied des
GB/BHE schloß sich diesem gemeinsamen Vorgehen nicht an und erklärte damit
gleichzeitig seinen Austritt aus dem BHE.“ 224
Ein derartig beliebiges Umgehen mit dem Instrument von Nachrückern bei demokratischen
Wahlen dürfte Gerhard Gerlich, der damit spätestens in der Landtagsdebatte am
223
224
Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2
Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4
112
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
03.07.1956 nachweislich befasst war, an den Versuch seines einstigen Landtagskollegen
Paul Lohmann erinnert haben, sich mit sehr ähnlichen Methoden 1950 zum
Stadtpräsidenten von Neumünster wählen zu lassen. Seinerzeit waren wie nun in
Trappenkamp ebenfalls von keinem Beteiligten plausible Gründe für dieses weitreichende
Vorgehen bekannt gegeben worden.
Dies könnte in diesem aktuellen Fall auch für nicht eingeweihte Funktionäre der eigenen
Partei gegolten haben, da die Volkszeitung von einem zuvor erfolglosen Versuch des
Segeberger CDU-Kreisgeschäftsführers berichtete, „die Vertretung seiner Partei von
diesem undemokratischen Schritt zurückzuhalten.“
225
Vermutlich ebenfalls aus einem
vergleichbaren Mangel an Hintergrundinformationen haben Claus-Dietrich Bechert und
Stefan Wendt sich in ihren Darstellungen zu dieser Episode auf die bloße Tatsache der
Nicht-Annahme der Mandate beschränkt. Zum inhaltlichen Verständnis konnte auch am
03.06.1956 eine nachgeschobene Erklärung der
Trappenkamper Sprecher von CDU,
BHE und FDP nicht beitragen, „daß bei der Kräftekonstellation von sechs SPDGemeindevertretern gegenüber sechs Vertretern von CDU, BHE und FDP eine
Arbeitsmöglichkeit in der Gemeindevertretung nicht gegeben sei.“ 226
Über das Fehlen einer für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Erklärung und die
entsprechenden Konsequenzen hatte die Redaktion der Segeberger Zeitung bereits am
02.06.1956 geschrieben:
„Wie erklärt wurde, sind dem Wahlleiter gegenüber keinerlei Gründe über die
Nichtannahme der Mandate abgegeben worden. Angesichts dieses gegebenen, aber völlig
unerwarteten Umstandes sieht es in der Praxis nun so aus, daß die zum kommenden
Donnerstag einberufene erste Sitzung der Trappenkamper Gemeindevertretung von
vornherein beschlußunfähig ist, also vertagt werden muß.“
Eine solche Strategie der Kandidaten der CDU, des GB/BHE und der FDP wäre nach der
Darstellung der Segeberger Zeitung allerdings auf Dauer fruchtlos geblieben, wenn nicht
Innenminister Lemke oder die ihm unterstellten Behörden nach den üblichen
Ersatzlösungen verfahren hätten können: „Erst in einer erneuten Sitzung, die dann ohne
225
Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2
Segeberger Zeitung, 04.06.1956, S. 5; vgl. Wendt, Trappenkamp, S. 163/64 u. Bechert, Chronik, S. 83
sowie S. 84-88 mit Auszügen aus der Landtagsdebatte am 03.07.1956
226
113
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Rücksicht auf die erschienene Zahl der Gemeindevertreter auf Grund der GemeindeOrdnung ohne weiteres beschlußfähig ist, könnte der erste ehrenamtliche Bürgermeister
und seine beiden Stellvertreter gewählt werden. Welcher Weg der richtige ist, kann im
Augenblick noch nicht überschaut werden und bleibt abzuwarten. Abzuwarten bleibt auch,
wie die Kommunalaufsicht sich zu der immerhin ungewöhnlichen Angelegenheit stellt.“227
Wolfgang
Beckert
hatte
als
FDP-Kandidat
knapp
die
Wahl
in
die
erste
Gemeindevertretung von Trappenkamp verfehlt, aber als regulärer Nachrücker wie die
übrigen 20 Bewerber der drei bürgerlichen Parteien auf der Ersatzliste seine
Nichtannahme erklärt. Zudem verfügte er als weiterhin kommissarischer Bürgermeister
über die Möglichkeit, der Kommunalaufsicht und mit ihr dem Innenminister zu einem
abweichenden Verfahrensvorschlag zu raten. Nach der Gemeindeordnung hatte dieser die
Möglichkeit, einen Beauftragten (den sogenannten Staatskommissar) einsetzen und auf
Beschluss des Landtages Neuwahlen anordnen zu lassen. 228
Wie vielen erfahrenen Landespolitikern musste im Juni 1956 erst recht den sechs
Trappenkamper SPD-Gemeindevertretern die Fantasie gefehlt haben, dass ein Einfluss
auf den Innenminister so weit reichen mochte, dass dieser ausgerechnet Wolfgang
Beckert, der für die ordnungsgemäßen Abläufe verantwortlich war und nun dieses
Dilemma direkt mit bewirkt hatte, erneut diesen Auftrag erteilen sollte. Anderenfalls hätte
der Tischlermeister Erwin Wengel bei der ersten Gemeindevertretersitzung am 07.06.1956
im „Waldrestaurant", die wie angekündigt durch den Boykott beschlussunfähig blieb, im
Namen der SPD-Fraktion kaum öffentlich und ohne jeden Vorbehalt erklärt, „die SPD sei
immer - zu jeder Zeit und auch in der Parität - zur Mitarbeit bereit gewesen. Außerdem
enthält die Erklärung den Hinweis, daß man im Interesse Trappenkamps jeder
Entscheidung zustimmen wird, die die Regierung über das Ergebnis dieser Wahl fällt.“ 229
Die Schlussformel erinnerte deutlich das Vorbild der Erklärung von Beckert in Bornhöved
am 03.02.1956, der politisch allerdings erkennbar professioneller beraten worden war.
Tatsächlich vermeldete die Segeberger Zeitung am 14.06.1956 zusammen mit dem
bevorstehenden Landtagsbeschluss für Neuwahlen zu der betreffenden Personalie: „Als
227
Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4
vgl. Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4
229
Segeberger Zeitung, 08.06.1956, S. 5
228
114
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Staatskommissar für die Gemeinde Trappenkamp hat der schleswig-holsteinische
Innenminister Dr. Helmut Lemke als Vertreter der oberen Kommunalaufsicht den 31 Jahre
alten Fabrikanten Wolfgang Beckert erneut eingesetzt.“ 230
Durch diese sehr umstrittene und möglicherweise nicht freiwillige Entscheidung Lemkes
verhärteten sich die politischen Fronten sowohl am Ort als auch in der Landespolitik, wie
es Gerlich nicht nur gewohnt war, sondern auch gelegentlich selbst bewusst herbeigeführt
hatte. Da an einen politischen Burgfrieden in Trappenkamp wie vormals nicht mehr zu
denken war, konnte ein Auftritt des CDU-Kreisvorsitzenden und Innenministers Lemke am
26.06.1956 im benachbarten Bornhöved als Auftakt zum Vorwahlkampf aufgefasst
werden. So wie Gerhard Gerlich in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 sich
zum Verfechter der Interessen der Sudetendeutschen am Ort deklarierte und
entsprechend polarisierte, so musste in dieser Atmosphäre außerdem die Aufführung
eines Singspiels mit dem Titel „Der Bürgermeister“ durch die Sängergruppe der
sudetendeutschen Landsmannschaft in der Gastwirtschaft „Erholung" für SPD-Anhänger
auf einem „Bunten Abend“ als Provokation aufgefasst werden. 231
Indem Beckert vom Innenminister erneut zum „Beauftragte für die Wahrnehmung der
Geschäfte des Bürgermeisters und der Gemeindevertretung“ berufen worden war, hatte er
in dieser regierungsamtlichen und staatstragenden Rolle die Möglichkeit, die örtlichen
Sprecher der politischen Parteien in Trappenkamp zur Mitarbeit in einem von ihm
bestimmten beratenden Gremium aufrufen. Dem kamen die bisher sich verweigernden
Vertreter von CDU, BHE und FDP selbstverständlich nach, wohingegen die weniger gut
beratenen
SPD-Kommunalpolitiker
durch
ihre
vorschnelle
Erklärung
zu
einer
bedingungslosen Bereitschaft am 07.06.1956 in die Defensive gerieten. So verkehrte die
Segeberger Zeitung am 30.06.1956 mit der Überschrift „SPD will nicht mitarbeiten“ die
Verantwortlichkeiten ins Gegenteil.
Diesen argumentativen Vorteil griff Gerhard Gerlich als der am intensivsten beteiligte
Abgeordnete in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 auf und schilderte aus der
Perspektive Beckerts dessen aufrichtige und gutwilligen Motive sowie entsprechend
glaubwürdige Enttäuschung über den „SPD-Fraktionsführer Wengel“, in dem er spitz
230
231
Segeberger Zeitung, 14.06.1956, S. 4
s. Segeberger Zeitung, 19.06.1956, S. 5
115
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
formulierte: „Bitte, wir wollen doch von jeder politischen Partei wenigstens einen Vertreter
an allen entscheidenden Veranstaltungen und an allen Entscheidungen beteiligen, damit
nach der durchzuführenden Neuwahl mindestens ein Vertreter aus jeder politischen Partei
Bescheid weiß über die Hintergründe der in der Zwischenzeit durchgeführten
Maßnahmen. Daß dann der Sprecher der SPD verspätet, aber um so deutlicher mit einem
Nein reagiert hat, steht irgendwie im Widerspruch zu dem Grundsatz der Bereitschaft zur
Mitarbeit.“232
Zu dem am 03.07.1956 behandelten Tagesordnungspunkt „Antrag des Innenministers betr.
Auflösung der Gemeindevertretung der Gemeinde Trappenkamp, Kreis Segeberg“
berichtete das Flensburger Tageblatt am 05.07.1956: „Alle Fraktionen waren sich einig,
dass das Vorgehen der gewählten Vertreter der CDU der FDP und des BHE nicht zu
billigen ist.“ Lediglich von Gerlich war in der Debatte keine Erklärung dieser Art zu
vernehmen, nachdem Innenminister Lemke diesen Antrag mit Beschränkung auf die reine
Faktenlage so knapp wie nur möglich eingebracht hatte. Andere Redner verurteilten zwar
die Verweigerung der Trappenkamper Vertreter ihrer eigenen Parteien nach der ersten
Gemeinderatswahl, zogen sich jedoch auf ihre Unkenntnis von angeblich komplizierten
Verhältnissen vor Ort zurück, welche Gerlich bereitwillig bestätigte.
Es stärkte nicht das Ansehen des Innenministers Lemke, dass Gerlich in seinem Beisein
auch für jene freiwilligen Partei-Kandidaten und gewählten Gemeindevertreter in
Trappenkamp die Legitimität verfocht, dass jeder Bürger jede vorhandene Gesetzeslücke
zum eigenen Vorteil nutzen dürfe: „Ich frage aber, ob ein Wahlrecht von den Staatsbürgern
nicht in der Form in Anspruch genommen kann, daß alle darin gebotenen Möglichkeiten
von ihnen auch tatsächlich benutzt werden dürfen, ohne daß daraus moralisch
anfechtbare Verhältnisse abgeleitet werden.“
Stattdessen ging Gerlich zu einer argumentativ eigenwilligen Gegenoffensive über und
warf der Legislative die Verantwortung für eine derartige Regelungslücke vor: „Dann
sollten die Herren Gesetzgeber - vor allem die Kommunalpolitiker, Herr Fischer! - dafür
Sorge tragen, daß diese angeblichen gesetzlichen Verhältnisse, die also den Staatsbürger
zur Unmoral verleiten können, durch eine neue Gesetzgebung aus der Welt geschafft
232
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1873
116
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
werden.“233 Zudem unterstellte ausgerechnet Gerlich in seiner Rede den bürgerlichen
Parteienvertretern in Trappenkamp eine ausgesprochene Unabhängigkeit von Landesoder Kreispolitikern.
Er artikulierte zudem sein Verständnis für risikobereite Persönlichkeiten am Ort, ihren
erworbenen Wohlstand mit derartigen Methoden abzusichern und sich auf solche Weise
dem gültigen Wahlergebnis eines Stimmen-Patts mit Sozialdemokraten (und deren
vorteilhafte Position für die Besetzung des Bürgermeisterpostens) zu entziehen: „Sie
werden es all den Menschen, die zehn Jahre lang einen sehr harten Lebenskampf zu
führen hatten - und zwar nicht nur die Arbeitnehmerseite, sondern auch die Unternehmer,
gerade in bezug auf die Verantwortung für die Erhaltung der Arbeitsplätze und nicht nur für
die eigene Verdienstmöglichkeit, mit allen Risiken, die damit verbunden sind -, nachfühlen,
daß sie den Wunsch hatten und auch heute noch haben, daß in gegenseitigem
Vertrauensverhältnis eine echte Kommunalpolitik, nicht gesteuert und nicht steuerbar von
Kreis- und Landesinstanzen, sichergestellt ist.“ 234
Von dem Hauptredner der SPD-Fraktion berichtete die Volkszeitung am 05.07.1956 aus
dieser Debatte: „Strack kritisierte auch das Verhalten von Innenminister Lemke, der den
bisherigen kommissarischen Bürgermeister Bäcker [!] erneut zum Kommissar bestellt
hatte, obwohl Bäcker [!] 'das alles herbeiführte' und im übrigen erst an siebenter Stelle
gewählt wurde.“235 Allerdings versäumte es der Abgeordnete Gerhard Strack in der
Auseinandersetzung mit dem wortgewandten Gerhard Gerlich, die ihm bekannten Abläufe
in Trappenkamp präzise zu analysieren, sondern forderte in der Erwartung eines noch
besseren SPD-Ergebnisses wie alle Fraktionen baldige Neuwahlen in Trappenkamp.
So sollte der BHE-Abgeordnete Eginhard Schlachta mit seinem Zwischenruf an die
Adresse seines eigene Fraktionsvorsitzenden und Redners Heinz Kiekebusch den
Hintergründen für diese skandalöse Korrektur der ersten Gemeindevertreterwahl am
nächsten kommen:
„Ich meine, wir sollten dieser nun ganz jungen Demokratie in der Gemeinde Trappenkamp,
die gerade erst wenige Wochen vorher von der Regierung aus der Taufe gehoben worden
233
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871
235
Volkszeitung, 05.07.1956, S. 8
234
117
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
war, zubilligen, daß sie auch einmal einen Fehler machen kann.
Die dortigen Parlamentarier werden inzwischen wohl die notwendigen Erfahrungen
gesammelt haben,
(Abg. Schlachta: Oder gesammelt bekommen haben!)“236
Nach dieser letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause ließen sich in den
untersuchten Zeitungsjahrgängen keine direkte Beiträge Gerlichs in dem einsetzenden
Wahlkampf um Trappenkamp nachweisen. Allerdings dürfte er seinen Vertrauten Wolfgang
Beckert dabei unterstützt haben, im Juni und August 1956 zu Artikeln in der Segeberger
Zeitung wie „Trappenkamps Pläne sind fertig. Schule, Kirchen und Läden im Ortskern.
Neue Betriebe siedeln sich an“ oder „Trappenkamps Straßenbau läuft an. Schulplanung
bedarf noch der Zustimmung. Weiterhin um Gewerbebetrieb bemüht“ die passende
Darstellung von der Leistung und den Verdiensten des kommissarischen Bürgermeisters
für die Entwicklung am Ort zu formulieren. 237 Eine ähnlich günstige Wirkung sollten auch
die Schlagzeilen zu einem Besuch des für Wirtschaft und Verkehr zuständigen Ministers
Hermann Böhrnsen entfaltet haben: „Großer Tag für Trappenkamp. Minister sichert weitere
Landeshilfe zu. Auftakt zu neuen Bauvorhaben. Gesamtkosten über eine Million Mark. Seit
Sonnabend Straßenbeleuchtung.“ 238
Dank seiner guten Kontakte dürfte Gerlich auch weitere Auftritte von ähnlich hochrangigen
politischen Repräsentanten vermittelt haben können, wohingegen die Volkszeitung vom
15.08.1956 einen dieser gehäuften Regierungsbesuche in der Industriesiedlung kritisch
kommentierte: „So erfreulich es ist, dass sich nach langer Pause mal wieder ein Minister
der Landesregierung nach Trappenkamp bemüht - Minister Asbach wurde dort lange nicht
mehr gesehen -, so einen unangenehmen Beigeschmack hat dieser Besuch, wenn man
daran denkt, dass der Termin für die Wiederholungswahl für die Gemeindevertretung
unmittelbar vor der Tür steht.“
In seiner ersten Wahlperiode von 1950 bis 1954 als Landtagsabgeordneter hatte Gerlich
seine strategischen Erfahrungen gesammelt und mit sehr eigener Wortwahl auch
durchzusetzen verstanden, einen politischen Bündnispartner wie die FDP aus dem
236
Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1875
s. Segeberger Zeitung, 28.07.1956, S. 6 u. 17.08.1956, S. 4
238
Segeberger Zeitung, 24.09.1956, S. 5
237
118
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
gemeinsamen Wahlblock-Bündnis auszuscheiden, sofern es den Wahlaussichten und
Verdeutlichung der eigenen politischen Richtung gedient hatte. Daher könnte auch auf
seinen Ratschlag zurückzuführen sein, dass sich die bürgerlichen Parteien am Ort darauf
verständigten, bei der anstehenden Neuwahl auf den zahlenmäßig knapp schwächsten
Partner FDP zu verzichten und stattdessen gemeinsam im Bündnis anzutreten, wie am
14.09.1956 in der Segeberger Zeitung zu lesen war: „Nur die SPD und die Wahlunion
Trappenkamp (ein Zusammenschluss von CDU und BHE) haben für die am 30.
September in Trappenkamp, Kreis Segeberg, angesetzte Wahl zur Gemeindevertretung
Kandidaten benannt.“
Die kritischen Anmerkungen des SPD-Oppositionsführers Wilhelm Käber dazu an die
Adresse von Kai-Uwe von Hassel in der Landtagssitzung am 02.10.1956 direkt nach
dieser Wahl machen deutlich, dass die kommunalen Vertreter der bürgerlichen Fraktionen
in Trappenkamp erstaunlicherweise auch bei dieser zweiten Gemeindevertretungswahl,
möglicherweise auf den Rat und die Ermutigung Gerlichs hin, keine Bedenken hatten, dem
Ministerpräsidenten oder CDU Landesvorsitzenden politisch schaden zu können:
„Es wurde dabei das in Schleswig-Holstein früher so hoch eingeschätzte Verfahren des
Blocks aller gegen einen praktiziert. Ich hatte Sie, Herr, Ministerpräsident, bisher immer
so verstanden, daß Sie diesem verwerflichen Verfahren und System endgültig
abgeschworen hätten. Sie waren ebenso wie ich in Trappenkamp, und Sie haben an Ort
und Stelle feststellen müssen, daß hier der Demokratie als Prinzip mit dem Verhalten
derjenigen, die mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden waren und die dann über den Weg
der geschlossenen Niederlegung der übertragenen Mandate eine Wiederholungswahl
durchsetzten, kein Dienst erwiesen wurde. Ich wäre sehr dankbar, Herr Ministerpräsident,
wenn Sie in der Aussprache zu der Frage Stellung nähmen, ob wir - Sie und wir - die
Bestimmungen des Wahlrechts so fassen wollen, daß derartige Manipulationen künftig
nicht mehr möglich sind.“239
Zum
Wahlkampfendspurt
schickten
die
beiden
Volksparteien
ihre
höchsten
Repräsentanten zu Abschlusskundgebungen nach Trappenkamp. Die Segeberger Zeitung
vom 29.09.1956 berichtete zunächst von dem Auftreten des Ministerpräsidenten und CDU239
Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940
119
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Landesvorsitzenden von Hassel mit „einer sehr gemäßigten und unpolemischen Rede auf
die Aufgaben der Bürger in Staat und Gemeinde.“ Als ein strategischer Nachteil sollte sich
dagegen erweisen, dass der SPD-Hauptredner seinen Auftritt erst an dem Tag vor der
Stimmangabe
wahrnahm
und
es
für
Wahlkämpfer
somit
zu
spät
für
eine
Reaktionsmöglichkeit auf ein Störmanöver von politischen Gegnern war: „Das Interesse
der Bevölkerung wird nicht zuletzt auf die lebendigen Auseinandersetzungen der Parteien
vor dem Wahlsonntag zurückgeführt. Sie hatten ihren Höhepunkt am Sonnabend auf einer
SPD-Versammlung erreicht, auf welcher der Oppositionschef im schleswig-holsteinischen
Landtag, Käber, sprach. Dabei kam es zu turbulenten Szenen, als während der Diskussion
schwerwiegende Beschuldigungen gegen einen der SPD-Kandidaten erhoben wurden.“ 240
Wenn Gerlich diese Notiz in der Segeberger Zeitung am 01.10.1956 gelesen haben sollte,
mochte sie ihn an seine eigene Erfahrung als Wahlkämpfer Anfang der fünfziger Jahre in
Neumünster erinnert haben, von der seine CDU-Parteifreundin Lieselotte Juckel als einem
ihrer besonderen Erlebnisse aus der „Ära der Gerlichs“ berichtete: „Am Abend vor der
Wahl steckte die SPD Flugblätter in die Briefkästen, auf denen dieser Kandidat einer Untat
beschuldigt wurde bzw. in seiner Vergangenheit war ein schwarzer Punkt gefunden
worden. Zur Entgegnung blieb keine Zeit. Wir verloren die Wahl.“ 241
Deutlich zufriedener konnte Gerlich das Resultat seines Engagements für die zweite
Gemeindewahl in Trappenkamp stimmen, wie in derselben Ausgabe der Segeberger
Zeitung zu lesen war. Obwohl die SPD noch 145 auf 1217 Stimmen hinzugewonnen hatte
und der Zuwachs für die Wahl-Union CDU/BHE als bürgerliches Lager gezählt lediglich 50
Stimmen betrug, kam dieses auf insgesamt 1388 Stimmen und 6 Mandate gegenüber 5
Sitzen für die SPD. Der Spitzenplatz bei den Direktkandidaten musste Gerlich besonders
gefreut haben: „Unter den einzelnen Bewerbern errang der bisherige kommissarische
Bürgermeister, Wolfgang Beckert (Wahlunion), mit 245 die meisten Stimmen. Vertreter
beider Gruppen äußerten sich gestern sehr befriedigt zu dem Ergebnis.“ 242
Nach dem gewünscht klaren Ergebnis gab es weder bei der mit Mehrheit gewählten
Wahlunion noch bei der SPD-Minderheit erkennbaren Bedarf an Einflussnahmen von
240
Segeberger Zeitung, 29.09.1956, S. 5 u. 01.10.1956, S. 5
Juckel, CDU Neumünster, S. 8
242
Segeberger Zeitung, 01.10.1956, S. 5
241
120
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Außen oder taktischen Finessen. So berichtete die Segeberger Zeitung vom 18.10.1956
stattdessen über eine interfraktionelle Übereinkunft schon vor der konstituierenden Sitzung
im „Waldrestaurant":
„Nach Lage der Dinge und voraufgegangener interfraktionellen
Besprechungen ist man sich über die Besetzung des Bürgermeisteramtes und seiner
beiden Stellvertreter grundlegend einig. Danach stellt die Wahlunion Trappenkamp (CDU
und GB/BHE) als Bürgermeister den bisher kommissarisch Beauftragten Wolfgang
Beckert, und den zweiten stellvertretenden Bürgermeister. Die SPD stellt den ersten
stellvertretenden Bürgermeister.“
Tatsächlich lief die erste Gemeindevertretersitzung am 22.10.1956 „in einem äußerst
zügigen Tempo und programmgemäß“ ab, was auch an der
einstimmigen Wahl von
Wolfgang Beckert zu Trappenkamps Bürgermeister und der Verabschiedung der
Hauptsatzung sowie der Besetzung der Fachausschüsse mit einem eben solchen
Ergebnis lag.243
Nach dieser auf eigentümliche Weise erreichten innerörtlichen Befriedung sollte sich das
Verhältnis mit der Nachbargemeinde Bornhöved um so problematischer entwickeln,
wie zum Jahresende zwei gegensätzliche Schlagzeilen der Segeberger Zeitung
illustrierten. So hieß es im November 1956 „Im Finanzstreit mit Trappenkamp. Bornhöved
entschied sich für eine gütliche Einigung. Annehmbare Verhandlungsbasis gefunden.
Grenzänderungsvertrag gebilligt.“ Wesentlich strategischer wirkte eine Überschrift vom
Dezember des Jahres 1956: „Trappenkamp fordert Gutachten aus Kiel. 'Finanzkrieg' mit
Bornhöved wird geht weiter. Kaum noch Aussicht auf gütliche Einigung. Kommunalaufsicht
wird entscheiden. Beckert: Kreis ist befangen“. 244
Es sollte also für den mit 28 Jahren jüngsten Bürgermeister des Bundeslandes SchleswigHolstein weiterhin viel Bedarf an Beratungen mit Gerhard Gerlich auch über das
Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp hinaus geben.
243
244
s. Segeberger Zeitung, 23.10.1956, S. 5
Segeberger Zeitung, 10.11.1956, S. 5 u. 15.12.1956, S. 5
121
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp (19571962)
Wie in den vorangegangenen beiden Kapiteln über die ersten Verbindungen von Gerhard
Gerlich und den Spuren seines Wirkens in Trappenkamp gilt auch für die folgenden Jahre
1957 bis 1962, in denen sich der Ort vor allem durch die Unterstützung aus der
Landespolitik und Ministerien rapide entwickelte, dass der Einfluss und das Mitwirken des
Abgeordneten häufig nur indirekt zu erschließen ist. Seltene Male ist sein Wirken vor Ort in
der Presse dokumentiert worden und auch sein Beitrag dazu, dass und wie Treppenkamp
im Jahr 1956 eine selbstständige Gemeinde wurde, ist erstmals dieser Untersuchung,
überwiegend durch Indizien und Rückschlüsse, dokumentiert worden.
Die nachfolgende Rekonstruktion der Verbindung zwischen Gerlich und Trappenkamp in
den Aufbaujahren mag ebenfalls als Ergänzung und teilweise Korrektur von Darstellungen
in den Ortschroniken von Claus Dietrich Bechert und Stefan Wendt verstanden werden.
Dies gilt insbesondere für das Kapitel „Der große Förderer Trappenkamps“ in der 2007
herausgegebenen Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und
Bornhöved“ von Klaus Deneke. 245 Auf eine detaillierte Wiederholung aller dort
verzeichneten Maßnahmen, mit denen die Landesregierung in Kiel durch Mitwirken des
Abgeordneten Gerlich zur Entwicklung und dem Ausbau der Industriesiedlung in den
Jahren von 1957 bis 1962 beigetragen hat, wird deshalb verzichtet.
Weil Belege nach 1956 für die direkte Verbindung dieses im benachbarten Wahlkreis PlönSüd gewählten Landtagsabgeordneten zu der Gemeinde Trappenkamp selten blieben,
wird das Verhältnis zumeist durch Artikel der Segeberger Zeitung und über die wesentliche
Mittelsperson, den ersten Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert, rekonstruiert.
Zu den Umständen von dessen Wahl, die Gerhard Gerlich mit ganz eigenen Mitteln
unterstützt hatte, schrieb 1958 die Trappenkamper Schülerin und Zeitzeugin Marianne
Kiesewetter:
245
„Am 1. April 1956 wurde Trappenkamp nach einem zähen Kampf
Deneke, Materialien, S. 18-20
122
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
selbständige Gemeinde. Als erstes galt es, den Bürgermeister zu wählen. Das war leider
nicht leicht bei uns. Die Meinungen gingen zu sehr auseinander. Nach langem Hin und
Her, das schon fast einen Skandal bewirkte, traf die Wahl den Lederfabrikanten Wolfgang
Beckert.“246
Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Folgejahre, unter denen die
Selbstständigkeit Trappenkamps auf eine solche Weise und mit wesentlichen Beiträgen
des Landtagsabgeordneten verwirklicht werden konnte, beschrieb Klaus Deneke 2013 in
seinem Gerlich-Porträt „Verdienstvoller Strippenzieher“:
„Besonders Schleswig Holstein wurde durch den Zuzug Heimatvertriebener belastet:
1,5 Million Einheimische nahmen 1,2 Millionen Gestrandete auf. Die Integration gelang
und ist der heutigen Generation schon so gut wie unbekannt. Ebenso mag man heute den
Kopf darüber schütteln, dass es einmal Gegensätze zwischen Bornhöved und seinem
Ortsteil Trappenkamp gab. Überzeichnet: hier die konservativen, protestantischen Bauern
aus Bornhöved und dort die in Kleinbetrieben emsig arbeitenden, katholischen
Sudetendeutschen
im
ehemaligen
Marinesperrwaffenarsenal
Trappenkamp.
Im
wesentlichen ging es dabei immer um die Verteilung der Mittel zwischen Bornhöved und
Trappenkamp. Diese Situation fand Gerlich bei den Besuchen seiner sudetendeutschen
Landsleute in Trappenkamp vor.“247
Die entsprechenden Auseinandersetzungen wurden auch nach der Wahl Wolfgang
Beckerts zum Bürgermeister in den Jahren ab 1957 intensiv fortgesetzt. Dessen
fortwährender Beratungsbedarf mit und gewiss überwiegend bei dem erfahrenen
Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich in Neumünster wird durch eine Schlagzeile der
Segeberger Zeitung vom 16.03.1957 illustriert: „Trappenkamp vor Einigung mit
Bornhöved?
Mit
Entwurf
grundsätzlich
einverstanden.
Feststellung
obliegt
der
Kommunalaufsicht. Bürgermeister Beckert: Eigene Wege in der Industrieansiedlung.“
Bereits zwei Tage später wurde an dem Artikel „Kabinett gab seine Zustimmung. Für
dreiklassige Schule, Turnhalle und Kindergarten in Trappenkamp“ deutlich, wie groß der
246
Kiesewetter, Marianne/ Kiesewetter, Hertha Julia: Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs, ...erlebt von
zwei Mädchen, hg. vom Sudetendeutschen Kulturwerk Schleswig-Holstein, (Kiel) 2016, S. 17; im
Folgenden: Kiesewetter, Trappenkamp
247
Deneke, Klaus: Verdienstvoller Strippenzieher ( Dr. Gerhard Gerlich), in: Sudetendeutsche Zeitung, Folge
4, 25.01.2013
123
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Einfluss Gerlichs auf die maßgeblichen Stellen der Landesregierung und Ministerien
gewesen sein dürfte: „Angesichts des Umstandes, daß die Schülerzahl in der Gemeinde
Trappenkamp sich ab Ostern von 58 auf 98 erhöht, stimmten die Gemeindevertreter
geschlossen der Schaffung der dritten Schulstelle zu. In diesem Zusammenhang teilte der
Bürgermeister mit, daß das schleswig-holsteinische Kabinett seine Bereitwilligkeit zum
Bau und zur Finanzierung einer dreiklassigen Schule, einer Turnhalle und eines
Kindergartens in Trappenkamp erklärt hat.“ 248
Die Voraussetzung für eine praktische Umsetzung derartiger Planungen konnten dauerhaft
nur durch die öffentliche Hand gewährleistet werden und manche Nachbargemeinde hätte
sich gewiss ähnlich gute Verbindungen zur Vergabe von Fördermitteln und anderen
Finanzquellen gewünscht, von denen im April 1957 zu lesen war:
„Zehntausend Mark
fehlen in Trapppenkamps Haushalt. Finanzierung von Schul- und Turnhallenbau gesichert.
Kurze Sitzung. Nach Ostern drei neue Lehrer“. 249
Mit dem rapiden Wachstum des Ortes durch die Ansiedlung neuer Betriebe, den Zuzug der
Arbeitskräfte und ihrer Familien und den gestiegenen Ansprüchen an die Infrastruktur
nahm auch der Bedarf an kultureller Bildung und an Gestaltungsmöglichkeiten für die
Freizeit zu. Dies führte im Mai 1957 in Trappenkamp schließlich zu einer entsprechenden
Vereinsgründung, mit der nicht allein die Kontakte zwischen Beckert und Gerlich
intensiviert wurden. Der disziplinierte Abgeordneten wurde durch die Organisation des
„Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig-Holstein e.V.“ (SKW) mit Sitz in Trappenkamp
sowie
Regularien
mit
Vorstandssitzungen
oder
Jahreshauptversammlungen
nun
regelmäßiger und häufiger zu seinen Landsleuten aus der einst gemeinsamen Heimat
geleitet, wie Klaus Deneke ausführte:
„Am 18. Mai 1957 wurde unter der Leitung des damaligen Trappenkamper Bürgermeisters
Wolfgang Beckert die Satzung des Sudetendeutschen Kulturwerks beschlossen und der
erste Vorstand mit Dr. Gerhard Gerlich an der Spitze gewählt. Obwohl Neumünsteraner,
fühlte sich Dr. Gerlich stets den Trappenkampern besonders verbunden, hatten hier doch
in der Hauptsache nach dem Kriegsende von 1945 zunächst Sudetendeutsche Zuflucht
gefunden. Das Kulturwerk hatte es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, das „Haus der Heimat"
248
249
Segeberger Zeitung, 18.03.1957, S. 5
Segeberger Zeitung, 09.04.1957, S. 5
124
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
in Trappenkamp käuflich zu erwerben, zu bewirtschaften und als kulturellen Mittelpunkt
Trappenkamps zu erhalten. Erster Vorstand des Kulturwerks: Vorsitzender: Dr. Gerhard
Gerlich, Stellvertreter: Wolfgang Beckert.“ 250
Die Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks zu dieser Zeit korrespondierte mit der
gesellschaftlichen Entwicklung in Schleswig Holstein in den fünfziger Jahren, die unter
anderem
auch
dem
Aufstieg
und
Niedergang
der
Partei
BHE
(Bund
der
Heimatvertriebenen und Entrechteten) entsprach. Wie in Trappenkamp hatten sich in ganz
Schleswig-Holstein die Flüchtlinge mittlerweile immer besser integrieren können und
folgerichtig hatte Gerhard Gerlich den Schwerpunkt seiner parlamentarischen Arbeit als
CDU-Landtagsabgeordneter vom Ausschuss für Heimatvertriebene in die Bereiche
Bildung, Verkehr und Finanzen verlagert. Als Alternative und schließlich als Ersatz für die
Unterbringung von Flüchtlingen in Lagerunterkünften setzte er sich vielfach für den
sozialen Wohnungsbau ein und gab bei der Finanzierung und Durchführung derartiger
Projekte der freien Marktwirtschaft den Vorzug gegenüber der öffentlichen Hand.
Der erreichte Stand bei der Eingliederung von Heimatvertriebenen passte dabei zum
Zeitpunkt der Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks (SKW), wie Uwe Danker in
„Die Jahrhundert-Story“ diese Entwicklung im Land mit Bezug auf die von Gerlich stets
kritisch wahrgenommene Konkurrenzpartei BHE beschrieb: „Die verbliebenen Flüchtlinge
sind integriert, ihre Interessen gleichen jenen ihrer Nachbarn. Bei allen Träumen von der
Heimat überwiegt der Versuch, eine neue Existenz und schließlich eine neue Heimat zu
finden.
Damit
verlagert
sich
auch
die
Arbeit
der
Vertriebenenverbände
und
Landsmannschaften auf die kulturelle Ebene. Eine Partei der Außenseiter erübrigt sich.
Die Idee, 'dritte Kraft' neben SPD und CDU zu bleiben, funktioniert nicht.“ 251
Nach den Aufzeichnungen von Klaus Deneke wurde im Gründungsjahr des SKW die
ehemalige Liegenschaft F3 in Trappenkamp, die seit 1949 von der Sudetendeutschen
Landsmannschaft genutzt wurde, käuflich erworben und von „Haus der Heimat" oder auch
„Landsmannschaftshaus“ in „Haus des deutschen Ostens" umbenannt. Auf die guten
Kontakte des SKW-Vorsitzenden Gerlich wird der prominente Festredner zurückzuführen
250
251
Deneke, Materialien, S. 17
Danker, Uwe: Mit Fehlstart in vier Jahrzehnte bürgerlicher Regierungsmehrheit. 1950-1967: Landespolitik
in der Ära Bartram, Lübke, von Hassel und Lemke, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 3,
Flensburg 1999, S. 153
125
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
gewesen sein, als die Segeberger Zeitung am 30.09.1957 von der feierlichen Einweihung
dieser Stätte berichtete: „Das aus einem Munitionsbunker entstandene „Haus des
deutschen Ostens" wurde am Wochenende in der Industriesiedlung Trappenkamp in
Anwesenheit von Landessozialminister Asbach eingeweiht. Es soll dem von dem
Landtagsabgeordneten Dr. Gerhard Gerlich geleiteten sudetendeutschen Kulturwerk
Trappenkamp zur Verfügung stehen.“
Noch hochrangiger war im Februar 1958 der Besuch in diesem Vereinsheim und, wie im
Eingangskapitel darstellt, hielt sich Gerhard Gerlich bei derartigen Terminen in
Trappenkamp und an anderer Stelle eher im Hintergrund. Erst im Folgejahr wurde mit Foto
und Bildunterschrift seine Teilnahme an der Informationsreise des Bundesministers
Lindrath und einem Termin mit weiteren Prominenten im „Haus des Ostens“ in einer CDUMonatsschrift presseöffentlich bekannt. In der Segeberger Zeitung vom 21.02.1958 hieß
es
dagegen
lediglich:
„Bundesschatzminister
Dr.
Hermann
Lindrath
setzte
am
Donnerstagvormittag seine Informationsreise durch Schleswig-Holstein fort. Wie gestern
bereits berichtet, besichtigte er dabei auch die Industriegemeinden Trappenkamp und
Wahlstedt im Kreis Segeberg. In Trappenkamp zeigte sich Bundesminister Dr. Lindrath,
der von Ministerpräsident von Hassel begleitet war, sehr beeindruckt von den
Aufbauleistungen. Industrieansetzung und Wohnungsbau ergänzen sich hier, wie von
Hassel betonte, in wirkungsvoller Weise.“ 252
Auf vergleichbare Weise nicht vermerkt wurde die Anwesenheit Gerlichs auch in der
Segeberger Zeitung vom 15.09.1958, obwohl er sich stark für die Finanzierung des
Schulneubaues mit der ersten Turnhalle am Ort eingesetzt haben dürfte. Auf einem Foto
von dieser Feier, das in den Lebenserinnerungen von Marianne und Hertha Kiesewetter
unter dem Titel „Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs“ abgedruckt wurde, ist er zentral
in der ersten Reihe des Publikums direkt vor dem Rednerpult sitzend zu erkennen.
Gleichwohl war sein Name in dem Artikel „Der Schichtunterricht ist nun vorbei. Volksschule
mit Turnhalle eingeweiht. Minister Böhrnsens erster Spatenstich für neue Wohnbauten“
nicht erwähnt worden.
Dies entsprach der Beobachtung von Klaus Deneke: „Vornehmlich der Wieder- und
252
Segeberger Zeitung, 21.02.1958, S. 5; vgl. WuB, CDU-SH, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4
126
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Neuaufbau des Schulwesens lag ihm als parlamentarischen Vertreter des Kultusministers
am Herzen. Trappenkamp profitierte davon, selten wurde dabei Dr. Gerlichs Name
erwähnt.“253 Auch in kommenden Jahren schien diese für einen Landespolitiker unübliche
Zurückhaltung im Interesse Gerlichs zu liegen.
Unter den Abgeordnetenkollegen war sein anhaltender Einsatz für diesen Ort und seine
Bewohner auch nach der spektakulären Debatte im Juli 1956 allerdings hinreichend
bekannt. Dies illustriert eine launige Bemerkung des Landwirts und FDP-Abgeordneten
Hinrich Schröder, als er am 20.08.1958 zu dem Tagesordnungspunkt „Zweite Lesung des
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Bienenhaltung“ in das versammelte Plenum
des Kieler Landtages rief:
„Herr Dr. Gerlich! Wir sind der Auffassung, daß diese Begrenzung - also die Kreisgrenze –
auch etwas sehr Willkürliches ist.
(Abg. Dr. Gerlich: Bravo!)
Ich darf Ihnen das einmal an meinem Kreise Segeberg demonstrieren, den Sie ja auch
hinsichtlich Trappenkamps sehr genau kennen.
Sie wissen genau, daß, wenn von der Westseite des Kreises, etwa aus der Gegend von
Bad Bramstedt, ein Volk - ein Bienenvolk meine ich jetzt (Heiterkeit)
in die Rapsblüte nach Pronstorf im Osten des Kreises will, es ohne jede Anzeige und
Genehmigung dorthin verlegt werden kann.
(Abg. Dr. Kiekebusch: Damit überschreiten sie den Limes! - Heiterkeit.)“ 254
Das erfolgreiche Wechselspiel zwischen Bürgermeister Beckert und dem einflussreichen
Gerhard Gerlich im Hintergrund bewirkte in Trappenkamp bei den Landtagswahlen im
September 1958
eine deutliche Kräfteverschiebung, denn die CDU erhielt dort 257
Stimmen gegenüber 193 für die SPD, wohingegen der BHE auf 22 Anhänger abgesunken
und Beckerts ehemalige Partei FDP mit 7 Stimmen bedeutungslos geworden war. Die
Erwähnung von Gerlich im Zusammenhang mit Trappenkamp in der Presse blieb
allerdings die Ausnahme und die Segeberger Zeitung vom 03.11.1958 berichtete von ihm
weniger als einem prominenten Landespolitiker, sondern über ihn in seiner Rolle als
Vereinsvorsitzender des SKW mit einem ambitionierten Projekt:
253
254
Kiesewetter, Trappenkamp, S. 24 u. Deneke, Materialien, S. 19
Protokoll LT-SH, 3. WP., 20.08.1958, S. 3994
127
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
„Den Bau eines Industriemuseums beabsichtigt der sudetendeutsche Kulturbund in der
Industriegemeinde Trappenkamp. Wie der Landtagsabgeordnete Dr. Gerlich als
Vorsitzender des Kulturbundes am Wochenende mitteilte, soll nicht nur die gegenwärtige
Industrie gezeigt werden, sondern es soll auch ein Querschnitt der in der ostdeutschen
Heimat betriebenen Industriezweige vermittelt werden. Insbesondere soll dadurch der
Jugend die Möglichkeit gegeben werden, einen Eindruck von der Tätigkeit ihrer Vorfahren
im deutschen Osten zu erhalten.“ Im Folgejahr wurden Gerlich wie Beckert unverändert
als SKW-Vorsitzende bestätigt und auf dem Jahresprogramm des Vereins standen unter
anderem Dichterlesungen, Singabende und circa 150 Kinovorstellungen, von denen
Gerlich mit Wohnsitz in Neumünster allerdings die meisten gewiss versäumte.
Auf wirtschaftspolitischem Gebiet kam es dagegen Mitte 1959 zu einem öffentlichen
Konflikt zwischen der Gemeinde Trappenkamp und dem Deutschen Gewerkschaftsbund,
in welchem sich Bürgermeister Beckert eng mit Gerlich abgestimmt haben dürfte. Der
DGB hatte kritisiert, dass die Gemeinde infolge der überproportionalen Landesförderung
und wegen einer Überkapazität an Industriebetrieben nun in Neumünster freigewordene
weibliche Arbeitskräfte für die ortsansässigen glasverarbeitenden Betriebe abgeworben
habe.Der DGB befürchtete wegen der entsprechend geplanten Ansiedlung von
Arbeitnehmerfamilien in Trappenkamp eine starke Männerarbeitslosigkeit als Folge und
forderte die Landesregierung und insbesondere das Wirtschaftsministerium auf, die
Gemeindevertreter am Ort von einer Reduzierung ihrer wirtschaftlichen Planungen zu
überzeugen.
Über die vermutlich mit Gerlich koordinierte Reaktion berichtete die Segeberger Zeitung
am 28.05.1959 unter den Überschriften „Industriegemeinde Trappenkamp wehrt sich ihrer
Haut. Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende stellten vor der Presse DGB-Stellungnahme
richtig. 'Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung'.“ So hatte Beckert zusammen mit
Erwin
Wengel
von
der
SPD
und
Otto
Hub
vom
BHE
eine
gemeinsame
Gegenstellungnahme beim Wirtschaftsministerium eingereicht und in einer von Gerlich
bekannten
Argumentationsweise
offensiv
dagegengehalten:
„Trappenkamps
Bürgermeister Beckert verwies darauf, dass sich eine Entwicklung wie die Trappenkamps
nicht mehr aufhalten lasse, sondern sich zwangsläufig ausweiten werde.
Es sei also nicht nur wenig sinnvoll, sondern sogar sehr schädlich, wenn jetzt versucht
128
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
werde, das Unternehmen Trappenkamp zu torpedieren.“ 255
Nachdem Ende Oktober 1959 die CDU bei der Kommunalwahl ihre führende Stellung mit
sechs Sitzen vor der der SPD mit vier und dem BHE mit Otto Hub als nun einzigem
Vertreter gefestigt hatte und ihr Spitzenkandidat Wolfgang Beckert als Bürgermeister
bestätigt wurde, folgte der nächste Schritt auf diesem konsequenten und vermutlich
strategisch angelegten Weg. Zum Jahreswechsel 1959/60 wurde unter dem Titel „Zum
Nutzen aller Gemeinden“ in der Segeberger Zeitung öffentlich bekannt gegeben: „Vor dem
Bornhöveder Amtsausschuß hat der Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert den
Antrag gestellt, daß die Industriegemeinde Trappenkamp aus dem Amt Bornhöved
entlassen werden soll. Die Bürgermeister der sieben übrigen amtsangehörigen
Gemeinden haben zugesagt, einen Beschluß ihrer Gemeindevertretungen in dieser
wichtigen Angelegenheit bis zum 31. Januar 1960 herbeizuführen.“ 256
Dieser Vorstoß rief unter anderem den Protest des Segeberger Kreisvorstandes der FDP
hervor. Mit dieser Partei war Gerlich selbst in gemeinsamen Regierungsbündnissen oder
in anderen Städten und Gemeinden wie Neumünster oder Preetz aneinander geraten. Im
Nachbarort Bornhöved führten die Liberalen am 28.02.1960 ihren Kreisparteitag durch und
mit dem Trappenkamper Bürgermeister und dessen Gemeindevertretung war erkennbar
auch Gerhard Gerlich und dessen intensive Förderung im Hintergrund Zielscheibe der
Kritik. So appellierte der FDP-Bürgermeister Tietz in Bornhöved ganz gegen die
Intentionen von Gerlich und Beckert an die Regierung und damit an die sie tragenden
Parteien CDU und FDP: „Stecken Sie die Grenzen ab. In welchem Zeitraum sollen die
Millionenbeträge noch für Trappenkamp fließen?" 257
Der FDP-Kreisvorsitzende Hinrich Schröder monierte ferner, dass Trappenkamp eine
absolute Sonderstellung als „Landesdorf" habe, die nicht ins Uferlose erhoben dürfe, und
merkte zu einem besonderen Anliegen seines Abgeordnetenkollegen Gerlich an, dass
man z. B. nicht die Hilfe des Kreises für einen Schulerweiterungsbau in Anspruch nehmen
könne, wenn noch nicht genügend Kinder da seien. Schröder wies dabei den Antrag von
Trappenkamp, eine amtsfreie Gemeinde zu werden, erneut als eine „Unverschämtheit“
255
Segeberger Zeitung, 28.05.1959, S. 6
Segeberger Zeitung, 28.12.1959, S. 4
257
Segeberger Zeitung, 29.02.1960, S. 5
256
129
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
zurück. Diesen Angriff hatte sich schon zuvor der Trappenkamper SPD-Vorsitzende Erwin
Wengel presseöffentlich mit dem Umstand erklärt, dass die FDP nicht mehr in der
Gemeinde vertreten sei, also mit einer Spätfolge von Beckerts (und womöglich Gerlichs)
taktischen Manövern zwischen den beiden ersten Wahlen als selbstständiger Gemeinde
im Jahr 1956.258
Als eine Art Gegenoffensive ist die daraufhin in Bad Segeberg zum Verkauf der „Solbad
GmbH“ durchgeführte Pressekonferenz der Minister Lemke (Inneres), Böhrnsen
(Wirtschaft) und Gerhard Gerlich als Parlamentarischem Vertreter des Kultusministers zu
interpretieren. In der Ausgabe vom 25.03.1960 war davon neben dem einem der selten
abgedruckten Foto Gerlichs auch seine ähnlich spärlichen Interview-Äußerungen zu
Trappenkamp und dessen Entwicklung in der Segeberger Zeitung nachzulesen. Der Titel
„Ziel: Etwa 4000 bis 5000 Einwohner in Trappenkamp“ war einer Antwort von Lemke
entnommen worden, von Gerlich wurde hingegen die Forderung von
Schulaufsicht,
Kultusministerium und Kommunalaufsichtsbehörde wiedergegeben, den
Volksschulbau
am Ort im Zusammenhang mit einem großen Wohnungsbauprogramm der wachsenden
Bevölkerungszahl anzupassen: „'Als Industriegemeinde', so fügte Dr. Gerlich den genauen
Zahlen von Bürgermeister Beckert hinzu, 'wird Trappenkamp später eine weiterführende
Schule haben müssen, eine Mittelschule.'“ 259
Einen Monat später griff Beckert diese Vorlage auf, als er in einer Einwohnerversammlung
in der neuen Turnhalle einen Rechenschaftsbericht über seine bisherige Arbeit als
Bürgermeister abgab. Als eine Anspielung auf die wertvollen Dienste, die Gerlich der
selbstständig werdenden Gemeinde und ihm persönlich geleistet haben mochte, können
diese Sätze in der Segeberger Zeitung am 25.04.1960 aufgefasst werden: „Der Start
gelang. Die Menschen bekamen neuen Mut und von außerhalb regte sich Interesse für
diesen Ort. Die Landesregierung griff ein und förderte die Industrieansiedlung, der Bund
vergab ein Demonstrativprogramm, das den Bau von 670 Wohnungen umfaßt, hierher.“
Unter der Überschrift „Trappenkamp wurde neue Heimat“ stand neben der Bilanz auch ein
Ausblick: „Die laufenden Kredite in Höhe von einer Million Mark wurden bereits zur Hälfte
zurückgezahlt. Für die nähere und weitere Zukunft muß vor allem der dringend
erforderliche Friedhof geschaffen werden und das Schulbauprogramm wird um acht
258
259
Volkszeitung, 22.02.1960, S. 6
Segeberger Zeitung, 25.03.1960, S. 6
130
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Klassen erweitert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach
dem Bau einer Oberschule aufgetaucht.“ 260
Aus Anlass eines der inzwischen zahlreichen Richtfeste in Trappenkamp ließ sich
Bürgermeister Beckert Anfang Oktober 1960 mit den Worten zitieren „Trappenkamp hat
nichts geschenkt bekommen“. Wesensmerkmale wie Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit und
Ehrgeiz, wie sie auch Gerlich ausgezeichneten, fanden sich ferner in dem ergänzenden
Kommentar des höchsten Vertreters des Kreises Bad Segeberg wieder: „Landrat
Dorenburg lobte, wie imponierend die bedingungslose Konsequenz der geplanten und
vorgesorgten Trappenkamper Ideen durchgeführt würden. Diese Gemeinde stände
beispielhaft in der modernen Zeit. Sie habe zwar keine tausendjährige Geschichte, aber
ihr Mut zum Risiko werde belohnt werden.“ 261
Dazu passten die fortwährend und konsequent vorgetragenen Anträge aus Trappenkamp
an die Adresse ihrer Kollegen in Bornhöved auf Gebietserweiterungen zu deren
Ungunsten, die diese im Lauf des Jahres 1960 mehrfach zurückwiesen. Von dort hieß es
unter der Überschrift „Bürgermeister Edwin Dobrint tritt zurück“ zum Jahresende wörtlich
zur Begründung und dem Vorschlag eine gemeinsamen Nutzung: „Sie (Bornhöved) kann
nicht immer die gebende und Trappenkamp die nehmende Gemeinde sein. Einseitige
Opfer müssen aus Gründen der Selbsterhaltung abgelehnt werden und widersprechen
überdies dem Sinne der Gemeindeordnung." 262
In Reaktion darauf ließen die Trappenkamper um Bürgermeister Beckert am 22.12.1960
den Einfluss ihres Protegés Gerlich im Landeshaus und bei Ministerien ungewöhnlich
offen anklingen: „Ein Gesetz des schleswig-holsteinischen Landtages möge die
Durchführung einer Erweiterung der Gemeinde Trappenkamp in das Gebiet der Gemeinde
Bornhöved möglich machen. Das war der Antrag der Gemeindevertretung Trappenkamp,
den sie gestern Abend einstimmig als Beschluss fasste und dem Landrat in Bad Segeberg
als Kommunalaufsichtsbehörde zugehen lassen wird.“ 263
260
Segeberger Zeitung, 25.04.1960, S. 4
Segeberger Zeitung, 04.10.1960, S. 5
262
Segeberger Zeitung, 25.11.1960, S. 5
263
Segeberger Zeitung, 22.12.1960, S. 5
261
131
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Tags darauf machte Bürgermeister Beckert vor den Gemeindevertretern und der Presse in
seinem einstündigen Verwaltungsbericht noch deutlicher, wie viel Resonanz er direkt oder
indirekt bei den entscheidenden Stellen im Landtag oder Ministerien finden konnte:
„Wichtigstes Vorhaben sei die Lösung Trappenkamps aus dem Amtsbezirk Bornhöved. Er
habe die persönliche Zusage des Innenministers, bemerkte Beckert, daß diese Vorlage,
sobald
sie
auf
seinen
Schreibtisch
gelange,
auch
erledigt
würde.
Die
Vermögensauseinandersetzung würde unter Leitung der Aufsichtsbehörde vor sich
gehen.“264
Im Folgejahr nahm der Einfluss Gerhard Gerlichs zu Gunsten der Belange der Gemeinde
offenkundig ab, wie aus den seltener werdende Spuren in der Presseberichterstattung zu
schließen ist. Damit korrespondiert sein Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden des
Sudetendeutschen Kulturwerks im Ort in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen.
Auf die guten Verbindungen von Gerlich zu den Kieler Regierungsstellen konnte Beckert
aber sicher weiterhin zählen, als er 1961 einen Antrag auf Amtsfreiheit für Trappenkamp
stellte. Zu dem Verfahren führte Ortschronist Stefan Wendt aus:
„In ihrer Sitzung vom 27 Juni 1961 votierte die Gemeindevertretung geschlossen für die
entsprechende Hauptsatzungsänderung, um die Leitung der Verwaltungsgeschäfte in
Zukunft einem hauptamtlichen Bürgermeister übertragen zu können. Da Trappenkamp
aber noch nicht über die für einen solchen Schritt erforderliche Einwohnerzahl verfügte,
mußte zunächst eine Sondergenehmigung vom Innenminister, eingeholt werden, die
dieser mit Beschluß vom 17. August 1961 erteilte. So konnte die Gemeinde zum 1.Januar
1962 aus dem Amtsbereich Bornhöved ausscheiden.“ 265
Vor den Kommunalwahlen am 11.03.1962 kam Ministerpräsident von Hassel erneut zu
einem Besuch nach Trappenkamp, um den enormen Aufbau und die dortige Entwicklung
als große Gemeinschaftsleistung sowie den Einsatz von Bürgermeister Beckert im
Besonderen mit Lob zu würdigen. Zwar hatte von Hassel sowohl als Regierungschef als
auch in der Funktion als CDU-Landesvorsitzender oft Auseinandersetzungen mit Gerlich
auszutragen, aber dennoch oder deswegen könnte sich seine Anmerkung vor Ort
ebenfalls auf diesen bezogen haben: „Alle Förderungshilfen wären allerdings, so meinte er
264
265
Segeberger Zeitung, 23.12.1960, S. 5
Wendt, Trappenkamp, S. 164/165
132
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
anerkennend,
ohne
die
Zähigkeit
und
den
beharrlichen
Aufbauwillen
der
sudetendeutschen Flüchtlinge vergebens gewesen.“ 266
Gerlichs Verbindung zu Trappenkamp dürfte sich allerdings weiter gelockert haben, als
nach der Kommunalwahl am 11.03.1962 die Gemeindevertreter von SPD und CDU je fünf
Mandate und die FDP einen Sitz erhielten. In der Konsequenz wurde auf der
konstituierenden Sitzung am 05.04.1962 der SPD-Vorsitzende Erwin Wengel zum neuen
Bürgermeister gewählt und vollzog damit einen Wachwechsel. Das in jüngeren Jahren oft
gezeigte einmütige Eintreten der Gemeindevertreter aus jeweils allen Parteien für die
Belange Trappenkamps hatte die anfänglichen Polarisierungen und Frontstellungen zum
Höhepunkt von Gerlichs erkennbarem Einfluss Mitte des Jahres 1956 merklich verblassen
lassen.
Bereits vor dieser Bürgermeisterwahl hatte hingegen der damalige Gegenspieler Gerhard
Gerlichs in der betreffenden Landtagsdebatte am 03.07.1956, der SPD-Abgeordnete
Gerhard Strack, im Frühjahr 1962 Anfragen an die Landesregierung gestellt, die sich teils
gegen den Geschäftsmann Wolfgang Beckert, teils gegen ihn als amtierenden
Bürgermeister von Trappenkamp richteten. Aus einer Antwort des Finanzministers ergab
sich, dass Beckert beim Weiterverkauf eines vom Land erworbenen Grundstücks
vertragliche
Bestimmungen
verletzt
hatte.
Wegen
der
Überschreitung
von
Lärmschutzwerten hatte er nach Auskunft des Sozialministers eine Stanzmaschine in
einem gemischten Wohngebiet in Trappenkamp deinstallieren müssen. Bei den
hinterfragten Umständen der Erteilung einer Baugenehmigung an Beckert in einem
anderen Fall hatte der Innenminister dagegen keine Bedenken geäußert.
Der
Veröffentlichungszeitpunkt
der
am
03.04.1962
des
entsprechenden
Berichts
in
sozialdemokratisch ausgerichteten Volkszeitung war erkennbar auf die bald darauf erfolgte
Bürgermeisterwahl in Trappenkamp berechnet gewesen.
Ähnlich wie Gerlich sah sich auch Wolfgang Beckert im Laufe des Jahres 1962 einem
zunehmenden Druck ausgesetzt, in dessen Folge er in der Sitzung am 31.01.1963
seinen Rücktritt als Gemeindevertreter erklärte und dies mit einer seit langem gegen ihn
gerichteten Kampagne begründete. In seinem entsprechende Begleitschreiben ordnete er
266
Kieler Nachrichten, 06.03.1962, S. 5
133
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
diese zeitlich ein: „Die letzten 1 1/2 Jahre davon hatte ich mich ständig gegen
unbegründete Angriffe in einer aufzehrenden Arbeit zur Wehr zu setzen.“ 267 Durch seine
Formulierung über „diese Hetze, gegen die ich allein anzukämpfen hatte“, gab der
ehemalige Bürgermeister dabei einen Hinweis darauf, wann die Verbindungen seines
Förderers und Unterstützers mit Trappenkamp vermutlich aus gesundheitlichen Gründen
schwächer geworden waren, bevor Gerhart Gerlich zum Jahresende 1962 einen Monat
vor Beckerts Rücktritt verstarb.
2.4.) Epilog: Oktober bis Dezember 1962
Ein schwierige Verhältnis zu dem bisherigen Koalitionspartner FDP setzte sich für Gerhard
Gerlich wie für die CDU-Landtagsfraktion zu Beginn der fünften Wahlperiode fort.
Bei den Wahlen im September 1962 hatte die CDU nur einen leichten Stimmenzuwachs
zu verzeichnen gehabt und blieb auf die Freidemokraten und deren weiterhin fünf Mandate
angewiesen. Weil die Liberalen aber statt eines nun zwei Ministerposten einforderten,
blieb es bis zum Jahresende 1962 erstmals bei einer Minderheitenregierung im Schleswigholsteinischen Landtag.
Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd wieder direkt gewonnen und
behielt
bei
der
unübersichtlichen
Lage
im
Landeshaus
seine
Positionen
als
stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, als Vorsitzender des Finanzausschusses, als
Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers sowie seine Mitgliedschaften in den
Ausschüssen Verkehr, Inneres, Volksbildung und zur Wahrung der Rechte der
Volksvertretung.
Bereits zum Ende der vergangenen Wahlperiode hatte dieser Abgeordnete sein
Engagement aus gesundheitlichen Gründen manchmal einschränken müssen und in den
ersten sechs Sitzungen zwischen dem 29.10.1962 und dem 18.12.1962 erstattete er
gelegentlich Bericht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses, fiel
aber kaum noch durch Zwischenrufe auf. So mochte im Nachhinein Gerlichs letzter
derartiger Einwurf im Landtag am 13.11.1962 zu dem Redebeitrag des Oppositionsführers
267
zit. nach Bechert, Chronik, S. 202
134
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Wilhelm Käber über ein kaum abgeschlossenes Streitthema wie ein respektvoller Gruß an
einen fast ebenbürtigen Kontrahenten wirken:
„Auf jeden Fall sollte man unter Berücksichtigung der konkreten Bedingtheit das Mittel der
Volksoberschule Preetz und deren Erfahrungen nicht übersehen.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Auf jeden Fall - lassen Sie mich das hier sehr deutlich aussprechen - ist die Haltung,
nichts ändern zu wollen, das gefährlichste Experiment, das wir mit unserem Sozialkörper
machen können.
(Beifall bei der SPD.)
Entsprechend den Umwälzungen in unserem Wirtschafts- und Sozialgefüge muß sich
unser Bildungssystem anpassen. Entweder meistern wir beides oder keines. Allerdings das möchten wir ausdrücklich betonen - können Veränderungen auf beiden Gebieten
und auf dem Bildungssektor besonders nur dann erfolgreich vorgenommen werden, wenn
das öffentliche Bewußtsein sich auf der Höhe der sachlichen Erfordernisse befindet.
(Abg. Dr. Gerlich: Auch bei den Parlamentariern! - Heiterkeit.)
- Deshalb spreche ich ja zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Gerlich!
(Heiterkeit.)
Weil wir - wir beide jedenfalls - völlig übereinstimmen, Herr Dr. Gerlich!“ 268
Zu den schwierigen Koalitionsgesprächen mit der FDP wurde Gerhard Gerlich vor der
Weihnachtspause 1962 in die Verhandlungskommission der CDU berufen. Gleichzeitig
wurde öffentlich über ein Ministeramt für ihn spekuliert, wie in dem Volkszeitungs-Artikel
„Kombinationen um die Kieler Koalition. Lemke sprach mit Freien Demokraten“ am
13.12.1962 bekannt gegeben wurde: „Beim Sozialministerium bestünde Unklarheit, ob
Frau Ohnesorge dem CDU-Politiker Dr. Gerlich das Feld räumen muß.“
Es mochte an dem Übermaß an Belastungen und einem erkennbar verschlechterten
Gesundheitszustand liegen, dass die SPD-nahe Volkszeitung am 24.12.1962 über
Gerlichs Zurückweisung derartiger Ambitionen zu ergänzen hatte: „Frau Minister
Ohnesorge braucht eine Konkurrenz in der eigenen Fraktion kaum noch zu befürchten: Dr.
Gerlich, der als Anwärter galt, hat erklärt, er strebe kein Ministeramt an.“ 269
268
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 5.
Wahlperiode, 13.11.1962, S. 34; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 5. WP (mit Datum und Seitenzahl)
269
Volkszeitung, 24.12.1962, S. 5
135
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Ausgerechnet an die Adresse dieser Abgeordnetenkollegin hatte er in der Landtagssitzung
vom 11.02.1954 von den schweren Nachwirkungen einer Krankheit berichtet, der nicht nur
Kriegsgefangene, sondern auch Heimkehrer noch nach vielen Jahren (wie letztlich er
selbst) zum Opfer fielen: „Zu den Ausführungen meiner Kollegin Frau Dr. Ohnesorge über
die Dystrophie möchte ich bemerken, daß ich es selbst erlebt habe, wie meine Kameraden
während des Essens tot umgefallen sind. Wenn Menschen, die diese Krankheit
durchgemacht haben, hierherkommen, dann ist es das Schwierigste, ihren Lebenswillen,
das Sich-eingliedern-wollen, überhaupt zu erhalten.“ 270
Als am 27.12.1962 der Tod des erst 51jährigen Gerhard Gerlich im Familienkreis aus
Neumünster vermeldet wurde, wurde die Nachricht landesweit schnell verbreitet und auch
der CDU-Landesdienst gab mit diesem Datum die im Eingangskapitel erwähnte
Pressemeldung „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“ heraus. Wie die meisten
Nachrufe in der Landespresse wies diese einige Fehler oder Lücken zu den teils
unbekannten Lebensstationen Gerlichs auf, dessen zahlreiche Ämter als Landespolitiker
und Vertriebenenfunktionär hingegen stets hervorgehoben wurden.
Eine individuell auf seine Person bezogene kurze Würdigung fand sich stattdessen in der
von seinen politischen Gegnern herausgegebenen Volkszeitung: „Die Parlamentarier der
CDU verlieren mit Doktor Gerlich einen ihrer profiliertesten, wenn nicht den klügsten Kopf
im Landtag.“271 Ebenfalls in dieser sozialdemokratischen Zeitung wurde angesichts von
Gerlichs Tod ein allzu rascher Übergang zum politischen Alltagsgeschäft kritisiert, wie der
VZ-Redakteur Hans-Peter Jochimsen in seinem Kommentar „Eile mit Weile“ vom
31.12.1962 anmerkte:
„Die Unterhändler der Christlich-Demokratischen Union haben es sehr eilig gehabt, das
Ihre zur Wiederherstellung einer kleinen Regierungskoalition zu tun. Trotz des Ablebens
von Doktor Gerlich, der der Verhandlungskommission angehörte, wurde das erste
Gespräch noch an seinem Todestag geführt. Unter dem Zeichen 'Der Klügere gibt nach'
bewilligten die Unions-Mitglieder den Gesprächspartnern von der FDP die vor zwei
Monaten so strikt abgelehnten zwei Ministerien im Landeskabinett.“ 272
270
Protokoll LT-SH, 2.WP., 11.02.1954, S. 1272; vgl. „Dystrophie. Die Krankheit der Heimkehrer“, in: Der
Spiegel, Nr. 41/1953, 07.10.1953, S. 26/27
271
Volkszeitung, 28.12.1962, S. 5
272
Volkszeitung, 31.12.1962, S. 5
136
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Derartige zeitgenössische Überlegungen mögen als Ergänzung zu der Beschreibung der
Trauerfeier für Gerhard Gerlich am 29.12.1962 in Neumünster dienen, die Klaus Deneke
in dem Kapitel „Der letzte Weg“ in seiner Publikation „Materialien zur Person von Dr.
Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde
Trappenkamp und Bornhöved“ zusammengetragen hat. 273 Als am 07.01.1963 der
Schleswig-Holsteinische Landtag zu seiner ersten Tagung im neuen Jahr zusammentrat,
erhoben sich zu Beginn der Sitzung die Abgeordneten von ihren Plätzen für den Nachruf
des Landtagspräsidenten Claus-Joachim von Heydebreck auf den jüngst verstorbenen
Kollegen. Dessen Gedenkworte auf Gerhard Gerlich wichen in mancher Hinsicht von
üblichen Formulierungen bei derartigen Anlässen ab und spiegeln darin Facetten des
komplexen und teils noch zu erforschenden Wesens eines außergewöhnlichen Politikers
und Menschen seiner Zeit:
„Er hatte nicht nur die seltene Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge durchsichtig und
verständlich zu machen; seine ausgezeichneten geistigen Gaben, seine geschliffene
Diktion und seine Passion für die Politik machten ihn gleichzeitig zu einem gefürchteten
Parlamentarier und zu einem unentbehrlichen Ratgeber. (…) Gewiß, er war kein
bequemer Abgeordneter, auch nicht für seine politischen Freunde, und er verstand, eine
scharfe Klinge zu führen.
Aber wir alle verdanken ihm auch so manche gute und
befreiende Lösung aus einer verfahrenen Situation. (…) Der Schleswig-Holsteinische
Landtag grüßt zum letzten Mal Dr. Gerhard Gerlich, einen mutigen, unerschrockenen und
unabhängigen Abgeordneten, dessen Verdienste um unser Land und seine Bevölkerung
ihm ein bleibendes Andenken bewahren werden.“ 274
3.) Zusammenfassung
Der Lebensweg des Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich (09.09.1911-27.12.1962), der
in dem vorgelegten Gutachten untersucht wurde, weist im Vergleich zu denen fast aller
Parlamentsmitglieder dieser frühen Jahre in Schleswig Holstein deutliche Abweichungen
273
274
s. Deneke, Materialien, S. 21/22
Protokoll LT-SH, 5. WP, 07.01.1963, S. 97/98
137
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
bis hin zu einer Alleinstellung auf. Bereits Gerlichs Zeitgenossen haben in den Jahren
1950 bis 1962 sowohl auf Seiten der CDU-geführten Landesregierungen wie auch seitens
der Opposition seinen enorm wachsenden Einfluss auf Landes- und Kommunalpolitik zwar
registriert, aber kaum die zugrundeliegenden Mechanismen und Strukturen oder die von
ihm eingesetzten Mittel, seine Interessen durchzusetzen, umfassend analysieren und
selten öffentlich kommunizieren können.
Auch in der Fachliteratur dieser frühen Jahre über den CDU-Landesverband oder über die
entsprechenden Landesregierungen in Schleswig-Holstein ist Gerhard Gerlich trotz seiner
fortwährenden Position als stellvertretender Landesvorsitzender kaum oder lediglich in
Fußnoten vertreten. Gleichwohl gilt für dieses Parlamentsmitglied nicht, was Jessica von
Seggen der Mehrzahl seiner Kollegen in diesen Jahren attestierte: „(…) viele Abgeordnete
gerade der ersten Landtage haben nur wenige Spuren in der schleswig-holsteinischen
Geschichte und daher auch in den Akten hinterlassen, so dass ihre Biografien schwer, in
manchen Fällen gar nicht, nachvollzogen werden konnten.“ 275
Um eine Grundlage für das Verständnis der Persönlichkeit Gerlichs und seiner
Entwicklungen zu ermöglichen, wurden im Rahmen dieser Untersuchung eingangs im
Kapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ prägnante Erfahrungen
und seine teils intensive Mitarbeit an Fallbeispielen illustriert, die sich auf seine folgenden
Stationen im Kieler Landtag ab 1950 und in der Gemeinde Trappenkamp ab 1955
auswirkten. Gerlichs kommunalpolitische und innerparteiliche Aktivitäten in Neumünster
korrespondierten während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder
Walter Gerlich in aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die
Vorherrschaft innerhalb der Kreispartei der CDU zu erringen. Diese blieben zwar auf
Dauer vergeblich, hatten aber die Nebeneffekte eines gesteigerten Mitgliederwachstums
und intensivierter Beteiligung.
Im einleitenden Kapitel wurde das Zusammenwirken der beiden Brüder bei der
wahrheitswidrig in Abrede gestellten SS-Mitgliedschaft im Rahmen von Gerhard Gerlichs
Ausfüllen seines Entnazifizierungsformulars von 1947 dargestellt. Dieses Vorgehen
275
Seggern, Jessica von: Alte und neue Demokraten. Demokratisierung und Neubildung einer politischen
Elite auf Kreis- und Landesebene 1945 bis 1950, München 2005, S. 16; s. Freund, Michael:
Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, Ein Beitrag zu ihrer gesellschaftspolitischen
Bedeutung als Bundes- und Landtagsabgeordnete, Kiel 1975, (Diss.) S.74/75
138
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
hinsichtlich der eigenen Vergangenheit im Dritten Reich und in der Nachkriegs-Gegenwart
findet eine thematische Verknüpfung zu den darauf folgenden Kapiteln über die
Parlamentsarbeit im schleswig-holsteinischen Landtag von 1950 bis 1962.
Durch eine Analyse von rund 10.000 protokollierten Seiten über die Sitzungen im
Landtagsplenum sowie in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, an denen G.
Gerlich teilnahm, soll der jeweilige Umgang von Abgeordneten oder Regierungsvertretern
mit derartigen Aspekten der NS-Vergangenheit nachvollziehbar gemacht werden. Für eine
geforderte
und
durchgesetzte
Integration
derjenigen
Volksvertreter
oder
Verwaltungsangestellten, die kurz nach Kriegsende z.B. wegen ihrer Mitgliedschaft in
NSDAP oder SS als belastet galten und teilweise aus dem öffentlichen Dienst
ausgeschlossen wurden, setzte sich Gerlich ganz im Zeitgeist insbesondere 1957 im
Kieler Landtag ein.
Derartige Beobachtungen und Entwicklungen aus den zwölf untersuchten Jahren
Parlamentsarbeit können anhand von Datenbanken durch eine umfangreiche und
vielschichtige Untersuchung vertieft werden, die ab Herbst 2016 der Öffentlichkeit in Form
einer Buchpublikation vorgelegt wird. Bereits am 27.04.2016 präsentierte Uwe Danker,
Direktor des Instituts für schleswig-holsteinische Regional- und Zeitgeschichte an der
Universität Flensburg (IZRG), dazu erste Ergebnisse der umfassenden
Studie
„Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität
nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“.
In deren Rahmen hatte er zusammen mit Stephan Glienke und Sebastian Lehmann auf
einstimmigen Beschluss des Landtages in den vergangenen Jahren Lebensläufe von
Abgeordneten und Regierungsmitgliedern im Hinblick auf deren Rolle und Funktionen im
Dritten Reich sowie zu der Frage nach der Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten
und die Auswirkungen auf die politische Kultur des Bundeslandes untersucht. Bei der
Präsentation der Ergebnisse für alle betreffenden Abgeordneten verwies Uwe Danker auf
„eine gewisse strukturelle Selbstverständlichkeit, mit der ehemalige Nationalsozialisten die
Landespolitik dominierten, in der Exekutive noch deutlicher als in der Legislative.“ 276
276
Danker, Uwe/ Glienke, Stephan/ Lehmann, Sebastian: „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der
personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und
Exekutive“ (Presse-Präsentation am 27.04.2016), Kiel/ Schleswig 2016, Pressetext S. 9 (mit Anhängen I
u. II); im Folgenden: Danker/Glienke/Lehmann
139
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Wie weitere Ergebnisse in diesem hier vorgelegten politisch-biografischen Gutachten über
den Landtagsabgeordneten und seine Verbindungen von 1950 bis 1962 vertieft werden
können, so wurde Gerhard Gerlich im Rahmen der IZRG-Studie von den insgesamt 389
untersuchten
Personen
auch
bezüglich
charakteristischer
Grundhaltungen
und
-verhaltensmuster für ein Leben im Nationalsozialismus in die Rubrik „systemtragend/
karrieristisch“ eingeordnet.
einen
Sonderfall
dar,
277
Im Rahmen derartiger Klassifizierungen stellt Gerlich gewiss
da
er
z.B.
in
seiner
Entnazifizierungsakte
ein
Parteiausschlussverfahren aus der NSDAP 1942 angeführt hatte und seine selten
systemkonforme Haltung in den Nachkriegsjahren mit seinem weiterhin ausgeprägt
individuellen Auftreten sowie seiner Entwicklung während der Arbeit im Kieler Landtag
korrespondierte. Dies dürfte ihm eine besondere Glaubwürdigkeit, einen entsprechenden
Nimbus und eine singuläre Stellung mit intensiv in Anspruch genommenen Sonderrechten
eingetragen haben.
Eine Analyse seiner untersuchten Beiträge in diesen Jahren bis 1962 ergab, dass G.
Gerlich Konflikte auch innerhalb seiner Partei, der CDU-Landtagsfraktion oder der eigenen
Landesregierung offensiv und gelegentlich polarisierend führte. Bei einzelnen Projekten
(z.B. in Neumünster oder Preetz) konnte Gerlich energisch, streitbar sowie hartnäckig
auftreten und war auch gelegentlich wegen der Wahl seiner eingesetzten Mittel
Gegenstand erbitterter Kontroversen. Derartige Auseinandersetzungen scheute er weder
gegenüber dem politischen Gegner, unter eigenen Parteifreunden oder mit ihm formell
übergeordneten
Repräsentanten
wie
Parteivorsitzenden,
Ministern
oder
einem
Ministerpräsidenten. Andererseits waren sein Fleiß, umfassendes Fachwissen und
maßgeblicher Einfluss auf wesentliche Entscheidungsträger oft größer und im Hintergrund
wirksamer, als es Gerlichs in der Öffentlichkeit häufig zurückhaltendes und selten
dokumentiertes Auftreten vermuten ließen.
Als Bewohner Trappenkamps diesem (un)heimlich einflussreichen und sehr versierten
Vertriebenen- und Finanzpolitiker Gerlich 1955 für die Wahrnehmung ihrer Interessen
gewannen, nahm die Entwicklung des Ortes zu einer selbstständigen Gemeinde, den
ersten Wahlen bis hin zu der außergewöhnlichen Förderung durch Landes- und
Bundesmittel eine rasante Dynamik an. Diese Fortschritte unter landesweit wohl
277
Danker/Glienke/Lehmann, Anlage I, Seite 12
140
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
einzigartigen Bedingungen wie auch die selten schriftlich nachweisbaren Beiträge Gerlichs
dazu sind in den drei Unterkapiteln von „Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in
besonderem Verhältnis zu Trappenkamp“ illustriert worden.
Wohl allein vor dem Hintergrund der umfangreichen Forschungen zu Gerlichs Erfahrungen
und seiner anderenorts nachweisbaren politisch-strategischen Vorgehensweisen konnten
derart
Indizien
zusammengetragen
werden,
die
die
zum
Scheitern
gebrachte
Konstituierung nach der ersten, am 27.05.1956 gewählten Volksvertretung Trappenkamps
als selbstständige Gemeinde plausibel herleiteten und erklärbar machen. Dieses
Phänomen blieb auch für die meisten Zeitgenossen rätselhaft, und insbesondere im
Jubiläumsjahr 2016 der Gemeinde mag dieses vorgelegte Gutachten einen Anstoß dafür
geben, zu diesem Aspekt der frühen Ortsgeschichte nach seltenen, aber gewiss noch
vorhandenen
Quellen
hinsichtlich
der
Urheberschaft
und
entscheidenden
kommunalpolitischen Mitwirkung von Gerhard Gerlich in einzelnen Archiven oder privaten
Beständen zu forschen.
Zu einer öffentlichen Diskussion über diesen ungewöhnlichen Landtagsabgeordneten und
seiner mehrschichtigen Rolle eines „Geburtshelfers“ der selbstständigen Gemeinde
Trappenkamp scheint für eine Debatte auch in zu vertiefenden landespolitischen
Zusammenhängen zu passen, was Uwe Danker am 26. April 2016 bei der Präsentation
der oben genannten umfassenden Studie „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der
personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen
Legislative und Exekutive“ für alle Landtagsabgeordneten in Schleswig Holstein
ausgeführt hat:
„In diesem Prozess ist es gelungen, ehemalige Nationalsozialisten in den demokratischen
Staat zu integrieren, einige zu wichtigen Protagonisten werden zu lassen. Welche Folgen
für die politische Kultur des Landes damit einhergingen, wäre über unsere ersten Hinweise
hinaus (ebenfalls) noch genauer zu untersuchen.“ 278
Dr. Ulrich Erdmann
278
Kiel, im Juni 2016
Danker/Glienke/Lehmann, Pressetext S. 9
141
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
4.) Quellen und Literatur
Quellen (ungedruckt)
Evangelischer Presseverband Schleswig-Holstein e.V. (Hrsg.): Vertraulicher
Informationsdienst. Kirchliche Informationen für Schleswig-Holstein, Nr. 2/1957
(24.06.1957), S. 8 (Kleine Meldungen), in: Landeskirchliches Archiv Kiel [ 94
(Dokumentation) Nr. 2/1957, Vertraulicher Informationsdienst]
(Gerlich, Gerhard: Antisemitische Vorfälle (handschriftlicher Redeentwurf für den
Landtagspräsidenten), Neumünster 1960, 6 Bl, Kopie [Privatbesitz])
Gerlich, Gerhard: „FDP und Wahlblock“, in: Informationsdienst CDU Schleswig-Holstein,
Nr. 15 (15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7
(Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp
12.03.1969, 1 Bl, Kopie [Privatbesitz])
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses zur Klärung der gegen Landtagspräsident Karl Ratz
vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951 (auszugsweise)
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den
Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe, 4. Wahlperiode Kiel
1959, 211 S.
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4.
Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 1-3, 954 S.
142
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4.
Wahlperiode, Kiel 1960/61, 100 S.
(Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der
„Gerhard-Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D
(1969), 3 Bl, Kopie [Privatbesitz])
Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung
Nr. 44/62 des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962
Quellen (gedruckt)
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen
Landtags, 2. Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 1-1858
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.195420.08.1958), Kiel 1954-1958, S. 1-4017
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode
(29.10.1958-22.08.1962), Kiel 1958-1962, S. 1-2944
Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des SchleswigHolsteinischen Landtags, 5. Wahlperiode (29.10.1962-18.12.1962), Kiel 1962, S. 1-95
Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, hrsg. v. Hanns U. Pusch, Lübeck
(1958-1961, 1.-4. Jg.)
Periodika
Holsteinischer Courier (auszugsweise)
Kieler Nachrichten, Jg. 1950-1953 (und auszugsweise)
Preetzer Zeitung (auszugsweise)
143
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), Jg. 1950-1962
Segeberger Zeitung, Jg. 1955-1960
Literatur
Albert, Klaus: Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Lande
Schleswig-Holstein. Rückblick auf die Regierungszeit von Ministerpräsident Dr. Walter
Bartram (1950/51), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische
Geschichte, Bd. 108, Neumünster 1983, S. 281-317
Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976
Bohn, Robert: „Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen
Nationalsozialismus gegeben hat.“ Zum mustergültigen Scheitern der Entnazifizierung
im ehemaligen Mustergau, in: Demokratische Geschichte 17 (2006), S. 173-187
Borup, Allan: Demokratisierungsprozesse in der Nachkriegszeit, Die CDU in SchleswigHolstein und die Integration demokratieskeptischer Wähler, Bielefeld 2010 (= IZRGSchriftenreihe Bd. 15)
Christiansen, Julia: Die Volksoberschule Preetz. Eine Rekonstruktion ihrer Geschichte,
Kiel 1996 (Staatsexamensarbeit, 64 S.)
Danker, Uwe: Der Landtag und die Vergangenheit. Das Thema
Vergangenheitsbewältigung“ im Schleswig-Holsteinischen Landtag 1947-1992, in:
Demokratische Geschichte 17 (2006), S. 187-202
Danker, Uwe: „Die Täter bildeten ein Kartell des Schweigens“. Die unglaubliche Affäre
Heyde/Sawade 1959, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999,
S. 168-87
144
BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962
Danker, Uwe: Mit Fehlstart in vier Jahrzehnte bürgerlicher Regierungsmehrheit. 19501967: Landespolitik in der Ära Bartram, Lübke, von Hassel und Lemke, in: Danker, Uwe:
Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999, S. 148-167
Danker, Uwe: Vergangenheits'bewältigung' im frühen Land Schleswig-Holstein, in:
Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des
Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 26-43
Danker, Uwe: „Wir subventionieren die Mörder der Demokratie“. Das Tauziehen um die
Altersversorgung von Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse in den Jahren 1951
bis 1958, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 120 (1995), S. 17399
Danker, Uwe/ Glienke, Stephan/ Lehmann, Sebastian: „Geschichtswissenschaftliche
Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswigholsteinischen Legislative und Exekutive“ (Presse-Präsentation am 27.04.2016, sowie
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© Dr. Ulrich Erdmann, Kiel
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verfassers

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