Die Visualisierung des Todes und des toten Körpers im Animationsfilm

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Die Visualisierung des Todes und des toten Körpers im Animationsfilm
Die Visualisierung des Todes und des
toten Körpers im Animationsfilm
Katja Flachberger
DIPLOMARBEIT
eingereicht am
Fachhochschul-Masterstudiengang
Digitale Medien
in Hagenberg
im Juli 2011
© Copyright 2011 Katja Flachberger
Diese Arbeit wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz
Namensnennung–NichtKommerziell–KeineBearbeitung Österreich (CC BYNC-ND) veröffentlicht – siehe http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/
3.0/at/.
ii
Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen
und Hilfsmittel nicht benutzt und die aus anderen Quellen entnommenen
Stellen als solche gekennzeichnet habe.
Hagenberg, am 27. Juni 2011
Katja Flachberger
iii
Inhaltsverzeichnis
Erklärung
iii
Kurzfassung
vi
Abstract
vii
1 Einleitung
1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Motivation und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
2
2 Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Darstellung des Todes in der bildenden Kunst . . . . . . . . .
2.2.1 Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert . . . . . . . .
2.2.2 Das 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart . . . . . . . .
2.3 Kategorisierung der Darstellung toter und sterbender Körper
2.3.1 Der schöne Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2 Der offene und zerstörte Körper . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Das Tote am Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Die Funktion der Auseinandersetzung mit dem Tod in der Kunst
3
3
4
4
7
11
11
12
14
16
3 Der Tod im Animationsfilm
18
3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3.2 Die Darstellung des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.2.1 Frühe Darstellungen des Todes in Kurzfilmen . . . . . 19
3.2.2 Der Tod im animierten Spielfilm für Kinder . . . . . . 21
3.2.3 Der nicht jugendfreie Tod im animierten Spielfilm . . . 24
3.3 Unsterblichkeit in Zeichentrickserien . . . . . . . . . . . . . . 25
3.3.1 Unverwüstliche Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.3.2 Der wiederholte Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.4 Personifikation des Todes in der Animation . . . . . . . . . . 29
3.5 Exkurs: Tod und Metalepse in der Animation . . . . . . . . . 33
3.5.1 Tod durch Überschreitung der diegetischen Grenzen . 35
3.5.2 Sterblichkeitsbewusstsein bei animierten Charakteren . 36
iv
Inhaltsverzeichnis
3.5.3
v
Interaktion mit dem Tod des belebten Körpers . . . .
4 Darstellungsformen des toten Körpers im
4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Der schöne Tod . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Die Ästhetik offener und geteilter Körper
4.4 Der temporäre Tod . . . . . . . . . . . . .
4.5 Das transi-Motiv . . . . . . . . . . . . . .
4.6 Das Tote am Toten . . . . . . . . . . . . .
5 Schlussbemerkungen
38
Animationsfilm 40
. . . . . . . . . . . 40
. . . . . . . . . . . 41
. . . . . . . . . . . 45
. . . . . . . . . . . 51
. . . . . . . . . . . 54
. . . . . . . . . . . 59
65
A Inhalt der CD-ROM
67
A.1 PDF-Diplomarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
A.2 Online-Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Literaturverzeichnis
69
Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Visualisierung des Todes und
des toten Körpers im Animationsfilm. Die Auseinandersetzung mit der Todesthematik in der Animation bietet vielfältige gestalterische Möglichkeiten,
die sich nicht durch Realitätsnähe auszeichnen müssen und daher einen freieren Zugang zur Darstellung des Todes zulassen. Die Charaktere in Animationen leben meist in einer fiktiven Welt, die für sie geschaffen wurde und
müssen den physischen und biologischen Naturgesetzen damit nicht gehorchen. Durch eine stilisierte oder abstrakte Visualisierung können ungewohnte
Todesdarstellungen entstehen, oder auch bekannte Formen eine divergente
Wirkung beim Betrachter erzielen. Im Zuge der Untersuchung werden den
Darstellungen des Todes in der Animation Beispiele aus bildender Kunst, Fotografie und Realfilm gegenübergestellt. Es werden die verschiedenen Formen
des Todes im Animationsfilm betrachtet, zahlreiche Beispiele unter verschiedenen Kriterien analysiert und dabei die Besonderheiten, die sich bei der
Visualisierung des Todes zeigen, heraus gearbeitet.
vi
Abstract
This thesis deals with the visualization of death and dead bodies in animated films. The examination of the death thematic within animation offers
multifarious, creative possibilities which do not have to be characterized by
realism and therefore it endorses a more free approach of death illustration.
Most of the animated characters live in a fictional world which was designed
especially for them and they do not have to obey to physical and biological
laws of nature. Through stylized or abstract visualization unfamiliar illustrations can be generated. Moreover familiar illustrations can reach a divergent
reaction by the observer. In the course of analysis the illustration of death
within the animation is opposed to examples of fine arts, photography and
live action. Various types of death in animated films will be examined and a
variety of examples of different criteria will be analyzed. Through all these
analysis the specifics of the visualization of death will be figured out.
vii
Kapitel 1
Einleitung
1.1
Einführung
Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen, welches seit jeher in allen Kunstrichtungen behandelt wird. Der Tod
und der tote Körper fasziniert, es umgibt ihn, wie es Alfred J. Gahlmann
formuliert, eine „merkwürdige Aura der Neugier“ [15, S. 572]. Die Konfrontation mit dem Tod im Bewegtbild ist heutzutage bei durchschnittlichem
Medienkonsum unumgänglich. Mittels einer Flut von Bildern wird uns der
Tod tagtäglich über Nachrichten, Fernsehen und Filme ins Haus geliefert.
Der Animationsfilm bietet dabei eine besondere Plattform für die visuelle
Umsetzung der Todesthematik. Die Charaktere in Animationsfilmen leben
meist in einer fiktiven Welt, die für sie geschaffen wurde. In diesen Welten
gibt es eigene Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die sich an den realen orientieren, jedoch auch völlig neu gestaltet werden können. Die Charaktere müssen
sich daher nicht an die physischen und biologischen Naturgesetze halten und
damit besteht auch die Möglichkeit, den Tod in einer ungewohnten Weise
dazustellen.
Während die Darstellungsformen des Todes im Realfilm meist von Realitätsnähe geprägt sind, besteht in der Animation die Gelegenheit einen freieren Zugang bei der Visualisierung des Todes zu wählen. In dieser Arbeit
wird versucht, die erweiterten gestalterischen Möglichkeiten zu ergründen,
die im Animationsfilm ausgeschöpft werden. Die visuelle Umsetzung der Todesthematik in der Animation wird dabei Beispielen aus bildender Kunst,
Fotografie und Realfilm gegenübergestellt. Als Abgrenzung werden nur Beispiele verwendet, die aus dem europäischen und US-amerikanischen Raum
kommen und sich damit durch ähnliche kulturelle Werte auszeichnen. Hierbei steht der tote Körper und seine Visualisierung im Mittelpunkt. Ziel ist es,
die Besonderheiten, die der Darstellung des Todes und vor allem des toten
Körpers im Animationsfilm zugrunde liegen, herauszuarbeiten.
1
1. Einleitung
1.2
2
Motivation und Struktur
Mein Interesse für die Darstellungen des Todes im Animationsfilm wurde
durch die zahlreichen animierten Kurzfilme, die sich mit dem Tod in einer humorvollen Weise auseinandersetzen, geweckt. Darin werden teils an
sich brutale Erscheinungen so dargestellt, dass nicht das Grauen oder der
Schrecken über den zerstörten Körper in den Mittelpunkt rückt, sondern die
skurrile Geschichte und die absurde Visualisierung Vergnügen bereitet. Bei
der Darstellung von Charakteren in stilisierter oder abstrakter Form können
sich sehr fantasievolle Erscheinungen des Todes ergeben, die so im Realfilm
nicht umsetzbar wären oder eine gänzlich andere Wirkung auf den Betrachter
hätten.
Während es zu den Darstellungen des Todes in bildender Kunst, Fotografie und Realfilm bereits viele Untersuchungen gibt, wurde der Betrachtung
dieser Thematik im Animationsfilm bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Dies war für mich der Anlass, in meiner Arbeit die Todesdarstellungen in
der Animation zu untersuchen.
Um einen Einblick in die Visualisierung des Todes zu bekommen, werden im zweiten Kapitel die Darstellungsformen des Todes betrachtet, die
in bildender Kunst, Fotografie und Realfilm zu finden sind. Dazu wird untersucht, wie sich die Darstellung des Todes im geschichtlichen Verlauf und
mit dem Aufkommen neuer Medien entwickelt hat und welche Formen dabei
häufig aufgegriffen werden. In einer Kategorisierung wird im folgenden auf
herausstechende Visualisierungen genauer eingegangen, um diese im weiteren Verlauf der Arbeit für die Gegenüberstellung mit den Darstellungen des
Todes im Animationsfilm zu verwenden.
Das Interesse des dritten Kapitels gilt den verschiedenen Bereichen, in
welchen der Tod im Animationsfilm zu finden ist. Es werden Beispiele für
die ersten Tode in der Animation betrachtet und das Vorkommen des Todes
in animierten Spielfilmen untersucht. Weiters wird ein Blick auf die Visualisierung des personifizierten Todes im Animationsfilm geworfen und die Umsetzung bzw. Adaption des Totentanzes für dieses Genre untersucht. Zudem
wird in diesem Kapitel der Tod im Zuge der Überschreitung der Diegese behandelt. Die Figuren einer fiktiven Welt können aus dieser heraus fallen und
damit ihre Fiktivität offenbaren.
Das vierte Kapitel widmet sich der Darstellung des toten Körpers in der
Animation. Dazu werden zu verschieden Gesichtspunkten ausgewählte Animationsbeispiele untersucht. Die Erkenntnisse aus dem zweiten Kapitel sollen
dabei in die Betrachtung mit einfließen und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede erarbeitet werden. Besondere Formen der Visualisierung des Todes
im Animationsfilm werden betrachtet und gegebenenfalls mit Darstellungen
aus dem Realfilm verglichen.
Kapitel 2
Einführende Worte zur
Visualisierung des Todes
2.1
Einführung
In diesem Kapitel soll ein Einblick in die Auseinandersetzung mit dem Tod
in Gesellschaft und Kunst gegeben werden. Der Umgang mit dem Tod wurde
durch verschiedene Einflüsse, wie etwa Kriege, Krankheiten oder die Religion
geprägt. Die Gesellschaft hat sich mit der Zeit verändert und weiterentwickelt
und damit auch der Zugang zur Todesthematik. Hier sollen in chronologischer
Reihenfolge verschiedene Darstellungsformen des Todes betrachtet werden,
die von der Antike bis zur Gegenwart entstanden sind. In der Arbeit werden nur Animationen aus dem europäischen und US-amerikanischen Raum
behandelt, daher soll für die Untersuchung der Todesbilder in der bildenden
Kunst und im Film ebenfalls nur dieses Gebiet berücksichtigt werden. Aufgrund der enormen Fülle von Darstellungen des Todes, kann nur ein kleiner
Einblick in diese Thematik genommen werden. Eine ausführliche Untersuchung wäre im Rahmen dieser Arbeit nicht umzusetzen, ist jedoch auch nicht
nötig. Vielmehr wird versucht auf die wichtigsten Entwicklungen einzugehen.
Aus dem Ergebnis dieser Ausführung wird im Anschluss eine Gliederung
aus hervorstechenden Punkten der Darstellungen des Todes erarbeitet, um in
Kapitel 4 in die Analyse von Beispielen aus dem Animationsfilm einzufließen.
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kapitel kurz behandelt werden soll, ist
die Frage nach den Motiven, die zur Bebilderung des Todes und der Toten
führen.
3
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
2.2
2.2.1
4
Darstellung des Todes in der bildenden Kunst
Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert
In der bildenden Kunst der Antike ist der gewaltsame Tod das dominierende
Thema bei der Darstellung von sterbenden und toten Körpern. Man findet
ihn etwa in Gestalt von Plastiken, als Wandmalerei oder auch als Verzierung
auf Vasen und Särgen. Auf Sarkophagen wurde das Sterben oftmals in Form
von Bildgeschichten dargestellt, bei denen die Toten vielfach mit Göttern,
wie dem Totengeleiter Hermes, abgebildet wurden. Diese galten damals als
Verursacher und Auslöser von gewaltsamen Tötungen. Häufige Motive solcher Abbildungen waren der Mord von Familienangehörigen, der Tod im
Kampf oder die tödliche Rache eines Gottes. Man kann bei diesen Todesdarstellungen erstmals von einem schönen Tod sprechen, denn obwohl die
Darstellungen meist vom gewaltvollen Tod handeln, wurden die Toten mit
nahezu unversehrten, jugendlichen Körpern in ansprechender, oft sinnlicher
Pose dargestellt [33, S. 35–46].
Im Mittelalter war die europäische Gesellschaft, die Malerei und damit
auch die Darstellungen des Todes geprägt vom christlichen Glauben. Die
bildende Kunst dieser Zeit hat ihre Spuren vor allem in Kirchen, Klöstern
und an Friedhöfen in Form von Plastiken und Wandmalereien hinterlassen.
Zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert entwickelte sich eine der wohl bekanntesten Darstellungen des toten Körpers, das Bild des blutüberströmten
Christus am Kreuz [39, S. 535]. Bis zum 15. Jahrhundert unterschied sich
der tote kaum vom lebendigen Körper, da er ohne besondere Anzeichen des
Todes abgebildet wurde. Es sei denn, die Darstellungen zeigten eine äussere
Gewalteinwirkung durch die der Tod der Person angenommen werden konnte, wie es bei einem von Klingen durchbohrten Körper der Fall ist [2, S. 210,
218].
Mit dem Spätmittelalter entwickelte sich eine Darstellungsästhetik, die
als makabre Ikonographie bezeichnet wird. Philippe Ariès führt aus, dass sie
die Abbildungen von toten Körpern vom 14. bis 16. Jahrhundert besonders
dort prägte, wo die Gesichter der Toten bedeckt wurden.1 Eine weitere Ursache für deren Entwicklung war, so Tina Weber, das wachsende Interesse
an der Anatomie [38, S. 553]. Der Hauptakteur der makabren Ikonographie
ist der verwesende Leichnam, der „Erstarrte“, auch transi genannt, den man
zuerst in Form von Grabplastiken fand [1, S. 141 ff]. Ein Beispiel dafür ist
die Grabplastik L’homme à moulons, in Boussu (Belgien). Sie zeigt den
aufgebahrten, verwesten und schon offenen Körper eines Mannes. Die Haut
ist an manchen Stellen bis auf die Knochen verwest, der Körper von Wür1
Im mittelalterlichen Zeitraum war es üblich den Toten und vor allem das Gesicht,
bis zur Beisetzung nicht zu bedecken. Erst mit dem 13. Jh wurde in der lateinischen
Christenheit, die mediterranen Länder ausgenommen, der Leichnam als ein unerträglicher
Anblick wahrgenommen, dies führte zur Verhüllung des Toten sofort nach dem Tod [1, S.
146, 216 ff].
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
5
mern übersät und Rippen sowie Wirbelsäule stehen aus dem hohlen Rumpf
hervor. Die noch mit Haut überzogenen Stellen sind eingefallen und lassen das Skelett erkennen. Während die Darstellungen der Leichen im 15.
Jahrhundert die Zersetzung des Körpers im Mittelpunkt hatten, wurde im
16. Jahrhundert das Augenmerk auf die beginnende Veränderung des toten
Körpers gelegt. Interessant waren die ersten Anzeichen des körperlichen Verfalles, etwa die Veränderung der Hautfarbe [1, S. 477]. Die Motive waren
häufig religiös geprägt oder setzten sich mit dem massenhaften Tod in Folge
von Pest und anderen Seuchen auseinander, die zu dieser Zeit die Menschen
reihenweise dahinrafften.2 Große Furcht bereitete in der Zeit der Seuchen die
Plötzlichkeit des Todes, die das Verabschieden und Vorsorgen, in religiöser
Sicht vor allem die Beichte, vor dem Tod verhinderte.
Mit den Epidemien im Hintergrund entwickelte sich im 15. Jahrhundert
die Darstellung des Totentanzes. Er hat seine Grundlage im christlichen
Glauben und diente als bildhaftes memento mori dazu, die Menschen an
den plötzlich auftretenden Tod und damit an ein gottgefälliges Leben und
die ständige Beichte zu erinnern. Ursprünglich stellte er wirklich einen „Tanz
der Toten“ dar, bei dem Personen – egal welchen Geschlechtes oder Ranges – gewaltsam von einem Skelett ins Jenseits geführt wurden [27, S. 77].
Die begriffliche Bedeutung des Totentanzes hat sich gewandelt und ist ungenau definiert. Seit der Renaissance versteht man darunter alle Darstellungen,
deren Themen von Mensch und Tod dominiert werden. Mit dem Totentanz
entwickelte sich auch eine besondere Thematik: Das Mädchen und der Tod.
Dabei wurde ein meist „fraulich erblühter Mädchenkörper“ mit dem Tod
in Form eines Gerippes konfrontiert und damit auf die Vergänglichkeit von
Schönheit und Jugend hingewiesen [4, S. 105, 117]. Während die Darstellungen von Liebe und Tod in den Totentänzen vom 14. und 15. Jahrhundert
sittsam waren, sind jene aus dem 16. Jahrhundert geprägt von Gewalt und
Erotik. Philippe Ariès drückt es so aus [1, S. 472]:
„Der Tod ist nicht mehr Werkzeug der Notwendigkeit, er ist von
Begierde nach Genuß belebt, er ist zugleich Tod und Begierde.“
Der Totentanz hat sich mit der Zeit verändert. Zu seinen Anfängen im
14. Jahrhundert wurden vor allem Totentänze mit mehreren Personen und
Skeletten gezeigt. Mit Beginn der Neuzeit entwickelte er sich zu einer individualisierten Form, in welcher der Einzelne dem Tod begegnet. Im Barockzeitalter wird der Totentanz von allegorischen und sinnbildlichen Motiven überhäuft, er verliert zuerst langsam seinen religiösen Hintergrund und
schließlich seinen Schrecken. Im 19. und 20. Jahrhundert kam es zu einem
gesteigerten Interesse am mittelalterlichen Totentanz, dessen Aufleben von
stark erotischen Tendenzen begleitet wurde [4, S. 109–120]. Die Verbindung
von Eros und Thanatos zeigt sich etwa bei Edward Munchs Das Mädchen
2
Es dienen etwa Leichenkarren und ausgehobene Massengräber als Motive [1, S. 162].
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
6
und der Tod (1894), bei dem ein Gerippe sein Bein in den Schoß einer
Frau gräbt und die Beiden eng umschlungen den „Todeskuss“ vollführen. Die
Personalisierung des Todes wurde in der bildenden Kunst zunächst als verwesender Leichnam dargestellt, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts vom
nackten Gerippe abgelöst wurde [2, S. 184]. Ende des Spätmittelalters kam
es zu weiteren Versionen eines personalisierten Todes in unterschiedlichen
Ausführungen, wie etwa der Sensenmann, der Schnitter Tod, der Ritter Tod
oder der Lebensfaden abschneidende Parze [29, S. 19].
Zeitgleich mit dem Totentanz tritt auch das Thema der „Triumph des
Todes“ [1, S. 151] auf, das nicht von der individuellen Auseinandersetzung
zwischen Tod und Mensch, sondern von der „kollektiven Macht“ des Todes
zeugt. Diese zeigt sich in der Form der Personifikation des Todes als Skelett
oder Mumie, und auch durch Symbole wie Sanduhr und Sense. Hintergrund
sind wie beim Totentanz Seuchen und Pest, die damals die Menschen dahingerafft haben [1, S. 152]. Ein Beispiel für den allmächtigen Tod findet sich
in dem Bild Die Pest (1898) von Arnold Böckling. Es zeigt den Tod, der
verwest und bis auf die Knochen abgemagert, auf einem Gift sprühenden
Drachen durch die Stadt fliegt und dabei die Sense schwingt. Anstelle der
Augen sieht man nur ins schwarze Nichts.
Das große Interesse an der Anatomie des menschlichen Körpers, führte
im 16. und 17. Jahrhundert zu gemeinschaftlichen teils auch öffentlichen Sezierungen, die ebenfalls in Bildern festgehalten wurden. Ein Gemälde von
Peter Michielsz van Miereveld zeigt beispielsweise einen auf dem Seziertisch
aufgebahrten, geöffneten Leichnam, umringt von interessierten männlichen
Zusehern.3 Im 16. Jahrhundert bekommt die Porträtkunst eine neue Facette, die realistische Darstellung des kürzlich verstorbenen Körpers. Die PostMortem-Gemälde zeigen den Leichnam, der sorgsam positioniert und meist
noch im Totenbett, in der Form des ewigen Schlafes dargestellt wird [2, S.
191, 207].
Im 18. Jahrhundert hält das Morbide Einzug ins gesellschaftliche Leben.
Dies zeigt sich in Form von öffentlichen Leichenschauhäusern und Hinrichtungen und bringt eine weitere Variante der Verbindung von Eros und Thanatos. Die Liebe geht in der Kunst der schwarzen Romantik über den Tod
hinaus und wird in Liebesbeziehungen zwischen Lebenden und Toten dargestellt [2, S. 222]. Im Zuge dessen entstehen viele Gemälde von Friedhofszenen,
in denen Tote von ihren Angehörigen aus ihren Gräbern entnommen werden.
3
Bsp.: Die Anatomiestunde des Doktor W. van der Meer in Delft von Peter Michielsz
van Miereveld (1617).
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
2.2.2
7
Das 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Mit der Erfindung der Fotografie gab es ein neues Medium für die Darstellung
des Todes. Die Verbindung von Tod und Fotografie griff auf bekanntes zurück, brachte jedoch auch neue Formen hervor. Mitte des 19. Jahrhunderts
entwickelte sich der Bereich der Post-Mortem-Fotografie in verschiedenen
Ausführungen. Die Leichen wurden im Kreis der Familie, am Schreibtisch
oder in den Armen der Mutter fotografiert [37, S. 996]. Die Toten wurden
meist schlafend dargestellt, oder im Fall von Kindern oft sogar im Sonntagskleid sitzend und mit geöffneten Augen [2, S. 259 ff]. Es ging darum
dem Leichnam Leben einzuhauchen und den Tod für die Dauer des Fotos zu
negieren.
Diese Art der Fotografie war damals die Haupteinnahmequelle von Fotografen [30, S. 417]. Eine Umkehrung dessen ist die Aufnahme des lebendigen
Körpers, als wäre er Tod. Hier wird der Tod nachgeahmt und auf dem Bild
festgehalten.4 Eine weitere Form der „Todesfotografie“, die etwas später aufkam, ist die Jagd nach dem Augenblick des Todes. Es sind Aufnahmen, die
den echten Tod zeigen, wenn er gerade eintritt [10, S. 89 ff]. Eines der berühmtesten Bespiele hierfür ist das Bild Spanischer Loyalist (1936) von
Robert Capa. Das Foto zeigt einen Soldaten, der von einem Schuss getroffen,
das Gewehr fallen lässt und zusammensackt.
An dieser Stelle soll ein aktuelleres Beispiel zu dieser Thematik erwähnt
werden. Bei der Installation Slow Death von John Gerrard wurde der Tod
eines Soldaten aus dem Computerspiel Unreal Tournament, der normalerweise wenige Sekunden dauert, für die ARS-Electronica Ausstellung 2003
auf sechs Tage ausgedehnt.5 Der Soldat wird in der Installation von einer
Kugel getroffen und fällt sterbend zu Boden. Durch den zeitlich gedehnten
Tod werden Details des Sterbens sichtbar, die sonst in der Flüchtigkeit des
Moments verloren gehen.6
Eine weitere Entwicklung in der Fotografie des 19. Jahrhunderts ist die
Entstehung der „Geisterfotografie“. Lichterscheinungen wurden schon immer
als Zeichen oder Medium zur spirituellen Welt gesehen. Daher verwundert es
nicht, dass der Lichtmalerei zugeschrieben wurde, die Strahlen von Schatten
und Geistern aus dem Jenseits in Bildern festhalten zu können [30, S. 415].
Neben vermeintlich echten Geisterfotografien, auf denen „verdünnte Gestalten“, wie Anette Hüsch es nennt, oder sonderbare Flecken abgebildet waren,
entfaltete sich auch ein gutes Geschäft mit manipulierten Fotografien, in denen durch Doppelbelichtung entstandene Geister zu sehen sind. Näheres zur
Geisterfotographie in [17].
4
Bsp.: Selbstportrait als Ertrinkender (1840) von Hippolyte Bayard.
In der Version des Projektes fürs Internet dauert der Tod des Soldaten zwanzig Tage, was der ungefähren Zeit entspricht, die zwischen der US-Invasion im Irak und dem
inszenierten Abriss der Saddam Hussein Statue in Bagdad lag.
6
Quellen: http://www.artinfo.com/news/story/26093/john-gerrard/,
http://www.aec.at/bilderclient_detail_de.php?id=24294&iAreaID=63.
5
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
8
Während die Post-Mortem-Fotografien Mitte des 19. Jh als Erinnerungsmaterial dienten und hauptsächlich den schönen schlafenden Tod zeigen,
bilden die Post-Mortem-Fotografien, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts
aufkamen, den brutalen Verfall und die Auflösung des Körpers ab. Als Beispiel dafür können die Arbeiten der Fotografin Sue Fox angeführt werden.
Sie hat in den 1990er Jahren über vier Jahre Aufnahmen von toten Körpern in Autopsieräumen gemacht, welche die unbeschönigte Zerstörung und
den Verfall zeigen, der mit dem Tod einhergeht. In aller Deutlichkeit kommt
bei diesen Fotos das „Tote am Toten“ [23, S. 303] zur Geltung, die heraus
hängenden Gedärme schockieren und lassen keine Gewöhnung zu. Zu dieser
Zeit entwickelte sich generell ein großes Interesse an forensischen Fotos, die
in zahlreichen Büchern und Ausstellungen veröffentlicht wurden [8, S. 365].
Einen grundverschiedenen Zugang zur Fotografie von toten Körpern findet man bei dem Projekt Noch mal leben vor dem Tod von Beate
Lakotta und Walter Schels, die über zwei Jahre unheilbar Kranke in Hospizen begleitet haben.7 Dabei wurden bei jeder Person zwei Bilder in gleicher
Pose und Lichtstimmung gemacht, eines vor und eines nach dem Tod. Auf
eine andere Weise nähert sich Hans Danuser dem toten Körper. Er lichtet
nicht die gesamte Erscheinung des Menschen ab, sondern konzentriert sich
auf winzige Details der Haut. Teile des Körpers werden in seinen Arbeiten als
abstrakte Fragmente dargestellt, die man erst auf den zweiten Blick zuordnen kann. Es geht im dabei um die Topographie der Oberfläche. Die Haut als
Schutzhülle des Körper wird in extremen Detailaufnahmen mit Spuren von
„Verwesung, Verwundung, Vernarbung oder natürlicher Faltung“ dargestellt.
Eine Textur der Haut, die verfremdet anmutet [7, S. 447].
Mit der Erfindung des Films gab es wiederum ein neues Medium für
die Darstellung des Todes, vor allem jedoch des Sterbens, dass mit dem
Zusatz der Bewegung eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnete. Eine der
ersten Darstellungen des Sterbens und des toten Körpers findet sich bereits
in dem Film The Execution of Mary, Queen of Scots (USA, Alfred
Clark, 1895). In diesem Film wurde mit Hilfe des Anhaltens der Kamera der
Schauspieler während der Exekution mit einer Puppe vertauscht, und so eine
realistische Darstellung der Exekution nachgestellt.
Dem Tod wird ausserhalb des Filmgenres, in dem explizit der tote Körper im Mittelpunkt steht, jedoch selten ein sichtbarer Raum gewährt. Auch
in Filmen in denen massenhaft gestorben wird, wie Kriminal-, Western- und
Actionfilme, erhält er nur eine geringe Aufmerksamkeit. Arno Meteling erklärt dies in [26, S. 519–520] durch die Unbeweglichkeit des Todes, die den
filmischen Konventionen widerspricht. Der sterbende Körper ist spannend,
doch sobald das Leben erloschen ist und der Leichnam keine Aufmerksamkeit des Zusehers mehr verlangt, wird es schnell langweilig. Die Lösung fand
sich, so Meteling, in der Wiederkehr der Toten als Untote. Zugunsten des
7
Näheres dazu siehe http://www.noch-mal-leben.de.
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
9
Erzählflusses, der durch die Inszenierung des gewaltsamen Todes häufig unterbrochen scheint, wird der gewaltsame Tod in Hollywoodfilmen oft mit dem
Filmschnitt verborgen und ins „Off“ gestellt.
Ganz anders beim Horrorfilm. In diesem Genre wird der tote Körper mit
größtmöglicher Sichtbarkeit in Szene gesetzt. Dies trifft vor allem auf den
modernen Horrorfilm zu, der auch als Körper-Horror bezeichnet wird. Das
Horrorfilmgenre kann man in zwei große Bereiche teilen. Zum einen der klassische Horrorfilm, dessen Phase sich von den 30er Jahren bis Ende der 60er
Jahre des 20. Jh. erstreckte. In den 1930er und 1940er Jahren handelte er
meist von übernatürliche Wesen wie Gespenstern, Vampiren, Werwölfen und
künstlichen Menschen, die er aus Romanen und Erzählungen der Schauerliteratur des späten 18. Jahrhunderts entlieh.8 Die Unheimlichkeit des Übernatürlichen, das sich auch in den Schauplätzen widerspiegelt, erzeugt im
klassischen Horrorfilm Angst und Schrecken [25, S. 15]. Zum anderen gibt
es den Bereich des modernen Horrorfilms, der sich in den 60er Jahren des
20. Jh entwickelt hat und den toten Körper in den Mittelpunkt stellt. Die
unheimlichen Schauplätze werden durch ländliche Gegenden und Großstädte und die übernatürlichen Wesen durch menschliche Monster, Zombies und
Serienmörder ersetzt. In den Filmen des „Körper-Horror“ entwickelt sich eine „spezielle Wund- und Sterbeästhetik“ [26, S. 520], wobei das Augenmerk
auf dem zerstörten Körper liegt. Die Kamera kommt dabei ganz nah an den
Körper heran, sie dringt sogar in ihn ein [25, S. 21–32]. In den 1970er und
1980er Jahren entsteht eine große Anzahl von Filmen mit Splatter-Ästhetik,
in denen die blutige Gewalt und Zerstörung am Körper möglichst authentisch
und unästhetisch dargestellt wird.9
Das Interesse am toten Körper als forensisches Untersuchungsobjekt, welches sich bereits in der bildenden Kunst des 16. Jahrhunderts zeigte und auch
in Fotografien Ende des 20. Jahrhunderts zu finden ist, wird um das Jahr
2000 vermehrt fürs Fernsehen entdeckt. Zu dieser Zeit gibt es einen enormen
Anstieg von Serien, in denen Leichen im Mittelpunkt der Handlung stehen
[38, S. 542]. Dabei gibt es verschiedene Zugänge den toten Körper zu fokussieren, meist wird jedoch der gewaltsam eingetretene Tod thematisiert.
Erfolgreichstes Beispiel dafür ist die US-amerikanische Krimiserie CSI Las
Vegas, die seit dem Jahr 2000 von Jerry Bruckheimer produziert wird.10 Sie
rückt den toten Körper und dessen forensische Begutachtung in den Mittelpunkt der Handlung. Der Leichnam wird dabei erkundet und in Anlehnung
an die reale Autopsie auseinander gebaut. Es werden die tiefsten Einblicke
8
Vertreter sind beispielsweise Frankenstein (USA, James Whales, 1930) und Dracula (USA, Tod Browning, 1931).
9
Wichtige Vertreter dieser Art sind beispielsweise Halloween (USA, John Carpenter,
1978) und Night of the Living Dead (USA, George A. Romero, 1979).
10
Weitere Varianten: CSI Miami (seit 2002) und CSI New York (seit 2004).
Andere Formate, die sich mit der selben Thematik beschäftigen sind etwa Crossing Jordan
(USA, 2001–2007) und Medical Detectives (USA, seit 1996).
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
10
gewährt und die kleinsten Stellen des Körper unter die Lupe genommen.
Einen anderen Zugang zum toten Körper findet man bei der Serie Six
Feet Under11 . In dieser Serie steht der tote Körper nicht als zu untersuchender Gegenstand im Mittelpunkt, es dreht sich vielmehr um den Umgang
mit dem toten Körper während der Bestattungsvorbereitungen [38, S. 544].
So unterschiedlich die Thematik der Serien ist, ebenso verschieden sind die
Darstellungen der Toten. Während in CSI die Leichen primär als gerichtsmedizinisches Untersuchungsobjekt gesehen werden, handelt es sich bei den
Toten in Six Feet Under um Personen mit Identität. Dies zeigt sich zum einen
im Umgang mit den Toten, in Six Feet Under etwa verlangen die Verhaltensregeln einen respektvolleren Umgang mit den Leichen, besonders aber kommt
der Unterschied in der Art der Darstellung zur Geltung. Bei CSI werden beispielsweise Anzeichen des Todes, wie Leichenflecken, genauestens und aus
nächster Nähe gezeigt, während man auf solche Darstellungen in Six Feet
Under großteils verzichtet [38, S. 547]. Mit der Entwicklung neuer Techniken haben sich immer bessere Möglichkeiten ergeben, das Sterben und den
toten Köper realistisch im Film zu visualisieren. Mit perfekten Masken und
der Hilfe von visuellen Effekten werden heute naturgetreue Darstellungen im
Film geschaffen, die von der Realität nicht mehr zu unterscheiden sind.
Zusammenfassung
Der Tod wurde seit jeher in Bildern thematisiert. Er ist, so Thomas Macho in
[21, S. 183] eine Grenzerfahrung, dessen begriffliche Leere durch Bilder und
Symbole, in Metaphern und Allegorien zu umgehen versucht wird. Dabei
lässt sich bis zur Zeit der Aufklärung eine tiefe Verwurzelung der Darstellungen des Todes mit der Religion erkennen, die erst im Zuge der Säkularisierung abnahm. Ein besonderes Interesse an der Todesthematik und eine
vermehrte Behandlung in der Kunst zeigte sich immer dann, wenn die Frage
nach dem Sinn des Lebens auf Grund von Krisen, Kriegen, Konflikten und
persönlicher Not aktuell wurde [27, S. 5]. Die Auseinandersetzung mit dem
Tod erfolgt dabei auf die unterschiedlichste Weise. Er wird mit allen seinen
unschönen Begleiterscheinungen dargestellt, wie es etwa bei den verwesenden Leichen im 15. Jahrhundert oder den Fotografien von Sue Fox der Fall
ist, der Tod wird bei den Post-Mortem-Gemälden und Fotografien überlistet
bzw. negiert, er wird in dokumentarischer Form aufgearbeitet, beispielsweise zu sehen in dem Bild Toter Sappenposten (1924) von Otto Dix, und
ebenso humorvoll seines Schreckens beraubt, unter anderem in dem Bild Der
pinkelnde Tod (1900) von Max Klinger.
Durch die Medien gelangt heute eine Flut von Bildern des Sterbens und
des Todes in die Privatsphäre, während das individuelle Sterben immer wei11
Die US-amerikanische Serie wurde von 2001-2005 von Alan Ball für den Sender HBO
produziert.
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
11
ter aus dem privaten Bereich in Krankenhäuser und Altersheime verlegt wird
[28, S. 22]. Das Fernsehen steht bei der Verbreitung von Todesbildern an der
ersten Stelle. Über Nachrichtenagenturen erfahren wir von Konflikten, Kriegen und Naturkatastrophen mit tausenden Toten, sehen Berichte mit Bildern
von Morden, Selbstmorden, tödlichen Unfällen und Krankheiten von der ganzen Welt, um wenig später bei Serien und Filmen eine vergleichbare Auswahl
zu finden. Diese permanente Beschallung stumpft ab und führt zu einer Immunisierung gegen Tod- und Gewaltdarstellungen, wie Marianne Mischke
in [27, S. 200 ff] ausführt. Der Tod in Film und Fernsehen wird zu einem
Großteil von der Gewalt, die Menschen anderen Menschen zufügen, dominiert, wobei die dargestellten Bilder oftmals für eine effektvolle Inszenierung
übertrieben sind.
2.3
Kategorisierung der Darstellung toter und sterbender Körper
Die Einteilung der folgenden Kategorisierung setzt sich aus Begriffen zusammen, die bei der Recherche für den vorherigen Abschnitt hervorstachen. Dies
umfasst die Begriffe der „schöne Tod“ [1, 2], der “offene Körper“ [32] und das
„Tote am Toten“ [23]. Hier wird nun die zuvor untersuchte Darstellung des
Todes in der bildenden Kunst, der Fotografie und im Film unter diese Motive gegliedert und Gemeinsamkeiten sowie Merkmale erarbeitet. Im vierten
Kapitel werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse bei der Betrachtung der
Visualisierung des toten Körpers im Animationsfilm einfließen.
2.3.1
Der schöne Tod
Der schöne Tod ist, wie in Abschnitt 2.2.1 erwähnt, bereits in der Antike zu
finden. Der Tod ist hier am Körper des Toten nicht ablesbar. Der Leichnam
unterscheidet sich, sofern er nicht deutlich erkennbare Zeichen von Gewalteinwirkung aufweist, nicht von dem Körper des Lebenden. Statt durch verräterische Spuren des Todes, wird durch Motiv und Gestik ersichtlich, dass es
sich um einen Toten handelt. Der Körper ist vom Tod eigentlich unberührt.
Ähnlich verhält es sich mit den schönen Toten der Post-Mortem-Gemälde
und Fotografien. Da diese Bilder zumeist als Erinnerungsstücke für die Angehörigen dienten, wurde darauf geachtet die Toten ohne sichtbare Verletzungen oder andere, den Tod verratende Zeichen, darzustellen. Der Tod wurde
maskiert, um die Illusion von Leben zu erwecken und die Toten nur schlafend
erscheinen zu lassen. Beide Darstellungsformen des schönen Todes haben also
gemein, dass der tote Körper nicht eindeutig als Leichnam präsentiert wird.
Es finden sich beim schönen Tod jedoch nicht nur Tote, denen man ihr
Schicksal nicht anmerkt. Ein Beispiel von Post-Mortem-Fotografien einer anderen Art erkennt man in den Arbeiten des Projektes Noch mal Leben vor
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
12
dem Tod, das in Abschnitt 2.2.2 schon genannt wurde. Die Toten werden
hier direkt nach ihrem Tod in der gleichen Position und Beleuchtung noch
mal aufgenommen, wie zuvor als noch Lebende. Es ist bei diesen Bildern
eindeutig, dass es sich um Tote handelt, sie wirken aber doch entschlafen.
Die Toten erscheinen entspannt und strahlen eine merkwürdige Ruhe aus.
Auch die Leichen in der Serie Six Feet Under kann man dem schönen
Tod zuordnen. Die toten Körper werden hier im Zuge der Bestattungsvorbereitungen präpariert, wie es in den USA sehr verbreitet ist. Die Körper
werden gewaschen, verräterische Zeichen so gut es geht eliminiert und der
Tod aus dem Gesicht geschminkt. In Six Feet Under werden die Veränderungen, die nach dem Tod am Leichnam auftreten, wie etwa Leichenflecken,
kaschiert. Die Toten sind in weiches Licht getaucht oder werden durch eine
verhüllende Dunkelheit ästhetisch dargestellt [38, S. 547 f].
Was sind die Merkmale eines schönen Todes bzw. einer schönen Leiche?
Zu den wichtigsten Aspekten gehört die Unversehrtheit der Haut. Sie grenzt,
als die Schutzhülle des Körpers, das unansehnliche Körperinnere von der Außenwelt ab, wie es Catherine Shelton in [32, S. 320–324] formuliert. Sie ist die
identitätsstiftende Umhüllung, deren Zerstörung zur Auflösung der intakten
körperlichen Struktur führt und als besonders schrecklich angesehen wird. In
der westlichen Kultur wird die makellose Haut, frei von Narben, Flecken und
Alterserscheinungen, als das ästhetische Ideal empfunden, welches durch die
mit dem Tod einhergehenden Veränderungen zerstört wird.
Es geht beim schönen Tod nicht darum den Tod zu negieren bzw. ihn
unsichtbar zu gestalten, sondern eine maximale Ästhetisierung bei der Darstellung des toten Körpers zu erreichen. Man kann den schönen Tod natürlich
nicht nur auf die Darstellung, sondern auch auf die Art des Sterbens beziehen, wie jemand den Tod findet. Allerdings bringt das schönere Sterben
auch meist den schöneren Toten hervor. Doch auch ein gewaltvoller Tod, bei
dem die Merkmale des Todes deutlich zu sehen sind, kann unter Umständen
als ein schöner Tod empfunden werden. Durch eine entsprechende Inszenierung, des eigentlich unansehnlichen toten Körpers, kann effektvoll das von
ihm ausgehende Grauen gemildert oder sogar ausgeblendet werden. Mit der
Möglichkeit den Leichnam durch Bildausschnitt, Komposition und Farbigkeit
ästhetisch zu präsentieren, kann ihm der Schrecken und die Unheimlichkeit
genommen werden [32, S. 301].
2.3.2
Der offene und zerstörte Körper
Der offene und zerstörte Körper fasziniert und erweckt Grauen gleichermaßen. Das Auseinandersetzen mit dem Körperinneren in der Kunst beginnt
im 15. und 16. Jahrhundert, im Zuge des aufkommenden Interesses an der
Anatomie des menschlichen Körpers, welches auch die Entstehung von anatomischen Theatern mit sich brachte. Durch die Sektion des Körpers wird der
Innenraum, der ansonsten verdeckt und deshalb geheimnisvoll ist, nach au-
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
13
ßen getragen. Diese Offenlegung des Körperinneren fasziniert und befriedigt
die Neugier, erweckt zugleich jedoch ein Unbehagen.
Die ersten Darstellungen des offenen Körpers findet man in Gestalt des
transi-Motivs der makaberen Ikonographie des Spätmittelalters. Der verwesende Leichnam, die anschauliche Zersetzung des toten Körpers mit offenen
Wunden und den von Würmern durchwühlten Eingeweiden, war ein beliebtes Darstellungsobjekt. Das steigende Interesse an dem anatomischen Aufbau
des Körpers und der naturgetreue Abbildungsstil, der in der Renaissance aufkam, führten zu einer großen Realitätsnähe bei der Darstellung des Körpers,
die durch die Übereinstimmungen mit den Erkenntnissen aus der Sektion
optimiert wurden. Mehr dazu siehe [32, S. 329–335].
Der offene und zerstörte Körper erweckt die Fantasie des Betrachters. So
zum Beispiel bei den Gemälden der Arbeit Triptych - August 1972 (1972)
von Francis Bacon. Die Bilder zeigen einen Körper, dessen Umrisse verlaufen
und an dem ganze Körperteile fehlen. Die Lücken und Löcher erwecken den
Anschein einer Gewalttat und der Betrachter versucht eine Erzählung in die
Bilder zu legen. Der Körper wird für den Blick eines distanzierten Betrachters
zur Schau gestellt. Christopf Menkel beschreibt die Bilderreihe in [24, S. 232]
als „Kampfplatz der Blicke“. Der mitleidsvolle Blick des Betrachters auf den
gewaltsam entstellten Körper, der durchkreuzt wird durch den genießenden
sogar lustvollen Anblick der Präsentation.
Die größte Bühne für den zerstörten Körper bietet der Film und dabei
im Speziellen das Horrorgenre, dass es konsequent auf die Offenlegung des
Leibesinneren absieht. Der Körper-Horror erstrebt jedoch nicht die Befriedigung von Neugier und Interesse, vielmehr beabsichtigt er das Erwecken von
Angst und Grauen und stillt damit die Schaulust. Nicht die geordnete Struktur des Leibes, wie in der Renaissance angestrebt, sondern die Zerstörung
der Ordnung und die Vernichtung des Innenlebens wird bezweckt. Mit dem
Durchdringen der Haut wird die „Fleischlichkeit des Organismus“ offenbart,
wie es Catherine Shelton nennt, und auf dessen austretende Körperflüssigkeiten gestoßen [32, S. 346–347].
Offene und zerfetzte Körper findet man auch in anderen Genres, so etwa
in Kriegs- und Kriminalfilmen, es wird ihnen allerdings bei weitem keine so
große Bühne geboten. Ausnahmen sind hier Kriminalserien, die den toten
Körper und dessen forensische Geheimnisse ins Zentrum der Ermittlungen
stellen, wie es bei CSI der Fall ist. In diesen Serien wird die Haut und das
Fleisch mit der Kamera regelrecht penetriert und der tote Körper bis auf die
kleinsten Zellen durchleuchtet.
Es ist die vorher erwähnte intakte Haut, die beim zerstörten Körper meist
im Blickpunkt des Interesses steht und das Grauen verursacht. Dabei sei
abermals auf Catherine Shelton verwiesen, welche die intakte Oberfläche der
Haut als abgeschlossene Einheit bezeichnet, deren Zerstörung die Suspendierung dieser Empfindung bedeutet [32, S. 325]:
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
14
„Das Innere des Körpers wird nach aussen gekehrt, leibliche Einheit und Individualität zerrinnen in Flüssigkeiten.“
Mit der Verletzung der Haut kann es also zur Zerstörung der individuellen Merkmale einer Person kommen und damit zu einer Vernichtung der
Identität. Die Faszination und das Grauen, das mit der Zerstörung der Haut
einhergeht, findet sich in wenig gewaltvoller Form schon früh, etwa in den
Bedeckungen der Körperöffnungen nach dem Tod, die auch zur Entstehung
des transi- Motivs beitrugen. Das transi-Motiv, der offene verwesende Leichnam, ist spannend in Bezug auf die nach dem Tod eintretenden Veränderungen und die dann auf den Körper einwirkenden Kräfte, ruft jedoch im
selben Augenblick Ekel hervor und erinnert an die eigene Vergänglichkeit.
Auf dieses Spannungsverhältnis setzt unter anderem der Körper-Horror. Die
Faszination des offenen und zerstörten Körpers geht mit dem Paradox von
anziehender Neugier und abstoßendem Grauen einher.
2.3.3
Das Tote am Toten
Kristin Marek schreibt in [23, S. 303] über das Bild Der Leichnam Christi
im Grabe (1521) von Hans Holbein d. J., dieser stellt
„[. . . ] in perfektem Illusionismus das Tote am Toten vor Augen.
Er liegt einfach da, flüchtig auf ein Tuch gelegt und in die Nische
geschoben, hingestreckt, leblos, die Haut grau-grünlich fahl, der
ausgetrocknete Mund geöffnet, die halboffenen Augen verdreht –
niemand hat dem Armen die Arme überkreuzt oder gar Mund
und Augen geschlossen um den Leichnam in die milde Pose des
zwar ewigen, aber doch friedlichen Schlafes zu überführen.“
Was genau ist das Tote am Toten bzw. woran erkennt man den Tod eines
Lebewesens, wenn er etwa nicht durch die Zerstörung des Körpers eindeutig
hervor geht? Es sind Merkmale wie im Zitat oben beschrieben, die den Toten
als tot identifizieren. Bei der Darstellung von Toten können verschiedene Stadien beschrieben werden. Die Entwicklung vom Eintreten des Todes bis zur
Zersetzung des Körpers bringt viele Anzeichen hervor. Im 16. Jahrhundert
galt, wie auch in diesem Bild beschrieben, das Interesse den ersten Zeichen
des Todes, im Speziellen den ersten Veränderungen, die am Körper nach dem
Tod auftreten. Die Maler bemühten sich, die ersten feinen Unterschiede, die
den Toten vom Lebenden trennen, zu betonen. Das Verfärben der Haut, die
Grüntöne, die die Malerei des 15. Jahrhunderts, laut Ariés [1, S. 477] so nicht
kannte, das Auftreten von Totenflecken und in weiterer Folge die Zersetzung
des Körpers durch das Einsetzen der Fäulnis.
Diese Veränderungen werden ebenso in Fotografien und Kriminalserien
dargestellt, wovon einige bereits im vorherigen Abschnitt betrachtet wurden.
Vor allem in den Arbeiten von Sue Fox (s. Abschnitt 2.2.2) zeigen sich mit
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
15
aller Deutlichkeit die Folgen des Todes. Als Beispiel soll ein Bild beschrieben werden, dass den toten Körper einer Frau auf dem Pathologietisch zeigt.
Der Tod führte an diesem Körper bereits zu erheblichen Veränderungen. Ihre Haut erscheint grün-beige und ist am gesamten Körper mit Totenflecken
übersät. Ihre Augen stehen weit offen, sind aus den Höhlen hervor getreten
und gelblich verfärbt. Das schlaffe Fleisch gräbt sich in das Metall der Halterung für den Oberkörper. Der Kopf fällt nach hinten und lässt den Mund
offen stehen. Das Gesicht wirkt aufgedunsen und verzerrt, so dass man die
eigentliche Gestalt kaum noch erkennen kann. Der reale Tod hinterlässt grausame Spuren am Körper des Menschen, die in solchen Fotografien wesentlich
besser zur Geltung kommen als etwa in dem Gemälde von Hohlbein d. J.
Wenn der Tod noch nicht lange zurückliegt und deshalb keine Veränderungen am Körper feststellbar sind, so muss man sich bei der Bestimmung
des Todes vor allem auf die Körpersprache und auf Lebenszeichen konzentrieren. So kann beispielsweise eine fehlende Körperspannung auf einen toten
Körper hinweisen. In dem Bild Die grosse Pest (1984) von Hans Fronius sind zwei Männer zu sehen, die einen Toten auf einer Bahre tragen. Der
Tod wird hier zum einen durch den Inhalt des Bildes ersichtlich, zum anderen durch die Körperhaltung des Toten. Er liegt zugedeckt auf der Bahre,
nur der Kopf und ein Arm sind zu sehen. Der Kopf fällt dabei schräg nach
hinten und der Arm hängt kraftlos seitlich von der Trage. Bei entferntem
Blick sind hängende Gliedmaßen oft der Grund für die Vermutung, dass es
sich um einen toten Körper handelt. Wobei jedoch auch immer der Kontext
betrachtet werden muss, da es sich natürlich ebenso um einen Bewusstlosen
handeln könnte.
Ein wichtiges Merkmal eines Toten sind dessen Augen. Die offenen und
starren Augen deuten ausdrücklich auf die Leere hin, die sich nun anstelle des
Lebens ausgebreitet hat. Sie unterscheiden den Toten merklich vom Schlafenden. Die Augen der Toten sind unheimlich. Das Paradox an einer Leiche,
wie Thomas Macho in [21, S. 409] feststellt, ist die Gleichzeitigkeit von Präsenz und Absenz. Sie ist physisch anwesend, jedoch nicht ansprechbar. Es
ist die Kommunikationsverweigerung der Leiche, welche die Unheimlichkeit
hervorruft. So wurde beispielsweise lange geglaubt, dass die Leichen mit den
Organen, die zuvor für den Austausch mit der Umwelt dienten, nach dem
nächsten Opfer des Todes Ausschau halten. Die Angst vor den Körperöffnungen führte infolge beispielsweise zu dem Verschließen von Mund und Augen
mit den unterschiedlichsten Gegenständen, darunter etwa feuchte Lappen,
Kastanien und Kupfergeldstücke [21, S. 412 f].
Die Faszination der toten Augen erkennt man auch in den Werken von
Arnulf Reiner. Dieser hat in seinen Arbeiten, die zwischen 1977 und 1984 entstanden sind, unter anderem die Körperöffnungen von Gesichtern übermalt.
Dabei verwendete er fremde Bilder von Totenmasken sowie eigene Fotografien von Toten als Vorlage und bemalte sie mit vorwiegend schwarzer Farbe.
Er ließ an Stelle von Augen und Mund nur schwarze Flecken zurück, ver-
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
16
wischte Konturen und fügte den Portraits auch Totenflecken hinzu. Dadurch
erreichte er eine Nachempfindung des Verfallsprozesses. Die Überzeichnungen erinnern an ein Verfaulen der Gesichter und ausgefranste Pinselstriche
an Verwesungsmerkmale. Arnulf Reiner zeichnet die Verwesung in die Gesichter, nicht naturalistisch, wie es Walter K. Lang formuliert, sondern als
künstlerisches Analogem zum Verwesungsprozess [19, S. 111–126]. Es ist eine
abstrakte Art das Tote am Toten zu verdeutlichen.
Oft ist der Tod einer Figur nicht eindeutig ablesbar. Wenn der tote Körper keine Spuren von Gewalteinwirkung zeigt, nicht durch den Todeskampf
entstellt ist und sich auch die Augen nicht verräterisch offenbaren, ist es
schwierig den Tod eindeutig zu bestimmen. Sofern keine sichtbaren Anzeichen am Körper zu erkennen sind, kann zum einen die Körperhaltung Auskunft über die Situation geben, zum anderen der Kontext in dem der Körper
vorkommt bzw. gezeigt wird. In Filmen liefern besonders die Narration und
die Situation in der die Figur vorkommt die sichersten Anzeichen für oder
gegen die Annahme, es würde sich um einen toten Körper handeln.
Der Tod ist manchmal ganz offensichtlich zu erkennen, zuweilen jedoch
auch nur zu vermuten. Das Tote am Toten kann sich dabei sehr unterschiedlich darstellen. Ob es durch die bekannte Kadaverästhetik veranschaulicht,
oder durch abstrakte Linien wie bei Arnulf Rainer intensiviert wird. Hier
wird im Folgenden spannend, inwiefern solche Merkmale auch im Animationsfilm zu finden sind und auch ob sie dort ihre Gültigkeit behalten bzw.
andere Darstellungsmerkmale erkannt werden können.
2.4
Die Funktion der Auseinandersetzung mit dem
Tod in der Kunst
Der Umstand, dass der Tod schon immer visualisiert wurde, ruft nach der
Frage der Bewegründe dafür. Der Tod ist meist mit Schmerz verbunden. Er
ist der Verlust der eigenen Identität oder der Verlust eines geliebten Menschen, auf jeden Fall ist er eine Reise ins Ungewisse. Die Auseinandersetzung
mit dem Tod erfolgt auf unterschiedliche Arten. Manche nähern sich der Todesthematik auf spirituelle Weise, andere suchen die Konfrontation mit dem
toten Körper.
Der Tod hinterlässt Lücken in der Gesellschaft und die große Zahl an
Post-Mortem-Gemälden und Fotografien der Vergangenheit zeigen wie sehr
versucht wurde, diese mit Bildern zu füllen. Diese Post-Mortem-Bilder dienten
dazu, noch ein letztes Bild von dem Leichnam zu machen. Sehr häufig wurden früh verstorbene Kinder und Totgeburten fotografiert, es war hier meist
die einzige Möglichkeit noch ein Foto von dem Kind zu bekommen. Die Totgeburten würden, so Hans Belting in [5, S. 245], durch die Fotografien ein
alternatives Leben bekommen. Es wird bei Fotografien, die die Mutter mit
dem scheinbar eingeschlafenen Kind zeigen, das dargestellt, was man gern
2. Einführende Worte zur Visualisierung des Todes
17
behalten hätte.
Ein häufiges Motiv für die visuelle Beschäftigung mit dem Tod ist die
Auseinandersetzung mit der Angst vor der eigenen Sterblichkeit oder der
von geliebten Menschen. Im Mittelalter führte die Furcht vor der unverhofften Todesstunde zur Darstellung des Totentanzes, im 21. Jahrhundert setzt
man sich vermehrt direkt mit dem toten Körper auseinander. Die Fotografin
Sue Fox, die bereits erwähnt wurde, beschäftigt sich in ihren Arbeiten durch
die Betrachtung der Toten mit ihrer größten Angst, der Angst vor Selbstvernichtung, vor Verfall und Sterben. Sie beschreibt die Kunst als Kanal für ihre
angstvolle Energie, die ihr eine Ablösung ihres körperlichen Selbst erlaubt
und als Übermittlerin des Unaussprechlichen dient [13, S. 105 ff].
Bei den Arbeiten von Beate Lakotta und Walter Schels kann der Betrachter zunächst seine eigenen Phantasien, Ängste, Hoffnungen und Vorstellungen hinein projizieren, um danach das Schicksal, das zwischen den
Bildern liegt, zu finden. Beate Lakotta sagt, sie habe durch ihre Arbeit mit
den Sterbenden die Angst und Scheu vor dem toten Körper verloren, die
Auseinandersetzung mit den Toten habe eine therapeutische Wirkung des
Angst-Nehmens [22, S. 188 ff]. Die Angst vor dem Verlust der Identität, die
mit dem Tod einhergeht, ist auch Auslöser für das Präparieren der Leiche
bei der Bestattung, das man vor allem in den USA findet. Durch das Zurechtmachen und das ästhetische Positionieren des Leichnams wird versucht,
den Identitätsverlust hinaus zu schieben. Es wird die Illusion der Kontrolle
über den Tod ermöglicht [37, S. 990].
Durch die Darstellung historischer Ereignisse, wie Kriege oder Seuchen,
wurde das Sterben und der Tod aufgearbeitet und dokumentiert. Beispiele
wären Massengräber von Pestopfern im 17. Jahrhundert oder Kriegsopfer.
Schreckliche Erlebnisse wurden in teils erschütternden Abbildungen verarbeitet, so etwa in der Radierung Wir sind nicht die Letzten (1970) von
Zoran Music, der seine Erfahrungen im KZ darin zum Ausdruck brachte.
Das Bild zeigt einen ausgemergelten Leichnam, der mit geöffneten Augen
und Mund das Grauen dieser Erlebnisse erahnen lässt.
Die Visualisierung des Todes dient also häufig der Trauerbewältigung, der
Auseinandersetzung mit der Angst vor Identitätsverlust oder den Schrecken
des Todes. Doch welches Motiv steht hinter der Darstellung von mordenden und menschenfressenden Zombies, die so häufig im Film anzutreffen ist?
Steven Shaviro schreibt, er sei, nachdem er Day of the Dead (USA, George A. Romero, 1985) gesehen habe, verführt und gebannt vor Freude und
Horror über das widerliche und unaussprechliche Vergnügen an der Zerstörung des menschlichen Körpers [31]. In Splatterfilmen wie diesem wird kein
Wert auf eine anspruchsvolle Geschichte gelegt. Die exzessive Darstellung des
blutigen, offenen Körpers, das zur Schau stellen des eigentlich verborgenen
Körperinneren wird zum Spektakel, welches auf die körperliche Reaktion der
Zuschauer abzielt, wie sie Steven Shaviro empfunden hat.
Kapitel 3
Der Tod im Animationsfilm
3.1
Einführung
Aus dem Begriff Animation, der vom lateinischen Begriff animare stammt,
welcher soviel wie „zum Leben erwecken“ bedeutet, geht schon hervor, dass
es sich bei Figuren in Animationsfilmen um belebte Wesen handelt. Es wird
ihnen von einem Animator Leben eingehaucht und sie folgen den Bestimmungen und der Beschaffenheit der fiktiven Welt, in die sie hinein gesetzt werden
oder wie es Britta Hartmann und Hans J. Wulff in [16, S. 4] formulieren:
„Wie der Zuschauer in seiner Welt lebt, so leben die Figuren des
Films in einer zweiten Realität, die jedoch lediglich in der Simulation einer Geschichte gültig ist. Einer abgeleiteten Wirklichkeit,
in der eigene Gesetze herrschen, die aber auch eigenen Gesetzen
unterliegt.“
Animationsfilme ermöglichen daher einen unbeschränkten Zugang experimentell mit den physischen und biologischen Naturgesetzen zu hantieren.
Die Charaktere dieser Filme sind nicht an die Regeln der realen Welt gebunden, sie folgen ihren eigenen Genrekonventionen. Sie müssen sich nicht an
die Schwerkraft halten, ihre Körper werden gestreckt, gequetscht, aufgelöst,
durchlöchert, zertrümmert und in neue Formen gepresst, doch selbst bei einer
kompletten Zerstörung müssen sie nicht unbedingt um ihr Leben fürchten.
In dieser eigenen Welt, in der die Zerstörung des Körpers nicht unbedingt
den Tod bedeutet, muss daher häufig die Handlung in die Betrachtung mit
einbezogen werden, um den Tod einer Figur erkennen zu können.
Der Tod im Animationsfilm ist in vielerlei Hinsicht interessant. Zum einen
soll in diesem Kapitel untersucht werden wie der Tod im Animationsfilm thematisiert wird und in welchen Darstellungsformen er in Erscheinung tritt. Ob
die Möglichkeiten des freien Umganges mit dem Tod aufgegriffen werden,
oder doch eher eine realistische Umsetzung verfolgt wird. Weiters wird das
Vorkommen des personifizierten Todes in der Animation betrachtet und un18
3. Der Tod im Animationsfilm
19
tersucht inwiefern sich die Darstellung und die Thematik der Personifikation
an der bildenden Kunst orientiert.
Zudem ist ein Abschnitt dem Tod und der Metalepse im Animationsfilm gewidmet. Darin wird erörtert, welche Auswirkungen die diegetische
Überschreitung, sei es durch die Figur oder den Animator verursacht, in der
Animation hat, wann man dabei von dem Tod einer Figur sprechen kann
und wie sich die Interaktion des Animators mit dem Tod der Figur gestaltet.
3.2
Die Darstellung des Todes
Die Darstellungen des Todes, die in diesem Abschnitt betrachtet werden, sollen einen Einblick geben in welcher Form der Tod im Animationsfilm präsent
ist und wie er darin thematisiert wird. Dazu werden zunächst Beispiele aus
frühen Animationen betrachtet in denen der Tod zu finden ist. Es wurden
zahlreiche Animationen aus dem Zeitraum von Ende des 19. Jahrhunderts
bis 1940 gesichtet, wobei sich zeigte, dass der Tod in den animierten Kurzfilmen dieser Zeit äußerst selten vorkommt und dabei zumeist nicht in eine
dramatische Handlung integriert ist. Des weiteren wird ein Blick auf die Todesdarstellung im animierten Spielfilm, speziell im Kinderfilm, geworfen.
3.2.1
Frühe Darstellungen des Todes in Kurzfilmen
In den Anfängen des Realfilms galt die Faszination der Möglichkeit nun in
bewegter Darstellung reale Begebenheiten zu visualisieren und nachzustellen. So auch bei The Execution of Mary, Queen of Scots, einem der
ersten Filme, die das Sterben zeigen. Darin wurde ein historisches Ereignis nachgestellt. Wenn hingegen die frühen Animationen betrachtet werden,
zeigt sich zum einen, dass der Tod und der tote Körper äußerst selten vorkommen und zum anderen, dass ein freierer und fantasievoller Umgang mit
der Todesthematik gewählt wurde.
Einer der ersten Tode eines Charakters wird in dem Animationsfilm
Fantasmagorie (FR, 1908) von Émile Cohl gezeigt. Darin wird eine Darstellung des Sterbens abgebildet, die nicht an die physischen Gesetzmäßigkeiten der Natur gebunden ist. Ein Clown wird von einem Polizisten in einem Haus eingesperrt, springt daraufhin aus dem Fenster und bricht sich
dabei das Genick. Visualisiert wird dies in der abstrakten Darstellung der
Strichmännchen-Zeichnung durch die Trennung von Kopf und Körper (s.
Abb. 3.1 (a)). Der freiwillige Sprung des Clowns aus dem Fenster kann zugleich als der wahrscheinlich erste Selbstmord in einem Animationsfilm betrachtet werden. Der Tod ist aber nur von kurzer Dauer. Der Animator greift
in die Handlung ein und fügt Kopf und Körper wieder zusammen, worauf der
Clown von neuem zum Leben erwacht. In diesem Film wird die Möglichkeit
aufgezeigt und genutzt, dass sich der animierte Körper nicht an die Gesetzte
3. Der Tod im Animationsfilm
20
halten muss und daher dargestellt werden kann, was normal nicht möglich
ist.
Ein skurriles Sterben findet sich auch in dem frühen Animationsfilm How
a Mosquito Operates (USA, Winsor McCay, 1912), in dem eine Stechmücke so lange Blut saugt, bis sie explodiert und dabei in viele Einzelteile
zerfällt. Auf den Tod bzw. das Sterben wird nicht weiter eingegangen, es ist
einfach ein Gag in der Geschichte. Ebenso verhält es sich bei der Folge Hell’s
Bells (USA, Up Iwerks, 1929) der Silly Symphony-Serie von Walt Disney.
Darin wirft der Teufel einen seiner Diener dem dreiköpfigen Höllenhund in
einen seiner Rachen, worauf ihn der Hals eines anderen Kopfes verschluckt.
Ein besonderes Beispiel eines frühen Todes findet sich auch in der Animation Betty Boop – Snow White (USA, Dave Fleischer, 1933). In diesem
Kurzfilm wird die böse Stiefmutter, die am Ende einer fantastischen Verfolgungsjagd durch einen „Tunnel des Todes“ als eine Art chinesischer Drache
verwandelt in Erscheinung tritt, durch die Figur Bimbo getötet. Er zieht an
ihrer Zunge und stülpt damit ihr Inneres nach außen, wodurch ihr Skelett
zum Vorschein kommt (s. Abb. 3.1 (b)).
Der Tod und das Sterben, das sich in frühen Beispielen des Animationsfilms gefunden hatte, war stets in humorvoller Weise eingesetzt und wurde nicht näher thematisiert oder gar betrauert. Neben dieser fantasievollen
Weise den Tod darzustellen, zeigte sich in frühen Animationen auch eine
Visualisierung des Totentanzes. Das wahrscheinlich erste Beispiel dafür ist
der Stop-Motion-Film Le squelette joyeux der Brüder Lumière, der bereits 1897 entstand. In dieser kurzen Puppenanimation sieht man ein tanzendes Skelett, das sich im Stil eines Marionettenspiels ungelenk bewegt, dabei
Gliedmaßen verliert und wieder angefügt bekommt (s. Abb. 3.1 (c)).
Zu diesem Beispiel sei eine später entstandene, berühmte Puppenanimation von Skeletten aus dem Film Jason and the Argonauts (US/GB/IT,
Don Chaffey, 1963), erwähnt. Der Tricktechniker Ray Harryhausen erweckte in diesem Film sieben Gerippe mithilfe der Stop-Motion-Technik für eine
Szene zum Leben, um sie im Schwertkampf gegen die Argonauten antreten
zu lassen. Die koordinierten Bewegungen der Skelette, die sich in der Geschichte durch einen Zauber aus der Erde erheben, sind hier perfekt auf die
Schauspieler abgestimmt, sodass die Illusion des Zusammenspieles entsteht.
Der früheste Totentanz im Zeichentrickfilm zeigt sich vermutlich in der
ersten Folge der Silly-Symphony-Serie von Walt Disney. In The Skeleton
Dance (USA, Walt Disney, 1929) verkörpern die tanzenden und musizierenden Skelette auf dem Friedhof das, was ihnen eigentlich aufgrund ihrer
Gestalt abgesprochen wird, eine äußerst lebendige Erscheinung. Der Totentanz bekommt in diesem Beispiel eine neue Bedeutung, auf die in Abschnitt
3.4 näher eingegangen werden soll.
Ein interessanter Tod ereignet sich auch in der Animation Daffy Duck
and Egghead (USA, Tex Avery, 1938). Darin fühlt sich der Jäger durch
einen Zuschauer im Publikum gestört der aufsteht, um einen besseren Blick
3. Der Tod im Animationsfilm
(a)
21
(b)
(c)
Abbildung 3.1: Frühe Beispiele für die Darstellung des Todes in den animierten Kurzfilmen Fantasmagorie (a), Betty Boop – Snow White (b)
und Le squelette joyeux (c).
auf das Geschehen zu bekommen. Von dem Zuschauer erkennt man dabei nur
die schwarze Silhouette im Bild, wie dies in einem Kinosaal der Fall wäre.
Der Jäger durchbricht die Leinwand und kommuniziert scheinbar mit dem
Mann im Publikum. Als sich dieser nach mehrmaliger Aufforderung nicht
fügen will, nimmt der Jäger sein Gewehr und erschießt ihn. Die schwarze
Silhouette greift sich daraufhin an die Brust und fällt taumelnd zu Boden.
Der humorvolle Umgang mit der Todesthematik, der sich in diesen frühen
Beispielen zeigte, ist vor allem eine Besonderheit des animierten Kurzfilmes.
Aktuellere Beispiele dazu werden in Kapitel 4 untersucht. Während die Darstellung des Todes darin häufiger als Gag eingesetzt wird, als dass sie in eine
dramatische Handlung verpackt ist, zeigt sich das Gegenteil in animierten
Spielfilmen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.
3.2.2
Der Tod im animierten Spielfilm für Kinder
Für diese Untersuchung werden in erster Linie Animationen der Walt Disney
Studios betrachtet, deren Filme seit der Entstehung des animierten Spielfilms
über den gesamten Zeitraum zu den populärsten Kinderfilmen zählen. Die
Situationen des Sterbens und des Todes, die hier anhand von Walt Disney
Beispielen beschrieben werden, finden sich durchaus auch in anderen Animationsfilmen, die auf ein junges Publikum ausgelegt sind. In Kinderfilmen
wird der Tod häufig thematisiert, wobei die Darstellungen des Sterbens dabei
sehr jugendfreundlich aufbereitet sind.
Sehr oft zu beobachten ist in diesen Filmen, besonders bei Protagonisten,
dass diese nur vermeintlich sterben, jedoch auf wundersame Weise wieder
zum Leben erwachen. Dies findet sich beispielsweise in Schneewittchen
(USA, David D. Hand, 1937), dem ersten Spielfilm von Walt Disney. Darin
wird Schneewittchen durch den vergifteten Apfel ihrer bösen Stiefmutter
3. Der Tod im Animationsfilm
22
scheinbar getötet. Sie fällt nach dem Genuss des Apfels leblos zu Boden und
in einen komatösen Schlaf, aus dem sie später durch den Kuss des Prinzen
wieder erweckt werden kann. Der scheinbare Tod wurde hier schon aus der
Märchenvorlage übernommen, er findet sich jedoch auch in vielen weiteren
Animationsfilmen in einer ähnlichen Weise. Der Charakter wird dabei stets
betrauert und die Freude ist umso größer, wenn sich doch noch alles zum
Guten wendet.
Wenn man die vermeintlichen Tode beiseite lässt und nur die echten Tode
betrachtet, wonach der Charakter in dem Film nicht wieder in lebendiger
Gestalt erscheint, lassen sich interessante Details erkennen. Zum einen ist zu
bemerken, dass es äußerst selten tote Körper zu sehen gibt. Die sterbenden
Figuren neigen dazu dies außerhalb des Bildes zu tun bzw. beim Tod aus dem
Bild zu fallen. Dabei geht der Tod durch die Handlung hervor, er wird jedoch
nicht direkt gezeigt. So beispielsweise bei dem Tod der bösen Stiefmutter in
Schneewittchen. Diese steht auf einem Felsvorsprung, als sie versucht
einen großen Stein ins Rollen zu bringen, um die Zerge an ihrer Verfolgung
zu hindern. Dabei wird der Fels auf dem sie steht von einem Blitzschlag
gebrochen und sie fällt schreiend in die Tiefe. Man sieht also, wie sie in den
Tod fällt, der Eintritt des Todes oder ihr toter Körper wird in dessen Folge
jedoch nicht gezeigt.
Der Fall in die Tiefe und damit in den Tod ist eine der häufigsten Todesarten in Disney Animationen und er trifft stets die Antagonisten. Eine
weitere Art deren Tod zu visualisieren ohne dabei den Körper zeigen zu müssen findet sich beispielsweise in Arielle, die Meerjungfrau (USA, John
Musker und Ron Clements, 1989). Darin zerfallen die böse Hexe Ursula und
ihre beiden Zitteraale quasi in Nichts. Die Aale werden von dem Dreizack
des Königs getroffen und explodieren in viele kleine Einzelteile, bei denen
man an wenigen Teilen nur noch wage ihre ursprüngliche Existenz vermuten
kann, die Körper sind jedoch ausgelöscht. Der Tod von Ursula selbst geschieht durch einen Stich ins Herz, wobei sie effektvoll ins Meer versinkt und
sich dabei auflöst. Die Antagonisten sterben in Walt Disney Animationen
stets ohne einen toten Körper zu hinterlassen.
Bei dem Tod von Protagonisten bzw. guten Charakteren, die in diesen
Filmen sterben, lassen sich ebenfalls Gemeinsamkeiten erkennen. Zum einen
gibt es den unsichtbaren Tod, der außerhalb des Bildes stattfindet und, ebenso wie bei den Antagonisten, den Tod, der nur durch die Handlung zu erkennen ist. Tote Körper werden bei diesen Sterbesituationen ebenso wenig
gezeigt. Als Beispiel dafür kann Bambi (USA, David Hand, 1942) angeführt
werden. In diesem Kinderfilm wird die Mutter des Rehkitzes Bambi von
einem Jäger erschossen, als sie vor diesem von einer Wiese flüchten. Die Kamera ist dabei stets auf dem laufenden Bambi, während seine Mutter etwas
zurückbleibt und der Schuss zu hören ist. Aus der weiteren Handlung geht
der Tod der Mutter eindeutig hervor, aber weder der Eintritt des Todes noch
der tote Körper werden gezeigt. Eine „indirekte Form des Sterbens“, wie es
3. Der Tod im Animationsfilm
23
Rudolf Arnheim nennt [3, S. 124], kommt im Film und vor allem im Kinderfilm sehr häufig vor. Der Tod geht dabei durch die Handlung hervor, ist
jedoch im Schnitt verborgen, und findet damit im Off statt.
Diese Art des Sterbens ist für die guten Charaktere in Walt Disney Filmen lange Zeit die einzige. Erst 1994 konnte man in The Lion King (USA,
Roger Allers und Rob Minkoff) den ersten wirklich toten Körper in einem
Disney Film sehen, bei dem das Sterben zudem in einer sehr realistischen
Weise dargestellt wird. Bei dem Mord an König Mufasa, der von seinem
Bruder in eine Schlucht geworfen wird, sieht man den Eintritt des Todes
nicht, jedoch wird wenig später der trauernde Simba bei dem toten Körper
seines Vaters gezeigt. Dessen Körper ist definitiv tot, jedoch vollkommen
unversehrt. Näheres dazu später im Text in Abschnitt 4.2. Nach The Lion
King findet man den toten Körper eines Charakters gelegentlich in Disney
Animationen, er bleibt jedoch die Ausnahme.
Wenn man die Darstellungen des Todes in animierten Kinderfilmen abseits von Walt Disney betrachtet, findet man vielfach die gleichen Ansätze,
die Abbildung des direkten Todes wurde allerdings schon früher eingesetzt.
So wird beispielsweise in dem Film In einem Land vor unserer Zeit
(USA, Don Bluth, 1988) die Mutter des kleinen Dinosauriers Littlefoot von
einem Tyrannosaurus Rex im Kampf so schwer verletzt, dass sie schließlich
an diesen Verwundungen vor den Augen von Littlefoot stirbt. Der Moment
ihres Todes wird hier zwar gezeigt, allerdings kann man ihn bei genauerer
Betrachtung ebenso zu den nicht sichtbaren Toden rechnen. Während man
bei dem zuvor stattfindenden Gespräch von Mutter und Sohn noch sehr nahe
am Geschehen ist, wird die Kamera vor dem Tod langsam von der Situation wegbewegt, bis in der Dunkelheit schließlich nur noch die Umrisse des
Dinosauriers zu sehen sind.
Ein weiteres Beispiel für die Darstellung des toten Körpers im animierten
Kinderfilm findet sich in Mrs. Brisby und das Geheimnis von NIMH
(USA, Don Bluth, 1982). Darin wird die böse Ratte Jenner im letzten Augenblick, bevor sie die gute Ratte Justin von hinten erstechen kann, durch ein
geworfenes Messer tödlich am Rücken getroffen und fällt von einem Felsen
hinab. Man sieht den toten Körper der Ratte daraufhin im Schlamm liegen,
dessen Darstellung ist dabei ebenso harmlos wie jene von Mufasa in The
Lion King und der Körper wird nur sehr kurz gezeigt. Dieser Kinderfilm,
dessen Altersfreigabe auf sechs Jahre hinaufgesetzt ist, zeigt aber auch den
Augenblick des Todes direkt im Bild.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Tod von Charakteren in Kinderfilmen zwar häufig thematisiert wird, dabei aber meist in Form des scheinbaren oder indirekten Todes anzutreffen ist. Die Tode in diesen animierten
Spielfilmen mit jungem Zielpublikum sind durchwegs von Gewalt geprägt.
In allen untersuchten Beispielen handelte es sich nicht um natürliche Tode,
sondern um solche, die durch Gewalteinwirkung von anderen Charakteren
oder durch Unglücke hervorgerufen wurden. Der Eintritt des Todes und der
3. Der Tod im Animationsfilm
24
tote Körper werden äußerst selten im Bild gezeigt, was vermutlich auf die
kinderfreundliche Aufbereitung zurückzuführen ist. Auffällig ist auch, dass
es sich bei den seltenen Toten, die direkt und nicht nur flüchtig im Bild dargestellt werden, um gute Charaktere handelt. Bei bösen Charakteren besteht
somit auch nicht die Möglichkeit, diese im Film zu betrauern.
3.2.3
Der nicht jugendfreie Tod im animierten Spielfilm
Bei der Untersuchung von Animationsfilmen, die nicht speziell auf ein junges Publikum ausgelegt sind, kann man eine realistischere Darstellung der
Gewalteinwirkung auf den Körper erkennen. Dies verwundert nicht, so wie
es im Realfilm etwa in den Bereichen Gewalt und Sexualität Unterschiede
zwischen Kinder- und Erwachsenenfilmen gibt, findet man diese ebenso im
Animationsfilm.
In dieser Betrachtung werden Filme außen vor gelassen, die das MotionCapture-Verfahren verwenden, um die Charaktere zu bewegen. Diese Filme
werden oft als Animationsfilme bezeichnet, gehören aber im Grunde eher zu
den hybriden Filmen, denn die Bewegungen der Charaktere werden zu einem
Großteil von Schauspielern übernommen.1 In diesen Filmen wird meist eine
große Realitätsnähe verfolgt, die sich auch in der Darstellung des Todes und
der toten Körper abzeichnet. Als Beispiel dafür kann Beowulf (USA, Robert Zemeckis, 2007) angeführt werden. Die Visualisierung der toten Körper
in diesem Film unterscheidet sich kaum von vergleichbaren Szenen aus dem
Realfilm.
Als erstes Beispiel für einen nicht jugendfreien Animationsfilm wird der
Zeichentrickfilm Unten am Fluß (GB, 1978) des Regisseurs Martin Rosen betrachtet werden. In dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von
Richard Adams wird die gewaltvolle Auseinandersetzung der Kaninchen untereinander und auch mit anderen Tieren in einer sehr realen Weise visualisiert. Die Kaninchen sowie die anderen Tiere in diesem Film sind weniger
vermenschlicht, als man es aus animierten Kinderfilmen kennt. Sie sprechen
und werden als rational denkende Figuren dargestellt, ihr Verhalten gleicht
ansonsten aber dem aus der Natur bekannten. Eine der brutalsten Szenen
spielt sich am Eingang zum Kaninchenbau ab. Ein Hund kommt, jagt die
Kaninchen und tötet einige von ihnen. Dabei wird deren Sterben in aller
Deutlichkeit gezeigt. Der Hund packt die Kaninchen mit seinen Zähne und
schüttelt sie, bis sie sich nicht mehr bewegen. Sobald er von ihnen ablässt,
fallen sie zu Boden und liegen reglos im Gras. Die Bissspuren sind dabei
genau zu erkennen und manche weisen auch offene Wunden auf, aus denen
das Blut rinnt. Es ist eine sehr ehrliche Art der Darstellung, die sich in die1
Für die 83. Acadamy Awards wurden die Regeln für die Einreichung zum „Animation
Feature Film“ angepasst. Damit fallen nun Filme, die den Großteil ihrer Figuren mit der
Motion-Capture-Technik bewegen, heraus und dürfen nicht in dieser Kategorie eingereicht
werden. Siehe http://www.oscars.org/press/pressreleases/2010/20100708.html.
3. Der Tod im Animationsfilm
25
sem Animationsfilm zeigt. Frei von fantastischen Elementen offenbart sich
die unbeschönigte Realität in ihrer ganzen Brutalität.
Obwohl in dieser Arbeit der Fokus auf Animationen aus dem westlichen
Raum liegt, soll ein interessantes Beispiel aus Japan angeführt werden. Es
handelt sich dabei um das Drama Anime Barefoot Gen (JAP, Mori Masaki, 1983), bei dem es um den Atombombenabwurf auf Hiroshima geht. Der
Film erzählt die Geschichte des Jungen Gen, der die Katastrophe mit seiner Mutter überlebt und mit ihr in dem völlig zerstörten Hiroshima zurück
bleibt.2 Die Darstellung der Sterbenden und Toten, die im Zuge des Bombenabwurfs ums Leben kommen, wird darin sehr ausdrucksstark visualisiert.
Die mit der Atombombe einhergehende Zerstörung wird in Zeitlupe gezeigt.
Die Menschen verbrennen, die schwindende Haut legt langsam die Knochen
frei und die Augen fallen aus den Höhlen. Am Ende bleiben von den Körpern
nur verbrannte Überreste, mit unkenntlichen und vom Schrecken verzerrten
Gesichtern übrig.
Bei der Zerstörung des Körpers werden die Menschen in Zeitlupe dargestellt und von dem schnell vorbeiziehenden Hintergrund deutlich abgehoben.
Die Konzentration des Betrachters liegt allein auf dem Sterbenden, dessen
stilisierte Darstellung des langsamen Verfalls die Empathie in Bezug auf das
Grauen nicht mindert, aber keinerlei somatischen Effekt beim Zuseher hervorruft. Diese Art der Visualisierung erlaubt eine distanziertere Empfindung
des gesamten Dramas, obwohl die Zersetzung des Körpers im Bildmittelpunkt steht.
In diesen Beispielen des nicht jugendfreien Animationsfilms zeigt sich
der tote Körper direkt und ungeschönt im Bild. Es wird eine authentische
Darstellung des Todes verfolgt, oder auch eine an die Realität angelehnte
aber effektvoll inszenierte Visualisierung geschaffen und die Thematik des
toten Körpers damit ehrlicher aufgegriffen, als in den zuvor behandelten
Kinderfilmen.
3.3
3.3.1
Unsterblichkeit in Zeichentrickserien
Unverwüstliche Körper
Es gibt in Animationsfilmen, besonders aber in animierten Zeichentrickserien, viele Beispiele bei denen die Charaktere trotz massiver Gewalteinwirkung
auf den Körper nicht sterben. Die Gesetze die in diesen fiktiven Welten zur
Geltung kommen, sehen auch bei einer kompletten Deformierung des Körpers
keinen Tod vor. In diesen Serien geht es primär um die Auseinandersetzungen zweier Charaktere – meist handelt es sich dabei um natürliche Feinde –
die sich in einem „Katz-Maus-Spiel“ gegenseitig Schaden zufügen. Der echte
2
Die Geschichte beruht auf dem Manga Hadashi no Gen (1973) des Zeichners Keiji
Nakazawa.
3. Der Tod im Animationsfilm
26
Tod, der das Spiel beenden würde, ist dabei nicht gewünscht.
Diese Serien entstanden in den 1940er Jahren und können als Gegenpol zu den Walt Disney Animationen gesehen werden. Für die Charaktere
von Walt Disney wurde mit Beginn der 1930er Jahre der authentische anatomische Körperbau und vor allem die natürlichen Bewegung als wichtige
Richtlinien festgelegt. Während zuvor selbst extreme Verformungen keine
dauerhaften negativen Auswirkungen auf den Körper der Figur hatten, sind
diese Veränderungen nach dem Wechsel hin zu mehr Realitätsnähe und Plausibilität nicht mehr möglich (siehe dazu [18, S. 41 ff]).
Besonders ausgeprägt war die Verwendung des unermüdlichen Einsatzes von halsbrecherischen, übertriebenen Gewaltdarstellungen bei amerikanischen Zeichentrickkünstlern dieser Zeit. Die Serien, die vor allem von MGM
und Warner Bros. produziert wurden, zeichnen sich durch eine Verdichtung
von Gewalt und Aggression aus. In einem hohen Tempo werden brutale Gags
aneinander gereiht, die immer wieder die Grenze des Unmöglichen überschreiten und damit die Möglichkeiten des Trickfilmes ausschöpfen. Der wohl
berühmteste Animator, der sich dieser Art des animierten Trickfilmes verschrieben hat, ist Frederick „Tex“ Avery, der sowohl für MGM als auch für
Warner Bros. tätig war.
Die Zeichentrickserie Tom & Jerry3 ist eines der bekanntesten Beispiele für ein andauerndes Spannungsverhältnis zweier Charaktere, das in heftigen Auseinandersetzungen mündet. Die Serie handelt von den Konflikten
des Katers Tom mit der Maus Jerry, die zu wilden Kämpfen und skurrilen
Verfolgungsjagden führen. Es kommt dabei oft zu einer starken Deformierung der Körper, die jedoch sogleich wieder ihre ursprüngliche Gestalt zurück erhalten. Die Körper der Figuren werden dabei platt gedrückt, in die
Luft gesprengt, gezogen und gequetscht, tragen aber keine bleibenden Schäden davon. In diesen Serien wird das Körperinnere nicht thematisiert. Die
Durchdringung der Haut kann für kurze Zeit Löcher hinterlassen, die Ränder
der Wunden sind aber stets fest und austretende Körperflüssigkeiten werden
nicht dargestellt.
Ein Beispiel für eine Durchlöcherung des Körpers findet sich auch in
dem Propagandafilm Blitz Wolf (USA, Tex Avery, 1942). In diesem animierten Kurzfilm wird der Charakter Adolf Wolf von Kugeln der drei kleinen
Schweinchen durchlöchert. Zuerst sieht man die Verletzungen nicht und auch
der Wolf selbst bemerkt die Einschusslöcher in seinem Körper erst, als er gegen das Licht tritt und die Lichtstrahlen durch ihn hindurch scheinen. Dabei
sind die Löcher im Körper einfach kleine, runde und leuchtende Punkte. Der
Wolf stirbt dadurch nicht, er ist nur entsetzt über seinen Zustand, bevor
einen Augenblick später einen neue gewaltvolle Auseinandersetzung starten
3
Die Serie wurde von 1940 bis 1959 unter der Regie von William Hanna und Joseph
Barbera produziert und von 1960 bis 1969 unter der Regie von Gene Deitch und Chuck
Jones.
3. Der Tod im Animationsfilm
27
kann.
Gelegentlich kommt es in solchen Animationsfilmen auch vor, dass ein
Charakter für kurze Zeit stirbt und sich sein Geist während dessen vom
Körper löst. Bei diesem temporären Tod ist die Seele dabei meist ein transparentes Abbild der Figur und agiert an deren Stelle im Film. Dies geschieht
beispielsweise in Red Hot Riding Hood (USA, Tex Avery, 1943). In dieser Animation begeht der Wolf gegen Ende des Films Selbstmord, nachdem
er sich geschworen hatte, lieber zu sterben als wieder eine Frau anzusehen,
dem Verlangen jedoch nicht widerstehen kann. Er erschießt sich, worauf seine Seele als transparentes Ebenbild von dem Körper aufsteigt und an seiner
statt weiter macht.
Die gewaltvollen Gags finden sich hauptsächlich in jenen Animationen, in
denen Tiere als Charaktere vorkommen und ihr Verhalten nicht zu sehr vermenschlicht wurde. Wenn die Figuren hingegen mehr wie Menschen handeln
und sozialen Regeln folgen, verlieren sie die Fähigkeit zur Transformation,
wie es bei Mickey Mouse zu sehen ist [6, S. 53].
3.3.2
Der wiederholte Tod
Als nächstes soll der temporäre Tod betrachtet werden, der sich durch das
wundersame Wiederauferstehen des Charakters auszeichnet. In animierten
Serien ist es häufig zu beobachten, dass Charaktere sterben und in derselben oder der nächsten Folge wieder in gewohnter Gestalt auftreten – völlig
unberührt von dem zuvor eingetretenen Tod. Dies kann man beispielsweise
in der Serie Happy Tree Friends (USA, Kenn Navarro und Rhode Montijo, seit 1999) und ebenso in The Itchy & Scratchy Show beobachten.
Letztere ist eine Zeichentrickserie innerhalb der Serie The Simpsons (USA,
Matt Groening, seit 1989). In dieser Animation wird die Unverletzlichkeit
der zuvor untersuchten „Jagdserie“ Tom & Jerry, ins extreme Gegenteil
gekehrt. Die Charaktere bringen sich gegenseitig auf möglichst gewaltsame
Weise um, erscheinen jedoch unverletzt in der nächsten oder oftmals sogar
in der selben Folge wieder.
Das wohl berühmteste Beispiel für diesen temporären Tod ist die Figur
des Kenneth „Kenny“ McCormick aus der Serie South Park (USA, Trey
Parker und Matt Stone, seit 1997). Der Tod von Kenny ist ein Running
Gag in dieser Serie, die für die Thematisierung von heiklen politischen und
gesellschaftlichen Problemen auf satirische Weise und mit viel schwarzem
Humor bekannt ist. Die Figur des Kenny muss in den ersten fünf Staffeln in
beinahe jeder Folge einen teils skurrilen Tod sterben. Sein Tod wird dabei
von zwei weiteren Figuren der Serie, Stan und Kyle, meist mit dem Ausruf
„Oh mein Gott! Sie haben Kenny getötet! – Ihr Schweine!“ quittiert. Das
absurde Sterben von Kenny wird im Laufe der Serie so weit getrieben, dass
es ohne jeglichen Handlungszusammenhang oft in der letzten Minute der
Folge geschieht.
3. Der Tod im Animationsfilm
28
Das plötzliche Wiederauferstehen mit jeder Folge wird dabei des öfteren
mit äußerst kreativen Erklärungen ausgestattet. So wird beispielsweise in
der Folge Kennys Karma (4. Staffel, Folge 6) erklärt, das Kennys Mutter
nach dessen Tod ein neues Kind gebärt, dass bereits mit den Merkmalen
von Kenny, etwa einem orangen Parka, zur Welt kommt und daher wieder
den Namen Kenny erhält. In der Folge Mysterion schlägt zurück (14.
Staffel, Folge 12) wird als Erkärung für Kennys Wiederauferstehungen erläutert, dass Kenny Superkräfte besitzt, nach seinem Tod stets tags darauf
in seinem Bett erwacht und sich keiner der übrigen Charaktere an seinen
Tod erinnern kann. Der Tod von Kenny wird zumeist nicht ernst genommen.
Es gibt jedoch auch eine Folge, in der das Sterben von Kenny ernsthaft im
Mittelpunkt steht und nicht nur als Gag eingesetzt wird. Nach der Episode
Kennys Tod (14. Staffel, Folge 13) kommt er länger nicht mehr in der Serie
vor und stirbt später auch nicht mehr so häufig.4
Der temporäre Tod bzw. das Wiederauferstehen, wie es in South Park
dargestellt wird, konnte so in Realfilm-Serien nicht gefunden werden. Wenn
in diesen Serien ein Charakter stirbt und der Tod definitiv feststeht, dann
taucht er in den nächsten Episoden nicht mehr auf. Es kommt aber durchaus
vor, dass Charaktere scheinbar sterben, die Zuseher jedoch den Tod aus der
Situation nur vermuten können und daher im Ungewissen bleiben. Sofern
die Figur in der nächsten oder eine der darauf folgenden Episoden wieder
erscheint, wird der Umstand des Weiterlebens gewöhnlich auf eine plausible
Art erklärt. Bei South Park stirbt Kenny hingegen ganz offensichtlich.
Er wird auf meist brutale Art und Weise ums Leben gebracht, sodass der
Tod aus der Situation unmissverständlich hervorgeht. Zudem wird er durch
die Aussagen von Kyle und Stan bestätigt. Bei Kenny handelt es sich um
seinen echten Tod, während in Realfilm-Serien nur der vermeintliche Tod zur
Steigerung der Dramatik gefunden wurde.
Dies mag mit dem Realitätsanspruch zusammen hängen, der selbst in
Serien mit fantastisch fiktiver Handlung verfolgt wird. Für animierte Serien, in denen Wert auf Plausibilität und Realitätsnähe gelegt wird, ist dies
ebenso gültig. So wäre es bei Walt Disney Produktionen, bei denen auf diese
Attribute geachtet wird, undenkbar einen Charakter sterben zu lassen und
ihn in der nächsten Episode wieder unversehrt und ohne Erklärung in die
Handlung zu integrieren. Was in vielen Fällen durch die auferlegte Glaubwürdigkeit unmöglich ist, wird in der abstrakten Darstellung von South
Park zum witzigen Detail.
4
Quelle:
http://www.southparkstudios.com/guide/characters/kenny-mccormick.
3. Der Tod im Animationsfilm
3.4
29
Personifikation des Todes in der Animation
In diesem Abschnitt wird auf die Darstellung des personifizierten Todes im
Animationsfilm eingegangen. Es werden Vergleiche zu den Vorkommen in
der bildenden Kunst des Spätmittelalters gezogen und die Bedeutung sowie
der Einsatz der Personifikation des Todes anhand von Beispielen untersucht.
In der Fernsehserie The Simpsons tritt in der Folge Treehouse of
Horror XIV (USA, Steve Dean Morbid, 2003) der Sensenmann im ersten
Segment mit dem Namen Reaper Madness auf. Das Gerippe mit Umhang und Sense kommt zum Haus der Simpsons um Bart zu holen. Gleich
zu Beginn wird die Erscheinung des Todes, die in der mittelalterlichen Vergangenheit furchteinflößend war, von Homer in die Lächerlichkeit gezogen.
Wenn sich der Sensenmann mit rauer Stimme und feuerroten Augen vorstellt, wimmelt ihn Homer wie einen Haustürverkäufer ab und wirft ihm die
Tür vor der Nase zu. Dieser verschafft sich nun gewaltsam Eintritt und wird
nach einer komödienhaften Verfolgungsjagd von Homer mit einer Bowlingkugel erschlagen. Homer wirft die Knochen des Sensenmannes in den Müll
und probiert dessen Umhang, worauf er die Rolle des Todes einnimmt (s.
Abb. 3.2 (a)). Mit Sense und Todesliste ausgestattet, gewöhnt er sich schnell
an seine neue Aufgabe und durch eine Berührung mit der Fingerspitze sterben die Auserwählten. Als er einen Mann im Altersheim holt, fragt dieser
nach dem eigentlichen Tod und quittiert die Aufklärung durch Homer mit:
„Aw, I liked Doug.“ Der Tod bekommt hierbei mit dem Namen auch eine
Persönlichkeit zugesprochen.
Das Zuerteilen einer eigenen Geschichte und Persönlichkeit zeigt sich in
der Serie Family Guy, in welcher der Sensenmann des öfteren vorkommt,
besonders gut. In der Folge Death is a Bitch will sich Peter Griffin vor
einer Krankenhausrechnung drücken und schreibt deshalb in einem Formular, er sei verstorben. Als Fazit steht wenig später der Tod vor der Tür,
um Peter zu holen. Bei einem Fluchtversuch Peters verletzt sich der Tod
am Knöchel und muss daher bis zu seiner Genesung bei den Griffins bleiben. Während dieser Zeit erfährt man einiges über die Person des Todes.
Er wird als Charakter etabliert, der ebenso ein Leben abseits seines beruflichen Alltages hat. Bezeichnend dafür ist ein Gespräch zwischen dem Tod
und Stewie, dem jüngsten Spross der Griffins (s. Abb. 3.2 (b)). Die beiden
unterhalten sich über ihre Mütter und wie lästig diese sein können. Der Tod
beklagt sich in der Folge über seine Zeit an der Highschool, erwähnt peinliche Erlebnisse der Vergangenheit und beschwert sich über seinen Job, den er
nur macht, weil er eben gemacht werden muss. Die vielen Details aus seinem
Leben beschreiben die Person des Todes und verleihen ihm ein menschliches
Wesen.
In dem Animationsfilm The Lady and the Reaper (SPA, Javier Recio, 2008) liefern sich ein Arzt und der personifizierte Tod, abermals in Gestalt des Sensenmannes, einen Kampf um das Leben einer alten Frau. Der
3. Der Tod im Animationsfilm
(a)
30
(b)
(c)
Abbildung 3.2: Beispiele für den personifizierten Tod im Animationsfilm
in The Lady and the Reaper (a), The Simpsons (b) und Family Guy
(c).
Kurzfilm wird in Abschnitt 4.4 genauer betrachtet, hier ist erstmal nur die
Personifikation des Todes interessant. Nur eine kurze Angabe zu der Szene,
auf die hier eingegangen wird. Der personifizierte Tod kommt, um die Seele einer eben verstorbenen Frau zu holen. Er nimmt sie an der Hand und
sie bewegen sich zusammen auf das Licht zu, aus dem er zuvor erschienen
ist. Als sie schon fast darin verschwunden sind, kommt eine Hand ins Bild
und entreißt ihm die Seele. Es ist die Hand des Arztes, der die Frau soeben
mit einem Defibrillator zurück ins Leben geholt hat. Beim ersten Erscheinen
des Sensenmannes wird dieser noch als ehrfürchtige Gestalt dargestellt. Der
Kapuzenmantel wirkt bedrohlich und verhüllt seinen gesamten Körper. Sein
Gesicht ist daher nicht zu erkennen und er wirkt, auch durch seine Größe,
übermächtig im Vergleich zu der alten Frau. Nachdem ihm die Seele entrissen wurde, im zweiten Auftritt des Sensenmannes, hat sich seine Erscheinung
grundlegend verändert. Er wirkt kleiner, sein Mantel ist lächerlich kurz, lässt
nun die Hände und Füsse heraus ragen und gleicht damit mehr einem Bademantel. Sein Gesicht ist jetzt zu sehen und suggeriert durch non-verbale
Gestikulation seine Verwirrung über das eben Geschehene (s. Abb. 3.2 (c)).
Der personifizierte Tod wird hier ebenfalls lächerlich dargestellt, er hat es
nicht kommen gesehen und weiß im ersten Moment nicht, wohin seine Seele
entwichen ist. Dem Tod wird auch hier eine Persönlichkeit zugeschrieben und
er durchlebt im Laufe des Films die unterschiedlichsten Gemütszustände.
In der Serie The Grim Adventures of Bill and Mandy, die in den
USA nach einer Idee von Maxwell Atoms zwischen 2001 und 2007 produziert
wurde, hat der Tod außer seinem Äusseren eigentlich nichts mehr mit einem
personifizierten Tod zu tun. Er geht nicht seiner Aufgabe des Sammelns von
Seelen nach, sondern fungiert als Freund der beiden Kinder, Bill und Mandy.
Dies ergab sich mit einer verlorenen Wette, deren Einsatz zur bedingungslosen Freundschaft mit den beiden verpflichtete. Der Tod wird von den Kindern
3. Der Tod im Animationsfilm
31
in der Serie unterdrückt und schikaniert, er hasst seine neue Verpflichtung
und würde gerne wieder seiner alten Aufgabe nachgehen. Die Erscheinung
gleicht in den Hauptmerkmalen ebenfalls den üblichen Darstellungscharakteristika von Skelett, Umhang und Sense. Der Tod hat zwar übernatürliche
Kräfte, unterscheidet sich aber sonst in seinem Verhalten nicht besonders
von Bill und Mandy.
Die Gestalt des personifizierten Todes im Animationsfilm gleicht den
Darstellungen aus der bildenden Kunst des Spätmittelalters. Der Tod tritt
in allen genannten Beispielen als Gerippe auf, begleitet von den typischen
Merkmalen, wie Umhang und Sense. Er wird als Figur mit Persönlichkeit
dargestellt, die mit den übrigen Charakteren in direkter Interaktion steht.
Eine Bedeutung wie in Andreas Böcklings Gemälde Die Pest (s. Abschnitt
2.2.1), in welcher der personifizierte Tod für die kollektive Macht einer Seuche auftritt, findet sich nicht. Der personifizierte Tod ist hier eine Figur ohne
metaphorischen Hintergrund, ein Charakter wie die anderen. Von den übrigen Figuren wird er selten ernst genommen und in der Handlung häufig ins
Lächerliche gezogen. Seiner Aufgabe ist er meist überdrüssig, aber er macht
sie, weil es notwendig ist und ohne ihn niemand sterben könnte. Dabei ist er
nicht böse, sondern führt die Figuren aus dem Leben, wenn es an der Zeit ist.
Darin lässt sich eine Verbindung zum individualisierten Totentanz zu Beginn
der Neuzeit erkennen, in dem der Tod dem Einzelnen begegnet und ihn aus
dem Leben holt. Die Serien sind auf Humor ausgerichtet und so ist auch der
Tod dem unterworfen. Den humorvollen Umgang mit dem personifizierten
Tod findet man bereits in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Das
Gemälde Der pinkelnde Tod (1880) von Max Klinger zeigt beispielsweise
ein pinkelndes Gerippe am See. In entspannter Haltung, die Sense angelehnt, halten die Hände wo es eigentlich nichts mehr zu halten gibt. Durch
die Verleihung menschlicher Eigenschaften, so Walther K. Lang in [19, S. 63],
wird das ursprünglich furchterregende lächerlich gemacht. In den Animationsbeispielen wird das Zuschreiben von menschlichen Eigenschaften exzessiv
betrieben, dass dabei die Auseinandersetzung mit der Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens mitschwingt, ist zu bezweifeln.
Der Totentanz im Animationsfilm
In den folgenden Animationen findet man eine Visualisierung des Totentanzes, die sich die Darstellungsmerkmale von den ursprünglichen Abbildungen
in der bildenden Kunst entliehen hat. Die Ähnlichkeiten beschränken sich
dabei auf den ersten Blick nur auf die Erscheinung des tanzenden Skelettes, jedoch nicht in Bezug auf die Bedeutung als bildhaftes Memento mori.
Mit Ausnahme des ursprünglichen mittelalterlichen Totentanzes, der an die
ständige Gefahr des Todes erinnern sollte, ist der Totentanz sehr wage definiert. In der Renaissance, so Margarete Bartels in ihrer kunsthistorischen
Betrachtung der Totentänze, fallen darunter sämtliche Darstellungen, deren
3. Der Tod im Animationsfilm
32
Bildmotiv durch das zentrale Thema Mensch und Tod bestimmt wird, auch
jene, in denen der Tod nicht persönlich in Erscheinung tritt [4, S. 105]. Der
Totentanz erfuhr im Lauf der Zeit sowohl in der Darstellung als auch in der
Bedeutung Veränderungen (s. Abschnitt 2.2.1), nun soll untersucht werden,
wie er im Animationsgenre in Erscheinung tritt.
In der ersten Folge der Silly Symphony-Serie von Walt Disney, The
Skeleton Dance, bekommt der Totentanz des 17. Jahrhunderts eine völlig neue Aufmachung. Die Toten steigen aus ihren Gräbern und tanzen als
Skelette auf dem Friedhof. Ihre Erscheinung als Gerippe und der Umstand
des Tanzens stellen die einzigen Übereinstimmungen mit dem ursprünglichen
Begriff des Totentanzes dar, wobei dem Tanz hier eine vollkommen divergente Bedeutung zukommt. Während in den Totentänzen der bildenden Kunst
Menschen mit Toten oder auch dem personifizierten Tod interagieren, tanzen die Skelette in dieser Animation alleine miteinander, andere Charaktere
sind nicht beteiligt. Mensch bzw. Figur und Tod als zentrales Thema lassen
sich nicht erkennen. Es wird nur einmal eine Katze in den Tanz einbezogen, wobei die Verwendung von ihrem Schwanz als Musikinstrument nur
als Showeinlage gewertet werden kann. Die Skelette tanzen und vollführen
mit Zuhilfenahme ihrer Knochen musikalische Einlagen, sie sind dem Publikum meist zugewandt und unterhalten es mit ihrer Performance. Dies kann
mit den Vorstellungen im US-amerikanischen Vaudeville verglichen werden.
In diesen Unterhaltungstheatern, wurden kabarettistische Darbietungen in
Form von musikalischen Aufführungen, Tanz und Akrobatik aufgeführt. Das
Vaudeville hatte großen Einfluss auf die Anfänge des Films, vor allem im
Stummfilm fanden sich viele Schauspieler, die zuvor bereits als VaudevilleKünstler bekannt waren, darunter Buster Keaton und Carlie Chaplin.5 In
dieser Darstellung des Totentanzes findet sich keine tiefere Bedeutung. Die
Skelette sind sympathische Gerippe, die eine Aufführung zur Unterhaltung
des Betrachters darbieten.
In dem Animationsfilm Corpse Bride (USA, Tim Burton, 2005) findet
sich ebenfalls eine solche Variation des Totentanzes. Der Tanz findet in der
Unterwelt der Toten auf der Bühne einer Bar statt. Die tanzenden Skelette
führen eine musikalische Einlage vor, in der sie dem Neuankömmling Victor
erklären, wo er sich befindet und wie es dazu kam. Dazu ist anzumerken, dass
Victor unter unglücklichen Umständen als Lebender in die Unterwelt gelangte. Der Tanz der Skelette ist hier ebenfalls eine unterhaltsame Show, interessant ist jedoch das vorgetragene Lied. Es handelt, neben der Erklärung für
Victor, auch von der Vergänglichkeit des Lebens und von dem unausweichlichen Tod, der jedem früher oder später bevorsteht. Von der Thematik ist
hier also durchaus eine Verbindung zu den ursprünglichen Totentänzen zu
finden, wenngleich in völlig neuer Aufmachung.
5
Quellen: http://www.duden.de/rechtschreibung/Vaudeville,
http://www.pbs.org/wnet/americanmasters/episodes/vaudeville/about-vaudeville/721.
3. Der Tod im Animationsfilm
33
In den beiden genannten Beispielen bieten die losen Gerippe eine unterhaltsame und lustige Vorführung dar. Der ursprüngliche Totentanz als Ermahnung an ein gottgefälliges Leben, hat im Barockzeitalter den Schrecken
gegen sinnbildliche Motive getauscht und wird in diesen Animationsfilmen
als Schauspiel zum Zweck des Vergnügens ohne tiefere Bedeutung eingesetzt.
Bei den untersuchten Beispielen zum Totentanz und zur Personifikation
des Todes handelt es sich um kommerziell erfolgreiche Filme und Serien, in
denen die Thematik für ein junges Publikum humorvoll aufbereitet wurde.
Es kann aus dieser Untersuchung jedoch nicht darauf geschlossen werden,
dass diese Motive nur in einer lustigen Art und Weise Verwendung finden.
3.5
Exkurs: Tod und Metalepse in der Animation
Der Begriff Metalepse6 wurde von Gerard Genette aus der Rhetorik entliehen
und in den siebziger Jahren in die Erzähltheorie eingeführt [36, S. 105]. In
Genettes Erzähltheorie beschreibt die „narrative Metalepse“ das überwinden
von internem und externem Erzählstrang einer fiktiven Welt.7 Eine allgemeinere, nicht auf die Narration beschränkte Definition, findet sich bei Werner
Wolf8 :
“[. . . ] a usually intentional paradoxical transgression of, or confusion between, (onto)logically distinct (sub)worlds and/or levels
that exist, or are referred to, within representations of possible
worlds [. . . ]”
Die Metalepse ist hier also eine Überschreitung zwischen oder der Verweis auf die Divergenz der dargestellten Welten oder Existenzebenen. Man
begegnet dieser Grenzüberschreitung in vielen Bereichen: Musik, Literatur,
Theater sowie Film, und davon besonders häufig im Animationsfilm. Es gibt
mehrere Abstufungen in der Kombination von ontologisch getrennten Welten, wobei die bildliche Darstellung der Grenzüberschreitung für den Animationsfilm die wichtigste ist [12, S. 115, 124]. In Verbindung mit der Metalepse
und in Bezug auf deren Wirkung auf den Rezipienten spricht man häufig von
der Diegese, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.
Der Begriff Diegese wurde 1950 von Etienne Souriau erstmals im Rahmen einer Vorlesung verwendet, in der er Bezeichnungen für die verschiedenen Ebenen der technischen und narrativen Elemente des Films einführt.
Er hat den Begriff vom griechischen Wort Diegesis entliehen, welches soviel
wie Bericht, Erzählung oder auch Darstellung bedeutet. Unter der Diegese
6
Das Wort stammt vom griechischen Metalepsis und bedeutet soviel wie „Herübernahme“.
7
Quelle:
http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/littheo/glossar/eintraege/metalepse.html.
8
Werner Wolf zitiert nach Erwin Feyersinger in [12, S. 114].
3. Der Tod im Animationsfilm
34
versteht Souriau „alles, was sich laut der vom Film präsentierten Fiktion ereignet und was sie implizierte, wenn man sie als wahr ansähe“ (näheres dazu
in [35]). Diese Beschreibung bezieht sich nur auf die Fiktion und wird von
Anton Fuxjäger folgendermaßen erweitert und präzisiert [14, S. 32 f]:
„Als diegetisch wird nicht nur alles bezeichnet, was zur erzählten Welt gehört, sondern auch all jene Anteile des Plots/Diskurses, die den Rezipienten (auf jener Vermittlungsebene, mit der
er unmittelbar konfrontiert ist) auf nachahmende Weise über die
erzählte Welt informieren, wobei diese Nachahmung mehr oder
weniger treu und ein Element des Plots/Diskurses daher auch
mehr oder weniger diegetisch sein kann.“
Diese Definition ermöglicht das Einbeziehen von Elementen, die zwar
nicht unmittelbar zur fiktiven Welt gehören, jedoch auf diese verweisen oder
unterstützend einwirken. Dazu gehören beispielsweise Texteinblendungen,
Musik oder Sounddesign [14, S. 15–27]. Nach dieser Ausführung kann nun
auf die Metalepse und ihre die Illusion fördernde sowie störende Wirkung
in Bezug auf die Diegese eingegangen werden. Nach Erwin Feyersinger lässt
sich die Metalepse in mehrere Bereiche teilen, wobei die folgenden drei für
die spätere Betrachtung relevant sind [12, S. 117–124]:
Der extradiegetische Eingriff in die Diegese
Darunter versteht man das Eingreifen des Animators in die fiktive
Welt. Dies geschieht in den unterschiedlichsten Ausführungen mit Hand,
Pinsel, Stift oder auch Modelliergerät. Ein erstes Beispiel dafür ist die
Animation Fantasmagorie (FR, Emile Cohl, 1908). Hier sieht man
zu Beginn des Films die Hände des Animators, der den Hauptdarsteller,
einen Clown, auf die Leinwand zeichnet. Diese Form der Introduktion
findet man häufig bei den frühen Trickfilmen, so auch bei der Out
of the Inkwell-Serie (USA, Max Fleischer, 1918-1929), in welcher
der Hauptdarsteller Koko, ebenfalls ein Clown, zu Beginn jeder Folge
von Max Fleischer gezeichnet wird. In dieser Serie werden die Grenzen
zwischen den Welten jedoch nicht nur einseitig überwunden, was hier
im nächsten Punkt ausgeführt wird.
Das Betreten der rahmenden Diegese durch die Figuren
Diese Grenze wird durchbrochen, wenn die fiktiven Figuren ihre Welt
verlassen um in die „reale“ Welt des Animators zu wechseln oder auch,
wenn durch die Kommunikation mit dem Animator die Schranke zwischen Intra- und Extradiegese durchdrungen wird. Dies geschieht, wie
vorher bereits angedeutet, in jeder Folge der Out of the InkwellSerie. Koko verlässt hier laufend seine Leinwand und übertritt damit
den Rahmen zwischen seiner fiktiven und der realfilmischen Welt von
Max Fleischer.
3. Der Tod im Animationsfilm
35
Das extradiegetische Einwirken der Figuren auf die eigene Welt
Hier wirken die Figuren metaleptisch, indem sie sich selbst in die Narration einbringen. Sie sind zugleich Darsteller und Dargestellter. Bei
Felix the Cat (USA, Otto Mesmer und Pat Sullivan, 1919) nimmt
Felix die Lösung seiner Probleme des öfteren selbst in die Hand, in dem
er, seinen Schwanz als Pinsel benutzend, Auswege herbei zeichnet.
Bei diesen Metalepsen handelt es sich zumeist um eine Form der Selbstreflexion, die man in animierten Filmen in drei verschiedenen Ausführungen antrifft. Zum einen der Verweis auf die Produktion des Filmes und die
Filmindustrie, dies geschieht durch Offenlegung der Produktionsweise, des
Rohmaterials oder des Produktionsprozesses. Weiters, in dem ein direkter
Kontakt zum Publikum aufgenommen wird, wie etwa durch Kommunikation oder Gestikulation. Sowie, als dritte Möglichkeit, die Illusionsstörung
durch das Einwirken des Animators. Das Publikum wird in die Schaffung
des Films und das Darstellen der Tricks eingeweiht und die Animation somit
entzaubert [20, S. 205].
3.5.1
Tod durch Überschreitung der diegetischen Grenzen
Will man in diesem Bereich die Bedeutung des Todes betrachten, so sollte
man den Blick auf das Ende der Fiktion richten. Kann man behaupten,
dass der Tod mit der Offenbarung der Fiktion einhergeht? Wenn man dies
annimmt, kann man daraus schließen, dass der Austritt aus der Fiktion, wie
dies beim Überschreiten der diegetischen Grenze passieren kann, den Tod
der Figur bedeutet. Bei dieser Überlegung muss berücksichtigt werden, wie
fest der diegetische Rahmen der Fiktion gespannt ist, d.h. wie konsequent
die Einhaltung von filmischen Konventionen verfolgt wird und ob es den
Charakteren im Zuge der Handlung gestattet ist, aus diesen auszubrechen.
Diese Grenzüberschreitung kann, wie vorher beschrieben, auf verschiedene Weise geschehen. Sie geht oft einher mit der Unterbrechung der Kontinuität der Handlung und bewirkt damit eine Störung oder auch Zerstörung
der Illusion für den Betrachter, wie man etwa oft bei der Bugs Bunny Animationsserie beobachten kann. Bei der Folge The Heckling Hare (USA,
Tex Avery, 1941) fallen Bugs Bunny und ein Hund von einer Klippe und ziehen kurz vor dem Aufschlagen eine imaginäre Bremse, um mit den Worten
„Fooled ya, didn’t we!“ die Serie zu beenden. Die Charaktere fallen aus ihrer
Rolle und stören mit der Durchbrechung der vierten Wand9 den Handlungs9
Der Begriff der vierten Wand kommt vom Theater und bezeichnet die unsichtbare Wand die zum Publikum zeigt. Sie kann durch die Schauspieler, die
sich an das Publikum wenden oder umgekehrt, durch das Publikum, das sich etwa mit Zwischenrufen zu Wort meldet, durchbrochen werden. Im Film ist diese Überschreitung durch die absolute Trennung des zeitlichen und räumlichen
Bereichs des Dargestellten von dem des Zuschauers, auf ersteres beschränkt.
3. Der Tod im Animationsfilm
36
fluss. Dieses Aufbrechen der Fiktion findet man häufig bei Animationsfilmen
von Warner Bros. oder Metro-Goldwyn-Mayer, es kommt jedoch nicht bei
Walt Disney Animationen vor. Bei diesen ist die Kontinuität der Diegese und
die Aufrechterhaltung der Illusion oberstes Prinzip. Bei den ersten Mickey
Mouse Animationen kann man noch beobachten, dass sich die Maus an das
Publikum wendet, doch zu Beginn der 1930er Jahre, als die Disney Figuren
mehr Tiefe bekamen und Wert auf Plausibilität gelegt wurde, nahm man
ihnen damit auch die Möglichkeit, unversehrt aus der Illusion der Geschichte
auszubrechen.10
Für Figuren, die sich in einer in sich geschlossenen, kompakten Illusion
bewegen, würde das Verlassen dieser einer Illusionszerstörung und damit
dem fiktiven Tod im Auge des Betrachters gleich kommen. Deshalb findet
man in Animationen, die von der perfekten Illusion leben, wie es bei den
Walt Disney Filmen der Fall ist, auch keine Beispiele die deren Zerstörung
beinhalten. Dabei spielt es keine Rolle, wer oder wie die Fiktion preis gegeben
wird, d.h. es ist gleich ob sie durch die Figur selbst, durch das Eingreifen des
Animators oder durch Verweise auf die Filmebene offenbart wird.
3.5.2
Sterblichkeitsbewusstsein bei animierten Charakteren
In diesem Punkt soll weniger auf die Darstellung des Todes eingegangen,
sondern der Blick auf die Bedeutung der Erkenntnis der eigenen Fiktionalität
gerichtet werden, wenn der animierten Figur wird bewusst, dass das Ende der
Fiktion auch das Ende ihrer Existenz bedeutet. Wenn in einem Realfilm ein
Schauspieler aus seiner Rolle fällt und damit die Diegese aufbricht, wechselt
er dabei scheinbar auf die Ebene seiner realen Existenz als Lebewesen. Bei
animierten Charakteren ist dies nicht der Fall, vielmehr führt das Ende der
Fiktion zur Existenzlosigkeit.
In animierten Kurzfilmen kommt es häufig vor, wie zuvor an dem Beispiel
von The Hackling Hare beschrieben, dass die Charaktere die Handlung
unterbrechen und sich als Schauspieler zu erkennen geben. In dem Animationsfilm Duck Amuck (USA, Charles M. Jones, 1953) wird dies exzessiv
betrieben und der Konflikt zwischen Figur und Animator zur eigentlichen
Handlung des Films. Nachdem der Animator in diesem Film die Hintergründe ins Nichts verlaufen lässt, richtet Daffy Duck seinen Blick direkt in die
Kamera und lässt mit folgender Aussage erkennen, dass er von seiner eigenen
Fiktionalität weiß:
“Buster, it may come as an complete surprise to you, to find that
this is an animated cartoon and that in animated cartoons they
have scenery [. . . ]”
Quelle: http://www.bender-verlag.de/lexikon/lexikon.php?begriff=Vierte+Wand.
10
Näheres zur Entwicklung der Walt Disney Charaktere in [18, S. 41 f]
3. Der Tod im Animationsfilm
37
Das hier selbstverständlich erscheinende Bewusstsein von Daffy, ein Teil
der Fiktion zu sein, wird auch durch die Abhängigkeit des Charakters vom
Animator immer wieder aufgezeigt. Am Ende des Cartoons wird nach der
wütenden Aufforderung von Daffy, den Verantwortlichen für diese Animation preiszugeben, aus dem Bild heraus in eine Rahmenhandlung gewechselt,
in der Bugs Bunny als Animator offenbart wird. In dem Film wird der Cartoon des öfteren Stück für Stück zerlegt und damit auf dessen Entstehung
hingewiesen.
Im nächsten Filmbeispiel wird diese Thematik des Erkennens der eigenen
Fiktionalität von den Charakteren bewusster verinnerlicht und wiedergegeben. In dem höchst selbst-reflexiven Film The End von Chris Landreth
(CA, 1995) entdeckt der Animator, nachdem er mit den Charakteren seiner
Animation über deren Status als fiktive Figuren diskutiert hat, dass er selbst
ein Darsteller seiner eigenen Animation ist. Die Handlung des Films beginnt
mit zwei Charakteren, Mann und Frau, die auf einer Bühne eine Performance bieten. Der Boden des Raumes, in dem sich die beiden befinden, besteht
aus einem Schachbrett, wodurch bereits auf die Fiktionalität der Charaktere hingewiesen wird. Sie sind Statisten in einem Spiel bzw. Marionetten
des Animators, ihr Status ist ihnen jedoch zu Beginn nicht bewusst. Die
erste Wendung geschieht, wenn die Charaktere ans Ende ihrer Darbietung
gekommen sind. Die Musik ist verstummt, die Scheinwerfer gehen aus und
die Grundbeleuchtung an. Die Figuren haben ihren Text zu Ende gesprochen
und wissen nicht was als nächstes kommt. In die angehende Diskussion, über
das jetzt und dann, mischt sich der Animator mit seiner Stimme aus dem Off
und klärt die Charaktere über ihren fiktiven Status auf. Er sei nicht Gott
sondern ein Animator und die beiden damit Charaktere in einem Animationsfilm. Durch diese Offenbarung wird den Figuren ihre „reale“ Existenz
abgesprochen, wogegen sich die Frau mit folgenden Worten zur Wehr setzt:
“[. . . ] not only do I have memory of my experiences. I have awareness of my memory of those experiences. If anything – I am
creating you! You have no choice but to create this animation
okay! I have free will.”
Doch während sie diese Worte spricht verwandelt sich das Bild, man tritt
aus der Szene heraus und befindet sich am Schreibtisch, an dem der Animator gerade das Storyboard Frame der Frau vollendet und dabei telefoniert.
Es ist jedoch nicht, wie bei Out of the Inkwell, eine realfilmische Welt,
in die gewechselt wird, sondern eine ebenfalls animierte Rahmenhandlung
der Diegese. Der freie Wille, auf den die Frau bestanden hat, wird somit im
gleichen Moment negiert. Der Animator, der eben noch seiner Schöpfung ihre
Fiktionalität beizubringen versuchte, wird nun in einem Telefonat auf seine
eigene Fiktionalität aufmerksam gemacht. Der Weg zu der Erkenntnis, dass
er selbst Teil seiner eigenen Fiktion ist, wird bei dem Gespräch durch die
Übernahme der Idee des Anrufers dargestellt. Der fiktive Animator wieder-
3. Der Tod im Animationsfilm
38
holt die Worte der Stimme aus dem Telefon, die man im Hintergrund noch
leise hört, und verinnerlicht sie:
“[. . . ] but in my old days I realised that I’m a work of my own
fiction. Then I realised that as a work of my own fiction I can
create my own ending.”
Mit dem letzen Satz verwandelt sich das Bild erneut, der Animator wird
ebenfalls zu einem Frame eines Storyboards. In dieser Animation wurde die
Fiktion durch eine rahmende Fiktion aufgedeckt, die wiederum ihre eigene
Fiktionalität erkennt.
In dem Moment des Begreifens, dass er seiner eigenen Fiktion inhärent
ist, durchbricht der Animator für einen kurzen Augenblick die vierte Wand
und richtet den Blick direkt an den Betrachter. Das gleiche passiert auch
als die beiden Charaktere im ersten Teil der Animation ihre Fiktionalität
erkennen. Die Frau bewegt sich auf die Kamera zu und richtet im CloseUp am Ende den Blick direkt an den Animator. Wenn die Charaktere auf
diese Weise die vierte Wand durchbrechen und über ihren Status als Figur
nachdenken, werden sie dadurch näher zum Publikum gebracht [34, S. 159].
Sie wenden sich von der Filmwelt ab und erwecken den Anschein einer LivePerformance, dieser wird in The End jedoch durch das Aufdecken in weiterer
Folge widersprochen.
Diese beiden Animationen sind Beispiele dafür, wie in Animationen mit
der Erkenntnis der Charaktere auf die Fiktionalität der Geschichte verwiesen wird. Die Selbstreflexion innerhalb einer Animation kommt, wie in den
genannten Filmen, sehr offensiv vor, kann aber auch subtiler angedeutet werden, wenn beispielsweise Jessica Rabbit in Who Framed Roger Rabbit
(USA, Robert Zemeckis und Richard Williams, 1988) nebenbei anmerkt: „I’m
not bad, I’m just drawn this way.“
3.5.3
Interaktion mit dem Tod des belebten Körpers
Die Interaktion des Animators mit der animierten Figur ist besonders in den
Anfängen des Trickfilms zu finden. Sie hat ihren Ursprung in den Lightning
Sketches, bei denen in einer Live-Performance auf eine Leinwand gezeichnet und die Motive verändert wurden.11 Einer der ersten Filme, in denen
der Animator mit der gezeichneten Figur interagiert, ist der Animationsfilm Fantasmagorie von Emile Cohl. Hier sieht man, wie zu Beginn des
Filmes die Hand von Cohl einen Clown zeichnet und dieser darauf zum Leben erwacht. Er erlebt als Hauptdarsteller dieser zwei minütigen Animation
mehrere Abenteuer, bis er sich bei einem Fenstersturz den Hals bricht, was
durch die Trennung des Kopfes vom Körper dargestellt wird. In diesem Moment kommen die Hände von Cohl ein weiteres mal ins Bild. Sie bestreichen
11
Näheres zu den Lightning Sketches s. [11, S. 48–57]
3. Der Tod im Animationsfilm
39
die Bruchstelle mit Kleber aus einem gezeichneten Fass, ergreifen dann Kopf
und Körper und fügen die beiden wieder zusammen. Der tote Körper des
Clowns ist während dieses Vorganges wie auf einem Krankenbett aufgebahrt
und erwacht mit Zuckungen, die an jene bei einem starken Stromschlag erinnern, wieder zum Leben. Das Einwirken von Emile Cohl führt hier zu einer
Fortsetzung der Geschichte, er greift helfend in die Handlung ein.
Der Grund für die Präsenz des Animators ist hier jedoch nicht bei der
Verletzlichkeit der Figuren zu suchen. Diese werden in Fantasmagorie gequetscht, aufgeblasen, beliebig verformt, verwandeln sich in andere Gegenstände und erwecken dabei nicht den Anschein davon Schaden zu nehmen. So
wird, kurz bevor der Clown durch den Genickbruch stirbt, sein Kopf ebenfalls von seinem Körper getrennt, doch hier fällt er nicht zu Boden, ganz im
Gegenteil holt sich der kopflose Körper sein Haupt zurück. Durch das Eingreifen erinnert Cohl an die Entstehung der Animation und damit an deren
Fiktion.
Meist gestaltet sich der Eingriff des Animators jedoch nicht helfend und
belebend, wie dies bei Fantasmagorie der Fall ist, im Gegenteil, der Animator wirkt oft zerstörend auf den animierten Körper ein. Ein sehr gutes
Beispiel dafür ist der Animationsfilm Manipulation (USA, Daniel Greaves, 1991). Hier hat der Animator eine sadistische Freude daran, die eben gezeichnete Figur zu zerstören. Sie wird zerquetscht und auseinander gerissen,
nur um sogleich protestierend und vollständig wieder zu erscheinen. Durch
das Eingreifen des Animators, das Dekonstruieren und Zusammensetzen der
Figur, wird immer wieder auf den Entstehungsprozess der Animation Bezug
genommen. Der Animator hält die Fäden in der Hand und kann bei seiner
Schöpfung Gott spielen, die Trotz all der Grausamkeiten nicht zerstört wird
und am Ende sogar ohne Schrammen davon kommt.
Die Interaktion mit dem Charakter verweist immer auf die Entstehung
der Animation und auf deren Fiktionalität. In Fantasmagorie beschränkt sich
die Interaktion nur auf die Richtung von Animator zur Charakter, in Manipulation hingegen gestaltet sich die Kommunikation beidseitig, wobei die
Aktionen vom Animator ausgehen und die Figur nur reagiert. Die Allmacht
des Animators über den animierten Körper ist die bestimmende Thematik
in Filmen, die auf diese Art und Weise die vierte Wand durchbrechen.
Kapitel 4
Darstellungsformen des toten
Körpers im Animationsfilm
4.1
Einführung
In den Augen des Verfassers kann der Animationsfilm durch seine unbeschränkten visuellen Möglichkeiten kreativer mit der Visualisierung des Todes umgehen. So wie sich die Charaktere an die Gesetzmäßigkeiten der fiktiven Welt halten, die für sie geschaffen wurde, kann sich auch der Tod in
dieser Umgebung auf verschiedenste Weise darstellen. Dabei können die aus
der Realität bekannten Formen des Todes übernommen, aber auch modifiziert oder völlig neu gestaltet werden.
Es bietet sich die Gelegenheit, Charaktere in stilisierter oder abstrahierter Form darzustellen und damit auch deren Tod bzw. den toten Körper.
Dies kann beispielsweise dazu genutzt werden, grausame oder unschöne Erscheinungen des Todes auf abstrakte Weise ansehnlich werden zu lassen. Der
Tod kann in einer Art gezeigt werden, die in der Realität bzw. im Realfilm
nicht möglich wäre oder muss anders gezeigt werden, weil sich durch den Stil
der Animation Einschränkungen in der Darstellung ergeben.
Um dieser Hypothese nachzugehen, werden in diesem Kapitel verschiedene Darstellungen des Todes im Animationsfilm untersucht und gegebenenfalls mit jenen des Realfilms verglichen. Es soll der Blick auf Eigenheiten
und Besonderheiten bei der Visualisierung toter Körper im Animationsfilm
gerichtet werden, wozu ausgewählte Animationsbeispiele in fünf Abschnitten
unter einem jeweils besonderen Blickpunkt betrachtet werden.
40
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
4.2
41
Der schöne Tod
Der schöne Tod kann sich auf vielfältigste Weise darstellen. Er ist ein unversehrter Körper, der in einer friedlichen Pose an den Schlaf erinnert, die
ästhetische Inszenierung einer eigentlich grausam zerstörten Gestalt oder
einfach das Kaschieren der Anzeichen des Todes. Um einen Tod bzw. einen
toten Körper als schön zu empfinden, ist vor allem auch eine stimmungsvolle
Szene zu beachten. Die Kriterien, die für den schönen Tod in der bildenden
Kunst sowie im Realfilm in Abschnitt 2.3.1 aufgezeigt wurden, sollen nun in
die folgende Betrachtung von Beispielen aus Animationsfilmen einfließen. Es
werden dazu exemplarisch Filme untersucht, die sich sowohl in der Animationstechnik als auch im Kontext des vorkommenden Todes unterscheiden.
Bei dem ersten Beispiel handelt es sich um den Zeichentrickfilm The
Lion King (USA, Roger Allers und Rob Minkoff, 1994). Dieser Film wurde gewählt, weil es der erste Walt Disney Zeichentrickfilm ist, bei dem ein
Charakter wirklich zu Tode kommt und dessen toter Körper danach im Bild
gezeigt und auch betrauert wird. Bemerkenswert für diesen Kinderfilm ist,
dass hier nicht einfach eine Figur stirbt, sondern ein Protagonist ermordet
wird.
Zu dem gewaltvollen Tod, der hier untersucht werden soll, kommt es
durch einen Hinterhalt von Scar, dem bösen Bruder von König Mufasa. Scar
lockt dessen Sohn Simba in eine Schlucht, die kurz darauf von einer rasenden
Büffelherde durchrannt wird. Um Simba vor dem Tod zu retten stürzt sich
Mufasa hinab in die Büffelherde. Es gelingt ihm, Simba zu einem sicheren
Platz zu bringen, dabei wird er jedoch von Büffeln gestreift und in die Tiefe
gerissen. Mufasa wird mehrmals von Hufen getreten, schafft es aber, sich
an einer Felswand festzukrallen und fleht seinen Bruder an, ihm zu helfen.
Dieser rammt ihm seine Krallen in die Pfoten und wirft ihn hinab in die
vorbei rasende Herde. Der Eintritt des Todes wird dabei nicht gezeigt. Man
sieht König Mufasa hinab fallen, es wird jedoch vor dem Aufschlag auf das
entsetzte Gesicht von Simba geschnitten. Erst als sich die Staubwolke nach
den letzten Büffeln lichtet, wird der Blick auf den Körper frei gegeben. Simba
läuft zu seinem Vater, der mit geschlossenen Augen reglos am Boden liegt.
Der Leichnam lässt dabei keine Anzeichen von Gewalteinwirkung erkennen.
Trotz der vielen Hufschläge, des Sturzes und dem überrennen, weist er keine
sichtbaren Verletzungen auf. Nicht einmal Spuren der Krallen, die sich in
seine Pfoten gegraben haben, sind zu bemerken. Der Tod kann im ersten
Augenblick nicht erkannt, sondern nur erahnt werden.
Erst durch die Interaktion von Simba mit seinem Vater, durch das wiederholte Ansprechen und Anstoßen, steht dessen Tod eindeutig als solcher
fest. Die Leblosigkeit zeigt sich dabei etwa durch die schlaffe Pfote von Mufasa, als diese von Simba angehoben wird. Er bekommt keine Reaktion von
seinem Vater. Der Tod von Mufasa ist ein gutes Beispiel für ein kinderfreundliches Sterben. Die dramatische Szene endet zwar mit einem Tod, dieser wird
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
42
jedoch in äußerst sensibler Weise gezeigt.
Die Szene ist ein einschneidendes Erlebnis für Simba und ein Wendepunkt
in der Narration des Films, für dessen Dramatik eine exzessive Darstellung
von Gewalteinwirkung nicht von belang ist, womöglich sogar störend wirken könnte. Mitspielen mag auch die Philosophie von Walt Disney, wonach
der Körper einer Figur eine kompakte Einheit darstellt, die nicht zerstört
werden darf. Siehe dazu [18, S. 48 f]. Der tote Mufasa erfüllt alle Kriterien
einer schönen Leiche. Sein Körper lässt keine sichtbaren Spuren von Gewalteinwirkungen erkennen. Die Haut ist intakt und die Augen sowie der Mund
geschlossen. Der tote Körper ist sorgsam in einer Stellung positioniert, die
in der Serie ebenso bei schlafenden Löwen beobachtet werden kann. Der Tod
geht aus der Situation zwar eindeutig hervor, ist jedoch soweit kaschiert, dass
sich der tote vom schlafenden Löwen nur durch die Situation erkennen lässt.
Der tote Mufasa ist durchaus mit den zuvor beschriebenen Darstellungen des
toten Körpers in den post-mortem-Gemälden und Fotografien vergleichbar.
Siehe dazu Abb. 4.1 (a).
Der nächste Animationsfilm, der für diese Untersuchung herangezogen
wird, ist Antz (USA, Erik Darnell und Tim Johnson, 1998). Hier bringt eine
Schlacht zwischen Ameisen und Termiten viele Tote auf beiden Seiten hervor.
Das Schlachtfeld ist von Kadavern übersät, die eine Landschaft aus abgerissenen Gliedmaßen und gekrümmten Körpern bilden (Abb. 4.1 (c,d)). Dies hört
sich brutal an, die Darstellung der gewaltsamen Auseinandersetzung ist jedoch bei genauerer Betrachtung eigentlich harmlos. Viele der Ameisenkörper
sind nicht mehr vollständig, aber die einzelnen Körperparts sind kompakt.
Es finden sich weder zerfetzte Körperteile noch werden offene Wunden gezeigt und auf dem gesamten Schlachtfeld sind keine Spuren von Blut bzw.
Flüssigkeiten zu finden. Es erscheint absolut trocken, wobei etwa von der Abwehrflüssigkeit der Termiten Spuren zurückbleiben hätten können. Durch die
harmlose Darstellung der toten Körper in einer gewaltvollen Szenerie wird
der Film jugendfreundlicher. Die geschönten Toten auf dem Schlachtfeld sind
weniger jugendgefährdend, als eine vergleichbare Darstellung mit Blut und
offenen Wunden.1 In Antz gibt es einen Charakter, der langsam und direkt
vor der Kamera stirbt. Der Soldat Barbatus, der zuvor in freundschaftlichem
Kontakt zu dem Hauptdarsteller, der Ameise „Z“ stand, wird in dem Kampf
schwer verwundet. Als der Kampf vorüber ist, kommt Z aus einem Loch, in
das er gestoßen wurde, hervor und findet den Kopf von Barbatus am Boden liegend. Der Kopf wurde vom Körper getrennt und Barbatus liegt im
Sterben. Er spricht noch zu Z bevor er seinen letzten Atem aushaucht und
die Augen schließt. Der Kopf von Barbatus, der als einziger aus der Nähe
gezeigt wird, liegt mit der Bruchstelle nach unten, auf deren Darstellung
1
Siehe dazu beispielsweise die Richtlinien zur Gewaltdarstellung in Medien im deutschen Jugendmedienschutzgesetz: http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/
Jugendmedienschutz/Indizierungsverfahren/spruchpraxis,did=32992.html
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
43
wird verzichtet. Auch hier finden sich keine Körperflüssigkeiten, sein Kopf
ist ein intakter Körperteil ohne Verletzungen. Eine verschönte Darstellung
eines eigentlich grausamen Schauspiels.
In dem Animationsfilm Mary & Max (AU, Adam Elliot, 2010) stirbt
der Charakter Max am Ende des Films einen natürlichen Tod. Nach einer
langen Brieffreundschaft wird Max von Mary in seiner Wohnung besucht,
diese findet ihn jedoch tot auf der Couch sitzend vor. Wenngleich Max im
ersten Augenblick nicht besonders tot aussieht, erkennt man an der Situation
wie es um ihn bestellt ist. Max sitzt auf der Couch, er hat den Kopf in den
Nacken gelegt und den Blick nach oben zur Decke gerichtet (Abb. 4.1 (b)).
Er ist vermutlich an einem Herzversagen gestorben, eine andere Todesursache lässt sich nicht erkennen. Sein Mund ist zu einem glücklichen Lächeln
verzogen. Wie sich später herausstellen wird, ist die Freundschaft zu Mary,
dargestellt durch die zahlreichen an die Decke geklebten Briefe, der Grund
dafür. Max ist mit den Briefen im Auge gestorben und seine Augen stehen
noch immer halb offen. Geöffnete Augen sind bei realen Leichen ein unerträglicher Anblick. Durch die Kommunikationsverweigerung der Leichen, deren
Präsenz sich nur noch auf die physische beschränkt, entsteht ein Unbehagen,
das nur durch das Schließen der Augen entfernt werden kann (s. dazu [21, S.
410 ff] und [19, S. 120]).
Bei Max sind die halb geöffneten Augen hingegen ein wichtiger Bestandteil der Narration. Durch sie wird der Blick von Mary und damit auch von
den Zusehern in Richtung der Decke und auf die vielen Briefe gelenkt. Zudem
wird durch die Augen von Max der friedliche und zufriedene Tod deutlich,
den er erlebt hat. Wären die Augen hingegen weit aufgerissen, würde ein anderes Gefühl transportiert werden und die Situation wäre dadurch verschieden zu interpretieren. Diese Szene wäre mit einem realen Darsteller wohl
sehr schwierig umzusetzen. Die Augen eines echten Menschen würden der
Szene eine unheimliche Atmosphäre verleihen und sie dadurch in eine völlig
divergente Richtung führen. Der Zuschauer wäre auf den Tod des Charakters fixiert und damit von der Schönheit der Szenerie abgelenkt. So wird
die friedliche Stimmung durch ein weiches Gegenlicht, das dem Raum eine
warme Atmosphäre verleiht, sowie durch die melodische Hintergrundmusik
unterstützt. Diese Merkmale führen gesamt zu einem sanften Tod, der als
schön bezeichnet werden kann.
Auch der in Abschnitt 3.2.2 betrachtete indirekte Tod kann als schöner
Tod bezeichnet werden. Der Tod wird dabei nicht im Bild gezeigt, oder die
sterbenden Charaktere so verdeckt, dass der tote Körper nicht sichtbar ist.
Dies ist in Kinderfilmen oft der Fall, etwa auch in dem Animationsfilm The
Incredibles (USA, Brad Bird, 2004).
In diesem Film sterben viele Figuren im Kampf zwischen Superhelden
und den Schurken. In einer Szene kämpft beispielsweise eines der SuperheldenKids mit einem bösen Charakter auf einer Art kleinem UFO. Abgelenkt
durch den Kampf merken sie nicht, dass sie auf eine Felswand zufliegen.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
(a)
(b)
(c)
(d)
44
Abbildung 4.1: Der schöne Tod am unversehrten Körper in The Lion
King (a) und Mary & Max (b) im Gegensatz zum zerstörten Körper in
Antz (c,d).
Während das Kind mit einem Faustschlag vom UFO befördert wird, bleibt
der Bösewicht darauf, fliegt weiter und erkennt die Gefahr zu spät. Das UFO
zerschellt an der Wand in einer riesigen Explosion in seine Einzelteile. In der
Rauch- und Feuerwolke kann man zwar die Bruchstücke des UFOs erkennen, von dem Körper des Mannes ist jedoch nichts zu sehen. Der Tod findet
im Bild statt, er wird aber durch die Umstände verdeckt. Man sieht den
direkten Tod und den zerstörten Körper nicht. In diesem Film sterben alle
Charaktere einen solchen nicht sichtbaren Tod. Nachdem man den Tod nie
direkt sieht, könnte man annehmen, dass die Charaktere nicht sterben. Es
wird schließlich nicht gezeigt, in welcher Verfassung sie sich nach der Explosion befinden. Da der Tod bei The Incredibles aber in vielen Fällen
als solcher benannt wird und auch dessen Resultat in Form eines Skelettes
gezeigt wird, ist diese Vermutung hinfällig. Der Tod spielt hier eine Rolle, er
wird jedoch nicht direkt gezeigt.
Der schöne Tod findet sich im Animationsfilm in den unterschiedlichsten
Formen. Häufig handelt es sich um Filme, die auf ein junges Publikum ausge-
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
45
richtet sind und daher auf eine sensible Darstellung des Todes geachtet wird.
Dabei kann das Sterben durchaus brutal sein, wie sich etwa bei dem Mord
an Mufasa zeigt. Der schöne Tod ist im Animationsfilm in einer vergleichbaren Thematik zu finden wie sie schon in der bildenden Kunst zu erkennen
war. Der Tod wird verschleiert und kaschiert, die Anzeichen des Todes bzw.
des Sterbens ästhetisch arrangiert. In allen Beispielen – abgesehen von The
Incredibles, wo die Körper nach dem Tod nicht gezeigt wurden – wurde
behutsam mit dem toten Körper umgegangen.
4.3
Die Ästhetik offener und geteilter Körper
Im Animationsfilm besteht die Möglichkeit den Körper eines Charakters auf
vielseitigste und auch grausamste Weise zu zerstören. Die Verfasserin vermutet, dass die Gewalteinwirkung auf den Körper durch die stilistische Umsetzung abgeschwächt wird und die Situationen, in deren Zusammenhang die
Charaktere verletzt werden, großteils von Humor geprägt sind.
Im Realfilm und speziell im Horrorfilm wird der offene Körper bewusst
eingesetzt um Grauen und Unbehagen hervorzurufen. Das Körperinnere, das
Catherine Shelton in [32, S. 342] als das „Topoi des Schreckens“ beschreibt,
erzeugt vor allem Ekel. In den folgenden Beispielen werden Animationen betrachtet, in denen der Körper der Figuren durch unterschiedliche Gewalteinwirkung geöffnet oder geteilt wird und dabei untersucht, wie dies umgesetzt
wurde und inwiefern ein Vergleich mit dem offenen Körper im Realfilm zu
finden ist.
Die abstrakte Darstellung am Beispiel Rejected
Das erste Beispiel des offenen Körpers findet sich in einem Animationsfilm
von Don Hertzfeldt, dessen Filme oft eine sehr plakative Gewaltdarstellung
enthalten und in denen die Charaktere nicht selten gefoltert und getötet werden. Die Strichmännchen-Animationen von Hertzfeldt zeichnen sich durch
übertriebene Gewalt und einen schwarzen Humor aus. Der Kurzfilm der hier
besprochen werden soll, heißt Rejected (USA, Don Hertzfeldt, 2000). Er
besteht aus mehreren in sich geschlossenen Episoden, die zum Teil nur absurd, einige jedoch sehr brutal sind. In einer dieser Episoden stehen sich zwei
Strichmännchen gegenüber. Ohne ersichtlichen Grund greift das linke Strichmännchen zum Bauch des rechten und reißt ihm ein großes Stück aus dem
Bauch heraus. Dabei spritzt Blut und die Gedärme fallen zu Boden. Das linke Strichmännchen schlägt mit dem Bauchteil auf den Kopf des anderen ein,
bis es zusammensackt und nun Tod, mit einem großen Loch im Bauch, in
seiner Blutlache liegt. Die Ränder der gezackten Öffnung sind rot bemalt. Es
hat die Arme und Beine von sich gestreckt, anstelle der Augen unterstreichen
nun zwei Kreuze den Tod und der Mund steht weit offen. Das linke Strichmännchen hat sich lachend den Bauchdeckel als Hut über den Kopf gestülpt
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
46
und steht nun blutüberströmt in der Lache (s. Abb. 4.2 (a)). Begleitet wird
das skurrile Schauspiel von einer kindlich-fröhlichen Hintergrundmusik.
Die Bilder werden durch den Zeichenstil nicht ihrer Brutalität beraubt,
die zynisch-humorvollen Inhalte wirken jedoch mehr erheiternd als schockierend – wobei dies natürlich je nach persönlichem Geschmack und Humor
variiert. Das Blut wird, in den ansonsten schwarzen Bleistiftzeichnungen auf
weißem Hintergrund, naheliegend mit roter Farbe dargestellt, die Gedärme
werden durch umrandete Kügelchen mit roter Farbvariation veranschaulicht.
Bei einer vergleichbaren Darstellung einer solchen Szene im Realfilm, würde
der humorvolle Zugang durch das Grauen erregende Schauspiel überdeckt
werden. Die Materialität des Körpers und die Verletzlichkeit des Fleisches
würde in den Mittelpunkt rücken und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Als Gegenüberstellung soll eine Szene aus dem Film Dawn of the Dead
(USA, George A. Romero, 1978) betrachtet werden, in dem einem Menschen
ebenfalls der Bauch aufgerissen und dessen Gedärme von Zombies heraus
geholt werden. Diese Szene hat aufgrund der hübsch geschminkten Zombies
eine lustige Komponente, wodurch das grausliche Schauspiel jedoch nicht
vermindert wird. Die Haut des Opfers ist beim Aufreißen elastisch, sie wird
stark gedehnt und wirft beim Beiseite schieben Falten, bevor die Innereien
zum Vorschein kommen. Das feucht glänzende Körperinnere ist sehr real
dargestellt.
In dem Stil der Animation mit den gezeichneten Strichmännchen erscheint der Anblick des derart entstellten Körpers lustig und erweckt keine
Beunruhigung beim Betrachter. Wo das Offenlegen des Körpers im Realfilm
eine Mischung aus Grauen und Unbehagen erzeugt, kann die Szene mit den
Strichmännchen entspannt und ohne Abscheu beobachtet werden. Durch die
abstrakte Darstellung in Rejected ist der Zuschauer weniger geneigt die
Erlebnisse der fiktionalen Figuren auf seine eigene Person zu projizieren.
Die Empathie, wenn der Zuschauer die Ereignisse auf der Leinwand als für
die Charaktere real imaginiert (s. dazu [9, 103 ff]), wird zudem durch die
unrealistische Handlung abgeschwächt. Das linke Strichmännchen reißt mit
seien Hände scheinbar ohne besondere Krafteinwirkung das große Stück aus
dem Körper des anderen heraus. Dieser Vorgang und das darauf folgende
Einschlagen mit dem kompakt wirkenden Bauchteil auf den Kopf des Strichmännchens erscheint in der Realität als unmöglich. Die physischen Gesetzte
werden hier nicht beachtet. In Dawn of the Dead ist die Geschichte mit
den blutrünstigen Zombies zwar ebenso irreal, die Gewaltanwendung dabei
macht aber einen glaubwürdigen Eindruck.
Aus diesen Beobachtungen lässt sich erkennen, dass in dem Animationsfilm Rejected der gewaltvollen Darstellung der Zerstörung und Offenlegung
des Körpers auf mehrere Weise ihre Brutalität genommen wird. Die abstrakte
Erscheinung der Strichmännchen in Verbindung mit dem unglaubwürdigen
Ablauf der Handlung und dem humorvollen Blick auf den skurril zerstörten
Körper bewirken eine Verminderung oder sogar Verhinderung der Empathie.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
47
Eine realitätsnahe Öffnung des Körpers in Madame Tutli Putli
Das hier behandelte Animationsbeispiel Madam Tutli Putli (CA, Chris
Lavis and Maciek Szczerbowski, 2007) unterscheidet sich sowohl in der Technik der Herstellung, als auch in der Narration erheblich von Rejected. In
dieser Stop-Motion-Animation mit Puppen kommt in einer Szene ebenfalls
die Öffnung des Körpers und der Blick auf das Innere vor. Der Film handelt
von einer Frau, die sich mit all ihren weltlichen Besitztümern und den Geistern der Vergangenheit auf eine Zugreise begibt. Die Reise, an deren Ende sie
einer Motte ins Licht folgt und sich schließlich in diese verwandelt, fungiert
in dieser Geschichte als Metapher für ihren Tod.
Im Lauf der Geschichte steigen Organdiebe in den Zug ein und betäuben
die Passagiere in dem Zugabteil, in dem auch Madam Tutli Putli sitzt, mit
Gas, um ihnen Organe zu entnehmen. Die daraufhin für diesen Themenkreis
relevante Szene findet sich in einer Albtraum-Sequenz, in der Madam Tutli
Putli in einer Rückblende den Körper des ihr zuvor im Abteil gegenüber
sitzenden Mannes erkennt. Im Bildausschnitt zu sehen ist allerdings nur der
entblößte Bauch des vermutlich betäubten Mannes. Aus der Subjektive von
Madam Tutli Putli beobachtet der Zuseher, wie zwei Hände ins Bild kommen
und einen Schnitt in den Bauch machen. Der Bildausschnitt wird dabei durch
das Andeuten der zugekniffenen Augen von Madam Tutli Putli sehr verengt
und der Vorgang damit weniger gut ersichtlich. Die Hände greifen in den
Körper hinein, holen ein Organ heraus und reichen es an einen Komplizen
weiter, der es in eine Tasche steckt. Damit ist die Einstellung des geöffneten
Körpers auch schon wieder vorüber. Da man das Gesicht nicht sieht und die
Einstellung sehr kurz ist, lässt sich nicht sagen ob der Mann tot ist, was für
die Betrachtung des offenen Körpers aber nicht wichtig erscheint.
Technisch wurde die Stop-Motion-Animation mit Puppen realisiert, deren Haut nicht wie eine reale menschliche Haut wirkt. Sie unterscheidet sich
durch Beschaffenheit und Struktur deutlich. In der Szene mit dem offenen
Bauch sieht die Haut der aufgeschnittenen Puppe jedoch glatt und beinahe
real aus. Der Schnitt und der Blick ins Innere des Körpers sind ebenfalls
sehr glaubhaft gestaltet, ebenso wie das Organ, welches entnommen wird.
Die Materialität der glänzend feuchten Oberfläche, sowie die blutrote Farbe wirken sehr lebensecht. Die Konsistenz und die Fleischlichkeit des Körperinneren erzeugen ein Gefühl von Grauen, das mit jenem beim Anblick
des offenen Körpers in der vorher beschriebenen Szene von Dawn of the
Dead vergleichbar ist. Es ist dabei nicht die Durchdringung der Haut mit
dem Messer und das Aufspreizen des Bauches, sondern der fleischliche Brocken in den Händen des Diebes, der Unbehagen hervorruft. Der Betrachter
wird mittels des ästhetischen Bruchs mit ungewohnt realitätsnahen Bildern
konfrontiert, die ihren Effekt dadurch verstärken, dass alles zuvor Gesehene
deutlich weniger real gewirkt hat.
Vergleicht man die Darstellungen des offenen Körpers in den Szenen von
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
48
Dawn of the Dead und Madam Tutli Putli erkennt man eine Analogie
in der fleischlichen Erscheinung des Innenraums. Die Imitation der Haut in
diesem Film ist zwar von der Beschaffenheit einer echten Haut sehr ähnlich,
durch die Animation des Aufschneidens und Aufspreizens wird jedoch etwas
von dem realen Eindruck eingebüßt. Die Haut erscheint nicht elastisch, wie
in Dawn of the Dead, sondern wirkt steif und damit weniger glaubhaft.
Nichts desto trotz kommt hier mithilfe eines Stilbruchs, der die Animation
in realistische Bilder übergeführt hat, ein für die Darstellung des toten Körpers in der Animation sehr ungewohnter Effekt erzielt und der Schockeffekt
dadurch verstärkt werden.
Das Zelebrieren der Splatterästhetik in The Backwater Gospel
In dem Animationsfilm The Backwater Gospel (Bo Mathorne, 2011)
werden die Körper der Charakter auf äußerst gewaltvolle Art und Weise zerstört. Die Figuren in diesem Kurzfilm töten sich gegenseitig, einhergehend
mit der brutalen Destruktion der Körper. Die Darstellung dieser Auseinandersetzung ist mit viel spritzendem Blut, der Offenlegung des Körperinneren
und abgetrennten Gliedmaßen angereichert.
Die Handlung von The Backwater Gospel spielt in einer kleinen,
tristen Westernstadt, in der sich die gottesfürchtige Gemeinde von einem
autokratisch die Stadt führenden Priester gegen einen Straßenmusikanten
aufhetzen lässt. Als ein Bestatter in die Stadt kommt, der den Ruf hat nur
zu erscheinen, wenn alsbald jemand stirbt, kommt es durch die aufgeheizte
Stimmung zur Hetzjagd auf den Musikanten. Der Bestatter kann in dieser
Animation als der personifizierte Tod verstanden werden, da er nur kommt,
wenn es einen Menschen zu holen gibt und er den baldigen Tod schon im
Vorhinein zu wittern scheint. Die Menge steinigt den Musikanten vor den
Augen des Bestatters, doch als dieser keine Reaktion zeigt, schlägt die angespannte Stimmung erneut in Panik um und die Menschen beginnen sich
gegenseitig abzuschlachten, in der Hoffnung nicht die Person zu sein, auf die
es der Bestatter abgesehen hat.
Bei den folgenden Szenen wird nach allen Regeln der Kunst die Splatterästhetik zelebriert. Die Gesichter der Menschen verwandeln sich in Fratzen.
Die Augen beginnen weiß zu leuchten und der Wahnsinn strahlt aus den Blicken. Die Charaktere schlagen mit Schaufeln und Äxten aufeinander ein und
reißen sich gegenseitig in Fetzen. Von den aufgerissenen Körpern ist meist nur
die Silhouette zusehen. Das reichliche spritzende Blut ist schwarz dargestellt,
in der ansonsten in Blautönen gehaltenen Szenerie. Die grafische Darstellung
lässt das Massaker wenig ekelerregend erscheinen (s. Abb. 4.2 (b)). Manche
Szenen des Films erinnern an die Zombie-Schocker des Realfilms, wenn etwa
eine Figur eine andere von hinten anfällt und die Zähne in deren Hals gräbt.
Es werden Gliedmaßen ausgerissen, deren ausgefranste Enden die Zerstörung
des Fleisches imitieren. Die Inszenierung der Trennung von Körperteilen in
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
49
Zeitlupe zeigt das langsame Zerreißen von Sehnen und Muskelsträngen. Die
technische Umsetzung dieser Motive wird durch die grafische Darstellung
natürlich erleichtert.
Es ist ein Zelebrieren der Splatterästhetik, wie man es in einer ähnlichen
Art und Weise beispielsweise auch in Kill Bill: Vol. 1 (USA, Quentin
Tarantino, 2003) findet. In diesem Film gibt es sowohl realfilmische Szenen
als auch einen Anime-Part, in denen das Blut wie Fontänen unwirklich lange
aus dem Körper spritzt. Dabei wird in beiden Fällen nicht die authentische
Darstellung, sondern eine Inszenierung und extreme Übertreibung bis hin zu
humorvollen Einlagen, verfolgt. Diese Art der Visualisierung ist es auch, die
in The Backwater Gospel dargestellt wird. Es wird, wie in Kill Bill, die
Gewalt so choreografiert, dass die Zerstörung irreal erscheint2 und dieser Eindruck noch durch die grafische Darstellung sowie die Farbgebung unterstützt
wird.
Das hyperbolische überziehen der Gewalt und Wundästhetik ins Cartoonhafte und Hyperreale, das Arno Meteling in [25, S. 88] für den realen
Splatterfilm beschreibt, trifft auf diesen Animationsfilm besonders zu. Die
Betonung der übertriebenen und unwirklich erscheinenden Zerstückelung des
Körpers hat das Ziel auf möglichst unterhaltsame Weise die physische Gewalt
mit maximaler Sichtbarkeit darzustellen. Es wird, wie es Catherine Shelton
Zombie-Filmen zuschreibt [32, S. 296 f], nachdrücklich und wiederholt die
blutige Zerstörung und der Moment des Sterbens in Szene gesetzt, wobei die
Ästhetik und Materialität der Wunde in der Darstellung in dieser Animation
jedoch keinen somatischen Effekt auf den Betrachter hat.
Das gewaltlose Teilen des Körpers in The External World
Die zuvor behandelten Beispiele unterscheiden sich in der Darstellung des
Körpers, haben aber gemeinsam, dass es sich um gewaltvolle Szenen handelt
und das Körperinnere zum Vorschein kommt. Der nächste Animationsfilm
hebt sich in dieser Hinsicht von den vorherigen deutlich ab. Das Besondere
an dem Beispiel des geteilten Körpers in dem Kurzfilm The External
World (DE, David O’Reilly, 2010) ist, dass der Körper eines Charakters
durch den Blick eines anderen gewaltlos in zwei Teile getrennt wird.
Die absurde Szene spielt sich in einem Altersheim ab. Eine Figur sitzt
in einem Stuhl und schläft, als sie von einem köstlichen Geruch aufgeweckt
wird. Das Schlafen sowie der vorbei ziehende Duft werden dabei durch eine
einfache grafische Darstellungen visualisiert. So zeigt sich das Schlafen durch
mehrere aufsteigende „Z“ und der Geruch wird durch eine weiße vorbeischlängelnde Linie visualisiert. Nach dem Erwachen wandert der Blick der Figur
durch den Raum in Richtung der Essensausgabe. Dieser Blick ist ebenfalls
abstrakt durch eine fortlaufende und sich erweiternde gestrichelte Linie dar2
Siehe dazu http://www.3sat.de/SCRIPTS/print.php?url=/kulturzeit/themen/68217/
index.html.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
(a)
(b)
50
(c)
Abbildung 4.2: Divergente Darstellungen des offenen Körpers im Animationsfilm in den Beispielen aus Rejected (a), The Backwater Gospel (b)
und The External World (c).
gestellt. Auf dem Weg zu dem ersehnten Objekt steht dem Blick bzw. der
Linie ein Rollstuhlfahrer im Weg. Als die Striche auf diesen treffen wird sein
Körper von ihnen am Bauch entzweit und der Oberkörper fällt nach hinten
zu Boden, während der Blick seinen Weg fortsetzt (s. Abb. 4.2 (c)). Eine
schöne Darstellung der Beseitigung des auf dem Weg zum Ziel stehenden
Problems.
Die Linie wird dabei mit Tönen im Stil von Mickey-Mousing begleitet.
Die Teilung des Körpers erscheint völlig harmlos, einzig durch die musikalische Begleitung, die an das Aufziehen eines Klettverschlusses erinnern, lässt
sich etwas Gewalt erahnen. In diesem skurrilen Schauspiel wird ein in der
Realität an sich unmöglicher Handlungsablauf dargestellt. Der Charakter
wird auf gewaltlose Weise in zwei kompakte Hälften geteilt, die in der grafischen Darstellung keine Anzeichen eines Körperinneren erkennen lassen. Die
glatten Schnittstellen der beiden Teile heben sich nur durch die Farbe von
der Körperoberfläche ab. Eine Struktur, die auf einen Innenraum des Körpers
schließen ließe, ist nicht vorhanden.
Wenn im Realfilm eine Trennung eines Körpers in zwei Hälften dargestellt
wird, so geht dies – sofern es gezeigt wird – mit der Darstellung von Blut und
Fleisch einher. Die Teilung eines Charakters ist dort ein gewaltvoller Akt,
der keinesfalls allein durch einen Blick möglich ist. David O’Reilly macht sich
hier beispielhaft die Möglichkeiten der Animation zunutze, um die Tötung
einer Figur abstrakt zu inszenieren. Die Inszenierung bezieht sich hierbei zu
keinem Grad mehr auf eine realistische Todesdarstellung.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
4.4
51
Der temporäre Tod
Der Name dieses Kapitels ist eigentlich paradox und bedarf einer Erklärung.
Der temporäre Tod ist in der Realität nicht vorhanden. Ein Lebewesen kann
nur lebendig oder tot sein, dabei ist eine Veränderung des Zustandes nur
in eine Richtung von lebendig auf tot möglich und diese ist ohne Umkehr.
Wenn man von einem Menschen spricht, der tot war jedoch wiederbelebt
wurde, so kann dabei nur der klinische Tod gemeint sein, wie Thomas Macho
in [21, S. 28] ausführt. Dabei, so Macho, darf die Kategorie des klinischen
Todes nur als Definition für den Todesaugenblick gelten und diese hat sich in
den letzten Jahrhunderten schon des öfteren verändert. So haben die Ärzte
früher den Eintritt des Todes anhand des Atems bestimmt, dann wurde
er mit Erfindung des Stethoskops an der Herztätigkeit gemessen und heute
wird auch das Überprüfen der Hirnströme als zuverlässiges Zeichen gewertet.
Wobei sich auch deren Ergebnisse als trügerisch herausstellen können (s.
dazu [21, S. 26 ff]). Es gibt im Grunde mehrere Arten des klinischen Todes,
sei es der Hirntod oder der Tod durch Organversagen, wo der Körper nur
durch Maschinen temporär am Leben gehalten wird. Was in der Realität
ein schwieriges Thema ist, soll für den Animationsfilm unter vergleichsweise
einfachen Kriterien betrachtet werden. Als temporärer Tod wird hier jener
verstanden, bei dem ein Charakter stirbt und danach wieder erscheint. Wenn
die Figur also nach oder auch während ihres Todes aktiv an der Handlung
beteiligt ist.
In dieser Untersuchung wird die Darstellung der Seele bzw. des Geistes
betrachtet, der den Körper eines Charakters bei dessen Tod verlässt. Dazu
wird als erstes Beispiel der Animationsfilm Anna & Bella (NL, Borge
Ring, 1984) heran gezogen. Dieser Zeichentrickfilm erzählt die gemeinsamen
Erlebnisse im Leben zweier, inzwischen alt gewordener, Schwestern durch
Rückblenden während der Betrachtung von Fotoalben. Die beiden sitzen am
Tisch, trinken Wein und amüsieren sich bis zu dem Zeitpunkt, als eine der
Schwestern auf einem Bild ihren Ex-Freund erkennt, der sie für ihre Schwester
verlassen hatte. Darauf folgt eine Traumsequenz, in der sie sich an einen
von ihr verschuldeten Autounfall erinnert, welcher als Folge der verletzten
Gefühle geschah. Bei diesem Autounfall werden die Geschwister aus dem
Auto geschleudert. Die sich Erinnernde liegt ein wenig von ihrer Schwester im
Gras und kann beobachten, wie deren Seele sich vom Körper zu lösen beginnt.
Die Seele wird als durchsichtiges, weißes Ebenbild der sterbenden Schwester
dargestellt. Der Oberkörper verläuft dabei zu einem dünnen Faden, der noch
zurück zum geöffneten Mund führt, aus dem die Seele entweicht. Die Seele
steigt mit tänzelnden Bewegungen sowie einem Summen auf den Lippen
empor und nimmt damit der Szene die Dramatik und verleiht ihr eine schöne
Leichtigkeit. Als die unverletzte Schwester das Schauspiel begreift, rennt sie
hinüber und springt der entweichenden Seele nach. Sie packt sie und zieht
sie zurück zur Erde, um sie wieder in den Körper ihrer Schwester zu bringen.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
52
Dazu kniet sie im nächsten Moment über der Sterbenden und stopft mit
beiden Händen die Seele zurück in den Mund (s. Abb. 4.3 (a,b)). Während
sie dieser Bewegung nachgeht wird aus der Traumsequenz heraus und zurück
an den Tisch gewechselt. Dort geht sie noch immer energisch dieser Tätigkeit
nach, bis sie von ihrer Schwester angestoßen und aus dem bösen Tagtraum
in die Realität geholt wird.
In diesem Animationsfilm kann unter der Visualisierung der entweichenden Seele aus dem Körper das Eintreten des klinischen Todes verstanden
werden. Die Unverletzte wehrt sich gegen das Sterben ihrer Schwester und
reanimiert diese, dargestellt durch das Einfangen und Zurückholen der Seele. Der bevorstehende Tod wird nicht zugelassen. In Anna & Bella wird
auf humorvolle und gleichzeitig ergreifende Weise der Vorgang der Wiederbelebung gezeigt, der im Realfilm beispielsweise durch das Beatmen oder
die Verwendung eines Defibrillators stattfindet. In diesem Beispiel wird eine
Visualisierung der Reanimation gezeigt, die so im Realfilm nicht möglich wäre. Eine solche Darstellung mit einem realen Körper würde makaber wirken
und, sofern Geister in dem Film nicht speziell thematisiert werden, auch als
deplatziert empfunden. In dieser Animation hingegen wird der Situation auf
lustige Art ihre Traurigkeit genommen.
Die Wiederbelebung eines Charakters wird auch im nun folgenden Animationsbeispiel thematisiert. Die 3D-Animation The Lady and the Reaper (SPA, Javier Recio, 2008) handelt von dem exzessiven Kampf, der um
das Leben einer alten Frau geführt wird. Dabei wird die Lady permanent
zwischen Leben und Tod hin und her gerissen. Die Geschichte erzählt von
einer alten Frau, die kürzlich ihren geliebten Ehemann verloren hat und seitdem den Augenblick herbeisehnt, an dem sie ihm folgen darf. Eines Nachts
ist es endlich soweit. Die Seele der Frau löst sich von ihrem Körper und der
personifizierte Tod erscheint in gleißend hellem Licht um sie abzuholen. Dargestellt wird die Seele auch hier, vergleichbar mit dem vorigen Beispiel, als
blaues, transparentes Abbild des toten Körpers. Die Frau begibt sich vertrauensvoll in die Hände des Sensenmannes. Als dieser mit ihr in dem Licht
beinahe verschwunden ist, wird ihm von einer ins Bild kommenden Hand die
Seele entrissen und weggezogen. Es waren die Hände eines Arztes, der die
klinisch Tote soeben mit einem Defibrillator wiederbelebt hat. Nachdem der
Tod erkannt hat, wohin seine Seele entschwunden ist, entbrennt ein wilder
Kampf um das Leben der alten Frau, die doch so gerne sterben wollte (s.
Abb. 4.3 (c,d)).
In diesem Animationsfilm wird auf gewisse Weise sogar der Unterschied
zwischen klinisch-tot und tot thematisiert. Durch das Loslösen der Seele wird
der klinische Tod dargestellt, der Übertritt ins Jenseits und damit der endgültige Tod wird jedoch erst erreicht, wenn der Fluss zur Totenwelt überfahren
wurde. Eine Anlehnung an den Fluss Styx der griechischen Mythologie, der
die Ober- von der Unterwelt trennt. Die Seele der Frau befindet sich nach
dem klinischen Tod also erstmal in einer Zwischenwelt auf dem Weg ins Jen-
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
(a)
(b)
(c)
(d)
53
Abbildung 4.3: Die Reanimation eines Charakters dargestellt durch den
Kampf um dessen Seele. In Anna & Bella (a,b) und The Lady and the
Reaper (c,d).
seits. Der Kampf um das Leben der Frau wird durch den Kampf um die Seele
dargestellt. Der personifizierte Tod und das Krankenhauspersonal entreißen
sich dabei zunächst gegenseitig das blau-transparente Abbild der alten Frau.
Als der Kampf härter wird und in einer wilden Jagd zwischen Realität und
Fantasie mündet, muss schließlich sogar der Körper der alten Frau herhalten. Die Auseinandersetzung geht so weit, dass sich der Sensenmann und
der Arzt – die sich zuvor auf verschiedenen Spähren bewegten – auf einer
Ebene in einer fantastischen Traumsequenz um den Körper der Frau rangeln. Der Moment des Todes der Frau bzw. deren Übertritt in die jeweils
andere Sphäre wird dabei durch Zeichen visualisiert, die aus der Realität
entlehnt wurden. Im Augenblick des Überganges ändert sich beispielsweise
die Linie an der Maschine welche die Herztätigkeit überwacht. Der Wechsel
zwischen den Sphären wird auch durch das Zeigen der sich verkrampfenden
und entspannenden Hand angedeutet.
Wenn man die Darstellung der Seelen in diesen Animationen mit den in
populären Realfilmen vorkommenden Geistern vergleicht, lassen sich durch-
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
54
aus Gemeinsamkeiten feststellen. Die Geister in den zur Gegenüberstellung
heran gezogenen Filmen3 teilen das Merkmal der fortwährenden Identität.
Sie weisen dieselbe Gestalt auf, die sie schon vor Eintritt des Todes hatten. Was sich geändert hat, ist ihre Konsistenz bzw. die Kompaktheit des
Körpers, sofern es der Geschichte dienlich ist.
Die Seele wird also im Realfilm ebenso wie im Animationsfilm als Abbild
des Körpers, von dem sie abstammt, dargestellt. Im Animationsfilm ist diese
Nachahmung durch die Modifikation zu einer blau-transparenten Variante
dabei deutlicher von dem Original zu unterscheiden. Eine Darstellung der
Seele in der Erscheinung als „normaler Körper“, wie dies im Realfilm häufig
der Fall ist, konnte im Animationsfilm nicht gefunden werden. Eine solche
Visualisierung wird zum einen aufgrund der leichteren Umsetzung gewählt,
kann aber auch mit dem Ziel den Zuseher zu täuschen eingesetzt werden,
wie etwa in The Sixth Sense. Die unkomplizierte Möglichkeit die Seele als
transparente Erscheinung darzustellen wird im Animationsfilm genutzt, im
Falle einer gewünschten Täuschung des Betrachters würde aber wohl ebenso
auf die ursprüngliche Gestalt zurück gegriffen werden.
4.5
Das transi -Motiv
In diesem Abschnitt soll das Vorkommen des verwesten Körpers in der Animation betrachtet werden. Das transi-Motiv wurde das erste Mal in der
bildenden Kunst des Spätmittelalters als Abbildungsmotiv entdeckt und ist
heute im Realfilm vor allem in Krimiserien ein beliebtes Darstellungsobjekt.
In Serien wie CSI Las Vegas werden regelmäßig verweste Leichen gefunden,
an denen sich die komplizierten forensischen Untersuchungen noch schwieriger gestalten. Sie können neben dem Statistendasein jedoch auch einen
aktiveren Part im Film einnehmen. Während in Plastiken und Bildern nur
ein Zustand des verwesten Körpers festgehalten werden kann, besteht im
Film durch den Zusatz von Bewegung und Zeit die Möglichkeit den Ablauf
der Verwesung zu zeigen. So beispielsweise in dem Film Indiana Jones:
Der letzte Kreuzzug (USA, Steven Spielberg, 1989). Darin gibt es eine
Szene, in der eine Figur einen Schluck aus dem falschen „Kelch des Lebens“
nimmt. Daraufhin altert der Herr mittleren Alter unglaublich schnell, wird
in wenigen Augenblicken zu einem Greis, bis schließlich das Fleisch von den
Knochen schwindet und er zu Staub zerfällt.
Nun wird nun eine Animation untersucht, in der ebenfalls im zeitlichen
Ablauf der Verfall des Körpers stattfindet. Bei dem Beispiel handelt es sich
um den Kurzfilm The Meaning of Life (USA, 2005) von Don Hertzfeldt.
Darin schwebt zu Beginn des Films ein scheinbar totes Strichmännchen ver3
Als Beispiele wurden Filme mit Geistern aus verschiedenen Sparten gewählt:
Ghost – Nachricht von Sam (USA, Jerry Zucker, 1990), The Sixth Sense (USA,
M. Night Shyamalan, 1999), 13 Geister (USA, Steve Beck, 2001).
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
55
tikal durchs Bild. Der Tod ist zunächst nur durch die Körperhaltung zu
vermuten, wird jedoch schnell klar ersichtlich, wenn das Strichmännchen zu
verwesen beginnt und während des langsamen Fallens eine Veränderung an
dem Körper bemerkbar ist. Er zerfällt von einer fülligen Figur – soweit ein
Strichmännchen als füllig bezeichnet werden kann – zu einem Skelett, bis
er sich schließlich zu einem Hauch von Nichts kringelt, das an vertrocknete
Äste erinnert. Das Verwesen wird, den stilistischen Gegebenheiten und Möglichkeiten entsprechend, durch einen immer schmäler erscheinenden Torso
dargestellt, dessen zuvor glatte Oberfläche – in Form eines geraden Striches – nun uneben bzw. wellenförmig wird. Die farblichen Veränderungen im
Verfallsprozess, wie man sie etwa bei dem Gemälde von Hans Hohlbein d.
J. sieht, werden hier durch eine immer höhere Strichdichte dargestellt, wodurch der Körper schattierter und damit dunkler erscheint. Während dieses
Prozesses treten langsam die Augenhöhlen des Schädels hervor und die Haut
spannt sich scheinbar um die Knochen. Es ist dies die einzige Andeutung
auf das Vorhandensein eines Skeletts. Der Körper ist schließlich nicht viel
breiter als die Striche der Gliedmaßen, die langsam beginnen sich wie ein
vertrocknetes Blatt einzurollen (s. Abb. 4.4).
Es ist dies eine humoristische Darstellung des Verwesungsvorganges, die
man so wohl nicht in der Wirklichkeit finden würde. In The Meaning of
Life wurden die Verfallsprozesse aus der Natur als Vorlage genommen und
in einer kreativen Weise so umgesetzt, dass sie trotz der abstrakten Wiedergabe einwandfrei als solche interpretiert werden können. Dieses Beispiel eines
verwesenden Strichmännchens zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen
den Möglichkeiten in der Umsetzung des Verfallsprozesses eines Charakters
zwischen Animations- und Realfilm. Selbst wenn eine vergleichbare Form
im Realfilm möglich ist – und mit den heutigen visuellen Effekten ist dies
der Fall – wird man eine solche Darstellung dort nicht finden, da die Visualisierung eines verwesenden Leichnams im Realfilm auf die größtmögliche
Realitätsnähe ausgelegt ist. Dies sieht man in den vielen Darstellungen von
verwesten Körpern in Krimiserien ebenso, wie in dem Beispiel aus Indiana Jones. In The Meaning of Life wurde der Vorgang des Verwesens
eines Menschen in der Realität mit den Merkmalen einer verwelkenden Pflanze kombiniert. Der unschöne Anblick von verfallendem Fleisch verschwindet
mit der abstrakten Darstellung.
Ein interessantes Beispiel eines verwesenden Körpers findet sich in dem
dreißig Sekunden langen Stop-Motion-Film Flora (USA, Jan Svankmajer,
1989). In diesem Film hat Jan Svankmajer den Verwesungsprozess des Menschen in einer beschleunigten Darstellung mit Lebensmittel visualisiert. Der
Film zeigt eine auf dem Bett liegende Frau, die hauptsächlich aus Obst, Gemüse und Fleisch besteht und deren Hände und Füße an das Bettgestellt
gefesselt sind. Die Frau ist dabei noch lebendig und beobachtet mit entsetzten Augen die Veränderungen an ihrem Körper. Sie sieht sich ihrer eigenen
Verwesung hilflos ausgesetzt und schafft es nicht sich zu befreien.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
56
Abbildung 4.4: Die Darstellung der Verwesung eines Strichmännchens in
der Animation The Meaning of Life von Don Hertzfeldt.
Der Verwesungsprozess wird durch das Verrotten und Zersetzen der Lebensmittel nachgestellt. Dabei verfaulen Tomaten und kehren ihr Inneres
nach außen, Salat verwelkt und Maden wühlen sich durch die als Kraut und
Karfiol dargestellten Eingeweide. Der Verfall des Gemüsekörpers wird von
übertriebenen Geräuschen des Zersetzungsvorganges begleitet und im Hintergrund hört man eine Sirene, welche die Gefahr der Situation und den
nahenden Tod erahnen lässt. Das, im Film als rettend dargestellte, Wasserglas auf dem Nachtkästchen ist durch die Fesseln unerreichbar. Es gibt keine
wirkliche Auflösung am Ende des Film, doch durch den Schwenk von dem
rapide verfaulenden Körper auf das unerreichbare Glas erscheint der Tod
naheliegend.
Die Materialität der veganen Zersetzung kann mit der menschlichen Vergänglichkeit assoziiert werden und imitiert eindrucksvoll das Grauen des verwesenden Körpers. Es ist eine Visualisierung des Todeskampfes einer Figur,
der sadistisch anmutet, da der Frau das sehnlich Erwünschte und Benötigte
verwehrt wird.
Der nächste Animationsfilm, der in Hinblick auf die Verwesung der Charaktere betrachtet werden soll, ist Corpse Bride. In diesem Stop-MotionFilm gibt es aufgrund der Thematik des Films viele Varianten von vollständig
oder zum Teil verwesten Körpern. Der Film handelt von dem jungen Mann
Victor, der dank einer verhängnisvollen Begebenheit eine verstorbene Braut
heiratet und daraufhin von ihr mit in die Unterwelt der Toten genommen
wird. In der Geschichte wird anhand der Charaktere nicht eindeutig ersichtlich, ob der Grad der Verwesung mit der Dauer des Todes in Zusammenhang
steht. Die Körper in Corpse Bride haben eine sehr unterschiedliche Erscheinung. Es gibt Figuren, die ihr Aussehen von den Lebzeiten behalten
haben und sich von den Lebendigen vor allem in der Farbe der Haut unterscheiden. Diese ist bei den Toten blau, bei den Lebenden hingegen grau-beige,
auch begründet durch die generell sehr ungesättigte Farbgebung in der Welt
der Lebenden. Die Augen der Toten – sofern sie noch welche besitzen – sitzen
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
57
zumeist lose in den Augenhöhlen. Bei jenen Figuren, die scheinbar einen Verwesungsgrad weiter sind, fehlt teilweise die Haut und die Knochen kommen
zum Vorschein.
Die Verfall zeigt sich hier allerdings nicht kontinuierlich am ganzen Körper, sondern partiell an einigen Stellen. Gut zu beobachten ist dies an der
Leichenbraut Emily. Ihr Körper ist zur Hälfte mit Haut bedeckt, in der anderen Hälfte ist das Skelett zu sehen. So sind ein Arm, ein Bein und ein Teil
des zu sehenden Brustkorbes bereits völlig freigelegt. Der Fuss des knochigen
Beines ist noch mit Haut überzogen, die sich oberhalb des Knöchels zusammen geschoben hat und lose um das Gelenk liegt. An den noch mit Fleisch
überzogenen Stellen ist die Haut nicht eingefallen, sondern zeigt mit Ausnahme der Farbe keine Veränderungen. Ihr Gesicht ist nahezu unversehrt,
nur an einer Wange ist ein Teil der Haut weggefault und die Zähne kommen
zum Vorschein.
Wo die Zersetzung der Haut in der Realität auch die Identität nimmt4 ,
bleibt sie bei Corpse Bride in den Gesichtern erhalten. Doch in diesem
Film ist selbst der komplette Verlust der Haut nicht identitätsraubend. Bei
den Charakteren, welche schon bis auf das Skelett verwest sind, wurden die
Merkmale in den Knochen eingearbeitet. Besonders gut sieht man dies an
dem ältesten Skelett in dem Film (s. Abb. 4.5). Das Knochengestell hat die
Erscheinung eines alten Mannes. Der Kopf wirkt gedrungen und eingefallen,
die Augenhöhlen wurden anstelle der abwesenden Haut hinunter gezogen
und seine Knochen erscheinen im Vergleich mit anderen deutlich spröder
und brüchiger. Die Wirkung wird natürlich enorm verstärkt durch die Animation des Greises. Beinahe jedes der in dem Film auftretenden Skelette hat
besondere Merkmale, die es als Charakter einzigartig machen. Während die
verwesende Leiche in Indiana Jones mit ihrer Haut auch ihre Identität verliert, werden den Skeletten in Corpse Bride durch einige Veränderungen
am Knochengerüst individuelle Merkmale zugesprochen.
Die partielle Verwesung des toten Körpers ist eine besondere Erscheinung, die im Realfilm nicht gefunden werden konnte. Ein Beispiel aus der
bildenden Kunst ist die Grabplastik L’homme à moulons, die in Abschnitt
2.2.1 schon erwähnt wurde. Bei ihr handelt es sich ebenfalls um eine zum
Teil bis auf die Knochen verweste Leiche. An dem Körper des Mannes sind
einige Stellen, darunter Teile des Armes sowie der Rippen und der Wirbelsäule, freigelegt. Die Zersetzung des Fleisches geht mit dem Befall von
Würmern einher, die sich über den gesamten Körper verteilen. Das Gesicht
ist im Gegensatz zu den Beispielen aus Corpse Bride gleichermaßen von
der Fäulnis betroffen. Die Wangen sind eingefallen, die Haut spannt sich um
die Knochen und lässt diese deutlich hervortreten. Der tote Körper ist in
diesem Beispiel kein angenehmer Anblick. Während die Grabplastik an die
eigene Vergänglichkeit bzw. die ungustiösen Begleiterscheinungen erinnert,
4
Eindrucksvoll in den Arbeiten von Sue Fox zu sehen.
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
58
Abbildung 4.5: Die unterschiedlichen Verwesungsgrade bei den Charakteren in Corpse Bride.
sind die verwesten lebenden Toten in Corpse Bride eine humorvolle Variante, die durch eine charmante Aufmachung auffallen und alle unschönen
Begleiterscheinungen des Verfalls nicht thematisieren.
Wenn man die Haut der Toten in Corpse Bride genauer betrachtet,
zeigt sich, dass diese vom Verfall des Körpers eigentlich nicht betroffen ist. Sie
hat zwar eine veränderte Farbe, weist ansonsten jedoch keine Unterschiede
auf und erweckt damit nicht den Anschein als würde ihr die Verwesung etwas
anhaben. Sie ist nicht eingefallen und es finden sich keine dunkleren bzw.
andersfarbige Flecken darauf. Sie erscheint auch nach dem Tod füllig und
straff. Der Tod wird als etwas sehr angenehmes porträtiert, dass sich als
eine willkommene Veränderung zur Tristesse der Lebenden in der Oberwelt
darstellt. Die für die lebendigen Figuren verbindlichen Gesetzmäßigkeiten
von der Kompaktheit des Körpers gelten nicht mehr. Gliedmaßen können
verloren und wieder angefügt werden, die Augen verlassen regelmäßig ihren
Platz und eine Gewalteinwirkung auf den Körper fügt keinen Schaden mehr
zu.
In dem Cut-Out-Animationsfilm Krabat (CZ, Karel Zeman, 1977) gibt
es ebenfalls eine Szene, in der ein Charakter verwest. Hier geht es bei der
Darstellung der Verwesung im zeitlichen Ablauf um die Visualisierung des
Sterbens des Charakters. Der böse Zauberer in Krabat verliert eine Wette,
dessen Einsatz sein Leben war und muss daraufhin sterben. Der Vorgang
des Verfalles dauert nur wenige Sekunden, wobei von der normalen Statur
des Zauberers auf sein Skelett geblendet wird. Es kommen die Knochen an
den Händen und der Schädel zum Vorschein, während das Fleisch verschwindet. Der Schädel bricht in der Mitte auseinander und die Figur sackt in sich
zusammen. Die Darstellung des Verfalls beschränkt sich dabei auf den Verlauf vom Charakter zu dessen Skelett. Veränderungen wie etwa in Struktur
und Farbe der Haut sind nicht zu erkennen. Die Verwandlung geht dafür
zu schnell von statten und für die Narration wird es auch nicht benötigt.
Der verwesende Körper wird hier nicht thematisiert, er dient vielmehr der
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
59
Veranschaulichung des Todes des bösen Zauberers.
Die Darstellung der Verwesung des Körpers im Animationsfilm, verglichen mit Beispielen aus bildender Kunst und Realfilm, lässt einige Differenzen erkennen. In der Animation wird freier mit der Umsetzung des Verfallsprozesses umgegangen. Die aus der Natur bekannten Erscheinungen werden aufgegriffen und je nach Stil des Animationsfilms angepasst oder verändert. Dabei können auch sehr skurrile Erscheinungen entstehen, wie etwa die
Darstellung des gekringelten Strichmännchens in Rejected. In den Animationsbeispielen zeigte sich, dass die Verwesung dort nicht einem Realitätsanspruch unterworfen ist. Sie kann jene Verwesungsmerkmale aufgreifen, die
für die Narration bzw. für die Gestalt der Charaktere nützlich sind und auf
andere einfach verzichten.
4.6
Das Tote am Toten
In diesem Abschnitt soll die Visualisierung des Toten am Toten im Animationsfilm betrachtet werden. Es wird anhand von Beispielen untersucht, welche
Parallelen zur Darstellung in der bildenden Kunst und im Realfilm bestehen
und welche Differenzen sich ergeben. Weiters soll der Blick darauf gerichtet
werden, welche Besonderheiten in der Visualisierung des Toten am Toten im
Animationsfilm vorkommen. Dazu sollen die in Abschnitt 2.3.3 erarbeiteten
Merkmale des Todes in diese Untersuchung einfließen.
Zunächst soll der Blick auf den toten Körper gerichtet werden, der durch
seine äußere Erscheinung nicht klar als Leiche zu erkennen ist. Dabei werden zwei zuvor schon unter einem anderen Blickpunkt behandelte Beispiele
verwendet. Zum einen der Leichnam von Mufasa in The Lion King und
zum anderen, als abstrakteres Beispiel, der tote Körper des Strichmännchens
in The Meaning of Life. Das Sterben von König Mufasa ist, wie vorher
schon beschrieben, äußerst gewaltvoll, sein Körper weist jedoch trotz allem
keine deutlich sichtbaren Verletzungen auf. Der Tod wird nur aus der Situation erkenntlich. Eines der Merkmale des toten Körpers im Realfilm ist die
absolute Reglosigkeit. Zu dem Tod gehört auch das Aussetzen der Atmung.
Die sich hebende und senkende Brust ist ein sicheres Zeichen für Leben,
während der Stillstand nur den Tod bedeuten kann.
Wenn man diese Beobachtung auf den Animationsfilm umzulegen versucht, wird ein erster Unterschied in der Darstellung des Toten am Toten
ersichtlich. Die animierten Charaktere in The Lion King sind – nach den
Prinzipien von Walt Disney – möglichst realistisch gestaltet und auch bewegt. Auf die Atmung der Figuren wurde dabei allerdings kein besonderer
Wert gelegt. Eine erkennbare Bewegung des Oberkörpers beim Luftholen
wird nur dargestellt, wenn es sich etwa um eine besondere Anstrengung handelt. Daher kann von dem Ausbleiben der Atmung bei der Darstellung des
regungslos liegenden Mufasas nicht auf dessen Tod geschlossen werden. Als
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
60
einziges Anzeichen auf den Tod bleiben damit die fehlende Ansprechbarkeit
und die Körpersprache des Löwen. Mufasa wird von Simba des öfteren angestoßen und angesprochen, zeigt drauf jedoch keine Reaktion. Zudem wird
seine Pfote durch Simba hochgehoben und fällt sogleich wieder leblos zu Boden. Diese aus der Natur entlehnten Merkmale findet man auch im Realfilm,
es handelt sich dabei aber um sehr ungewisse Zeichen, die nur für Vermutungen ausreichen können. In Mufasas Fall könnte die Reglosigkeit beispielsweise
auch eine Bewusstlosigkeit darstellen. Daher ist das zuverlässigste Indiz die
Situation, in welcher der tote Körper vorkommt und die Handlung des Films.
Die absolute Reglosigkeit des toten Körpers im Realfilm ist auch für die
Betrachtung des Beispiels The Meaning of Life interessant. Die Strichmännchen von Don Hertzfeldt sind in den Animationen nicht in ständiger
Bewegung, sondern halten oft auch für längere Zeit still. Zudem erkennt man
in der abstrakten Darstellung der Figuren, wie in The Lion King, keine normalen Atmungsbewegungen. Wenn man weder von der Bewegung des Körper
noch von einer vorhandenen Atmung auf die Lebendigkeit eines Charakters
schließen kann, fällt der nächste Blick auf das Gesicht der Figur. Im Realfilm
lässt sich das Leben etwa auch an den zwinkernden Augen erkennen. Wenn
man jedoch den Strichmännchen in dem Beispiel aus Rejected ins Gesicht
blickt, kann man als Augen nur zwei schwarze Punkte feststellen, die sich zu
Lebzeiten nicht verändern.
Der Tod ist also vom Verhalten und der Darstellung des Strichmännchens sehr schwer zu erkennen. In Rejected wird der Tod daher zum einen
durch den weiteren Ablauf der Handlung ersichtlich, zum anderen erkennt
man ihn durch das Austauschen der Kugelaugen mit Kreuzen. Der Körper
fällt nachdem ihm der Bauch aufgerissen und er mit seinem Bauchdeckel geschlagen wurde, wie ein Sack zu Boden. Vor dem Fallen wird der Eintritt des
Todes durch die zu Kreuzen vertauschten Augen visualisiert. Diese Umsetzung ist hier die einzige Weise die toten eindeutig von den lebenden Augen
zu unterscheiden.
Neben Rejected konnte diese Darstellung auch in dem Stop-MotionFilm Mary & Max entdeckt werden. Dort stirbt regelmäßig der Goldfisch,
den sich Max hält und wird durch einen neuen ersetzt. Der Tod der Fische
wird dabei jeweils auf die gleiche Weise ersichtlich. Der Fisch treibt reglos in
seinem Wasserglas und ist zur Seite oder mit dem Bauch nach oben gedreht,
wie man es aus der Natur kennt. Zu dieser Darstellung des toten Fisches, die
eigentlich schon eindeutig ist, wird der Tod über die Augen gezeigt (s. Abb.
4.6 (a)). Anstelle der vorher vorhanden Punkte für die Pupillen des Fisches
sind nun Kreuze getreten. Das Leben wurde durch die grafische Darstellung
einfach aber unmissverständlich ausgestrichen. Diese Illustration des Todes
erscheint in Mary & Max keineswegs seltsam oder fehl am Platz, wohingegen sie im Realfilm nicht vorstellbar ist. Die Szenen in denen der Tod des
jeweiligen Fisches vorkommt, sind nicht traurig. Sie erscheinen zwar sentimental, was vor allem durch den Erzähler hervorgerufen wird, der Fisch wird
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
(a)
61
(b)
Abbildung 4.6: Eindeutig tot: die Charaktere in Mary & Max (a) und
The Backwater Gospel (b).
jedoch schnell ersetzt und die Entsorgung des alten Fisches über die Toilette
regt zum Schmunzeln an. Kreuze als Augen können nicht beliebig eingesetzt
werden, es muss zu der Stimmung und der Situation passen. So wäre diese
Art der Darstellung etwa bei dem toten Körper von Max am Ende des Films
ungeeignet, da sie die Atmosphäre des Moments zerstören würde.
Die beiden Szenen in Rejected und Mary & Max sind grundverschieden, haben jedoch gemein, dass es sich in beiden Fällen um einen humorvollen
Tod handelt. In diesen Beispielen wird der Tod mittels der Kreuze anstelle von Augen oder Pupillen verdeutlicht, er wäre durch die Handlung aber
auch ohne dies zu erkennen. Eine weitere Darstellung von Kreuzen in den
Augen findet sich in dem Kurzfilm The Backwater Gospel. Darin wird
nicht allein der Tod sondern auch das Sterben mit Hilfe von Kreuz-Augen
dargestellt. Dem Charakter wird, in der in Abb. 4.6 (b) dargestellten Szene,
der Kopf in zwei Teile gerissen. Während des damit verbundenen Sterbens
werden die zuvor dämonisch weiß-leuchtenden Augen nacheinander durch
Kreuze ersetzt. Diesen Animationsfilm kann man mit seinen äußerst brutalen
Szenen, in denen sich der gewaltvolle Tod durch eine grotesk übertriebene
Zerstörung der Charaktere darstellt, den Filmen mit Fun-Splatterästhetik
zuordnen. Selbes gilt für das Beispiel aus Rejected.
Das Tote am Toten kann sich im Animationsfilm also zum einen durch die
selben Merkmale wie im Realfilm bzw. in der Realität zeigen, zum anderen
jedoch auch sehr verschiedene Auswirkungen aufweisen. Unbewegte hängende Gliedmaßen, ein nach hinten fallender Kopf sind etwa erste Anzeichen für
den toten Körper. Es muss jedoch in jedem Fall die Umwelt betrachtet werden. Wenn der Charakter in einer Welt lebt, deren Gesetzmäßigkeiten nicht
mit jenen der Realität vergleichbar sind, so kann auch das Tote am Toten
unter Umständen nicht vergleichbar sein. Dabei sei noch einmal auf die Problematik des Ablesens des Todes am Gesicht verwiesen. Wenn der Charakter
Max beispielsweise mit halb geöffneten Augen Richtung Decke blickt und seine Augenlieder sich nicht bewegen, dann ist das hier ein Zeichen für seinen
Tod. Wenn es diese Grundbewegungen in einem Film nicht gibt – wie es bei
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
62
vielen abstrakten Darstellungen der Fall ist – dann fällt diese Möglichkeit,
den Tod zu erkennen, weg. Dies kann man in weiterer Folge auch auf andere
Charakteristika umlegen. Wenn es beispielsweise einem Charakter inhärent
ist, seinen Kopf zu kreisen und aus der Handlung hervorgeht, dass dies zu
den normalen Körperfunktionen gehört, dann würde das Stoppen der Kreisbewegung ebenso auf den Tod deuten. Um das Tote am Toten zu erkennen,
muss man also die Welt und die Gesetzmäßigkeiten, die in ihr herrschen mit
einbeziehen.
Nachdem bisher das Augenmerk auf die Körperfunktionen und die Merkmale des Todes, die sich im Gesicht abzeichnen, gelegt wurden, soll nun ein
Blick auf die farblichen Veränderungen geworfen werde, die mit dem Tod
einher gehen können. Dazu zählt vor allem die Änderung der Hautfarbe. Die
nach dem Tod verstrichene Zeit lässt sich in der Realität gut an der äußeren
Erscheinung der Haut ablesen und wird auch in Krimiserien gerne thematisiert. So bestimmen beispielsweise die Forensiker im Obduktionssaal von CSI
anhand von farblichen Nuancen und Flecken am Leichnam den Zeitpunkt des
Todes.
Ein Animationsfilm, der im Bezug drauf interessant erscheint, ist Corpse
Bride. Darin gibt es zahlreiche Merkmale um die toten von den lebenden
Charakteren zu unterscheiden, wozu auch die Darstellung der Haut zählt. Die
lebenden Figuren in diesem Film sind, sowie die gesamte Welt der Lebenden,
mit einer sehr geringen Farbsättigung dargestellt. Die Figuren erscheinen
schon leichenblass wenn sie noch am Leben sind.
Im Gegensatz zu der tristen Erscheinung auf der Erde, spielen sich die
Geschichten unter der Erde in den kräftigsten Farben ab. Die Toten sind
ganz offensichtlich als solche zu erkennen. Sie erscheinen mit einer verwesten
Gestalt, an den Körpern fehlen Teile oder das gesamte Fleisch, so dass nur
mehr die Knochen übrig geblieben sind. Bei jenen Gestalten die sich noch
durch eine halbwegs intakte Haut auszeichnen, ist diese blau gefärbt. Die
Augen, sofern vorhanden, sind gelblich getönt und sitzen oft lose in den
Augenhöhlen. Sehr deutlich zeigt sich der Kontrast zwischen einem lebenden
und einem toten Körper in der Szene, in der Lord Barkis unwissentlich von
einem tödlichen Gift trinkt und stirbt. Er trinkt aus dem Kelch mit der roten
Flüssigkeit, geht einige Schritte und fängt an sich zu verkrampfen. Während
des Sterbens ist sein Körper dem Publikum abgewandt, man sieht nur seine
gekrümmte Gestalt.
Nach wenigen Augenblicken hören die Krampfanfälle auf und als sich
Lord Barkis darauf erschrocken umdreht, sieht man eine deutliche Veränderung in seinem Gesicht (s. Abb. 4.7). Der zuvor mit einer noblen Blässe
ausgestattete Barkis hat von einem Moment auf den anderen seine Hautfarbe gewechselt. Sein Gesicht ist nun blau verfärbt, seine Augen erscheinen in
gelber Farbe. Da die Toten in diesem Film nicht leblos sind, sondern sich sehr
lebendig verhalten, fällt auch Lord Barkis nach seinem Tod nicht regungslos
in sich zusammen. Der Kontrast zwischen dem lebendigen und dem toten
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
(a)
63
(b)
Abbildung 4.7: Die Farbveränderung als eindeutiges Zeichen des Todes in
Corpse Bride. Der lebendige (a) und der durch das tödliche Gift verstorbene Lord Barkis (b).
Lord Barkis wird daher allein durch die Umfärbung des Körpers dargestellt.
Die Veränderungen an der Haut, die in der Realität erst im Lauf der
Zeit am toten Körper erkennbar sind, werden hier sowohl für bereits länger
verstorbene Charaktere als auch für den soeben eingetretenen Tod als geschickter Kontrast eingesetzt. Die toten Körper unterscheiden sich in Corpse Bride allein durch ihr Äußeres. Andere Anzeichen des Toten am Toten,
wie sie in Abschnitt 2.3.3 behandelt wurden, lassen sich nicht ausfindig machen. Sie haben weder eine fehlende Körperspannung noch starre Augen,
sondern sind eigentlich sogar beweglicher und lebendiger als die lebenden
Charaktere. Eine vergleichbare Darstellung des Farbwechsels findet man im
Realfilm beispielsweise bei Zombiefilmen. So wird die Verwandlung vom lebenden in den untoten Körper in Dawn of the Dead auch durch die
Veränderung der normalen Hautfarbe in eine blau-graue Tönung dargestellt.
Hier wird allerdings nicht der Eintritt des Todes sondern die Verwandlung in einen Untoten durch den Farbwechsel abgeschlossen. Zudem ist ein
gravierender Unterschied, dass die toten Charaktere in Corpse Bride wirklich tot sind, die untoten Zombies jedoch eher eine Zwischenstufe darstellen.
Sie können letztendlich mit der Zerstörung des Gehirns in den richtigen Tod
übertreten.
Bei der Untersuchung dieser Animationsfilme zeigte sich, dass sich durchaus die selben Merkmale des Todes finden lassen, wie sie in der bildenden
Kunst und im Realfilm dargestellt werden, deren Charakteristika ursprünglich aus der Realität entnommen wurden. Im Animationsfilm behalten diese Anzeichen jedoch nicht zwangsläufig ihre Gültigkeit. Es muss die fiktive
Welt in welche die Charaktere gesetzt werden, sowie deren Gesetzmäßigkeiten und Besonderheiten berücksichtigt werden. Die aus der Natur entlehnten
Zeichen des toten Körpers werden in den Animationen teils in gleicher Weise
verwendet, teils auch für eine effektvolle Darstellung modifiziert, wie sich an
4. Darstellungsformen des toten Körpers im Animationsfilm
64
dem Beispiel der Farbänderung in Corpse Bride zeigte. Zudem gibt es im
Animationsfilm, wie sich im Falle der Kreuzaugen erkennen ließ, auch Möglichkeiten den Tod eines Charakters auf eine besondere Weise ersichtlich zu
machen.
Kapitel 5
Schlussbemerkungen
Grundsätzlich kann erhoben werden, dass die Visualisierung des toten Körpers im Animationsfilm auf vielfältige Art und Weise stattfindet. Es werden
großteils die Darstellungen aus der realen Welt übernommen und für die
Umsetzung in der animierten Welt adaptiert und modifiziert. Bei der Untersuchung der Todesthematik im Animationsfilm wurde deutlich, dass große
Unterschiede zwischen dem animierten Spielfilm und Kurzfilm liegen. Während der Tod im Spielfilm meist in eine dramatische Handlung verpackt ist,
wird im animierten Kurzfilm wesentlich freier mit diesem Sujet umgegangen.
Bei dem Tod und dem toten Körper im Spielfilm gibt es wiederum sehr
divergente Darstellungen, je nachdem für welche Zielgruppe der Film vorgesehen ist. In animierten Kinderfilmen lässt sich vor allem die Inszenierung
des indirekten Todes als wesentliche, wiederkehrende Darstellung erkennen.
Die These, dass der tote Körper sehr selten gezeigt und thematisiert wird ließ
sich durch die betriebenen Analysen bestätigen. Sofern der tote Körper im
animierten Kinderfilm gezeigt wird, geschieht dies auf äußerst sensible Art
und Weise. Meistens umfasst dies, den in Abschnitt 4.2 näher erläuterten
schönen Tod als Ausdrucksweise, wie etwa in dem Beispiel aus The Lion
King. Die nicht jugendfreien Spielfilme hingegen zeigen den Tod und den toten Körper direkter und verfolgen dabei oft eine sehr realistische Umsetzung,
beispielsweise zu sehen in dem Film Unten am Fluss. Die Auseinandersetzung mit der Körperhülle und dem Körperinneren fand sich nur in Filmen mit
Altersbeschränkung und wurde in Kinderfilmen nicht behandelt. Die, sich in
der Animation anbietenden, außergewöhnlichen Möglichkeiten einer Todesinszenierung wurden in den erörterten Spielfilmen meist nicht ausgeschöpft,
sondern eine realitätsnahe Darstellung verfolgt.
In animierten Kurzfilmen wird die Darstellung des Todes und des toten
Körpers sehr viel freier und fantasievoller gehandhabt. Während er in den
frühen Animationen noch relativ selten vorkam, wird er heute in zahlreichen
Kurzgeschichten thematisiert. Die Visualisierung des Todes zeigt sich in den
untersuchten Beispielen häufig auf humorvolle Weise in skurrilen oder absur-
65
5. Schlussbemerkungen
66
den Geschichten, doch es wird auch eine kritische Auseinandersetzung mit
der Todesthematik aufgegriffen, wie sie etwa in The External World zu
finden ist.
Bei der Darstellung des toten Körpers kommt es auf die Gesetzmäßigkeiten der fiktiven Welt und den Stil der Animation an, welche Visualisierungen
des Todes verwendet werden und wie sehr sie sich an den aus der Natur bekannten Formen orientieren. Besonders bei abstrakten Animationen werden
andere, neue Wege gefunden um den Tod einer Figur ersichtlich zu machen.
Die Anzeichen des Todes aus der Realität behalten oft ihre Gültigkeit, werden
aber auch auf sehr verschiedene Weise eingesetzt, zu sehen unter anderem
an dem Beispiel der Verwesung in Rejected.
Es werden im Animationsfilm, gemäß meiner anfangs erstellten Hypothese, Visualisierungen des Todes verwendet, die im Realfilm nicht vorstellbar
sind oder eine gänzlich andere Wirkung erzielen würden. Die Beispiele des
offenen und geteilten Körpers haben deutlich gemacht, dass die Inszenierung
des offenen Körpers im Animationsfilm nicht dieselben Ziele verfolgt, wie dies
im Realfilm der Fall ist. Der offene Körper wird zumeist auf unterhaltsame
Weise eingesetzt. Die Splatterästhetik ruft dabei aufgrund der abstrakten
Darstellung nicht die Gefühle hervor, die etwa beim Spielfilm evoziert werden. Wo der tote Körper im Realfilm Schrecken und Grauen hervorruft, kann
eine ähnliche Darstellung im Animationsfilm so eingesetzt werden, dass der
Fokus nicht allein auf dem toten Körper liegt.
Die Annahme, dass in der Animation die Möglichkeit besteht, den Tod
und den toten Körper vielfältiger darzustellen hat sich bestätigt, es wurde
jedoch auch deutlich, dass sich bei der Visualisierung fast ausschließlich an
der Realität orientiert wird.
Anhang A
Inhalt der CD-ROM
File System: Joliet
Mode: Single-Session (CD-ROM)
A.1
PDF-Diplomarbeit
Pfad: /
Diplomarbeit.pdf . . . .
A.2
Diplomarbeit
Online-Ressourcen
Pfad: /onlinequellen/
About_Vaudeville_PBS.pdf
http://www.pbs.org/wnet/americanmasters/
episodes/vaudeville/about-vaudeville/721/
Bundespruefstelle_Gewaltdarstellungen.pdf
http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/
Jugendmedienschutz/Indizierungsverfahren/
spruchpraxis,did=32992.html
JohnGerrard_Artinfo.pdf http://www.artinfo.com/news/story/26093/
john-gerrard/
JohnGerrard_SlowDeath2003.pdf http://www.aec.at/bilderclient_
detail_de.php?id=24294&iAreaID=63
KennyMcCormick_SouthPark.pdf http://www.southparkstudios.com/
guide/characters/kenny-mccormick
Metalepse_FU_Berlin.pdf http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.
de/v/littheo/glossar/eintraege/metalepse.html
67
A. Inhalt der CD-ROM
68
Rules_Approved_for_83rd_Acadamy_Awards.pdf http://www.oscars.
org/press/pressreleases/2010/20100708.html
Vierte_Wand_bender.pdf http://www.bender-verlag.de/lexikon/lexikon.
php?begriff=Vierte+Wand
Ikonografie_Folterbilder.pdf http://www.3sat.de/SCRIPTS/print.php?
url=/kulturzeit/themen/68217/index.html
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