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23.03.2005
16:29 Uhr
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Unfallakte
in rassiger Doppeldecker
glänzt am 20. Oktober 2002
im goldenen Licht der
Herbstsonne. Pilot und Passagier bereiten sich auf einen verheißungsvollen Flug über das
idyllische Kochertal und die
Waldenburger Berge unweit
der malerischen Kleinstadt
Schwäbisch-Hall vor. Die ungetrübte Szene auf dem Flugplatz Weckrieden verrät nichts
vom dramatischen Ende, das
dieser Ausflug nehmen wird.
Eigentlich beginnt die Geschichte schon mehr als ein halbes Jahr zuvor, weit weg von
der schwäbischen Provinz,
auf einem kleinen Flugplatz
irgendwo in den USA. Im März
2002 übt ein deutscher Pilot
dort einige Kunstflugmanöver.
Die Flugschule wird später angeben, dass er in zwei Trainingsstunden weder eine ausreichende Ausbildung noch einen Abschluss erzielt habe.
Zurück in Deutschland will
er aber so bald wie möglich mit
der Kunstflugausbildung beginnen und meldet sich im September offiziell beim Stuttgarter Regierungspräsidium für
den Erwerb der entsprechenden Berechtigung an. Bis zu jenem 20. Oktober wird er sein
Vorhaben jedoch nicht mehr
verwirklichen.
Die Flugwettervorhersage
meldet an diesem Tag CAVOK
– perfekte Sichtflugbedingungen. Spontan wird ein Rundflug mit dem Pitts-Doppeldecker verabredet. Für den Passagier, ein guter Bekannter des
Piloten, ist dies der erste Flug
in einer Aerobatic-Maschine.
Er hat keine fliegerische Ausbildung und steht Zeugenaussagen zufolge dynamischen
Flugmanövern »eher zurükkhaltend gegenüber«.
Der Pilot gilt mit insgesamt
560 Flugstunden als erfahren.
Auf der Pitts S-2B hat er davon
jedoch nur knapp elf Stunden
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Wer ein Kunstflugzeug fliegt, der sollte die Grenzen seiner Maschine und auch
seine eigenen besonders gut kennen. Ein Pitts-Pilot ignorierte offenbar beides
und flog mit seinem Passagier ein ebenso mysteriöses wie halsbrecherisches
Aerobaticprogramm – ohne die erforderliche Kunstflugberechtigung
geflogen und 101 Landungen
absolviert. Um 14.50 Uhr startet
der Doppeldecker und nimmt
Kurs auf den Ortsteil Gailenkirchen in westlicher Richtung des
Platzes. Dahinter sind bereits
die ersten Hügel der Waldenburger Berge in Sicht. Das satte
Brummen des Lycoming-Triebwerks und die niedrige Flughöhe der Pitts machen einige Spaziergänger aufmerksam.
Deren Zeugenaussagen werden später die wesentlichen
Anhaltspunkte zur Rekonstruktion des Flugverlaufs geben, da weder Radar noch andere Überwachungssysteme
zur Klärung des folgenden Geschehens beitragen konnten.
Über dem ansteigenden Gelände beginnt die Pitts mit einigen Aufsehen erregenden
Manövern, die von den Beo-
bachtern als Loopings, Rollbewegungen und Abkippen beschrieben werden. Dabei nähert sich der Doppeldecker
von Süden her dem nahe gelegenen Eichelberg. Plötzlich
stürzt die Maschine aus niedriger Höhe in einer unkontrollierten Trudelbewegung dem
Bergwald entgegen. Der Pilot
kann den Doppeldecker nicht
abfangen, und Ausweichen in
Fotos: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung
Erschwerte Untersuchungsarbeit: Um den Pilot und Passagier bergen zu können, mussten Feuerwehrleute
Ruderanschlüsse im Wrack der Pitts S-2B durchtrennen
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Legt man der Massenberechnung die Gewichtsangaben der
deutschen Zulassung (771 Kilo) zugrunde und addiert ein
Übergewicht von bis zu 18 Prozent bei dynamischen Flugmanövern, dann scheint eine verbleibende Sicherheitshöhe von
200 Meter GND in ansteigendem Gelände geradezu selbstmörderisch – ganz abgesehen
von der deutlich erhöhten Mindestgeschwindigkeit. Der Eintrag für das reduzierte zulässige Gesamtgewicht bei Kunstflugbetrieb ist in der deutschen
Zulassung übrigens auf mysteriöse Weise verlorengegangen.
Nicht vollständig geklärt
werden konnte außerdem die
Rolle des Passagiers, der auf
seiner vorderen Sitzposition
ebenfalls Zugriff zu allen wichDas Ende eines Kunstflugs in einer überladenen Maschine: Zerschmettert liegt der agile Doppeldecker
tigen Steuerorganen hatte.Aufauf dem Waldboden des Eichelbergs
grund der Zeugenaussagen, die
eine Unsicherheit oder sogar
das tiefer gelegene Gnadental Hecklastigkeit. Die Stellung nach Deutschland überführt
Abneigung des Passagiers
ist zu diesem Zeitpunkt eben- des Trimmhebels bestätigt die- und neu zugelassen wurde.
gegenüber den waghalsigen
falls nicht mehr möglich. Die se Annahme. Ein Blick ins Sowohl die SchwerpunktbeManövern des Piloten vermuPitts schlägt um 15.03 Uhr am Flughandbuch verrät, dass der stimmung als auch die Wäten lassen, ist nicht auszusüdöstlichen Hang des Eichel- Doppeldecker für eine maxi- gung weichen bei der deutschließen, dass er während der
bergs auf. Beide Insassen sind male Abflugmasse von 771 Ki- schen Zulassung deutlich von
Kunstflugübungen im Cockpit
sofort tot.
logramm im Normalbetrieb zu- den zuletzt gültigen Messung
Halt suchte und dabei den fataAn der Unfallstelle bietet gelassen ist.
in den USA ab, wobei sich die
len Trudelsturz mitverursachte.
sich ein Bild des Grauens. Das
Obwohl die Füllmenge des neueren Angaben jeweils unEin Indiz dafür ist die wenig
Wrack liegt weit über das un- Rumpftanks sowie der Flä- günstiger auf die weiteren BePassagier-freundliche Ausstatwegsame Gelände verteilt, von chentanks nicht mehr exakt rechnungen auswirken.
tung der Pitts: Die einzige
dem kleinen, quirligen
In jedem Fall war die
festgestellt
werden
Möglichkeit, vermeintDoppeldecker ist nicht
lichen Halt zu finden,
Griff der
Erhebliche konnte, berechneten Pitts erheblich überlamehr viel zu erkennen.
die Experten der den: Pilot und Passabietet der SteuerknüpPassagier pel. Die pathologiBeide rechten Tragflä- Unterschiede Bundesstelle für Flug- gier brachten zusamchen sowie das Höhenunfalluntersuchung men immerhin ein Geetwa ins schen Untersuchungen
bei den
leitwerk wurden bei
für den Unglückszeit- wicht von fast 200 Kilo
ergaben dagegen, dass
Steuer?
Wägungen punkt ein Übergewicht auf die Waage. Als Folder Kollision mit den
beim Passagier, anders
Bäumen vom Rumpf
von drei bis acht Pro- ge war die maximal zuals beim Pilot, keine
abgerissen. Die Feuerwehr zent, unter der Annahme von lässige schwanzlastige SchwerBrüche oder Blutergüsse am
muss die Leichen regelrecht Kunstflugbetrieb sogar bis zu punktlage um zwei bis vier
Handgelenk nachzuweisen waaus den Trümmern heraus- 18 Prozent über dem zulässi- Zentimeter nach hinten verren. Er hatte demnach zuminschneiden.
schoben. Wie sich aus den
gen Fluggewicht.
dest beim Aufschlag der MaIm ebenfalls stark beschäDen Zeugenaussagen war zu weiteren Nachforschungen
schine seine Hände nicht am
digten Cockpit und am abge- entnehmen, dass sich die Pitts ergab, bezieht sich der im
Knüppel.
trennten Höhenleitwerk fin- während der kunstflugähn- Flughandbuch angegebene
Doch selbst wenn er vor dem
den sich erste Hinweise auf die lichen Manöver auf das anstei- Höhenverlust für das Abfantödlichen Sturzflug aus Panik
Unfallursache: Der Hebel der gende Gelände des Eichel- gen nach Überziehen von etin die Steuerung eingegriffen
Höhenrudertrimmung steht bergs zu bewegte und infolge- wa 400 Fuß (122 Meter) nicht
hätte: Viel schwerer wiegt, dass
bis zum Anschlag auf »kopflas- dessen die Sicherheitshöhe von auf die deutschen Grenzwerein erfahrener Pilot sich selbst
tig«, das Trimmruder selbst 350 Meter GND in der Ebene te, sondern auf das in den
und seinen Passagier ohne Not
ebenso. Die beiden gewichti- auf gerade mal 200 Meter an USA gemessene Fluggewicht
und vor allem ohne Kunstfluggen Insassen haben sich offen- der Absturzstelle schrumpfte.
von nur 737 Kilo. Der Höhenberechtigung durch grobe
bar nachteilig auf die SchwerNachforschungen führten die verlust nach einem Stall wäre
Fahrlässigkeit und Selbstüberpunktlage der Maschine ausge- Untersucher auch in die USA: nach den deutschen Angaben
schätzung so zu Tode bringen
wirkt. Folge war eine starke Dort flog die Pitts, bevor sie also deutlich größer.
musste.
Samuel Pichlmaier
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