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Meine Schreibsklaven
M
anchmal fragen mich die Leute, wie ich das ganze Pensum
eigentlich schaffe: Die Lesungen, Romane, Hörspiele und dazu
noch jede Woche diese Kolumne hier. Es sei ja geradezu
unmenschlich, finden sie und daraus spricht eine gewisse
Bewunderung, die mir sehr schmeichelt, denn sie lässt mich als
fleißig erscheinen. Und die Deutschen mögen nichts lieber als
Fleiß, Tugend Nummer eins. Kombiniert man sie mit weißen
Zähnen, kann man in diesem Land alles erreichen, das ist das
Erfolgsrezept von Dieter Bohlen.
Nachdem ich nun gerade gestern wieder einmal gefragt wurde, wie ich denn bloß diese
Vielzahl von Aufgaben bewältige, halte ich es heute für meine Pflicht, mit diesem FleißMissverständnis ein für alle mal aufzuräumen. Tatsache ist: Ich schreibe gar nichts. Ich lasse
schreiben.
Im Süden von München habe ich eine zugige Scheune angemietet, in der je nach
Auftragslage zwischen 12 und 25 schlecht bezahlte Lohnschreiberinnen und Lohnschreiber
für mich schuften. Sie sitzen jeweils zu zweit an einem Tisch und brüten den lieben langen
Tag an Kolumnen, Hörspielen, Romanen, Drehbüchern, Gebrauchsanweisungen,
Packungsbeilagen und Grußkarten, die anschließend in meinem Namen an Auftraggeber in
ganz Deutschland verschickt werden. Für die Spezialdisziplinen beschäftige ich Fachkräfte,
zum Beispiel eine pensionierte Deutschlehrerin, die für mich Leserbriefe an
Programmzeitschriften verfasst und einen Nürnberger Polizisten, der im Nebenerwerb drei
Mal die Woche versaute Witze für mich erfindet sowie einen früher investigativ tätigen
Journalisten aus Hamburg, der nach einem Spesenbetrug keine Anstellung mehr fand und
nun für mich allerhand Blödsinniges im Internet googelt. Heute schickte er eine Notiz, der
zufolge ein deutscher Mann täglich 178 Gramm Brot esse (Frauen: 133 Gramm), im Jahr seien
das knapp 65 Kilo. Aha. Soso.
Meine eigene Arbeit besteht nur noch darin, dass ich mittags reinkomme und die
Ergebnisse kontrolliere. Dann müssen meine Schreiberchen ausdrucken was sie haben und
sich in einer Reihe anstellen. Ich überfliege ihre Texte und schmiere mit meinem Filzstift
darin herum. „Nochmal!“ schreibe ich rein, oder „was soll das?“ oder „Idee gut, Ausführung
dürftig.“
Aber ich kann auch loben, das motiviert meine Kräfte. Allerdings sollte man damit
haushalten, sonst machen die sich selbständig und schreiben auf eigene Rechnung. Oder sie
werden abgeworben von einem Kollegen. Harald Martenstein ist zum Beispiel Herr über
einen Getreidespeicher in Hamburg, wo mehr als ein Dutzend kleine Martensteine tagein
tagaus bei kargem Lohn tippen bis die Tastaturen glühen. Axel Hackes Mannschaft sitzt in
einer Kaserne in Schwabing, Hans Zippert lässt in einer stillgelegten Fabrik bei Frankfurt im
Akkord schuften. Er gilt als besonders harter Hund. Einer seiner ausgemergelten Sklaven,
studierter Philosoph und sehr sauber, bewarb sich einmal bei mir und behauptete, Zippert
würde nicht einmal heizen im Winter, man habe für ein kleines bisschen Wärme die Füße auf
den Drucker stellen müssen. Die Knochenmühle des deutschen Kolumnenwesens sei das
gewesen.
Ansonsten kann und möchte ich über die Arbeitsbedingungen in den Manufakturen der
Kollegen nichts sagen. Ist mir auch egal. Ich behandele meine Angestellten anständig. Es gibt
ein kleines Grundgehalt und Zeilengeld für alles, was veröffentlicht wird. Natürlich dauert
das immer seine Zeit, denn gerade neue und junge Autoren müssen zunächst den richtigen
Sound finden und damit vergeht schon mal ein halbes Jährchen, in denen Schmalhans
Küchenmeister ist. Ich selbst schreibe nur noch Rechnungen und Kündigungen. Heute habe
ich wieder so einen Fehleinkauf vor die Tür gesetzt, einen Blogger aus Berlin, digitale
Boheme, dass ich nicht lache. Nur gemeckert hat der und er wollte im Café arbeiten. Wo
kommen wir da hin? Neinnein, meine Leute sitzen schön in der Scheune beisammen.
Immerhin bin ich wie der Herr Grupp von Trigema einer von jenen Industriellen, die nur
und ausschließlich in Deutschland fertigen lassen. Ich hatte auch mal einen Betrieb in
Österreich, das kostete weniger Geld, aber die Ergebnisse waren von unverkäuflicher
Melancholie und zudem durchsetzt mit alpenländischen Idiomen, die ich hernach mühsam
wieder beseitigen musste. Und dafür habe ich echt keine Zeit.•
5. FEBRUAR 2009