Buchwissenschaft in Deutschland

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Buchwissenschaft in Deutschland
Buchwissenschaft
in Deutschland
Ein Handbuch
Herausgegeben
von
Ursula Rautenberg
Band 1:
Theorie und Forschung
De Gruyter Saur
SONJA GLAUCH/JONATHAN
GREEN
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und
Forschungsdesiderate
1
2
3
3.1
3.2
3.3
3.4
4
4.1
4.2
4.3
5
5.1
5.2
5.3
6
7
Einführung
Eine kurze Geschichte der Geschichte des Lesens im Mittelalter
Lesen im Mittelalter zwischen Antike und Renaissance:
Brüche und Kontinuitäten, gesellschaftlicheSpannungsfelder
Das Weiterleben der antiken Lesekultur im Mittelalter:
Der Einfluss der klassischen Grammatik und Rhetorik
Die Umbrüche des 11./12. Jahrhunderts:
Das Spannungsfeld Kloster vs. Universität
Die Spannungsfelder Klerus vs. Laienstand,
Latein vs. Volkssprache und Männer vs. Frauen
Vom Mittelalter in die Neuzeit: Lesen in der Stadt
Mediengeschichtliche Ansätze 1:
Materielle Grundlagen des Lesens
Layout und Lesen
Interpunktion, Spatium und die Kontroverse um leisesLesen
Marginalienforschung
Mediengeschichtliche Ansätze II: Lesen als Kulturtechnik
Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Lesen und Sehen,Text und Bild. Lesen als Aspekt
der visuellen Kultur( des Mittelalters
Lesegeschichteals Kognitionsgeschichte
Ausblick und Forschungsdesiderate
Literaturverzeichnis
362
Sonja Glauch/Jonathan Green
1 Einführung
Das Lesen zu erforschen ist schon auf den ersten Blick kein leichtes
Unterfangen, und dies aus zwei Gründen: denn wenn man unter )Lesen<
den Prozess der Interpretation von visuellen Zeichen versteht, so scheint
dieser Prozess weder direkt beobachtbar zu sein, noch steht von vornherein fest, welche Ebenen dieser Interpretation zum Lesen gerechnet
werden sollen: Wird als Lesen nur eine Umsetzung von Zeichen in
Sprachlaute und in Gedanken verstanden oder auch ein erfolgreiches
Textverständnis und seine kulturellen Folgen? Im Blick auf historische
Phänomene ist die erste Schwierigkeit besonders folgenschwer, und man
mag zur Abhilfe auf das materielle Pendant des Lesens, das Buch, verweisen. Aber obwohl das Lesen an das Buch gekoppelt scheint, könnten sich
zwei Forschungsgegenständekaum stärker unterscheiden. Während Bücher in Bibliotheken und Museen betrachtet und angefasst, aufgeschlagen
und gelesen, gewogen und gezählt werden können, scheint der Umgang
der Leser mit dem Buch immateriell, ephemer und zu großen Teilen undokumentierbar. Überdies ist das Lesen wiederum nicht dasselbe wie der
Umgang mit Büchern oder mit Schriftdokumenten im weitesten Sinn. Es
ist zugleich mehr, weil in jeder Gesellschaft Dinge >gelesen<
werden, die
der
Schrift
fallen,
allein
und zugleich weniger, weil
nicht in den Bereich
Lesen ein privilegierter, aber nicht der einzige Umgang mit Büchern ist:
das Buch als Ware, das Buch als Status- und Sammlerobjekt wird nicht
gelesen.' Wie kann das >Lesen<also beobachtet werden? Anders als viele
kulturelle Praktiken, die ihrem Wesen nach poietisch sind, produziert das
Lesen nichts von Dauer und hinterlässt nur in Ausnahmefällen materielle
Spuren. Der momentane Lesevorgang ist ebenso wie die längerfristige
Prägung des Lesers durch seine Lektüre und die >Bildung<der lesenden
Gesellschaft etwas Prozessuales,Flüchtiges, das zunächst nur in den Köpfen stattfindet. Leseforschung kann daher meist nur von bloßen Indizien
ausgehen, von zufällig dokumentierten Bekundungen von Lesern über
ihre Lektüre, Rezeption von Texten in anderen Texten, Analysen des
Büchermarkts, des Buchlayouts und der Schriftgestaltung. Selbst die Messung der Augen- und Hirntätigkeit beim Lesen - für historische Fragestellungen ohnehin vergebens - kann nicht das >Lesen<an sich sichtbar
1
Zu den Zweitfunktionen desBuches im Nlittelaltcr, siehe Bridges: Mehr als ein Text, sowie
McKitterick: The Carolingiansand the Written \Vord, S. 155-164.
Lesen im Afittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
363
machen, sondern nur isolierte kognitive Mechanismen, die das Lesen begleiten.
In der Handschriftenkultur des Mittelalters stehen aber Buch (als ein
materielles Objekt) und Lesen (als ein immaterielles Tun) zueinander weniger deutlich in Opposition als in der Ära des Drucks. Jedes einzelne
Buch wird hier im Zuge eines individuellen Lesevorgangs geschrieben,2
das Lesen im Sinn einer Aneignung von Texten geht oft mit der schriftlichen Sammlung von Lesefrüchten einher, und der studierte Leser hat
nicht selten einen Griffel oder eine Feder in der Hand, um >Fehler(auszubessern oder Notizen für sich und andere anzubringen. Insofern dokumentiert jedes handgeschriebeneBuch die Arbeit von Lesern. Dennoch
ist Lesen im Mittelalter ein schwer zu fassender Gegenstand. Schon die
Bezeichnungen für )Schreiben<,>Malen<,>Diktieren<,>Verfassen<,>Lesen<,
>(einBild) Betrachten<und >Vorlesen(können im Lateinischen und in den
mittelalterlichen Volkssprachen verwirrend inkonsistent sein. Mit lateinisch )legere<oder mittelhochdeutsch >lesen<wurden auch Tätigkeiten
bezeichnet, die heute nicht mehr zum Begriff des Lesens gerechnet werden.3
Eine Problematisierung des nicht unumstrittenen Konzepts >Mittelalter< kann nicht Aufgabe dieses Berichts sein. Eine chronologisch ausgerichtete Lesegeschichtesieht sich primär mit der Aufgabe konfrontiert, die
Brüche und Kontinuitäten zwischen Antike und I Iittelalter einerseits und
zwischen I\Iittelalter und Neuzeit andererseits zu beschreiben (siehe
Kap. 3). Die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit ist für die
Lesegeschichte deshalb von besonderer Bedeutung, weil diese Periodisierung seit jeher auch als eine mediengeschichtlich legitimierte aufgefasst
wurde: eben die medienhistorische Umwälzung, die in der Ablösung der
Handschrift durch den Buchdruck begriffen liegt, prägt unser Bild von
Mittelalter und Neuzeit entscheidend mit.
Die Frage >Wer liest?< bildet einen wichtigen Aspekt einer Lesegeschichte, die sich lange fast ausschließlich mit dem Alphabetisierungsgrad
von verschiedenen Bevölkerungsschichten befasst hat, bevor sie stärker
von sozialhistorischen Ansätzen geprägt wurde. Die Lesesoziologie des
2
3
Vgl. 1-iamesse:
Das scholastischeModell der Lektüre, S. 159.
Illich: Im Weinberg des Textes, kann als ausführliche,aber zugleich zugängliche und aufschlussreicheDarstellung des)lectioc-Begriffsim Kontext des Klostersund der Universität im
12/13. Jahrhundert gelesenwerden (sieheKap. 32). Weiter zur Begriffsgeschichte:Hamesse:
Das scholastischeModell der Lektüre, S. 160f. Dem Begriffsinventar der deutschsprachigen
Schriftkultur desMittelaltersge\tidmet ist Dicke: Im Wortfeld desTextes.
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Mittelalters will nicht nur die Lesefähigkeit von unterschiedlichen Ständen
und sozialen Gruppen ermitteln, sondern die Funktion des Lesens im
Rahmen der Strukturen der mittelalterlichen Gesellschaft beschreiben.
Anscheinend fundamentale Kategorien, wie z. B. das Geschlecht, und
Institutionen, die für das Mittelalter als konstitutiv angenommen werden,
wie z. B. das Klosterleben, offenbaren sich bei näherer Betrachtung als
Spannungsfelder, wo Identität errungen, erneuert und untermauert wird.
Neue Forschungsansätzeentdecken das Lesen als identitätsstiftende Kulturtechnik in einer dynamischen mittelalterlichen Gesellschaft.
Lesegeschichteist nur am Rande die Geschichte des Gelesenen, obwohl Texte wesensmäßigWiderspiegelungen von Leseakten sind, vergangenen wie zukünftigen. Intertextualität als Spätfolge des Lesens, Rezeptionsästhetik als Blick auf den Text unter dem Aspekt seinesGelesenwerdens, die Steuerung des antizipierten Leseakts durch den Text selbst man denke an den >impliziten Leser<der Erzähltheorie -, all dies ist vor
allem der Gegenstand einer Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte,
die selten den Zugriff auf den realen Leser und seine tatsächlichen Lesevorgänge sucht. Demgegenüber ist die Lesegeschichte stark geprägt von
der Paläographie und der Kodikologie, also von Wissenschaften, die sich
vor allem der äußeren Beschaffenheit eines geschriebenen Texts widmen.
Das Buch als physischer Textträger bildet die materielle Grundlage einer
Lesegeschichte,die das Layout einer Handschrift
als eine Anpassung an
implizierte Lesepraktiken sieht, aber auch empirische Indizien für reale
Lesepraktiken in den Lesespuren aus vergangenen Jahrhunderten sucht
(siehe Kap. 4).
Vergangene kulturelle Praktiken werfen das epistemologische Problem
jeder historischen Forschung auf Analogieschlüsse von der Gegenwart
auf die Vergangenheit können Trugschlüsse sein. Die Geschichte der
Kommunikation und ihrer Medien hat, gerade im Hinblick auf das europäische Mittelalter, in den letzten Jahrzehnten viele Gegenstände in ein
neues und teils nachgeradebefremdendes Licht gerückt: weder >Bild<noch
>Text<noch >Stimme<noch >Geste<bedeuten in der vormodernen Kultur
dasselbewie in der Neuzeit oder der Gegenwart. Es konnte nicht ausbleiben, dass auch das Lesen als Kulturtechnik in diesen breiteren medienhistorischen Fragestellungen der lMIediävistik neu reflektiert wurde (siehe
Kap. 5). Die Erforschung des Lesens im Mittelalter erhält zunehmend
starke Impulse von den überaus umfassenden Fragestellungen und Paradigmen der mediävistischen Kulturwissenschaft. Dazu gehören beispielsweise die Fragen nach Mündlichkeit und Schriftlichkeit, nach der Ritualität
Lesenim Mittelalter.Forschungsergebnisse
und Forschungsdesiderate
und Performativitiit
tur der Präsenz.
der mittelalterlichen
Kommunikation,
365
nach der Kul-
Ein thematisch engumschriebenerForschungsbericht kann diesen Perspektiven freilich nicht gerecht werden; es ist unmöglich, an diesem Ort
umfassend über die Forschungen zur Mündlichkeit und Schriftlichkeit im
Mittelalter zu orientieren. Auch wenn der Bezug des Lesens im Mittelalter
zur Schreibtätigkeit und zum körperlichen Handeln im allgemeinen, zum
materiellen Buch und zur Gesellschaftbeträchtliche Unterschiede zum modernen Lesevorgang ans Licht bringt, kommen hier nur solche wissenschaftlichen Arbeiten in Betracht, die sich mit dem Lesen im engeren, d. h.
modernen Sinn auseinandersetzen.Der Großteil der Arbeiten zur Geschichte des Buchs oder der Schriftkultur im Mittelalter, oder zu den verschiedenen Zweigen der Kulturgeschichte, muss darum ausgespartbleiben.
Dieser Forschungsbericht bekennt sich zudem zu seinem unvermeidlichen germanistischen Übergewicht. Es wird angestrebt, die Forschung
zum deutsch- und englischsprachigen Raum gründlich und gleichberechtigt abzudecken,wohingegen die romanistische und latinistische Leseforschung sich - gemessenan ihren Erträgen - mit Recht unterrepräsentiert
fühlen wird. Auch das mediiivistisch hochaktuelle Thema der Verschriftlichung von Musik - denn auch musikalische Notation wird ja )gelesen<,
und liturgischer (Lese-)Vortrag war im Mittelalter oft zugleich gesungener
Vortrag - muss in diesem Bericht gänzlich außen vor bleiben.
Die folgenden Kapitel orientieren sich an Eckpunkten der Lesegeschichte des Mittelalters, die sich in den letzten Jahrzehnten etabliert haben. Viele wissenschaftliche Arbeiten in diesem Forschungsfeld überschreiten aber in der Regel eine oder mehrere Grenzen, die in diesem
Forschungsbericht zwischen Teilbereichen gezogen werden. Eine grundlegende Abhandlung wie z. B. Ivan lllichs Im ll%inbe, desTexter nimmt
Einflüsse aus vielen Forschungsbereichen auf und übt ihrerseits Einfluss
auf Wissenschaftler in den vielen Disziplinen, aus denen das interdisziplinäre Forschungsfeld der Lesegeschichte besteht; um Illichs Werk gerecht
zu werden, müsste man es in fast jedem Kapitel erwähnen. Trotzdem
werden wissenschaftliche Arbeiten möglichst nur einmal erwähnt, und
zwar an dem Ort, der dem Kernergebnis des Werks am nächsten liegt,
!g desTextesin der Diskussion um das Spanalso im Fall von Im I1zeinber
nungsfeld Kloster - Universität bzw. monastische und scholastischeLesepraktiken (sieheKap. 3.2).
Obwohl Teil eines Handbuchs zur )Buchwissenschaft in Deutschland<,
macht der vorliegende Forschungsbericht mit Absicht keinen Versuch, die
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Sonja Glauch/Jonathan Green
deutsche Forschung isoliert darzustellen. Lesen im Mittelalter ist ein gesamteuropäischer Gegenstand: so überspielt die lateinischsprachige Buchkultur der mittelalterlichen Universität die nationalen Prägungen von
deren einzelnen Angehörigen oft weitgehend. Auch sind Handschriftenbestände heute oft in alle Welt zerstreut. Gerade mit Blick darauf überrascht es nicht, dass die deutsche Forschung sich ebensowenig auf das
>deutsche<Mittelalter beschränkt wie sie ohne ein ständiges, intensives
interdisziplinäres und internationales Gespräch arbeiten kann.
2 Eine kurze Geschichte der Geschichte des Lesens
im Mittelalter
Lesegeschichte des Mittelalters wurde schon geschrieben, bevor bewusst
darüber nachgedacht wurde, wie man das Lesen im Mittelalter wissenschaftlich untersuchen und beschreiben kann. Schon im späten 19. Jahrhundert findet man eine populärwissenschaftliche Darstellung, die den
gesellschaftlichen, kulturellen und literaturgeschichtlichen Stellenwert des
Lesens im Mittelalter behandelt Erst in den letzten Jahrzehnten des
.4
20.Jahrhunderts widmen sich Wissenschaftler indes in größerer Zahl den
methodologischen Fragen, wie man Lesen historisch erschließen könne,
welche Arten von Indizien sich heranziehen lassen und welche Art der
Geschichtsschreibung erstrebenswert sei. Die meisten neueren Aufsätze
zur Lesegeschichtegreifen dieseFragen mindestens ansatzweiseauf, doch
fehlt es auch nicht an spezifisch theoretisch-methodologischen Abhandlungen, obwohl die Besonderheiten des Mittelalters als Forschungsfeld
bisher in den Grundsatzdiskussionen oft vernachlässigtworden sind.
In den 1980er Jahren lässt sich beobachten, wie sich Forschungsansätze für die historische Leseforschung herauskristallisieren. Für brauchbare Ansätze zur historischen Leseforschung werden, wenn nicht
einstimmig, so doch weithin die folgenden gehalten: sich rezeptionsästhetisch
oder rezeptionsgeschichtlich mit dem Text auseinanderzusetzen,das Bildungswesenund die Institutionen des geschriebenen Worts zu erforschen,
die Leser und die kulturellen Rahmenbedingungen des Lesens soziologisch zu beschreiben, die im Buchaufbau und in der Seitengestaltung implizierten Leseweisen zu untersuchen und schließlich die Lesespuren am
4
Vgl. Richter. Lesenund Schreibenim Mittelalter.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdcsidcrate
367
Buchkörper selbst auszuwerten. In einer primär auf das 18. Jahrhundert
fokussierten Überlegung hat Paul Raabe schon 1982 über den möglichen
Beitrag der historischen Bibliothekswissenschaft zur Lesegeschichte nachgedacht. 5 Für Raabe ist die historische Leserforschung noch in erster Linie
eine Sozialgeschichte des Lesers, aber auch eine Erforschung von Lesegewohnheiten, auch noch eine Untersuchung der gelesenen Lektüre. Als
mögliche Quellen nennt Raabe Lesespuren in Büchern, literarische Zeugnisse, Bücherkataloge und andere Information über Buch- und Bibliotheksbenutzung; zumindest teilweise sind dieseauch relevant für die Lesegeschichte des Mittelalters. Eine ähnliche Argumentation aus Sicht eines
Bibliothekars, jedoch stärker auf das Mittelalter gerichtet, bringt dann im
Jahre 1985 Kenneth W. Humphreys.6 Im selben Jahr fordert Brigitte
Sehlieben-Lange eine historische Leseforschung, die Ansätze der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik, der empirischen Rezeptionsforschung, der Buchgeschichte und der Sprachpsychologie zu verbinden in
der Lage wäre.? Als mögliche Quellen betrachtet Sehlieben-Lange unter
anderem das Buch und seine Gebrauchsspuren als historische Artefakte
sowie Aussagen von Lesern und Autoren. 8 Robert Darnton legt ein Jahr
darauf fünf Erste SchritteZu einerGeschichte
desLeseasvor, wobei er ähnliche
Quellen in Betracht zieht: Man könne untersuchen, wie das Lesen als kognitiver und physikalischer Prozess vorgestellt wurde, wie und wo man es
lernte und lehrte, und wie Leser ihre Leseerfahrungen darstellten sowie in
Marginalien festlegten. Dazu kämen die Fragen, inwiefern der implizierte
Leser der Rezeptionsästhetik sich mit historisch erschließbaren realen
Lesern vergleichen lasse und welche Lesepraktiken im Buchlayout impliziert seien.9 Georg Jägers Überlegungen vom Jahre 1987 zur »historischen
Lese©forschung« stimmen weitgehend mit Darnton überein. In welcher
Weise diese Ansätze für die Mediävistik fruchtbar gemacht werden konnten, ist in den folgenden Kapiteln diesesForschungsberichts darzustellen.
In Betracht kommen hier vor allem Arbeiten, die nach oder im Umfeld
dieser reflektierenden Forschungsdiskussion entstanden sind. Diese zeitli5
6
7
8
9
Raabe: Bibliotheksgeschichte und historische Leserforschung.
Humphrcys: The Book and the Library in Society.
Vgl. Schlieben-Lange:Einleitung.
Schlichen-Lange:Geschichte des Lesens,behandelt etwasausführlicher das Potenzial einer
Geschichte der Lesepraktiken,obwohl in diesem Fall mit spezifischem Bezug auf das 18.
Jahrhundert. \Vissenschaftsgeschichtiichhilfreich, aber ebenfalls weitgehend auf spätere
Jahrhunderte fokussiert sind die Beiträge in dem von Roger Chattier herausgegebenen
Sammelband»Histoires de la lecture. Un bilan des recherches«.
Damton:
Erste Schritte.
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Green
che Grenze fällt zusammen mit dem Erscheinen einiger grundlegender
Studien, in denen Traditionen gipfeln oder die neue Debatten ausgelöst
haben: Walter Ongs Orali' yandLitera9' (1982), Paul SaengersAufsatz Silent
Keading.I/s Impacton Late MedievalScipt and Society(1982), und Manfred
Scholz' Hörenund Lesen.StudienZttrprintrirenRezeption
derLiteratur i»1 12. und
13.Jahrhundert(1980).
Als Forschungsfeld bietet die Lesegeschichtedemjenigen, der eine ersEinführungslektüre
te
sucht, eine überraschendeVielzahl falscher Fährten.
Alberto Manguels A Histo0' of Readingwird in wissenschaftlichen Arbeiten
zitiert und als Einführung empfohlen, denn der Titel verspricht genau
diesen erwünschten Einstieg in das Thema; aber das \Verk selbst erhebt
keinen solchen Anspruch und bietet stattdessen einen anregenden Spaziergang durch einige wichtige, aber auch manche nebensächlichen Stationen der Lesegeschichte.Manguels \Verk gehört vielmehr zur Gattung der
kreativen Fachliteratur, indem es kunstvoll und geistreich, aber unsystematisch, einige Aspekte der Lesegeschichtemit Episoden aus dem Leben des
Autors vereint, ohne auf historische Chronologie
als Ordnungsprinzip
Rücksicht zu nehmen. Er schreibe nicht die Geschichte des Lesens,
sondern nur eine Geschichte des Lesens,konstatiert der Verfasser im letzten
Kapitel, wo er ausführlich beschreibt, wie ein \Verk mit dem erstgenannten Titel aussehenkönnte.1° Darüber hinaus sorgt für Irritation, dass zwei
fast gleichnamige Werke erschienen sind, Hans Joachim Grieps Geschichte
desLesens(2005) und Steven R. Fischers A Histog, Reading(2003), die
of
einen Überblick über das Lesen von der Vorzeit bis in die Moderne bieten
wollen, von denen aber weder das eine noch das andere eine bessere Alternative zu Manguel darstellt. In beiden Werken fallen die Kapitel über
Entwicklungen zwischen römischer Antike und dem 16.Jahrhundert
weitgehend oberflächlich aus. Da beide Werke für ein Laienpublikum
zugeschnitten sind, dem z. B. der Unterschied zwischen Konsonanten und
Vokalen erklärt werden muss,11taugen beide Werke nur in begrenztem
Maße als wissenschaftliche Einführungslektüre. Peter Steins Schriftkulturist
thematisch breiter angelegt als eine reine Geschichte des Lesens, indes
referiert diese anschauliche und überschaubare Monographie neuere Forschungsergebnisseund setzt sich mit den aktuellen wissenschaftlichen
Diskussionen auseinander, so dass sie den Bedürfnissen eines wissenschaftlichen Publikums am ehesten entspricht.
10
11
üiangucl: A History of Reading,S. 309-319.
Fischer.A History of Reading,S. 208.
Lesenim Mittelalter. Forschungsergebnisse
und Forschungsdesiderate
369
Zwischen den Arbeiten, die sich nur einige wenige, allzu oft oberflächliche und pauschalisierendeWorte zum Lesen im Mittelalter im Kontext einer zeitübergreifenden Lesegeschichte leisten, und denjenigen, die
sich detailreich einem eng umgrenzten Sonderthema widmen, liegt ein
Raum für Überblick schaffende, aber zugleich fundierte Darstellungen,
der in den letzten Jahren erfreulicherweise nicht leer geblieben ist. Beispielsweise trifft man auf kurze Abschnitte zum Lesen im Mittelalter in
Gesamtdarstellungen der Lesegeschichte von der Antike bis heute, so
Alistair McCleerys Introductionto Book
etwa in David Finkelsteins und
Das
Mittelalter
History,.
wird ausführlich behandelt in Erich Schöns Beitrag
des Lesensim Handbuch Lesen sowie in Hans-Martin Gaugers
Geschichte
Der Beitrag von Gauger
gleichnamigem Kapitel in Schriftund Schrýftlichkeit.
dadurch
dass
ihm
eine ausführliche Diskussion der Meaus,
zeichnet sich
thoden und Fragestellungen der Lesegeschichte vorausgeht, bevor sich
zwei von insgesamt sechs Kapiteln den früh- und hochmittelalterlichen
Lesekulturen widmen. Armando Petruccis Aufsatzsammlung II/riters and
Readersin MedievalItaly, die wesentliche Werke eines herausragendenPaläographen einem internationalen Publikum zugänglich macht, widmet ein
Als womöglich
ganzes Kapitel der Geschichte des Lesens im Mittelalter. 12
der
letzten
Jahrzehnte
für
die
Lesegeschichte
wichtigste Veröffentlichung
als wissenschaftliche Disziplin gilt Die lVelt desLesens,da die Verfasser der
einzelnen Kapitel kaum weniger als die Herausgeber, Chartier und Guglielmo Cavallo, Wissenschaftler ersten Ranges auf internationaler Ebene
ist die
sind. Für die Lesegeschichtedes Mittelalters äußerst bemerkenswert
insgesamt
dreizehn
Kapiteln
Aspekte
des
Lesens
Tatsache, dass vier von
im M'fittelalter ansprechen: klösterliches Lesen, die Lesepraktiken der
Scholastiker, Lesen im Spätmittelalter und Lesen in den jüdischen Gemeinden Europas. In einer vor kurzem erschienenen Zusammenfassung
der Ergebnisse der neueren Leseforschung nimmt das Mittelalter wenig
mehr Platz ein als die Verfasserin dafür braucht, Die IIVeitdesLesensausführlich zu loben. 13Dagegen steht das Mittelalter im Mittelpunkt des Aufin the Medieval
satzes von Charles F. Briggs, Literaa; Reading,and 11%riting
IVest, der historiographisch die Wissenschaftsgeschichteder Erforschung
des Lesens im Mittelalter darstellt, wobei der Schwerpunkt auf englischdes 20. Jahrhunderts
sprachigen Werken in den letzten drei Jahrzehnten
12
13
Ein -weitererBeitrag aus der Romanistik, der das ganze Mittelalter von der Spätantikebis
ins 16.Jahrhundert ins Blickfeld nimmt und Forschungsergebnissebis in die 1970er zuhistoire de la lecture.
sammenfasstist Martin: Pour une
Vgl. Pricc: Reading,S. 309f.
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Sonja Glauch/Jonathan
Green
liegt. Marco Mosterts NewApproacbec to Medieval Conll)I:inication macht allein
die ausführliche Bibliographie zu einer unverzichtbaren Quelle für lesegeOrientieschichtliche Forschung, die durch die disziplinengeschichtliche
rung in der Einführung von Michael Clanchy noch wertvoller wird.
3 Lesen im Mittelalter zwischen Antike und Renaissance:
Brüche und Kontinuitäten, gesellschaftlicheSpannungsfelder
Die Frage nach einem spezifisch >mittelalterlichen<Lesen ist nicht loszulösen von der Frage, mit welchem Recht sich ein >Mittelalter<als geschlossene historische Periode ansetzen lasse. Die verschiedensten politischen,
institutionengeschichtlichen und kulturellen Entwicklungen und Umbrüche werden gemeinhin der Abgrenzung des Mittelalters zugrunde gelegt;
dass aber die Lesepraktiken sich im präzisen Gleichlauf mit diesen Umbrüchen gewandelt haben sollen, ist durchaus nicht selbstverständlich.
Auch wenn die einschneidenden gesellschaftlichen, bildungsgeschichtlichen und institutionellen Veränderungen, die die Umbrüche am Ende der
Antike und am Beginn der Neuzeit kennzeichnen, sich auf die Lesefähigkeit der Menschen und den Stellenwert von Schriftlichkeit ausgewirkt
haben müssen, ist doch nicht damit zu rechnen, dass beispielsweise auch
die Lesetechniken sich synchron damit im selben Maße verändern mussten. Der bekannteste lesegeschichtliche Periodisierungsversuch etwa, der
von Rolf Engelsing, rechnet das gesamte Mittelalter - so wie den ganzen
Zeitraum vor dem 18. Jahrhundert zur
>Periodeder intensiven Lektüre<.
Dies macht aber zugleich dieses Modell für die Mediävistik unbefriedigend, weil in ihm das Mittelalter völlig ohne Konturen bleiben muss. Jedoch auch da, wo die neuere Forschung zur mittelalterlichen Lesekultur
die Entwicklung des Lesensim Mittelalter
seither immer genauer präzisiert
hat,
immer
und problematisiert
rückt man
weiter davon ab, die tiefgreifendsten Änderungen zeitlich auf den Beginn oder das Ende dieser etwa
tausendjährigen Periode zu legen. So ist es bemerkenswert, dass stattdessen aus mehreren Forschungsperspektiven übereinstimmend ein profunder Umbruch der Lesekultur diagnostiziert wurde, der in einem relativ
kurzen Zeitabschnitt im 11./12. Jahrhundert stattgefunden haben dürfte.
Zudem gelangt die neuere Lesegeschichtezunehmend darüber hinaus,
sich vor allem als Lesergeschichte zu verstehen und sich deshalb primär
mit einer historischen und soziologischen Differenzierung verschiedener
Lesergruppen zu befassen. Dennoch bleiben Beiträge auf diesem Gebiet
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
371
weiterhin vonnöten, denn eine Lesekultur kann nicht ohne lesende Menschen existieren; auch eine theoretische Kognitionsforschung bedarf eines
Modells der Gesellschaftsstrukturen und eines Verständnisses für den
bildungsgeschichtlichen Rahmen.'4 Die ständische Gesellschaft des europäischen Mittelalters bestimmt also weitgehend die Spannungsfelder, die
in Beiträgen zur Lesergeschichte auszuleuchten oder auch zu problematisieren sind, zumal diese Spannungsfelder in vielen Fällen miteinander
verzahnt sind. Der Gegensatz zwischen einem lesenden Klerus und einem
ungebildeten Laienstand ist einerseits übertrieben, andererseits noch weiter verstärkt durch die mit ihm vielfach korrespondierenden benachbarten
Spannungsfelder Kloster vs. Hof und Latein vs. Volkssprache. Einige der
wichtigen Beiträge zur Lesergeschichtepräzisieren diese Gegensätze oder
stellen ihre Gültigkeit in Frage.15Ein ähnlicher Wandel vollzieht sich in
der Erforschung der Lesefähigkeit im Mittelalter. Auch wenn die Frage
nach dem Grad der Alphabetisierung noch nicht in allen Hinsichten geklärt ist, bahnt sich vorerst keine grundlegende Revision an; es erscheinen
noch Zusammenfassungender bisherigen Ergebnisse oder auch neue und
detaillierte Arbeiten zu spezifischen Gesellschaftsbereichen, aber der
Brennpunkt gilt nicht mehr der prozentualen Lesefiihigkeit in verschiedenen Gesellschaftsschichten, sondern der kulturellen Rolle der Lesef-ihigkeit.
Die Schriften von Engelsing zu Alphabetisierung und Analphabetentum waren über die 1970erJahre hinaus einflussreich, obwohl sie sich vor
allem mit der Frühen Neuzeit befassen; das Mittelalter bildet nur den
Ausgangspunkt der Betrachtungen.16In den letzten Jahrzehnten sind neuere Zusammenfassungen erschienen von Ulrich Knoop und - etwas detaillierter und mit Einzelkapiteln zu weltlichen Herrschern, Klerus, Rittern
und Kaufmannschaft - von Alfred Wendehorst; trotz der Einwände von
Rosamond McKitterick (siehe Kap. 3.1) hält Knoop noch die fränkischen
Adeligen für Analphabeten und Schriftlichkeit für die exklusive Domäne
des Klerus im Frühmittelalter. 17 Uwe Neddermeyer hat den Versuch
unternommen, das Lesepublikum vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit
hinein quantitativ zu erfassen. Die Leistung seines Doppelbands Von der
14
15
16
17
Ausführlich zur mittelalterlichen Bildungsgeschichteist Boehm: Erziehungs- und Bildungswesen;zum Lesenim bildungsgeschichtlichenKontext, S. 151-158.
Siehez. B. Grotans: Readingin Medieval St. Gall, S. 16.
Vgl. Engelsing:Analphabetentum und Lektüre, S. 1-14.
Vgl. \Vcndehorst".Wer konnte im rüttelalter lesen und schreiben?;Knoop: Entwicklung
von Literalit5t und Alphabetisierung in Deutschland.
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Sonja Glauch/Jonathan
Green
Ilaudschrift Zunigedrrukteu
Buchbesteht darin, die Diskussion um Lesefähigkeit und Buchproduktion im Mittelalter auf das Fundament einer breiten
Datenbasis zu bringen. Neddermeyers Arbeit richtet sich vor allem auf das
späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit, so dass die Jahrhunderte vor ca.
1300 außer Acht bleiben.18Neddermeyers Datenmenge bietet eine breite
Angriffsfläche und hat Anlass gegeben, die Richtigkeit der Basisdaten zu
kritisieren.19Buchbesitz und Lesepraktiken der Venezianer im Zeitraum
vor der Etablierung des Buchdrucks untersucht Anselm Fremmer anhand
einer umfassenden Quellen- und Datenauswertung.20 Weitere Einzelstudien zu geographisch oder zeitlich weniger umfangreichen Räumen, wie
sie z. B. Jocelyn N. Hillgarths Arbeit über Leser und Buchbesitz auf dem
spätmittelalterlichen Mallorca oder Helmut Gneuss' Untersuchung von
Lesestoff, Bildungswesen und Lesefähigkeit im England des 10. Jahrhunderts darstellen,21 geben zu hoffen, dass sich das Wissen über den Gesamtraum Europa zukünftig noch deutlich präzisieren und detaillieren
lässt. Vorerst haben aber qualitativ-kulturwissenschaftliche Forschungsansätzedie Führung übernommen (sieheKap. 4 u. 5).
3.1 Das Weiterleben der antiken Lesekultur im Mittelalter.
Der Einfluss der klassischenGrammatik und Rhetorik.
Man wird wenig Widerspruch erfahren, wenn man den Anfang des Mittelalters mit dem Verfall der römischen Verwaltung in Westeuropa, der Entstehung der fränkischen Nachfolgerstaaten und der Etablierung der christlichen Kirche als führender Kulturinstitution gleichsetzt. Im Blick auf die
Lesegeschichtehat die Forschung jedoch eher den Fortbestand der römischen Lesekultur während dieser Frühperiode als einen markanten Bruch
betont. Die neueren Werke von Brian Stock z. B. befassen sich vor allem
mit der Schlüsselrolle des Augustinus als Vermittler zwischen antiken und
mittelalterlichen Lesetraditionen, vor allem in Bezug auf die Rolle von
Ethik und Emotionen in der Lektüre als Methode zur Selbsterkenntnis
und Selbstdarstellung.22 In den frühen 1970ern hatte Malcolm Parkes
18
19
20
21
22
Für das späte Mittelalter siehe insbesondereNeddermeyer. Von der Handschrift, S. 163307.
Eine ausführliche Auswertung bietet Zedelmaier.Das Buch als Recheneinheit.
Vgl. Fremmer. VenezianischeBuchkultur.
Vgl. Hillgarth: Readersand Books in Majorca; Gneuss:Bücher und Leser in England im
zehntenJahrhundert.
So z. B. Stock: Augustine the Reader, Stock: After Augustine.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
373
konstatiert, dass Schriftlichkeit vom 6. bis ins 12. Jahrhundert nahezu
ausschließlich der professionellen geistlichen Schreibzunft zuzuordnen sei;
die Wende hin zu einer laikalen Lesekultur, die mit einem Wechsel vom
Latein zur Volkssprache einherging, sei erst im 12. Jahrhundert unter dem
anglonormannischen Adel erfolgt, eine wachsende Mittelschicht habe
dann die spätere Schriftlichkeit immer stärker geprägt.23McKitterick aber
trat dieser These entschieden entgegen; nach ihrer Auffassung war Lesefähigkeit nicht nur an der Spitze der fränkischen Laiengesellschaft der
Karolingerzeit zu finden, sondern auch in anderen sozialen Schichten.24
Die Schriftlichkeit des fränkischen Adels sah sie außerdem nicht als Innovation, sondern als Fortsetzung der römischen Bildungs- und Verwaltungskultur der NIero\vingerzeit. McKitterick untermauerte ihre Thesen
zur Bildung und Schriftlichkeit unter dem fränkischen Adel durch eine
Analyse von Gesetzestexten, Urkunden, Quellen zum Bücherbesitz, Bibliothekskatalogen, Studien der fränkischen Bildungstradition und literarischen Zeugnissen?s Im klösterlichen Milieu dieser Periode hat Karl Suso
Frank eine ambivalente Einstellung zum Lesen vor allem anhand monastischer Regelwerke konstatiert.26
Die Nachwirkung der antiken Bildungstradition auf die Lesekultur des
Mittelalters zeigen Arbeiten über die postantike Rhetorik. Für Rita Copeland sind Rhetorik und Hermeneutik Gegenkräfte, deren gespanntesVerhältnis schon in der Antike eine Übersetzungsliteratur hervorgebracht
hatte, aber erst im Mittelalter eine Fülle an Komplexität erreichte, als im
entscheidenden Moment der Geistesgeschichtedes Mittelalters das gelehrte Schrifttum mitsamt seiner Autorität in die volkssprachige Schriftlichkeit
übersetzt wurde.27Suzanne Reynolds zieht eine direktere Verbindung von
den gelehrten Traditionen der Rhetorik und Grammatik zur Lesegeschichte. Ihre Analyse von glossierten Horaz-Handschriften aus dem nordeuropäischen Raum des 12. Jahrhunderts betrachtet Glossen als Indizien für
neue Lesepraktiken und eine neue Lesesituation, als die Klassikerhandschriften nicht nur im Kloster, sondern nun auch im Leseunterricht gebraucht wurden. 28 Anna Grotans konnte in Readingin MedievalSt. Gall
zeigen, wie glossierte Handschriften aus dem Milieu der St. Galler Klos23
24
25
26
27
28
Parkes:Literacy of the Laity, S 276.
NfcKitterick: The Carolingiansand the Written Word, S. 271-273.
Weitere Aufsätze zur laikalen Lesefähigkeiterschienenin McKittcrick: The Uses of Literacy in Early Mediaeval Europe.
K. Frank: Lesen,Schreibenund Bücher im frühen Mönchtum.
Copeland: Rhetoric.
Siehe auch Reynolds: Reading,Literacy and Grammar in the Twelfth Century.
374
Sonja Glauch/Jonathan Green
terschule um Notker Labeo (ca. 950-1022) Verständlichkeit sowohl für
das Auge als auch für das Ohr anstreben, um den Lateinschülern die Lesepraktiken der >lectio<und >enarratio<zu ermöglichen.'
Den Wandel in der Forschungsdiskussion veranschaulicht Parkes'
Forschungsresümeeüber Lesen im frühen Mittelalter, das ein Vierteljahrhundert nach seiner Abhandlung zur Laienschriftlichkeit erschien. Nun
beschreibt Parkes das Lesen im Mittelalter gegenüber der Antike als eine
Fortsetzung der klassischen Bildung, die im Rahmen der christlichen Erziehung jedoch einem viel weiteren Kreis eröffnet wurde 30 Eine Reihe
von Veränderungen sieht Parkes als Folgen von Interferenzen zwischen
der geschriebenen Sprache der Texte und der - noch kaum geschriebenen
- Muttersprache bei christianisierten Völkern, die Latein als grundverschieden von ihren germanischen und keltischen Muttersprachen empfinden mussten. Zu den Folgen gehörten unter anderem das Aufkommen
von leisem Lesen, die ersten volkssprachigen Aufzeichnungen, die Entstehung eines von der Rede unabhängigen Textbegriffs und die Herausbildung einer >Grammatik der Lesbarkeit<,in der die Buchstabenformen
verfestigt wurden, der Gebrauch von Interpunktion sich durchsetzte und
Worte getrennt geschrieben wurden. In einem weiteren Spätwerk untersucht Parkes, wie >lectio<,>emendatio<,>enarratio<und >iudicium<sich zueinander verhalten und wie diese Praktiken der Gelehrsamkeit auf Lektürepraktiken in der Volkssprache einwirken.31
3.2 Die Umbrüche des 11./12. Jahrhunderts:
Das Spannungsfeld Kloster vs. Universität
Lässt sich der Anfang des Mittelalters zeitlich nur schwer mit Veränderungen in der Lesekultur Europas in Verbindung bringen, erweist sich
gerade das hochmittelalterliche 11./12. Jahrhundert als eine Zeit der radikalen Umbrüche. Viele Stimmen der Forschung weisen wiederholt für
diesen Zeitraum auf neue Lesergruppen (siehe Kap. 3.3-3.4), eine neue
Gestaltung des Textes (siehe Kap. 4.1) und neue Lesepraktiken hin (siehe
Kap. 4.1,4.2 und 5.2). Eine detaillierte Untersuchung der Schriftkultur in
dieser Periode liefert Stock mit The Implicationsof literacy. Von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Dlündlichkeit und Schriftlichkeit
29
30
SiehebesondersGrotans: Readingin MedievalSt.Gall, Kapitel »AfedievalReading, S. 15-47.
Parkes:Klösterliche Lektürepraktiken im Hochmittelalter, S. 138.
31
Parkes: 1-low the Anglo-Saxons read.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesideratc
375
ausgehend (siehe Kap. 5.1), erweitert Stock den binären Gegensatz mündlich - schriftlich um den Begriff von >textuality<,denn eine Kultur könne
von Texten Gebrauch machen, ohne sich die innere Logik des geschriebenen Worts zu eigen zu machen. >Schriftlichkeit<bezieht sich in diesem
dreigliedrigen Modell nicht auf das Medium der Kommunikation, sondern
auf einen Modus der Interpretation, der den Regeln des geschriebenen
Textes anstelle der mündlichen Tradition verpflichtet ist. Die Häresie- und
Reformbewegungen des 11. Jahrhunderts sind für Stock die Paradebeispiele der entstehenden europäischen Schriftkultur. 32Diese Gruppen seien
>textual communities(, das heißt Gemeinschaften, die sich in Bezug auf die
zentrale Rolle und die Interpretation eines Textes zu einem gemeinsamen
Standpunkt verpflichten; nicht jedes einzelne Mitglied der Gemeinschaft
braucht lesefähig zu sein, tatsächlich konnte in vielen Fällen als einziger
ein Textinterpret lesen, dessenAutorität von der Gemeinschaft anerkannt
wurde, so dass auch Ungebildete an einer hoch entwickelten Schriftkultur
teilnehmen konnten 33 In der erweiterten Form von >discoursecommunity( ist Stocks Begriff in den angloamerikanischen Geisteswissenschaften
allgegenwärtig geworden.31
Auf den Übergang von den Lesepraktiken des Klosters zu denen der
Universitäten wird immer wieder in lesegeschichtlichenForschungen hingewiesen, denn ihm wird der Status als grundlegendste aller Änderungen
in der Lesekultur der letzten zwei Jahrtausende eingeräumt. Etwas zugespitzt lässt sich sagen:vorher ist man nicht allzu weit von der Antike entfernt, nachher ist die Moderne sichtbar.35Die postulierten Umbrüche im
11./12. Jahrhundert und die gesellschaftlichen Formationen und Institutionen, die sie tragen oder von ihnen betroffen sind, werden in vielen
Untersuchungen behandelt, sei es chronologisch, soziologisch oder wissensorganisatorisch(siehe Kap. 4.1).
Dem Lesen zwischen Mönchtum und Scholastik widmen sich zwei
der lesegeschichtlichen Standardwerke, der Aufsatz von Jacqueline Ha-
32
Schon 1931 hatte Helga Hajdu eine Verbindung zwischen Häresie, Reform und Schriftlichkeit im Mittelalter postuliert, wenn auch vor allem in einer späteren Periode (12.
-15.
Jahrhundert) und mit einer Kargheit an Detail, die heute als oberflächliche PauschalisicFleresy und Literacy.
rung wirkt. Zuletzt zu diesem Thema: Biller/Hudson:
33
34
35
So Stock: Implications of Literacy, S. 522. Sieheauch Stock: Listening for the Text, S. 23f.
Vgl. Briggs: Literacy,S. 405.
Siehe z. B. I-Iamesse:Das scholastischeModell, S. 166;Illich: Im Neinberg des Textes, S. 1;
Grotans: Reading in Medieval St. Gall, S. 2; Curschmann: Epistemological Perspectives,
S. 7f., Clanchy: From Memory to Written Record,S. 1-3.
376
Sonja Glauch/Jonathan Green
36In fast jeder
messein Die WeltdesLesensund Illichs Im Veinbeg desTextes.
Hinsicht, so Hamesse, unterscheidet sich die klösterliche >ruminatio<von
der scholastischen >lectura<.Auch wenn weiterhin in Gemeinschaften gelesen werden konnte, so nun zu Unterrichtszwecken im Lesesaal der Universität und nicht mehr ausschließlich als spirituelle Übung im Kloster.
Der Mönch habe sich langsam, wiederholt und intensiv mit der Heiligen
Schrift befasst, während es dem Studenten um schnelle Wissensbeschaffung aus vielen Texten gegangensei. Aus diesem Grund seien Handschriften für die schnelle Informationssuche strukturiert worden, was aber auch
dazu geführt habe, dass nicht mehr das ganze Werk gründlich gelesen
worden sei, sondern nur die Schlüsselstellen, die >auctoritates<,die in
Anthologien und Kompilationen gesammelt wurden. Dem Universitätsstudenten sei es um Wissen gegangen,dem Mönch aber um Weisheit.
Erbringt Hamesse einen fundierten Überblick über die Veränderungen
in den Lektürepraktiken des Hochmittelalters sowie über ihren bildungsgeschichtlich-soziologischen und materiell-handschriftlichen Kontext, so
geht Illich von einer detaillierten, ja fast intimen Auseinandersetzung mit
einem einzigen Text und den Beziehungen und Abgrenzungen zwischen
dessen Worten und Wortfeldern aus, um einen tiefen Einblick in die sich
wandelnden Leseweisendieser Periode zu gewinnen. La WeinbergdesTextes
ist in vielen Hinsichten eine Begriffsgeschichtedes Lesens im 12. Jahrhundert anhand des um 1128 geschriebenenDidascalicon
des Hugo von St. VicAbhandlung
über
Erziehung
tor, einer
und Bildung im klösterlichen Milieu.
Im NeinbergdesTextesthematisiert Wörter, die modernen Lesern vertraut
wirken: >auctoritas<,
>studium<,>remedium<,
>disciplina<,
>persona<,
>symbolon<,
>historia<,>artes<,
>memoria<,>cogitatio<,>meditatio<,>exemplum<,>aedificatio<,
>verbum<,>scriptura<,
>littera<,>correctio<,>dictatio<,>compositio<,>philosophari<,>illuminatio<,>illustratio<,um nur einige zu nennen. Illich erläutert Hugos
Begriff der >lectio<
in der Konstellation dieser Wörter, um zu zeigen,
wie sie
Bedeutung
im klösterlichen Rahmen hatten, die in den
eine spezifische
Generationen nach Hugo verloren ging, so dass der scheinbar selbstverständliche Begriff des Lesens erstmalswortarchäologisch ausgegrabenwerden muss. Der klösterliche Vorleser, so Illich, »liest die Wörter von den
Textzeilen auf und schafft eine öffentliche, soziale Hörumgebung. Alle, die
mit dem Vorleser in diesesHörmilieu eingetaucht sind, sind vor dem Klang
der Stimme gleich. Es ist nicht von Belang, wer liest, so wie es nicht von
36
Ebenfalls erwähnenswert für das Lesen im klösterlichen Milieu sind die Aufsätze in Kasper/Schreiner. Viva vox und ratio scripta.
Lesen im Mittelalter.
Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
377
Belang ist, wer die Glocke läutet«.37 Nach fünfzig Jahren habe sich eine
gründliche Änderung schon so weitgehend vollzogen, dass der Leser nicht
mehr für die Ohren der Gruppe, sondern primär für seine eigenen Augen
liest.
3.3 Die Spannungsfelder Klerus vs. Laienstand, Latein vs. Volkssprache
und Männer vs. Frauen
Lesen und Schreiben in der Volksprache sind das ganze Mittelalter hindurch, jedoch in abnehmendem Maße, ein Randphänomen gegenüber
dem Lesen und Schreiben in der eigentlichen Sprache der Schriftkultur,
dem Lateinischen. Nachzuzeichnen, wie und in welchen Phasen die europäischen Vulgärsprachen eine eigene - literarische wie pragmatische Schriftkultur ausbilden, ist vor allem Aufgabe der jeweiligen Literaturgeschichtsschreibung. Den Versuch, dies umfassend und komparatistisch für
alle europäischen Sprachen und im Hinblick auf die institutionellen Ermöglichungsbedingungen des Schreibens darzustellen, macht Karl Bertau
2005 mit Schrift - Macht - Heiligkeit in den Literaturenderjiidisch-christlichmurlimischenMittelalters. In dieser eigenwilligen, kleinschrittigen und dennoch überblicksartigen Geschichte des Lesens und Schreibens wird sichtbar, wie ungemein wirksam die Vorgaben der etablierten Schriftkulturen
für die Entwicklung der volkssprachigen Schriftlichkeit über Jahrhunderte
hin blieben.
Die Opposition Latein vs. Volkssprache ist eng an die Opposition
Klerus vs. Laienstand gekoppelt. Bis ins 12. Jahrhundert konnte man
überhaupt das Schreiben und Lesen nur am Lateinischen lernen; und »nur
wer lateinisch lesen und schreiben gelernt hatte, konnte dann gelegentlich
auch Norte, Sätze, Verse der Volkssprachen aufzeichnen, die von allen
anderen nur gesprochen und gehört, nicht geschrieben und gelesen wurden.«38Herbert Grundmann hat in seinem fundamentalen und materialreichen Aufsatz über die Begriffsgeschichte von >litteratus<und >illitteratus<
(1958) die Auflösung dieser Koppelung im 12./13. Jahrhundert in vielen
Feldern beschrieben: Bettelorden, Laien- und Frauenfrömmigkeit, städti37
38
Übersetzt nach Illich: In the Vineyard of the Text, S. 82: ))The monastic reader [... ] picks
the words from the lines and createsa public social auditory ambience.All those who, with
the reader, are immersed in this hearing milieu are equals before the sound. It makes no
difference who reads,as it makes no difference who rings the bell«.
Grundmann: Litteratus - illitteratus, S. 4.
378
Sonja Glauch/Jonathan Green
sche und kaufmännische Kultur. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat
zu diesem Bild vor allem die Zwischen- und Überlagerungsbereiche nachgetragen, indem sie weniger nach der Lesefähigkeit des Einzelnen als der
>literacy(der Gesellschaft fragt.39Franz H. Bäuml arbeitet die Bedeutung
einer )illiterate literacy( bzw. )quasi-literacy( heraus, womit er den im Mittelalter alltäglichen Fall von lese- und lateinunkundigen Individuen - vor
allem Personen des Adels - meint, die gleichwohl vollen Zugang zur
Schriftlichkeit hatten 40
Im Zuge der starken Genderdebatte der letzten Jahrzehnte hat auch
die Erforschung der Lesekultur des Mittelalters zunehmend Unterschiede
zwischen Männern und Frauen akzentuiert. Auch dieses Spannungsfeld
steht mit der Leitopposition Latein vs. Volkssprache in Verbindung: Frauen mit profunden Lateinkenntnissen waren Ausnahmefälle; als die ihnen
allenfalls gemäße Schriftlichkeit wurde die Volkssprache empfunden. \V/eil
Frauen aus vielen Bereichen der Schriftlichkeit ausgeschlossen waren
(Klerus, Universität, professionelle Kanzleitätigkeit), sucht man die lesende Frau vor allem in der Laienspiritualität und im spätmittelalterlichen
städtischen Familienalltag. Bis zum Ende des Mittelalters beschränkt sich
Frauenlektüre und privater weiblicher Buchbesitz weitgehend auf Stundenbuch und Psalter.41\Vie Klaus Schreiner gezeigt hat, spielte die verbreitete Vorstellung der Gottesmutter als Leserin eine entscheidende Rolle
für die Bewertung der Lektürepraxis und Lesefähigkeit von Frauen: »Prediger und Theologen des Mittelalters machten Maria zum Vorbild der
lesenden Frau, das zur Nachahmung verpflichtete«.42Einzeluntersuchungen widmeten sich etwa Frauenkonventen im deutschen Sprachraum und
besonders den Schwesternbüchern südwestdeutscher Dominikanerinnenklöster,43dem England des 15. Jahrhunderts44sowie der )devotio moder45 In diesem Forschungsfeld entstanden gerade in jüngster Zeit viele
na<.
Detailstudien, auch in interdisziplinären Kontexten (siehe Kap. 5.2 zu
frauenbezogenerAndachts- und Visionsliteratur).
39
40
41
Stein: Schriftkultur, S. 149 fasst die Kritik an der zu scharfen Trennung zwischen dem
litteratus und dem illitteratus
zusammen.
Vgl. Bäuml: Varieties and Consequences.
Vgl. Signori: Die lesende Frau.
42
43
44
Schreiner.Marienverehrung, Lesekultur, Schriftlichkeit, S. 368.
Vgl. Thali: Beten- Schreiben- Lesen;Lewis: By Uromen,for women, about women.
Vgl. Krug. Reading Families, über Margaret Paston, Margaret Beaufort, Lollarden in East
Anglia und Birgittincrinnen in Syon Abbey; vgl. auch die Aufsätze des Sammelbandes
Mealc: Women and Literature in Britain, 1150-1500.
45
Vgl. Bollmann: Frauenleben und Frauenliteratur
in der Devotio
modems.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
379
Unser gegenwärtiges Verständnis der mittelalterlichen Laienschriftlichkeit als Ausnahmeerscheinung ruht auf der materiellen Grundlage der
Pergament- und Papierhandschriften, die über Jahrhunderte hinweg gesammelt und aufbewahrt wurden, sowie auf der Bezeugung von Inschriften, die im deutschsprachigenRaum erst im 13.Jahrhundert einsetzte. Die
Zufallsfunde der Archäologie können gelegentlich aber ein ganz anderes
Bild malen. Auf Holz eingeritzte Briefe von Stadtbürgern aus Nowgorod
und Bergen im Mittelalter bezeugen einen pragmatischen und selbstverständlichen Umgang mit der Schrift in Bevölkerungsschichten, die fern
von Hof und Kloster standen.46 Angesichts dessen konstatiert Clanchy,
diese Funde würfen Fragen auf, die noch nicht zu beantworten sind 47
Auch für die norddeutschen Dörfer des Spätmittelalters muss die Annahme eines nahezu ausschließlichen Analphabetentums revidiert werden.48
Ob viel mehr Menschen im Mittelalter lesen und schreiben konnten, als
die Handschriften bisher vermuten ließen, ist eine Frage, die sich erst
durch weitere Funde klären lässt. Weiterhin möglich bleibt, dass die Geschichte des volkssprachigen Lesens im Mittelalter gründlich revidiert
werden muss.49
3.4 Vom Mittelalter in die Neuzeit: Lesen in der Stadt
Den Ausgang des Mittelalters hat man genau wie seinen Anfang nach
verschiedensten Kriterien definiert, die zeitlich eine große Spannbreite
bedeuten. Eine klare Grenze lässt sich nicht ziehen, denn je eindeutiger
die Trennung zwischen Mittelalter und Neuzeit, desto heftiger lässt sie
sich anfechten. Mit der Eroberung von Konstantinopel, der Erfindung
des Buchdrucks, dem Aufkommen des Humanismus und der Reformation
dürften einige Ereignisse benannt sein, die zur Übergangsepochezwischen
dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit gehören. Just der Buchdruck scheint von den vielen )Anfängen der Neuzeit<derjenige zu sein, der
zugleich für einen genuinen Wendepunkt der Lesegeschichte zu gelten
hat, denn lange hielt man den Buchdruck für den Auslöser von leisem
Lesen als neuer Lesepraktik. Von diesem Standpunkt musste man aber
inzwischen abrücken (siehe Kap. 4.2). Obwohl der Buchdruck die Buch46
47
48
49
Vgl. Garrison: »Sendmore Socks(((mit weiterfahrender Literatur).
Clanchp: Introduction, S. 9.
Vgl. Lorenzen-Schmidt Schriftliche Elementein der dörflichen Kommunikation, S. 186f.
Vgl. Garrison: ))Sendmore Socks((,S. 99.
380
Sonja Glauch/Jonathan Green
produktion und den Buchvertrieb revolutionierte, haben neuere Arbeiten
die ehemals postulierte tiefgehende Veränderung der Lektürepraktiken als
Folge des Buchdrucks zurückgewiesen. Stattdessen stellt Helmut Zedelmaier fest, dass »die Geschichte der Lesepraktiken eine relative Eigengesetzlichkeit besitzt. Sie ist weitgehend unabhängig von den technischen
Transformationen der Buchproduktion«. -S0
Was das spätmittelalterliche Lesen von früheren Lektürepraktiken
unterscheidet, beruht also weniger auf einer neuen Technik der Buchproduktion - denn diesewirkte sich erst sehr langfristig auf die Lesepraktiken
im 15. und 16. Jahrhundert aus -, sondern vielmehr auf dem Aufblühen
der Stadt und ihrer Lebensformen im Spätmittelalter. Die Verstädterung
ist mit sozialen Entwicklungen und Grenzverwischungen verbunden, die
das Spätmittelalter kennzeichnen: neue Bildungswege eröffneten sich
Männern und Frauen außerhalb des Klosters, Latein und die Volkssprache
erschienen als gleichberechtigte und manchmal austauschbare(wenn noch
nicht gleichwertige) Sprachformen in zwei- oder mehrsprachigen Konstellationen, und es entwickelten sich neue Formen des klerikalen Lebens und
der Volksfrömmigkeit, die den bipolaren Gegensatz zwischen Klerus und
Volk durch ein Spektrum religiöser Lebensformen ersetzten.51Die Urbanisation stellte eine gründliche Umwandlung der herkömmlichen Gesellschaftsstruktur dar, die sich auch auf die Leser und die Textherstellung
auswirkte. Umso bedauerlicher, dass der Beitrag von Saengerzum Lesen
im Spätmittelalter in Die ll%!t desLesenssich vor allem mit Worttrennung
und leisem Lesen beschäftigt (siehe Kap. 4.2) sowie mit lesegeschichtlichen Innovationen, die zum Teil auch schon in anderen Kapiteln des
Buchs zu früheren Zeitperioden behandelt worden waren.52Laurel Amtowers Engaging1Vordsgreift einige wichtige Themen der spätmittelalterlichen Lesegeschichteauf, bleibt jedoch weitgehend auf Literatur und literaturwissenschaftliche Fragestellungen sowie den englischen Raum fokussiert. Da eine Gesamtdarstellung des urbanen Lesens im Spätmittelalter
fehlt, muss man Ergebnisse in anderen Beiträgen suchen.53
50
51
52
53
Zedelmaier.Lesetechniken,S. 13.
Wichtig für die Erforschung der Stadtkultur des Spätmittelalters sind die Sammelbände
Moeller/Patze/Stackmann: Studien zum städtischen Bildungswesen; Kock/Schlusemann:
1aienlektüre und Buchmarkt.
Vgl. Saenger.Lesenim Spätmittelalter.
Chrisman: Lay culture, untersucht die Lesekultur Straßburgs auf der Basis von bibliographisch-statistischenAuswertungen. Maas: Lesen - Schreiben - Schrift, stellt für die Verbreitung der Schriftlichkeit unter städtischen und kaufmännischen Schichten im Norddeutschland des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit fest, dassgesellschaftliche und
Lesenim Mittelalter. Forschungsergebnisseund Forschungsdcsiderate
381
4 Mediengeschichtliche Ansätze I:
Materielle Grundlagen des Lesens
Die Buchgeschichte und die Geschichte des Lesens sind Teil der Mediengeschichte. Das ließe sich leicht übersehen bei Medientheorien, die sich
vor allem den neuen und neuesten Medien widmen. Doch einige wenige
Wissenschaftler haben versucht, den Umgang mit dem alten Buch und mit
den Handschriften des Mittelalters in eine breit ausgelegte Mediengeschichte einzureihen. Wolfgang Raibles Medien-Kii/i rgeschichte
umgreift die
Entwicklung
der
Medien
Piktogramm
bis
Internet
gesamte
vom
zum
und
stellt sie in den Kontext einer Grundsatzdiskussion um Semiotik und die
Historiographie der Mediengeschichte. Das Werk kann deshalb nur sparsam auf lautes und leises Lesen und die Veränderungen des 12. Jahrhunderts eingehen» Werner Faulstichs mehrbändige Geschichteder Medien
würdigt das Mittelalter mit einem ganzen Band und kann darum dank
eines breiten Medienbegriffs auf Medien wie Glasfenster und Hofnarren,
aber auch auf Medien im traditionellen Sinn wie geschriebene Blätter,
Briefe und Bücher eingehen. Faulstichs idiosynkratischem Medienbegriff
ist es zuzuschreiben, dass seine ambitionierte Arbeit kontrovers aufgenommen wurde. Andere Wissenschaftler untersuchen den Umgang mit
dem Buch im Mittelalter anhand der Begriffe von >Multimedia< oder
55vor allem in Bezug auf das Zusammenwirken von Text
>Intermedialität<,
Bild
(siehe
Kap. 5.2). Auch werden die Lesewelten des Mittelalters
und
vermehrt anhand des Begriffsinventars der Kommunikationswissenschaft
analysiert.56 Das Potenzial des Mittelalters für die Mediengeschichte ist
noch lange nicht ausgeschöpftworden.
4.1 Layout und Lesen
Die Medien in unserem technologisierten Zeitalter unterliegen einem
ständigen Miniaturisierungsprozess, der dem Anschein nach in ihrer vollständigen Selbstauflösung enden müsste: man redet von dem flächende-
54
55
56
ideologischeInnovationen die bestimmendenFaktoren waren und dassder Buchdruck erst
sekundär eine Rolle spielte. Williams-Krapp: »Alles volck wil in yetziger zit lesen und
schreiben«,behandelt Einstellungenzur volkssprachigenSchriftlichkeit im 15.Jahrhundert.
Vgl. Raible:Medien-Kulturgeschichte, S. 105-109.
Siehez. B. Curschmann:EpistemologicalPerspectives;Ott: Multi-media in the Middle Ages.
Zuletzt erschienenist der Sammelbandvon Spieß:Medien der Kommunikation im Mittelalter.
382
Sonja Glauch/Jonathan Green
ckenden Ersatz des Papiers durch Elektronen, der Fernseher kommt der
Zweidimensionalität immer näher, Opas klobiges Radio verschwindet
allmählich im Gehörgang des I-Pod-Benutzers. Doch auch die neuesten
Formen der Medien werden physisch antastbare Gegenstände bleiben,
und die materielle Beschaffenheit jedes Mediums bietet Aufschlüsse über
den intendierten Gebrauch und den impliziten Wahrnehmungsmodus des
Empfängers. So auch mit dem Buch, dem Leseobjekt des Mittelalters
schlechthin. Aus der Anlage eines Manuskripts können Rückschlüsse auf
die intendierte Art der Benutzung auch dann gezogen werden, wenn es
keine Spuren einer tatsächlichen Lektüre gibt. Für literarische Handschriften des hohen Mittelalters ist dieser implizite Zugang fast der einzig mögliche, weil Lesezeugnisseweitestgehend fehlen. Zu bedenken ist dabei
allerdings, dass gerade diejenigen Exemplare, die die meisten Lesespuren
aufwiesen ()zerleseneHandschriften<), am ehesten makuliert worden sein
dürften. Repräsentationscodicessind möglicherweise auch für eine besondere Form der Lektüre angelegt worden; sie können nicht von vornherein
für die Lesekultur ihrer Entstehungszeit sprechen. Einen repräsentativen
Querschnitt werden deshalb die erhaltenen Exemplare unter dem Gesichtspunkt ihrer Leseeignung nicht bieten, so dass eine andere Argumentation als eine statistische gesucht werden muss.
Einige der einflussreichsten Arbeiten der 1970er Jahre untersuchten
Berührungspunkte zwischen dem Seitenaufbau mittelalterlicher Handschriften und den mentalen Prozessen des Informationszugangs - d. h.
Lesen -, denen die Handschriften entgegenkamen, vor allem im 13. Jahrhundert. Mary und Richard Rouse verfassten von den 1970ern bis in die
1990er mehrere Aufsätze, die sich nicht nur mit Änderungen im Aufbau
und Layout des Codex auseinandersetzten,sondern auch mit den Implikationen für den Gebrauch von solchen Codices.57Nach ihrer Analyse hingen z. B. das alphabetisierte Themenregister, die Bibelkonkordanz und der
Bücherkatalog mit dem Aufkommen von drei Technologien der Informationsbeschaffung zusammen: dem Alphabet als ordnungsstiftendem System, der arabischen Ziffer und der Kapiteleinteilung. Diese Innovationen
seien den Bedürfnissen neuer Textgebrauchssituationen entgegengekommen, vor allem unter Predigern und Universitätsangehörigen, die darüber
hinaus mit einer neuen Einstellung zum Text zusammenhingen: Einzelne
Kapitel eines Werks reichten nicht mehr aus, das ganze Oeuvre musste
man heranziehen, aber zugleich sich rasch einen Überblick schaffen und
57
Die gesammeltenAufsätze von Rouse/Rouse: Authentic Witnesses.
Lesen im Mittelalter.
Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
383
schnell Zugang zu einem beliebigen Abschnitt finden können. Dieselben
Neuerungen im Handschriftenlayout des 13. Jahrhunderts untersuchte
Parkes unter der Rubrik von >ordinatio<und >compilatio<,
58aber auch, wie
Rouse/Rouse, bezüglich des Übergangs von monastischen zu scholastischen Lesepraktiken (siehe auch Kap. 3.3). Auch wenn sich das Alphabet
als wissensorganisatorischesOrdnungsprinzip schon während des Hochmittelalters unter gebildeten Handschriftenschreibern und -lesern durchsetzen konnte, mussten Drucker noch im späten 15. Jahrhundert ihren
Lesern das alphabetisierte Register sowie seine Handhabung zur schnellen
Informationsfindung erklären, beispielsweisein einer Straßburger Ausgabe
59 Es ist das Verdienst von
von Werner Rolewincks Fanicnltts tenrpontnr.
Illich und Barry Sanders in Das Denkenlernt schreiben,
die allmähliche Verbreitung dieser und anderer Innovationen unter breiteren Bevölkerungsschichten sowie deren Auswirkungen auf populäre Denkformen verfolgt
zu haben.
Dass die Analyse des Handschriftenlayouts für die Lesegeschichte äußerst fruchtbar sein kann, erkennt man in der fortgesetzten Bezugnahme
auf die frühen Aufsätze von Parkes und von Rouse/Rouse, die vor fast
bzw. mehr als 30 Jahren veröffentlicht worden sind. Barbara Frank bietet
eine klar strukturierte Übersicht über die semiotische Wirksamkeit der
Seitengestaltung im Mittelalter und erweitert das Untersuchungsspektrum
um die romanischen Volkssprachen.GOIhr Hauptinteresse gilt primär dem
Schreiben, aber ihre Forschung nimmt auch Bezug auf die Gebrauchssituation. Die primäre Ausrichtung auf die Schriftproduktion ist nicht untypisch für Arbeiten in den Fußstapfen von Rouse/Rouse und Parkes; es
fehlt nicht an fundierten und grundlegenden Arbeiten zum Layout in Bezug auf Handschriftenproduktion und Schriftkultur, 61aber ein spezifisches
Eingehen auf das Verhältnis Layout - Lesen im mittelalterlichen Buch ist
seltener.
Nigel Palmer hat Handschriftenlayout und Lesen in einer anderen
Hinsicht aufeinander bezogen, wobei er nicht auf Wissensorganisation
und Kognitionsprozesse eingeht, sondern eine ältere ForschungsdiskusVgl. Parkes:The Influence of the Concepts.
Rolewinck, Werner. Fasciculus temporum [Deutsch] Eyn burdlin der zeyt [Straßburg:
Johann Prüß, nach dem 7. Nov. 1492].ISTC ir00282000;HC 6940*.
60 B. Frank: Die Textgestalt als Zeichen, insbesondereS. 88-94; eine knappe Zusammenfassung des Werks ist B. Frank: Zur Ent icklung der graphischen Präsentation mittelalterlicher Texte. Zum Thema siehe auch Raible:Semiotik der Textgestalt.
61 Hervorzuheben sind Gumberr. Zur »Typographie«der geschriebenenSeite; Palmer. Kapitel und Buch; Parkes:Pauseand Effect.
58
59
384
Sonja Glauch/Jonathan Green
sion um die Aufführungspraktiken der deutschen Literatur des Mittelalters
wieder aufnimmt. Den Gebrauch von Interpunktionszeichen nach dem
Muster der lateinischen liturgischen Handschriften sowie die Verwendung
von liturgischen Formeln wie >Amen<und >Tu autem< in volkssprachigen
Handschriften des 12. und frühen 13. Jahrhunderts interpretiert Palmer
vorsichtig als Hinweis darauf, dass diese Handschriften der Gebrauchssituation des öffentlichen Vortrags mit Gesangs- oder Sprechstimme entgegenkamen. Auch der Übergang zu abgesetzten Versen bei gereimten
Texten in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hänge mit einer neuen
Auffassung der sprachlichen Struktur der erzählenden Verstexte zusammen, indem der poetische Text nicht mehr als eine ungebrochene Serie
von Kurzzeilen wahrgenommen, sondern als Zusammenspiel von gereimten Zweizeilern und Textsyntax visuell dargestellt wurde G2
4.2 Interpunktion, Spatium und die Kontroverse um leises Lesen
Etliche Beiträge zur Forschungsdiskussion um Layout und Lesen beziehen Stellung in einem andauernden wissenschaftlichen Streit über Saenbelween
117ords.
Seine breit rezipierte, zuerst in den 1970er
gers Buch Spaces
frühen
1980er
Jahren
und
vorgestellte und bis zur Buchveröffentlichung
im Jahre 1997 weiter ausgearbeitete These besagt, dass nicht erst der
Buchdruck im 15. Jahrhundert, sondern schon der allmähliche Übergang
von der >scriptura continua( der Antike und des frühen Mittelalters zur
Worttrennung mittels Leerraum ab dem B. Jahrhundert das leise Lesen
ermöglichte sowie weitreichende Veränderungen in seinem Gefolge hatte.
Die endgültige Durchsetzung der Worttrennung gehöre zu den wesentlichen Innovationen in der Schriftkultur des 12. Jahrhunderts. Die Worttrennung durch Spatium habe nicht nur das leise Lesen begünstigt, sondern auch eine neue Nähe zwischen Autor, Buch und Leser gestiftet, in
deren Folge das Diktat als bevorzugter Modus der Textkomposition durch
die eigenhändigeNiederschrift des Autors verdrängt wurde. Nicht wenige
Wissenschaftler haben SaengersThesen begrüßt, z. B. hat Andrew Taylor
dargestellt, inwiefern leisesLesen und die Anlage architektonischer Privaträume die Verbreitung von meditativen Praktiken der Andachtslektüre
förderte.63Wie jedes bahnbrechende Werk hat Spacesbetween
Wordsgegen-
62
63
Palmer. Manuscripts for Reading,S. 90f.
Taylor. Into his SecretChamber,S. 43.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
385
sätzliche Kritik erfahren, einmal, weil es seine Schlussfolgerungen übertreibe, dann wieder, weil es sich in dieser Hinsicht zu sehr zurückhalte 64
Nicht selten hat man kritisch eingewendet, dass Formen der Worttrennung schon in der Antike geläufig waren. Dieser Kritik war Saenger
zuvorgekommen, indem er auf die Worttrennung in nichtwestlichen
Schreibsystemen eingeht und auf die besondere Funktion des Leerraums
als \Vorttrennungszeichen hinweist: nur das Spatium ermögliche das rasche Erkennen eines ganzen Worts anhand seines äußeren Umrisses, der
sogenannten )Bouma-Form , während die Worttrennung durch Trennungszeichen dies nicht gewährleiste. Die visuelle Wahrnehmung der
Wortgrenze beim Lesen ist für Saenger ein Schlüsselargument, das die
Einbeziehung von Erkenntnissen aus der Lesepädagogik und der Neuropsychologie verlangt, und gerade darin setzt Spacesbehveenll%rds neue
Maßstäbe; auch die Lesegeschichtedes Mittelalters darf die moderne Neuro- und Kognitionsforschung nicht mehr ignorieren.
Andererseits könnte ausgerechnet die Einbindung der Neuropsychologie für SaengersArgument zur Achillesferse werden, denn der derzeitige
Stand der Forschung in der Lesepsychologie spricht dem äußeren Umriss
des Worts eine viel geringere Bedeutung für die Worterkennung zu, als
Saenger sie für seine Thesen zur Rolle der Worttrennung voraussetzt.
Nach Saengerheißt Befassung mit der Lesegeschichte des lMIittelaltersvor
allem Befassung mit der Entwicklung der optischen Gestalt der Wörter,
denn sie sei der Auslöser gewesen für die einschneidendsteVeränderung
im Verhältnis des Lesers zum Buch seit der Antike und die Voraussetzung
für den modernen Lesevorgang.65Aber die Schlüsselrolle der Wortform
im Leseprozess war immer kontrovers, und man hat zu Recht beklagt,
dass Saengerkeine neue einschlägige Literatur zitiert. 1984 wurde die Bedeutung der )Bouma-Form< als Faktor im Lesevorgang experimentell in
hohem Maße infragegestellt.66Diese Skepsis hat den \Veg in die Handbücher gefunden: »Die Worterkennung basiert [... ] nicht auf einem ganzheit-
64
Vgl. Hanna: Rezension.
65
Sacngec Spaces between Words, S. 18-20: While the paleographer's principal focus has
been on the classification of individual letter forms, the student of the history of reading in
the medieval \Vest is primarily concerned with the evolution of word shape, and letter
forms are important only to the degree that they play a role in determining that shape((;
))Thus the most crucial change in the relationship of the reader to the book from antiquity
to modern times was the consequence of the medieval evolutionary process through which
space w^as introduced into text. This change ... produced word shape, the prerequisite for
the modern reading process. ((
66
Vgl. Paap/Newsome/Noel: Word Shape'sin Poor Shape.
386
Sonja Glauch/Jonathan Green
lichen visuellen Mustererkennungsmodell«67;»overall word shape plays no
important role in visual word recognition«68. Stattdessen hat die Lesepsychologie in den letzten Jahrzehnten vor allem Lesemodelle entwickelt,
nach denen die visuelle Wahrnehmung der einzelnen Buchstabenteile erst
in Zusammenarbeit mit semantischen, morphologischen und phonologischen Verarbeitungssystemen zur Worterkennung führt. 69Die Erkenntnisse der neueren Lesepsychologie relativieren also die Bedeutung des
Spatiums, das in SaengersArbeit eine gewichtige Rolle spielt. Dass Saengers Thesen zum Teil revidiert werden müssen, mindert keineswegs die
Richtigkeit und Wichtigkeit seiner Einsicht, dass die Erkenntnisse der
Kognitionswissenschaften und der Paläographie sich ergänzen können
und müssen.
4.3 bfarginalienforschung
Erweitert man den Lesebegriff von der engen Bedeutung des mechanischen Buchstabierensauf alle Prozesseder Sinnbildung durch den Leser,7°
so eröffnen sich neue Möglichkeiten für eine historische und zugleich
empirische Leseforschung, wenn diese sich mit Spuren befasst, die Lektüre und sonstiger Buchgebrauch am Buchkörper selber hinterlassen haben.
Michel de Certeau hat die Wege des modernen Lesers durch seine Texte
mit den Spaziergängendes Flaneurs durch die Stadt verglichen: ein Buch,
ein Text, auch eine Stadt geben eine feste Struktur vor, aber den Weg
durch Häuser- und Textzeilen bestimmt der Mensch nach eigenem Ermessen und im Dienst seiner eigenen Zwecke.7' Für de Certeau ist das
Lesen frei, es wird nicht vom Verfasser oder durch den Text bestimmt,
sondern der Leser selbst erschafft das Buch und seine Bedeutung. »Die
Geschichte der Reisen des Menschen durch seine
eigenen Texte bleibt
zum größten Teil unbekannt«72,so de Certeau; der Marginalienforschung
67
Christmann/Groeben: PsychologiedesLesens,S. 149.
68
69
Pollatsek/Lesch: The Perception of Words and Letters, S. 961.
Lupker. Visual Word Recognition, fasst den derzeitigen Forschungsstand zusammen.
70
71
72
Wie z. B. in den Definitionen des Lesensbei Jäger. Leser,S. 5 und Schön: Geschichte des
Lesens,S. 406; sieheauch Gauger.Geschichtedes Lesens,S. 67.
So de Certeau: Kunst des Handelns,S. 297-301. Konkrete Indizien für diese)flanierende(
Art desLesenin der Frühen Neuzeit beschreibtJ. Green: Marginalien und Leserforschung,
S. 216-233, anhand Lesespurenin der SchedelschenWeltchronik. Gegen die Auffassung
von Texten als »authoritativc maps«für passive Leser im Mittelalter argumentiert Carruthers:The Book of Memory, S. 186.
Ccrteau: Kunst des Handelns, S. 301.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesidcrate
387
kommt es zu, die von diesen Reisen verbliebenen Spuren aufzusuchen
und somit einen einmal durchlaufenen Weg zu rekonstruieren.
Die Grundsatzdiskussionen darüber, welche Fragen eine historische
und trotzdem empirische Geschichte des Lesens sich stellen muss, wenn
die Lesegeschichte mehr als eine Sozialgeschichte des Lesens oder eine
Textgeschichte sein will (siehe Kap. 2), lassendaher die Untersuchung des
Buchkörpers als einen aussichtsreichen Weg erscheinen, um auswertbare
Spuren eines früheren Lesevorgangs zu finden. Dieser lesegeschichtliche
Ansatz bleibt aber zu einem gewissen Grad umstritten. Als Antwort auf
Schlieben-Langes Überlegungen schlägt Chartier eine Methodik vor, die
sich vor allem mit den durch das Buchlayout implizierten Lesepraktiken
befasst, denn Chartier zweifelt daran, dass eine ausreichende Quellenbasis
vorhanden sei, um die tatsächlichen Leseweisenrealer Leser zurückgewinnen zu können; die vielfachen Praktiken der realen Leser vergangener
Jahrhunderte seien für immer unzugänglich73 Bei der Untersuchung von
Randnotizen ist die Spurensicherung tatsächlich mühevoll und die Interpretation schwierig und oft nicht eindeutig, aber man muss doch fragen:
wenn die Analyse des gelesenenObjekts anerkanntermaßen sinnvoll und
wichtig ist, kommt es dann nicht einer Kapitulation gleich, die Spuren des
realen Lesers dabei auszuklammern? Dass die Lektüre allein oder weitgehend vom Text bestimmt und gesteuert werde, wird heute kaum vertreten;
die l\Etwirkung des Lesers an der Bedeutungskonstruktion ist ein Gemeinplatz geworden. Für das Buchlayout gilt ähnliches. So wie der Stadtplan mögliche Wege zwischen zwei Punkten, nicht aber den tatsächlichen
Weg eines einzelnen Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreibt, kann die Analyse von Buchlayout und Seitengestaltung Aufschluss darüber geben, welche Lesepraktiken als dem Text geeignet empfunden wurden, aber nicht über den eigentlichen Gebrauch eines Codex.
Dass ein Text eine bestimmte Lesepraktik nahelegt oder dass eine Handschrift besonders auf eine Zugangsmethode zugerichtet ist, muss nicht
bedeuten, dass reale Leser diesem Angebot tatsächlich gefolgt sind. Marginalienforschung als lesegeschichtlicher Forschungsansatz kann zumindest zeigen, dass das implizierte Lesen eines Buchs genau so viel oder so
wenig mit den vielfältigen tatsächlichen Lesepraktiken zur Deckung
kommt wie der implizite Leser einesTextes mit den realen Lesern.
Stellvertretend für andere verwirft Anthony Grafton die Resignation
vor der Flüchtigkeit des Lesens mit einem Hinweis auf die größtenteils
73
Charticr. Ist eine Geschichte desLesensmöglich?, S. 265.
388
Sonja Glauch/Jonathan
Grecn
noch unausgeschöpften Möglichkeiten der Marginalienforschung und der
Erforschung von Randnotizen und anderen Lesespuren, wie sie viele Leser des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in ihren Büchern hinterließen.74In Randnotizen kann man Leserreaktionen in einer Fülle und Vielfalt ohnegleichen finden. Trotzdem eröffnen Marginalien keinen unmittelbaren Blick auf die Praktiken und Reaktionen eines Lesers. Auch das
Marginalienschreiben ist kein spontanes Tun, sondern unterliegt einer
kulturellen Tradition75 und muss im Rahmen seines kulturellen Umfelds
interpretiert werden. Außerdem sollten die Grenzen des Ansatzes im Bewusstsein bleiben: wo es verpönt oder verboten wird, in Bücher zu
schreiben, findet man wenig oder nur vereinzelte iIarginalien. 76
Einen konkreten Vorschlag zur Auswertung von Marginalien macht
Gerd Dicke, für den auch die einfachsten Anstreichungen eine Bedeutung
gewinnen können: »Ausgewertet nach der Häufigkeit ihres Erscheinens
neben bestimmten Texten oder Textpassagen, informieren diese Markierungen verläßlich über die >Brennpunkte< des Leserinteresses [...]«.77 Das
heißt, in der Masse der Marginalien kann man die Meinung der Massen zu
den einzelnen Passagen eines Buchs finden. Henrik Otto
vertritt einen
anderen Ansatz, wenn er Randnotizen und Gebrauchspuren in frühen
Tauler-Editionen untersucht, um die Rezeption des Mystikers und Predigers in der Frühen Neuzeit anhand von empirischen Zeugnissen des Lesevorgangs zu erforschen. 78Wenn man aber Einsicht in mehr als >Interesse für bestimmte Themen< bekommen will, wenn es um Lesepraktiken
und die Wege des Menschen durch das Buch geht, muss man statt der
Masse den Einzelnen betrachten; für vergangene Jahrhunderte liefern
vfarginalien nicht immer die sichersten, sehr oft jedoch die einzigen Spuren. Vorbildhaft
für die Erforschung des alten Buchs als Leseartefakt sind
Aufsätze
in der Sammlung De caßtu lectoris. Hans Lülfings
auch mehrere
Einstellung zum Quellenwert von Marginalien mag als stellvertretend für
die anderen Aufsätze gelten: \YVenn
»
sich die Marginalien später bei wechselnden Besitzern oder Benutzern mit der Zeit fortsetzten oder anreicherten, können sie über das nächstliegende provenienz- und bibliotheksgeschichtliche Interesse hinaus von der geistigen Arbeit der Leser, vom
Ideenwandel im Gange neuerer Epochen und Bestrebungen zeugen. [... ]
74
75
76
Grafton: Is the History of Readinga Marginal Enterprise?,S. 155.
Wie Jackson:Marginalia,vor allem für englischeBücher vom 18.20. Jahrhundertgezeigthat.
Vgl. Taylor. Into his SecretChamber, S. 51f.
77
78
Dicke: Heinrich Steinhöwels »Esopus<cund seine Fortsetzer, S. 341.
Otto: Vor- und Frühreformatorische Tauler-Rezeption.
Lesen im Mittelalter. Forschungsergebnisse und Forschungsdesiderate
389
Die Erfahrungen der Leser bei der Rezeption der Überlieferung und die
Ansätze der damit beginnenden Variation können erkennbar werden« 79
.
Wolfgang Milde hat an anderer Stelle einen Vorschlag zu einer dreistufigen Methode gemacht, die die Untersuchung des Textes und der Marginalien, die Ermittlung von biographischen Daten über Leser und Buchbesitzer und die Erschließung des kulturellen Kontexts des Buchs und der
gesellschaftlichen Stellung des Lesers vorsieht.80 Generell sind es meist
Forschungen zur Lesekultur der Frühen Neuzeit, die sich mit Marginalien
und Lesespuren auseinandersetzen,und die Mehrzahl der Beiträge in De
captulectorisbefassen sich mit Druckwerken. Trotzdem bildet der Sammelband eine Brücke zwischen den Forschungsansätzen zum ausgehenden
Mittelalter und zur Frühen Neuzeit, denn die Aufsätze behandeln das
Buch nicht als Massenware für ein anonymes Publikum, sondern als den
konkreten Gegenstand der Beschäftigung eines Individuums 81
Den Skeptikern zum Trotz entwickeln auch Mediävisten empirisches
Interesse an Lesepraktiken und Lesespuren. So wie die Sprach- und die
Literaturgeschichte sich schon lange mit Handschriften befasst hatten, bevor die Seitengestaltung lesegeschichtlich erschlossen wurde, so werden
auch jetzt neue Möglichkeiten in dem alten Feld der Glossenforschung
entdeckt. So zieht z. B. Sylvia Huot die Handschriften des altfranzösischen
Remandela Roseheran, um u. a. aus Randnotizen und anderen Gebrauchspuren zu erschließen,wie das Gedicht im (Mittelalter verstanden wurde,
welche Passagenbesondere Reaktionen auslösten und wie die Leser den
Text einordneten8' Eamon Duffy analysiertLesespurenin Stundenbüchern
im Kontext der Entwicklung einer Privatsphäre und einer individuellen
Verinnerlichung der Religion im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit.83Mary Carruthers beschreibt die Ränder einer Handschrift als den Ort,
wo die )memoria<des Lesers sich am aktivsten entfalten kann, für Michael
Camille sind die Ränder ein Ort der Auseinandersetzung und Berührung
zwischen Körper und Geist.84Die Beschäftigung mit Annotationen ermöglicht, so Stephen Nichols, die Betrachtung der mittelalterlichen Literatur
nicht als ahistorischen Text, sondern als Kulturartefakt im Kontext der vorgutenberg'schen Materialität.85John Dagenais' Studie TheEthics of Readingin
79
80
81
82
83
84
85
Lülfing: Textüberlieferung - Mtarginalienforschung- Literxrgeschichte,S. 193.
Vgl. Milde: Metamorphosen,S. 29.
Vgl. Dulde: De captu lectoris, S. 25. Weiter dazu: Milde: Metamorphosen.
Vgl. I-luot: The Romanceof the Rose and its Medieval Readers,S. 8.
Duff,: Marking the Hours.
Vgl. Carruthers:The Book of Memory, S. 245; Camille: Glossing the Flesh,S. 246.
Nichols: On the Sociology of Medieval Manuscript Annotation, S. 47.
390
Sonja Glauch/Jonathan Green
MararscrißtCulture.GlossingtheIibro de Goenanlor,die nicht nur in der Romanistik Aufmerksamkeit gefunden hat, setzt sich ein doppeltes Ziel. Zum
einen stellt sie das Lesen im Mittelalter unter den Begriff der Ethik und
zeichnet an einer didaktischen Schrift des Spätmittelaltersden Prozess eines
Lesens nach, das urteilend, wählend, Stellung beziehend und persönlichen
Nutzen schöpfend sich ständig auf das soziale Wertesystem rückbezieht.
Zum anderen sucht Dagenais das Lesen anstatt des Schreibensals das zentrale Paradigma fair die Schriftlichkeit des Mittelalters zu etablieren und
einen Textualitätsbegriff zu entwerfen, der die physisch konkrete Einzigartigkeit jedesManuskripts in Analogie zur Unwiederholbarkeit der mündlichen Aufführung stellt. Für Dagenais bieten Glossen und Randnotizen
nicht nur Hinweise darauf, wie Leser im Mittelalter aktiv an der Sinngestaltung teilnahmen, sondern die Marginalien sind physische Reste des Lesevorgangs selber.86Diese und andere Beiträge tragen dazu bei, dass die Seitenränder der Handschrift in den letzten Jahrzehnten nicht mehr als theoretische Leerräume betrachtet werden, sondern als Neuland der Literaturwissenschafterschlossenworden sind.
5 Mediengeschichtliche Ansätze II: Lesen als Kulturtechnik
Das Mittelalter ist für die Mediengeschichtedeswegenvon Belang und Interesse,weil sich in ihm ein Umbruch von einer allein im mündlichen Medium kommunizierenden Kultur zu einer >schriftlichen<Kultur vollzogen
hat. Die übergeordneteFragestellung,wie nämlich der Mensch zum Schreiben und Lesen kam, die in den Überschneidungsbereichenvon Literaturund Kulturtheorie, Literatur- und Kulturgeschichte liegt, ist Gegenstand
einer Reihe von wegweisendenUntersuchungen aus verschiedenen historischen Disziplinen, die zum Teil schon vor dem Berichtszeitraum dieses
Beitrags erschienen sind, wie die von Marshall McLuhan und Eric Havelock. Einflussreich war vor allem die Erkenntnis, dass Schriftlichkeit keine
äußerlich hinzutretende neue Kulturtechnik war, sondern dass sie das
Selbst-und Weltverständnis des Menschen in einschneidenderWeise transformiert habe. Geschriebenes und gelesenesWissen sei grundlegend verschieden von gehörtem Wissen und begründe ganz neu- und andersartige
Kommunikations- und Gesellschaftsstrukturen.Dasselbe gelte für Textualität, Episteme und kollektives wie individuelles Gedächtnis, die einer Ge86
So Dagenais:The Ethics of Readingin Manuscript Culture, S. 27.
Lesenim Mittelalter. Forschungsergebnisseund Forschungsdesidcrate
391
meinschaft zur Verfügung stehen. Der AuRveis des epistemischen Bruchs
zwischen einem oralen und einem literaten Kulturzustand verbindet sich
vor allem mit den Namen TMIilmanParry, Albert Lord, Havelock, Jack Goody und Ong, deren einflussreicheStudien meist nicht mehr in den zeitlichen
Rahmen dieses Berichts fallen. Die Diskussion um Mündlichkeit und
Schriftlichkeit und die Erfindung der Schrift als Kulturtechnologie erreichte
1982 einen vorläufigen Höhepunkt mit Ongs Oraliti, and Literaa Seither ist
die Diskussion auch bemüht, die Ideologielastigkeit und binäre Logik des
)greatdivide( zu relativieren.87Joyce Colemanweist etwa darauf hin, dassder
mündliche Vortrag in der volkssprachigen literarischen Kultur weniger als
ein Übergangsbehelfgegen eine eingeschränkteLesefähigkeit gewertet werden dürfe, sondern dass man vielmehr noch im 14. Jahrhundert zumindest
88
am Hof vorlesen ließ, weil man esgenoss
Ablösung einer oral-visuellen
die
Neuzeit
der
breiten
Dass erst
mit
durch eine literate Kultur einherging, dürfte zu den Gemeinplätzen der
Kulturgeschichte gehören. Das Spezifikum der vorneuzeitlichen medialen
Kultur besteht mithin darin, dass die Schrift und das Lesen in spannungsvollen Wechselbeziehungen mit der oral-auralen Vermittlung und der
diesen Kontext
visuellen Rezeption von kulturellen Inhalten stehen.89In
Sinn die
gehören Arbeiten, die in einem primär bildungsgeschichtlichen
lesefähige
Laiengesellschaft
Rolle des Bilds als eines )Buchs<für die nicht
thematisieren.90 Michael Curschmann, der beide Wechselbeziehungen in
dem die
wichtigen Aufsätzen beleuchtet hat,91betont, dass»der Prozeß, in
Volkssprache in zunehmendem Umfang zur Schriftlichkeit übergeht, an
der Wurzel ebenso wie in der weiteren Verzweigung eng mit einem Bedürfnis nach Visualisierung zusammenhängt.«92Dementsprechend breit
angelegt sind die Fragestellungen, die das Lesen in diesem Hinblick thematisieren.
87
88
89
90
91
92
Vgl. Goetsch: Der Übergangvon Mündlichkeit zu Schriftlichkeit.
Coleman: Public Readingand the ReadingPublic.
Bäuml: Autorität und Performanz (mit Literatur), handelt überblicksartig über die Abhängigkeit beider Medien (Bild und geschriebenerText) von mündlicher Performanz.
Curschmann: Pictura laicorum litteratura?;Camille: Seeingand Reading; Duggan: \Vas Art
Really the 'Book of the Illiterate(?, nimmt an, dass es als selbstverständlichgalt, dassdie
Bilder den Analphabeten durch einen Leser oder Erzähler erläutert werden mussten;
Schupp: Pict-Orales, befragt die Möglichkeiten der Vermittlung höfischer Erzählstoffe, die
von freiem Nacherzählenund insbesonderevon Wandmalereienund Bildteppichen ausgegangen sein könnte.
Curschmann: Pictura laicorum litteratura?; Curschmann: Hören - Lesen - Sehen; Curschmann: Wort - Schrift - Bild.
Curschmann: \WWort-Schrift - Bild, S. 380.
392
Sonja Glauch/Jonathan Green
5.1 'Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Mit den Begriffen Mündlichkeit Oorality<) und Schriftlichkeit Oliteracy<)
werden verschiedene Ebenen eines kulturellen Spannungsfeldsbezeichnet.
Dies ist der Klarheit der Diskussion nicht immer zuträglich. \VVulfOesterreichers begriffliche Unterscheidung von Verschriftung (Übergang vom
phonischen zum graphischen Medium) und Verschriftlichung (Übergang
von konzeptionell mündlicher Äußerung zu konzeptionell schriftlicher
Äußerung) hat hier zur Klärung beigetragen.93Neben der medialen und
der konzeptuellen Schriftlichkeit wäre als dritte Ebene Schriftlichkeit als
Kulturzustand und -phase anzusetzen, die die mündliche Traditionskultur
nichtalphabetisierter Gesellschaften von Schriftkulturen unterscheidet. Im
Hinblick auf das europäische Mittelalter, das weder als eine rein orale
noch als eine ausgeprägt schriftliche Kultur gelten kann, wurden zahlreiche Versuche unternommen, den historisch spezifischen Zwischenzustand und die funktionalen Differenzen zwischen mündlichen und schriftlichen Kommunikationsformen zu beschreiben und terminologisch sowie
medientheoretisch zu fassen.94 Man hat von Semi-Oralität gesprochen,
von »quasi-literacy« (Bäuml), »group literacy« (Curschmann), »textuality«
(Stock) sowie von einem »intermediate
mode of reception« (D. Green).
Terminologisch einflussreich war auch Ursula Schaefers Vorschlag, die
mittelalterliche Amalgamierung von mündlicher und schriftlicher Zirkulation von Wissensbeständen nicht als Oralität - dieser Begriff solle vorschriftlichen Kulturen vorbehalten bleiben -, sondern, mit einem Begriff
Paul Zumthors, als Vokalität zu bezeichnen 9s
Die Beschäftigung mit der >Mündlichkeit<des mittelalterlichen Textes
hat mit der )oral-formulaic theory( und dem
>unfestenText< ()mouvance<)
zwei Paradigmen hervorgebracht, die trotz ihrer enormen Tragweite hier
ausgeblendet werden müssen, weil sie stärker mit der Produktion von
Texten bzw. mit dem Begriff des Textes überhaupt als mit ihrer Rezeption
befasst sind.
>Mündlichkeit und Schriftlichkeit< sind für die Frage des mittelalterlichen Lesens vor allem in einer Hinsicht thematisiert worden: inwieweit die
Handschriften bereits vorwiegend visuell, individuell und fern von der
Gemeinschaft rezipiert wurden ()gelesen(im modernen Sinne) oder in93
94
95
Oesterreicher.»Verschriftungaund »Verschriftlichung<c.
Überblicksartig D. Green: Orality and Reading.
Vor allem Schaefer. VokaIität. Einen Abriss der jüngeren Terminologiegeschichte
gibt
Schaefer.Zum Problem der Mündlichkeit.
Lesenim \Gttelalter. Forschungsergebnisseund Forschungsdesiderate
393
wieweit sie noch in eine Performanzkultur und ein Gemeinschaftserlebnis
integriert waren, d. h. ihre Lektüre der laute Vortrag vor einer Zuhörerschaft war. Damit hängt die Frage zusammen, welche Textsorten (Lyrik,
Epik) und Textformen (Vers, Prosa) in welchen Zeiträumen auf welche
Rezeptionsweise abzielten. In der Germanistik hat sich gegenüber der
einhelligen Meinung der älteren Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts - mittelalterliche Dichtung sei Hördichtung, d. h. ihre Mündlichkeit sei, wenn auch schriftkonserviert, authentisch96- in den letzten
Jahrzehnten eine starke Tendenz zur >Literarisierung<bemerkbar gemacht.97 Vor allem in der materialreichen Studie von Manfred Scholz
(Hören und Lesen,1980) bildet sich dieser Umschwung ab. Scholz' Interpretation der Belege, die den öffentlichen Vortrag von geschriebenen Texten
zu wenig ins Kalkül zieht, hat jedoch Kritik erfahren98und wurde in vielem von Dennis H. Greens Monographie Medieial Lirteuing and Reading
(1996) korrigiert. Außerhalb der Germanistik sind allerdings seit je die
Stimmen lauter, die die >longe duree< der Rezitationskultur betonen: so
beispielsweise Schaefer99und Zumthor100, der betonte, »daß in der europäischen Tradition jeder dichterisch-fiktive Text vor dem 15. Jahrhundert
Überlieferung beruht« und »jeder Umgang mit dem Text
auf mündlicher
[...] als Performanz
aufgefaßt werden«101muss. Auch die mediengekulturwissenschaftlich
ausgerichtete germanistische Forschichtlich und
schung betont, dass die Literatur größtenteils durch Vorlesen ihr Publikum erreichte, und rückt den Begriff der Performanz stärker in den Mittelpunk-t.'()2
Das Mittelalter als eine Zeit des Übergangs zur Schriftlichkeit kann
dabei nicht statisch gesehen werden. D. Green weist darauf hin, dass der
epochale mediale Umbruch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts,
jener »switch from the acoustic to the visual dimension«103nicht quasi
96
97
98
99
Literaturbericht bei Scholz: Hören und Lesen,S. 14-34.
Das Lesen gegenüber dem Hören vertritt im Bereich der mittelhochdeutschen Lyrik besonders exponiert Cramer..\Vaz hilfet äne sinne kunst?
Vgl. Kartschoke: Rezension; Lebsanft: Hören und Lesen (aus romanistischer Perspektive);
D. Green: On the Primary Reception; Curschmann: Hören - Sehen - Lesen, S. 220-225.
Schaefer-. Vokalität.
100 Zumthoc La lettre et la voix.
Mittelalterlicher »Stil«,S. 484.
101 "Zumthoc".
102 Als Studienzu einereinzelnenTextgattungseienhier noch en-,ahnt:Gruben Singenund Schreiben,der an der provenzalischenLyrik des 12.Jahrhundertszeigt,welcheBedeutungdem Einhören und Einsingenals Aneignungsformzugekommensein dürfte, sowie Riegen»Scnesbrcu dc
der dagegenstärkerfür die Schriftlichkeitder provenzalischenLyrik votiert.
parguamina«c>,
103 D. Green: Orality and Reading,S. 279.
394
Sonja Glauch/Jonathan
Green
über Nacht eingetreten sein kann, sondern dass der Erfolg des gedruckten
Buchs sich schon lange zuvor in der zunehmenden Lesefähigkeit und
Lesebereitschaft eines spätmittelalterlichen Laienpublikums vorbereitet
haben muss.104
5.2 Lesen und Sehen, Text und Bild.
Lesen als Aspekt der nrisuellen Kultur( des Mittelalters
Das Verhältnis von Text und Bild in der mittelalterlichen Manuskriptkultur ist seit längerem ein zentraler Gegenstand der mediävistischen Forschung. Einige umfangreiche Sammelbände reflektieren die Vielfalt der
untersuchten Text-Bild-Symbiosen. 105Allerdings waltet hier oft ein primär
produktionsästhetischer Blickwinkel, so dass vor allem die Planung der
Bildzyklen oder der Informationsaustausch zwischen Schreiber und Illustrator untersucht werden106;wie das dynamische Ineinander der Medien
dagegenden Vorgang des Lesens und Betrachtens steuert, wird seltener
eigens thematisiert.
Untersuchungen der »Bildgrammatik«107einzelner Handschriften, die
für untypische und individuelle mediale Lösungen stehen und somit zwar
kaum das Leserverhalten ihrer Zeit, geschweigedenn >die<mittelalterliche
Rezeption, repräsentieren können, vermögen dennoch das Spektrum
unserer Kenntnisse erheblich zu erweitern. Es ist unmöglich, hier mehr als
wenige exemplarische Fälle zu nennen. Anzuführen wären beispielsweise
Studien zu den Figurengedichten des lateinischen Frühmittelalters und zur
>Visuellen Poesie<im weiteren Sinne.108Ein singuläres Erscheinungsbild
eines mittelhochdeutschen Versromans bietet der Ivlünchen-Nürnberger
>\Villehalm<aus dem 13. Jahrhundert. Der fragmentarisch erhaltene, einst
umfangreiche bebilderte Codex hat schon lange die Aufmerksamkeit auf
sich gezogen, weil die Illustrationen nicht allein die erzählte Geschichte,
sondern streckenweise auch das Agieren des Erzählers Wolfram von
Eschenbach abbilden. Kathryn Starkey hat den Codex zuletzt zum
104
105
106
107
108
Vgl. Spriewald:Literatur zwischenHören und Lesen.
Harms: Text und Bild, Bild und Text, Meier/Ruberg: Text und Bild.
Zum BeispielJoslin: Illustrator as Reader.
Ott: Misc en page,S. 48.
Ernst: Krcuzgedichtc des Hrabanus Maurus; Ferrari: Hrabanica (Forschungsbericht).
Ulrich Ernst (Wuppertal)leitet eine ForschungsstelleVisuelle Poesie mit dem Schwerpunkt
auf den Figurengedichtendes Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Lesenim Mittelalter. Forschungsergebnisse
und Forschungsdesiderate
395
Gegenstand einer lesegeschichtlichenStudie gemacht,109die von der Frage
nach dem Zusammenwirken von Wort, Bild und Performanz ausgeht und
dabei die These formuliert, hier werde die narrative Schichtung von
>Stimmen((Erzähler- und Figurenrede) und Perspektiven für ein Publikum
offengelegt, das auditiv und visuell literat war, jedoch weniger vertraut mit
der Rezeption eines geschriebenen Texts. Weil jedoch die Bilder ihrerseits
auf den Wortlaut der Erzählung Bezug nehmen, verortet Starkey die
Handschrift in einem Überschneidungsfeld von mündlicher und schriftlicher Textkultur.
Wie auch Starkeys Studie zeigt, hat man auf den Ansätzen der TextBild-Forschung seit den 1990er Jahren aufgebaut und öffnet sich zunehmend auch im deutschsprachigen Diskurs gegenüber benachbarten Disziplinen, um einen breiteren medialen Horizont zu erschließen.110Neben
der weltlichen höfischen Literatur, die in der Germanistik traditionell im
Vordergrund steht, hat sich auch geistliche Andachtsliteratur, die sich vor
allem an Frauen richtete, als ein Bereich medialer Innovationen erwiesen.
Zusam»Das Frauengebetbuch löst Bild und Text aus dem liturgischen
Einheit
im
Bild
gesteuerten
vom
menhang und verbindet sie zu neuer
der
im
Vollzug
der
Passion
Heilsgeschichte
oder
narrativ-devotionalen
bzw.
der
historischen
Auch
Seiten
der
Kunstgeschichte
Ganzen.«111
von
Bildwissenschaft wurde der geistlichen Frauenlektüre zwischen Bild und
Text Aufmerksamkeit zuteil. 112Wo sich die Forschung auf die Begriffe der
Audiovisualität oder der )visual culture( bezieht, erscheinen das Lesen von
Büchern und Texten ebenso wie das Zusammenspiel von Bild und Text
als Teilaspekte der Aufnahme von kommunikativen Inhalten. Diese Ansätze berühren sich in ihrem Anliegen mit der Geschichte der Wahrnehmung (siehe unten Kap. 5.3). Sie thematisieren das Lesen jedoch nicht im
engeren Sinn als Sehen, sondern als nur einen Modus, der an der intermedialen Konstitution von Bedeutung in der mittelalterlichen Kultur teilhat:
)>The reception of images, objects, and performance involved writing,
imagining - processesthat were
reading, seeing,watching, visualizing, and
but
as intersecting and influencing one
not perceived as mutually exclusive
another as modes of visual perception.«113Besonders die Berliner Arbeiten
109 Starke}. Readingthe Medieval Book.
110 Vgl. die methodologischeKritik von Ott". Word and Image.
111 Curschmann: \Vort - Schrift - Bild, S. 393, mit einem Oberblick über die Forschung zu
einzelnen Handschriften.
Visionary.
112 Siehe z. B. Hamburger. The Visual and the
Camille:
Seeing
Visual
Culture,
S.
3.
Vgl.
Starkey
and Reading.
113
396
Sonja Glauch/Jonathan Green
aus der Schule von Horst Wenzel sind von Seiten der Germanistik in diesem Zusammenhang zu nennen; nicht wenige davon beziehen sich auf das
Text-Bild-Verhältnis in den Handschriften der mittelhochdeutschen Versdidaxe des Thomasin von Zirklaere ()Der Welsche Gast<).114Vor allem in
der Folge von Wenzels ambitionierter Monographie Hörenund Sehen,Schrift
und Bild. Kultur und Gedächtnisim Alittelaltervon 1995 sind im Kontext des
Sonderforschungsbereichs >Kulturen des Performativen< und im Austausch mit der amerikanischen Mediävistik (StephenJaeger, Starkey, Jeffrey Hamburger) zahlreiche Beiträge erschienen.115
So lebendig und ergiebig die interdisziplinäre und grenzüberschreitende Diskussion um visuelle Kultur gewesenist, so deutlich erscheint sie aus
der Perspektive der Buchwissenschaft als mit etwas befasst, das man ein
Randphänomen nennen könnte. Die Sonderrolle der volksprachigen
Handschriften ist im Kontext der Germanistik durchaus begründet, aber
im Rahmen einer mediävistischen Lesegeschichtebleibt zu bedenken, dass
die Lesekultur des Mittelalters um ein Vielfaches stärker von der lateinischen Schriftlichkeit geprägt war. Auf ähnliche Weise läuft eine primär
literaturwissenschaftliche Lesegeschichte Gefahr, die Rezeption von erzählenden Texten als Musterbeispiel von Lesen oder als das Lesen
schlechthin zu verstehen, obwohl die >Klassiker<der mittelalterlichen Erzählliteratur im Vergleich zu anderen - seien es geistliche, seien es pragmatische - Handschriftensorten eher eine Seltenheit waren. Der Begriff
>visuelle Kultur( ermöglicht Anknüpfungspunkte zwischen Literaturwissenschaft und anderen Disziplinen, bevorzugt indes an sich die Ausnahmeerscheinungen unter den literarischen Zeugnissen des Mittelalters, die
bebilderten Codices,116gegenüber schlichteren Gebrauchshandschriften.
Darüber hinaus erfasst die dichotome Formulierung )Wort und Bild< die
Materialität des mittelalterlichen Buchs nicht vollständig; folgenreiche
Änderungen in der Handschriftengestaltung betreffen
schließlich das Laydie
Seitenorganisation
durch
out und
sinnstrukturierende lMIittel, was weder mit >Wort<noch mit >Bild<zu umschreiben ist (siehe Kap. 4.1).
114 So ehri Wenzel: Beweglichkeitder Bilder, Stolz: Text und Bild im Widerspruch?;Wenzel/
Lechtermann:Beweglichkeitder Bilder, mit 12Beiträgenzum »WelschenGaste
115 Zum Beispieldie Sammelbände:\Venzcl/Jaeger.Visualisicrungsstrategien;Starkey/\Venzcl:
Visual Culture and the German riddle Ages; Starkey/Wenzel: Imagination und Dcixis.
116 Auch Curschmann: Epistemological Perspectives,S. 2, weist darauf hin.
Lesenim Alittelalter. Forschungsergebnisse
und Forschungsdesidcratc
397
5.3 Ixsegeschichte :ils Kognitionsgeschichte
Versteht man unter )Kognition( alle mentalen Prozesse der menschlichen
Informationsgewinnung, -strukturierung, -speicherung und -bearbeitung,
so ist das Lesen ohne Zweifel unter dem Kognitionsbegriff einzuordnen.
Zugleich gilt die Erschließung der menschlichen Kognition als eines der
größten Ziele der neuzeitlichen Hirnforschung. Die Möglichkeit einer
Zusammenarbeit zwischen Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften liegt
auf der Hand, und erste Bezugnahmen von jeder Richtung aus lassen sich
beobachten. Jedoch liegen die Methoden und Argumentationsweisen der
Buchwissenschaft und der Kognitionswissenschaft voneinander weit entfernt. Man muss damit rechnen, dass lesegeschichtlicheBetrachtungen zu
Kognitionsprozessen von Kognitionswissenschaftlern als unzureichend
empfunden werden, während kognitionswissenschaftliche Darstellungen
der Lesegeschichte aus Sicht des Buchwissenschaftlers eine vereinfachte
oder verzerrte Vorstellung von Lesetechniken wahrnehmen lassen.'17Das
lesepsychologische Handbuch The Scienceof Readingschmückt sich auf
seinem Einband mit dem lesenden St. Ivo - einem Ausschnitt aus einem
Gemälde Rogiers van der \Veyden (ca. 1450) - und zitiert so die geschichtliche Dimension des Lesens an, ohne dass jedoch die Beiträge ein
historisches Interesse erkennen ließen.118Hartmut Günther hat für das
Mittelalter einen ersten Versuch gemacht, kognitive Prozesse beim Lesen
anhand des Handschriftenlayouts im breiten Rahmen der Neurolinguistik
zu beschreiben,' 19aber der knappe Abriss stellt keinen Fortschritt im Vergleich zu den Arbeiten von Parkes und Rouse/Rouse dar. Methodologischer Konsens zwischen den relevanten Disziplinen ist ein fernes Ziel,
obwohl die jeweiligen Ergebnisse fir das andere Fach an Bedeutung gewinnen.
Auch wenn Chartier und Schlieben-Lange eine Geschichte der mentalen Prozesse des Lesens oder eine innere Geschichte des Lesens gefordert
und für aussichtsreich erachtet haben, stieß dieses Ansinnen gleichwohl
auf grundsätzliche Kritik. In seiner Abhandlung i/on denAlög/ic/keileneiner
Geschichte
desLesenssammelt Matthias Bickenbach aus Antike, Früiamrerert
Neuzeit
her
und Moderne - das Mittelalter wird nur im Vorbeigehen berührt - literarische Darstellungen des Lesens und Stellungnahmen von
117 So z. B. Zedelmaicrs Kritik an Grussets Darstellung der neurobiologischen Enavickiungsgeschichtedes Lesens,Zedelmaier. SchwierigeLesegeschichte,S. 82 Anm. 20.
118 Snowling/Hulme: The Scienceof Reading.
119 Günther. Aspects of a History of Written LanguageProcessing.
398
Sonja Glauch/Jonathan Green
Autoren zu - gewünschten und abgelehnten - Lesepraktiken. Am Ende
einer reichhaltigen Diskursgeschichte des Lesens kommt er allerdings im
Sinne der Dekonstruktion zu dem provokanten Schluss, es könne keine
innere Geschichte des Lesens geben, weil »Lesen keine Identität mit sich
selbst kennt, sondern in sich von sich selbst differiert«. '20
In den letzten Jahrzehnten ist die mediävistische Kognitionsgeschichte
sehr produktiv gewesen,vor allem in der Befassung mit )memoria( und
den Gedächtniskünsten des Mittelalters, die auch im Lesevorgang impliziert sind. Mit der Fokussierung auf das Gedächtnis ist der Wandel vollzogen von der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen oder materiellen Rahmenbedingungen des Lesens zu den neurologischen Vorgängen
selber. Das Gedächtnis erscheint als Gegenposition zur Schriftlichkeit in
Clanchys From Memoy to II%ritter Record,das inzwischen zu einem Klassiker
der Mediävistik geworden ist. Clanchys Quellenbasis sind vor allem
Urkunden in England, deren Produktion im Zeitraum 1066 bis 1307
gegenüber früheren Perioden um ein Vielfaches zunimmt und die aus
allen Bevölkerungsschichten stammen. Clanchy sieht darin einen Beleg für
(und auch einen Auslöser für) den Wandel von einer mündlichen, auf das
Gedächtnis gestützten Gesellschaft zu einer auf Schriftlichkeit basierenden Mentalität, die alle Gesellschaftsschichten durchdringt. Am Anfang
des behandelten Zeitraums müssen wichtige Informationen noch zu Gehör gebracht werden, um Vertrauen schaffen zu können; zwei Jahrhunderte später müssen sie als Text gesehenwerden, um als vertrauenswürdig
zu gelten. Jedoch verliert das Gedächtnis nicht seine Funktion, sobald
Wissensinhalte vorwiegend schriftlich rezipiert werden. In Carruthers
ebenfalls fundamentaler Arbeit The Book of Memory steht das Gedächtnis
nicht im Gegensatz und in Konkurrenz zum geschriebenen Wort, sondern
es nimmt eine ausgesprochen wichtige Rolle in den Lesepraktiken des
Mittelalters ein. Das Gedächtnis im modernen Sinn ist vor allem ein Speichermedium, in dem Erlebtes und Gelesenespassiv aufbewahrt werden.
Dagegen wurde die )memoria( des Mittelalters vorgestellt als ein Ort des
produktiven Bearbeitens, der sowohl geschriebene als auch mündliche
Texte aufnahm und vereinte. Das Lesen brachte Texte und anderes Wissen in die Reichweite der )memoria<und war insofern ein ethisches Handeln, als in der >memoria<ein Dialog zwischen dem Erinnerungsvermögen
des Lesers und dem Gedächtnis des Verfassers stattfand. Auch andere
120 Bickenbach: Von den Möglichkeiten einer »inneren«Geschichte des Lesens,S. 256-260.
Eine ausführlicheKritik an Bickenbachist Zedelmaier".SchwierigeLesegeschichte.
Lesenim Dfittelalter.Forschungsergebnisse
und Forschungsdesiderate
399
Arbeiten
machen darauf aufmerksam, dass sich Textrezeption im Mittelalim
ter nicht
)Lesen( im modernen Sinn (als Ablesen von Schrift) erschöpfte, sondern oft zum Einverleiben in die >memoria< führen sollte. Eckart
Conrad Lutz geht etwa von der >lectio< geistlicher Texte und der davon
angeregten Meditation aus und entwirft in Analogie dazu für den Tristan
Gottfrieds von Straßburg das Modell einer Leseweise semiliteraten Zuschnitts. Dieser gebildete Umgang mit dem Roman habe sich im höfischen Gespräch bewähren und zu einer Durchdringung und dauerhaften
Aneignung eines Textes führen sollen. 12' Klaus Grubmüller erläutert die
Funktion von versifizierten Lehrbüchern und betont ihre Verankerung in
der mündlichen Vollzugsform
des mittelalterlichen
Schulunterrichts, in
Auswendiglernen
dem Lesen, Diktieren,
und Erinnern einen Zusammenhang bfden. 122
6 Resümee
Was haben die letzten 30 Jahre der mediävistischen und buchwissenschaftlichen Forschung über das Lesen im Mittelalter erbracht? Zum
einen dürften sie deutlich eine Vervielfiltigung der Perspektiven und damit eine Erweiterung des Lesebegriffs gezeitigt haben. So hat die Befassung mit dem Lesen immer auch Teil an den allfiilligen texttheoretischen,
editionswissenschaftlichen und medienhistorischen Paradigmenwechseln.
Zum anderen schließt die jüngste Forschung durchaus ohne revolutionäre
Neigung an einige wichtige Erkenntnisse an, die zu Beginn dieses Zeitraums ins Blickfeld getreten sind.
Was die Periodisierung der mittelalterlichen Lesegeschichte angeht, ist
von einem markanten Bruch zwischen dem geistigen Erbe der Antike und
der Lesekultur des Frühmittelalters kaum mehr die Rede; gleichzeitig haben Arbeiten zu den mittelalterlichen Traditionen der Grammatik und der
Rhetorik das Wesen der Kontinuität präzisieren können. Untersuchungen
aus verschiedenen Fachrichtungen möchten vielmehr vielfältige Erneuerungen im 11./12. Jahrhundert entdecken, die sowohl die Konstitution
des Lesepublikums und dessen Lesepraktiken als auch den institutionellen
Rahmen des Lesens und die Gestaltung des Lesestoffs betreffen. Im Einzelnen lassen sich Plädoyers für lesegeschichtliche Wendepunkte vom
121 Lutz: lesen - unmüezecWesen.Vgl. auch Gruber. Singen und Schreiben, zur provenzalisehen Lyrik.
122 Grubmüller. Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Unterricht.
400
Sonja Glauch/Jonathan
Grccn
9. bis zum 16. Jahrhundert finden. Die veränderte Lesekultur des späten
Mittelalters gegenüber der früheren Periode hat man in Verbindung gebracht mit der Ablösung der Klöster durch die Universitäten als den führenden Institutionen der Ausbildung der geistigen Elite und mit dem
Übergang von einem gemurmeltem Lesen in der Gemeinschaft zum leisen
Lesen des Einzelnen. Die neuen Lesepraktiken und der neue institutionelle Rahmen des Lesens lassen sich nach Ansicht vieler Wissenschaftler an
der Gestalt von Handschriften ablesen, die neue Wege des Informationszugangs ermöglichen. Ein markanter Umbruch im Humanismus oder mit
dem Buchdruck zeichnet sich dagegenweniger ab - was nicht bedeuten
muss, dass geistige und technologische Entwicklungen keinerlei Einfluss
auf das Lesen im späten Mittelalter hatten. Dass die Etablierung des
Buchdrucks nicht der )Motor, sondern vielmehr die Folge eines schon in
der Handschriftenzeit im 14. und 15. Jahrhunderts stark steigenden Bedarfs nach geschriebenen Büchern und sich wandelnder Lektürepraktiken
war - dies eine schon ältere These -, untermauern auch weiterhin einige
Einzelstudien.
Neue Schwerpunkte hat die mediävistische Forschung zuletzt, so
scheint es, an den Rändern des Phänomens Lesen gesetzt. Im Gleichlauf
mit einer konzeptuellen Interessenverlagerung vom >Buch<zum >Medium<
und zur >Kommunikation( wurde das Lesen zunehmend als eine Rezeptionstechnik akzentuiert, die Übergänge zu und Überlagerungen mit anderen Rezeptionstechniken auRveist. Vor allem Forschungen zur Oralität,
Visualität und Performativität der mittelalterlichen Kultur
- angestoßen
und getragen zu nicht geringem Anteil von den Sonderforschungsbereichen >Mündlichkeit und Schriftlichkeit< (Freiburg, 1985-1996) und >Kulturen des Performativen< (Berlin, 1999-2010) - ließen etwa sichtbar werden,
dass das mittelalterliche Lesen (auch) eine besondere Form des Schauens,
Bild-Text-Synthesen besondere Gegenstände des Lesens waren, und dass
die Ausbreitung des stillen und privaten Lesens auf Kosten der oralisierten
Lektüre kein gerichteter Prozess war, weil alle zwischen Vokalität und
Visualität angesiedeltenSpielarten des Lesens das gesamte Mittelalter hindurch praktiziert wurden.
Neben diesen eher konzeptuellen Fragestellungen haben jedoch mit
der Untersuchung von Marginalien und sonstigen konkret-manifesten
Lesespuren auch betont empirische Studien in den letzten Jahren bedeutende Resultate verzeichnen können. Diese eher literaturwissenschaftlich
orientierten Arbeiten richten den Blick auf individuelle - wenn auch oft
repräsentative - Fallbeispiele für Buchlektüre. Die im engeren Sinne
Lesenim Mittelalter. Forschungsergebnisse
und Fotschungsdesiderate
401
buchwissenschaftliche Forschung hat in diesem Zeitraum jedoch auch die
älteren empirischen Ansätze der bibliometrischen Statistik weitergeführt.
Bei aller Kontroverse bleibt Neddermeyers wuchtige Arbeit zur Buchproduktion und Lektüre im späten Mittelalter und in der Frühdruckzeit hier
ohne Parallele.
Als zukunftsweisend, aber dennoch erst am Anfang stehend muss der
Ansatz einer historischen Kognitionsvvissenschaftgelten, die Erkenntnisse
der modernen Neuro- und Kognitionspsychologie, der Paläographie und
Typographie sowie der Kultur- und Textwissenschaften interdisziplinär
aufeinander bezieht. Die methodologischen Aporien dieser schwierigen
Allianz sind abzulesen an der immer noch virulenten Kontroverse um
SaengersThese zur Rolle des Leerraums für die Geschichte des Lesens.
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