1964-Von den Zauberpflanzen
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1964-Von den Zauberpflanzen
Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1964 Von den Zauberpflanzen Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. -2- 1964 Von den Zauberpflanzen Heinrich Marzell Marzell Heinrich: Zauberpflanzen - Hexentränke. Brauchtum und Aberglaube. Kosmos Gesellschaft der Naturfreunde. Stuttgart 1964. Seite 07-44. -3- ZAUBERPFLANZEN IN DER ANTIKE S. 07: Die berühmteste Zauberpflanze des klassischen Altertums ist das Kraut Moly. HOMER (Odyssee X, 280ff.) erzählt, wie der göttliche Dulder Odysseus auszieht, um seine Gefährten zu retten, die von der Zauberin Circe in Schweine verwandelt wurden. Auf dem Wege zum Palast der Circe begegnet ihm der Gott Hermes, nimmt ihn freundlich an der Hand, warnt ihn vor den Zauberkünsten der Circe und gibt ihm ein Mittel, diese unwirksam zu machen: "All' auch will ich dir nennen die furchtbaren Ränke der Circe. Weinmus menget sie dir und mischt in die Speise den Zauber. Gleichwohl nicht vermag sie dich einzunehmen, die Tugend Dieses heilsamen Krautes verwehrt's ….. Also sprach und reichte das heilsame Kraut Hermeias, Das er dem Boden entriss und zeigte mir seine Natur an: Schwarz war die Wurzel zu schaun, und milchweiss blühte die Blume. Moly wird's von den Göttern genannt. Schwer aber zu graben Ist es sterblichen Menschen, doch alles ja können die Götter." Was war das für ein Kraut, dieses zauberkräftige Moly? Mit der mehr als kargen Beschreibung "Wurzel schwarz, Blüten weiss" kann auch der kenntnisreichste Botaniker nichts anfangen. Schon im Altertum war man sich darüber nicht klar. So schreibt THEOPHRAST (372-287 v. Chr.) , ein Schüler des ARISTOTELES, in seiner berühmten "Naturgeschichte der Gewächse" (IX, 15,7): "Das Moly wächst in der Gegend von Pheneus und im KylleneGebirg [beides in Arkadien gelegen]. Es soll dem gleich sein, von dem Homer spricht. Die Wurzel ist rund und zwiebelartig, die Blätter sind denen der Meerzwiebel ähnlich. Man benutzt es zu giftwidrigen Mitteln und zu Zaubereien. Indessen ist es schwer auszugraben, wie schon Homer sagt." Auch der römische Schriftsteller und Vielschreiber PLINIUS (gest. 79 n. Chr.) beschäftigt sich in seiner "Naturgeschichte" (Nat. hist. XXV, 26) mit dem geheimnisvollen Kraut. Zunächst wiederholt er, was schon bei THEOPHRAST steht. Dann aber fährt er fort: " Von kräuterkundigen Ärzten erfuhr im, dass das Kraut Moly auch in Italien wachse, es wurde mir aus S. 08: Kampanien gebracht, wo man es mit vieler Mühe aus felsigem Gestein ausgegraben hatte, die Wurzel war 30 Fuss lang und nicht einmal ganz, sondern abgerissen." Die von PLINIUS angegebene Länge von 30 Fuss (etwa 10 Meter) ist natürlich eine masslose Übertreibung. In den Kräuterbüchern des -4- 17. und 18. Jahrhunderts, die sich ja sehr viel auf die antiken Ärzte und Botaniker stützen, taucht das Moly ebenfalls auf, ja, es wird sogar abgebildet, obwohl es kein menschliches Auge je gesehen hat. Man nahm an, es handle sich um eine Lauch-Art. Der "Fürst der Botaniker", der Schwede CAROLUS LINNAEUS, benennt im Jahre 1753 eine Lauch-Art Allium moly. Aber diese bei uns manchmal in Gärten gezogene Art hat goldgelbe Blüten, kann also nicht das homerische Moly sein, das ja milchweiss blühend geschildert wird. Eine andere Art hat LINNE als Allium magicum, d. h. Zauber-Lauch bezeichnet. Diese in Südeuropa und im Orient vor. kommende Art hat weisse Blüten, käme also schon eher als das Moly in Betracht. Aber auch ganz andere Pflanzen wollten in neuester Zeit Botaniker in dem geheimnisvollen Moly sehen, so die Schwarze Nieswurz oder Christwurz (Helleborus niger) oder das im Mittelmeergebiet bis nach Ostindien vorkommende Nachtschattengewächs Withania somnifera, das ein narkotisch wirkendes Alkaloid enthält. Aber sehr wahrscheinlich sind alle diese Deutungen hinfällig und der Orientalist ANGELO DE GUBERNATIS hat recht, wenn er das Moly eine mythologische Erfindung ("fiction mythologique") nennt. Darauf weist ja schon die Bemerkung bei HOMER hin, dass der Name Moly aus der Sprache der Götter stamme. Noch ein anderes pflanzliches Zaubermittel begegnet uns bei HOMER. Es ist das (pharmakon) nepenthes (Odyssee IV, 219 H.). Der Name bedeutet "ohne Leid". Helena gab es dem Telemachos und dessen Gefährten in Wein, damit sie alles Leid vergessen sollten: "Aber ein andres ersann nun Helena, Tochter Kronions. Schnell in den Wein warf jene, wovon sie tranken, ein Mittel, Kummer zu tilgen und Groll und jeglicher Leiden Gedächtnis. Kostet einer davon, nachdem in dem Krug es gemischt war, Nicht an dem ganzen Tag benetzt ihm die Träne das Antlitz, Nicht ob selbst gestorben ihm wäre auch Mutter und Vater." Helena hatte dieses Vergessen machende Mittel von der Ägypterin Polydama erhalten. Vielleicht handelt es sich hier um ein Rauschgift wie S. 09: Haschisch oder um ein Mohnpräparat. Natürlich kann die von LINNE (1737) Nepenthes genannte Pflanzengattung nichts mit dem antiken nepenthes zu tun haben, denn jene ist die sog. Kannenpflanze, deren Blattspreiten zu Schläuchen -5- für den Fang von Insekten umgebildet sind. Es ist eine Tropenpflanze, die den Griechen zur Zeit HOMERS sicher unbekannt war. Die "klassische" Giftmischerin und Zauberin der griechischen Sage ist Medea, die kolchische Königstochter und Gemahlin Jasons, von dem sie später verstossen wurde. Aus ihrem Vaterlande Kolchis (am Schwarzen Meer) hatte sie die Kenntnis der zauberkräftigen Kräuter mitgebracht. Sie zerstückelte Aison, den alten Vater Jasons, kochte die Glieder zusammen mit Zauberkräutern in einem Kessel und verjüngte ihn so. Mit Zauberkräutern schläferte Medea den Drachen ein, der das Goldene Vlies bewachte. Eines der Zauberkräuter der Medea soll das Ephemeron ("Eintagsblume") gewesen sein, das schon in der Antike Kolchikon (das kolchische Kraut) genannt wurde. LINNE übernahm diese Bezeichnung und übertrug sie auf die Gattung der Herbstzeitlose (Colchicum). In einem seiner "Hirtenlieder" (Ecloga) spricht auch der römische Dichter VERGIL von einem am Pontus, also in der Nachbarschaft des Landes Kolchis, wachsenden Kraut. Mit ihm konnte sich der zauberkundige Hirte Moeris in einen Wolf verwandeln und die Seelen aus den Gräbern locken: "Dieses Kraut hier, dies Gift, vormals in Kolchis gesammelt Moeris mir selbst übergab, es wächst am Pontus in Menge. Mit ihm - oft ich es sah - zum Wolf sich wandelte Moeris Und verbarg sich im Wald, mit ihm er lockte die Seelen Aus dem Grab, mit ihm er Saaten gar konnte versetzen." S. 10: DREI BERÜHMTE ZAUBERPFLANZEN Alraun (Mandragora) Es gibt wohl kein Zauberkraut, zum mindesten nicht im europäischorientalischen Kulturkreis, das sich im Aberglauben früherer Zeiten eines solchen Ansehens erfreute wie die Alraunpflanze, die Mandragora. Eine ganze Flut von grösseren und kleineren Schriften ist der Mandragora gewidmet, Artikel in populären Zeitschriften und in Fachblättern sind darüber erschienen und erscheinen immer noch. Meist sind sie recht wenig originell und bringen längst Bekanntes. Nur selten machen sich die Autoren die Mühe, auf die Quellen zurückzugehen, sofern sie ihnen überhaupt bekannt sind. Wir wollen daher den Ursprüngen des Alraunglaubens nachgehen. -6- Was sagt der Botaniker? Die Gattung Mandragora gehört zu den Nachtschattengewächsen. Sie ist im Mittelmeergebiet beheimatet. Wie viele andere Nachtschattengewächse (z. B. Tollkirsche, Bilsenkraut, Stechapfel) enthält sie Alkaloide (Hyoscin, Atropin, Skopolamin) die Aufregungszustände, Unruhe, Tobsucht usw. verursachen. Die Mandragora officinarum besitzt weisslichgelbe Blüten, kugelige Beeren und eine fleischige Wurzel, die oft gespalten ist und so eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei menschlichen Beinen hat. In der Bibel (Genesis 30, 14 H.) kommt eine Pflanze "dudaim" vor (Luther übersetzt das hebräische Wort mit "Liebesäpfel"). Ruben fand sie auf dem Feld und brachte sie seiner Mutter Lea. Es sollte ein Fruchtbarkeitsmittel (Aphrodisiakum) sein. Ob dieses biblische dudaim wirklich die Mandragora ist, wie manchmal behauptet wird, ist völlig ungewiss. Den alten Ägyptern muss die Mandragora bekannt gewesen sein. Auf dem Fragment einer Grabwand der XVIII. Dynastie (1550 -1350 v. Chr.) fand man eine bildliche Darstellung der Mandragorapflanze. Ob sie irgendwie in Zauberriten eine Rolle spielte, wissen wir nicht. In der griechischen Antike begegnen wir der Mandragora als Zauberpflanze zuerst in der "Naturgeschichte der Gewächse" (IX, 8, 8) des THEOPHRAST (gest. 287 v. Chr.). Er berichtet: "Den Mandragoras soll man dreimal S. 11: mit einem Schwert umschreiben und ihn graben, indem man das Antlitz gegen Abend (Westen) wendet. Ein anderer aber soll [dabei] im Kreise umhertanzen und viel vom Liebeswerk ["peri aphrodisìön" heisst es im griechischen Text] sprechen." Die letzte Bemerkung weist darauf hin, dass die Pflanze als Aphrodisiakum dienen sollte, was eine gewisse Parallele mit dem dudaim der Bibel gibt. THEOPHRAST ist aber immerhin so aufgeklärt, dass er den ganzen Hokuspokus beim Ausgraben der Pflanze für einen Schwindel der Rhizotomen (Wurzelgräber) hält. Etwa 300 Jahre vergehen, bis der Alraunzauber wieder im Schrifttum auftaucht, aber nicht unter dem Namen der Mandragora. Vielmehr ist jetzt von einer Pflanze "Baara" die Rede. Der Geschichtsschreiber FLAVIUS JOSEPHUS (37-93 n. Chr.) berichtet in seiner "Geschichte des jüdischen Krieges" (VII, 6, 3): "Das Tal, welches die Stadt Machärus (in Palästina, -7- S. 12: östl. des Toten Meeres) auf der Nordseite einschliesst, heisst Baara und erzeugt eine wunderbare Wurzel gleichen Namens. Sie ist flammend rot und wirft des Abends rote Strahlen aus, sie auszureissen ist sehr schwer, denn dem Nahenden entzieht sie sich und hält nur dann still, wenn man Harn und Blutfluss darauf giesst. Auch dann ist bei jeder Berührung der Tod gewiss, es trage denn einer die ganze Wurzel in der Hand davon. Doch bekommt man sie auf andere Weise, und zwar so. Man umgräbt sie rings so, dass nur noch ein kleiner Rest der Wurzel unsichtbar ist. Dann bindet man einen Hund daran und wenn dieser dem Anbinder schnell folgen will, so reisst er die Wurzel aus, stirbt aber auf der Stelle als ein stellvertretendes Opfer dessen, der die Pflanze nehmen will. Hat man sie einmal, so ist keine Gefahr mehr. Man gibt sich aber so viel Mühe um sie wegen folgender Eigenschaften: Die Dämonen, d.h. böse Geister schlechter Menschen, welche in die Lebenden hineinfahren und sie töten, wenn nicht schnell Hilfe gebracht wird, werden von dieser Pflanze ausgetrieben, sobald man sie dem Kranken auch nur nahebringt. " Einige Jahrzehnte später erscheint die gleiche Fabel, aber in etwas veränderter Form und ausführlicher in der griechisch geschriebenen "Tiergeschichte" (XIV,27) des CLAUDIUS AELIANUS. Aber jetzt heisst das Zauberkraut kynospastos ("die vom Hund Herausgezogene") oder aglaophotis ("die -8- glänzend Leuchtende"): "Es gibt eine Pflanze kynospastos. Sie wird auch aglaophotis genannt. Am Tage verbirgt sie sich unter den anderen (Pflanzen) und fällt durchaus nicht in die Augen. Zur Nachtzeit aber zeichnet sie sich aus und strahlt wie ein Stern, denn sie ist leuchtend gleich dem Feuer. Die Leute stecken deshalb ein Zeichen an der Wurzel ein und entfernen sich, denn wenn sie dies zu tun versäumen, können sie sich am Tage weder der Farbe erinnern noch der Gestalt. Wenn aber die Nacht vorüber ist und sie das zurückgelassene Zeichen sehen und erkennen, so können sie daraus abnehmen, dass es eben das ist, dessen sie bedürfen, da es ausserdem den daneben stehenden Pflanzen gleich ist und sich nicht im geringsten von ihnen unterscheidet. Doch werden sie dieses Gewächs nicht selbst ausziehen, denn das würde ihnen durchaus nicht wohl bekommen. Daher umgräbt es niemand und zieht es heraus, denn wie man sagt, ist der, welcher es aus Unkenntnis seiner Natur berührt hat, nicht lange darauf gestorben. Man führt also einen jungen und kräftigen Hund, der einige Tage kein Futter bekommen und heftigen Hunger hat, hinzu, bindet S. 13: ihn an einen starken Strick in so weiter Entfernung als möglich und legt im unteren Stamm der aglaophotis eine schwer zu lösende Schlinge, setzt dann dem Hunde eine reichliche Mahlzeit gebratenen Fleisches vor, dampfend vor Wohlgeruch. Der Hund vom Hunger gequält und von dem guten Geruch zu -9- dem vorliegenden Fleisch gewaltsam fortgezogen, zieht die Pflanze samt der Wurzel aus. Wenn aber die Sonne die Wurzel erblickt, so stirbt der Hund augenblicklich. Man begräbt ihn an derselben Stelle und erst nach Verrichtung einiger geheimnisvoller Gebräuche, indem sie den Leichnam des Hundes ehren, weil er für sie gestorben ist, wagen sie das Gewächs zu berühren und tragen es nach Hause. Sie brauchen es, sagt man, zu vielen und nützlichen Dingen, und unter diesen soll es die an der Fallsucht Leidenden heilen sowie auch die Krankheit der Augen, wenn diesen durch Ergiessung der Feuchtigkeit die Sehkraft entzogen wird." S. 14: Von jetzt an begegnet uns die Geschichte vom Alraungraben mit Hilfe des Hundes immer wieder. In mittelalterlichen medizinischen Handschriften finden sich nicht selten bildliche Darstellungen dieses Vorganges. Sogar in GOBTHES "Faust" (2. Teil V. 4977ff.) hat diese Art des Alraungrabens ihren Niederschlag gefunden. Da spricht Mephisto, der einen Vorschlag macht, um den Finanzen des kaiserlichen Hofes aufzuhelfen und dabei auf die Verständnislosigkeit der Menge stösst: "Da stehen sie umher und staunen, Vertrauen nicht dem hohen Fund, Der eine faselt von Alraunen, Der andre von dem schwarzen Hund." Im deutschen Volksglauben taucht dann später die Sage auf, der Alraun wachse unter dem Galgen aus dem Harn eines gehängten Diebes, daher hiess man ihn das "Galgenmännlein". Beim Ausgraben schreit der Alraun so entsetzlich, dass der Ausgräber, an dessen Ohr dieser Schrei dringt, sterben muss. Um den Alraun zu bekommen, muss man an einem Freitag vor Sonnenaufgang, nachdem man die Ohren mit Baumwolle, Pech oder Wachs verstopft hat, mit einem schwarzen Hund hinausgehen, drei Kreuze über den Alraun machen und den Hund mit dem Schwanz an die Wurzel des Alrauns binden. Dann hält man dem Hund ein Stück Fleisch vor und läuft eiligst davon. Der Hund, gierig nach dem Bissen, schnappt danach und zieht so die Wurzel heraus, fällt aber auf den Schrei des Alrauns hin tot zu Boden. Der Alchimist und Astrologe LEONHARD THURNEYSSER reimt in seinen "Archidoxa" (1575): "Der grabt Alrauna undrem Gricht, Loufft weck, das ers hört schreien nicht." - 10 - Mit dem "Gricht" ist das Hochgericht (Richtstätte), der Galgen, gemeint. Noch im Jahre 1820 erzählte man sich, ein Mann habe mit Hilfe eines schwarzen Hundes unter dem Hochgericht auf dem Leineberg bei Göttingen ein "Alruneken" gegraben. Der Alraun sollte seinem Besitzer Glück und Reichtum verschaffen. Eine Wiener volkstümliche Redensart sagt von einem, der immer Glück im Spiel hat: "Der muss ein Oraunel im Sack (d. h. in der Tasche) haben." Dann galt der Alraun auch als ein unfehl. bares Mittel, um die Liebe des anderen Geschlechtes zu gewinnen, und S. 15: selbst heute noch dient in Kleinasien die Mandragorawurzel als ein sicheres Aphrodisiakum, wie schon vor mehr als 2000 Jahren im Bericht des THEOPHRAST. Im Mittelalter genoss der etwa im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstandene Herbarius (Kräuterbuch) des PSEUDO-APULEJUS wegen seiner Heilkräuterrezepte hohes Ansehen bei den Ärzten. Dieser Herbarius wurde immer wieder abgeschrieben und viele dieser mittelalterlichen Abschriften haben sich erhalten. In keiner Handschrift fehlt die Mandragora, dargestellt als ein Zwischending zwischen Mensch und Pflanze. Immer ist dabei der Hund abgebildet, der ja in der Fabel vom Alraungraben eine so grosse Rolle spielt. Auch die verschiedenen Ausgaben des "Gart der Gesundheit" (Hortus Sanitatis), wie sie als erste gedruckte Kräuterbücher im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts erschienen, bringen Alraunbilder, jedoch fehlt hier der Hund der Pseudo-Apulejus-Handschriften. Diese alten Druckwerke, deren Holzschnitte oft noch recht roh und unbeholfen sind, unterscheiden einen Alraun-Mann und eine Alraun-Frau, bemerken aber, dass die beiden in ihrer medizinischen Wirkung gleich sind. - 11 - Die echten orientalischen Alraunfiguren waren aus der Wurzel der Mandragora geschnitzt, sie kamen durch Reisende nach Deutschland. Man kann sich denken, dass solche echten Alraune bei ihrer Kostbarkeit oft gefälscht wurden. Besonders dienten für diese Fälschungen die Wurzel der bei uns S. 16: heimischen Zaunrüben (Bryonia dioica und B. alba). Bereits vor mehr als 400 Jahren entrüstet sich der Arzt und Botaniker HIERONYMUS BOCK in seinem "Kreuterbuch" (Strassburg 1551) über diese Betrügereien: "Was die Landstreicher und Thiriak. und Wurmkremer von Alraun und Mandragora / wie die schwerlich zu bekommen / und under dem Galgen mit sorglicher Mühe müss ausgegraben werden / schwetzen und liegen [lügen] / hat man zwar vor langest auff den Märckten und Dorffkirchweihen von solchen Leuten gehört. Darneben auch gesehen wie sie geschnitzte Menlin [Männlein] und Weiblin feil hatten / welche Bildtnussen aus der Wurtzel Brionia geschnitten werden / und so dieselbigen Bildtnuss in einem heissen Sandt ein zeitlang verwart werden / verwelcken sie / überkommen also durch Kunst ein ander Gestalt / gleichsam sie also von Natur gewachsen Der Asphodelus (Affodill) in der Wiedergabe eines fast zwei Jahrtausende alten Kräuterbuches (Dioskurides, 1. Jh. n. Chr.) , aus dem um 512 in Konstantinopel geschriebenen Juliana-Anicia-Codex - 12 - S. 17: - 13 - S. 18: Aus der gleichen alten Handschrift: die Achillea (Garbe) - 14 - S. 19: weren / darmit werden die einfeltigen Menschen überredet / kaufen also gedörrte Brionia für Mandragora / und wiewohl gleicher Betriegerei die Welt voll / ist doch niemands, der solchs zu wenden gedenckt / sonder vielmehr / wer solche Kunst betriegen und übereilen kann / in der Welt berümpt / den schreibt man als ein weltklugen dapfferen Menschen oben an usw. Doch so sollen die armen einfeltigen Menschen wissen das vorgemeldte Biltnuss oder Alraun der Wurmkremer / nit Mandragora sonder eittel betriegerei ist." Die "Wurmkremer", von denen hier die Rede ist, sind herumreisende Quacksalber, die auf den Märkten besonders Wurmmittel verkauften. Auch der grosse Arzt PARACELSUS (1493 -1541), ein Zeitgenosse des HIERONYMUS BOCK, spottet in seinem "Liber de imaginibus" (Buch der Trugbilder) über die Leichtgläubigen: "Es möcht auch ein einfeltiger fragen, warumb die wurzel alraun eines menschen gestalt, angesicht, hent und füss hette, sie were on zweifel auch nicht one sonderliche grosse ursachen also von got erschaffen? dem geb ich zur antwort und sag, es sei nicht war, das alraun die wurzel menschen gestalt hab, sonder es ist ein betrogne arbeit und bescheisserei von den landfarern, die dan die leut mer denn mit disem alein bescheissen, dan es ist gar kein wurzel die menschen gestalt hat, sie werden dan also geschnizlet und geformirt …...". Die Behörden hatten schon damals ein scharfes Auge auf die Alraunfälscher. So wurden im Dezember 1570 in Schaffhausen drei Landstreicher gehängt, weil sie falsche Schriften bei sich führten und Gelbe Rüben als Alraune verkauften. 1584 wurde in Steiermark ein gewisser Christoph Soll dem "Landprofossen" angezeigt, weil er die Bauern betrog "mit gemachten Ruben, so er für Alraun verkauffet" und dabei viel Geld verdiente. Noch in allerjüngster Zeit blühte der Alraunschwindel. Da verkaufte (laut "Erlanger Nachrichten" vom 21.5.1955) im Jahre 1955(!) in der Gegend von Holzkirchen (Oberbayern) eine Zigeunersfrau an Bäuerinnen zum Preis zwischen 30 und 50 DM "echte Alraunwurzeln". Diese sollten zum Schutz gegen "böse Geister" in Blumentöpfe eingepflanzt werden. Nach kurzer Zeit stellte sich aber heraus, dass sich aus diesen angeblichen Alraunwurzeln nichts anderes als Kopfsalatpflänzchen entwickelten. - 15 - S. 20: Geschnitzte Alraune, wie sie um 1890 in den Basaren Kleinasiens verkauft wurden. Nam v. Lusman, 1891 - 16 - S. 21: Auch in der deutschen Literatur erscheint häufig das Alraunmotiv. FRIEDRICH DE LA MOTTE FOUQUE, der Verfasser der "Undine", schrieb die abenteuerliche Erzählung "Das Galgenmännlein" (1810) und die Novelle "Mandragora" (1827). HANS HEINZ EWERS verfasste den literarisch allerdings nicht gerade hochstehenden Roman "Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens" (1913). Das Thema scheint damals bei einem sensationslüsternen Publikum viel Beifall gefunden zu haben, denn die "Alraune" wurde nicht weniger als dreimal (1927, 1930, 1952) verfilmt. Manche Ähnlichkeit mit dem Alraunglauben, dessen Quellen ja, wie oben dargelegt wurde, im Orient zu suchen sind, zeigt die Volksmeinung vom Allermannsharnisch (Allium victorialis). Hier handelt es sich aber um eine Pflanze, die bei uns in den Alpen, da und dort auch in den deutschen Mittelgebirgen (Hochvogesen, Schwarzwald, Sudeten) vorkommt. Sie ist eine Lauch-Art mit grünlich-gelben, in einer kugeligen Scheindolde angeordneten Blüten. Auffällig ist die Zwiebel des Krautes, die von einem dichten Netz abgestorbener Wurzelfasern umhüllt ist. Bei einiger Phantasie kann man darin ein Panzerhemd sehen, wie es die mittelalterlichen Ritter trugen. So ist wohl auch der Glaube entstanden, dass diese Zwiebel ihren Träger hieb- und stichfest, ja unbesiegbar mache. Daher hiess man die Pflanze Siegwurz (herba victorialis). Der Name galt aber auch für den Schwertel (Gladiolus communis), der eine ähnliche Knolle hat. Im Gegensatz zur "Langen Siegwurz", wie der Allermannsharnisch hiess, lieferte der Schwertel die "Runde Siegwurz". Marktschreier nähten diese Zwiebel in Seide ein und verkauften sie um teures Geld als Amulett besonders gegen "podagrische Schmerzen". Es half wenig, dass schon im 17. Jahrhundert eine hochlöbliche Medizinische Fakultät der Universität Leipzig ein Gutamten abgab: "Wir sind der gewissen Meinung, dass weder mit dem Allraun noch der Victorial Wurtzel sich jemand festmachen oder sonst den Leuten Schaden zufügen könne, es wäre denn dass des bösen Feindes Betrug und List, dadurch er die armen Leute auch mit natürlichen Mitteln bisweilen zu sich locken pfleget, dazwischen käme" Der Allermannsharnisch war also gewissermassen der "Alraun der kleinen Leute", denn S. 22: die echte orientalische Mandragora-Wurzel war noch viel teurer. Wie zäh sich dieser Siegwurz-Alraun-Glaube gehalten hat, sehen wir aus einem Bericht des Schriftstellers und Publizisten JOHANNES TROJAN. (1910). Er erwarb zu Anfang dieses Jahrhunderts im damaligen Kaufhaus Wertheim zu Berlin einen - 17 - "Glücksalraun" in einem kleinen Medaillon. Das Stück kostete 2,25 Mark, war also gewiss nicht teuer. Unter Glas enthielt ein solches Medaillon zwei verschiedene Fasern eines braunen Pflanzengewebes. Die botanische Untersuchung durch den Berliner Botaniker PAUL ASCHERSON ergab, dass die eine Faser von der "Langen Siegwurz", dem Allermannsharnisch, die andere von der "Runden Siegwurz", dem Schwertel (Gladiolus communis), stammte. Die Springwurz Fast ebenso verbreitet wie die Fabel vom Alraun und seiner Gewinnung ist die von der Springwurz. Sie scheint indischen Ursprungs zu sein. In den Weden, den ältesten Sprachdenkmälern der indischen Literatur, wird eine Pflanze "pata" genannt (das Wort könnte zu patana = das Spalten gehören), die möglicherweise die Springwurz ist. In den antiken Zauberbüchern ist sehr oft von der Springwurz die Rede. PLINIUS (Nat. hist. X, 40, XXV,14) berichtet, dass die Hirten in die Nisthöhlen des Spechtes einen Nagel oder Holzkeil trieben. Dann komme der Specht und hole ein gewisses Kraut (dessen Namen PLINIUS nicht nennt), halte es vor den Keil und dieser falle dann heraus. Ähnliches schreibt etwas später CLAUDIUS ABLIANUS in seiner "Tiergeschichte" (I,45). Aber bei ihm ist es der Wiedehopf (epops), der das Kraut hole, wenn man sein in einem Mauerspalt befindliches Nest mit Lehm verschmiere. Deutliche Beziehungen dazu zeigt eine talmudische Legende, obwohl es sich hier nicht um eine Pflanze handelt: Benaja deckt das Nest des Auerhahnes mit einem weissen Glas zu. Der Vogel sieht die, und holt den Schamir, ein Würmchen. Benaja schreit laut auf und der Auerhahn lässt den Schamir fallen. Mit diesem Schamir sprengt Salomon die Steine beim Tempelbau. Die Geschichte vom Specht (bzw. Wiedehopf) und der Springwurz (so nennt man gewöhnlich das geheimnisvolle Kraut) findet sich mit allerlei Ausschmückungen allenthalben in deutschen Volkssagen. Eine davon, die S. 23: um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Gegend von Tübingen aufgezeichnet wurde, lautet: "Kein Mensch weiss, wo die Springwurz wächst, man kann sie sich aber verschaffen durch einen Wiedehopf und zwar so: Findet man das Nest dieses Vogels in einem hohlen Baum, so muss man den Eingang mit einem Brett vernageln. Dann holt der Wiedehopf die Springwurz und hält sie vor das vernagelte Nest, worauf sofort das Brett abspringt. Alsdann bringt - 18 - der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, in ein Wasser oder lässt sie, wenn er unterwegs Feuer findet, da hineinfallen. Deshalb muss man in der Nähe des Nestes eine Gelte (Kübel) mit Wasser aufstellen oder ein Feuer anmachen und die Springwurz auffangen, wenn er sie fallen lässt. Statt des Feuers darf man aber auch nur ein rotes Kleid oder ein Tuch hinbreiten, so hält der Wiedehopf dasselbe für Feuer und lässt die Wurzel fahren. Vor einer solchen Springwurz springen alle Türen und Schlösser auf. Auch macht sie sicher gegen Stich und Kugeln, wenn man sie in der rechten Tasche bei sich trägt. Wenn man einen kühnen Dieb nicht ertappen kann, so sagt man wohl auch: der muss eine Springwurzel haben. Die Eier des Spechtes sollen so hartschalig sein, dass sie, wenn sie brutreif sind, nicht von selbst zerspringen. Der Specht sucht zu diesem Zweck die Springwurzel." Der Dichter CLEMENS BRENTANO verwertet das Motiv vom Specht und der Springwurz in seinem dramatischen Gedicht "Die Gründung Prags" (1814) : "Der Specht umflog sein Nest mit bangen Schwingen, Das Zaratka, meine kluge Frau, verstopft. Er sollte ihr die starke Springwurz bringen Vor der die Schlösser all, an die sie klopft Und alle Siegel, alle Felsen springen. Schnell flog gen Morgen er und kehrte wieder, Erschloss sein Nest, und ätzte seine Brut, Und warf zum Feuer dann die Springwurz nieder." Einem steirischen Hirtenbuben, der auch die Nisthöhle eines "Baumhackels" (Spechtes) verkeilt hatte und so die Springwurz erlangte, ist diese schlecht bekommen. Er benutzte nämlich das alle Schlösser öffnende Zauberkraut zu Diebereien, wurde dabei ertappt und endete am Galgen. In einer niederdeutschen Sage erscheint die Springwurz unter dem Namen S. 24: "Treibwurzel". Sie soll auf dem "Faulen Anger" bei Rosdorf (unweit Göttingen) wachsen. Da blüht sie in der Christnacht zwischen 11 und 12. Wer sie gebrauchen will, muss sie ohne Werkzeug ausgraben. Dabei darf er kein Wort sprechen und muss nackt sein. Mit dieser Treibwurzel kann er jedes Schloss aufspringen lassen. Dies berührt sich eng mit dem Volksglauben von dem in der Christnacht zu gewinnenden "Farnsamen", von dem noch später die Rede sein wird. Ferner kann man mit der Springwurz Schätze entdecken, was - 19 - wiederum auf eine Verwandtschaft mit dem Glauben an die schatzweisende Mistel hindeutet. Welche Pflanze man unter der geheimnisvollen Springwurz zu verstehen hat, wird nirgends gesagt. Sie ist ja wohl auch ein Phantasiegebilde. Zwar führt in botanischen Büchern des 17. Jahrhunderts der zitronenduftende Diptam (Dictamnus albus) den Namen Spechtwurzel, aber das ist sicher ein künstlich gebildeter, kein volkstümlicher Name. Dann heisst es wieder der Salomonssiegel (Weisswurz, Polygonatum officinale) könnte die Springwurz sein. Aber auch das ist nur eine Vermutung. Die Mistel Ebenso berühmt als Zauberkraut wie Alraun und Springwurz ist die Mistel. Aber während bei den erstgenannten unzweifelhaft orientalische Einflüsse festzustellen sind, bewegt sich der Mistelglaube vor allem im germanischen und keltischen Kulturkreis, wenn auch nach den Forschungen des Germanisten H. NECKEL immerhin die Möglichkeit besteht, dass manche Züge des Mistelglaubens auf vorderasiatische Vegetationskulte zurückgehen. Bekannt ist die Baldersage, wie sie von der jüngeren Edda dargestellt wird. Der germanische Gott Balder wird durch einen Mistelzweig (mistiltein) getötet. Der tückische Loki, der Dämon im Reich der Asen, veranlasst den blinden Höd (Hödur), den Mistelzweig auf Balder zu schleudern, wodurch dieser den Tod findet. Eine besondere Verehrung genoss die Mistel bei den Galliern. PLINIUS (Nat. hist. XVI, 249) berichtet ausführlich darüber: "Die Priester der Gallier, die Druiden, kennen nichts Heiligeres als die Mistel und den Baum, worauf sie wächst, besonders wenn dieser eine Wintereiche (robur) ist. Sie verehren den Baum aufs höchste und betrachten alles, was darauf wächst, S. 25: als Himmelsgabe ("a caelo missum"). Man findet aber die Mistel nur sehr selten auf der Eiche. Wenn man sie aber findet, wird sie mit grosser Feierlichkeit geholt, vor allem am 6. Tag nach dem Neumond ... Die Druiden heissen die Mistel in ihrer Sprache die "alles heilende" (omnia sanantem) Nachdem sie unter dem Baume die gehörigen Opfer und Mahlzeiten veranstaltet haben, führen sie zwei weisse Stiere herbei, deren Hörner bekränzt werden. Der Priester, mit weissem Kleide angetan, besteigt den Baum und schneidet mit goldener Sichel die Mistel ab. In einem weissen Mantel wird sie aufgefangen. Dann schlachten sie die Opfertiere mit dem Gebet, die Gottheit möge ihre Gabe denen günstig werden lassen, welche sie damit beschenkt - 20 - S. 26: haben. In den Trank getan, solle die Mistel alle unfruchtbaren Tiere fruchtbar machen und ein Heilmittel gegen alle Gifte sein." An einer späteren Stelle (Nat. hist. XXIV, 12) schreibt PLINIUS (von den Galliern ist hier nicht die Rede), dass manche glauben, die Mistel sei wirksamer, wenn man sie unter Beobachtung frommer Bräuche und beim Neumond ohne eisernes Werkzeug sammle. Auch dürfe sie die Erde nicht berühren. Das sind alles uralte kultische Vorschriften über das Sammeln von Zauberkräutern. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass die Mistel zwar auf vielen Bäumen (z.B. auf Kiefer, Tanne, Pappeln, Obstbäumen) schmarotzt, aber nur äusserst selten auf unseren einheimischen Eichen vorkommt. Aber gerade diese Seltenheit der Eichenmistel mag ihr Ansehen in der Zauberei und in der Heilkunde besonders erhöht haben, zudem ja auch die Eiche selbst bei den Germanen und Kelten ein "heiliger" Baum war. Die Eichenmistel (Viscum quercinum) des Zauberglaubens und der alten Apotheken war wohl fast immer ein "Reklamename", um das Ansehen der Mistel noch besonders zu erhöhen. Manclimal mag es sich auch um die mit der Mistel nah verwandte Riemenblume (Loranthus europaeus) handeln, die tatsächlich auf Eichen - 21 - wächst, aber in Deutschland sehr selten ist, sie kommt hier nur in der Gegend von Pirna vor. Auch der "Goldene Zweig" (virga aurea), den Aeneas als Amulett in die Unterwelt mitnimmt, wird als Mistel gedeutet. Im deutschen Volksglauben gilt die Mistel zuweilen als hexenabwehrende Pflanze. Ins Haus und in die Ställe gehängt, schützt sie Mensch und Vieh vor den Hexen (Pommern). Wer von dem Mahr (Alp, Nachtgespenst) geplagt wird, der soll sich mit einer Mistel, die auf einer alten Eiche gewachsen sein muss, schützen (Schleswig-Holstein), daher heisst sie auch Marentacken (Tack = Zweig) oder Alpranke. Richtiger werden diese Namen wohl so erklärt, dass nach einem alten Volksglauben die Mistel ebenso wie die "Hexenbesen" auf einem Baum entstehen, auf dem der Mar oder der Alp gerastet hat. In Österreich wurde gegen die "Druden" ein Mistelzweig an der Türe befestigt. HIERONYMUS BOCK schreibt in seinem "Kreuterbuch" (1551), nachdem er die Mistelverehrung der alten Gallier (nach PLINIUS) geschildert hat: "Solcher fantasei und aberglauben seind vil bei uns eingerissen. Dann vil meinen noch / es haben die Eichen Misteln etwas krafft und gewalt für böse gespenst / henckens auch zum theil den jungen kindern an die hälss / der meinung / es soll denselben kindern S. 27: kein zauberei oder gespenst schaden." Vor allem sollte die Mistel gegen die "fallende Sucht" (Epilepsie) ein unfehlbares Mittel sein. In einer Münchner Handschrift des 15. Jahrhunderts ist zu lesen: "welcher mensch aichin [eichen] mistel an der rechten hand an einem fingerlin [Fingerring] hett, also dass die Mistel rüret an die hand [d.h. dass die Mistel die blosse Hand berührt], den käm der siechtag [= Epilepsie] nymer mer an." BOCK spricht weiter davon, dass etliche Empirici [landfahrende Ärzte] und Künstler aus der Mistel "Paternoster machen, lassen sie in Silber fassen und henckens vnder anderm geschmeid den jungen kindern an die hälse." Der Handel mit diesen "Paternostern" (Rosenkränze, Gebetsschnüre) aus der Mistel wurde im grossen betrieben und scheint recht einträglich gewesen zu sein. Das geht aus einem Handelsbuch aus der Mitte des 15. Jahrhunderts hervor, wo ein Strassburger Händler genannt wird, der einem Ulmer Kaufmann noch 450 rheinische Gulden für gelieferte "mischtlin pater noster" schuldete. Bemerkenswert ist übrigens, dass auch heute noch aus der Mistel Präparate hergestellt werden, die blutdrucksenkend wirken. Der berühmte Arzt HUFELAND (1762-1836), der Verfasser der "Makrobiotik", empfahl die Mistel gegen Epilepsie, und die Homöopathie schreibt der Misteltinktur auch jetzt noch diese Wirkung zu. Das - 22 - Erstaunliche an der Sache ist, dass PLINIUS (Nat. hist. XXIV, 12) vor 2000 Jahren die Mistel als Heilmittel für Epileptiker ("comitiales") nennt, was gewöhnlich als "Aberglaube" registriert wird. Sollte doch etwas Wahres daran sein? Die Schatzgräber wollten aus dem Vorkommen der Mistel auf gewissen Sträuchern, z.B. auf dem Weissdorn oder der Hasel, einen Fingerzeig sehen, dass hier im Boden ein Schatz zu finden sei. Dieser Glaube findet seinen Niederschlag in einem rheinischen Volksspruch: "Mistelstruk, Hexestruk, we et hollt, fengk et Gold" (wer es holt, findet Gold). Ähnlich heisst es in der Gegend von Detmold: "Wo de Mistel wässt [wächst], dor blojjet [blüht] dat Gold", und zwar steckt der verborgene Schatz so tief in der Erde, wie sich die Mistel über den Boden erhebt. S. 28: DIE WUNDERBLUME Es gibt eine wundersame Blume, die man vorher noch nie gesehen hat und die auch kein Botaniker kennt. Das erfuhr einmal eine Frau aus Wildemann (bei Clausthal), die nach Zellerfeld ging, um für ihr krankes Kind eine Arznei zu holen. Wie sie an die "Bettelmannswiese" kam, sah sie da eine grosse schöne Blume stehen. Die Frau wollte sie abpflücken. Wie sie aber zugriff, sprang die Blume vom Fleck weg, wohl zwanzig Meter weit. Die Frau läuft ihr nach. Aber die Blume springt wieder weg. Und das geschieht dreimal. Der Frau scheint das nicht geheuer. Sie lässt die Blume sein und geht nach Zellerfeld. Wie sie wieder zurückkommt, steht die Blume wieder am Weg. "Will's doch einmal versuchen, ob ich sie pflücken kann," denkt die Frau. Diesmal ist die Blume nicht weg gesprungen. Die Frau hat davon ihrem Kinde einen Tee gekocht. Da ist es gesund geworden. Danach haben viele Leute auf der "Bettelmannswiese" nach der Blume gesucht, aber niemand hat sie gefunden. Diese Sage aus dem Harz erinnert etwas an eine neugriechische von der Pflanze lampedonia (d.i. die Leuchtende). Sie leuchtet nachts, aber sie lässt sich nicht pflücken, denn wenn man sich dem Lichtschein nähert, erlischt er. Die Hirten sagen, man müsse zu zweit sein, wenn man das Kraut gewinnen wolle. Der eine müsse in der Ferne stehen bleiben, der andere mit einem Mantel versehen auf die lampedonia zugehen. Wenn er in deren Nähe gekommen sei, was ihm sein Gefährte durch Zuruf kund gibt, dann müsse jener - 23 - den Mantel auf die leuchtende Pflanze werfen. Alles, was man mit der lampedonia berührt, wird zu Gold, daher heisst sie auch Goldkraut. In deutschen Volkssagen begegnen wir öfters der Wunderblume. Eine Frau aus Gönningen im Schwarzwaldkreis fand einmal am Stöffelesberg eine schöne Blume, die brach sie ab und steckte sie sich an die Brust. Als sie hierauf im Walde etwas weiter hinaufgestiegen war, tat sich eine Türe auf und da sassen in einer Erdhöhle drei Fräulein und ein schwarzer Pudel lag am Eingang. Sie hätte die drei Fräulein erlösen können, aber in ihrer Angst wagte sie kein Wort zu reden. Auch ein Schäfer aus Sittendorf fand am Kyffhäuser eine wunderschöne Blume, wie er sie noch nie gesehen hatte. Er pflückte sie und steckte sie S. 29: auf seinen Hut. Oben auf der Burg fand er ein Gewölbe. Er ging hinein, sah viele kleine glänzende Steine auf der Erde liegen und steckte so viele ein als seine Taschen fassen konnten. Als er wieder ins Freie wollte, hörte er eine Stimme rufen: "Vergiss das Beste nicht!" Der Schäfer fasste nach seinem Hut, jedoch die wunderschöne Blume hatte er verloren. Aber die Steine, die er in dem Gewölbe aufgelesen hatte, waren zu Goldstücken geworden. Die Wunderblume ist seitdem verschwunden, obwohl schon viele Leute nach ihr gesucht haben. Ähnlich erging es einem Schäfer von Kolbenkamm in Baden. Er wurde von einer Jungfrau auf einen Platz mit Schlüsselblumen geführt. Mit einer dieser Blumen schloss er eine Türe auf zu einem Raum, in dem drei Kisten mit Schafzähnen standen. Einige Hände davon steckte er ein, ohne sich weiter um die Schlüsselblumen zu kümmern. Die Schafzähne wurden über Nacht zu Gold, aber das Beste hatte er vergessen. Neben der Schlüsselblume hält man zuweilen auch die blaue Wegwarte (Cichorium intybus), die auch sonst im Zauberglauben oft genannt wird, für die Wunderblume. Wahrhaft Phantastisches verzeichnet darüber eine "Kraft. und Tugendbeschreibung der edlen Blume Wegewart", die sich in einem handgeschriebenen "Zauberbüchlein" aus dem Egerland findet. Sie lautet (nach A. JOHN 1905): "Wie dieses gewächs in ihrer Kraft und Wirkung gegraben wird, so kann sich darmit verwahret werden wider alle seine Feinde, es seye im Sturm oder sonsten in einer Action, du kannst alle Kugeln abweisen, und wann dich einer gleich mit dem Degen wollte hauen oder stechen, so wird ihm sein Schwert oder Degen in Stücken zerspringen, und nirgends schaden können, - 24 - auch kann man dich nicht mit Stricken binden, da sie entzwei gehen wie ein Faden. Dieses Gewächs in aller Kraft zu bekommen, so gehe am Tage Peter und Pauli [29. Juni] den Abend zuvor hinaus auf das Feld und siehe dich um nach der Blume Hundlauff [ein alter Name für die Wegwarte], wo sie steht und zeichne sie recht mit einem gewissen Zeichen, dass du sie des Nachts wieder findest. Dann gehe nach Hause und dieselbe Nacht nach Mitternacht also frühe um 1 Uhr gehe hinaus nach dem bezeichneten Ort zu der gemelden Wurzel, und trette ganz dicht hinan wie es 3/4 auf 2 Uhr ist, so mache dich gleich und behänd darüber, und grabe die Wurzel aus mit einem Stück Holz, in welches das Donnerwetter hinein geschlagen hat, und wann sie ledig ist, so ziehe sie heraus, sie muss aber ganz rein seyn und nicht S. 30: entzwei geschnitten, wickle sie in ein sauber Schnupftuch. Wann du nun das Kraut mit der Blume abgemachet hast, so wickle die Wurzel in ein reines sauberes Tüchlein, und umwinde es mit einem roten Seidenfaden, dann stecke dies in ein Beutelchen, und trage solches bey dir, so bist du vor allen deinen Feinden gesichert, denn diese Wurzel weist alle Kugeln ab, wie schon oben erwehnet ist, und wann dir ein kaltes Eisen zu nahe kommt, so gehet es entzwei, wie Ruben [Rüben] und Butter, es haftet gar nicht an dir und keiner kan eines unrechten Todes sterben, der diese Blume Hundsleucht bei sich trägt." Sehr oft wird in diesen Zauberschriften betont, dass es nicht die gewöhnliche blau blühende Wegwarte sein dürfe, es müsse eine solche mit weissen Blüten sein, wie man sie tatsächlich hin und wieder antreffen kann. Im Mansfeldischen beim Dorfe Hornburg wuchs an einem Wegrain alle Jahre eine Wunderblume. Es war eine weiss blühende Wegwarte. Wer diese Blume pflückt, dem ist geholfen, doch nur ein Sonntagskind kann sich der Blume nähern und sie abpflücken. Manche Sonntagskinder haben es schon versucht, aber in dem Augenblick, da sie die Hand ausgestreckt haben um die Blume zu ergreifen, ist allemal drohend ein grosser Hund mit gewaltigen feurigen Augen erschienen. Da machten die Sonntagskinder erschrocken kehrt. Wer sich dabei umgesehen, hat bei der Blume eine weinende weisse Frau erblickt. Nur wer die Furcht überwindet und den Hund beherzt bei Seite schiebt, kann die Blume gewinnen und mit ihr alle seine Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Mit der weissen Wegwarte kann man auch einen Dieb entdecken. Man muss sie zu diesem Zweck im August, und zwar im Sternbild der Jungfrau graben, - 25 - am Abend legt man sie dann vor dem Einschlafen unter das Kopfkissen. Im Traum wird einem nun der Dieb erscheinen. Ähnlich machen es die slowakischen Mädchen mit der Wegwarte, aber sie wollen nicht einen Dieb, sondern ihren "Zukünftigen" im Traum sehen. Sie tragen eine Wegwarte unter der rechten Fusssohle im Stiefel. Vor dem Schlafengehen stecken sie diese Wegwarte in ein männliches Beinkleid und legen das Ganze unter das Kopfkissen. Auch sonst geniesst die Wegwarte im Liebeszauber grosses Ansehen. Nach einem alten Aberglauben muss man sie am Peterstag mit einem Stück Hirschgeweih ausgraben, die blosse Hand darf dazu nicht gebraucht werden. Man sichert sich mit einer solchen Wegwarte die Liebe jeder Person, die man damit berührt. S. 31: JOHANNISKRÄUTER Einen Höhepunkt des Jahres stellt die Sommersonnenwende, der Mittsommer (22. Juni), dar. Es ist der längste Tag und die kürzeste Nacht. Die Sonnwende fällt ungefähr zusammen mit dem Tag Johannes des Täufers, dem Johannistag (24. Juni). An ihn knüpfen sich alte kultische Bräuche (z.B. das Johannisfeuer), aber auch viel Aberglauben spielt dabei mit, und zwar nicht nur bei den germanischen Völkern, sondern auch bei den Romanen und Slawen. - 26 - Verschiedene Pflanzen treten dabei hervor, die sog. "Johanniskräuter". Meist sind es solche, die um Johanni in voller Blüte stehen und die seit alters wegen ihrer Heilkraft oder sonstiger S. 32: hervorragenden Eigenschaften beim Volke grosses Ansehen geniessen. Das bekannteste von ihnen ist das Hartheu (Hypericum perforatum), das bereits im 14. Jahrhundert als "sant johannskrut" bezeichnet wird und auch heute noch vor allem im südlichen und mittleren Deutschland als Johanniskraut bekannt ist. Auch im Englischen heisst es St. John's wort, in Frankreich herbe de Saint Jean, in Italien erba S. Giovanni. Mit seinen goldgelben Blüten und den etwa strahlenförmig angeordneten Staubgefässen, die fast ein winziges Abbild der Sonne sind, passt es so recht zum Sonnwendtag. Allgemein traute man diesem hell strahlenden Kraute zu, die Mächte der Finsternis, die "bösen Geister", die Hexen, ja sogar den Teufel in die Flucht zu schlagen, daher der alte, schon im 16. Jahrhundert vorkommende Name Teufelsflucht (lat. fuga daemonum) für das Johanniskraut. " Von etlichen Fuga demonum genennt darumb das man meynet, wo solichs kraut behalten würt, da kommt der teüflel nicht hyn, mög auch kein gespenst bleiben", schreibt OTTO BRUNFELS in seinem "Contrafayt Kreuterbuch" (Strassburg 1532). Sehr ausführlich handelt der berühmte PARACELSUS in seinem "Buch von den natürlichen Dingen" (um 1525 niedergeschrieben) vom "sanct Johanskraut". Vor allem preist er die Kräfte des Johanniskrautes zur Heilung von Wunden, aber auch als Mittel gegen die "tollen Geister". "Dises kraut", so meint er, "wie es an im selbs ist, sol für und für getragen werden under dem paretli [Barettlein] , im busen, in kranzweis [als Kranz] oder sonst in henden, oft daran schmecken [riechen], zu nacht unter das küssi [Kissen] tun, das haus damit umbstecken oder umb die wend henken. und das sol ein ietlicher arzt wissen, das got ein gross arcanum [Geheimnis] in das kraut gelegt hat, alein von wegen der geisten und dollen fantaseien, die den menschen in verzweiflung bringen und nicht durch den teufel, sonder von natur." Wie das Johanniskraut einst ein Mädchen vor dem bösen Feind rettete, erzählt eine saarländische Volkssage: Ein Mädchen hatte mit dem Teufel einen Bund geschlossen. Eines Tages verfolgte er das Mädchen, um es ganz in seine Gewalt zu bringen. In ihrer Herzensangst erblickte die arme Sünderin am Wegrand ein "Hartna" [Hartenau ist besonders im Rheinischen ein Volksname für das Johanniskraut]. - 27 - Sie setzte sich schnell auf die gelbe Blume und jetzt war der Teufel machtlos und rief zornig aus: "Hartna, du verfluchtes Kraut, du hast mir entführt meine Braut." Man kann sich denken, dass der Teufel auf ein S. 33: solches Kraut, das ihn um seine bereits sicher geglaubte Beute bringt, recht schlecht zu sprechen ist. Aber er hat sich an dem Kraut gerächt: "Sanct Johanniskraut ist von so grosser Krafft / den Teufel und die Hexen zu vertreiben / dahero auch der Teufel aus Bossheit / dieses Krautes Blätter mit Nadeln durchsticht", steht in der sog. Rockenphilosophie, einer Sammlung von abergläubischen Meinungen, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert immer wieder aufgelegt wurde. Mit den Nadelstichen sind natürlich die durchscheinenden Punkte (Öldrüsen) auf den Blättern des Johanniskrautes gemeint. Darauf nimmt auch der lateinische Artname "perforatum" (das Durchlöcherte) Bezug. Sogar gegen "angezauberte Liebe" ist das Johanniskraut wirksam. Da erzählt der Arzt EBERHARD GOCKELIUS in seinem "Traetatus Magico-Medicus oder ein kurtzer mit vielen wunderlichen Historien untermengter Bericht von dem Beschreyen und Verzaubern" (Frankfurt und Leipzig 1717) eine ergötzliche Geschichte, die ihm sein Freund MICHEL WIRTZLER, Rector bei der Martinsschule in Halberstadt, berichtet hat. Es war in Halberstadt ein Schreinersgeselle, dem ein Mädchen etwas beigebracht hatte, dass er von ihm nicht lassen konnte. Seine Mutter kaufte ihm ein Paar neue Schuhe und stopfte Johanniskraut hinein. In diesen Schuhen musste der Schreinersgeselle "fast in einem Trab" von Halberstadt nach Wernigerode laufen, dass ihm der Schweiss "über den Kopf und die Wangen herabtröpfelte". Wie er dorthin kam und sich ein wenig abgekühlt hatte, liess er sich eine Kanne Brühan (Brühan oder Breihahn ist eine Art Weissbier, die besonders in Halberstadt gebraut wurde) geben, goss den Inhalt der Kanne nach und nach in den rechten Schuh und trank "stehend und geschwind" das Bier aus dem Schuh aus. Darauf wurde er der Dirne spinnefeind, so dass er "nicht einmal ihren Namen ohne Ungeduld mehr anhören mochte". Ein anderes altes Johanniskraut, das ebenfalls bereits um 1500 als Sant Johanskrut bekannt war, ist der Beifuss (Artemisia vulgaris), jener staudige Korbblütler, der überall an Schuttstellen, an Wegrändern usw. häufig ist. - 28 - Auch sein alter Name Sonnwendgürtel deutet seine Beziehung zur Sonnwende, zum Johannistag, an. Man gürtete sich an diesem Tage mit den Stengeln des Krautes, warf es dann ins Johannisfeuer und glaubte sich dann sicher vor Krankheit im ganzen kommenden Jahr. BOCK prangert S. 34: den Aberglauben, der mit diesem Johanniskraut getrieben wurde in seinem "Kreuterbuch" (1551) an: "Dill erwürdig kraut, Beifuss oder Bucken, S. Johanneskraut und -gurtel ist auch in die superstition [Aberglauben] und zauberey kommen also dass etlich diss kraut auff gewissen tag und stunden graben wie Verbenam [Eisenkraut], suchen kolen und narrensteyn darunder für febres [Fieber], andre hencken es umb sich, machen krentz darauss, folgens werffen si dz kraut mit jrem unfal [Unglück, Krankheit] in S. Johansfeur mit jren sprüchen und reymen. Diss affenspiI und ceremonien treiben nit die geringsten zu Pareiss [Paris] in Franckreich." Die - 29 - S. 35: Ein Engel zeigt Karl dem Grossen die Eberwurz als Mittel gegen die Pest. Aus dem kurz nach 1500 in Oberitalien entstandenen Codex icon. 26 der Bayerischen Staatsbibliothek. - 30 - S. 36: Hexen kochen einen Zaubertrank. Nach Hans Baldung, genannt Grien (1485-bis 1545). S. 37: Kohlen und Narrensteine, die man am Johannistag unter einer Beifussstaude finden sollte, waren im Aberglauben hochgeschätzt. In Mecklenburg hiess es, wenn man am Johannistag mittags Schlag 12 Uhr unter einer Beifussstaude - 31 - nachgräbt, findet man unter der Wurzel eine brennende Kohle. Sobald aber die Glocke ausgeschlagen hat, ist die Kohle verschwunden. Daher muss man sich sehr eilen, die Kohle wegzunehmen. Nach dem Volksglauben der Litauer findet man diese Kohle in der Johannisnacht zwischen 11 und 12 Uhr. Sie wird von einem schwarzen Hunde bewacht und ist sehr schwer zu bekommen. Aber wem es gelingt, der kann mit diesen Kohlen das Fieber heilen. BRUNFELS, der Zeitgenosse des HIERONYMUS BOCK will sogar diese Kohlen selbst gesehen haben: "Die magi [Zauberer] graben diese Wurtzel [vom Beifuss] uff S. Johanns abent, so die sonn undergadt, so finden sye darbei schwartz körnlin an der wurtzel hangen. Und das dem also, hab ich selb gesehen, ist ein sonderlich geheymnuss, was damit gehandlet würt." LINNE vermutet, dass diese angeblichen Kohlen nichts anderes seien als abgestorbene Wurzelreste der Pflanze. Der Königsberger Botanikprofessor K. G. HAGEN meint in seinem Werk "Preussens Pflanzen" (1818), dass die Kohlen wohl daher rühren, dass der Beifuss vorzüglich an Stellen (Schutt) wachse, wo zufällig Asche nebst Kohlenresten ausgeschüttet worden seien. Beide "Erklärungen" sind wohl gleich unzureichend. Wie berühmt der Beifuss im Mittelalter als Heilpflanze war, zeigt seine Anrufung in dem angelsächsischen Kräutersegen (s. S. 74), wo er als das "älteste der Kräuter" an erster Stelle steht. In Oberfranken, im Egerland und im Erzgebirge ist die Arnika (Arnica montana), die allbekannte Heilpflanze (Arnikatinktur!), die Johannisblume, in der Mundart G'hannesblume geheissen. Auch der Volksname Sonnwendblümel, den sie im Bayerischen Walde führt, deutet auf ihre Blütezeit hin. Im Fichtelgebirge pflückte man sie früher am Johannisabend, hing sie in der Stube auf, legte sie auch unter das Dach, dann war das Haus vor dem Einschlagen des Blitzes und vor allem vor dem bösen Treiben der Hexen sicher. Ferner steckte man die Johannisblumen an die Ecken der Felder, um den "Bilwis" am Betreten der Saaten zu hindern. Der "Bilwis" oder "Bilmesschnitter" ist nach altem Volksglauben ein S. 38: Korndämon, der besonders um Johanni umgeht. An den Zehen hat er kleine Sicheln und wenn er nächtlicherweile durchs Kornfeld geht, dann schneidet er damit Gassen, die man noch am nächsten Morgen sehen kann. Aufgeklärte Leute wollen allerdings wissen, dass dieser Bilwisschnitt nichts anderes ist, - 32 - als Gassen, die sich die Hasen durchs Saatfeld beissen. In der Gegend von Regen (Niederbayern) flocht man früher aus der Arnika und einigen anderen zur Sonnwendzeit blühenden Pflanzen Kränze und warf sie ins Johannisfeuer. Auch eine recht unscheinbare Pflanze hiess früher im Niederdeutschen (z. B. in Brandenburg und Mecklenburg) Johanniskrut. Es ist dies der Knäuel (Scleranthus perennis), ein höchstens spannenhohes Kräutlein mit schmalen Blättern und kleinen weisslichgrünen Blüten. Es wächst vorzüglich auf sandigen Böden. An seinen Wurzeln lebt die Polnische Schildlaus (Porphyrophora polonica), die wie die echte Cochenille-Laus einen roten Farbstoff liefert. Weil diese Polnische Schildlaus - das Volk hält sie für "rote Körner" an der Wurzel - besonders um Johannis zu finden ist, nennt man sie Johannisblut. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man in der "Hexenkuhle" bei Elmshorn (Schleswig) alte Frauen sehen, die am Johannistag zwischen 12 und 1 Uhr den Knäuel sammelten, an dessen Wurzeln die roten "Körner" hingen. Dieses "Johannisblut" wurde in Blechbüchsen aufbewahrt und galt als wunderkräftig. Es sollte vor Krankheit und Unglück schützen, aber es musste in der ersten Nachmittagsstunde gesammelt sein, Schlag 1 Uhr ist seine Zauberkraft vorbei. Sogar im Jahre 1902 konnte man noch auf dem grossen Exerzierplatz von Schwerin Leute beobachten, die am Johannistag unter strengstem Stillschweigen das Johannisblut suchten. Zu den Johanniskräutern gehört auch in vieler Hinsicht das Farnkraut, worunter hier besonders ansehnliche Arten wie der Wurmfarn (Dryopteris filix-mas), der Frauenfarn (Athyrium filix-femina) und der Adlerfarn (Pteridium aquilinum) zu verstehen sind. Den Kern des Aberglaubens bildet die Meinung, dass der Farn nur in der Johannisnacht "blühe" und dass nur zu dieser Zeit der zauberkräftige "Farnsame" zu gewinnen sei. Jeder, der in der Pflanzenkunde einigermassen bewandert ist, weiss, dass der Farn keine Blütenpflanze ist und daher auch keinen Samen haben kann. Unter "Farnsamen" sind zweifellos die Sporenhäufchen auf der Unterseite der Farnwedel zu verstehen. S. 39: Um 1500 herum muss der Glaube an die Zauberkraft des "Farnsamens" noch weit verbreitet gewesen sein. Die alten Kräuterbücher berichten ausführlich darüber. BRUNFELS (1532) schreibt eingehend vom Missbrauch des "Foren Samens": "Kein kraut ist da meer hexenwerck / und teuffels gespenst mit - 33 - getriben würt. Ich muss hye mit gewalt mich lassen bereden / wie diesses kraut [der Farn] ein samen trage / welchen es auf Sankt Johannsnacht würfft... Und diesser samen würt auch nit yedermann zu theyl / sondern muss man zuvor dz kraut beschwören / und den teuffel darüber anruffen / und alsdann so schwitzet es wie ein gummi tröpflin [das sind die Sporangienhäufchen ], welche gleich uff stund hart werden / und zu einem schwartzen samen / welcher mir auch von etlichen ist gezeygt worden. Mag war sein, mag auch wol teufels gespenst sein. Es mögen ye solcher samen nyemants gedeyen (wie sy sagen) dann allein uff S. Johanns-nacht / und auch nicht / dann mit vorgegangener conjuration [Beschwörung] / doch eine anders weder die andere. Dann hye hör ich / dz auch einer nit braucht handtgebärd wie der andere. Halt es für ein lauter Gauckelwerk. Dann ist es ein natürlich ding mit diessem samen / was bedarf es solicher conjuration / und den teuffel darüber anzuruffen / oder auch darvon zu treiben / so würt die natur ire wirckungen selber thun / on beschwören und ungesägnet. Ist es kein natürlich ding / so ist es gewisslich ein gespenst und betrügnuss ..." BRUNFELS schliesst mit den Worten: "Solichs hab ich hye müssen anzeygen von den Faren / damit ich nit gar nichts davon sagte. Es werden aber die Farenbeschwörer / vileicht über mich zürnen, da ligt nicht vil an." BOCK (Kreuterbuch 1551) beschreibt als guter Naturbeobachter die "gantz kleinen düpfflin" auf den Wedeln des Wurmfarnes recht anschaulich und fügt hinzu, dass die alten Weiber diesen Staub der Farnblätter sammeln und als Farnsamen ausgeben. Er hat auch wohl gehört, dass dieses Farnsamenholen in der Johannisnacht eine gefährliche Sache sei, bei der man vielleicht mit dem Teufel zu tun bekomme. Aber der gute HIERONYMUS BOCK will sich selber überzeugen. Recht geheuer scheint ihm jedoch die Sache nicht gewesen zu sein, denn er schreibt, dass er in der Johannisnacht nicht allein zum Farnsamenholen - 34 - S. 40: "Waldfarn Mennle" (Wurmfarn) aus Fuchs, New Kreuterbuch, Basel 1543. Der "Farnsame" (Sporen), in der Johannisnacht gesammelt, soll Zauberkraft haben. - 35 - S. 41: S. 42: gegangen sei, sondern dass er zwei Männer mitgenommen habe. Dann hätten sie ein grosses Feuer angezündet, um die Nacht zu erhellen. Wie man den Farnsamen gewinnen konnte, erfahren wir aus schwäbischen HexenprozessAkten vom Jahre 1650. Ein gewisser Michael Pusper aus Rottenburg am - 36 - Neckar wird der Zauberei beschuldigt. Im hochnotpeinlichen Verhör beteuert er, dass er den Farnsamen nie geholt habe, dass er aber wisse, wie man ihn am St. Johannisabend holen könne. Man nehme eine Haselstockwurzel, ziehe mit dieser auf einem Kreuzweg einen Ring, in diesen Ring bringe man einen weiss blühenden Wegwartstock. Das müsse des Nachts zwischen 11 und 12 Uhr geschehen, dabei dürfe man aber nichts reden. Jetzt würden sich allerlei Erscheinungen zeigen: Vater, Mutter und andere Personen, Hunde und dgl. Um 12 Uhr müsse man an den Wegwartstock schlagen, nachdem man ein Tierfell unter ihm ausgebreitet habe. Unterdessen sei ein Stengel daraus hervor gewachsen und zugleich falle der Same zur Erde. Das sei der Farnsame, den man dann in ein Federröhrlein einschliessen müsse. Mit ihm könne man grosse Wunder verrichten. Man scheint aber dem unglücklichen Pusper nicht geglaubt zu haben, dass er sich von diesen Hexenkünsten fern gehalten habe, denn er wurde nach den Prozessakten Mitte September 1650 enthauptet. Schon einige Jahrzehnte vorher (1611) hatte der Herzog Maximilian in Bayern ein "Landtgebott wider Aberglauben, Zauberey, Hexerey und andere sträffliche Teufelskünste" erlassen, in dem denjenigen mit schweren Strafen gedroht wird, die "den fahrnsamen holen". Unter den vielen wunderbaren Eigenschaften des Farnsamens ist vor allem die zu nennen, dass er seinen Träger unsichtbar machen kann. Hier eine westfälische Sage, die übrigens in ganz ähnlicher Form Rum in anderen Gegenden wiederkehrt: Einem Mann in Bergkirchen ging es einmal wunderlich mit dem Farnsamen. Er suchte in der Johannisnacht sein verlorenes Füllen und wie er so durch den Wald streifte, fiel ihm der Farnsame in die Schuhe, ohne dass er es merkte. Des Morgens kehrte der Mann nach Hause zurück, trat in die Stube und setzte sich. Es kam ihm seltsam vor, dass Frau und Hausgenossen ihn gar nicht beamteten. Da sprach er: "Das Fohlen habe ich nicht gefunden." Alle, die in der Stube waren, erschraken. Sie hatten ganz gen au seine Stimme gehört, sahen aber niemand. Da rief ihn die Frau beim Namen und meinte, er müsse sich wohl versteckt haben. Da stand er auf, stellte sich mitten in die Stube und sagte: "Was rufst du, S. 43: ich stehe ja hier ganz nahe vor dir." Da wurde der Schreck noch grösser, denn man hatte den Mann aufstehen und gehen hören und sah doch nichts. Der Mann merkte nun, dass er unsichtbar war und er dachte sich, er möchte wohl Farnsamen in den Schuhen haben, denn es drückte ihn, als ob er Sand darin - 37 - hätte. Er zog die Schuhe ab und stäubte sie aus. Und wie er das tat, stand er sichtbar da vor allen. Mit Hilfe des Farnsamens kann man auch Schätze heben, er schafft Glück bei allen Unternehmungen, daher die schwäbische Redensart von einem, dem alles gelingt: "Der hat de Fahrsame g'holt." Die "Johannisblüte", die in der Mitternachtsstunde der Johannisnacht erscheint, ist wohl dem Farnsamen gleichzusetzen. Sie macht fest, d.h. unverwundbar. Im Jahre 1601 wurde in Erfurt ein Bürger mit dem Schwert hingerichtet. Als er niederknien sollte, sprach der Scharfrichter zu ihm: "Ich höre, du seiest fest, darum rat ich dir, mach dir und mir keine weitere Mühe und Ungelegenheit." Der arme Sünder antwortete: "Ja, es ist wahr, allhier steckt's unter meinem rechten Arm, nimm es hin!" Da nahm er es und sagte nachher, es wäre gedorrt St. Johannisblüte. Der Glaube von der wunderbaren "Farnblüte" lässt sich auch bei den Slawen nachweisen. FELIX HAASE (Volksglaube und Brauchtum der Ostslawen, Breslau 1939) berichtet darüber: "Am Vorabend des Johannistages kann man die Blüte des paporotnik (russischer Name des Farnkrautes) erreichen. Man muss dabei die Kerze anzünden, die in der Weihnachtszeit beim Morgengottesdienst brannte und sprechen: Ja, Gott ist auferstanden. Die unreine Kraft stört den Menschen dabei in jeder Weise. Um den paporotnik liegen Schlangen und Ungeheuer. Sie warten gierig auf den Augenblick des Erblühens des paporotnik. Kaum bemüht sich der Mensch, die Blüte abzureissen, da öffnet sich die Erde, Donnerschläge ertönen, Blitze leuchten, Stürme brausen, teuflisches Gelächter erschallt, Höllenflammen umgeben den Menschen. Tritt er aus dem (mit einem Messer) gezeichneten Kreis heraus, so zerreissen ihn die Teufel. Hat der Mensch die Blüte herausgerissen, so muss er, ohne sich umzusehen, nach Hause laufen. Sieht er sich um, so ist alles vergeblich gewesen." Manchmal wird auch die geheimnisvolle "Irrwurz" als das Farnkraut gedeutet. Wer auf sie unversehens tritt, verirrt sich im Walde und findet nicht mehr heim oder geht stundenlang nur im Kreise herum. Man kann sich vor der Irrwurz nicht hüten, denn man kennt sie nicht. Da hat einmal S. 44: die Bachhuberbäuerin Schmalz nach Straubing (Niederbayern) auf den Markt bringen wollen. Da sie schon recht frühzeitig in der Stadt sein wollte, machte sie sich schon um Mitternacht auf den Weg. Sie ging durch einen Wald, der unmittelbar neben dem Anwesen begann und zum Hof gehörte. Gleich beim - 38 - Betreten des Waldes muss sie aber auf eine Irrwurz getreten sein. Sie irrte nämlich die ganze Nacht im Wald herum, ohne einen Ausweg aus dem ihr sonst wohlbekannten Wald zu finden, der nicht einmal gross war. Erst als der Morgen zu dämmern begann, erkannte sie, dass sie unmittelbar vor ihrem Bauernhof stand. Der Farnaberglaube steht sicher in naher Beziehung zu den alten Sonnwendkulten. Der "Farnsame" soll eine "Emanation" der Sonne sein. Da er etwas goldähnlich glänzt, soll er zur Entdeckung von Schätzen verhelfen. Auch als glühend und feurig wird er daher beschrieben (JAMES FRAZER). Wie weit dies zutrifft oder ob es sich nur um mythologische Spekulationen handelt, sei dahingestellt. Internet-Bearbeitung: K. J. Version 03/2011 --------