Zahnärzte erleben den größten
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Zahnärzte erleben den größten
EIN INFORMATIONSDIENST DER KASSENZAHNÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG VOM PENTHOUSE IN DEN KOHLENKELLER: DR. JÜRGEN FEDDERWITZ IM INTERVIEW DAS ZAHNBLATT MIT BISS Schöne neue Praxiswelt Zahnärzte erleben den größten Berufswandel der letzten 500 Jahre Nicht nur für Zahnärzte Editorial / Praxispost 01/2007 Seite 2 Liebe Freunde, liebe Patienten, liebe Skeptiker Image ist nicht alles, aber ohne Image ist alles nichts. Zahnärzte zum Beispiel machen ja angeblich oft schlechte Arbeit, sind zum Ausgleich aber ziemlich geldgierig und stehen auf Bauherrenmodelle. Jeder bestätigt aber auch, dass sein Zahnarzt ganz anders ist. Akribisch nämlich, verantwortungsvoll und von der Mission beseelt, Zähne zu retten und den Schmerz aus der Welt zu tilgen. Das weiß auch schließlich jeder aus unmittelbarer Erfahrung. Und der Erfahrung folgen die Fakten. Die belegen, dass die Zähne der Deutschen immer besser werden, weil die zahnmedizinische Versorgung immer besser wird. Dafür klopfen wir Zahnärzte uns selbstbewusst auf die Schulter. Ganz umgekehrt, aber doch irgendwie ähnlich, verhält es sich mit Gesundheitsreformen. Die gelten per se erst mal als tolle Sache, weil sie Jahrhundertwerke sind und die Konjunktur beleben: Der Bundestag kann tagen, Journalisten können Journale damit füllen, die Krankenversicherung versichert den Kranken, dass alles gut wird, und gleichzeitig wird eine unglaubliche Menge Geld gespart. Nur die letzte Gesundheitsreform ist irgendwie anders. Lohnnebenkosten und Beiträge sollte sie senken, den Einstieg in die Steuerfinanzierung von Gesundheitsleistungen schaffen, als weitere Jahrhundertreform die langfristige Finanzierung des Systems sichern und den kalten Wind des Wettbewerbs in die wohligen Stuben der Besitzstandswahrer pusten. Stattdessen steigen die Beiträge erstmal, der Steuerzuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen schrumpft, und das Jahrhundert dauert nur noch zwei bis drei Jahre. Zudem werden private und gesetzliche Krankenversicherung gleichgeschaltet, damit der Wettbewerb ja nicht zu doll wird. Tatsächlich intensiver wird der eigentlich nur, ja genau, bei den Zahnärzten. Denn bei ihnen ist am 1. April (kein Scherz) die Bedarfszulassung weggefallen. Auf Klardeutsch: Ab sofort kann sich jeder Zahnarzt überall niederlassen und überzählige Kollegen wegkonkurrieren. Aber kein Grund zur Klage, wir haben uns das gewünscht, ehrlich. Nicht gewünscht haben wir uns den Einstieg in die Staatsmedizin, aber das ist ein anderes Thema... Was darüber hinaus bleibt, ist die Hoffnung. Nach dem EGG (Ehernes Gesetz der Gesundheitspolitik) gibt es, statistisch betrachtet, ca. alle vier Jahre eine Gesundheitsreform, die jeweils zur Mitte einer Legislaturperiode in Kraft tritt. Wenn alles glatt geht, haben wir also 2011 die nächste Chance auf ein gesundheitspolitisches Kuckucksei. Ihre KZBV IMPRESSUM Herausgeber Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) Universitätsstraße 73 50931 Köln Tel: 0221 / 40 01 0 Fax: 0221 / 40 40 35 E-Mail: [email protected] www.kzbv.de Mitarbeiter dieser Ausgabe Andrea Kleu-Özcan, Sabine Schubert, Sonja Sakolowski, Patrick Weisbrod Chefredaktion Dr. Reiner Kern (V.i.S.d.P.), Fotoredaktion: Jens Jeske Grafik/Layout: Steffi Butter Auflage: 4.500 Druck Möller Druck und Verlag GmbH Oraniendamm 48 13469 Berlin Stand: April 2007 Anzahl der Mitarbeiter, die Angst vor dem Zahnarztbesuch haben: 5 Anzahl der Mitarbeiter(innen), die Haare auf den Zähnen haben: 1 Anzahl der Mitarbeiter, die Brücken tragen: 12 Anzahl der Mitarbeiter, die lieber Brücken schlagen: 68 Anzahl der Mitarbeiter, die denken, dass die Gaumenspalte in Südtirol liegt: 0 Anzahl der Mitarbeiter, die auf der Felge kauen: 0 Anzahl der Mitarbeiter, die wg. Überlastung auf dem Zahnfleisch gehen: 3 « Bei dieser Gesundheitsreform kommt der Wettbewerb genauso beeindruckend daher wie Herr Tur Tur, der Scheinriese aus Lummerland – je genauer man hinsieht, um so kleiner wird er. » (Florian Lanz, Sprecher des BKK-Bundesverbandes) « Dass es schwierig würde, habe ich schon gedacht. Aber es war vielleicht ein bisschen schwieriger als gedacht. » (Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin) Chef des Monats 01/2007 Seite 3 Dr. Rainer Hess Warum: Weil er echt eine arme Socke ist. Wer ist der Mann? Geläuterter Ärztefunktionär und unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, der über die halbleeren Fleischtöpfe im Gesundheitswesen wachen muss. Was will er? Eigentlich nur seinen Job machen. Und, das Problem? Dass er angeleint, sein Laden verstaatlicht und das Ganze dann als Gesundheitsreform verkauft wird. Was lernen wir daraus? Das Gesundheitswesen heißt selbstverwaltet, weil Ulla Schmidt Foto: GBA es selbst verwaltet. Meldungen 01/2007 Seite 4 Zaster für den Zahnarzt Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Zahnärzte mit eigener Praxis verdienen in der Regel gut. Doch das könnte sich bald ändern. Die Rolex-Klischees sind überholt, aber der bundesdeutsche DurchschnittZahnarzt hat im Jahr 2004 ca. 110.000 Euro Gewinn erwirtschaftet. Davon gehen Steuern und Altersvorsorge ab. Dem stattlichen Verdienst stehen hohe Praxisgründungskosten von gut 350.000 Euro und ein unternehmerisches Risiko gegenüber. Zudem arbeiten Zahnärzte mit 48 Wochenstunden deutlich länger als die meisten Berufstätigen. Das zahnärztliche Honorar ist in einem dualen Gebührenordnungssystem geregelt. Der Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) dient zur Abrechnung von Kassenleistungen, die eine solide Grundversorgung bieten. Er schreibt zunächst fixe Honorare vor, ist aber an feste Budgets gebunden. Bald weniger Scheine? Droht aufgrund hoher Behandlungsnachfrage deren Überschreitung, werden die Honorare nachträglich gesenkt. Die betriebswirtschaftliche Kalkulationsbasis ist daher unsicher. Anders funktioniert die private Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Sie gilt für die Abrechnung mit Privatversicherten, aber auch dann, wenn gesetzlich Krankenversicherte private Leistungen in Anspruch nehmen. Budgets und starre Preise kennt sie nicht. Das duale System funktioniert. Der Versicherte kann zusätzliche Leistungen wählen, die die Krankenkasse versagt. Der Zahnarzt kann sein Honorar in Teilbereichen beeinflussen und aus GOZ-Erlösen die kontinuierliche Modernisierung der Praxis finanzieren. Doch es droht Ungemach: Die Bundesgesundheitsministerin verfolgt die Ablösung des dualen Systems durch eine einheitliche Gebührenordnung auf der Basis des BEMA. Dahinter steht das Ziel, die private Krankenversicherung auszuhöhlen und eine Einheitsversicherung zu etablieren. Den Zahnärzten schmeckt das nicht. Aber auch die Versicherten würden die Freiheiten verlieren, die ihnen die private Säule des dualen Systems bisher bietet. Fauchards Corner Deutschlands Zahnärzte bewerten aktuelle Trends Ja Nein Kein Kommentar Stephan Allroggen Dr. Wolfgang Carl Martin Hendges Dr. Antoinette Röttele Dr. Hans Hugo Wilms Würden Sie im Ausland gefertigten Zahnersatz anbieten? Würden Sie Ihren Kindern den Zahnarzt-Beruf empfehlen? Ist Bleaching wieder out? Behandlungstermine am Wochenende – eine gute Idee? Fotos: www.dreamstime.com; privat (5) Macht die Reform die kranken Kassen gesund? Meldungen 01/2007 Seite 5 « ...ich glaube, es war ein Fehler, die Praxis mit Gauguin zu teilen. Er ist ein kranker Mensch. Er trinkt in großen Mengen Zahnweiß. Als ich ihn beschuldigte, geriet er in Wut und riss mein Zahnarzt-Diplom von der Wand. In einem ruhigen Augenblick schlug ich ihm vor, es mit dem Plombieren im Freien zu versuchen, und wir arbeiteten auf einer Wiese, umgeben von Grün und Gold... » (aus: Wenn die Impressionisten Zahnärzte gewesen wären (Ein Phantasiestück zur Erhellung von Gemütsveränderungen), in: Woody Allen. Alles von Allen, Hamburg, Rowohlt. 2003) Die größten Gewinner Berufsprestige-Skala: Ärzte vorne Quelle: Institut für Demoskopie, Allensbach 2005 Foto: Ilja C. Hendel / VISUM für BMG Arzt 71 Krankenschwester 56 Polizist 40 Rechtsanwalt 25 Schriftsteller 15 Politiker 6 Ärzteranking: Zahnärzte ganz vorne Quelle: Forsa für BMGS, 2002, Auszug Die Versorgung ist gut... (in %) Beim Zahnarzt 82 Beim Hausarzt 68 Beim Facharzt 67 Im Krankenhaus 48 So könnte sie aussehen – die „Teure“ Tolle Telematik Die elektronische Gesundheitskarte ist den Zahnärzten teuer, aber nicht sonderlich lieb. Denn die Kosten überwiegen den Nutzen. Kommen wird die Karte trotzdem. Nur wann, weiß eigentlich keiner. Vergangenen Sommer hat die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton im Auftrag der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) eine Kosten-NutzenAnalyse zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte erarbeitet. Für Initiatoren und Advokaten des Kartenprojektes war durchaus schmerzhaft, was dabei ans Licht kam: Bei Patienten, Ärzten und Krankenhäusern überwiegen die Kosten der Karte den erwartbaren Nutzen auch mittelfristig bei weitem. Dass die Kosten-Nutzen-Relation für Zahnarztpraxen mit etwa 1:6 besonders ungünstig ausfällt (für Arztpraxen liegt sie bei 1:3), liegt in der Natur der Sache. Sie sind mangels Bedarf kaum an den stationären und übrigen ambulanten Sektor angebunden, überweisen wenig und stellen fast keine Rezepte aus. Sie erheben und nutzen medizinische Daten des Patienten nur in begrenztem Umfang, denn der Befund liegt in der Regel auf der Hand, oder vielmehr direkt sichtbar im Mund des Patienten. Für Funktionen der Karte wie elektronisches Rezept, Patientenakte, Arzneimitteldokumentation oder Arztbriefe hat der Zahnarzt daher kaum Verwendung. Trotzdem hat er die gleichen Kosten für Anschaffung und Unterhalt des Kartensystems wie jeder andere Leistungsträger. Nicht weiter verwunderlich ist es daher, wenn die Kosten-NutzenAnalyse empfiehlt, die Ausgestaltung der Gesundheitskarte im zahnärztlichen Bereich auf Pflichtanwendungen (Patientenstammdaten, elektronisches Rezept und Nutzung als europäische Krankenversichertenkarte) zu beschränken, weil „für Zahnärzte Kosten und Nutzen der freiwilligen Anwendungen in keinem Verhältnis stehen.“ Ob abgespeckt oder nicht, kommen wird die Karte. Wann, ist allerdings immer noch offen. Immer wieder hat das Bundesgesundheitsministerium viel zu ehrgeizige Etappenziele ausgerufen, viel zu oft schon mussten die Zeitpläne wieder korrigiert werden. Zwar laufen seit Anfang 2007 Feldtests, doch die flächendeckende Einführung der Karte ist noch in weiter Ferne. Angedacht war sie ursprünglich für Anfang 2006. Offiziell zielt die Planung jetzt auf 2008. Doch Kenner der Szene sprechen hinter vorgehaltener Hand längst von 2010. Titel 01/2007 Seite 6 Schöne neue Praxiswelt? gut aufgehoben, auch wenn es eigentlich gar nicht ihre Praxis ist. Denn gehören tut sie Dr. Manuel Max*, der mit seinen 22 Zweigpraxen in Frankfurt, Wiesbaden und Mainz mittlerweile ein dentales Mittelstandsunternehmen aufgebaut hat... So oder ähnlich könnte sie aussehen, die schöne neue Praxiswelt von morgen. Denn die zahnärztliche Versorgung ist im Umbruch. Dafür sorgt unter anderem ein ständiger Strom von Gesetzesvorhaben. Gesundheitsreform ist vom Ereignis längst zum andauernden Prozess geworden. Vom GMG (GKV-Modernisierungsgesetz) über das VÄndG (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz) und das VVG (Versicherungsvertragsgesetz) bis hin zum WSG (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) wird eine Vielzahl von Gesetzen unter hohem Druck durch die parlamentarischen Pipelines gedrückt. Ihre Wirkung kumuliert sich und beför- dert einen dynamischen Strukturwandel in der zahnärztlichen Versorgung. Differenziertes Berufsbild Niederschlag findet dieser Wandel zunächst darin, dass sich die Formen zahnärztlicher Berufsausübung stärker ausdifferenzieren. Bisher ist der typische Zahnarzt selbstständig in eigener Praxis tätig. Zukünftig wird es zahnärztliche Behandlungen auch verstärkt in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) geben. Gleichzeitig erleichtert das VÄndG seit Januar 2007 die Anstellung von Zahnärzten, erlaubt erstmalig die Bildung von Zweigpraxen und überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften. Damit sind Voraussetzungen für das Entstehen von Großpraxen und Praxisketten mit internationalen Kapitalgebern geschaffen. Es stellt sich die Frage, inwieweit rein renditeorientierte Ketten das Patientenwohl Foto: Hossein Kokabpick Wir schreiben den 22. Oktober 2011. Es ist kurz vor zehn. Ein strahlender Samstagmorgen. Anton Alias* ist auf dem Weg zu seiner Zahnärztin. Alias hat Probleme mit dem Zahnfleisch und ist bei Dr. Margitta Moritz*, M.A. in Behandlung. Die ist Fachärztin für Parodontologie und behandelt ihre Patienten in einer schicken Praxis in einem Neubaukomplex der Frankfurter Zeil. Alias ist noch nicht lange ihr Patient. Vorher war er ein paar mal in der „King-Zahn“-Niederlassung im Industriegebiet, gleich neben IKEA und Toys ‚R‘ Us. Aber irgendwie ging es da immer hektisch zu, und jedes Mal hatte er einen anderen Behandler. Eigentlich wäre er gerne bei seinem alten Hauszahnarzt geblieben. Nur der hat vor zwei Jahren die Praxis geschlossen und ist in den vorzeitigen Ruhestand gegangen. Zuviel Konkurrenz, hat er gesagt. In der Praxis von Dr. Moritz fühlt sich Alias jetzt aber * Falls es jemanden geben sollte, der so heißt: sorry, keine Absicht. Eines ist klar: Die Zahnärzte in Deutschland stehen vor dem größten Strukturwandel in der Geschichte des Berufsstandes. Medizinisch-technischer Fortschritt, gesetzgeberisches Dauerfeuer und die Internationalisierung der Gesundheitsmärkte verschärfen den Wettbewerb und verändern das Berufsbild. Wer in der Praxiswelt von morgen bestehen will, muss sich neuen Zwängen stellen – und wird vielleicht neue Wege gehen. Titel 01/2007 Seite 7 noch ausreichend im Blick haben. Für viele kommt die Entwicklung einem berufspolitischen Sündenfall und dem Verlust einer lang gehegten Unabhängigkeit des Berufsstandes gleich. Andere werden im Umbruch pragmatisch ihre Chance suchen. Mancher frisch approbierte Jungzahnarzt wird lieber ein Angestelltendasein führen als Hunderttausende in den Aufbau einer eigenen Praxis zu stecken. Für Frauen, die Beruf und Karriere unter einen Hut bringen wollen, kann die Anstellung in Teilzeit eine interessante Option sein. Und immer mehr Frauen drängen in den Zahnarztberuf. Ab 2020 werden sie wohl die Mehrheit der Behandler stellen. Härterer Wettbewerb Die Differenzierung des Berufsbildes wird begleitet von einem rauer werdenden Wettbewerb. Schon heute müssen Zahnärzte ihre Patienten intensiver umwerben als noch vor einigen Jahren. Dabei wird auch der Preis einer Behandlung immer mehr zum entscheidenden Faktor. Das System befundbezogener Festzuschüsse für Zahnersatz, um dessen Einführung die Zahnärzteschaft jahrelang gekämpft hat, wirkt seit 2005 als Katalysator des Wettbewerbs. Da Patienten therapieunabhängige Festbeträge von der Krankenkasse erhalten, hat sich ihr Kostenbewusstsein deutlich erhöht. Dass der Wettbewerb da gelegentlich auch Blüten treibt (zum Beispiel wenn Zahnärzte in auktionsähnlichen Internetportalen Kostenvoranschläge für Behandlungen unterbreiten, ohne den Patienten untersucht zu haben), akzeptiert man nolens volens in der Hoffnung, dass keine Dumpingspirale entsteht. Glücklicherweise definiert sich Wettbewerb aber auch über die Faktoren Qualität und Service. Viele Praxen setzen auf spezielle Therapien, besonders hochwertige Behandlungen oder bieten Termine auch am Abend und an Wochenenden an. So oder so nimmt die Konkurrenz unter den Zahnärzten weiter zu, da mit der Gesundheitsreform zum 01. April 2007 die Bedarfszulassung weggefallen ist. Sie hat zuvor restriktiv geregelt, wann und wo sich ein Zahnarzt niederlassen darf. Jetzt können auch in gut versorgten Gebieten Praxen öffnen, die den vor Ort etablierten Kollegen Konkurrenz machen. Eigentlich eine gute Sache, doch in Kombination mit der Möglichkeit zur Bildung von spezialisierten Ketten birgt sie auch das Risiko der Entstehung von Massenabfertigungsbetrieben mit einseitiger Therapieausrichtung. Geiz ist geil? Der Marktplatz für Gesundheitsdienstleistungen hat sich ohnehin längst über Ländergrenzen ausgedehnt. Mehrere tausend Zahnärzte nutzen schon heute die Türkei oder Fernost als verlängerte Werkbank und beziehen dort preisgünstigen Zahnersatz für Standardversorgungen. Der muss nicht schlechter sein als deutscher, wenn Qualitätsmaßstäbe garantiert werden, und der Zahnarzt kann Kostenvorteile an den Patienten weitergeben. Auch die Mobilität der Versicherten nimmt zu: Krankenkassen kooperieren mit grenznahen Zahnärzten in Polen und proben (noch mit geringem Erfolg) den nicht in Wohnortnähe sind. Lebenslanges Lernen Die Konkurrenz zwingt den Zahnarzt, neben seiner medizinischen Qualifikation weitere Fähigkeiten auszubilden. Betriebswirtschaftliche Expertise und Dienstleistungsmentalität werden wichtiger. Vor allem aber braucht er die – im Studium keinesfalls erlernte – soziale Fähigkeit, seinem mündiger werdenden Patienten als Partner in einem gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozess für eine Therapie zu begegnen. Der Halbgott in Weiß hat ausgedient. Lebenslanges Lernen ist Teil des zahnärztlichen Berufs. Kontinuierliche Fortbildung ist Pflicht, und der rasante medizinsch-technische Fortschritt zwingt zu einer ständigen Aktualisierungsleistung, will man weiterhin „state of the art“ behandeln können. Wachsender Wissens-kanon und Wettbewerb führen aber zunehmend auch in die Spezialisierung zum Fachzahnarzt. Die ersten postgradualen Masterstudien- « Die Konkurrenz zwingt den Zahnarzt, neben seiner medizinischen Qualifikation weitere Fähigkeiten auszubilden. » kleinen Grenzverkehr in Sachen Zahnersatzversorgung. Hinzu kommt der klassische Zahntourismus, bei dem sich Patienten der medizinisch wie finanziell nicht immer risikofreien Verlockung hingeben, die Implantatversorgung am ungarischen Plattensee zum halben Preis bekommen zu können, inklusive Erholungsurlaub. Die Kehrseite dieser Entgrenzung wird schon heute sichtbar: Arbeitsplätze werden exportiert, der Arbeitsmarkt für Zahntechniker ist bereits eingebrochen. Mit dem Wind des Auslandsgeschäftes im Rücken kann die „Geiz-ist-geil“-Welle nun auch auf den Gesundheitssektor überschwappen. Gleichzeitig machen Patienten gerade bei komplexen Behandlungen, unerwarteten Komplikationen oder Gewährleistungsfällen erste Erfahrungen damit, dass eine gute medizinische Betreuung schwierig werden kann, wenn Zahnlabor und/oder Zahnarzt gänge für Implantologen und Parodontologen gibt es bereits. Nicht alle Zahnärzte werden mit der Morgendämmerung der (schönen?) neuen Praxiswelt zurecht kommen. Die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen müssen daher die Rolle eines „change managers“ zur Bewältigung des Wandels übernehmen, für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Einzelpraxis, MVZ und Kettenpraxis sorgen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Qualität zahnmedizinischer Behandlungen gehalten wird. Aber auch der Patient braucht Unterstützung. Er will auf eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung in Zukunft nicht verzichten und verlangt nach Navigationshilfen, mit denen er sich im dichter werdenden Angebotsdschungel orientieren kann. Ein erstes Angebot machen ihm die Zahnärzte unter www.zahnarzt-zweitmeinung.de. Interview Vom Penthouse in den Kohlenkeller Dr. Jürgen Fedderwitz, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung über gute Zähne, schlechtes Zahnfleisch, das dicke Ende der Gesundheitsreform und Zitronenfalter. ZAHNBLATT: Herr Fedderwitz, wissen Sie noch, wie man bohrt? Fedderwitz: (lacht) Klar, ich übe doch dauernd. Allerdings weniger in der Praxis als auf dem Berliner Parkett. Dort bohrt man ständig dicke Bretter in der Gesundheitspolitik. Aber die Frage hat ja einen ernsten Hintergrund: Wenn man nicht mehr selbst täglich am Stuhl ist, wie es im Jargon heißt, dann muss man aufpassen, dass man noch mitbekommt, was den Kollegen in der Praxis unter den Nägeln brennt. ZAHNBLATT: Und was brennt da? Fedderwitz: Im Moment vor allem die Sorge, dass die jüngste Gesundheitsreform unser gut funktionierendes duales Versorgungssystem in Deutschland platt macht. Für die Zahnmedizin wäre das übler als für andere Bereiche. Das hängt mit der Therapievielfalt unseres Fachs zu- sammen. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt in Deutschland eine zahnmedizinische Grundversorgung, die im internationalen Vergleich sehr umfangreich ist. Sie bezahlt das, was wir „need dentistry“ nennen. Was darüber hinaus geht, die umfangreichen Möglichkeiten der „want dentistry“, die Patienten vor allem aus Gründen der Ästhetik und des funktionellen Komforts wünschen, wird aus eigener Tasche beglichen. Das begrenzt die Ausgaben im System und klappt für Patienten und Zahnärzte gut. Aber eben nur solange, wie es eine private Gebührenordnung für diese privaten Leistungen gibt. Und genau die will die Gesundheitsministerin aushebeln, weil das die Voraussetzung für ihre Gleichschaltungsträume von einer einheitlichen Bürgerversicherung ist. ZAHNBLATT: Kritiker würden sagen, schau, die Zahnärzte wollen wieder Pfründe sichern und fürchten sich vor dem Wettbewerb, den die Reform bringen soll. Fedderwitz: Ja, klar. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz stärkt den Wettbewerb und ein Zitronenfalter faltet Zitronen. Es kommt nicht darauf an, was auf dem Gesetzespaket drauf steht, sondern was drin ist. Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass das Gesetz höchst widersprüchlich ist. Viele Elemente der Reform strangulieren den Wettbewerb in Teilmärkten. Nehmen Sie den Versicherungsmarkt. Da wird zum Beispiel die private Krankenversicherung durch systemfremde Eingriffe ausgetrocknet. Da wird ein Basistarif eingeführt, der nicht auf risikobezogenen Prämien basiert. Er soll den gleichen Leistungsumfang wie die gesetzliche Krankenversicherung haben. Was die Versicherung für die zahnärztliche Behandlung von Basistarifversicherten erstattet, liegt aber sogar unterhalb der Konditionen für gesetzlich Versicherte. Einem Großteil der Privatversicherten droht damit die Abkopplung vom medizinischen Fortschritt. Sie rutschen quasi vom Penthouse in den Kohlenkeller, weil eine wettbewerbsori- Fotos: KZBV/axentis 01/2007 Seite 8 Interview 01/2007 Seite 9 entierte Versicherung hier unterbunden wird. Andere Elemente der Reform wiederum befeuern die Konkurrenz unter den Leistungserbringern. Das gilt zum Beispiel für die Möglichkeit von Einzelverträgen zwischen Arzt und Kasse oder den Wegfall der Bedarfszulassung im zahnärztlichen Bereich. Per se ist das nichts Schlechtes. Nur wenn es schief läuft, wird der Wettbewerb um Patienten eben schnell auf einen Preiskrieg reduziert. Der solide arbeitende Hauszahnarzt und Generalist hat gegenüber Großpraxen und Praxisketten dann das Nachsehen. ZAHNBLATT: Das Wehklagen hören wir wohl, allein, was tun Sie dagegen? Fedderwitz: Wir versuchen, über die Gremien der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen faire Wettbewerbsbedingungen für die unterschiedlichen Formen der zahnärztlichen Berufsausübung zu schaffen. Aber auch das ist schwieriger geworden. Zum Beispiel weil der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss, der das Herzstück der Selbstverwaltung ist und seine Sache bisher gut gemacht hat, an die kurze Leine genommen und umstrukturiert hat. Der Umbau hat zur Folge, dass künftig auch Krankenhausvertreter und Allgemeinärzte über Fragen der zahnmedizinischen Versorgung mitentscheiden sollen, während Zahnärzte im Gegenzug an Beschlüssen zur ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung mitwirken sollen. Dass das Risiko fachlich fragwürdiger Entscheidungen für alle Seiten da ziemlich groß wird, liegt auf der Hand. ZAHNBLATT: Wenn die Reform so unappetitlich ist, könnte die versammelte Zahnärzteschaft doch aus der gesetzlichen Krankenversicherung aussteigen. Haben die Zahnärzteverbände das nicht immer gefordert? Fedderwitz: Es gab teilweise leidenschaftliche Plädoyers für den GKV-Ausstieg. Dahinter standen neben dem Ärger über die Bürokratie vor allem die Unzufriedenheit mit den Budgetzwängen und die Frustration, dass gesetzlich Krankenversicherte nicht „state of the art“ behandelt werden konnten. Mit der Einführung von neuen Ordnungselementen, vor allem dem System befundbezogener Festzu- schüsse, konnten wir die Budgetzwänge aber abschwächen, und die Kassenpatienten haben wieder Anschluss an den medizinisch-technischen Fortschritt. Das bringt Erleichterung. Außerdem muss man ganz nüchtern feststellen: Fast alle im Parlament vertretenen Parteien wollen auf absehbare Zeit eine medizinische Grundversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung garantieren. ZAHNBLATT: Und die Grundversorgung übernehmen dann billige Kettenpraxen und Discounter. Angst davor? Fedderwitz: Angst nicht, Unbehagen schon. Wenn man für Wettbewerb plädiert, und das haben wir getan, dann wird man auch mit unliebsamen Wettbewerbsvarianten konfrontiert. Unser Ziel ist klar: Wir wollen keine Dumpingspirale, bei der die Beratungs- und Behandlungsqualität flöten geht, und keine Dominanz von Investoren, die womöglich in das Behandlungsgeschehen des Zahnarztes eingreifen. Der Zahnarzt hat einen freien Beruf, egal ob er angestellt oder in eigener Praxis arbeitet. Er muss seine Patienten selbstverantwortlich und fachlich unabhängig, also möglichst unbehelligt von externen Störungen behandeln können. Die King-Zahn-Kettenpraxis zwischen Ikea und Toys ‚R‘ Us ist nicht mein Ding. ZAHNBLATT: Themenwechsel. Dieser Tage liest man, dass die Zähne der Deutschen immer besser werden. Haben sich die Zahnärzte bald selbst wegrationalisiert? Fedderwitz: Nein, das wird so bald nicht passieren. Auch in Zukunft werden die Zähne der Patienten uns lieb und der Versicherung teuer sein. Wir haben die Karies stark zurückgedrängt und sind darauf stolz. Aber trotzdem sage ich, frei nach Konstantin Wecker, genug ist nie genug. Vor allem bei Risikogruppen sind noch bessere Ergebnisse möglich. Außerdem bleiben Zähne nicht von alleine gut. Eigentlich Sorge macht mir aber ein anderes Problem, und zwar die deutliche Zunahme von Parodontalerkrankungen. Es rührt daher, dass ein Zahn, der nicht durch Karies verloren geht, mit zunehmendem Alter ein wachsendes Parodontitisrisiko erzeugt. Hier gibt es eine Un- terversorgung, die wir angehen müssen. Das ist die Front, an der die großen zahnmedizinischen Schlachten der nächsten zwanzig Jahre geschlagen werden. Wir haben die Zahnfäule besiegt und sind dem Schwund auf der Spur. ZAHNBLATT: Und wie soll das gehen? Fedderwitz: Man muss die Bevölkerung für das Problem sensibilisieren. Das haben wir bei der Karies geschafft, das schaffen wir auch hier. Medizinisch ist Parodontitis beherrschbar, wenn gute Mundhygiene, zahnärztliche Prophylaxe und eine moderne Parodontitistherapie zusammenkommen. Das ist aber eine manchmal lebenslange, immer aufwendige und damit auch kostspielige Sache. Wenn die Krankenkassen das auch nur bei einem Teil der Betroffenen bezahlen müssten, wäre ihr Finanztableau komplett gesprengt. Wir denken im Moment darüber nach, was man da tun kann. ZAHNBLATT: Zum Schluss kommt die Wunschfee. Einen haben sie frei. Was möchten Sie? Fedderwitz: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und wenn das zu hoch gegriffen ist, dann eben eine nachhaltige Gesundheitspolitik. Aber eigentlich weiß ich nicht, was von beiden schwerer hinzubekommen ist. Zur Person Jürgen Fedderwitz sollte nach dem Willen seines seligen Onkels zeitweise Landwirt werden, hat dann aber statt zur Heugabel doch zum Mundspiegel gegriffen. Nach dem Studium in der pfälzischen Diaspora lebte und bohrte das Nordlicht in Wiesbaden, wo er ohne eigenes Verschulden („ich bin ein Gemütsmensch“) in die Berufspolitik geriet und zum Vorsitzenden der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hessen gewählt wurde. Seit 2005 ist er im Hauptberuf Chef des Zahnarztdachverbandes KZBV. Meldungen 01/2007 Seite 10 Guter Goethe „Mc“ ist ein Esperanto-Wort. Man versteht es überall auf der Welt. Es beDiscountware? deutet „billig“ und ist in seiner psychologischen Wirkung mit einer grünen Ampel oder einem Weihnachtsgeschenk vergleichbar. Deswegen fahren wir auch alle gerne vor rotgelben Imbisspalästen vor, wo man richtig lecker Essen abgreifen und sich hinterher wundern kann, dass es doch teurer war als ein Tellergericht, und dass man langsam „super size me“ wird. Und damit man auch die richtigen Beißer für den Burger hat, gibt es „Mc“ jetzt endlich auch für Zahnersatz. Weil Geiz geil und man doch nicht blöd ist, wagt man den Schritt zur Zahnersatzbehandlung beim Discounter mit Importware. Ist ja nicht wirklich eine medizinische Behandlung. Und wenn alles gut geht, machen wir es beim nächsten Mal mit dem Herzkatheter und dem Leberimplantat genauso. Das kommt dann aus Bangladesch, wird schon schiefgehen. Man ist was man isst, heißt es. Oder ist man, womit man isst? Egal, nur eines dann doch noch ganz im Ernst: Sozial schwache Menschen genießen in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Härtefallregelung für Zahnersatz. Sie haben Anspruch auf eine Standardversorgung ohne einen Cent Zuzahlung, und das ist gut so. Zum Dental-Discounter können sie, müssen sie aber wirklich nicht gehen. „Seine Zähne hatten sich bis in das höchste Alter in gutem Zustand erhalten.“ So schön log der Leibarzt des Großherzogs von Weimar über Goethe, den er während seiner letzten Lebensjahre betreute. In Wahrheit hatte der Dichterfürst Zeit seines Lebens massive Zahnprobleme. 1786 berichtet er vor seiner italienischen Reise von dicken Backen und geschwollenen Lippen. Neun Jahre später verpasst der 46-Jährige die Verabschiedung Alexander von Humboldts wegen eines „Backengeschwulstes“. Als er am 11. Januar 1809 in der Weimarer Mittwochsgesellschaft lesen soll, muss er sich von Friedrich Wilhelm Riemer vertreten lassen: Er hatte die Vorderzähne verloren, was nicht nur ein ästhetisches Problem war, sondern auch eine saubere Artikulation unmöglich gemacht haben dürfte. Goethes Totenschädel dokumentiert einen verheerenden GeGoethes Gebiss bisszustand und ein lebenslanges Martyrium. Dieses Schicksal teilte der Meister mit vielen seiner Zeitgenossen. Es mangelte nicht nur an Pflege, sondern vor allem an kompetenter zahnärztlicher Versorgung. Heute hätte Goethe gut lachen. Dank Prophylaxe, moderner Methoden der Zahnerhaltung und Implantattechnik könnte er der versammelten Kritik auf der Frankfurter Buchmesse auch als Senior noch richtig die Zähne zeigen. Wieviele...? * 2005 (Quelle: KZBV-Jahrbuch 2006) ** 2005 (Quelle: DMS IV) *** 2004 (Quelle: Emnid für Colgate) Niedergelassene Zahnärzte gibt es* 55.605 Zahnarztpraxen betreiben sie* 46.217 Einwohner kommen auf einen Zahnarzt* Erwachsene putzen sich mindestens zweimal am Tag die Zähne** Füllungen werden im Jahr gemacht* Parodontalbehandlungen werden jährlich durchgeführt* 1.264 72,8 % 58.441.000 815.200 Zähne müssen (leider immer noch) pro Jahr gezogen werden* 13.167.000 Patienten fühlen sich gut über die Behandlung informiert*** 87% « Gauguin wurde abgelenkt und lockerte den Griff um den Zahn, und Feldmann nutzte diesen Fehler aus, um aus dem Stuhl zu springen und aus dem Sprechzimmer zu fliehen. Gauguin bekam einen Tobsuchtsanfall! Volle zehn Minuten hielt er meinen Kopf unter den Röntgenapparat, und danach konnte ich mehrere Stunden lang nicht mit beiden Augen gleichzeitig zwinkern. Jetzt bin ich einsam. » (aus: Wenn die Impressionisten Zahnärzte gewesen wären (Ein Phantasiestück zur Erhellung von Gemütsveränderungen), in: Woody Allen. Alles von Allen, Hamburg, Rowohlt. 2003) Jobmaschine Zahnarztpraxis Zahnarztpraxen bieten personalintensive medizinische Dienstleistungen und damit auch viele Jobs. Ende 2005 gab es in Deutschland gut 55.600 niedergelassene Vertragszahnärzte, die in ihren Praxen 222.000 Arbeitnehmer beschäftigten. Hinzu kommen weitere knapp 100.000 Arbeitsplätze, vor allem in der Dentalindustrie, die direkt von den Zahnarztpraxen abhängen. Insgesamt ergeben sich so weit über 370.000 Stellen im zahnmedizinischen Sektor, von dem mittelbar wiederum Arbeitsplätze in anderen Dienstleistungsbereichen abhängen. Und: Mit einem Auszubildendenanteil von 12,7 Prozent liegen Zahnarztpraxen weit über dem Durchschnitt und weisen eine vorbildliche Ausbildungsbilanz auf. Damit ist der zahnmedizinische Bereich ein Paradebeispiel für die vielbeschworene „Jobmaschine Gesundheitswesen“. Eine vernünftige, differenzierte Honorargestaltung für die Praxen ist der Kraftstoff, der diese Maschine antreibt. Ohne ihn muss sie ins Stocken geraten. Ein Alarmsignal: In einigen Bundesländern ist die Ausbildungsquote neuerdings rückläufig. Foto: www.dreamstime.com; Goethe- und Schillerarchiv Weimar / Sammlung Neuhauser McDrive, McZahn, McLeber Aktuelles 01/2007 Seite 11 Immer bessere Beißer, aber… Noch nie waren die Zähne der Deutschen so gesund wie heute. Die Karies ist dank Prophylaxe und guter zahnmedizinischer Versorgung weiter auf dem Rückzug. Das belegt die aktuelle Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV) des Instituts der Deutschen Zahnärzte. Doch die Freude ist nicht ungetrübt, denn der Erfolg hat eine Schattenseite: Parodontalerkrankungen haben deutlich zugenommen. In 90 Städten und Gemeinden haben mobile Untersuchungsteams über 4.600 Personen in verschiedenen Altersgruppen untersucht, um die Mundgesundheit der Deutschen zu ermitteln. Das Ergebnis ist frappierend: 12-Jährige haben heute statistisch gesehen nur noch 0,7 Zähne, die kariös, gefüllt oder aufgrund von Karies bereits verloren gegangen sind. 1983 lag der Wert bei 6,8. Im Vergleich zur letzten großen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 1997 konnte erneut ein deutlicher Kariesrückgang um 58,8 Prozent ermittelt werden. 70 Prozent der untersuchten 12-Jährigen haben heute ein völlig gesundes Gebiss. Damit belegt Deutschland in der Kariesprävention eine internationale Spitzenposition. Der generell positive Trend setzt sich bei Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) und Senioren (65- bis 74-Jährige) fort. Auch in diesen Altersgruppen sind Karies und Zahnverlust deutlich zurückgegangen. Positiv ist außerdem der außerordentlich hohe Kariessanierungsgrad der Bevölkerung: Rund 95 Prozent der an Karies erkrankten Zähne sind zahnmedizinisch versorgt. Doch ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen, ist das noch nicht. Denn zum einen gibt es weiterhin eine ungleiche, von der sozialen Schichtzugehörigkeit abhängige Kariesverteilung in der Bevölkerung. Zehn Prozent der untersuchten Kinder vereinen 60 Prozent aller Kariesfälle auf sich. Und deren Erkrankungsrisiko korreliert auffällig mit dem niedrigen Bildungsstatus der Eltern. Zum anderen hat der Siegeszug gegen die Karies eine weitere Schattenseite: Parodontalerkrankungen sind auf dem Vormarsch. Die chronischen Erkrankungen des Zahnhalteapparates, die bis zum Zahnverlust führen können, sind schon in der Erwachsenengruppe weit verbreitet. Gut die Hälfte der 35- bis 44-Jährigen leidet unter einer mittelschweren, rund 20 Prozent leiden unter einer schweren Form der Parodontitis. Im Vergleich zu 1997 bedeutet das einen Anstieg um 26,9 Prozentpunkte. Noch stärker trifft es die Senioren. Von ihnen weisen 48 Prozent eine mittelschwere und fast 40 Prozent eine schwere Parodontitis auf. Eine Zunahme um 23,7 Prozentpunkte seit 1997. Die Gründe sind denkbar einfach: Die Anfälligkeit für Parodontalerkran- Entwicklung des Kariesindex* bei den 12-Jährigen von 1983 bis 2005 Quelle: IDZ Entwicklung der Parodontalerkrankungen bei 35- bis 44-jährigen Erwachsenen von 1997 bis 2005 6,8 alte Bundeländer neue Bundesländer Quelle: IDZ mittelschwere Paradontitis schwere Paradontitis 4,1 3,3 3,4 kungen wächst mit dem Lebensalter. Früher gingen viele Zähne durch Karies verloren, bevor sich eine Erkrankung des Zahnhalteapparates ausbilden konnte. Da Erwachsene und Senioren aber immer mehr Zähne immer länger behalten, wächst auch ihr Parodontitisrisiko. Doch welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Studienergebnissen? Gesundheitspolitik und Zahnärzteschaft müssen darüber nachdenken, wie sie die verbliebenen Kariesrisikogruppen bei den Kindern und Jugendlichen besser erreichen können, damit auch sie am allgemeinen Trend zur Verbesserung der Mundgesundheit teilhaben können. Und angesichts der demografischen Entwicklung muss sich die Alterszahnheilkunde weiter entwickeln. Doch die größte Herausforderung hält die Bekämpfung der Parodontalerkrankungen bereit. War Karies die zahnmedizinische Geißel des zwanzigsten Jahrhunderts, so ist die Parodontitis die Epidemie des einundzwanzigsten. Was nutzt letzten Endes ein kariesfreier Zahn, wenn er seinen Halt verliert? Moderne Therapiemethoden gibt es hier bereits, aber sie sind kostspielig und im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung kaum zu finanzieren. Abhilfe könnte ein präventionsorientiertes Festzuschusssystem bieten. Die KZBV arbeitet daran. 2,6 52,7% 32,2% 20,5% 1,1 14,1% 1,4 0,7 1983 1987/88 1989 1992 1994/95 1997 2000 2004 2005 * kariöse, gefüllte oder aufgrund von Karies fehlende Zähne 1997 DMS III 2005 DMS IV Regelmäßig! Bei Fragen rund um die Zahnmedizin sind wir für Sie da. Dr. Reiner Kern fon: +49 30 28 01 79 27 fax: +49 30 28 01 79 20 [email protected] Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Reinhardtstraße 34 10117 Berlin