Das Cannabinoidsystem: Angriffspunkt für neue Arzneimittel
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Das Cannabinoidsystem: Angriffspunkt für neue Arzneimittel
1. Jahrgang, Juni 2007, 53-63 - - - Rubrik Fortbildungsartikel - - - Das Cannabinoidsystem: Angriffspunkt für neue Arzneimittel Cannabinoide Mögliche neue Arzneimittel bei: Endogenes Cannabionoidsystem Hypertonie, Schock, Adipositas, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, Entzündung, metabolische, motorische und mentale Störungen Cannabinoidrezeptoren Das endogene Cannabinoidsystem - 54 - Das Cannabinoidsystem: Angriffspunkt für neue Arzneimittel Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe DGPT, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] Lektorat: Prof. Dr. Beat Lutz, Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier*: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/Fortbildungstelegramm%20Pharmazie/index.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 55 - Abstract Although the psychotropic and medical effects of the plant Cannabis sativa L. have been used for sereral thousand years, it was only in the last two decades that the components of the endogenous cannabinoid system have been discovered. After synthesis from lipid precursors endogenous cannabinoids such as anandamide and 2-arachidonoyl-glycerol specifically bind to cannabinoid receptors (CB): a CB1 predominantly localized in neurons and a CB2, which is predominantly located in the periphery. In neurons, activation of these receptors reduces the release of various neurotransmitters and thereby profoundly change signal transmission and this greatly impacts on many physiologic functions in the body. Furthermore, changes within this system contribute to the pathophysiology of diseases. Thus, pharmacologic intervention provides new possibilies to treat diseases such as obesity and metabolic syndrom, hypertension, septic shock, nausea, vomitting, pain, inflammation multiple sclerosis and motor and mental disorders as well. In Germany, the only therapeutically available CB1/CB2 agonist is the Δ9-Tetrahydrocannabiol trans-isomer Dronabinol, which is used to treat nausea and vomitting. A therapeutically useful cannabinoid receptor antagonist to treat obesity is the selective CB1 antagonist rimonabant. Abstrakt Obwohl die Pflanze Cannabis sativa L. seit vielen tausend Jahren von Menschen wegen ihren psychotropen und medizinschen Wirkungen genutzt wird, sind die Komponenten des körpereigenen Cannabinoidsystems erst in den letzten 2 Jahrzehnten entdeckt worden. Nach ihrer Synthese aus Lipidvorläufern binden endogene Cannabinoide wie Anandamid und 2-Arachidonoyl-Glycerin spezifisch an Cannabinoidrezeptoren (CB): einen hauptsächlich neuronal lokalisierten CB1 und einen vorwiegend peripher vorkommenden CB2. Die Aktivierung dieser Rezeptoren bewirkt eine Verminderung der Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter und damit eine Veränderung der Übertragung von neuronalen Signalen. In der Folge werden viele verschiedene physiologische Funktionen im Körper beeinflusst. Darüber hinaus sind Veränderungen innerhalb dieses Systems an der Pathogenese von Erkrankungen beteiligt. Daher stellen pharmakologische Eingriffe in dieses System neue Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen dar. Dies gilt beispielsweise für Adipositas und metabolisches Syndrom, Hypertonie, Schock, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, Entzündung sowie motorische und mentale Störungen. In Deutschland steht bislang nur das Δ9-Tetrahydrocannabiol trans-Isomer Dronabinol, ein CB1/CB2- Agonist, für die Therapie von Erbrechen zur Verfügung. Der Wirkstoff, wird vorwiegend bei Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Der einzige therapeutische verwendete Cannabinoidrezeptor Antagonist ist der selektive CB1 Antagonist Rimonabant, welcher für die Therapie der Adipositas zugelassen wurde. Cannabinoide Cannabinoide stellen etwa 15 % der Inhaltsstoffe von Cannabis sativa L. dar (Abb. 1), einer Pflanze, die seit vielen tausend Jahren von Menschen wegen ihren psychotropen und medizinschen Wirkungen genutzt wird (1). Zu diesen Polyketiden gehören u.a. U9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC, Abb. 2), Cannabidiol, THC-Säure und Cannabigerol (2,3). Diese Polyketide erzeugen im menschlichen Körper Wirkungen wie Sedation, Veränderungen der Wahrnehmung, Störung des Kurzzeitgedächtnisses (temporale Disintegration), Appetitsteigerung, Skelettmuskelrelaxation, antiemetischer Effekt, Rötung der Bindehaut des Auges, Bronchodilatation, Mundtrockenheit und Hypothermie (1). Während die modulierenden Effekte auf das zentrale Nervensystem in Verbindung mit dem Rauschgefühl („high“) der weitaus häufigste Grund für den Cannabisgebrauch sind, haben sich auch Indikationen für den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden bzw. Cannabis ergeben. Hierzu zählen vor allem neurologische Störungen wie beispielsweise das Gilles De La Tourette-Syndrom, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, und Appetitmangel, beispielsweise bei Zytostatikatherapie oder AIDS Patienten (1,3). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 56 - Abb. 1: Cannabis sativa L (Bild modifiziert nach www.giftpflanzen.com). Das endogene Cannabinoidsystem Die nachweisbaren Wirkungen der Cannabinoide haben schließlich dazu geführt, dass 1990 der erste CannabinoidRezeptor (CB1) geklont wurde, welcher überwiegend im zentralen Nervensystem lokalisiert ist, aber auch in vielen verschieden peripheren Geweben, wie Blutgefäßen, Fettgewebe und Leber vorkommt (4). Kurz darauf wurde ein erster endogener Ligand von CB1 identifiziert und nach dem Sanskrit-Wort „Ananda“ (Glück, Glückseligkeit) Anandamid genannt (5). Wieder ein Jahr später erfolgte die Klonierung des zweiten überwiegend peripher lokalisierten CannabinoidRezeptors CB2 (6) und 1995 wurde ein weiterer endogener Ligand an Cannabinoidrezeptoren identifiziert, das 2Arachidonoyl-Glycerin (7). Daneben existieren noch andere endogene Cannabinoide, die alle Derviate vielfach ungesättigter langkettiger Fettsäuren sind (8). Im Fall von Anandamid und 2Arachidonyl-Glycerin bildet die Arachidonsäure das Grundgerüst. Endogene Cannabinoide werden bei Aktivierung des Abb. 2: Chemische Struktur von Cannabinoiden. Systems (siehe unten) aus membranständigen Vorläufermolekülen synthetisiert und aufgrund ihres lipophilen Charakters nicht in Vesikeln gespeichert. Dabei wird Anandamid durch die NAcylphosphatidylethanolamin-selektive Phospholipase D und 2-ArachidonoylGlycerin durch sn-1-selektive Diacylglycerinlipase synthetisiert. Ihr Abbau durch spezifische Enzyme erfolgt erst nach einem transmembranären Transport, an dem ein bislang nicht genau identifiziertes Transporter entscheidend beteiligt ist. Im Zellinneren wird Anandamid durch die Fettsäureamidhydrolase („Fatty Acid Amid Hydrolase“, FAAH) und 2Arachidono-Glycerin durch die Monoglyceridlipase („Mono-Glycerid-Lipase, MGL) zu inaktiven Spaltprodukten abgebaut. Signaltransduktion bei CannabinoidRezeptoren. Nach Aktivierung kommt es über heterotrimere G-Proteine (Gi/o) zu folgenden Effekten (Abb. 3) (8): - Hemmung der Adenylatzyklase, mit konsekutiver Verminderung der Bildung von cAMP Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 57 - - Hemmung von spannungsabhängigen Kalziumkanälen (Typ N und P/Q) mit konsekutiver Verminderung des Kalziumeinstroms nach Depolarisation - Aktivierung von spannungsabhängigen Kaliumkanälen mit konsekutiver Hyperpolarisation und onen beeinflusst. Dies betrifft u.a. Motorik, Emotionen, Schmerzempfindung, kognitive Funktionen (Erinnerung) und Wahrnehmung von Sinneseindrücken sowie die Beteiligung an der Regulation von Blutdruck, Organdurchblutung, Essverhalten, Lipid- und Glukosestoffwechsel (3,8,11,12). - Aktivierung von Mitogen-aktivierten Proteinkinasen mit konsekutiver Änderung der zellulären Expression von Proteinen. Diese Mechanismen bewirken eine Verminderung der Ausschüttung von Neurotransmittern und damit eine Veränderung der Übertragung von neuronalen Signalen. Dabei geht man derzeit von der Vorstellung aus, dass die Endocannabinoide postsynaptisch gebildet werden und nach Diffusion an die in der präsynaptischen Membran lokalisierten Cannabinoid-Rezeptoren binden. Demnach bewirkt die Aktivierung des CannabinoidSystems eine Modulation der Ausschüttung von Neurotransmittern im Sinne einer retrograden Signalgebung (Abb. 4). Es wäre jedoch auch möglich, dass ein bislang unbekanntes Signalmolekül die Synthese der endogenen Cannabinoide in der Präsynapse auslöst. Im Fall des inhibitorischen Neurotransmitters GABA (γ-Aminobuttersäure) führt die Cannabinoidwirkung zu einer verminderten Ausschüttung von GABA. Damit lässt sich erklären, warum eine Hemmung von CB1 zu aggressivem Verhalten und Angstzuständen führen kann (9). Die Hemmung zentraler GABA-Effekte ist auch an der Beeinträchtigung der Erinnerung und der Steuerung der Motoneurone sowie an der zentralen Analgesie durch Cannabinoide beteiligt. Cannabinoide vermindern ebenfalls die Ausschüttung der Neurotransmitter Glutatmat, Acetylcholin, Noradrenalin und Serotonin und regulieren die Ausschüttung von Hormonen aus der Hypophyse (10). Funktionen und Störungen des Systems Nach den bekannten Wirkungen von Cannabis (siehe oben) ist davon auszugehen, dass das endogene Cannabinoidsystem viele verschiedene Körperfunkti- Abb. 3: Beeinflussung von (A) Ionenkanälen, (B) der Adenylatcyclase und Mitogen-aktivierten Proteinkinasen (MAPK) nach Aktivierung des transmembranären G-Protein-gekoppelten (α,βγ) Cannabinoid-Rezeptors 1 (CB1). Insgesamt bewirkt die Aktivierung eine Modulation der synaptischen Erregungsübertragung. Auf der Basis wachsender Erkenntnisse zur physiologischen Bedeutung des Cannabinoidsystems hat sich gezeigt, dass Störungen innerhalb dieses Systems zur Pathophysiologie verschiedener Erkrankungen beitragen können bzw. pharmakologische Interventionen mit Angriffspunkt im endogenen Cannabinoidsystem therapeutisch nutzbar sind (13). Dies gilt beispielsweise für Hypertonie, septischer Schock, Adipositas und metabolisches Syndrom, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, Entzündung, multiple Sklerose sowie motorische und mentale Störungen. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 58 - Abb. 4: Retrograde Signalgebung durch endogene Cannabinoide. Der postsynaptischen Synthese in Abhängigkeit von der synaptischen Aktivität folgt die präsynaptische Wirkung, d.h. die Effektrichtung ist der der Neurotransmitter (grüne Punkte) entgegengesetzt (CB1=Cannabinoidrezeptor 1, DAGL=sn-1-selektive Diacylglycerinlipase). Kreislauf Die Applikation von Cannabinoiden bewirkt eine Beeinflussung des autonomen Nervensystems. Im Kreislaufsystem führt dies akut zu Vasodilatation und Tachkardie, während bei Dauergebrauch von Δ9-THC Bradykardie und Blutdrucksenkung dominieren (14). Die Senkung des Blutdrucks beruht nach tierexperimentellen Untersuchungen vermutlich auf verschiedenen Mechanismen: Cannabinoide hemmen die Freisetzung von Noradrenalin im peripheren sympathischen Nervensystem (15), relaxieren direkt glatte Gefäßmuskelzellen (16) und lösen eine endothelabhängige Vasodilatation aus (17). Trotz dieser Wirkungen applizierter Cannabinoide, trägt das endogene Cannabinoidsystem vermutlich nur wenig zur physiologischen Regulation von Kreislauffunktionen bei. Dafür sprechen vor allem die inkonsistenten und nur geringfügigen Effekte des CB1Blockers Rimonabant auf den Blutdruck bei Normotonikern (18-21). Dagegen scheint es bei Hypertonie aktiviert zu sein, denn Anandamid löst bei tierexperimenteller Hypertonie eine stärkere Drucksenkung aus als bei Normotonie (22). Bei dieser Aktivierung handelt es sich möglicherweise um eine kompensatorische Reaktion. Daher könnten CB1Agonisten für die Behandlung der Hypertonie geeignet sein. Schließlich hat sich gezeigt, dass die vaskulären Wirkungen endogener Cannabinoide zur Schocksymptomatik beitragen können (23). Die pharmakologische Blockade dieser Effekte könnte daher die Therapie des Schocks verbessern. Adipositas und metabolische Störungen Das Endocannabinoidsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Nahrungsaufnahme und -verwertung. Es wird sowohl durch wohlschmeckende Nahrungsmittel als auch durch eine Nüchternphase aktiviert. Dadurch wird Appetit ausgelöst, das Sättigungsgefühl Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 59 - reduziert, die Lipogenese gesteigert und der Energieverbrauch gesenkt (24). Darüber hinaus gibt es Hinweise dafür, dass dieses System auch Erkrankungen wie Hyperphagie (ungewöhlich gesteigerte Nahrungsaufnahme, „Fressattacken“), Dyslipidämien und Adipositas fördern kann. Die Steuerung von Nahrungsaufnahme und Appetit unterliegt einem komplexen Zusammenspiel von neuronalen und humoralen Signalen, die vom MagenDarmtrakt, der Leber, dem Fettgewebe und verschiedenen Hirnregionen ausgehen und einen regulatorischen Kreislauf bilden. Diese Signalkaskaden werden durch das Cannabinoidsystem moduliert. Dabei führt die Aktivierung von CB1 im Wesentlichen dazu, dass das Sättigungsgefühl nachlässt und so vermehrt Nahrung aufgenommen wird (11). Diese Effekte der Cannabinoide beruhen vor allem auf einer Verminderung der neuronalen Signale, die eine katabole Stoffwechsellage mit verminderter Energieaufnahme und erhöhtem Energieverbrauch induzieren. Solche Sättigungssignale werden beispielweise durch Cholecytokinin (CCK), Glukagon-like Peptid, Glukagon und Enterostatin vermittelt. Daran beteiligt ist auch die Wirkung von Insulin und von Leptin, einem Peptid, welches von Fettzellen gebildet wird. So bewirkt die Injektion von Anandamid in den ventromedialen Hypothalamus eine Steigerung der Futteraufnahme im Tierexperiment (25). Umgekehrt ließ sich tierexperimentell zeigen, dass die Gabe von Leptin zu einer Halbierung der Spiegel von Anandamid im Hypothalamus führt (26). Endogene Cannabinoide scheinen ebenfalls die Insulinsensitivität zu vermindern und damit die Fettsäureoxidation, den Blutglukosespiegel und den Blutinsulinspiegel zu steigern. Diese Effekte beruhen vermutlich auf der Hemmung der Freisetzung von Adiponectin, einem Protein, welches spezifisch in Fettzellen gebildet wird und die Insulinsensitivität verbessert. So konnte in einem tierexperimentellen Modell gezeigt werden, dass die Hemmung von CB1 durch Rimonabant eine Steigerung der AdiponectinExpression im Fettgewebe auslöst. Gleichzeitig kam es zur Reduktion des Körpergewichtes und des Plasmaspiegels von Insulin (27). Weitere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Stimulation von CB1 in Adipozyten die Aktivität der LipoproteinLipase steigert. Dies bewirkt eine vermehrte Hydrolyse von Triglyceriden in Lipoproteinen und somit eine vermehrte Aufnahme von Fett in diese Zellen (28). Darüber hinaus induzieren Cannabinoide die Fettsäuresynthese in der Leber und können auf diese Weise ebenfalls zur Entwicklung einer Adipositas beitragen (29). Einige klinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Adipositas mit einer Dysregulation des endogenen Cannabinoidsystems assoziiert ist (30). Bei viszeraler Adipositas wurden erhöhte Blutspiegel von 2-Arachidonoyl-Glycerin und eine erniedrigte Expression von FAAH gemessen. Die dargelegten Einflüsse des Endocannabinoidsytems konnten in interventionellen klinischen Studien bestätigt werden. So führte die Behandlung adipöser hyperlipidämischer Patienten mit dem CB1 Antagonist Rimonabant nicht nur zur Reduktion des Körpergewichtes sondern auch zur Steigerung der Blutspiegel von HDL („high-density-lipoprotein“) und Adiponectin sowie zu einer Senkung des Triglyceridspiegels und der Blutwerte für Nüchterninsulin und einer Verbesserung von Glukosetoleranz und Insulinresistenz (19). Schmerz/Entzündung Obwohl schon lange bekannt war, dass Cannabis schmerzhemmende Wirkungen haben könnte, wurde erst vor einigen Jahren durch Studien an transgenen Tieren mit fehlenden Cannabinoidrezeptoren nachgewiesen, dass hieran eine Aktivierung von sowohl CB1 als auch CB2 beteiligt ist (13). Dabei zeigten sich auch Verbindungen zum Endorphinsystem. So wird der analgetische Effekt systemisch applizierter Cannabinoide im Tierexperiment – ähnlich wie bei Opioiden - über eine Modulation der Aktivität der „rostralen ventromedialen Medulla (RVN)“ vermittelt (31). Dieser Effekt war zwar durch den CB1 Antagonisten Rimonabant nicht aber durch Naloxon hemmbar. Die Autoren Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 60 - schlussfolgern, dass Cannabinoide und Opioide auf vergleichbare Weise, aber weitgehend unabhängig voneinander zentral analgetisch wirken. Diese initialen Befunde zur analgetischen Wirkung von Cannabinoiden ließen sich auch unter Verwendung transgener Tiermodelle bestätigen. So weisen CB1 defiziente Tiere und Tiere, die mit CB1 Antagonisten wie Rimonabant behandelt werden, eine Hyperalgesie auf. Dagegen wirken Hemmstoffe des Metabolismus endogener Cannabinoide wie OL-135 (FAAHHemmer) und AM404 (Hemmer des transmembranären Transports) antinozizeptiv (13). Kürzlich wurde den CB1Rezeptoren, die in den Hinterwurzelganglia exprimiert sind, eine zentrale Funktion bei der Hemmung der peripheren Schmerzweiterleitung zugewiesen (32). aus welchen hervorgeht, dass CB1- und CB2-Agonisten bei verschiedenen Schmerzzuständen günstige therapeutische Effekte entfalten. Die gilt für Patienten mit neuropathischem Schmerz, Tumorschmerz, multiple Sklerose, Verletzungen des Rückenmarks, Blepharospamsmus und Phantomschmerzen (13). Möglicherweise tragen nicht nur direkt analgetische Effekte, sondern auch weitere Wirkungen wie Sedation, Muskelrelaxation oder positive Effekte auf die Stimmung zu solchen Therapieerfolgen bei. Im Falle der multiplen Sklerose scheinen sowohl die neuroprotektiven Wirkungen als auch die Modulation der Immunzellen wichtige Rollen bei der therapeutischen Wirkung von Cannabinoiden zu spielen (35). Beim Nachweis der antinozizeptiven Wirkung von CB2 selektiven Agonisten wie HU308, GW405833 und AM1241 fiel auf, dass sich diese analgetische Wirkung unabhängig von CB1 entfaltet, d.h. sie tritt auch bei CB1 defekten transgenen Tieren oder nach Behandlung mit CB1 Antagonisten auf (13). Daher liegt nahe, dass CB2 analgetische Effekte durch Hemmung der peripheren Nozizeption, also der Schmerzentstehung, auslöst. Tatsächlich wurde berichtet, dass der selektive CB2 Agonist AM1241 starke analgetische Effekte über einen peripheren Angriffspunkt vermittelt, eine Wirkung, die sich besonders zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eignen könnte (33). Andere Erkrankungen Weitere Untersuchungen dieser Arbeitsgruppe zeigten, dass eine Freisetzung von ß-Endorphin an der peripher vermittelten antinozizeptiven Wirkung von AM1241 beteiligt ist (34). Schließlich zeigen inverse CD2 Agonisten wie SR144528 und JTE-907 auch antiinflammatorische Eigenschaften auf. Möglicherweise lassen sich solche Arzneistoffe in Zukunft nutzen um entzündungsbedingte Schmerzen zu behandeln. Insgesamt beruhen die meisten Erkenntnisse zu analgetischen bzw. antinozizeptiven Effekten von endogenen und synthetischen Cannabinoiden im wesentlichen auf den Ergebnissen tierexperimenteller Studien. Es sind jedoch auch einige klinische Studien veröffentlicht worden, Erbrechen. Cannabinoide wie Δ9-THC wirken ähnlich stark antiemetisch wie beispielsweise das Prokinetikum Metoclopramid. Ähnliches gilt für das Δ9-THC trans-Isomer Dronabinol (in USA Marinol®) und das synthetische Δ9-THCDerivat, Nabilon (in USA Cesamet®). Die Wirkung kommt vermutlich über eine Aktivierung von CB1 zustande. Beide Wirkstoffe lassen sich bei Zytostatikainduziertem Erbrechen einsetzen. Dronabinol kann auch in Deutschland als Betäubungsmittel verordnet und als Kapseln oder ölige Tropfen abgegeben werden. Für die Herstellung existieren Rezepturhinweise nach NRF (siehe http://www.pharmazeutischezeitung.de/fileadmin/nrf/PDF/1-Dronabinol.pdf). Da die Wirkstoffe ähnliche rauschartige Wirkungen haben wie Cannabis, sollte die Indikation streng gestellt werden. Zu beachten sind insbesondere die Wirkungen auf Blutdruck und ZNS-Funktionen. Weiterhin besteht - vor allem bei bekanntem Missbrauch anderer Rauschmittel - die Gefahr des Missbrauchs. Neurologische Bewegungsstörungen umfassen Dys- und Hyperkinesien wie Tremor, Myoklonus, Dystonie, Tics, Chorea und Parkinson-Syndrome. Dabei handelt es sich um pathologische Veränderungen der Willkürmotorik bzw. der Bewegungskontrolle. Es hat sich gezeigt, dass das endogene Cannabinoidsystem maßgeblich an der Kontrolle von Bewe- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 61 - gungen beteiligt ist. Tierexperimentelle Untersuchungen lassen vermuten, dass sich beispielsweise Hyperkinesien bei Morbus Parkinson mit CB1 Agonisten günstig beeinflussen lassen. Vermutlich reduzieren CB1 Agonisten die durch vermehrte cholinerge Stimulation pathologisch erhöhte Feuerungsrate glutamaterger Neurone (13). Auch einige Untersuchungen am Menschen haben günstige Effekte von Cannabis und CB1 Agonisten bei neurologischen Bewegungsstörungen ergeben (36). Mentale Störungen. Möglicherweise ist eine Dysregulation des endogenen Cannabinoidsystems an der Pathogenese der Schizophrenie beteiligt. Bei Patienten mit Schizophrenie sind die Spiegel von Anandamid in der cerebrospinalen Flüssigkeit (Liquor) deutlich erhöht (37). Je höher diese Spiegel liegen, umso geringer sind psychotische Symptome ausgeprägt. Werden die Patienten mit Dopamin-D2-Rezeptorantagonisten wie Haloperidol behandelt normalisieren sich die Liquorspiegel von Anandamid, ein Effekt der bei „atypischen“ Neuroleptika wie Olanzapin nicht auftritt. Demnach wäre vorstellbar, dass die bei Schizophrenie pathologisch erhöhte neuronale Dopaminausschüttung zur Anandamid-Bildung führt, welches dann die Ausschüttung von Dopamin reduziert. Es ist ebenfalls bekannt, dass häufiger Cannabisgebrauch psychotische Anfälle auslösen kann. Es wird vermutet, dass dieses Phänomen auf einer Desensibilisierung von Cannabinoidrezeptoren beruht (37). Fazit Das endogene Cannabinoidsystem beeinflusst viele verschiedene Funktionen im Körper. Außerdem sind Veränderungen innerhalb dieses Systems an der Pathogenese von Erkrankungen beteiligt. Daher stellen pharmakologische Eingriffe in dieses System neue Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen dar. Dies gilt beispielsweise für Hypertonie, septischer Schock, Adipositas und metabolisches Syndrom, Übelkeit, Erbrechen, Schmerz, Entzündung, multiple Sklerose sowie motorische und mentale Störungen. Als Cannabinoidrezeptor Agonist steht in Deutschland für die Therapie bislang nur das Δ9-THC trans-Isomer Dronabinol zur Verfügung. Der nach dem deutschen Arzneimittelgesetz als Betäubungsmittel eingestufte Wirkstoff, wird vorwiegend bei Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Einziger bislang für die Therapie zugelassener Cannabinoidrezeptor Antagonist ist der CB1 Antagonist Rimonabant, welcher zur Behandlung der schweren Adipositas verwendet wird. Hinweis: Eine ausführlichere Beschreibung des Cannabinoidrezeptor Antagonisten Rimonabant finden Sie in der Rubrik “Serie Neue Arzneimittel” http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/Fortbildungstelegramm%20Pharmazie/SerieNeueArzneimittel.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63 Das endogene Cannabinoidsystem - 62 - Literatur 1. 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