Bericht und Bibliographie

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Bericht und Bibliographie
Stefan Jenzowsky / Hans J. Wulff
Suspense-/Spannungsforschung des Films: Bericht und Bibliographie
Eine erste Fassung dieses Artikels erschien in: Medienwissenschaft 13,1, 1996, S. 12-21. Dazu gehörte das
bibliographische Supplement: „Bibliographie der Spannung“. In: Medienwissenschaft 13,2, 1996, Disk. 1.
Bibliographische Angabe der Online-Fassung: http://www.derwulff.de/7-5.
Bericht
Supplement: Bibliographie der Spannung
Filmorientierte Arbeiten
Alfred Hitchcock
Thriller / Horror
Psychologische und kognitionsorientierte Arbeiten
Sensation Seeking
Empathie
Psychoanalytisch orientierte Arbeiten
Ästhetische Arbeiten
Literatur- und dramentheoretische Arbeiten
Dramentheoretische Arbeiten
Suspense ist abgeleitet aus dem lateinischen suspendere, das so viel wie "In Unsicherheit schweben lassen" heißt (so Borringo 1980, 38). Perspektiviert ist
das Suspense-Phänomen durch einen Sprecher - jemanden, der eines anderen Geist in Unsicherheit
schweben läßt. Suspense und Spannung haben etwas
mit der Unsicherheit eines Verlaufs, einer Entwicklung, einer Geschichte zu tun. Suspense ist schwer
ins Deutsche zu übertragen: Austermann nimmt wie viele andere auch - "Suspense" zwar als das
"kommunikative Herz" des Thriller-Genres (der
"thrill" ist ebenso schwer ins Deutsche zu übertragen), bemerkt dazu aber, daß der Begriff mit "Spannung", "Ungewißheit", "Unschlüssigkeit" und
"Schwebelage" jeweils nur unzureichend übersetzt
sei (1977, 233).
Ähnlich vielgestaltig sind die Definitionen von
Spannung. Die ursprüngliche Bedeutung ist nicht eigentlich auf den Gebrauch von "spannend" im Sinne
der "spannenden Geschichte" anzuwenden, sondern
bildet wiederum eine Metapher (ähnlich Lawson
1934, 6; Bomhoff 1972, 300). In Grimms Wörterbuch wird der Bedeutungshof ausgebreitet - das
Spannen betrifft eine Beziehung, die ein Subjekt an
ein Objekt bindet, wobei die Bindung durch Untertöne des Unbequemen, des Störenden und Unbehaglichen untersetzt ist. Das Bindungsmoment ist auch
im ästhetischen und literatur- bzw. kunsttheoretischen Gebrauch von "Spannung" erhalten geblieben.
Allerdings ist das Feld der Phänomene, die mit einem Konzept von "Spannung" betrachtet werden
können, sehr weit und heterogen. Im "Lexikon der
Ästhetik" von Wolfhart Henckmann und Konrad
Lotter wird "Spannung" in einem objektiven und in
einem subjektiven Sinn erläutert. "Im objektiven
Sinn bezieht sie sich auf den Aufbau eines Kunstwerks, auf die Art und Weise, wie das künstlerische
Problem entfaltet wird und eine Lösung findet. Sie
kann eine straffe, dicht und dynamisch sich entwickelnde formale Gesamtstruktur bezeichnen, aber
auch in Details zur Geltung kommen, z.B. bei der
Auflösung einer Dissonanz" (1992, 224; ähnlich
Bomhoff 1972, 300f). "Objektive" Spannung wird
in Verbindung gesetzt einerseits zu kompositionellen Charakteristika von Werken, ist so eine Komponente der Werkstruktur. Andererseits wird sie in Beziehung zum historischen und besonderen Wissen
des Rezipienten gesetzt, so daß "Spannung" in diesem Sinne als Maß von "Verfremdung" aufgefaßt
werden könnte, wie sie in formalistischen Poetiken
oder in der informationstheoretischen Ästhetik als
Differenz zwischen automatisierten Alltagswahrnehmungen und den Deutungen durch das künstlerische
Werk beschrieben wird (dazu Wuss 1993; vgl. dazu
auch die Redeweise von einer "Formalspannung",
die sich v.a. auf die Schnittfrequenz bezieht, bei
Korte 1987).
Dagegen wird Spannung in einem subjektiven Sinne
als Teilnahmeaffekt gefaßt, also bewußt psychologisiert. "Spannung" weist insofern auf anthropologische Grundlagen zurück, als sie auf jeder Erlebnisstufe auftreten kann (Bomhoff 1972, 300; Wulff
1993a) - körperlich-leiblich, psychisch, etc. "Spannung" in dieser allgemeinen Form ist nicht gebunden an Textrezeptionen, sondern kann auch in Alltagssituationen auftreten - wobei allerdings die Tatsache, daß derjenige, der "gespannt" ist, nicht in den
Handlungsverlauf involviert ist, sondern ihm als Beobachter gegenübersteht, auch hier gewährleistet zu
sein scheint.
Eigenständige Publikationen zur "Spannung" sind
recht rar. Neben den Monographien von Lawson
(1934), Gow (1968), Borringo (1980), einem "Forum" der Montage/AV (3,2, 1994, S. 115-146) sowie
einem Themenschwerpunkt in der gleichen Zeitschrift (2,2, 1993, S. 97-126), einem Themenheft
der CinémAction (Bessalel/Gardies 1994) und den
Interviews, die Truffaut mit Hitchcock führte (Truffaut 1966), sind die Artikel von Carroll (1984) und
Wulff (1993) Versuche, einen Gesamtaufriß der
Spannungsproblematik in der Perspektive der Werkstrukturen zu leisten. Vorderer (1994b) ist ein eher
psychologisch orientierter Literaturbericht, der vor
allem die psychologischen Untersuchungen zum
Thema sowie die experimentellen Arbeiten berichtet. Der Sammelband von Vorderer/Wulff/Friedrichsen (1996) wird den State-of-the-Art aus unterschiedlichen Richtungen dokumentieren. Der folgende Bericht konzentriert sich auf neuere textanalytische, kognitions- und emotionspsychologische
Forschungen zum Thema, vernachlässigt dagegen:
(a) dramentheoretische Überlegungen,
(b) Untersuchungen im Rahmen der Informationsästhetik (Berlyne 1949, 1960),
(c) die Kontroverse um komplexes Problemlösen
in der Problemlösepsychologie, die eng mit der
Beschreibung von Spannungsprozessen zusammenhängt (Dörner 1979; Dörner et al. 1983;
Funke 1986; Anderson 1980; Wuss 1993, 1996),
und
(d) die (meist experimentellen) Forschungen zur
Stresspsychologie und zur "risikoorientierten
Persönlichkeit" (als Überblick immer noch Lazarus 1966).
Wenn man von der formalen Charakterisierung von
"Spannung" als Differenz des Werks von der Konvention bzw. als darauf bezogenes Differenzerlebnis
des Rezipienten absieht, lassen sich die Bestimmungselemente gliedern in drei Gruppen:
1. Aktivitäten des Rezipienten
(a) Spannung ist durch ein Spiel mit Erwartungen
gekennzeichnet. Insbesondere der Versuch, Spannungserleben als gedankliche Bewegung in einem
Problemraum zu modellieren, in den die Filmfigur
gestellt ist und den die Erzählung aufrichtet, geht
darauf, die Abduktion von Erwartungen aus dem,
was der Zuschauer weiß, zu beschreiben (Wuss
1993; Wulff 1993, 1996). Carroll (1984) modelliert
den szenischen Fortgang der Erzählung als eine Folge von Frage und Antwort, dergestalt die teilnehmende Aktivität des Zuschauers einbeziehend - die
Identifikation des Frage-Moments in einem gegebenen Segment des Werks involviert den Ausgriff auf
die Antwort sowie den Entwurf möglicher Antworten. Der Fortgang des Geschehens kann so hinsichtlich seiner "Wahrscheinlichkeit" und seiner "morali-
schen Bewertung" vorkalkuliert werden, noch bevor
der weitere Vorlauf des Films die "Antworten" gegeben hat.
(b) Die Aufmerksamkeit des Rezipienten wird durch
Neugier angeregt, lautet die wohl basalste affektpsychologische Annahme, die sich in zahlreichen Variationen immer wieder findet. Verhalten unter Spannungskonditionen würde also schlicht auf Neugierdeverhalten zurückzuführen sein.
(c) Ein anderes motivationales Antriebselement, das
den Rezipienten in Spannung halten kann, ist die
Annahme, daß er ein grundlegendes Bedürfnis nach
Lösung eines Gegensatzes, eines Ungleichgewichts
usw. habe. Spannung wäre dann ein Indikator für
Ungleichgewichtserlebnisse.
(d) Die Beziehung zwischen Rezipient und Protagonist ist wohl eine der wichtigsten Einflußgrößen aller Spannungsprozesse. Zillmann (1980, 1991a,
1996) nimmt z.B. an, daß die Sympathie des Rezipienten zu den handelnden Protagonisten unabdingbar
ist, um Spannung bei der Filmrezeption zu empfinden. Eng damit korreliert ist die Antizipation einer
möglichst großen Gefahr für die Protagonisten an:
Je größer die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der
wahrgenommenen Gefahr eingeschätzt wird, desto
stärker wird die subjektive Spannungswahrnehmung.
(e) Empathie wird als ein zeugenhaftes "Miterleben"
beschrieben und somit von der weit verbreiteten Annahme einer "Identifikation" mit handelnden Akteuren abgegrenzt (Zillmann 1991b; allgemein: Stotland 1969; am Beispiel der Horror-Rezeption: Tamborini/Stiff/Heidel 1990). Möglicherweise ist das
Geschlecht der Rezipienten für die Art und Intensität empathischer Teilnahme von großer Bedeutung
(Vorderer 1994a).
(f) Zillmann/Hay/Bryant (1975) und Bryant (berichtet in Zillmann 1980) konnten experimentell nachweisen, daß die Stärke der empfundenen Spannung
ein empirisch wirkungsvoller Prädiktor für den Rezeptionsgenuß und die Bewertung der Güte des gesehenen Materials ist. Sowohl die Spannungsintensität wie die Auflösung der Spannung durch ein positives Ende bedingen und modifizieren den Rezeptionsgenuß. Zillmann/Hay/Bryant rekurrieren auf
das Modell des Arousal-Jag von Berlyne (Berlyne
1960), das das genußhafte Erlebnis positiver Emotionen für den Moment des Abfallens starker negativer Erregungen wie Angst, Gruseln und Spannung
vorhersagt. Hieraus ergibt sich eine eigene Motivation zur Spannungsrezeption, da sich annehmen läßt,
daß paradoxerweise der Wunsch von Rezipienten
nach dem Konsum spannender Filme auf den
Wunsch nach dem Erlebnis des Spannungsabfalls
zurückgeführt werden kann (dazu auch Vorderer
1994b).
(g) Andererseits ist das Spannungsgefühl eine Variante der Angst - allerdings dadurch charakterisiert,
daß der Gespannte nicht wirklich in Gefahr ist, eine
Tatsache, derer er sich bewußt ist. Die beiden einander eigentlich entgegenstehenden Affekte der Angst
und der Lust verschmelzen im Spannungserleben
zur Angstlust, die seit Balint (1959) immer wieder
meist in einem psychoanalytischen Zusammenhang
untersucht worden ist (Mikos 1996; vgl. dazu aber
auch Carroll 1990). Barth (1990, 132-151) geht
einen anderen Weg: Er nimmt im Rahmen einer rhetorischen Analyse die Affektlenkung überhaupt als
primäre Funktion der Spannung.
(H) Spannung ist in vielen Theorien zugleich eine
Form identifizierender Teilnahme des Gespannten
mit dem Protagonisten. Identifikation ist, dem folgend, eine Bedingung, unter der erst Spannung entstehen kann. Identifikationsmodelle entstammen
meist psychoanalytischer Theorie (Löker 1976); in
der Filmtheorie gehen entsprechende Überlegungen
oft auf die Metzschen Überlegungen (1982, v.a.
42ff) zurück. Eine Kritik der Identifikationsmodelle
steht aus und wird auch im Umkreis der Untersuchungen zur Empathie nur selten angesprochen
(Vorderer 1994b, 332ff).
2. Charakteristika des Werks
(a) Die Unsicherheit eines Verlaufs, einer Entwicklung, einer Geschichte zeichnen Spannungswerke
aus (diese Charakteristik findet sich in nahezu allen
Versuchen zum Thema; vgl. insbesondere Carroll
1984; unter den experimentellen Arbeiten beziehen
sich v.a. Zillmann 1980, 1991a, 1996 und
Comisky/Bryant 1982 auf dieses Konzept).
(b) Es lassen sich einige prototypische Motive der
Spannungserzählung ausmachen. Dazu zählen neben klassischen narrativen Motiven wie "Rettung in
letzter Minute" oder "Flucht/Verfolgungsjagd" auch
komplizierte Motive wie "Unter falschem Verdacht"
(das Hitchcock mehr als fünfzehnmal aufgegriffen
hat).
(c) Vor allem die Verengung des Raums (Borringo
1980), das Handeln unter Zeitnot und die Retardation von Entwicklungen (Sternberg 1978) sind dramaturgische Techniken der Spannungsinszenierung.
Auch Zäsuren in der Erzählung (Wuss 1993) und
gewisse Strategien des Musikeinsatzes (Carroll
1984; de Wied 1991) tragen dem Spannungserleben
bei. Besondere Aufmerksamkeit hat die Zeitbehandlung im Spannungsfilm auf sich gezogen. Für de
Wied ist ist das Zeitverhältnis gar die definitorische
Grundlage der Spannung; sie schreibt: "Suspense is
described as an anticipatory emotion, promoted by
an initiating event in the discourse structure of the
film and terminated with the actual presentation of
the outcome event" (de Wied 1991, 175). Dabei moderiert die "Gefährdungserwartungszeit" ("duration
of harm anticipation", de Wied 1991, 175) die Intensität des Spannungserlebens. Zu diesen Hypothesen
führte de Wied zahlreiche Experimente durch, in denen Filmmaterial derart manipuliert wurde, daß die
Gefährdungserwartungszeit bei vergleichbarem Informationsstand der Rezipienten verlängert oder
verkürzt wurde (de Wied 1991, 1995). De Wied
konnte einen linearen Zusammenhang zwischen Gefährdungserwartungszeit und subjektiv empfundener
Spannungsintensität aufzeigen.
(d) Sogar auf der Ebene der Bildgestaltung lassen
sich Strategien des "Spannens" ausmachen - z.B. die
Arbeit mit Teildarstellungen und Anschnitten (Bonitzer 1979).
(e) Spannung und Spannungsdramaturgie ist für
manche Genres sehr viel essentieller als für andere.
So finden sich vor allem zum "Thriller" diverse Arbeiten, die auch für die Spannungsanalyse wichtig
sind (Copjec 1980; Derry 1979, 1988; Norden
1979); ähnliches gilt für den Horrorfilm (Carroll
1990; Tamborini/Stiff/Heidel 1990), für das Werk
Alfred Hitchcocks (Cameron 1962, 1963; MontesHuidobro 1986; Hurley 1993) usw.
(f) In engem Zusammenhang mit der Gefahr für den
Protagonisten untersucht Carroll (1984) das filmimmanente Moralsystem: Es lassen sich z.B. für verschiedene Genres verschiedene Bewertungsmaßstäbe denken - im Western wird die Gefahrenbewertung einer Prügelszene in einer Kneipe anders ausfallen als im Sozialdrama. Die "Moral" ist nicht mit
dem alltäglichen Moralverständnis kongruent - ein
Mord kann z.B. in einem Film, der im Mafia-Milieu
spielt, als "moralisch unproblematisch" bewertet
werden. Für das Entstehen von Spannung ist die
Moral nach Carroll insofern wichtig, als sie in Kom-
bination mit der Sympathie für den Protagonisten in
zwei Typen der Antizipation des Geschehens zum
Spannungserleben führt - wenn ein "evil / likely outcome" oder ein "moral / unlikely outcome" entworfen wird. Ein kritischer Fall ist in dieser Beschreibung die Gefährdung von sympathischen Protagonisten, die unmoralische Ziele verfolgen (wie in
manchen Gaunerkomödien). Eine empirische Untersuchung derartiger Fälle steht bislang aber aus.
3. Charakteristika der Sprecher-Hörer-Beziehung
(a) Spannung bezeichnet ein besonderes kommunikatives Verhältnis zwischen einem Erzähler und einem gespannten Rezipienten, bei dem der Rezipient
sich offenbar der Tatsache bewußt ist, daß er an einer kommunikativen Situation teilnimmt, die dafür
gemacht ist, ihn in Spannung zu versetzen, so daß er
- wenn die Spannung zu hoch wird - zu Gegenmaßnahmen greifen kann, die das Spannungsgefühl mindern (Wulff 1993).
(b) Sowohl die Stoffe der Spannungserzählung wie
der Erzähl- und Inszenierungsweisen sind historisch
veränderlich und verändern im Lauf der Zeit ihre
Spannungscharakteristik. So ist das "monstrative Erzählen", das als Signifikationsmodus im frühen Film
vorherrschte (Kessler 1993) und bei dem das spannungsinduzierende Detail eher beiläufig beigebracht, aber nicht in einer emphatischen Zeigegeste
ausgestellt wird, heute ganz und gar unüblich und
als Rezeptionsfolie schwer nachzuvollziehen.
Ein weitreichendes Problem für die Analyse der
Spannung entsteht aus der Tatsache, daß spannungsevozierendes Material offenbar mehrfach hintereinander rezipiert werden kann - und die Rezipienten
dennoch angeben, Spannung zu empfinden (vgl.
Carroll 1996). Dieses Problem des "Rereading"
wird auch als "Anomalous Suspense" bezeichnet. Es
läuft den gängigen Spannungstheorien zuwider, die
ja meist mit der Unsicherheit der Rezipienten über
den Ausgang der Handlung als spannungsevozierendem Faktor operieren (vgl. unsere Darstellung oben;
vgl. Carroll 1996; Brewer 1996; Vorderer 1996;
Zillmann 1996). Ein ausführlicher Überblick zu dieser - noch ganz ungelösten - Problematik findet sich
bei Carroll (1996).
Die Methodenfrage stellt sich in der Spannungsforschung in allen Teilbereichen, weil die Heterogenität
der Bezugsgrößen die Integration sehr unterschiedli-
cher Teilmodelle erforderlich macht - ästhetische
Modelle der Kunstprozesse stehen so neben textoder werkbezogenen Bezugskategorien und werden
darüber hinaus oft mit kognitions-, motivations- und
emotionspsychologischen Teiltheorien kurzgeschlossen (Wuss 1993, Wulff 1993 etc.). Auch die
empirische Messung von Spannung und spannungsbegleitender Emotionen gestaltet sich äußerst problematisch. Zumeist wird dabei auf Verbalindikatoren zurückgegriffen, die im standardisierten Fragebogen erhoben werden; diese sind jedoch aufgrund
möglicher interindividueller Unterschiede problematisch (vgl. Friedrichsen 1996). Als dominierender
methodischer Aufbau der empirischen Spannungsforschung läßt sich unschwer das Experiment erkennen. Inhaltsanalysen zu spannungsevozierenden Materialien fehlen gänzlich (als kritische Überblicksdarstellungen vgl. de Wied/Zimmann 1996; Friedrichsen 1996).
Kognitionsforschung der Spannung?
Filmwissenschaft und Kognitionspsychologie stehen
in der Untersuchung der Spannungsprozesse sehr
nahe beieinander. Es geht schließlich darum zu untersuchen, in welcher Weise Strategien filmischen
Erzählens und filmische Gestaltungsweisen mit Rezeptionsprozessen zusammenhängen. Das Ensemble
von Aktivitäten des Rezipienten, das man als die
Operationen der Spannung bezeichnen kann, sind
koordiniert mit gewissen Strategien der Informationsdarbietung am Text. Die Dramaturgie der Spannung muß beschreiben, wie Techniken der Zuschauerführung zu jenen rezeptiven Effekten führen, die
man als "Spannung" zusammenfassen kann. Die Art
und Weise der Informationsführung erweist sich dabei als ein Komplement der Zuschaueroperationen
(der Text erfüllt sich erst in der Rezeption). Die Aktivität des Zuschauers ist eine Komponente der Textstruktur, der Text läßt sich nicht ohne den dazutretenden Zuschauer beschreiben. Die Spannungskonstruktion wird darum gefaßt als eine Sequenz von
Textinformationen, die eine dazugehörige Sequenz
von Verarbeitungsoperationen des Zuschauers erforderlich macht und diese steuert; diese beiden Komponenten bilden zusammen eine Untersuchungseinheit. Textwissenschaftler und Psychologen sind sich
weitgehend über den Prozeßcharakter der Spannung
einig, der sich als Interaktion verschiedener Variablen aus Kommunikat, Umwelt und rezipientenimmanenten Prädispositionen im Rezipienten manifestiert. Strenggenommen sollte man also nicht von
"spannenden Filmen" sprechen, sondern allenfalls
von "potentiell spannungsevozierenden Filmen",
soll die emotionale Reaktion den Rezipienten selbst
überlassen bleiben.
Weil Spannungserleben als wesentliche Komponente die Antizipation kommenden Geschehens und die
damit verbundenen Affekte umfaßt bzw. sogar genau darin besteht, ist die Steuerung der Handlungsentwürfe, die der Rezipient für sich während der Informationsverarbeitung im engeren Sinne produziert, für die Dramaturgie der Spannung sehr bedeutsam. Vereinfacht gesagt, muß der Zuschauer mit
Informationen versorgt werden, die es ihm gestatten,
mögliche und wahrscheinliche Handlungsentwürfe
aus einer gegebenen Situation zu extrapolieren. Derartige Informationen sind Vorinformationen, Verweisungen auf zukünftige Entwicklungen der Handlung.
Weil es primäre Aufgabe der Spannungsdramaturgie
ist, auf die Entwurfstätigkeit des Rezipienten einzuwirken, gilt es, die Wahrscheinlichkeiten zu beeinflussen und den Problemlöseraum zu verändern, in
dem der Zuschauer sich bewegt (grundlegend dazu
neben Hitchcocks Überlegungen zum Suspense
[Truffaut 1966] auch Branigan 1992, 74ff; vgl. d.w.
auch Wulff 1996). Vorverweisende Elemente operieren im Textprozeß natürlich in einem "offenen" textuellen Bezugsfeld, in dem der weitere Verlauf der
Handlung noch nicht manifest geworden ist, sondern sich nur vom jeweiligen Ort der Lektüre als
mehr oder weniger wahrscheinlich prognostizieren
läßt. Die Analyse von Spannungskonstruktionen ist
darum nur sinnvoll möglich als Analyse von textuellen Prozessen, nicht von synoptischen Textstrukturen.
Hitchcocks Auffassung von suspense nimmt die unterschiedlichen Wissensstände von Zuschauer und
Protagonist als dessen besondere Charakteristik nur dann, wenn der Zuschauer in eine Gefahr eingeweiht ist, die dem Helden droht, von der dieser aber
noch nichts ahnt, stellt sich der Effekt des suspense
ein. Der Zuschauer ist besser informiert als die Figur des Films, er weiß mehr, was - nach der Hitchcockschen Auffassung von suspense - die Involviertheit des Zuschauers steigert und intensiviert (vgl.
Truffaut 1975, 62, 102, passim) und einen eigenen
Typus von Spannungserleben hervorbringt. Das informationelle Verhältnis, das man suspense nennt,
ist reflexiv: Zur Situationsbeschreibung, die dem Zuschauer zugänglich ist, gehört auch das Wissen, daß
er mehr weiß als der Held. Wenn nun der Zuschauer
weiß, daß die Situation tatsächlich eine andere ist
als diejenige, die die Figur sich entwirft, muß die Situationsdefinition des Zuschauers eine Simulation
der Situationsdefinition der Filmfigur umfassen.
Der Zuschauer ist dazu gezwungen, die Oberfläche
des Geschehens "mit doppeltem Blick" zu interpretieren - bezogen auf das, was er selbst weiß, aber
auch bezogen auf ein Konstrukt einer Person der Erzählung und deren Kenntnis der Handlung.
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Zillmann, Dolf (1980) Anatomy of suspense. In: The entertainment functions of television. Ed. by Percy H. Tannenbaum. Hillsdale, N.J.: Lawrence Erlbaum 1980, S.
133-163.
--- (1991a) The logic of suspense and mystery. In: Responding to the Screen: Reception and Reaction Process.
Ed. by Jennings Bryant & Dolf Zillmann. Hillsdale, N.J.:
Erlbaum, S. 281-303.
Supplement: Bibliographie der
Spannung
Zur Auswahl der Beiträge
In die vorliegende Auswahlbibliographie wurden
vorwiegend film- und fernsehorientierte Beiträge
aufgenommen, die das Thema Spannung / Suspense
untersuchen. Diese Beiträge beleuchten das Thema
vor dem Hintergrund verschiedenster theoretischer
und methodischer Perspektiven. Dennoch liegt der
Akzent der vorliegenden Auswahlbibliographie auf
kognitions- und motivationspsychologisch orientierten Arbeiten, die den überwiegenden Teil der verzeichneten Literatur ausmachen.
Verwandte, aber dennoch gegenständlich abgrenzbare Forschungsbereiche wurden mit eigenen Überschriften versehen als Einzellisten aufgenommen.
Insgesamt müssen diese Einzellisten unvollständig
bleiben, sie enthalten exemplarisch einige zentrale
Arbeiten aus diesen Forschungsfeldern. So existiert
z.B. zu der Persönlichkeitspsychologie, die sich mit
dem Begriff →Sensation Seeking verbindet, eine
umfangreiche Bibliothek von Beiträgen, die nicht
aufgenommen werden konnten. Dies gilt auch für
die Dramentheorien und die psychologische Stressforschung, zu der sich ein früher Überblick bei Lazarus (1966) findet. Nicht verfolgt wurden auch die
Diskussionen um Informationsästhetik (vgl. Berlyne
1974) sowie um komplexes Problemlösen und Problemlösepsychologie (vgl. Dörner et al. 1983 und
Funke 1986).
--- (1991b) Empathy: Affect from bearing witness to the
emotions of others. In: Responding to the Screen: Reception and reaction process. Ed. by Jennings Bryant & Dolf
Zillmann. Hillsdale, N.J.: Erlbaum, S. 135-167.
Für Korrekturvorschläge zu den sicher mannigfaltig
vorhandenen Irrungen und Wirrungen, Falschzuordnungen und Unordnungen sowie Auslassungen und
Unterlassungen sind wir zutiefst dankbar.
--- / Bryant, Jennings (1975) Viewer's Moral Sanction of
Retribution in the Appreciation of Dramatic Presentations. In: Journal of Experimental Social Psychology, 11,
S. 572-582.
Im April 1996,
Stefan Jenzowsky / Hans J. Wulff
--- / Hay, T.A. / Bryant, Jennings (1975) The Effect of
Suspense and Its Resolution in the Appreciation of Dramatic Presentation. In: Journal of Research in Personality 9, S. 307-323.
Inhalt
Filmorientierte Arbeiten
* Alfred Hitchcock
* Thriller / Horror
Psychologische und kognitionsorientierte Arbeiten
* Sensation Seeking
* Empathie
* Psychoanalytisch orientierte Arbeiten
* Ästhetische Arbeiten
Literatur- und dramentheoretische Arbeiten
* Dramentheoretische Arbeiten
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