hier - Autonome Antifa Radeberg
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Autorengruppe unter Leitung von Professor Dr. Helfried Wehner Radeberger Land unter dem Hakenkreuz Fakten und Ereignisse aus unserer Stadt und umliegenden Orten während des "Dritten Reiches" Herausgeber: Bund der Antifaschisten, Region Dresden e.V. Zum Geleit Mit diesem Buch wird eine Lücke in der Darstellung der Geschichte unserer Heimatstadt und ihrer Umgebung geschlossen. Heimatforscher unter der Leitung von Professor Dr. Helfried Wehner berichten über das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Radeberg. Das ist keine angenehme, aber notwendige Lektüre. In unserer näheren Heimat vollzog sich die gleiche Tragödie wie im gesamten “Dritten Reich”. Die antifaschistischen Kräfte fanden sich trotz vorhandener Ansätze nicht zum gemeinsamen Handeln. Sie konnten deshalb der NSDAP den Weg zur Macht nicht versperren und dem eigenen Volk und den Völkern Europas die Nazibarbarei nicht ersparen. Die Mehrheit der Deutschen erlag der Demagogie der Hitlerclique, stützte die Machthaber und wurde zum Mittäter. Mit der Rückkehr des Krieges nach Deutschland wurden die Mittäter zu Opfern. Es ist das Verdienst der Autoren, diese folgenschwere Entwicklung in unserer Heimat und ihrer näheren Umgebung mit Tatsachen zu belegen, lebendig zu machen, den Blick auch auf diesen Teil unserer Vergangenheit zu öffnen und zu ehrlicher, sachlicher Diskussion darüber anzuregen. Sich dieser Diskussion zu stellen, an dieser Diskussion mitzuwirken, wäre eine wichtige Aufgabe der das Leben in unserer Stadt gestaltenden Kräfte. Eine Meinungsbildung darüber ist ein Teil unseres Weges in das nächste Jahrhundert. Holm Theinert Vors. des Bundes des Antifaschisten, Region Dresden e.V. Gerhard Lemm Bürgermeister der Stadt Radeberg Vorwort Ziel unserer Arbeit war es, die Wahrheit über die NS-Barbarei in unserer Heimatstadt und im Radeberger Land so konkret wie möglich zu erforschen. Während unserer Arbeit wurde uns deutlich, daß für die Nachgeborenen viele Geschehnisse in unserer engeren Heimat nur verständlich sind, wenn wir den Zusammenhang zur Gesamtpolitik der NSDAP herstellen. Deshalb findet der Leser Abschnitte, in denen das geschieht. Eine Schwierigkeit behinderte unsere Forschungsarbeit substantiell: Fast alle amtlichen Dokumente aus der Zeit des "Dritten Reiches" wurden von den damaligen Kommunalbehörden und von den NS-Größen vernichtet. Deshalb mußten wir uns vorwiegend auf Ausschnitte von damaligen Zeitungen und auf die Darstellungen von Zeitzeugen stützen. Aus diesem Grund legen wir keine vollständige Geschichte von Radeberg und Umgebung unter dem Hakenkreuz vor, sondern berichten aus der Geschichte dieser Zeit in dem Rahmen, den die uns zugänglichen Quellen ermöglichten. Trotz dieser Schwierigkeit bemühen wir uns, das damalige Geschehen mit Quellen zu belegen. Alle Autoren leisteten die Forschungsarbeit in ihrer Freizeit und konzentrierten sich auf wesentliche Seiten der NS-Barbarei in unserer Heimat. Andere Aspekte, wie zum Beispiel die NS-Herrschaft das tägliche Leben der Menschen veränderte, konnten noch nicht detailliert erforscht werden. Wir wären deshalb dankbar, wenn dieses Büchlein den Leser anregt, sich zu unseren Forschungsergebnissen auch kritisch zu äußern oder sie durch eigene Erfahrungen, möglicherweise sogar durch Dokumente aus dieser Zeit, zu ergänzen und zu bereichern. Es ist uns ein Bedürfnis, allen zu danken, die uns bei unserer Forschungsarbeit begleitet und bei der Aufbereitung der Forschungsergebnisse unterstützt haben. In der Verbreitung der schrecklichen Wahrheit über den "gewöhnlichen" Faschismus in unserer engeren Heimat sehen wir eine wirksame Möglichkeit, neonazistischen und nationalistischen Aktivitäten, welcher Art auch immer, entgegenzuwirken. Besonders freuen wir uns, daß junge Menschen, Schüler des Humboldt-Gymnasiums in unserer Stadt, an unsere Seite treten und aus eigener Initiative und in eigener Verantwortung das dunkelste Kapitel unserer Stadt weiter erforschen. Sie verdienen unser aller Unterstützung. Die Erforschung der Vergangenheit sind wir den Opfern der "braunen Nacht über Radeberg", uns selbst und unseren Kindern schuldig. Verdrängen? Nein Vergessen? Nie! Wir hoffen, dieses Büchlein findet viele Leser, führt zum Nachdenken, zu ehrlichem, toleranten Gedankenaustausch und mündet in eine nachdenkliche Diskussion im Radeberger Land. Die Autoren 3 Seite Inhalt Geleitwort Vorwort I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform der deutsche Nationalsozialismus 7 Zur Entstehung des Faschismus 7 Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republik und die NS-Bewegung in Radeberg 8 Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik 14 Der Weg der NSDAP an die Macht 19 Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten 24 Die Demagogie des NS-Systems 29 Terror gegen alle Andersdenkenden 36 II. Der Terror gegen die Juden 51 Zum Antisemitismus in der NS-Rassenideologie 51 Der NS-Terror gegen die jüdischen Bürger beginnt 52 Die Vertreibung 53 Die NS-Kristallnacht 56 Die Endlösung 56 Bilder gegen das Vergessen 12 grafische Blätter von Martin Lehnert, Radeberg 61 III. NS-Euthanasiemorde auch in unserer Heimat 77 4 IV. Die Verbrechen im "Arbeitserziehungslager" der Sachsenwerk Licht- und Kraft AG 1944/45 das dunkelste Kapitel der Geschichte Radebergs 83 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in der Kriegsproduktion 83 Die Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" Radeberg 84 Hunger, Schläge, Krankheiten, Morde 90 Massenerschießungen 95 "Das haben wir nicht gewußt und nicht gewollt!" 98 V. Vor dem Kriegsende: NS-Durchhaltepolitik in Wort und Tat Verweigerung und antifaschistischer Widerstand 101 Kampf bis zum Letzten... 101 Mobilisierung von Greisen und Jugendlichen für den Endsieg 104 "Ich habe es für das ganze Dorf getan!" 107 Verweigerung und Widerstand 110 Auch fünf Minuten vor 12 geht das Morden weiter 113 Sich der Verantwortung entziehen 117 Anhang Die Arbeitsgemeinschaft "Radeberg und Umgebung im Nationalsozialismus" 123 Auch in Radeberg wurde gemordet 124 Unsere Forschungsarbeit 127 Vorbereitung für die Gedenkveranstaltung 128 Der 29. April 1998 auf dem Radeberger Marktplatz 129 5 Sachsensieger im Wettbewerb um den GOLDENEN FLOH, einen Förderpreis für praktisches Lernen 131 Eine Ausstellung im Schloß Klippenstein 133 Eine Gedenktafel für Charlotte und Joseph Paulin 133 Pläne für die Zukunft 133 Einflußreiche Parteien und Organisationen während und nach der Weimarer Republik 134 Quellen- und Literaturangaben 137 Impressum 139 6 I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform der deutsche Nationalsozialismus Zur Entstehung des Faschismus Die Geschichte des Faschismus in Europa läßt sich bis in die Anfangsjahre unseres Jahrhunderts zurückverfolgen. Die ideologischen Wurzeln des Faschismus sind in der Gedankenwelt bürgerlicher Eliten aus Politik, Wirtschaft, Geisteswissenschaften und Klerus zu finden. Sie sahen ihren Anspruch als "Herren im Hause" infolge der zunehmenden sozialen Spannungen innerhalb der Gesellschaft im Ergebnis der Emanzipation der in Gewerkschaften und Parteien organisierten Arbeiter gefährdet, und sie schätzten ein, sie seien bei der Aufteilung der Weltressourcen schlecht weggekommen. Zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche nach innen und außen entwickelten sie die Vorstellung vom "starken Staat", in dem alle Kräfte der Gesellschaft, unter kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhältnissen gebündelt, die schrittweise "Neuordnung" in Europa durchsetzen sollten. In den entstehenden faschistischen Staaten oder faschistischen Regimen bildete sich die gleiche Doppelstrategie heraus: • Unterdrückung und Zerschlagung oppositioneller Kräfte im Inneren • Aggressive militärische Aktivitäten gegenüber anderen Staaten zur Aufteilung der Welt in Interessensphären bis hin zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges Die Bezeichnung Faschismus wurde von Mussolini für seine 1921 in Italien gegründete Partei gewählt. Das Symbol war das im antiken Rom den Konsulen vorangetragene Amtszeichen. Es stellte ein mit einem Lederriemen umschnürtes Rutenbündel dar, mit einem aus dem Bündel herausragenden Beil. Das Bündel sollte kennzeichnen, daß es im Gegensatz zu einer einzelnen Rute nicht gebrochen werden kann. Das Beil stand für Wehrhaftigkeit und Gewalt. Zu den ersten faschistischen Diktaturen in Europa zählen Italien unter Mussolini, Ungarn unter Admiral Horthy, das Francoregime in Spanien, das Salazar-Regime in Portugal und das NS-Regime in Deutschland unter Hitler. Nach ihrer Niederlage in der Novemberrevolution 1918 und dem Ende des Ersten Weltkrieges mit seinen verheerenden Auswirkungen für das deutsche Volk (Kriegstote, Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen...) orientierte sich die konservative Elite auf die Wiedererlangung ihres schwer erschütterten politischen und ökonomischen Machteinflusses. Der erstmals von den Pastoren Friedrich Naumann und Paul Göhre publizierte Begriff vom "Deutschnationalen Sozialismus" kann nicht zu den direkten Vorläufern des Nationalsozialismus gezählt werden. Aus den Reihen dieser 7 christlichen Bewegung sind sowohl Faschisten als auch Antifaschisten hervorgegangen. Dennoch haben beide Pastoren diesen Begriff und Vorstellungen dazu in das Denken eingeführt und den rechten Kräften ein grundlegendes Argumentationsmuster geliefert. Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) verknüpfte alle nationalistischen, chauvinistischen, rassistischen, militaristischen und deutsch- und heimattümelnden Komponenten zur "Nationalsozialistischen Weltanschauung". Mit ihrem demagogischen 25-PunkteProgramm führte sie rechtskonservative Gruppierungen wie den "Alldeutschen Verband", die "Deutsche Soziale Partei", den "Deutschvölkischen Germanenorden", den "Germanenorden Walvater", die österreichische "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" u.a. aus ihrer sektenmäßig beschränkten Mitgliederzahl zu einer breiteren Basis. Die NSDAP übernahm Tratitionen der Arbeiterbewegung wie den Begriff "sozialistisch" im Namen ihrer Partei, die Anrede "Parteigenosse", die Übernahme von Arbeiterliedern mit NS-Text, den 1. Mai als "Feiertag der Arbeit" u.a. Zugleich übte die NSDAP verbale Kritik am Kapitalismus durch dessen Differenzierung in "Schaffendes Kapital" (Produktionsunternehmen) und "raffendes Kapital" (Banken, Warenhäuser, insbesondere in jüdischem Besitz). Mit dieser Demagogie erreichte sie deutliche populistische Erfolge. Die Ideologie des sogenannten Nationalsozialismus ist grob zu charakterisieren als antidemokratisch, macht- und gewaltanbetend, rassistisch, antisemitisch, antiliberal, antimarxistisch, diktatorisch, kriegsverherrlichend und proimperialistisch. Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republik und die NS-Bewegung in Radeberg Das Potential der NSDAP wuchs auf dem Boden und mit Unterstützung der in der Weimarer Republik wiedererstarkenden konservativen Kräfte in Staat, Wirtschaft und Militär, auf dem Boden eines reaktionären, autoritären Rechts- und Bildungswesens und in hochgradig militarisierten Organisationen, Vereinen und Verbänden. Bis zum Jahre 1945 galten zum Beispiel die 1873 von einem preußischen Schulrat festgelegten Grundzüge der Volksschulerziehung: "Die disziplinarischen Anordnungen dienen dazu, den Schüler zu gewöhnen, seinen Willen einem höheren und damit dem höchsten Willen unterzuordnen." Die "Erziehung" der Schüler zu "klostermäßigem Gehorsam" durch Leibesstrafen (u.a. Stockschläge) entwickelte autoritäre Charaktere und Gewaltakzeptanz von Kind an. Diese autoritäre Erziehung und die Glorifizierung des Krieges als höchste Tugend und legitimes Mittel zur "Landnahme" fremder Territorien förderten eine ständige Gewaltbereitschaft gegen je nach Bedarf projizierte Feindbilder. Die völkerrechtlich festgestellte Alleinschuld des deutschen Kaiserreiches an der 8 Auslösung des Ersten Weltkrieges, die damit verbundenen Grenzkorrekturen und völkerrechtlichen Auflagen, die Errichtung einer parlarmentarisch-bürgerlichen Demokratie mit einer verfassungsgebenden Volksvertretung im Ergebnis der Novemberrevolution, mit Volksbegehren und Volksentscheid, mit allgemeinem Wahlrecht sowie die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages u.a. waren für die monarchistisch-militaristischen Kräfte aus Grundbesitzern, Fabrikinhabern, Verwaltungen und dem Großkapital Anlaß, mit allen Mitteln auf die Wiederherstellung ihrer Macht und ihres Einflusses hinzuarbeiten. Wie Industrielle dabei vorgingen, zeigt eine vertrauliche Einladung des Verbandes Sächsischer Industrieller zu einer Versammlung in den Räumen der Deutschen Volkspartei: Beeinflussung der Arbeiterschaft im antimarxistisch und nationalsozialistischem Sinne durch alle Rechtsparteien. 9 Am 22.6.1922 ermordeten zwei junge Nationalsozialisten den konservativliberalen jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau. Kurz danach hob die Polizei im Richter´schen Sägewerk in Radeberg ein Waffenlager nationalistischer Kräfte aus. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 1.7.1922: Ermittlung eines geheimen Waffenlagers. Trotz des vom Reichspräsidenten erlassenen "Republikschutzgesetzes" vom 18.7.1922, des zeitweiligen Verbotes des "Stahlhelmes", des "Alldeutschen Verbandes" und anderer republikfeindlicher Organisationen wucherten diese weiter. 10 Wie auch in Radeberg konservative Kräfte der Grundbesitzer, Fabrikanten und ehemalige Offiziere der NSDAP den Weg ebneten, zeigte sich bereits 1925: Nach Wiederzulassung des "Stahlhelmes" marschierten anläßlich einer Fahnenweihe 700 feldgrau uniformierte, mit Stahlspitzenstöcken ausgerüstete "Stahlhelmer" durch das Stadtzentrum zur ev.-luth. Stadtkirche. Die Radeberger Zeitung berichtete darüber u.a.: "Ernst und wuchtig marschierten die Stahlhelmmänner unter Glockengeläut zum Gotteshaus auf ihre Plätze, ein Wald von Fahnen entstand im Altarraum... Die Fahne Schwarz-Weiß-Rot sei das Panier. Die Reichsmarineflagge sei gehißt aus Zorn, Trotz und Wut, weil diese Flagge zuerst in den Staub gerissen wurde... 'Unser Kampf gilt bis aufs Messer allem, was undeutsch und international ist', führte u.a. ein Major a. D. namens Ritter als Hauptredner aus. Dann nahm Herr Freigutbesitzer Maschke (Lotzdorf) das Wort und überreichte ihm ein namhaftes Geldgeschenk mit herzlichen Glückwünschen." Auch ein Radeberger Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei zeigt, wie groß deren Übereinstimmung mit den Zielen der NSDAP war: Wahlplakat Duesterberg (Stahlhelm) 11 Etwa bis zum Jahre 1933 blieb der Einfluß der Radeberger Verbände des Stahlhelmes und des Kyffhäuserbundes relativ konstant. Das zeigen die Ergebnisse der diese Verbände ideologisch und organisatorisch tragenden Parteien, der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), bei den Radeberger Kommunalwahlen. Doch der antisemitische, antimarxistische und chauvinistische Einfluß dieser militanten Wehrverbände auf Schützen- und Sportvereine, Religionsgemeinschaften und die Öffentlichkeit der Stadt war nicht zu übersehen. Er hatte das Ziel, die bürgerlich-liberale Weimarer Republik verächtlich zu machen, ihre Ordnung zu untergraben und sie schließlich zu stürzen. Rückblickend auf die "Kampfzeit", wiederum anläßlich einer Fahnenweihe diesmal war das Radeberger Schützenhaus schon mit Hakenkreuzfahnen und Wimpeln dekoriert - würdigte der Oberleutnant und Bezirksführer des Stahlhelmes, der langjährige Herausgeber der Radeberger Zeitung, Willi Hordler, in seiner Ansprache den Einsatz seiner Kameraden: "Der Aufstand undeutscher Elemente im November 1918, feiger Pazifismus, wollte die Erinnerung an die großen Taten von Heer und Marine austilgen. Im Staate von Weimar hatten diese keinen Platz mehr. Die Ideen, die krankhaft oder schwächlich waren, sind vergangen. Wir geloben unverbrüchliche Treue und Gefolgschaft dem Volkskanzler und Kameraden Adolf Hitler... und unseren geweihten Fahnen. So ist der Bund ein Wegbereiter gewesen für die große Entwicklung des Vaterlandes..." Weiter war in der Zeitung zu lesen: "Das niederländische Dankgebet mit seinem starken Appell an den Höchsten 'Herr, mach uns frei!' klang auf und fand einen erhebenden Widerhall im Saale. Dabei grüßte es eindringlich 'Mit Gott für Volk und Vaterland' von der mit Hakenkreuzbanner, Schwarz-Weiß-Roten Draperien und umkränzten Bildnissen des greisen Reichspräsidenten und des genialen Führers der deutschen Geschichte von der Bühne herab." Schon vor der "Machtergreifung" der NSDAP, aber auch danach, unterstützten einige Repräsentanten der ev.-luth. Kirche in Radeberg und Umgebung die NSDAP. So berichtete die Radeberger Zeitung am 9.1.1933 und am 31.1.1934 (Ausschnitte der Berichte auf Seite 13): 12 Montag, den 9. Januar 1933 Mittwoch, den 31. Januar 1934 13 Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik Der im Zuge der Novemberrevolution in Radeberg gewählte Arbeiter- und Soldatenrat setzte den bürgerlich-konservativen und kaisertreuen Stadtrat, der bis dahin mit Hilfe des völlig undemokratischen Drei-Steuerklassen-Wahlrechtes die Stadt regiert hatte, außer Kraft. Bei den Wahlen zur Gründung der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, auf die die Ausrufung der Deutschen Republik folgte, errangen die Kandidaten der Linken die Mehrheit im Radeberger Stadtrat und behielten sie bis zur "Machtergreifung" der NSDAP. Das entsprach der sozialen Struktur der Industriestadt Radeberg. Zentren der politisch organisierten Arbeiterschaft befanden sich im Wahlbezirk 5, "Gasthof Klengel"; im Wahlbezirk 6, Pillnitzer Straße; "Deutsches Haus", Bahnhofstraße und in den Wahlbezirken der Beschäftigten der 1929 zusammengebrochenen Glasindustrie Hirsch, Bedrich & Co. Der politische Einfluß der am 10.6.1924 gegründeten Radeberger Ortsgruppe der NSDAP blieb längere Zeit gering. Er beschränkte sich auf einige Dutzend Mitglieder, konnte jedoch in den ländlichen Gemeinden, besonders unter der Bauernschaft, aufgewogen werden. Den Bauern versprach die Hitlerpartei die Entschuldung ihrer Höfe und die Schaffung tausender Erbbauernhöfe zur Neubildung deutschen Bauerntums. So entstanden unter Mitwirkung der Radeberger NSDAP in rascher Folge Ortsgruppen in Großerkmannsdorf, Langebrück, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla, Lausa, Pulsnitz und Kamenz. 1920 hatten Linksparteien und Gewerkschaften durch ihr entschlossenes Handeln den Kapp-Putsch abgewehrt und die Weimarer Republik verteidigt. Am 6.7.1922 berichtete die Radeberger Zeitung (siehe Faksimile Seite 15). Ein Jahr später löste die Entscheidung der Reichsregierung, den Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und Thüringen und die Absetzung der sozialdemokratisch-kommunistisch geführten Staatsregierung des Freistaates Sachsen unter Ministerpräsident Zeigner anzuordnen, bei Linken, Demokraten und Gewerkschaftern tiefe Empörung aus. Die Verhaftungswelle der Reichswehr gegen Kommunisten in Radeberg, und ihr rücksichtsloser Schußwaffengebrauch gegen die Arbeiterdemonstration in Freiberg (29 Demonstranten wurden erschossen) waren ernüchternde Erlebnisse für viele Sozialisten im Hinblick auf das Wiedererstarken erzkonservativer Kräfte in der Weimarer Republik. Treffend charakterisierte Herbert Wehner, langjähriger Vorsitzender der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag, rückblickend diese Situation: "Durch den Einmarsch der Reichswehr wurde damals alles ge- und zerstört. Im Frühjahr 1924 lernten wir dann zum ersten Mal Faschismus kennen. Aus Anlaß des Geburtstages von Bismarck marschierten die ‘vaterländischen Verbände’ auf, die alles andere als vaterländisch waren, zum Beispiel die Brigade Erhardt, die SA, NSDAP, der Stahlhelm u.a. Damals haben wir als Jugendgruppe (Sozialistische Arbeiterjugend) gegen die Kolonnen demonstriert und protestiert. 14 Wir wurden zusammengeschlagen und haben uns wieder aufgerafft." Wehners folgender Austritt aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und sein Übergang zu einer anarchistischen Jugendgruppe sowie seine folgende Mitgliedschaft in der KPD (1927) waren Ausdruck der tiefen Enttäuschung des 21jährigen. Er war auch ein Beispiel für die Wählerwanderung von der SPD, SAP und USPD zur KPD. Die Übergriffe von Reichswehr, Polizei und militanten Krieger- und Schützenvereinen, royalistischen Ex-Soldatenorganisationen und der NSDAP gegen Kundgebungen und Demonstrationen der Arbeiterparteien und Gewerkschaften 15 führten zur Bildung von unbewaffneten Schutzorganisationen der Linken, auch in Radeberg. Als einer der ersten trat im Freistaat Sachsen der "Proletarische Selbstschutz" in Erscheinung. Partei- und gewerkschaftsübergreifend versuchte er, die Versammlungsfreiheit bei Versammlungen und Demonstrationen sicherzustellen. Kurz darauf folgte die Gründung der Schutzorganisation der SPD, "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", der Schutzorganisation der KPD "Rotfrontkämpferbund" und mehrerer Unterorganisationen wie "Arbeitersamariter" und "Rote Hilfe". Wenn auch die politischen Zielvorstellungen und die praktischen Wege auseinander gingen, gab es doch eine übereinstimmende Grundhaltung. Sie bestand in der Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik (Antimilitarismus, aktiver Pazifismus) und in der politischen Bekämpfung des Nationalsozialismus und seiner "vaterländischen" Gehilfen. Diese Grundhaltung wurde auch von Vereinen getragen, die die Emanzipation der Arbeiterbewegung unterstützten, wie dem Freidenkerverband mit seiner Jugendweihe (1922), der Naturfreundebewegung, den Arbeitersportvereinen u.a. Die Aufführung des Antikriegsfilmes "Im Westen nichts Neues" im Radeberger Kino mußte wegen des enormen Besucherandranges mehrfach verlängert werden. Trotz der ständigen Arbeitslosigkeit von 2500 bis 3000 Personen im Arbeitsamtsbezirk Radeberg von 1922 bis 1933 und trotz einer anhaltenden Wohnungsmisere gelang weder den Vaterlandsparteien und schon gar nicht der NSDAP ein nennenswerter Einbruch in die antifaschistische Grundhaltung der Mehrheit der Radeberger Bevölkerung. Die entschlossene antifaschistische Haltung wurde auch im Jahr 1931 deutlich. Eine von der NSDAP im Radeberger "Schützenhaus" durchgeführte Großveranstaltung mit vielen Teilnehmern aus ganz Sachsen führte am 24.1.1931 zu einer tausendköpfigen Gegendemonstration der Radeberger, die gemeinsam von den Gewerkschaften und linken Parteien getragen wurde. In den dabei von SA-Leuten begonnenen tätlichen Auseinandersetzungen wurden vier Betriebsräte aus Radeberger Großbetrieben verletzt und mußten in das Stadtkrankenhaus eingeliefert werden. Der tags darauf von den Gewerkschaften ausgerufene und von linken Parteien unterstützte dreistündige Generalstreik, an dem sich 12 Groß- und Mittelbetriebe beteiligten, war einer der ersten politisch motivierten Generalstreiks in der Weimarer Republik. 4000 Radeberger unterstützen ihn mit einer Demonstration gegen die Hitlerpartei auf dem Marktplatz. Folgerichtig konstituierte sich kurze Zeit später in Radeberg ein gewerkschaftsund parteiübergreifendes Abwehrkartell gegen den Faschismus. Die erzkonservativen Kräfte in Radeberg aus dem Stahlhelm, der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen Partei schlossen sich zu der "Bürgerlichen Einheitsliste" zusammen und führten den Wahlkampf für die Reichstagswahl am 6.11.1932 gemeinsam mit der Radeberger NSDAP unter Oberlehrer Möckel. 16 w Diese Zusammenarbeit zeigt auch eine Großanzeige der "Bürgerlichen Einheitsliste" (Liste 2) und der NSDAP (Liste 4) in der Radeberger Zeitung vom 16.11.1932: 17 Die enge Verflechtung hatte keinen wesentlichen Einfluß auf die antifaschistische Einstellung der Mehrzahl der Radeberger. Am 18.11.1932 teilte die Radeberger Zeitung ihren Lesern auf der Titelseite folgendes Wahlergebnis mit: 18 Der Weg der NSDAP an die Macht Die Weltwirtschaftskrise erschütterte die letzten Jahre der Weimarer Republik schwer. In dieser Zeit kommt es zu immer stärkerer politischer Radikalisierung. Begünstigt durch die Schwierigkeiten, auf demokratische Weise Mehrheiten zu bilden, verlagern sich die politischen Gewichte zunehmend von den Parteien und dem Parlament zum Reichspräsidenten und seinen konservativen Beratern. Die so entstehende politische Krise führt zu einem schnellen Anwachsen der rechten Kräfte. Im Oktober 1931 verbünden sich Hitlers NSDAP, die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm in der "Harzburger Front" zum Kampf gegen die Regierung Brüning und die Republik. Am 5. Oktober 1931 findet zwischen Vertretern des deutschen Monopolkapitals und dem Reichspräsidenten von Hindenburg eine Unterredung über die Umbildung der Regierung Brüning statt. Die Regierungsumbildung erfolgt vom 7. bis 9. Oktober 1931 und ist darauf gerichtet, die demokratische Staatsform zu beseitigen. Am 10. Oktober 1931 empfängt Reichspräsident von Hindenburg erstmalig Hitler und Göring, um sich persönlich über die Ziele der NSDAP zu informieren. 1932 entläßt Reichspräsident von Hindenburg die Regierung Brüning. In der Folge wird das Verbot der SA aufgehoben, der Reichstag aufgelöst und die von der SPD geführte preußische Landesregierung abgesetzt. Nun fordert Hitler kompromißlos die gesamte politische Macht in Deutschland. Am 12. und 13. August 1932 verhandeln von Hindenburg, von Papen und Schleicher, um Hitler für den Posten des Vizekanzlers zu gewinnen, doch Hitler fordert den Posten des Reichskanzlers. Das wird ihm nicht zugebilligt. Darauf lehnt die NSDAP ab, die inzwischen vom Reichspräsidenten berufene Regierung von Papen zu tolerieren. Der Reichspräsident löst den Reichstag auf, und am 6. November 1932 finden Reichstagswahlen statt. Ergebnisse: NSDAP Sozialdemokratische Partei Kommunistische Partei Zentrumspartei Deutschnationale Volkspartei Bayrische Volkspartei 11,7 7,2 6,0 4,2 3,0 1,1 Mio. Mio. Mio. Mio. Mio. Mio. Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen 196 Sitze 121 Sitze 100 Sitze 70 Sitze 52 Sitze 20 Sitze Am 18. November 1932 erklärt Hitler dem Reichspräsidenten, seine Partei sei der einzige "Damm gegen den Kommunismus" und fordert für die NSDAP die Regierung und unbeschränkte Vollmachten. Am 24. November verweigert ihm von Hindenburg das noch. Am 4. Januar 1933 treffen sich im Hause des Bankiers Schröder in Köln von Papen 19 und Hitler. Es kommt zu der Übereinkunft, daß Hitler demnächst die Macht übernehmen und eine Regierung bilden soll, die im Gegenzug die Forderung der Wirtschaft und der Großbanken erfüllt. Damit wird der Weg zur offenen faschistischen Diktatur frei. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, lehnen NSDAP und DNVP unter Hugenberg die Unterstützung der bestehenden Regierung Schleicher ab. Am 22. Januar 1933 findet im Hause von Ribbentrop eine Unterredung Hitlers mit von Hindenburg, von Papen und Staatssekretär Otto Meißner mit dem Ergebnis statt, Hitler in den nächsten Tagen zum Reichskanzler zu ernennen. Inzwischen werden alle Aktivitäten des Reichskanzlers Schleicher abgelehnt, so daß er mit seiner Regierung am 28. Januar 1933 zurücktritt. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, der die “Machtergreifung“ der NSDAP proklamiert. Bereits am 1. Februar 1933 fand in Radeberg ein Fackelzug zu Ehren des Reichskanzlers Adolf Hitler statt. Die Radeberger Zeitung berichtete: Wie groß der Widerstand unter der Radeberger Bevölkerung gegen die NSDAP und der Wille zur antifaschistischen Einheitsfront war, ist einem Bericht der Radeberger Zeitung vom gleichen Tage zu entnehmen: 20 In Ottendorf-Okrilla bemerkten antifaschistische Bürger am 25.2.1933 auf dem Schornstein der stillgelegten Glashütte Brockwitz eine Hakenkreuzfahne. Sie beschlossen, diese Fahne zu entfernen. Der Ottendorfer Arbeiter Kurt Schwade vollbrachte diese Tat. Kurz darauf wehte auf dem Schornstein der damaligen Firma Scheffel eine rote Fahne. Unerkannt hatte der Schornsteinfeger Hermann im Auftrage von Sozialdemokraten, Kommunisten und parteilosen Antifaschisten dieses Zeichen des Widerstandes gesetzt. Mit der Machtergreifung begann die NSDAP, von konservativen Kräften unterstützt, ihre Diktatur zu errichten. SA und Stahlhelmleute wurden als Hilfspolizei eingesetzt. Am 27. 2. 1933 wurde das Gebäude des Deutschen Reichstages in Brand gesetzt. Die Hitlerregierung verkündete, der Reichstagsbrand sei das Werk der Kommunisten und das Signal für eine Verschwörung gegen das deutsche Volk. Sie benutzte dieses Verbrechen als Vorwand, eine Verordnung zum "Schutze von Volk und Staat" zu erlassen und damit der Hitlerregierung fast uneingeschränkte Machtbefugnisse einzuräumen. Reichspräsident von Hindenburg unterschrieb. Damit waren entscheidende verfassungsmäßige Rechte außer Kraft und der Terror gegen alle Andersdenkenden "legalisiert". Die ersten Opfer wurden innerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Arbeiterfunktionäre, die meisten davon Kommunisten. Sie wurden verhaftet und in Internierungslager verschleppt. Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt - das bedeutet die Liquidierung aller Grundrechte. 21 Das entscheidende Ziel war, massiven Druck auf die Wähler auszuüben, damit sie bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 der NSDAP ihre Stimme geben und so die Gewaltherrschaft dieser Partei scheindemokratisch bemänteln sollten. Dem diente auch das Verbot der Zeitungen von SPD und KPD. Dazu ließ der Berliner Polizeipräsident ein Flugblatt verbreiten: 22 Die Radeberger Zeitung veröffentlichte das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März 1933: In Radeberg gaben 3 903 Bürger der NSDAP ihre Stimme. Das waren rund 36 % der Wähler. Bis auf zwei Gemeinden erreichte die NSDAP nicht die gewünschte absolute Mehrheit. In Radeberg, Ottendorf-Okrilla, Hermsdorf, Leppersdorf und Lomnitz erzielten SPD und KPD einen höheren Anteil der Wählerstimmen als die NSDAP. 23 Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten Nachdem sie mit der Reichstagswahl am 5.3.1933 ihr Ziel nicht erreicht hatten, setzte die NSDAP alle Mittel ein, um ihre Machtpositionen zu stärken. Sie sah das größte Hindernis in den linken Parteien, den Gewerkschaftsverbänden und anderen demokratischen Kräften, besonders auch deren Abgeordneten in den Stadt- und Gemeindeparlamenten. Beim Ausbau ihrer Herrschaft in allen staatlichen Ebenen traten die neuen Machthaber Recht und Gesetz mit Füßen. Am 7. März 1933, zwei Tage nach den Reichstagswahlen, findet auf dem Marktplatz von Radeberg eine große Kundgebung der NSDAP statt. SS und Polizei sperren ab. Am Rathaus werden die Hakenkreuzfahne und die deutsch-nationale Fahne Schwarz-Weiß-Rot gehißt. NSDAP-Ortsgruppenleiter Erich Möckel klagt in einer Rede an, daß er lange Jahre "unter dem Marxismus geseufzt hat". Sieg-HeilRufe der SA hallen über den Marktplatz. Von dieser Kundgebung veröffentlichte die Radeberger Zeitung am 8. März ein Foto: Bereits zwei Tage nach der Reichstagswahl vom 5. 3. 1933 besetzten gegen 17.30 Uhr SS, SA, Stahlhelm und Polizei das Radeberger Rathaus und hißten die oben genannten Fahnen unter Mißachtung des noch gültigen offiziellen Flaggengesetzes. Im Vordergrund der aufmarschierte “Stahlhelm” mit dem Kommandierenden Teichert, rechts (kaum erkennbar) die SA-Formation. Die “II. Revolution” des NSDAP-Ortsgruppenführers E. Möckel nahm ihren erfolgreichen Verlauf. 24 Eine zweite Kundgebung am 9. März 1933 versetzte dem demokratisch gewählten Stadtrat und der Stadtverwaltung den Todesstoß. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 10.3.1933 ausführlich: Fritz Weitzmann und weitere Radeberger Antifaschisten wurden von den Nazis gezwungen, die Wahlaufrufe der Arbeiterparteien zu den Reichstagswahlen März 1933 von den Wänden abzuwaschen. (Foto aus dem Nachlaß von Fritz Weitzmann) 25 Der Terror ging weiter. Bereits am 4. März 1933 hatte die SA den Radeberger Stadtverordneten der KPD eine "Sonderbehandlung" zuteil werden lassen. Am 17. März 1933 holte die neue NS-Stadtverwaltung die Stadtverordneten der SPD in das Rathaus zur "Vernehmung". Danach mußten sie zusammen mit anderen Antifaschisten unter Aufsicht von SA-Leuten die Wahlplakate der Arbeiterparteien für die Reichstagswahlen von den Wänden abwaschen. Am gleichen Tag beschloß der "gesäuberte" Stadtrat, daß Marxisten nicht mehr in leitenden Stellen beschäftigt werden dürfen. Dieser Beschluß wurde mit einer Gegenstimme gefaßt. Zum weiteren Ausbau der Diktatur legte Hitler ein Ermächtigungsgesetz vor, das am 24.3.1933 das Parlament mit Zweidrittelmehrheit passierte. Es schaltete den Reichstag und seine Kontrollorgane faktisch aus. Nun folgten die Proklamation des "Einheitsstaates" und die "Gleichschaltung". Damit wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten, die Gewerkschaften und die Länder entmachtet und der Reichsrat aufgehoben. Am 30.3.1933 fand die letzte Sitzung der Radeberger Stadtverordneten statt, zu der noch Abgeordnete der SPD zugelassen waren. Dazu schrieb die Radeberger Zeitung: 26 "Am früher gewohnten Platze hing wieder das Gemälde König Georgs, ihm gegenüber die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, die Hakenkreuzfahne und die GrünWeiße Fahne Sachsens. Die Plätze der Kommunisten waren leer, da diese nicht eingeladen waren. Von den Sozialdemokraten waren nur vier anwesend, da einige sich bereits in Schutzhaft befanden. Der NSDAP-Ortsgruppenführer und vorläufige Bürgermeister, Parteigenosse Möckel, stimmte ein kräftiges 'Sieg Heil' auf Hindenburg und den Führer an, wobei sich die Abgeordneten von den Plätzen erhoben, außer den vier Sozialdemokraten. Sie beteiligten sich auch nicht an der Wahl des Präsidiums. Stadtverordneter Weitzmann (SPD) gab dazu eine entsprechende Erklärung ab." Einen Tag später erließ die Hitlerregierung das Länder- und GemeindeGleichschaltungsgesetz. Damit war auch in Radeberg der Weg zu einem unglaublichen Wahlbetrug freigemacht. Darüber informiert die Radeberger Zeitung: 27 Über die so an die Macht geschobenen Radeberger Stadtverordneten der NSDAP und der Konservativen ("Gemeinsamer Wahlvorschlag") informierte die Radeberger Zeitung: Auch in allen Dörfern des Radeberger Landes wurden die Gemeindeparlamente "gleichgeschaltet". Die von der Bevölkerung gewählten Abgeordneten von SPD und KPD wurden aus den Gemeinderäten entfernt und ihre Mandate von Vertretern der NSDAP besetzt. Nun war die NSDAP in der Lage, ihre Diktatur ohne große Gegenwehr auszuüben. Einen Höhepunkt der "Nationalsozialistischen Machtergreifung" und der "Gleichschaltung" in Radeberg bildete die Stadtverordnetenversammlung am 15. Mai 1933 mit der Wahl des NS-Bürgermeisters Dr. Rasch. 28 Der Berichterstatter der Radeberger Zeitung schrieb: "Der mit dem Wahrzeichen der nationalen Bewegung geschmückte Sitzungssaal zeigt das Bild der Gleichschaltung, das braune Hemd beherrscht den Saal. Der bis dahin kommissarische Bürgermeister, Gewerbeoberlehrer Möckel, seit 1929 Ortsgruppenleiter der NSDAP, gab die richtungweisende Orientierung. Er lobte die Ausschaltung der staatsfeindlichen Elemente." Der Historiker Guido Knopp verweist in seiner Studie "Hitler, eine Bilanz" auf Hubertus von Löwenstein. Anläßlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler warnte er seine sozialdemokratischen Freunde: "Kameraden, habt ihr begriffen, daß heute der 2. Weltkrieg begonnen hat?" Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, hatte diese tödliche Gefahr mit den Worten gekennzeichnet: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Beide sollten recht behalten. Die Demagogie des NS-Systems Um die Menschen zu gewinnen, nutzte die NS-Propaganda besonders die Sorgen aus, die viele Leute bewegten: • Angst vor der Arbeitslosigkeit war eine depressive Grundstimmung, damit verbunden: • Angst vor gesellschaftlicher Deklassierung Gezielt und erfolgreich geschürt wurden: • Angst vor dem Bolschewismus, • Angst vor und Haß gegenüber den Juden, • Angst vor Überfremdung Die Propaganda der Nazis verkündete, nur einer könne der Bevölkerung diese Ängste nehmen: Adolf Hitler mit seiner NSDAP. Und Hitler ließ an seinem Willen zur alleinigen Macht keinen Zweifel: "Nunmehr haben wir die Macht in der Hand, und ich als Kommissar des Reiches bin in meiner Person der Ausdruck hierfür. Deshalb befehle ich und kein anderer. Meine Befehle allein sind maßgebend, und ich allein trage die Verantwortung für das, was geschieht." 29 Die Begeisterung bei NS-Propagandaveranstaltungen riß Zögernde mit. Um diese Stimmung auszubauen, ergriff die NSDAP weitere Maßnahmen: 1. Der 1. Mai wurde zum gesetzlichen "Tag der nationalen Arbeit" erklärt. Mit der Schaffung der Deutschen Arbeitsfront anstelle der verbotenen Gewerkschaften sollten die Arbeiter an sozialen Forderungen gehindert und auf das "Führerprinzip" auch in den Betrieben eingeschworen werden. Fortan gab es einen "Betriebsführer" und eine "Gefolgschaft". Der Beauftragte der "Deutschen Arbeitsfront", Felber, sagte in der Gruppenstammversammlung 1/151 in Radeberg im Juli 1934: "Wir haben für das deutsche Arbeitertum eine Organisation geschaffen, die nicht nur Organisation ist, sondern ein ehernes Fundament unseres Staates... Es ist unbestreitbar, daß die nationalsozialistische Revolution den Schutt der deutschen Arbeiterklasse weggeräumt und den edlen Kern freigelegt hat, daß es heute kaum einen willigeren und unbedingteren Staatsbejaher gibt, als den deutschen Arbeiter." In diesem Sinne organisierten NSDAP und Arbeitsfront in Radeberg die Feiern zum 1. Mai. In Großveranstaltungen wurden die Leistungen und die Gefolgschaftstreue des "Arbeitsvolkes" hervorgehoben. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung: "Bereits in der 8. Stunde des 1. Mai versammelten sich auf der Pulsnitzer Straße "Arbeitsmenschen", die Belegschaften der Betriebe, Beamte, Lehrer, Gewerbetreibende, auch die arbeitslosen Volksgenossen usw. zum Marsch der 8500 durch die Stadt. Schließlich hatten sich im "Horst-Wessel-Stadion" Zehntausend vereinigt.” 2. Mit riesigem propagandistischen Aufwand inszenierte die NS-Regierung ihren demagogischen "Kampf um Arbeit und Brot". Am 1. Mai 1933 verkündete sie das Reichsautobahnprogramm, und an vielen Stellen in Deutschland wurden Bauprojekte begonnen: Brennpunkte der deutschen Arbeitsschlacht. Die wichtigsten Stellen, an denen das Arbeitsprogramm in Angriff genommen wird. 30 Mit der Einführung eines halbjährigen "Reichsarbeitsdienstes" wurden alle "wehrfähigen" jungen Männer an diesen Objekten zur Arbeit eingesetzt, anfangs freiwillig, später als "Reichsarbeitsdienstpflicht". Dort wurden sie gleichzeitig halbmilitärisch ausgebildet. Sie arbeiteten faktisch ohne Lohn. Ihr Sold betrug 25 Reichspfennige pro Tag. Zur gleichen Zeit betrieb die NS-Regierung - anfangs geheim - eine enorme Aufrüstung, gekoppelt mit der Forderung, das "Schanddiktat" des Versailler Friedensvertrages zu annullieren. Die Aufrüstung brachte viele neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und beim Bau militärischer Anlagen. Die Autobahnen gehörten ebenso zur Aufrüstung wie das "Volkswagenwerk". Als die ersten Volkswagen produziert wurden, rollten sie auf Hitlers Autobahnen für seine Annexionen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte Hitler bereits 1936 eine annähernde Vollbeschäftigung verkünden. 3. Am 29. September 1933 wurde das "Reichserbhofgesetz" verkündet: "Landund forstwirtschaftlicher Besitz in der Größe von mindestens einer Ackernahrung und von höchstens 125 Hektar ist ein Erbhof, wenn er einer bauernfähigen Person gehört". 4. Weiterhin förderte der Staat den Eigenheimbau. Das Angebot an Konsumgütern wurde auch für Ärmere erschwinglich. Das Urlauberprogramm "Kraft durch Freude" sollte den Menschen ein Gefühl sozialer Sicherheit vermitteln. 5. Die Deutsche Arbeitsfront lockte mit Bildungsangeboten und Sport und lenkte auch die Freizeit in die Zielrichtung der NSDAP. Mit einem weitgehend sorgenfreien Leben und einer auf das Heute gerichteten Sicht wurde die Masse der Bevölkerung zufriedengestellt. 6. Ungezügelt propagierte die NSDAP ihre pseudowissenschaftlich verbrämte Rassentheorie. Sie redete den Menschen ein, die blauäugige, blonde "Nordische Rasse" verkörpere das Idealbild der Deutschen. Deshalb sei das deutsche Volk "von der Vorsehung ausersehen", über alle anderen Völker zu herrschen. Minderwertige Rassen, zu allererst die Juden, seien "nicht lebenswert". 7. Alle deutschen Rundfunkstationen wurden zum Reichsrundfunk vereint. Propagandaminister Goebbels baute den Reichsrundfunk neben Presse und Film zu einem entscheidenden Instrument der NS-Propaganda aus. Diesem Ziel diente auch die millionenfache Produktion des "Volksempfängers", eines Kleinradios, das wegen seines niedrigen Preises zwischen 30 und 70 Reichsmark in den meisten deutschen Haushalten angeschafft wurde. 31 Antifaschisten gaben diesem Radio die drastische aber treffende Bezeichnung "Goebbelsschnauze". 8. Parallel zu der gigantischen militärischen Aufrüstung schürte die NSDAP mit allen Mitteln unter der Bevölkerung nationalistische und chauvinistische Stimmungen, verherrlichte den Krieg und erhob unter der Losung vom "Großdeutschen Reich" Gebietsansprüche an die Nachbarstaaten. Diese systematische Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges wurde mit heuchlerischen Friedensbeteuerungen getarnt. So gab die NSDAP ihrem letzten Parteitag im August 1939, einen Monat vor dem Überfall auf Polen, mit dem sie den Zweiten Weltkrieg begann, den Namen "Parteitag des Friedens.” 9. Die NSDAP unternahm alles, um die Erinnerung an die Weimarer Republik zu diffamieren und aus dem Bewußtsein der Menschen zu verdrängen. So wurden in Radeberg und allen umliegenden Gemeinden Straßen und Plätze nach NS-Größen umbenannt. In Radeberg gab es einen besonderen Höhepunkt dieser Kampagne: Von 1926 bis 1928 hatten sich die Arbeitersportler des Turn- und Sportvereins "Vorwärts" trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit aus eigenen Mitteln und in freiwilliger Arbeit ihr Stadion erbaut. Sie gaben ihm den Namen "Vorwärts-Stadion". Unmittelbar nach der Machtergreifung gab die NSDAP diesem Stadion den Namen des SA-"Helden" Horst Wessel, der angeblich ein Opfer der Kommunisten war. In Wahrheit wurde er bei persönlichen Streitigkeiten erschossen, vom NS-Propagandaminister Goebbels jedoch zu einem deutschen Nationalhelden hochstilisiert. Das Horst-Wessel-Lied wurde neben dem Deutschlandlied die Hymne der NSDAP. Gedenktafel im “Vorwärtsstadion” in Radeberg, Schillerstraße 32 Auch dem ASB wurde seine volksverbundene Tätigkeit untersagt Zu den verbotenen Organisationen gehörte auch der Arbeiter-Samariter-Bund, der in Radeberg von 1921 bis 1933 eine mitgliederstarke Ortsgruppe besaß. Seit ihrer Gründung gehörte ihr als betreuender und beratender Arzt Dr. med. Albert Dietze an. “Er war eine Freund der Alten und der Armen”, so charakterisierte der langjährige Ortschronist Rudolf Thomas den “Verdienten Arzt des Volkes” und Ehrenbürger der Stadt Radeberg. Dr. Dietze verstarb im Alter von 94 Jahren. Ein Teil der Pirnaer Straße erhielt seinen Namen. Dr. med. Albert Dietze 33 VOLKSHEIM LOMNITZ Von den Werktätigen erbaut und finanziert; von den Nazis geschändet Mehr als 120 Arbeiter, Sportler, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und einzelne Bauern beteiligten sich an den Arbeitseinsätzen. Viele fleißige Hände, die tagsüber für den Kapitalisten schaffen mußten, hatten nach Feierabend und an Wochenenden keine Ruhe, denn ihre Turnhalle sollte recht schnell fertig werden. Die Bausumme entsprach damals ohne Arbeitsleistungen etwa 80.000 Mark. Die Arbeiter verfügten aber weder über Bauland noch über finanzielle Mittel. Deshalb hatte jedes Mitglied einen Pflichtanteil zu bringen, so kamen vorerst 13.000 Mark zusammen. Diese Summe war die Grundlage für den Baubeginn. Bauarbeiten 1927 In etwa zwei Jahren war das Bauwerk fertiggestellt. Im November 1928 wurde bereits der erste Kirmestanz durchgeführt. Das war nicht nur für die Erbauer sondern für alle Bürger des Ortes und der umliegenden Gemeinden ein großer kultureller Höhepunkt. Am 1./2. Juni 1929 erfolgte die Einweihung der Turnhalle. Diese war mit einer großen Demonstration verbunden und verdeutlichte die Einheit der Arbeiterklasse. Sie bewies ihre Stärke und Leistungskraft. 34 1927 hatte der Gastwirt Pietzsch die Arbeitersportler, die Reigenfahrer und Arbeitersänger kurzerhand vor die Tür gesetzt. Bereits 1922 mußten sie aufgrund der Machenschaften des Herrn Pietzsch ihre Übungsstunden im Nachbarort Kleindittmannsdorf durchführen. Volksheimweihe 1929 Das alles war nun mit der Errichtung des Volksheimes vorbei. Endlich hatten sie ein eigenes Heim mit Gaststätte, die sie selbst verwalteten. Mit dem Machtantritt des Faschismus überzogen auch finstere Wolken das von den Arbeitern geschaffene Heim. Es wurde von Faschisten besetzt und für viele andere Zwecke, die gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet waren, genutzt. In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg diente der Saal als Getreidelager. In den letzten Kriegswochen wurden dort Wehrwölfe ausgebildet, und SS-Banditen zogen ein, die letztendlich das Volksheim sprengen wollten. Mutige und klassenbewußte Bürger des Ortes verhinderten dieses Verbrechen. Volksheim 1999 35 Terror gegen alle Andersdenkenden Parallel zur demagogischen Gewinnung der Menschen für ihre Ziele terrorisierten die NS-Machthaber alle Gegner immer brutaler nach ihrem Grundsatz: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, wird vernichtet!" Die folgenden Angaben über Verfolgungen, Verhaftungen und Verurteilungen von Antifaschisten sind unvollständig, weil sie nur die Ergebnisse unserer begrenzten Forschungen enthalten. Dennoch geben sie einen weiteren Einblick in das Ausmaß des NS-Terrors in Radeberg und in den umliegenden Gemeinden. • Im Radeberger Rathaus mißhandelten SA-Leute viele Hitlergegner. Der Radeberger Stadtverordnete der SPD, Fritz Weitzmann, schrieb in seinen Erinnerungen: "Wir wissen, daß unsere Genossen so mißhandelt wurden, daß die Wände des damaligen Bürgermeisterzimmers übertüncht werden mußten, weil sich die Blutspuren nicht abwaschen ließen.” • Der aus dem Amt getriebene Radeberger Bürgermeister Otto Uhlig (SPD) erhielt Stadtverbot. Die Gestapo führte eine rote Karteikarte über ihn. Eine Rente wurde ihm verweigert. Der Radeberger NS-Polizeikommissar Stalling schrieb am 5. Juli 1933 an den Nazigauleiter von Sachsen, Martin Mutschmann, "...daß man keinen Pfennig von den Steuergroschen des deutschen Volkes für diesen Oberbonzen vergeuden darf. Er hat sich als Schmarotzer am deutschen Volksvermögen erwiesen.” • Den ebenfalls aus dem Amt vertriebenen Wohlfahrtsinspektor und Stadtverordneten der SPD, Paul Brückner, verhaftete die Gestapo am 12. März 1933. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn wurden ausgewiesen. Sie fanden in Schönborn Zuflucht. Die Radeberger Zeitung berichtete am 13.3.1933: "Festgenommen wurden in der Nacht zum Sonntag und nach Dresden in Schutzhaft eingeliefert der sozialdemokratische Stadtrat Johannes Brückner, sein Bruder, der bisherige Wohlfahrtsinspektor Paul Brückner, der Führer des Reichsbanners, Konsumvereinsverwalter Schaar, die Funktionäre des Abwehrkartells Pankratz und Tamme und der sozialdemokratische Stadtverordnete und Bevollmächtigte des Metallarbeiterverbandes Heinze. Außerdem wurde in Dresden der Kommunistenführer von Radeberg, Wächtler, erkannt und festgenommen.” In der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde" in Dresden verhörten Gestapobeamte Paul Brückner. Es gelang ihnen nicht, ein Geständnis zu erpressen. Am 8. Juni 1933 wurde er trotzdem in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Das Ansinnen, eine Loyalitätserklärung gegenüber der NSDAP abzugeben, lehnte er ab. • So wie in Radeberg wurden auch die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, die nicht der NSDAP angehörten, aus ihren Ämtern gejagt. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Andersdenkende zu denunzieren. 36 • Bereits am 28.2.1933 nahm die Gestapo die Kommunisten Heinz und Rudolf Böhm aus Ottendorf-Okrilla fest und inhaftierte sie nach einer Untersuchungshaft in dem Schutzhaftlager Hohnstein. • Emil Fahrnländer aus Ullersdorf wurde am gleichen Tag verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Kurz nach seiner Entlassung wurde er erneut ein Jahr in Untersuchungshaft festgehalten, mußte aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Im Juni 1941 wurde er erneut wegen staatsfeindlicher Äußerungen im Zusammenhang mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Im März 1933 folgt eine Verhaftungswelle: • Der Arbeiter Kurt Alschner aus Radeberg wird wegen Zugehörigkeit zur KPD im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Am 20.9.1935 wird er mit elf weiteren Antifaschisten in das KZ Sachsenburg eingeliefert. • Der Handformer Alfred Franke, Radeberg, wird erst im Schutzhaftlager Königstein-Halbestadt und dann fünfzehn Monate im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • Der Schriftsetzer Kurt Hantzsche aus Radeberg wird wegen Vorbereitung zum Hochverrat festgenommen, muß aber aus Mangel an Beweisen aus der Haft entlassen werden. Nach seiner erneuten Verhaftung am 18.9.1934 wird er für längere Zeit in Untersuchungshaft gehalten. • Die Geheime Staatspolizei verhaftet den Maler Walter Förster aus Radeberg, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Wegen Fortführung der Tätigkeit für die KPD wird er drei Jahre und sechs Monate im Zuchthaus Waldheim gefangengehalten. Danach kommt er als "politisch unzuverlässig" in das KZ Sachsenhausen. Erst die vorrückenden sowjetischen Truppen befreien ihn 1945. • Nicht nur in Radeberg waren Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Mißhandlungen an der Tagesordnung. Besonders brutal gingen SA-Schläger in Orten vor, in denen viele Einwohner nicht für Hitler gestimmt hatten. Am 10. März 1933 umstellen SA-Leute Ottendorf-Okrilla und dringen von allen Seiten in den Ort. Bei antifaschistisch eingestellten Bürgern führen sie "Haussuchungen" durch. Viele werden festgenommen und zum Gasthof "Schwarzes Roß" gebracht. Hier mißhandelt sie die SA mit Gummiknüppeln, Gewehrkolben und Reitpeitschen. Fast 70 Verletzte sind die Folge. Besonders brutal mißhandeln sie den körperbehinderten Kommunisten Josef Hannemann. SA-Leute fassen ihn an Armen und Beinen, wippen seinen Körper auf und nieder, werfen ihn in die Luft und lassen ihn dann auf die Erde fallen. Diese "Volksbelustigung" wiederholen sie solange, bis der Mißhandelte liegenbleibt. Josef Hannemann stirbt später im Krankenhaus an den Folgen. • Wegen Widerstandes gegen die NS-Diktatur wird Johannes Kutzera aus Radeberg von Januar bis Mitte 1933 fünfmal verhaftet. Er wird in das 37 • • • • • • • • • • • Schutzhaftlager Hohnstein gebracht. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat muß er für ein Jahr in die Gefängnisse in Leipzig und Zwickau. 1935 wird er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Waldheim, später im KZ Mauthausen verbüßen muß. Vor dem Schlimmsten bewahrt ihn der Vormarsch der US-Armee. Der Arbeiter Josef Pankratz aus Radeberg, Mitglied der SPD und Leiter des Abwehrkartells, wird verhaftet, im Polizeipräsidium Dresden vernommen und dann im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Aus Mangel an Beweisen kommt es zu keiner Gerichtsverhandlung. In Arnsdorf wird der Melker Wolf vom Staatsgut der Landesanstalt wegen kommunistischer Umtriebe festgenommen. Der Arbeitersportler Martin Wagner, Leppersdorf, wird wegen der Verbreitung verbotener Zeitschriften verhaftet. Walter Thiem, Ullersdorf, wird wegen des Verdachtes, illegale Zeitschriften verteilt zu haben, im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Else Sommer aus Hermsdorf wird am 31.3.1933 verhaftet und im Gefängnis "Münchner Platz" in Dresden über die Aktivitäten der Hitlergegner in Ottendorf/Okrilla verhört. Sie bleibt standhaft und verrät nichts. Noch zweimal, im Oktober 1933 und im November 1934, verhaftet sie die Gestapo, wieder ergebnislos. Im März 1935 wird sie im Prozeß gegen "Wagner und Genossen" zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Am 21. Mai 1940 schlägt die Gestapo endgültig zu. Else Sommer wird bis auf weiteres "zur Umschulung" im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesperrt. Sie erhält die Häftlingsnummer 3944. Nur Dank der Solidarität ihrer Leidensgefährtinnen, unter ihnen die Dresdner Jüdin und Kommunistin Rosa Menzer, die vergast wurde, überlebt Else Sommer. Am 6.5.1933 wird der Wallrodaer Bruno Mai verhaftet, und am 5.4.1934 verurteilt ihn der "Volksgerichtshof" zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. Die Gestapo verhaftet am 25.5.1933 Otto Hegewald und inhaftiert ihn zwei Jahre im KZ Sachsenburg. Der Glasarbeiter Kurt Lohse aus Radeberg wird im Schutzhaftlager Hohnstein bis zu dessen Auflösung inhaftiert. Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Hermann Philipp und Hans Koch aus Arnsdorf wegen angeblichen Sprengstoffverbrechens und Nichtablieferung von Waffen zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus bzw. zehn Monaten Gefängnis. Die Gestapo verhaftet in Ottendorf-Okrilla den jugendlichen Metallarbeiter Adolf Neumann und andere Jugendliche. Das Sondergericht verurteilt sie zu hohen Freiheitsstrafen. Der Kellner Fritz Liebscher aus Ottendorf-Okrilla wird am 8.9.1933 verhaftet. Der "Volksgerichtshof" verurteilt ihn im Verfahren Nr. 15 J 490/33 wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD, Vorbereitung zum Hochverrat, angeblichem 38 Sprengstoffverbrechens und verbotenem Waffenbesitz zu drei Jahren Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafzeit bringt man ihn bis 15.6.1937 in das KZ Sachsenburg, dann bis 16.8.1937 in das KZ Sachsenhausen und schließlich bis zum 18.4.1939 in das KZ Buchenwald. Obwohl er "wehrunwürdig" ist, wird er 1942 zum Strafbataillon 999 eingezogen. • Der Kommunist Alfred Leuthold aus Ottendorf-Okrilla wird verhaftet. Er wird verdächtigt, den organisatorischen Zusammenhalt der Roten Wehr aufrechterhalten und Waffen und Munition für diese Organisation aufbewahrt zu haben. Das Gericht verurteilt ihn zu einem Jahr und zwei Monaten Zuchthaus. Danach wird er in ein Schutzhaftlager gebracht. • Bei einer Razzia in Bischofswerda findet man im Portemonnaie eines Festgenommenen die Adresse des kommunistischen Stadtverordneten Hugo Jünger aus Radeberg. Daraufhin wird er verhaftet. Trotz Gegenüberstellung mit dem bei der Razzia Festgenommenen können ihm illegale Tätigkeit, Vertrieb von kommunistischen Zeitschriften und Zusammenarbeit mit anderen KPD-Mitgliedern nicht nachgewiesen werden. Trotzdem wird er bis 1.5.1934 im Schutzhaftlager Hohnstein und danach bis 23.6.1936 im KZ Sachsenburg inhaftiert. • Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 besetzte die SA die Jugendburg Hohnstein und errichtete darin ein “Schutzhaftlager”, um politische Gegner aus dem ostsächsischen Raum festzusetzen und durch militärischen Drill, schwere körperliche Arbeit und anderen Drangsalierungen “umerziehen”. Mindestens 15 Antifaschisten aus dem Radeberger Gebiet wurden dort zeitweise inhaftiert. Häftlinge auf dem Weg zur Zwangsarbeit in Hohnstein Fotos aus dem Museum Hohnstein 39 • In Schönborn und Umgebung findet eine groß angelegte Verhaftungsaktion statt. Unter den verhafteten Antifaschisten befinden sich die SPD-Mitglieder Alfred Görner, Arno Liesner, Erich Partsch, Alfred Steinert, die Mitglieder der KPD Fritz Gärtner, Max Görner, Rudi Görner, Rudolf Steinert und die Parteilosen Willi Heiche aus Seifersdorf und Richard Angermann aus Wachau. Alle werden in der Gaststätte "Anker" festgehalten, in das Polizeipräsidium Dresden eingeliefert und teils in der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde", teils im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • In Radeberg wird der Metallarbeiter Willy Schaarschmidt verhaftet, weil er Mitglied der Roten Hilfe und des Abwehrkartells ist. Aus Mangel an Beweisen kommt es zu keiner Gerichtsverhandlung. • Der 1. September 1933 ist ein schwarzer Tag für Wachau. Früh gegen 4.30 Uhr rücken Überfallwagen und Motorräder mit SA und Polizei in das Dorf ein. Häuser werden umstellt und durchsucht, Gärten durchwühlt und Hitlergegner zusammengetrieben. Wer nicht zu Hause ist, wird am Arbeitsplatz verhaftet. Richard Angermann, ein Betroffener, berichtet: "Von zwei Polizisten wurde ich in Klotzsche auf der Baustelle verhaftet, nachdem sie bei mir zu Hause einen Kalender mit einem Spruch gegen die braune Pest, mein blaues Arbeiterkartell-Hemd und den Schulterriemen gefunden hatten. Ich wurde auf einen LKW gestoßen und von vier SAMännern in die Mitte genommen. Schon während der Fahrt wurde ich von ihnen "verhört". Nachdem ich zugegeben hatte, diesen Spruch geschrieben zu haben, versicherten mir meine Peiniger, daß sie mich aufhängen würden. Meiner Frau hatten sie ohnehin schon gesagt, daß sie mich nicht wiedersehen würde. Hinter Langebrück bog der Wagen in eine Schneise ein. Sie hatten schon einen Baum ausgewählt, als sie nach einen Strick suchten. Nur dem Umstand, daß sie in ihrer Kiste keinen fanden, habe ich es zu verdanken, daß sie mich nach Wachau brachten. Gegen 10 Uhr kamen wir im "Anker" an. Zuerst bekam ich einen Schlag, daß ich bewußtlos zusammenbrach. Mit Kübeln kalten Wassers brachten sie mich wieder zur Besinnung, um auf diese Weise das "Verhör" fortzusetzen. Übel zugerichtet wurde ich auf die Kegelbahn getrieben, wo ich bis ans Ende laufen und meinen Namen und anderes rufen mußte. Nach diesen Quälereien kam ich in einen anderen Raum, wo ich wieder mit Schlägen empfangen wurde … Oswin Görner hatten die SA-Leute ein rotes Tuch, das von einer Streichholzschachtel zusammengehalten wurde, um den Hals gelegt und einen Holzsäbel in die Hand gedrückt. Er mußte uns kommandieren. Das ging bis 20 Uhr, dann wurden die meisten nach Hause gelassen. Erich Kriedel, Richard Wittwer und ich wurden mit auf das Polizeipräsidium genommen. Während Richard Wittwer nach einer Woche wieder entlassen wurde, mußte ich ein Vierteljahr dort bleiben und Erich Kriedel noch länger.” • Am 10.1.1934 wird in Grünberg Otto Lehmann verhaftet. Das Gericht verurteilt ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und acht 40 Monaten Zuchthaus. Nach Ausbruch des Krieges wird er zum Strafbataillon 999 eingezogen. • Am gleichen Tag verhaftet die Gestapo den Kommunisten Alfred Seifert und inhaftiert ihn im Schutzhaftlager Hohnstein. Bei der Auflösung des Lagers wird er in dem Dresdner Untersuchungsgefängnis "Mathilde" inhaftiert. • Wegen des Verdachtes der illegalen Tätigkeit für die KPD wird Georg Wehner, Radeberg, in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Trotz vieler Verhöre kann kein Beweis dafür erbracht werden. Auch nicht bei der erneuten Festnahme am 11.1.1937. Ein Gericht verurteilt ihn 1942 zu sechs Jahren Zuchthaus. Im April 1945 befreien ihn die vorrückenden Truppen der USArmee aus dem Zuchthaus Waldheim. Im Schutzhaftlager Hohnstein - Bildmitte dritter von links: Georg Wehner • Der Musiker Herbert Hache, Mitglied der KPD, wird in seiner Wohnung in Fischbach verhaftet. Im Rathaus Radeberg vernimmt und mißhandelt ihn der "NS-Kriminalrat" Stalling. Herbert Hache wird im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Mitglieder der SPD am 6.3.1934 wegen des Versuches, ihre Parteiorganisation aufrecht zu erhalten: Johannes Brückner, Vorsitzender der SPD in Radeberg und Leiter der Abwehrorganisation "Eiserne Front", zu einem Jahr Zuchthaus, Karl Schaar, Vorsitzender des Reichsbanners in Radeberg, zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis, 41 • • • • Georg Völkel aus Schönborn zu einem Jahr Gefängnis und den Jugendlichen Harry Brückner, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend in Radeberg, wegen Verteilung des "Kleinen Vorwärts" zu acht Monaten Gefängnis. Der Hilfsarbeiter Emil Förster und der Arbeiter Stephan Schulz, beide aus Radeberg, werden am 7.3.1934 verhaftet und in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Wegen ergebnisloser Ermittlungen müssen sie freigelassen werden. Das Sondergericht des Landes Sachsen verurteilt Arno Liebscher aus Ottendorf-Okrilla nach § 7 des Sprengstoffgesetzes zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. In Radeberg wird der Glasmacher Max Hengst verhaftet und in das KZ Sachsenburg gebracht. Trotz ergebnisloser Ermittlungen kommt es zur Anklage. Die 12. Große Strafkammer verurteilt den Bürger Georg Kutzner zu neun Monaten Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, in Radeberg eine Widerstandsgruppe unterstützt und kommunistische Beitragsmarken und Zeitungen gekauft zu haben. • Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 6.9.1934 Willy Goeder und 15 Kommunisten wegen Sprengstoffvergehens zu folgenden hohen Zuchthausstrafen: Anstreicher Willy Goeder, Radeberg Glasmacher Franz Zelinka, Radeberg Glasarbeiter Paul Lehmann, Radeberg Glasmacher Bruno Hampel, Radeberg Kristallschleifer Walter Herrmann, Radeberg Bauarbeiter Willi Noack, Ottendorf-Okrilla Steinarbeiter Josef Einhellinger, Königsbrück Arbeiter Hans Wächtler, Radeberg Glasmacher Friedrich Seifert, Radeberg Bauarbeiter Oskar Costrau, Radeberg Färber Carl Vetters, Radeberg Maschinenformer Walter Opitz, Ullersdorf Ofenformer Paul Preller, Königsbrück Arbeiter Bruno Mai, Wallroda Glasarbeiter Wilhelm Magiera, Ottendorf-O. 15 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2½ Jahre 2 Jahre 2½ Jahre 3½ Jahre 2½ Jahre 3 Jahre 3 Jahre 2½ Jahre 2 Jahre 5 Jahre 1½ Jahre 2 Jahre Der Glasarbeiter Friedrich Seifert stirbt am 18.3.1935 im Zusammenhang mit den Verhören und den Haftbedingungen im Zuchthaus. 42 Auszug aus dem Urteil 43 • Das Oberlandesgericht verurteilt den Kommunisten Rudolf Steinert aus Schönborn zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus. • Das Oberlandesgericht verurteilt am 9.11.1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat, weil sie in Radeberg und Umgebung Widerstandsgruppen aufrecht erhalten und antifaschistische Druckschriften verteilt haben: Arbeiter Josef Dziacka, Großerkmannsdorf Glasmacherwitwe Helene Edelmann, Radeberg Arbeiter Edmund Gräubig, Radeberg Arbeiter Ewald Henker, Großerkmannsdorf Arbeiter Richard Henker, Großerkmannsdorf Händler Erich Hochmuth, Radeberg Glasschleifer Franz Kleinert, Radeberg Arbeiter Georg Kostirka, Radeberg Glasarbeiter Alfred Lehmann, Radeberg Schlosser Oskar Matulla, Radeberg Glasbieger Erich Menschner, Radeberg Maschinenschlosser Erich Meyer, Grünberg Former Walter Pietsch, Radeberg Metallschleifer Erich Schneider, Radeberg Werkzeugmacher Walter Simmchen, Wallroda Schneidergehilfe Erwin Stein, Lomnitz Arbeiter Erich Steinert, Radeberg Die Strafen liegen zwischen eineinhalb und drei Jahren Zuchthaus. • Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt nach § 7 des Sprengstoffgesetzes aus Ottendorf-Okrilla Willi Oswald zu einem Jahr und sechs Monaten und Kurt Grafe zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus. • Im Januar 1937 fällt im Kampf gegen das Franco-Regime der Kommunist Rudolf Hable aus Radeburg als Angehöriger der Internationalen Brigaden bei Hueska in Spanien. • Am 11.1.1937 verurteilt das Oberlandesgericht den Radeberger Schlosser Albert Zumpe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafe wird er am 19.4.1939 auf Anordnung der Gestapo weiter im Polizeigefängnis Dresden festgehalten. Schließlich wird er in das Strafbataillon 999 eingezogen. Im Krieg wird er verwundet, er überlebt. 44 Entlassungsschein von Albert Zumpe 45 Bei ihren Machtansprüchen machte die NSDAP auch vor der Kirche nicht halt. Schon vor 1933 wurden die "Deutschen Christen" gegründet. In dieser NSVereinigung waren Angehörige verschiedener Konfessionen vertreten. Wichtig war nur, daß sie dem Nationalsozialismus treu ergeben waren. Aus einer Chronik der Gemeinde Ottendorf-Okrilla ist zu erfahren, daß sich am 8. November 1933 eine Ortsgruppe der "Deutschen Christen" gebildet hatte. Weiter heißt es: "Nach Anordnung des im Jahre 1933 neu gebildeten Landeskirchenamtes, dessen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei angehörten, hatte die Mehrheit im Kirchenvorstand aus Nationalsozialisten zu bestehen." Für den 23. Juli 1933 verlangte Hitler Kirchenwahlen mit dem Ziel, dadurch den Einfluß der "Deutschen Christen" zu verstärken. Bekenntnistreue Pfarrer waren mit dieser Entwicklung nicht einverstanden und gründeten im November 1933 einen Notbund, der im Dezember 1933 die "Deutschen Christen" eindeutig ablehnte. Daraufhin kam es zu Verhaftungen von bekennenden Pfarrern. Viele von ihnen gingen den Weg in Gefängnisse, Zuchthäuser oder Konzentrationslager.. Am 8. März 1936 wurde in Leipzig der "Lutherische Rat" gegründet. Er hatte das Ziel, mit dem Zusammenschluß aller bekennenden Kirchen eine Abwehrfront gegen die "Deutschen Christen" zu bilden. • Über das Schicksal eines bekennenden Pfarrers - des Großerkmannsdorfer Pastors Kläss - berichtet der Ortschronist von Kleinwolmsdorf, Herr Otto Wittich, u.a.: Im Januar 1938 erhielt der jung verheiratete Pastor ein Schreiben des Landeskirchenamtes der 'Deutschen Christen': Herrn Pastor Rudolf Kläss Großerkmannsdorf über Radeberg 27.1.1938 Nachdem Sie in dem von Ihnen unterzeichneten Schreiben vom 17. Januar 1938 ausdrücklich erklärt haben, die von Herrn Reichs- und Preußischen Minister für kirchliche Angelegenheiten berufene und durch die 1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937 (Kirchl. GVBI. S. 151) bestätigte Kirchenleitung nicht anzuerkennen und Sie demzufolge auch der Aufforderung, zur Ihrer Vernehmung im Landeskirchenamt zu erscheinen, nicht Folge geleistet haben, sehe ich mich gezwungen, die Ihnen bereits mit Schreiben vom 12. Januar 1938 angekündigte Maßnahme durchzuführen und Sie mit sofortiger Wirkung aus dem landeskirchlichen Vorbereitungsdienst abzuberufen. Auf Ihre weitere Tätigkeit im Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen wird solange verzichtet, als Sie die von Ihnen eingenommene Haltung nicht aufgeben und die Weisungen der Kirchenleitung befolgen. 46 Die Räumung der Ihnen zur Verfügung gestellten Amtswohnung ist zu beschleunigen, auf einer sofortigen Räumung soll solange nicht bestanden werden, als dadurch die Erledigung der Amtsgeschäfte durch die neue abzuordnende Hilfskraft nicht erschwert wird. i.V. Liebsch ausgefertigt: Dresden, am 27. Januar 1938, gez. Thomann, K-Inspektor Warum hatte sich der junge Pastor den Anordnungen der Kirchenleitung widersetzt? Aus ihrer Erinnerung gab seine Frau dem Chronisten Auskunft: Die 'Deutschen Christen', kurz DC genannt, brachten schon Mitte der 30er Jahre eine nach den Maßstäben der NS-Ideologie "gereinigte Bibel" heraus. Das Alte Testament war als "Judenbuch" weggelassen, im Neuen Testament Christus als arischer Heroe dargestellt. Superintendent Klotsche, als "Revolverklotsche" bekannt, kam in SA-Uniform und mit Pistole ins Landeskirchenamt. Der DC-Landesbischof Friedrich Cohn hatte wahrlich keinen guten Ruf. Anfang 1935 war es in der Landeskirche zu Verhaftungen bekenntnistreuer Pfarrer gekommen, weil sie die Wahrheit gepredigt, sich für bedrängte Menschen eingesetzt hatten und sich als Seelsorger vieler Verhafteter und deren Angehörigen annahmen. Um äußerer Vorteile willen wollten Pfarrer Kläss und seine Frau ihren Glauben nicht verleugnen. Eine Laienabordnung unter Führung Hugo Schäfers wurde im Landeskirchenamt vorstellig, um die Entlassung von Pfarrer Kläss rückgängig zu machen. Doch sie erreichten nichts, obwohl die ganze Kirchgemeinde, das ganze Dorf, bis auf fünf fanatische NSDAP-Leute, hinter dem Pfarrer standen. Die Arbeit ging dennoch weiter als ob nichts geschehen sei: Unterricht, Besuche, Bibelstunden, Gottesdienst, Junge Gemeinde, Kasualien usw. Bis Himmelfahrt ging das so, dann verschloß man ihnen die Kirchentür. Die Maulund Klauenseuche solle nicht verbreitet werden, hieß es, aber alle anderen Veranstaltungen, wie Kino, Versammlungen oder Schule liefen ungehindert weiter. Wovon lebte Familie Kläss ohne Gehalt? Besucher der Bibelstunden oder des Frauendienstes drückten ihnen beim Verabschieden Geld in die Hand. Die Nudelfabrik schickte eine Tüte mit 10 Pfd. Nudeln, Bauern brachten Brote, Eier, Butter, Wurst, Speck oder auch vom Schlachtfest fertiges Mittagessen. Arme Leute brachten ein Glas selbstgemachte Marmelade und ein 50-Pfennig-Stück darauf. Nachdem sich ein DC-Pfarrer gefunden hatte, mußte Familie Kläss das Pfarrhaus räumen. Also ging man mit dem acht Monate alten Kind ins "Exil", in das Auszugshaus des Bauern Arthur König in Kleinwolmsdorf Nr. 7. Dieser Auszug wurde zu einem einzigen Bekenntnis. Jetzt, in der Heuernte, stellten 47 die Großerkmannsdorfer Bauern Wagen und Gespanne, und Frauen vom Frauendienst halfen beim Packen und Verladen. Als der DC-Pfarrer seine Tätigkeit aufgenommen hatte und Pfarrer Kläss das Gotteshaus nicht mehr betreten durfte, beschränkte er sich zwangsläufig auf seine Wohnung. Hier war jeden Abend und auch sonntag nachmittags die Stube voll. Dorthin geschickte Spitzel hatten viel aufzuschreiben. Nun übertrug die Bekennende Kirche Pfarrer Kläss die Aufgabe, katechetische Kurse für Laien zu halten, anfangs in Dresden, dann auch in Radeberg. Überall mußte er einspringen, denn er hatte ein Motorrad. Mit Ausbruch des Krieges häuften sich die Vertretungen. Oft predigte er in Großnaundorf und Lomnitz. Und hier, in fremden Orten, erkannte er oft Besucher aus seinen alten Gemeinden. Obwohl sie sonst nach Radeberg zum Gottesdienst gingen, scheuten sie auch den weiteren Weg nicht. Zum Erntedankfest 1939 predigte Pfarrer Kläss in Radeberg. Auch am Ewigkeitssonntag sollte er wieder hier predigen. Diese Niederlage wollten sich die ‘Deutschen Christen’ nicht noch einmal einhandeln, und so wurde Pastor Kläss am Freitag zuvor zur Wehrmacht einberufen. Während des Rückzuges der Wehrmacht fiel Pastor Kläss am 7.2.1945 in Kroatien. • Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 17.11.1938 weitere meist Radeberger Antifaschisten: Johannes Kutzera 10 Jahre Zuchthaus Helmut Köbbel 5 Jahre Zuchthaus Martin Hommel 1½ Jahre Zuchthaus Karl Otto 1 Jahr Gefängnis Erich Gräfe 1 Jahr Gefängnis • Die in diesem Prozeß ebenfalls Angeklagten Hustig und Weber konnten nicht verurteilt werden. Nach Angaben der Polizei hatten sie im Gefängnis Selbstmord begangen. • Der Kommunist Samuel Steinfeld aus Weixdorf war wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD 1933 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. 1940 wird er aus gleichem Grunde und wegen seiner jüdischen Abstammung erneut verhaftet. Über die Konzentrationslager Radom, Maidanek, Tschenstochau kommt er nach Buchenwald, wo er die Befreiung erlebt. • Das Oberlandesgericht Dresden verurteilt den Kommunisten Paul Schmidt aus Weixdorf wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf dieser Strafzeit bleibt er weiter in den Konzentrationslagern Buchenwald, Natzweiler und Dachau. Dort befreien ihn am 27.4.1945 Truppen der Alliierten. • Albin Lehmann aus Radeberg wird noch am 28. April 1944 wegen Abhörens deutschsprachiger Nachrichten der Sender Moskau, London und Beromünster zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Willen seiner Richter sollte er mindestens bis 31.1.1947 inhaftiert bleiben. 48 Mitteilung in der Strafsache gegen Albin Lehmann vom Landrat zu Dresden an den Bürgermeister von Radeberg 49 • Der Oberreichsanwalt beim "Volksgerichtshof" klagt 1944 den Drehergehilfen Willi Burkhardt, den Maschinenarbeiter Friedrich Müller und den Dreher Paul Schölzel, alle aus Radeberg, an. Da beim Bombenangriff auf Dresden das Gerichtsgebäude stark beschädigt worden war und bis dahin noch keine Gerichtsverhandlung stattgefunden hatte, kommt es bis zu ihrer Befreiung am 8. Mai 1945 zu keiner Verhandlung mehr. Die Motive dieser und vieler Menschen, die die NS-Politik ablehnten oder sich der NS-Politik widersetzten, waren ebenso unterschiedlich, wie ihre Lebenserfahrungen, ihre Herkunft, ihre Weltanschauung, ihr Alter und ihre Persönlichkeitsstruktur. Sie dachten und handelten antifaschistisch, weil die Nationalsozialisten die Demokratie mit Füßen traten, einen nie dagewesenen Terror ausübten und alle Andersdenkenden mit dem Tode bedrohten, Rassenhaß, Nationalismus und Chauvinismus zur Staatspolitik erhoben, Gewalt verherrlichten und ausübten, den Krieg systematisch vorbereiteten und 1939 begannen. Für alle diese Menschen war der deutsche Faschismus mit Redlichkeit, Moral, Anstand, Menschenwürde und Menschenrecht nicht zu vereinbaren. Sie sahen im Faschismus eine tödliche Gefahr für Deutschland und seine Nachbarn. Deshalb handelten sie antifaschistisch. Es war ihre Tragödie, daß sie nicht zum gemeinsamen Handeln fanden. Das gilt besonders für die Antifaschisten in politischen Parteien. So fanden trotz der immer deutlicher heraufziehenden Gefahr einer NS-Diktatur in Deutschland und trotz partieller Zusammenarbeit an der Basis die starken antifaschistischen Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und in der Kommunistischen Partei Deutschlands keinen Grundkonsens zur Abwehr dieser tödlichen Gefahr. Anstatt gemeinsam antifaschistisch zu handeln, betonten sie die Unterschiede in ihren Auffassungen und schwächten sich mit gegenseitigen Vorwürfen. Der brutale Terror gegen alle Antifaschisten war die blutige Quittung dafür. Die Völker Europas, auch das deutsche Volk, mußten mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte durchleben. 50 I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform der deutsche Nationalsozialismus Zur Entstehung des Faschismus Die Geschichte des Faschismus in Europa läßt sich bis in die Anfangsjahre unseres Jahrhunderts zurückverfolgen. Die ideologischen Wurzeln des Faschismus sind in der Gedankenwelt bürgerlicher Eliten aus Politik, Wirtschaft, Geisteswissenschaften und Klerus zu finden. Sie sahen ihren Anspruch als "Herren im Hause" infolge der zunehmenden sozialen Spannungen innerhalb der Gesellschaft im Ergebnis der Emanzipation der in Gewerkschaften und Parteien organisierten Arbeiter gefährdet, und sie schätzten ein, sie seien bei der Aufteilung der Weltressourcen schlecht weggekommen. Zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche nach innen und außen entwickelten sie die Vorstellung vom "starken Staat", in dem alle Kräfte der Gesellschaft, unter kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhältnissen gebündelt, die schrittweise "Neuordnung" in Europa durchsetzen sollten. In den entstehenden faschistischen Staaten oder faschistischen Regimen bildete sich die gleiche Doppelstrategie heraus: • Unterdrückung und Zerschlagung oppositioneller Kräfte im Inneren • Aggressive militärische Aktivitäten gegenüber anderen Staaten zur Aufteilung der Welt in Interessensphären bis hin zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges Die Bezeichnung Faschismus wurde von Mussolini für seine 1921 in Italien gegründete Partei gewählt. Das Symbol war das im antiken Rom den Konsulen vorangetragene Amtszeichen. Es stellte ein mit einem Lederriemen umschnürtes Rutenbündel dar, mit einem aus dem Bündel herausragenden Beil. Das Bündel sollte kennzeichnen, daß es im Gegensatz zu einer einzelnen Rute nicht gebrochen werden kann. Das Beil stand für Wehrhaftigkeit und Gewalt. Zu den ersten faschistischen Diktaturen in Europa zählen Italien unter Mussolini, Ungarn unter Admiral Horthy, das Francoregime in Spanien, das Salazar-Regime in Portugal und das NS-Regime in Deutschland unter Hitler. Nach ihrer Niederlage in der Novemberrevolution 1918 und dem Ende des Ersten Weltkrieges mit seinen verheerenden Auswirkungen für das deutsche Volk (Kriegstote, Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen...) orientierte sich die konservative Elite auf die Wiedererlangung ihres schwer erschütterten politischen und ökonomischen Machteinflusses. Der erstmals von den Pastoren Friedrich Naumann und Paul Göhre publizierte Begriff vom "Deutschnationalen Sozialismus" kann nicht zu den direkten Vorläufern des Nationalsozialismus gezählt werden. Aus den Reihen dieser 7 christlichen Bewegung sind sowohl Faschisten als auch Antifaschisten hervorgegangen. Dennoch haben beide Pastoren diesen Begriff und Vorstellungen dazu in das Denken eingeführt und den rechten Kräften ein grundlegendes Argumentationsmuster geliefert. Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) verknüpfte alle nationalistischen, chauvinistischen, rassistischen, militaristischen und deutsch- und heimattümelnden Komponenten zur "Nationalsozialistischen Weltanschauung". Mit ihrem demagogischen 25-PunkteProgramm führte sie rechtskonservative Gruppierungen wie den "Alldeutschen Verband", die "Deutsche Soziale Partei", den "Deutschvölkischen Germanenorden", den "Germanenorden Walvater", die österreichische "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" u.a. aus ihrer sektenmäßig beschränkten Mitgliederzahl zu einer breiteren Basis. Die NSDAP übernahm Tratitionen der Arbeiterbewegung wie den Begriff "sozialistisch" im Namen ihrer Partei, die Anrede "Parteigenosse", die Übernahme von Arbeiterliedern mit NS-Text, den 1. Mai als "Feiertag der Arbeit" u.a. Zugleich übte die NSDAP verbale Kritik am Kapitalismus durch dessen Differenzierung in "Schaffendes Kapital" (Produktionsunternehmen) und "raffendes Kapital" (Banken, Warenhäuser, insbesondere in jüdischem Besitz). Mit dieser Demagogie erreichte sie deutliche populistische Erfolge. Die Ideologie des sogenannten Nationalsozialismus ist grob zu charakterisieren als antidemokratisch, macht- und gewaltanbetend, rassistisch, antisemitisch, antiliberal, antimarxistisch, diktatorisch, kriegsverherrlichend und proimperialistisch. Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republik und die NS-Bewegung in Radeberg Das Potential der NSDAP wuchs auf dem Boden und mit Unterstützung der in der Weimarer Republik wiedererstarkenden konservativen Kräfte in Staat, Wirtschaft und Militär, auf dem Boden eines reaktionären, autoritären Rechts- und Bildungswesens und in hochgradig militarisierten Organisationen, Vereinen und Verbänden. Bis zum Jahre 1945 galten zum Beispiel die 1873 von einem preußischen Schulrat festgelegten Grundzüge der Volksschulerziehung: "Die disziplinarischen Anordnungen dienen dazu, den Schüler zu gewöhnen, seinen Willen einem höheren und damit dem höchsten Willen unterzuordnen." Die "Erziehung" der Schüler zu "klostermäßigem Gehorsam" durch Leibesstrafen (u.a. Stockschläge) entwickelte autoritäre Charaktere und Gewaltakzeptanz von Kind an. Diese autoritäre Erziehung und die Glorifizierung des Krieges als höchste Tugend und legitimes Mittel zur "Landnahme" fremder Territorien förderten eine ständige Gewaltbereitschaft gegen je nach Bedarf projizierte Feindbilder. Die völkerrechtlich festgestellte Alleinschuld des deutschen Kaiserreiches an der 8 Auslösung des Ersten Weltkrieges, die damit verbundenen Grenzkorrekturen und völkerrechtlichen Auflagen, die Errichtung einer parlarmentarisch-bürgerlichen Demokratie mit einer verfassungsgebenden Volksvertretung im Ergebnis der Novemberrevolution, mit Volksbegehren und Volksentscheid, mit allgemeinem Wahlrecht sowie die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages u.a. waren für die monarchistisch-militaristischen Kräfte aus Grundbesitzern, Fabrikinhabern, Verwaltungen und dem Großkapital Anlaß, mit allen Mitteln auf die Wiederherstellung ihrer Macht und ihres Einflusses hinzuarbeiten. Wie Industrielle dabei vorgingen, zeigt eine vertrauliche Einladung des Verbandes Sächsischer Industrieller zu einer Versammlung in den Räumen der Deutschen Volkspartei: Beeinflussung der Arbeiterschaft im antimarxistisch und nationalsozialistischem Sinne durch alle Rechtsparteien. 9 Am 22.6.1922 ermordeten zwei junge Nationalsozialisten den konservativliberalen jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau. Kurz danach hob die Polizei im Richter´schen Sägewerk in Radeberg ein Waffenlager nationalistischer Kräfte aus. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 1.7.1922: Ermittlung eines geheimen Waffenlagers. Trotz des vom Reichspräsidenten erlassenen "Republikschutzgesetzes" vom 18.7.1922, des zeitweiligen Verbotes des "Stahlhelmes", des "Alldeutschen Verbandes" und anderer republikfeindlicher Organisationen wucherten diese weiter. 10 Wie auch in Radeberg konservative Kräfte der Grundbesitzer, Fabrikanten und ehemalige Offiziere der NSDAP den Weg ebneten, zeigte sich bereits 1925: Nach Wiederzulassung des "Stahlhelmes" marschierten anläßlich einer Fahnenweihe 700 feldgrau uniformierte, mit Stahlspitzenstöcken ausgerüstete "Stahlhelmer" durch das Stadtzentrum zur ev.-luth. Stadtkirche. Die Radeberger Zeitung berichtete darüber u.a.: "Ernst und wuchtig marschierten die Stahlhelmmänner unter Glockengeläut zum Gotteshaus auf ihre Plätze, ein Wald von Fahnen entstand im Altarraum... Die Fahne Schwarz-Weiß-Rot sei das Panier. Die Reichsmarineflagge sei gehißt aus Zorn, Trotz und Wut, weil diese Flagge zuerst in den Staub gerissen wurde... 'Unser Kampf gilt bis aufs Messer allem, was undeutsch und international ist', führte u.a. ein Major a. D. namens Ritter als Hauptredner aus. Dann nahm Herr Freigutbesitzer Maschke (Lotzdorf) das Wort und überreichte ihm ein namhaftes Geldgeschenk mit herzlichen Glückwünschen." Auch ein Radeberger Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei zeigt, wie groß deren Übereinstimmung mit den Zielen der NSDAP war: Wahlplakat Duesterberg (Stahlhelm) 11 Etwa bis zum Jahre 1933 blieb der Einfluß der Radeberger Verbände des Stahlhelmes und des Kyffhäuserbundes relativ konstant. Das zeigen die Ergebnisse der diese Verbände ideologisch und organisatorisch tragenden Parteien, der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), bei den Radeberger Kommunalwahlen. Doch der antisemitische, antimarxistische und chauvinistische Einfluß dieser militanten Wehrverbände auf Schützen- und Sportvereine, Religionsgemeinschaften und die Öffentlichkeit der Stadt war nicht zu übersehen. Er hatte das Ziel, die bürgerlich-liberale Weimarer Republik verächtlich zu machen, ihre Ordnung zu untergraben und sie schließlich zu stürzen. Rückblickend auf die "Kampfzeit", wiederum anläßlich einer Fahnenweihe diesmal war das Radeberger Schützenhaus schon mit Hakenkreuzfahnen und Wimpeln dekoriert - würdigte der Oberleutnant und Bezirksführer des Stahlhelmes, der langjährige Herausgeber der Radeberger Zeitung, Willi Hordler, in seiner Ansprache den Einsatz seiner Kameraden: "Der Aufstand undeutscher Elemente im November 1918, feiger Pazifismus, wollte die Erinnerung an die großen Taten von Heer und Marine austilgen. Im Staate von Weimar hatten diese keinen Platz mehr. Die Ideen, die krankhaft oder schwächlich waren, sind vergangen. Wir geloben unverbrüchliche Treue und Gefolgschaft dem Volkskanzler und Kameraden Adolf Hitler... und unseren geweihten Fahnen. So ist der Bund ein Wegbereiter gewesen für die große Entwicklung des Vaterlandes..." Weiter war in der Zeitung zu lesen: "Das niederländische Dankgebet mit seinem starken Appell an den Höchsten 'Herr, mach uns frei!' klang auf und fand einen erhebenden Widerhall im Saale. Dabei grüßte es eindringlich 'Mit Gott für Volk und Vaterland' von der mit Hakenkreuzbanner, Schwarz-Weiß-Roten Draperien und umkränzten Bildnissen des greisen Reichspräsidenten und des genialen Führers der deutschen Geschichte von der Bühne herab." Schon vor der "Machtergreifung" der NSDAP, aber auch danach, unterstützten einige Repräsentanten der ev.-luth. Kirche in Radeberg und Umgebung die NSDAP. So berichtete die Radeberger Zeitung am 9.1.1933 und am 31.1.1934 (Ausschnitte der Berichte auf Seite 13): 12 Montag, den 9. Januar 1933 Mittwoch, den 31. Januar 1934 13 Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik Der im Zuge der Novemberrevolution in Radeberg gewählte Arbeiter- und Soldatenrat setzte den bürgerlich-konservativen und kaisertreuen Stadtrat, der bis dahin mit Hilfe des völlig undemokratischen Drei-Steuerklassen-Wahlrechtes die Stadt regiert hatte, außer Kraft. Bei den Wahlen zur Gründung der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, auf die die Ausrufung der Deutschen Republik folgte, errangen die Kandidaten der Linken die Mehrheit im Radeberger Stadtrat und behielten sie bis zur "Machtergreifung" der NSDAP. Das entsprach der sozialen Struktur der Industriestadt Radeberg. Zentren der politisch organisierten Arbeiterschaft befanden sich im Wahlbezirk 5, "Gasthof Klengel"; im Wahlbezirk 6, Pillnitzer Straße; "Deutsches Haus", Bahnhofstraße und in den Wahlbezirken der Beschäftigten der 1929 zusammengebrochenen Glasindustrie Hirsch, Bedrich & Co. Der politische Einfluß der am 10.6.1924 gegründeten Radeberger Ortsgruppe der NSDAP blieb längere Zeit gering. Er beschränkte sich auf einige Dutzend Mitglieder, konnte jedoch in den ländlichen Gemeinden, besonders unter der Bauernschaft, aufgewogen werden. Den Bauern versprach die Hitlerpartei die Entschuldung ihrer Höfe und die Schaffung tausender Erbbauernhöfe zur Neubildung deutschen Bauerntums. So entstanden unter Mitwirkung der Radeberger NSDAP in rascher Folge Ortsgruppen in Großerkmannsdorf, Langebrück, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla, Lausa, Pulsnitz und Kamenz. 1920 hatten Linksparteien und Gewerkschaften durch ihr entschlossenes Handeln den Kapp-Putsch abgewehrt und die Weimarer Republik verteidigt. Am 6.7.1922 berichtete die Radeberger Zeitung (siehe Faksimile Seite 15). Ein Jahr später löste die Entscheidung der Reichsregierung, den Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und Thüringen und die Absetzung der sozialdemokratisch-kommunistisch geführten Staatsregierung des Freistaates Sachsen unter Ministerpräsident Zeigner anzuordnen, bei Linken, Demokraten und Gewerkschaftern tiefe Empörung aus. Die Verhaftungswelle der Reichswehr gegen Kommunisten in Radeberg, und ihr rücksichtsloser Schußwaffengebrauch gegen die Arbeiterdemonstration in Freiberg (29 Demonstranten wurden erschossen) waren ernüchternde Erlebnisse für viele Sozialisten im Hinblick auf das Wiedererstarken erzkonservativer Kräfte in der Weimarer Republik. Treffend charakterisierte Herbert Wehner, langjähriger Vorsitzender der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag, rückblickend diese Situation: "Durch den Einmarsch der Reichswehr wurde damals alles ge- und zerstört. Im Frühjahr 1924 lernten wir dann zum ersten Mal Faschismus kennen. Aus Anlaß des Geburtstages von Bismarck marschierten die ‘vaterländischen Verbände’ auf, die alles andere als vaterländisch waren, zum Beispiel die Brigade Erhardt, die SA, NSDAP, der Stahlhelm u.a. Damals haben wir als Jugendgruppe (Sozialistische Arbeiterjugend) gegen die Kolonnen demonstriert und protestiert. 14 Wir wurden zusammengeschlagen und haben uns wieder aufgerafft." Wehners folgender Austritt aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und sein Übergang zu einer anarchistischen Jugendgruppe sowie seine folgende Mitgliedschaft in der KPD (1927) waren Ausdruck der tiefen Enttäuschung des 21jährigen. Er war auch ein Beispiel für die Wählerwanderung von der SPD, SAP und USPD zur KPD. Die Übergriffe von Reichswehr, Polizei und militanten Krieger- und Schützenvereinen, royalistischen Ex-Soldatenorganisationen und der NSDAP gegen Kundgebungen und Demonstrationen der Arbeiterparteien und Gewerkschaften 15 führten zur Bildung von unbewaffneten Schutzorganisationen der Linken, auch in Radeberg. Als einer der ersten trat im Freistaat Sachsen der "Proletarische Selbstschutz" in Erscheinung. Partei- und gewerkschaftsübergreifend versuchte er, die Versammlungsfreiheit bei Versammlungen und Demonstrationen sicherzustellen. Kurz darauf folgte die Gründung der Schutzorganisation der SPD, "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", der Schutzorganisation der KPD "Rotfrontkämpferbund" und mehrerer Unterorganisationen wie "Arbeitersamariter" und "Rote Hilfe". Wenn auch die politischen Zielvorstellungen und die praktischen Wege auseinander gingen, gab es doch eine übereinstimmende Grundhaltung. Sie bestand in der Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik (Antimilitarismus, aktiver Pazifismus) und in der politischen Bekämpfung des Nationalsozialismus und seiner "vaterländischen" Gehilfen. Diese Grundhaltung wurde auch von Vereinen getragen, die die Emanzipation der Arbeiterbewegung unterstützten, wie dem Freidenkerverband mit seiner Jugendweihe (1922), der Naturfreundebewegung, den Arbeitersportvereinen u.a. Die Aufführung des Antikriegsfilmes "Im Westen nichts Neues" im Radeberger Kino mußte wegen des enormen Besucherandranges mehrfach verlängert werden. Trotz der ständigen Arbeitslosigkeit von 2500 bis 3000 Personen im Arbeitsamtsbezirk Radeberg von 1922 bis 1933 und trotz einer anhaltenden Wohnungsmisere gelang weder den Vaterlandsparteien und schon gar nicht der NSDAP ein nennenswerter Einbruch in die antifaschistische Grundhaltung der Mehrheit der Radeberger Bevölkerung. Die entschlossene antifaschistische Haltung wurde auch im Jahr 1931 deutlich. Eine von der NSDAP im Radeberger "Schützenhaus" durchgeführte Großveranstaltung mit vielen Teilnehmern aus ganz Sachsen führte am 24.1.1931 zu einer tausendköpfigen Gegendemonstration der Radeberger, die gemeinsam von den Gewerkschaften und linken Parteien getragen wurde. In den dabei von SA-Leuten begonnenen tätlichen Auseinandersetzungen wurden vier Betriebsräte aus Radeberger Großbetrieben verletzt und mußten in das Stadtkrankenhaus eingeliefert werden. Der tags darauf von den Gewerkschaften ausgerufene und von linken Parteien unterstützte dreistündige Generalstreik, an dem sich 12 Groß- und Mittelbetriebe beteiligten, war einer der ersten politisch motivierten Generalstreiks in der Weimarer Republik. 4000 Radeberger unterstützen ihn mit einer Demonstration gegen die Hitlerpartei auf dem Marktplatz. Folgerichtig konstituierte sich kurze Zeit später in Radeberg ein gewerkschaftsund parteiübergreifendes Abwehrkartell gegen den Faschismus. Die erzkonservativen Kräfte in Radeberg aus dem Stahlhelm, der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen Partei schlossen sich zu der "Bürgerlichen Einheitsliste" zusammen und führten den Wahlkampf für die Reichstagswahl am 6.11.1932 gemeinsam mit der Radeberger NSDAP unter Oberlehrer Möckel. 16 w Diese Zusammenarbeit zeigt auch eine Großanzeige der "Bürgerlichen Einheitsliste" (Liste 2) und der NSDAP (Liste 4) in der Radeberger Zeitung vom 16.11.1932: 17 Die enge Verflechtung hatte keinen wesentlichen Einfluß auf die antifaschistische Einstellung der Mehrzahl der Radeberger. Am 18.11.1932 teilte die Radeberger Zeitung ihren Lesern auf der Titelseite folgendes Wahlergebnis mit: 18 Der Weg der NSDAP an die Macht Die Weltwirtschaftskrise erschütterte die letzten Jahre der Weimarer Republik schwer. In dieser Zeit kommt es zu immer stärkerer politischer Radikalisierung. Begünstigt durch die Schwierigkeiten, auf demokratische Weise Mehrheiten zu bilden, verlagern sich die politischen Gewichte zunehmend von den Parteien und dem Parlament zum Reichspräsidenten und seinen konservativen Beratern. Die so entstehende politische Krise führt zu einem schnellen Anwachsen der rechten Kräfte. Im Oktober 1931 verbünden sich Hitlers NSDAP, die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm in der "Harzburger Front" zum Kampf gegen die Regierung Brüning und die Republik. Am 5. Oktober 1931 findet zwischen Vertretern des deutschen Monopolkapitals und dem Reichspräsidenten von Hindenburg eine Unterredung über die Umbildung der Regierung Brüning statt. Die Regierungsumbildung erfolgt vom 7. bis 9. Oktober 1931 und ist darauf gerichtet, die demokratische Staatsform zu beseitigen. Am 10. Oktober 1931 empfängt Reichspräsident von Hindenburg erstmalig Hitler und Göring, um sich persönlich über die Ziele der NSDAP zu informieren. 1932 entläßt Reichspräsident von Hindenburg die Regierung Brüning. In der Folge wird das Verbot der SA aufgehoben, der Reichstag aufgelöst und die von der SPD geführte preußische Landesregierung abgesetzt. Nun fordert Hitler kompromißlos die gesamte politische Macht in Deutschland. Am 12. und 13. August 1932 verhandeln von Hindenburg, von Papen und Schleicher, um Hitler für den Posten des Vizekanzlers zu gewinnen, doch Hitler fordert den Posten des Reichskanzlers. Das wird ihm nicht zugebilligt. Darauf lehnt die NSDAP ab, die inzwischen vom Reichspräsidenten berufene Regierung von Papen zu tolerieren. Der Reichspräsident löst den Reichstag auf, und am 6. November 1932 finden Reichstagswahlen statt. Ergebnisse: NSDAP Sozialdemokratische Partei Kommunistische Partei Zentrumspartei Deutschnationale Volkspartei Bayrische Volkspartei 11,7 7,2 6,0 4,2 3,0 1,1 Mio. Mio. Mio. Mio. Mio. Mio. Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen Stimmen 196 Sitze 121 Sitze 100 Sitze 70 Sitze 52 Sitze 20 Sitze Am 18. November 1932 erklärt Hitler dem Reichspräsidenten, seine Partei sei der einzige "Damm gegen den Kommunismus" und fordert für die NSDAP die Regierung und unbeschränkte Vollmachten. Am 24. November verweigert ihm von Hindenburg das noch. Am 4. Januar 1933 treffen sich im Hause des Bankiers Schröder in Köln von Papen 19 und Hitler. Es kommt zu der Übereinkunft, daß Hitler demnächst die Macht übernehmen und eine Regierung bilden soll, die im Gegenzug die Forderung der Wirtschaft und der Großbanken erfüllt. Damit wird der Weg zur offenen faschistischen Diktatur frei. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, lehnen NSDAP und DNVP unter Hugenberg die Unterstützung der bestehenden Regierung Schleicher ab. Am 22. Januar 1933 findet im Hause von Ribbentrop eine Unterredung Hitlers mit von Hindenburg, von Papen und Staatssekretär Otto Meißner mit dem Ergebnis statt, Hitler in den nächsten Tagen zum Reichskanzler zu ernennen. Inzwischen werden alle Aktivitäten des Reichskanzlers Schleicher abgelehnt, so daß er mit seiner Regierung am 28. Januar 1933 zurücktritt. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, der die “Machtergreifung“ der NSDAP proklamiert. Bereits am 1. Februar 1933 fand in Radeberg ein Fackelzug zu Ehren des Reichskanzlers Adolf Hitler statt. Die Radeberger Zeitung berichtete: Wie groß der Widerstand unter der Radeberger Bevölkerung gegen die NSDAP und der Wille zur antifaschistischen Einheitsfront war, ist einem Bericht der Radeberger Zeitung vom gleichen Tage zu entnehmen: 20 In Ottendorf-Okrilla bemerkten antifaschistische Bürger am 25.2.1933 auf dem Schornstein der stillgelegten Glashütte Brockwitz eine Hakenkreuzfahne. Sie beschlossen, diese Fahne zu entfernen. Der Ottendorfer Arbeiter Kurt Schwade vollbrachte diese Tat. Kurz darauf wehte auf dem Schornstein der damaligen Firma Scheffel eine rote Fahne. Unerkannt hatte der Schornsteinfeger Hermann im Auftrage von Sozialdemokraten, Kommunisten und parteilosen Antifaschisten dieses Zeichen des Widerstandes gesetzt. Mit der Machtergreifung begann die NSDAP, von konservativen Kräften unterstützt, ihre Diktatur zu errichten. SA und Stahlhelmleute wurden als Hilfspolizei eingesetzt. Am 27. 2. 1933 wurde das Gebäude des Deutschen Reichstages in Brand gesetzt. Die Hitlerregierung verkündete, der Reichstagsbrand sei das Werk der Kommunisten und das Signal für eine Verschwörung gegen das deutsche Volk. Sie benutzte dieses Verbrechen als Vorwand, eine Verordnung zum "Schutze von Volk und Staat" zu erlassen und damit der Hitlerregierung fast uneingeschränkte Machtbefugnisse einzuräumen. Reichspräsident von Hindenburg unterschrieb. Damit waren entscheidende verfassungsmäßige Rechte außer Kraft und der Terror gegen alle Andersdenkenden "legalisiert". Die ersten Opfer wurden innerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Arbeiterfunktionäre, die meisten davon Kommunisten. Sie wurden verhaftet und in Internierungslager verschleppt. Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt - das bedeutet die Liquidierung aller Grundrechte. 21 Das entscheidende Ziel war, massiven Druck auf die Wähler auszuüben, damit sie bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 der NSDAP ihre Stimme geben und so die Gewaltherrschaft dieser Partei scheindemokratisch bemänteln sollten. Dem diente auch das Verbot der Zeitungen von SPD und KPD. Dazu ließ der Berliner Polizeipräsident ein Flugblatt verbreiten: 22 Die Radeberger Zeitung veröffentlichte das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März 1933: In Radeberg gaben 3 903 Bürger der NSDAP ihre Stimme. Das waren rund 36 % der Wähler. Bis auf zwei Gemeinden erreichte die NSDAP nicht die gewünschte absolute Mehrheit. In Radeberg, Ottendorf-Okrilla, Hermsdorf, Leppersdorf und Lomnitz erzielten SPD und KPD einen höheren Anteil der Wählerstimmen als die NSDAP. 23 Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten Nachdem sie mit der Reichstagswahl am 5.3.1933 ihr Ziel nicht erreicht hatten, setzte die NSDAP alle Mittel ein, um ihre Machtpositionen zu stärken. Sie sah das größte Hindernis in den linken Parteien, den Gewerkschaftsverbänden und anderen demokratischen Kräften, besonders auch deren Abgeordneten in den Stadt- und Gemeindeparlamenten. Beim Ausbau ihrer Herrschaft in allen staatlichen Ebenen traten die neuen Machthaber Recht und Gesetz mit Füßen. Am 7. März 1933, zwei Tage nach den Reichstagswahlen, findet auf dem Marktplatz von Radeberg eine große Kundgebung der NSDAP statt. SS und Polizei sperren ab. Am Rathaus werden die Hakenkreuzfahne und die deutsch-nationale Fahne Schwarz-Weiß-Rot gehißt. NSDAP-Ortsgruppenleiter Erich Möckel klagt in einer Rede an, daß er lange Jahre "unter dem Marxismus geseufzt hat". Sieg-HeilRufe der SA hallen über den Marktplatz. Von dieser Kundgebung veröffentlichte die Radeberger Zeitung am 8. März ein Foto: Bereits zwei Tage nach der Reichstagswahl vom 5. 3. 1933 besetzten gegen 17.30 Uhr SS, SA, Stahlhelm und Polizei das Radeberger Rathaus und hißten die oben genannten Fahnen unter Mißachtung des noch gültigen offiziellen Flaggengesetzes. Im Vordergrund der aufmarschierte “Stahlhelm” mit dem Kommandierenden Teichert, rechts (kaum erkennbar) die SA-Formation. Die “II. Revolution” des NSDAP-Ortsgruppenführers E. Möckel nahm ihren erfolgreichen Verlauf. 24 Eine zweite Kundgebung am 9. März 1933 versetzte dem demokratisch gewählten Stadtrat und der Stadtverwaltung den Todesstoß. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 10.3.1933 ausführlich: Fritz Weitzmann und weitere Radeberger Antifaschisten wurden von den Nazis gezwungen, die Wahlaufrufe der Arbeiterparteien zu den Reichstagswahlen März 1933 von den Wänden abzuwaschen. (Foto aus dem Nachlaß von Fritz Weitzmann) 25 Der Terror ging weiter. Bereits am 4. März 1933 hatte die SA den Radeberger Stadtverordneten der KPD eine "Sonderbehandlung" zuteil werden lassen. Am 17. März 1933 holte die neue NS-Stadtverwaltung die Stadtverordneten der SPD in das Rathaus zur "Vernehmung". Danach mußten sie zusammen mit anderen Antifaschisten unter Aufsicht von SA-Leuten die Wahlplakate der Arbeiterparteien für die Reichstagswahlen von den Wänden abwaschen. Am gleichen Tag beschloß der "gesäuberte" Stadtrat, daß Marxisten nicht mehr in leitenden Stellen beschäftigt werden dürfen. Dieser Beschluß wurde mit einer Gegenstimme gefaßt. Zum weiteren Ausbau der Diktatur legte Hitler ein Ermächtigungsgesetz vor, das am 24.3.1933 das Parlament mit Zweidrittelmehrheit passierte. Es schaltete den Reichstag und seine Kontrollorgane faktisch aus. Nun folgten die Proklamation des "Einheitsstaates" und die "Gleichschaltung". Damit wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten, die Gewerkschaften und die Länder entmachtet und der Reichsrat aufgehoben. Am 30.3.1933 fand die letzte Sitzung der Radeberger Stadtverordneten statt, zu der noch Abgeordnete der SPD zugelassen waren. Dazu schrieb die Radeberger Zeitung: 26 "Am früher gewohnten Platze hing wieder das Gemälde König Georgs, ihm gegenüber die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, die Hakenkreuzfahne und die GrünWeiße Fahne Sachsens. Die Plätze der Kommunisten waren leer, da diese nicht eingeladen waren. Von den Sozialdemokraten waren nur vier anwesend, da einige sich bereits in Schutzhaft befanden. Der NSDAP-Ortsgruppenführer und vorläufige Bürgermeister, Parteigenosse Möckel, stimmte ein kräftiges 'Sieg Heil' auf Hindenburg und den Führer an, wobei sich die Abgeordneten von den Plätzen erhoben, außer den vier Sozialdemokraten. Sie beteiligten sich auch nicht an der Wahl des Präsidiums. Stadtverordneter Weitzmann (SPD) gab dazu eine entsprechende Erklärung ab." Einen Tag später erließ die Hitlerregierung das Länder- und GemeindeGleichschaltungsgesetz. Damit war auch in Radeberg der Weg zu einem unglaublichen Wahlbetrug freigemacht. Darüber informiert die Radeberger Zeitung: 27 Über die so an die Macht geschobenen Radeberger Stadtverordneten der NSDAP und der Konservativen ("Gemeinsamer Wahlvorschlag") informierte die Radeberger Zeitung: Auch in allen Dörfern des Radeberger Landes wurden die Gemeindeparlamente "gleichgeschaltet". Die von der Bevölkerung gewählten Abgeordneten von SPD und KPD wurden aus den Gemeinderäten entfernt und ihre Mandate von Vertretern der NSDAP besetzt. Nun war die NSDAP in der Lage, ihre Diktatur ohne große Gegenwehr auszuüben. Einen Höhepunkt der "Nationalsozialistischen Machtergreifung" und der "Gleichschaltung" in Radeberg bildete die Stadtverordnetenversammlung am 15. Mai 1933 mit der Wahl des NS-Bürgermeisters Dr. Rasch. 28 Der Berichterstatter der Radeberger Zeitung schrieb: "Der mit dem Wahrzeichen der nationalen Bewegung geschmückte Sitzungssaal zeigt das Bild der Gleichschaltung, das braune Hemd beherrscht den Saal. Der bis dahin kommissarische Bürgermeister, Gewerbeoberlehrer Möckel, seit 1929 Ortsgruppenleiter der NSDAP, gab die richtungweisende Orientierung. Er lobte die Ausschaltung der staatsfeindlichen Elemente." Der Historiker Guido Knopp verweist in seiner Studie "Hitler, eine Bilanz" auf Hubertus von Löwenstein. Anläßlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler warnte er seine sozialdemokratischen Freunde: "Kameraden, habt ihr begriffen, daß heute der 2. Weltkrieg begonnen hat?" Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, hatte diese tödliche Gefahr mit den Worten gekennzeichnet: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Beide sollten recht behalten. Die Demagogie des NS-Systems Um die Menschen zu gewinnen, nutzte die NS-Propaganda besonders die Sorgen aus, die viele Leute bewegten: • Angst vor der Arbeitslosigkeit war eine depressive Grundstimmung, damit verbunden: • Angst vor gesellschaftlicher Deklassierung Gezielt und erfolgreich geschürt wurden: • Angst vor dem Bolschewismus, • Angst vor und Haß gegenüber den Juden, • Angst vor Überfremdung Die Propaganda der Nazis verkündete, nur einer könne der Bevölkerung diese Ängste nehmen: Adolf Hitler mit seiner NSDAP. Und Hitler ließ an seinem Willen zur alleinigen Macht keinen Zweifel: "Nunmehr haben wir die Macht in der Hand, und ich als Kommissar des Reiches bin in meiner Person der Ausdruck hierfür. Deshalb befehle ich und kein anderer. Meine Befehle allein sind maßgebend, und ich allein trage die Verantwortung für das, was geschieht." 29 Die Begeisterung bei NS-Propagandaveranstaltungen riß Zögernde mit. Um diese Stimmung auszubauen, ergriff die NSDAP weitere Maßnahmen: 1. Der 1. Mai wurde zum gesetzlichen "Tag der nationalen Arbeit" erklärt. Mit der Schaffung der Deutschen Arbeitsfront anstelle der verbotenen Gewerkschaften sollten die Arbeiter an sozialen Forderungen gehindert und auf das "Führerprinzip" auch in den Betrieben eingeschworen werden. Fortan gab es einen "Betriebsführer" und eine "Gefolgschaft". Der Beauftragte der "Deutschen Arbeitsfront", Felber, sagte in der Gruppenstammversammlung 1/151 in Radeberg im Juli 1934: "Wir haben für das deutsche Arbeitertum eine Organisation geschaffen, die nicht nur Organisation ist, sondern ein ehernes Fundament unseres Staates... Es ist unbestreitbar, daß die nationalsozialistische Revolution den Schutt der deutschen Arbeiterklasse weggeräumt und den edlen Kern freigelegt hat, daß es heute kaum einen willigeren und unbedingteren Staatsbejaher gibt, als den deutschen Arbeiter." In diesem Sinne organisierten NSDAP und Arbeitsfront in Radeberg die Feiern zum 1. Mai. In Großveranstaltungen wurden die Leistungen und die Gefolgschaftstreue des "Arbeitsvolkes" hervorgehoben. Darüber berichtete die Radeberger Zeitung: "Bereits in der 8. Stunde des 1. Mai versammelten sich auf der Pulsnitzer Straße "Arbeitsmenschen", die Belegschaften der Betriebe, Beamte, Lehrer, Gewerbetreibende, auch die arbeitslosen Volksgenossen usw. zum Marsch der 8500 durch die Stadt. Schließlich hatten sich im "Horst-Wessel-Stadion" Zehntausend vereinigt.” 2. Mit riesigem propagandistischen Aufwand inszenierte die NS-Regierung ihren demagogischen "Kampf um Arbeit und Brot". Am 1. Mai 1933 verkündete sie das Reichsautobahnprogramm, und an vielen Stellen in Deutschland wurden Bauprojekte begonnen: Brennpunkte der deutschen Arbeitsschlacht. Die wichtigsten Stellen, an denen das Arbeitsprogramm in Angriff genommen wird. 30 Mit der Einführung eines halbjährigen "Reichsarbeitsdienstes" wurden alle "wehrfähigen" jungen Männer an diesen Objekten zur Arbeit eingesetzt, anfangs freiwillig, später als "Reichsarbeitsdienstpflicht". Dort wurden sie gleichzeitig halbmilitärisch ausgebildet. Sie arbeiteten faktisch ohne Lohn. Ihr Sold betrug 25 Reichspfennige pro Tag. Zur gleichen Zeit betrieb die NS-Regierung - anfangs geheim - eine enorme Aufrüstung, gekoppelt mit der Forderung, das "Schanddiktat" des Versailler Friedensvertrages zu annullieren. Die Aufrüstung brachte viele neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und beim Bau militärischer Anlagen. Die Autobahnen gehörten ebenso zur Aufrüstung wie das "Volkswagenwerk". Als die ersten Volkswagen produziert wurden, rollten sie auf Hitlers Autobahnen für seine Annexionen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte Hitler bereits 1936 eine annähernde Vollbeschäftigung verkünden. 3. Am 29. September 1933 wurde das "Reichserbhofgesetz" verkündet: "Landund forstwirtschaftlicher Besitz in der Größe von mindestens einer Ackernahrung und von höchstens 125 Hektar ist ein Erbhof, wenn er einer bauernfähigen Person gehört". 4. Weiterhin förderte der Staat den Eigenheimbau. Das Angebot an Konsumgütern wurde auch für Ärmere erschwinglich. Das Urlauberprogramm "Kraft durch Freude" sollte den Menschen ein Gefühl sozialer Sicherheit vermitteln. 5. Die Deutsche Arbeitsfront lockte mit Bildungsangeboten und Sport und lenkte auch die Freizeit in die Zielrichtung der NSDAP. Mit einem weitgehend sorgenfreien Leben und einer auf das Heute gerichteten Sicht wurde die Masse der Bevölkerung zufriedengestellt. 6. Ungezügelt propagierte die NSDAP ihre pseudowissenschaftlich verbrämte Rassentheorie. Sie redete den Menschen ein, die blauäugige, blonde "Nordische Rasse" verkörpere das Idealbild der Deutschen. Deshalb sei das deutsche Volk "von der Vorsehung ausersehen", über alle anderen Völker zu herrschen. Minderwertige Rassen, zu allererst die Juden, seien "nicht lebenswert". 7. Alle deutschen Rundfunkstationen wurden zum Reichsrundfunk vereint. Propagandaminister Goebbels baute den Reichsrundfunk neben Presse und Film zu einem entscheidenden Instrument der NS-Propaganda aus. Diesem Ziel diente auch die millionenfache Produktion des "Volksempfängers", eines Kleinradios, das wegen seines niedrigen Preises zwischen 30 und 70 Reichsmark in den meisten deutschen Haushalten angeschafft wurde. 31 Antifaschisten gaben diesem Radio die drastische aber treffende Bezeichnung "Goebbelsschnauze". 8. Parallel zu der gigantischen militärischen Aufrüstung schürte die NSDAP mit allen Mitteln unter der Bevölkerung nationalistische und chauvinistische Stimmungen, verherrlichte den Krieg und erhob unter der Losung vom "Großdeutschen Reich" Gebietsansprüche an die Nachbarstaaten. Diese systematische Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges wurde mit heuchlerischen Friedensbeteuerungen getarnt. So gab die NSDAP ihrem letzten Parteitag im August 1939, einen Monat vor dem Überfall auf Polen, mit dem sie den Zweiten Weltkrieg begann, den Namen "Parteitag des Friedens.” 9. Die NSDAP unternahm alles, um die Erinnerung an die Weimarer Republik zu diffamieren und aus dem Bewußtsein der Menschen zu verdrängen. So wurden in Radeberg und allen umliegenden Gemeinden Straßen und Plätze nach NS-Größen umbenannt. In Radeberg gab es einen besonderen Höhepunkt dieser Kampagne: Von 1926 bis 1928 hatten sich die Arbeitersportler des Turn- und Sportvereins "Vorwärts" trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit aus eigenen Mitteln und in freiwilliger Arbeit ihr Stadion erbaut. Sie gaben ihm den Namen "Vorwärts-Stadion". Unmittelbar nach der Machtergreifung gab die NSDAP diesem Stadion den Namen des SA-"Helden" Horst Wessel, der angeblich ein Opfer der Kommunisten war. In Wahrheit wurde er bei persönlichen Streitigkeiten erschossen, vom NS-Propagandaminister Goebbels jedoch zu einem deutschen Nationalhelden hochstilisiert. Das Horst-Wessel-Lied wurde neben dem Deutschlandlied die Hymne der NSDAP. Gedenktafel im “Vorwärtsstadion” in Radeberg, Schillerstraße 32 Auch dem ASB wurde seine volksverbundene Tätigkeit untersagt Zu den verbotenen Organisationen gehörte auch der Arbeiter-Samariter-Bund, der in Radeberg von 1921 bis 1933 eine mitgliederstarke Ortsgruppe besaß. Seit ihrer Gründung gehörte ihr als betreuender und beratender Arzt Dr. med. Albert Dietze an. “Er war eine Freund der Alten und der Armen”, so charakterisierte der langjährige Ortschronist Rudolf Thomas den “Verdienten Arzt des Volkes” und Ehrenbürger der Stadt Radeberg. Dr. Dietze verstarb im Alter von 94 Jahren. Ein Teil der Pirnaer Straße erhielt seinen Namen. Dr. med. Albert Dietze 33 VOLKSHEIM LOMNITZ Von den Werktätigen erbaut und finanziert; von den Nazis geschändet Mehr als 120 Arbeiter, Sportler, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und einzelne Bauern beteiligten sich an den Arbeitseinsätzen. Viele fleißige Hände, die tagsüber für den Kapitalisten schaffen mußten, hatten nach Feierabend und an Wochenenden keine Ruhe, denn ihre Turnhalle sollte recht schnell fertig werden. Die Bausumme entsprach damals ohne Arbeitsleistungen etwa 80.000 Mark. Die Arbeiter verfügten aber weder über Bauland noch über finanzielle Mittel. Deshalb hatte jedes Mitglied einen Pflichtanteil zu bringen, so kamen vorerst 13.000 Mark zusammen. Diese Summe war die Grundlage für den Baubeginn. Bauarbeiten 1927 In etwa zwei Jahren war das Bauwerk fertiggestellt. Im November 1928 wurde bereits der erste Kirmestanz durchgeführt. Das war nicht nur für die Erbauer sondern für alle Bürger des Ortes und der umliegenden Gemeinden ein großer kultureller Höhepunkt. Am 1./2. Juni 1929 erfolgte die Einweihung der Turnhalle. Diese war mit einer großen Demonstration verbunden und verdeutlichte die Einheit der Arbeiterklasse. Sie bewies ihre Stärke und Leistungskraft. 34 1927 hatte der Gastwirt Pietzsch die Arbeitersportler, die Reigenfahrer und Arbeitersänger kurzerhand vor die Tür gesetzt. Bereits 1922 mußten sie aufgrund der Machenschaften des Herrn Pietzsch ihre Übungsstunden im Nachbarort Kleindittmannsdorf durchführen. Volksheimweihe 1929 Das alles war nun mit der Errichtung des Volksheimes vorbei. Endlich hatten sie ein eigenes Heim mit Gaststätte, die sie selbst verwalteten. Mit dem Machtantritt des Faschismus überzogen auch finstere Wolken das von den Arbeitern geschaffene Heim. Es wurde von Faschisten besetzt und für viele andere Zwecke, die gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet waren, genutzt. In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg diente der Saal als Getreidelager. In den letzten Kriegswochen wurden dort Wehrwölfe ausgebildet, und SS-Banditen zogen ein, die letztendlich das Volksheim sprengen wollten. Mutige und klassenbewußte Bürger des Ortes verhinderten dieses Verbrechen. Volksheim 1999 35 Terror gegen alle Andersdenkenden Parallel zur demagogischen Gewinnung der Menschen für ihre Ziele terrorisierten die NS-Machthaber alle Gegner immer brutaler nach ihrem Grundsatz: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, wird vernichtet!" Die folgenden Angaben über Verfolgungen, Verhaftungen und Verurteilungen von Antifaschisten sind unvollständig, weil sie nur die Ergebnisse unserer begrenzten Forschungen enthalten. Dennoch geben sie einen weiteren Einblick in das Ausmaß des NS-Terrors in Radeberg und in den umliegenden Gemeinden. • Im Radeberger Rathaus mißhandelten SA-Leute viele Hitlergegner. Der Radeberger Stadtverordnete der SPD, Fritz Weitzmann, schrieb in seinen Erinnerungen: "Wir wissen, daß unsere Genossen so mißhandelt wurden, daß die Wände des damaligen Bürgermeisterzimmers übertüncht werden mußten, weil sich die Blutspuren nicht abwaschen ließen.” • Der aus dem Amt getriebene Radeberger Bürgermeister Otto Uhlig (SPD) erhielt Stadtverbot. Die Gestapo führte eine rote Karteikarte über ihn. Eine Rente wurde ihm verweigert. Der Radeberger NS-Polizeikommissar Stalling schrieb am 5. Juli 1933 an den Nazigauleiter von Sachsen, Martin Mutschmann, "...daß man keinen Pfennig von den Steuergroschen des deutschen Volkes für diesen Oberbonzen vergeuden darf. Er hat sich als Schmarotzer am deutschen Volksvermögen erwiesen.” • Den ebenfalls aus dem Amt vertriebenen Wohlfahrtsinspektor und Stadtverordneten der SPD, Paul Brückner, verhaftete die Gestapo am 12. März 1933. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn wurden ausgewiesen. Sie fanden in Schönborn Zuflucht. Die Radeberger Zeitung berichtete am 13.3.1933: "Festgenommen wurden in der Nacht zum Sonntag und nach Dresden in Schutzhaft eingeliefert der sozialdemokratische Stadtrat Johannes Brückner, sein Bruder, der bisherige Wohlfahrtsinspektor Paul Brückner, der Führer des Reichsbanners, Konsumvereinsverwalter Schaar, die Funktionäre des Abwehrkartells Pankratz und Tamme und der sozialdemokratische Stadtverordnete und Bevollmächtigte des Metallarbeiterverbandes Heinze. Außerdem wurde in Dresden der Kommunistenführer von Radeberg, Wächtler, erkannt und festgenommen.” In der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde" in Dresden verhörten Gestapobeamte Paul Brückner. Es gelang ihnen nicht, ein Geständnis zu erpressen. Am 8. Juni 1933 wurde er trotzdem in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Das Ansinnen, eine Loyalitätserklärung gegenüber der NSDAP abzugeben, lehnte er ab. • So wie in Radeberg wurden auch die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, die nicht der NSDAP angehörten, aus ihren Ämtern gejagt. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Andersdenkende zu denunzieren. 36 • Bereits am 28.2.1933 nahm die Gestapo die Kommunisten Heinz und Rudolf Böhm aus Ottendorf-Okrilla fest und inhaftierte sie nach einer Untersuchungshaft in dem Schutzhaftlager Hohnstein. • Emil Fahrnländer aus Ullersdorf wurde am gleichen Tag verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Kurz nach seiner Entlassung wurde er erneut ein Jahr in Untersuchungshaft festgehalten, mußte aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Im Juni 1941 wurde er erneut wegen staatsfeindlicher Äußerungen im Zusammenhang mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Im März 1933 folgt eine Verhaftungswelle: • Der Arbeiter Kurt Alschner aus Radeberg wird wegen Zugehörigkeit zur KPD im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Am 20.9.1935 wird er mit elf weiteren Antifaschisten in das KZ Sachsenburg eingeliefert. • Der Handformer Alfred Franke, Radeberg, wird erst im Schutzhaftlager Königstein-Halbestadt und dann fünfzehn Monate im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • Der Schriftsetzer Kurt Hantzsche aus Radeberg wird wegen Vorbereitung zum Hochverrat festgenommen, muß aber aus Mangel an Beweisen aus der Haft entlassen werden. Nach seiner erneuten Verhaftung am 18.9.1934 wird er für längere Zeit in Untersuchungshaft gehalten. • Die Geheime Staatspolizei verhaftet den Maler Walter Förster aus Radeberg, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Wegen Fortführung der Tätigkeit für die KPD wird er drei Jahre und sechs Monate im Zuchthaus Waldheim gefangengehalten. Danach kommt er als "politisch unzuverlässig" in das KZ Sachsenhausen. Erst die vorrückenden sowjetischen Truppen befreien ihn 1945. • Nicht nur in Radeberg waren Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Mißhandlungen an der Tagesordnung. Besonders brutal gingen SA-Schläger in Orten vor, in denen viele Einwohner nicht für Hitler gestimmt hatten. Am 10. März 1933 umstellen SA-Leute Ottendorf-Okrilla und dringen von allen Seiten in den Ort. Bei antifaschistisch eingestellten Bürgern führen sie "Haussuchungen" durch. Viele werden festgenommen und zum Gasthof "Schwarzes Roß" gebracht. Hier mißhandelt sie die SA mit Gummiknüppeln, Gewehrkolben und Reitpeitschen. Fast 70 Verletzte sind die Folge. Besonders brutal mißhandeln sie den körperbehinderten Kommunisten Josef Hannemann. SA-Leute fassen ihn an Armen und Beinen, wippen seinen Körper auf und nieder, werfen ihn in die Luft und lassen ihn dann auf die Erde fallen. Diese "Volksbelustigung" wiederholen sie solange, bis der Mißhandelte liegenbleibt. Josef Hannemann stirbt später im Krankenhaus an den Folgen. • Wegen Widerstandes gegen die NS-Diktatur wird Johannes Kutzera aus Radeberg von Januar bis Mitte 1933 fünfmal verhaftet. Er wird in das 37 • • • • • • • • • • • Schutzhaftlager Hohnstein gebracht. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat muß er für ein Jahr in die Gefängnisse in Leipzig und Zwickau. 1935 wird er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Waldheim, später im KZ Mauthausen verbüßen muß. Vor dem Schlimmsten bewahrt ihn der Vormarsch der US-Armee. Der Arbeiter Josef Pankratz aus Radeberg, Mitglied der SPD und Leiter des Abwehrkartells, wird verhaftet, im Polizeipräsidium Dresden vernommen und dann im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Aus Mangel an Beweisen kommt es zu keiner Gerichtsverhandlung. In Arnsdorf wird der Melker Wolf vom Staatsgut der Landesanstalt wegen kommunistischer Umtriebe festgenommen. Der Arbeitersportler Martin Wagner, Leppersdorf, wird wegen der Verbreitung verbotener Zeitschriften verhaftet. Walter Thiem, Ullersdorf, wird wegen des Verdachtes, illegale Zeitschriften verteilt zu haben, im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Else Sommer aus Hermsdorf wird am 31.3.1933 verhaftet und im Gefängnis "Münchner Platz" in Dresden über die Aktivitäten der Hitlergegner in Ottendorf/Okrilla verhört. Sie bleibt standhaft und verrät nichts. Noch zweimal, im Oktober 1933 und im November 1934, verhaftet sie die Gestapo, wieder ergebnislos. Im März 1935 wird sie im Prozeß gegen "Wagner und Genossen" zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Am 21. Mai 1940 schlägt die Gestapo endgültig zu. Else Sommer wird bis auf weiteres "zur Umschulung" im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesperrt. Sie erhält die Häftlingsnummer 3944. Nur Dank der Solidarität ihrer Leidensgefährtinnen, unter ihnen die Dresdner Jüdin und Kommunistin Rosa Menzer, die vergast wurde, überlebt Else Sommer. Am 6.5.1933 wird der Wallrodaer Bruno Mai verhaftet, und am 5.4.1934 verurteilt ihn der "Volksgerichtshof" zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. Die Gestapo verhaftet am 25.5.1933 Otto Hegewald und inhaftiert ihn zwei Jahre im KZ Sachsenburg. Der Glasarbeiter Kurt Lohse aus Radeberg wird im Schutzhaftlager Hohnstein bis zu dessen Auflösung inhaftiert. Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Hermann Philipp und Hans Koch aus Arnsdorf wegen angeblichen Sprengstoffverbrechens und Nichtablieferung von Waffen zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus bzw. zehn Monaten Gefängnis. Die Gestapo verhaftet in Ottendorf-Okrilla den jugendlichen Metallarbeiter Adolf Neumann und andere Jugendliche. Das Sondergericht verurteilt sie zu hohen Freiheitsstrafen. Der Kellner Fritz Liebscher aus Ottendorf-Okrilla wird am 8.9.1933 verhaftet. Der "Volksgerichtshof" verurteilt ihn im Verfahren Nr. 15 J 490/33 wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD, Vorbereitung zum Hochverrat, angeblichem 38 Sprengstoffverbrechens und verbotenem Waffenbesitz zu drei Jahren Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafzeit bringt man ihn bis 15.6.1937 in das KZ Sachsenburg, dann bis 16.8.1937 in das KZ Sachsenhausen und schließlich bis zum 18.4.1939 in das KZ Buchenwald. Obwohl er "wehrunwürdig" ist, wird er 1942 zum Strafbataillon 999 eingezogen. • Der Kommunist Alfred Leuthold aus Ottendorf-Okrilla wird verhaftet. Er wird verdächtigt, den organisatorischen Zusammenhalt der Roten Wehr aufrechterhalten und Waffen und Munition für diese Organisation aufbewahrt zu haben. Das Gericht verurteilt ihn zu einem Jahr und zwei Monaten Zuchthaus. Danach wird er in ein Schutzhaftlager gebracht. • Bei einer Razzia in Bischofswerda findet man im Portemonnaie eines Festgenommenen die Adresse des kommunistischen Stadtverordneten Hugo Jünger aus Radeberg. Daraufhin wird er verhaftet. Trotz Gegenüberstellung mit dem bei der Razzia Festgenommenen können ihm illegale Tätigkeit, Vertrieb von kommunistischen Zeitschriften und Zusammenarbeit mit anderen KPD-Mitgliedern nicht nachgewiesen werden. Trotzdem wird er bis 1.5.1934 im Schutzhaftlager Hohnstein und danach bis 23.6.1936 im KZ Sachsenburg inhaftiert. • Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 besetzte die SA die Jugendburg Hohnstein und errichtete darin ein “Schutzhaftlager”, um politische Gegner aus dem ostsächsischen Raum festzusetzen und durch militärischen Drill, schwere körperliche Arbeit und anderen Drangsalierungen “umerziehen”. Mindestens 15 Antifaschisten aus dem Radeberger Gebiet wurden dort zeitweise inhaftiert. Häftlinge auf dem Weg zur Zwangsarbeit in Hohnstein Fotos aus dem Museum Hohnstein 39 • In Schönborn und Umgebung findet eine groß angelegte Verhaftungsaktion statt. Unter den verhafteten Antifaschisten befinden sich die SPD-Mitglieder Alfred Görner, Arno Liesner, Erich Partsch, Alfred Steinert, die Mitglieder der KPD Fritz Gärtner, Max Görner, Rudi Görner, Rudolf Steinert und die Parteilosen Willi Heiche aus Seifersdorf und Richard Angermann aus Wachau. Alle werden in der Gaststätte "Anker" festgehalten, in das Polizeipräsidium Dresden eingeliefert und teils in der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde", teils im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • In Radeberg wird der Metallarbeiter Willy Schaarschmidt verhaftet, weil er Mitglied der Roten Hilfe und des Abwehrkartells ist. Aus Mangel an Beweisen kommt es zu keiner Gerichtsverhandlung. • Der 1. September 1933 ist ein schwarzer Tag für Wachau. Früh gegen 4.30 Uhr rücken Überfallwagen und Motorräder mit SA und Polizei in das Dorf ein. Häuser werden umstellt und durchsucht, Gärten durchwühlt und Hitlergegner zusammengetrieben. Wer nicht zu Hause ist, wird am Arbeitsplatz verhaftet. Richard Angermann, ein Betroffener, berichtet: "Von zwei Polizisten wurde ich in Klotzsche auf der Baustelle verhaftet, nachdem sie bei mir zu Hause einen Kalender mit einem Spruch gegen die braune Pest, mein blaues Arbeiterkartell-Hemd und den Schulterriemen gefunden hatten. Ich wurde auf einen LKW gestoßen und von vier SAMännern in die Mitte genommen. Schon während der Fahrt wurde ich von ihnen "verhört". Nachdem ich zugegeben hatte, diesen Spruch geschrieben zu haben, versicherten mir meine Peiniger, daß sie mich aufhängen würden. Meiner Frau hatten sie ohnehin schon gesagt, daß sie mich nicht wiedersehen würde. Hinter Langebrück bog der Wagen in eine Schneise ein. Sie hatten schon einen Baum ausgewählt, als sie nach einen Strick suchten. Nur dem Umstand, daß sie in ihrer Kiste keinen fanden, habe ich es zu verdanken, daß sie mich nach Wachau brachten. Gegen 10 Uhr kamen wir im "Anker" an. Zuerst bekam ich einen Schlag, daß ich bewußtlos zusammenbrach. Mit Kübeln kalten Wassers brachten sie mich wieder zur Besinnung, um auf diese Weise das "Verhör" fortzusetzen. Übel zugerichtet wurde ich auf die Kegelbahn getrieben, wo ich bis ans Ende laufen und meinen Namen und anderes rufen mußte. Nach diesen Quälereien kam ich in einen anderen Raum, wo ich wieder mit Schlägen empfangen wurde … Oswin Görner hatten die SA-Leute ein rotes Tuch, das von einer Streichholzschachtel zusammengehalten wurde, um den Hals gelegt und einen Holzsäbel in die Hand gedrückt. Er mußte uns kommandieren. Das ging bis 20 Uhr, dann wurden die meisten nach Hause gelassen. Erich Kriedel, Richard Wittwer und ich wurden mit auf das Polizeipräsidium genommen. Während Richard Wittwer nach einer Woche wieder entlassen wurde, mußte ich ein Vierteljahr dort bleiben und Erich Kriedel noch länger.” • Am 10.1.1934 wird in Grünberg Otto Lehmann verhaftet. Das Gericht verurteilt ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und acht 40 Monaten Zuchthaus. Nach Ausbruch des Krieges wird er zum Strafbataillon 999 eingezogen. • Am gleichen Tag verhaftet die Gestapo den Kommunisten Alfred Seifert und inhaftiert ihn im Schutzhaftlager Hohnstein. Bei der Auflösung des Lagers wird er in dem Dresdner Untersuchungsgefängnis "Mathilde" inhaftiert. • Wegen des Verdachtes der illegalen Tätigkeit für die KPD wird Georg Wehner, Radeberg, in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Trotz vieler Verhöre kann kein Beweis dafür erbracht werden. Auch nicht bei der erneuten Festnahme am 11.1.1937. Ein Gericht verurteilt ihn 1942 zu sechs Jahren Zuchthaus. Im April 1945 befreien ihn die vorrückenden Truppen der USArmee aus dem Zuchthaus Waldheim. Im Schutzhaftlager Hohnstein - Bildmitte dritter von links: Georg Wehner • Der Musiker Herbert Hache, Mitglied der KPD, wird in seiner Wohnung in Fischbach verhaftet. Im Rathaus Radeberg vernimmt und mißhandelt ihn der "NS-Kriminalrat" Stalling. Herbert Hache wird im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. • Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Mitglieder der SPD am 6.3.1934 wegen des Versuches, ihre Parteiorganisation aufrecht zu erhalten: Johannes Brückner, Vorsitzender der SPD in Radeberg und Leiter der Abwehrorganisation "Eiserne Front", zu einem Jahr Zuchthaus, Karl Schaar, Vorsitzender des Reichsbanners in Radeberg, zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis, 41 • • • • Georg Völkel aus Schönborn zu einem Jahr Gefängnis und den Jugendlichen Harry Brückner, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend in Radeberg, wegen Verteilung des "Kleinen Vorwärts" zu acht Monaten Gefängnis. Der Hilfsarbeiter Emil Förster und der Arbeiter Stephan Schulz, beide aus Radeberg, werden am 7.3.1934 verhaftet und in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Wegen ergebnisloser Ermittlungen müssen sie freigelassen werden. Das Sondergericht des Landes Sachsen verurteilt Arno Liebscher aus Ottendorf-Okrilla nach § 7 des Sprengstoffgesetzes zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. In Radeberg wird der Glasmacher Max Hengst verhaftet und in das KZ Sachsenburg gebracht. Trotz ergebnisloser Ermittlungen kommt es zur Anklage. Die 12. Große Strafkammer verurteilt den Bürger Georg Kutzner zu neun Monaten Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, in Radeberg eine Widerstandsgruppe unterstützt und kommunistische Beitragsmarken und Zeitungen gekauft zu haben. • Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 6.9.1934 Willy Goeder und 15 Kommunisten wegen Sprengstoffvergehens zu folgenden hohen Zuchthausstrafen: Anstreicher Willy Goeder, Radeberg Glasmacher Franz Zelinka, Radeberg Glasarbeiter Paul Lehmann, Radeberg Glasmacher Bruno Hampel, Radeberg Kristallschleifer Walter Herrmann, Radeberg Bauarbeiter Willi Noack, Ottendorf-Okrilla Steinarbeiter Josef Einhellinger, Königsbrück Arbeiter Hans Wächtler, Radeberg Glasmacher Friedrich Seifert, Radeberg Bauarbeiter Oskar Costrau, Radeberg Färber Carl Vetters, Radeberg Maschinenformer Walter Opitz, Ullersdorf Ofenformer Paul Preller, Königsbrück Arbeiter Bruno Mai, Wallroda Glasarbeiter Wilhelm Magiera, Ottendorf-O. 15 Jahre 2 Jahre 2 Jahre 2½ Jahre 2 Jahre 2½ Jahre 3½ Jahre 2½ Jahre 3 Jahre 3 Jahre 2½ Jahre 2 Jahre 5 Jahre 1½ Jahre 2 Jahre Der Glasarbeiter Friedrich Seifert stirbt am 18.3.1935 im Zusammenhang mit den Verhören und den Haftbedingungen im Zuchthaus. 42 Auszug aus dem Urteil 43 • Das Oberlandesgericht verurteilt den Kommunisten Rudolf Steinert aus Schönborn zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus. • Das Oberlandesgericht verurteilt am 9.11.1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat, weil sie in Radeberg und Umgebung Widerstandsgruppen aufrecht erhalten und antifaschistische Druckschriften verteilt haben: Arbeiter Josef Dziacka, Großerkmannsdorf Glasmacherwitwe Helene Edelmann, Radeberg Arbeiter Edmund Gräubig, Radeberg Arbeiter Ewald Henker, Großerkmannsdorf Arbeiter Richard Henker, Großerkmannsdorf Händler Erich Hochmuth, Radeberg Glasschleifer Franz Kleinert, Radeberg Arbeiter Georg Kostirka, Radeberg Glasarbeiter Alfred Lehmann, Radeberg Schlosser Oskar Matulla, Radeberg Glasbieger Erich Menschner, Radeberg Maschinenschlosser Erich Meyer, Grünberg Former Walter Pietsch, Radeberg Metallschleifer Erich Schneider, Radeberg Werkzeugmacher Walter Simmchen, Wallroda Schneidergehilfe Erwin Stein, Lomnitz Arbeiter Erich Steinert, Radeberg Die Strafen liegen zwischen eineinhalb und drei Jahren Zuchthaus. • Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt nach § 7 des Sprengstoffgesetzes aus Ottendorf-Okrilla Willi Oswald zu einem Jahr und sechs Monaten und Kurt Grafe zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus. • Im Januar 1937 fällt im Kampf gegen das Franco-Regime der Kommunist Rudolf Hable aus Radeburg als Angehöriger der Internationalen Brigaden bei Hueska in Spanien. • Am 11.1.1937 verurteilt das Oberlandesgericht den Radeberger Schlosser Albert Zumpe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafe wird er am 19.4.1939 auf Anordnung der Gestapo weiter im Polizeigefängnis Dresden festgehalten. Schließlich wird er in das Strafbataillon 999 eingezogen. Im Krieg wird er verwundet, er überlebt. 44 Entlassungsschein von Albert Zumpe 45 Bei ihren Machtansprüchen machte die NSDAP auch vor der Kirche nicht halt. Schon vor 1933 wurden die "Deutschen Christen" gegründet. In dieser NSVereinigung waren Angehörige verschiedener Konfessionen vertreten. Wichtig war nur, daß sie dem Nationalsozialismus treu ergeben waren. Aus einer Chronik der Gemeinde Ottendorf-Okrilla ist zu erfahren, daß sich am 8. November 1933 eine Ortsgruppe der "Deutschen Christen" gebildet hatte. Weiter heißt es: "Nach Anordnung des im Jahre 1933 neu gebildeten Landeskirchenamtes, dessen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei angehörten, hatte die Mehrheit im Kirchenvorstand aus Nationalsozialisten zu bestehen." Für den 23. Juli 1933 verlangte Hitler Kirchenwahlen mit dem Ziel, dadurch den Einfluß der "Deutschen Christen" zu verstärken. Bekenntnistreue Pfarrer waren mit dieser Entwicklung nicht einverstanden und gründeten im November 1933 einen Notbund, der im Dezember 1933 die "Deutschen Christen" eindeutig ablehnte. Daraufhin kam es zu Verhaftungen von bekennenden Pfarrern. Viele von ihnen gingen den Weg in Gefängnisse, Zuchthäuser oder Konzentrationslager.. Am 8. März 1936 wurde in Leipzig der "Lutherische Rat" gegründet. Er hatte das Ziel, mit dem Zusammenschluß aller bekennenden Kirchen eine Abwehrfront gegen die "Deutschen Christen" zu bilden. • Über das Schicksal eines bekennenden Pfarrers - des Großerkmannsdorfer Pastors Kläss - berichtet der Ortschronist von Kleinwolmsdorf, Herr Otto Wittich, u.a.: Im Januar 1938 erhielt der jung verheiratete Pastor ein Schreiben des Landeskirchenamtes der 'Deutschen Christen': Herrn Pastor Rudolf Kläss Großerkmannsdorf über Radeberg 27.1.1938 Nachdem Sie in dem von Ihnen unterzeichneten Schreiben vom 17. Januar 1938 ausdrücklich erklärt haben, die von Herrn Reichs- und Preußischen Minister für kirchliche Angelegenheiten berufene und durch die 1. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937 (Kirchl. GVBI. S. 151) bestätigte Kirchenleitung nicht anzuerkennen und Sie demzufolge auch der Aufforderung, zur Ihrer Vernehmung im Landeskirchenamt zu erscheinen, nicht Folge geleistet haben, sehe ich mich gezwungen, die Ihnen bereits mit Schreiben vom 12. Januar 1938 angekündigte Maßnahme durchzuführen und Sie mit sofortiger Wirkung aus dem landeskirchlichen Vorbereitungsdienst abzuberufen. Auf Ihre weitere Tätigkeit im Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen wird solange verzichtet, als Sie die von Ihnen eingenommene Haltung nicht aufgeben und die Weisungen der Kirchenleitung befolgen. 46 Die Räumung der Ihnen zur Verfügung gestellten Amtswohnung ist zu beschleunigen, auf einer sofortigen Räumung soll solange nicht bestanden werden, als dadurch die Erledigung der Amtsgeschäfte durch die neue abzuordnende Hilfskraft nicht erschwert wird. i.V. Liebsch ausgefertigt: Dresden, am 27. Januar 1938, gez. Thomann, K-Inspektor Warum hatte sich der junge Pastor den Anordnungen der Kirchenleitung widersetzt? Aus ihrer Erinnerung gab seine Frau dem Chronisten Auskunft: Die 'Deutschen Christen', kurz DC genannt, brachten schon Mitte der 30er Jahre eine nach den Maßstäben der NS-Ideologie "gereinigte Bibel" heraus. Das Alte Testament war als "Judenbuch" weggelassen, im Neuen Testament Christus als arischer Heroe dargestellt. Superintendent Klotsche, als "Revolverklotsche" bekannt, kam in SA-Uniform und mit Pistole ins Landeskirchenamt. Der DC-Landesbischof Friedrich Cohn hatte wahrlich keinen guten Ruf. Anfang 1935 war es in der Landeskirche zu Verhaftungen bekenntnistreuer Pfarrer gekommen, weil sie die Wahrheit gepredigt, sich für bedrängte Menschen eingesetzt hatten und sich als Seelsorger vieler Verhafteter und deren Angehörigen annahmen. Um äußerer Vorteile willen wollten Pfarrer Kläss und seine Frau ihren Glauben nicht verleugnen. Eine Laienabordnung unter Führung Hugo Schäfers wurde im Landeskirchenamt vorstellig, um die Entlassung von Pfarrer Kläss rückgängig zu machen. Doch sie erreichten nichts, obwohl die ganze Kirchgemeinde, das ganze Dorf, bis auf fünf fanatische NSDAP-Leute, hinter dem Pfarrer standen. Die Arbeit ging dennoch weiter als ob nichts geschehen sei: Unterricht, Besuche, Bibelstunden, Gottesdienst, Junge Gemeinde, Kasualien usw. Bis Himmelfahrt ging das so, dann verschloß man ihnen die Kirchentür. Die Maulund Klauenseuche solle nicht verbreitet werden, hieß es, aber alle anderen Veranstaltungen, wie Kino, Versammlungen oder Schule liefen ungehindert weiter. Wovon lebte Familie Kläss ohne Gehalt? Besucher der Bibelstunden oder des Frauendienstes drückten ihnen beim Verabschieden Geld in die Hand. Die Nudelfabrik schickte eine Tüte mit 10 Pfd. Nudeln, Bauern brachten Brote, Eier, Butter, Wurst, Speck oder auch vom Schlachtfest fertiges Mittagessen. Arme Leute brachten ein Glas selbstgemachte Marmelade und ein 50-Pfennig-Stück darauf. Nachdem sich ein DC-Pfarrer gefunden hatte, mußte Familie Kläss das Pfarrhaus räumen. Also ging man mit dem acht Monate alten Kind ins "Exil", in das Auszugshaus des Bauern Arthur König in Kleinwolmsdorf Nr. 7. Dieser Auszug wurde zu einem einzigen Bekenntnis. Jetzt, in der Heuernte, stellten 47 die Großerkmannsdorfer Bauern Wagen und Gespanne, und Frauen vom Frauendienst halfen beim Packen und Verladen. Als der DC-Pfarrer seine Tätigkeit aufgenommen hatte und Pfarrer Kläss das Gotteshaus nicht mehr betreten durfte, beschränkte er sich zwangsläufig auf seine Wohnung. Hier war jeden Abend und auch sonntag nachmittags die Stube voll. Dorthin geschickte Spitzel hatten viel aufzuschreiben. Nun übertrug die Bekennende Kirche Pfarrer Kläss die Aufgabe, katechetische Kurse für Laien zu halten, anfangs in Dresden, dann auch in Radeberg. Überall mußte er einspringen, denn er hatte ein Motorrad. Mit Ausbruch des Krieges häuften sich die Vertretungen. Oft predigte er in Großnaundorf und Lomnitz. Und hier, in fremden Orten, erkannte er oft Besucher aus seinen alten Gemeinden. Obwohl sie sonst nach Radeberg zum Gottesdienst gingen, scheuten sie auch den weiteren Weg nicht. Zum Erntedankfest 1939 predigte Pfarrer Kläss in Radeberg. Auch am Ewigkeitssonntag sollte er wieder hier predigen. Diese Niederlage wollten sich die ‘Deutschen Christen’ nicht noch einmal einhandeln, und so wurde Pastor Kläss am Freitag zuvor zur Wehrmacht einberufen. Während des Rückzuges der Wehrmacht fiel Pastor Kläss am 7.2.1945 in Kroatien. • Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 17.11.1938 weitere meist Radeberger Antifaschisten: Johannes Kutzera 10 Jahre Zuchthaus Helmut Köbbel 5 Jahre Zuchthaus Martin Hommel 1½ Jahre Zuchthaus Karl Otto 1 Jahr Gefängnis Erich Gräfe 1 Jahr Gefängnis • Die in diesem Prozeß ebenfalls Angeklagten Hustig und Weber konnten nicht verurteilt werden. Nach Angaben der Polizei hatten sie im Gefängnis Selbstmord begangen. • Der Kommunist Samuel Steinfeld aus Weixdorf war wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD 1933 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. 1940 wird er aus gleichem Grunde und wegen seiner jüdischen Abstammung erneut verhaftet. Über die Konzentrationslager Radom, Maidanek, Tschenstochau kommt er nach Buchenwald, wo er die Befreiung erlebt. • Das Oberlandesgericht Dresden verurteilt den Kommunisten Paul Schmidt aus Weixdorf wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf dieser Strafzeit bleibt er weiter in den Konzentrationslagern Buchenwald, Natzweiler und Dachau. Dort befreien ihn am 27.4.1945 Truppen der Alliierten. • Albin Lehmann aus Radeberg wird noch am 28. April 1944 wegen Abhörens deutschsprachiger Nachrichten der Sender Moskau, London und Beromünster zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Willen seiner Richter sollte er mindestens bis 31.1.1947 inhaftiert bleiben. 48 Mitteilung in der Strafsache gegen Albin Lehmann vom Landrat zu Dresden an den Bürgermeister von Radeberg 49 • Der Oberreichsanwalt beim "Volksgerichtshof" klagt 1944 den Drehergehilfen Willi Burkhardt, den Maschinenarbeiter Friedrich Müller und den Dreher Paul Schölzel, alle aus Radeberg, an. Da beim Bombenangriff auf Dresden das Gerichtsgebäude stark beschädigt worden war und bis dahin noch keine Gerichtsverhandlung stattgefunden hatte, kommt es bis zu ihrer Befreiung am 8. Mai 1945 zu keiner Verhandlung mehr. Die Motive dieser und vieler Menschen, die die NS-Politik ablehnten oder sich der NS-Politik widersetzten, waren ebenso unterschiedlich, wie ihre Lebenserfahrungen, ihre Herkunft, ihre Weltanschauung, ihr Alter und ihre Persönlichkeitsstruktur. Sie dachten und handelten antifaschistisch, weil die Nationalsozialisten die Demokratie mit Füßen traten, einen nie dagewesenen Terror ausübten und alle Andersdenkenden mit dem Tode bedrohten, Rassenhaß, Nationalismus und Chauvinismus zur Staatspolitik erhoben, Gewalt verherrlichten und ausübten, den Krieg systematisch vorbereiteten und 1939 begannen. Für alle diese Menschen war der deutsche Faschismus mit Redlichkeit, Moral, Anstand, Menschenwürde und Menschenrecht nicht zu vereinbaren. Sie sahen im Faschismus eine tödliche Gefahr für Deutschland und seine Nachbarn. Deshalb handelten sie antifaschistisch. Es war ihre Tragödie, daß sie nicht zum gemeinsamen Handeln fanden. Das gilt besonders für die Antifaschisten in politischen Parteien. So fanden trotz der immer deutlicher heraufziehenden Gefahr einer NS-Diktatur in Deutschland und trotz partieller Zusammenarbeit an der Basis die starken antifaschistischen Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und in der Kommunistischen Partei Deutschlands keinen Grundkonsens zur Abwehr dieser tödlichen Gefahr. Anstatt gemeinsam antifaschistisch zu handeln, betonten sie die Unterschiede in ihren Auffassungen und schwächten sich mit gegenseitigen Vorwürfen. Der brutale Terror gegen alle Antifaschisten war die blutige Quittung dafür. Die Völker Europas, auch das deutsche Volk, mußten mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte durchleben. 50 II. Der Terror gegen die Juden Zum Antisemitismus in der NS-Rassenideologie Antisemitismus (Judenhaß und Judenverfolgung) existiert seit Jahrhunderten. Er war stets ein Mittel der Herrschenden, von den Ursachen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme abzulenken. Juden wurden zu "Sündenböcken" abgestempelt, weil deren Vertreibung oder Auslöschung die Voraussetzung für einen Wandel zum Besseren sei. Eine Welle des Antisemitismus entwickelte sich in Deutschland besonders nach der militärischen Niederlage des Kaiserreiches im 1. Weltkrieg 1918. Die patriotisch-völkischen Rechten erfanden die "Dolchstoßlegende". Sie behaupteten, die Novemberrevolution von 1918 sei eine jüdisch-sozialistische Verschwörung gewesen, die der siegreichen deutschen Armee in den Rücken gefallen sei. Dieser angebliche Dolchstoß in den Rücken der tapferen deutschen Frontsoldaten sei Ursache für die deutsche Niederlage. Der Antisemitismus verband sich mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Weimarer Republik, die als Judenrepublik diffamiert wurde. Dadurch erhielt diese hemmungslose Judenhetze ihre politische Brisanz. Die 1920 gegründete NSDAP verdichtete den Antisemitismus der patriotischvölkischen Kräfte, verbrämte ihn pseudowissenschaftlich mit ihrer Rassentheorie und radikalisierte ihn. Die NS-Ideologie reduzierte die weltpolitische Entwicklung auf einen immerwährenden Rassenkampf. Ihrem Idealtyp des Ariers stellte sie den Juden als Gegenrasse, als Negativtyp und unversöhnlichen Feind entgegen. Zur Untermauerung dieser Auffassungen verbreitete die NS-Propaganda das gesamte antisemitische Schriftgut von Dr. Martin Luther, Hofprediger Stoecker, Friedrich Nietzsche, Richard Wagner u.a. Der Landesbischof der ev.luth.Kirche, Martin Sasse, publizierte eine Broschüre mit dem Titel: "Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen" (Sturmheit-Verlag Erfurt). NS-konform verhielt sich auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Adolf Bertram (Breslau), der besonders auf die Einhaltung des Artikels 29 des Staatsvertrages zwischen dem Heiligen Stuhl (Vatikan) und der Deutschen Reichsregierung (1933) Wert legte. Dieser Artikel klammerte eine Schutzfunktion der Katholiken für nicht "deutschblütige" Menschen (Juden, Sinti und Roma o.a.) aus. Kardinal Bertram setze sich übrigens auch für das "Gebet für den Führer" in den Schulen ein und erließ die Verordnung, daß es zulässig ist, zum Empfang der Heiligen Sakramente in der Uniform der Hitlerjugend zu erscheinen. 51 Der NS-Terror gegen die jüdischen Bürger beginnt Wenige Wochen nach der NS-Machtergreifung begann der Terror. Das geschah nahezu zeitgleich mit der Ausschaltung der Linksparteien, der Inhaftierung Zehntausender ihrer Mitglieder, der Zerschlagung und des Verbots der Gewerkschaften und ihrer Unterorganisationen sowie der Aneignung deren gesamten Eigentums. Am 28.3.1933 bildete die zentrale Leitung der NSDAP ein Zentralkomitee zur Organisierung eines totalen Boykotts der Juden in Deutschland. "Zur Abwehr der jüdischen Greuelhetze gegen das neue Deutschland" - so wurde verlogen behauptet - rief die NSDAP am 29.3.1933 in ihrem Zentralblatt "Völkischer Beobachter", an allen Litfaßsäulen und mit einer Flut von Flugblättern die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Ab 1. April 1933 postierten sich SA und HJ vor den jüdischen Geschäften und beschmierten sie mit Parolen: "Kein Deutscher kauft bei Juden" oder "Achtung Lebensgefahr" oder "Juda verrecke" oder einfach "Jude" und terrorisierten Kunden, Klienten oder Patienten. Am 4.4.1933 wurde der Boykott zwar für beendet erklärt, es folgte aber eine Flut von Gesetzen und Verordnungen, die nun die staatliche organisierte Verfolgung der Juden einleitete. Bereits im Gesetz über das Berufsbeamtentum vom 7.4.1933 tauchte ein "Arierparagraph" auf, der noch im gleichen Jahr Bestandteil weiterer Gesetze und Verordnungen wurde. Danach mußten Juden als Beamte, aus staatlichen Einrichtungen und Institutionen, einschließlich Hochschulen ausscheiden und wurden aus künstlerischen Einrichtungen, der Presse und dem Verlagswesen vertrieben. Der Reichsparteitag der NSDAP am 15.9.1935 in Nürnberg wurde mit den von Adolf Hitler begründeten und vom Deutschen Reichstag einstimmig beschlossenen Gesetzen zum "Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" und dem "Reichsbürgergesetz" abgeschlossen. (Nürnberger Gesetze, siehe Seite 53) Mit der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 und dem darauf folgenden Runderlaß des Reichsminister des Inneren vom 26.11.1935 wurde definiert, wer als Jude oder Mischling 1. und 2. Grades zu gelten hatte. Da es objektiv keinen Unterschied zwischen "deutschem oder artverwandtem Blut" und der "jüdischen Rasse" gibt, griffen die Behörden entgegen der verlogenen NSRassenlehre auf die Zugehörigkeit zur mosaischen Religion bis zu den Großeltern zurück, unabhängig davon, ob die Nachfahren einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft angehörten. Mit diesen Gesetzen wurden die deutschen Juden diffamiert und ihrer elementaren Bürgerrechte beraubt. 52 Ein eigens zur Herabsetzung und Verleumdung der Juden geschaffenes Organ der NS-Rassenpropaganda war die von NSDAP-Gauleiter Julius Streicher herausgegebene Zeitung "Der Stürmer". Sie wurde überall in Schaukästen veröffentlicht und heizte den Haß gegen die "jüdischen Weltverschwörer" immer weiter an. Die Vertreibung Die NS-Regierung hatte das Ziel, möglichst viele Juden aus Deutschland und dem inzwischen annektierten Österreich zu vertreiben, ohne daß sie nennenswertes Vermögen mitnehmen konnten. Diesem Zweck diente die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden" vom 26.4.1938. 53 Als besonders infame Maßnahme zum Boykott jüdischer Gewerbetreibender setzte die NSDAP-Ortsgruppe Radeberg den Fotoschaukasten am Radeberger Rathaus als Pranger ein. Dazu schreibt der Radeberger Gottfried Beier in seinen Erinnerungen: "Mit Hochachtung wollen wir der mutigen Frauen gedenken, die trotz des Boykott-Aufrufes bis zur gewaltsamen Schließung jüdischer Läden dort einkauften. Um diese Radebergerinnen zu ängstigen und zu demütigen, wurden sie fotografiert." Die gleiche Erfahrung machte Erich Förster aus Wachau: "Ich hatte gerade ausgelernt und wollte mir einen Anzug kaufen. Im Wissen um den Aberglauben jüdischer Geschäftsinhaber, den ersten Kunden Montag früh auch um den Preis eines finanziellen Verlustes nicht ohne Ware gehen zu lassen, ging ich zu TextilZeimann und kaufte dort. Am Nachmittag kam mein Lehrmeister und gab mir eine schallende Ohrfeige mit der Bemerkung: 'Ich laß mir nicht von Dir das Geschäft versauen'. Inzwischen hatte man ihm mein Foto im Schaukasten am Radeberger Rathaus gezeigt. Ein SA-Mann hatte mich fotografiert und dieses Foto unter der Überschrift 'Sie kauften beim Juden' ausgehängt" (Erlebnisbericht 1985). 54 In der Statistik des Deutschen Reiches wird unter der Überschrift "Die Glaubensjuden im Deutschen Reich" für den Amtsbezirk Radeberg die Zahl der religiös gebundenen jüdischen Mitbürger mit neun (drei männlich, sechs weiblich) angegeben. Mit der hemmungslosen Judenhetze und dem seit 1933 anhaltenden Boykott gegenüber den seit Jahrzehnten in Radeberg ansässigen jüdischen Gewerbetreibenden, wie der Konfektionsfirma Lederer (Hauptstraße), Schuhhaus Baum (Hauptstraße), Trikotagen-Miederwaren Lingner (Hauptstraße), Textilgeschäft Zeimann (Hauptstraße), trieben die NS-Machthaber diese Mitbürger finanziell und moralisch in den Ruin. Sie konnten dem Druck nicht mehr standhalten, gaben ihre Geschäfte und Immobilien auf und verließen die Stadt. Da die jüdische Firma Ikenberg dem Terror noch widerstand und die Stadt nicht verlassen wollte, demolierte der von SA-Leuten aufgeputschte Mob dieses jüdische Warenhaus in der Hauptstraße, Ecke Schulstraße. Das war auch für diese Familie das Ende in Radeberg. Am 13.8.1938 war in der "Radeberger Zeitung" folgende Großanzeige zu lesen: Durch diesen gebündelten antisemitischen Terror war die Wirtschaft von Radeberg nun "judenfrei". 55 Die NS-Reichskristallnacht Aus Protest gegen die Verfolgung der Juden und aus Verzweiflung über die Vertreibung seiner Verwandten aus Deutschland erschoß am 8.11.1938 der 17jährige Herschel Grynszpan den deutschen Diplomaten E. vom Rath. Nun begannen die Nationalsozialisten in ganz Deutschland staatlich organisierte Judenpogrome, bei denen sich die SA besonders hervortat. Diese sogenannte "Reichskristallnacht" dauerte bis zum 11. November 1938. Im gesamten Reichsgebiet wurden 7.000 jüdische Warenhäuser und Einzelhandelsgeschäfte völlig demoliert und größtenteils ausgeplündert. Die Inhaber und deren Familien wurden mißhandelt und jeglicher menschlicher Würde beraubt. Nach offiziellen Angaben fanden dabei 91 jüdische Personen den Tod. 276 Synagogen und jüdische Bethäuser gingen in Flammen auf, darunter die von Gottfried Semper errichtete Dresdner Synagoge. Auf Anweisung der Gestapo mußten die Feuerwehren den Bränden tatenlos zusehen. Schon während dieser Pogrome verhafteten die Nationalsozialisten 22.000 jüdische Bürger und wiesen sie in Konzentrationslager ein. Die bis dahin in jüdischem Besitz verbliebenen Geschäfte und Immobilien wurden "arisiert", das heißt, Arier eigneten sich diese an. Dieses Schicksal widerfuhr auch der Familie Carl Schönwald in der benachbarten Stadt Großröhrsdorf. Dr. E. Körner schreibt dazu: "In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zogen einige Mitglieder der NSDAP vor die Schaufenster der Schönwalds, schlugen die Scheiben ein, demolierten Auslagen und Inventar und grölten antisemitische Losungen. Eine Hauswand wurde derart beschmiert, daß die Haßtiraden noch in den siebziger Jahren erkennbar waren. In diesen Stunden trieben die faschistischen Herrscher auch die Familie Schönwald in ein furchtbares Schicksal." Am 13. November 1938 hielt NS-Reichspropagandaminister Dr. Goebbels eine Rede, in der er die schrecklichen Pogrome lobte und den Judenhaß weiter anheizte. Darüber berichtete die "Radeberger Zeitung und Tageblatt" am 14.11.38 (siehe Seite 57). Gleichzeitig rechtfertigte Goebbels die am Vortage erlassenen Verordnungen der NS-Reichsregierung (siehe Seite 58) zur weiteren Terrorisierung und Entrechtung der Juden. Die Endlösung Schon vor den Pogromen von 1938 verschärfte die NSDAP den Terror gegen die jüdische Bevölkerung ständig. Juden wurde untersagt, ein Gewerbe oder ein selbständiges Handwerk zu betreiben. Jüdische Kinder durften deutsche Schulen nicht mehr besuchen, hilfsbedürftigen Juden wurde die öffentliche Fürsorgezahlung entzogen. Juden durften nur noch in bestimmten Häusern wohnen 56 “Radeberger Zeitung und Tageblatt” vom 14.11.1938 Bestandsaufnahme: Erst Hetze und Boykott, dann “arisiert”, dann Auschwitz. 57 58 und ihr Wohngebiet nur mit Erlaubnis der Polizei verlassen. Der Besuch jeglicher Kultur- und Sportveranstaltungen und der Freibäder wurde ihnen verboten. Juden wurde untersagt, bestimmte Straßen, Plätze, Anlagen und Gebäude zu betreten und Haustiere zu halten. Ihre Führerscheine wurden eingezogen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde über die Juden eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Vom Frühjahr 1941 an verschlechterte sich innerhalb weniger Monate die Situation der völlig rechtlos gewordenen Juden dramatisch und wurde hoffnungslos. Juden ab dem 6. Lebensjahr wurden gezwungen, an der Oberbekleidung sichtbar den gelben Judenstern zu tragen. Wenig später mußten sie auch ihre Wohnungen mit dem Judenstern kennzeichnen. Zwischen dem 20.7.1941 und dem 13.11.1944 wurden 108 neue Verordnungen und Erlasse zur Terrorisierung der deutschen Juden verhängt. Es ist unvorstellbar, wie der Alltag in den jüdischen Familien aussah, abgeschnitten von jeglicher Kommunikation und kaum noch das Allernotwendigste zum Leben zur Verfügung. Rucksack oder Koffer standen griffbereit. Sie warteten nur noch auf ihre Deportation. Die Zahl der Selbsttötungen stieg. Die NS-Regierung unterband nunmehr die Auswanderung von Juden aus Deutschland. Bald danach begannen die systematischen Deportationen in jüdische Gettos in die von der deutschen Wehrmacht besetzten Ostgebiete, z.B. in Lodz, Minsk, Riga, Lublin und Theresienstadt. Gettos waren von der Außenwelt völlig abgeriegelte Stadtteile, in die ausschließlich Juden eingesperrt wurden. In das Getto in Lodz waren 170.000 Juden eingepfercht. Sie erhielten Hungerrationen. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Alle Arbeitsfähigen mußten Aufträge der deutschen Wehrmacht erfüllen. Von Mai 1940 bis August 1944 starben im Getto Lodz mehr als 43.000 Deportierte, die Mehrzahl aus Deutschland. Im Januar 1942 fiel die Entscheidung über die "Endlösung" der Judenfrage durch ihre systematische physische Vernichtung. Nun rollten die Deportationszüge auch von Dresden direkt in die Vernichtungslager Auschwitz oder Theresienstadt. Es ist schwer, Spuren der einstmals in Radeberg lebenden Juden zu finden. Frau Berta Lederer wanderte 1934 nach der CSR aus. 1935 folgte ihre Schwester Charlotte Baum und deren Ehemann Ernst Baum. Sie lebten in Prag, konnten aber ihrem Schicksal nicht entgehen. Frau Baum wurde 1941 in das Getto Lodz deportiert, ihre Schwester Berta Lederer kam 1942 nach Theresienstadt. In welchem Lager sie umkam, ist unbekannt. Die Eheleute Ikenberg fanden nach ihrer Vertreibung aus Radeberg Zuflucht in Dresden. Von dort wurden sie am 1.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 27.9.1942 bzw. am 7.1.1943 umkamen. Unbekannt ist das Schicksal der anderen ehemals in Radeberg lebenden jüdischen Bürger. 59 Die ehemalige österreichische Festungsstadt Theresienstadt war mit Erlaß des Reichssicherungshauptamtes (RSHA) vom 21.5.1942 als “Altersghetto” für über 65jährige Juden definiert. Mit Täuschung und Ausplünderung anhand der sogenannten “Heimeinkaufsverträge” wurde diesem Personenkreis “Betreuung und Pflege” versprochen. Insgesamt wurden 141.000 Juden nach Theresienstadt (Terezin) deportiert. Theresienstadt war eine Durchgangsstation für die Vernichtungslager im Baltikum, Polen und Weißrußland (insgesamt dorthin deportiert ca. 88.000 Menschen). In Theresienstadt starben 33.500 Menschen. Mit der Errichtung von Gettos und Vernichtungslagern im Machtbereich der deutschen Wehrmacht praktizierten die Nationalsozialisten bis zu ihrer Niederwerfung 1945 die von Beginn an geplante Endlösung der Judenfrage. In diesem in der Geschichte der Menschheit einmaligen Holocaust ermordete das NS-Regime über sechs Millionen Juden. Unmittelbar war daran eine Minderheit der Deutschen beteiligt, aber die Mehrheit der Deutschen sah tatenlos zu. Bundespräsident Roman Herzog am 9.11.1998: "Über 4000 Deutsche werden heute in YAD-VASHEM als Judenretter geehrt. Um so mehr haben wir alle die tägliche Pflicht, für Verhältnisse in unserem Land zu sorgen, in denen niemand ein Held sein muß, um ein guter, ein anständiger Mensch zu sein." Nach dem Ende des Krieges beschäftigte den Radeberger Maler und Grafiker Martin Lehnert aus seiner christlichen Verantwortung der millionenfache Mord an Juden in Hitlerdeutschland zutiefst. Nach intensiven Recherchen und tiefgehender geistiger und emotionaler Auseinandersetzung drückte er seine Haltung, seine Gedanken und seine Gefühle zum Holocaust in einem Zyklus von 12 Grafiken aus. Wir sind dankbar, daß wir diese Werke und die Gedanken des Radeberger Künstlers dazu mit seiner freundlichen Genehmigung der Öffentlichkeit vorstellen können. 60 BILDER GEGEN DAS VERGESSEN VERFOLGUNG DER JUDEN 1933-1945 12 grafische blätter von martin lehnert, radeberg Ihre Schreie verhallten im Nichts Wie konnte es geschehen, daß 1938 die Synagogen brannten? Weil man das Denken und das Moralempfinden anderen überließ. 62 Wohin in dieser Welt? Die Weltbevölkerung zu jener Zeit hat nicht begriffen, daß das Tragen des gelben Sterns bereits ein Todeszeichen war. 63 Hommage à David Rubinowicz Zwei jüdische Kinder schreiben Tagebuch während der Verfolgungszeit: Anne Frank und David Rubinowicz. David Rubinowicz kam in Treblinka um. 64 Nacht über Babi Jar. Bei Kiew wurden etwa 40.000 Juden erschossen und verscharrt. 65 Sie nannten es Selektion. Es gab in den Konzentrationslagern nur diese Möglichkeiten: Vernichtung durch Arbeit oder Vernichtung durch Gas. 66 Ein Traum: Psalm 55, 5-8 David wurde durch Saul verfolgt. Die Gefahr spiegelt sich im Psalm 55: 5. Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe, und des Todes Furcht ist auf mich gefallen. 6. Furcht und Zittern ist mir angekommen und Grauen hat mich überfallen. 7. Ich sprach: O hätt ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge und bliebe! 8. Siehe, so wollte ich ferne wegfliegen und in der Wüste bleiben. Ob nicht vielen hinter Stacheldraht ähnliche Gedanken kamen? 67 Im Getto. Wie gehetzte Tiere kapitulierten die Opfer vor dem Vernichtungswahn. Sie fanden keinen Ausweg. 68 Wo sind die Schuldigen? 1945: Der furchtbare Terror war vorüber. Die Überlebenden und Geschundenen verlangten nach Gerechtigkeit. Aber wo und wie? 69 Hoffnung kommt und geht. Das Bild zeigt Licht und Schatten. Gutes und Böses begegnen sich in unserer Welt. Wir müssen uns entscheiden. 70 Der Geist der Tiefe regt sich. Das furchtbare Töten war zu Ende. Es hinterließ ein Meer von Tränen. Müssen bald neue Tränen fließen? 71 Mißgeburten der Unterwelt. Wer steht nicht fassungslos vor den Vernichtungstaten, jeder soll sich fragen: Was ist zu tun? 72 Gefährlicher Dschungel. Sind es wieder die gleichen Schreie wie damals: »Deutschland erwache!«? 73 Holocaust Als über Deutschland die Nacht der braunen Dämonie hereinbrach, bemerkten viele Bürger jener Zeit die Finsternis viel zu spät. Zerschlagene Fensterscheiben klirrten auf dem Bürgersteig, deutsche Marschstiefel zertraten Menschen und Kulturen in Europa, der Würgegriff saß fest und unlösbar an den Kehlen von Millionen Menschen, es gab kein Entrinnen mehr. In diesem Siegesrausch fühlten sich die "Weltverbesserer" sicher und tobten sich in den heimischen und in den eroberten Regionen aus. Damit begann das größte Trauerspiel aller Zeiten. Eine Gruppe von Menschen - wie Du und Ich - wurde gezwungen, den gelben Stern an der Kleidung zu tragen. Was dann geschah, dafür gibt es keine Worte, um dieses satanische Vernichtungswerk zu beschreiben. Menschen wurden fabrikmäßig zu Asche verarbeitet. Lies bitte die 43 Buchstaben noch einmal mit Bedacht! Menschen wurden fabrikmäßig zu Asche verarbeitet. Der Tag der Ernüchterung trat ein. Die sieggewohnten Heilrufer mußten erkennen, daß sie die falschen Götter angebetet hatten. Für diese chaotische Hinterlassenschaft wurden Schuldige gesucht. Etwas Ungeheuerliches geschah, denn die größten Verwandlungskünstler traten in Erscheinung. Viele mit beschmutzten Händen und Geist kamen mit sauberer Weste ans Tageslicht. Über die Vergangenheit wurde ein wurzelkräftiger Samen gestreut, ein neues Zeitalter begann zu blühen. Diese Zeilen und die grafischen Blätter sollen zum Nachdenken anregen und uns mahnen, daß wir für die Vergangenheit und die Gegenwart Verantwortung tragen, damit über Deutschland nicht noch einmal eine dunkle Nacht hereinbricht. Januar 1997 Martin Lehnert 74 Gesichter der Juden in Auschwitz Lili Meiers Album, Berin-Kreuzberg 1995 Ankunft eines Transportzuges. Die Armstreifen kennzeichnen jüdische Ärzte im Lager. 75 Links Tante Tuba, die Schwester von Lili Jacobs Vater, mit vier ihrer fünf Kinder. Alle umgekommen. Noch einsatzfähige Männer. 76 III. NS-Euthanasiemorde - auch in unserer Heimat Euthanasie bedeutet im medizinischen Sinne die Pflicht des Arztes und seiner Mitarbeiter, auch einem Sterbenden jede mögliche ärztliche Hilfe zu gewähren und so sein Sterben zu erleichtern. In der NS-Diktatur wurde dieser Begriff verbrecherisch mißbraucht, um die Morde an hilfsbedürftigen Menschen zu umschreiben, zu vollziehen und zu vertuschen. Die NSDAP berief sich dabei auf eine 1920 von dem Juristen Binding und dem Mediziner Hoche veröffentlichte Schrift: "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens." Mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ordneten die NSBarbaren, juristisch verbrämt, die zwangsweise Sterilisation Hunderttausender an. Im Gesetz wurden zahlreiche medizinisch genau definierte angeborene und durch Krankheit erworbene Folgezustände benannt, die zur zwangsweisen Sterilisation der Betroffenen führten. Ein Schreiben aus Hitlers Büro sollte als "Führerbefehl" die zehntausendfache Ermordung Behinderter durch Gas, Medikamente oder fehlerhafte Pflege rechtfertigen. Am 1.9.1939 schrieb Hitler: "Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentod gewährt werden kann." In der Tiergartenstraße 4 in Berlin wurde ein Organisationsnetz etabliert, das den praktischen Ablauf der Massenmorde bis in die kleinsten Details regelte. In den Heil- und Pflegeeinrichtungen begutachteten ausgewählte Ärzte die Behinderten dreimal. Es geschah, was Historiker später als "Selektion" bezeichneten. Ein farbig markiertes Kreuz hinter dem Namen bedeutete den Tod. Vorläufig am Leben bleiben durften nur Arbeitsfähige, deren Arbeitskraft bis zum "Endsieg" auszubeuten war. Auf dem "Sonnenstein" in Pirna, einer von vier in Deutschland betriebenen Tötungsanstalten, wurden bis 1941 mindestens 15.000 Menschen als "lebensunwertes Leben" mit Gas ermordet. In die Gaskammer auf dem "Sonnenstein" in Pirna schickten die Nazis aber auch Juden, die völlig gesund waren. Aus der Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf wurden über 2.000 Patienten in die Vernichtungsanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht. 770 Patienten kamen über einen Zwischenaufenthalt in Waldheim dorthin. Aus Großschweidnitz verlegte man über 3.200 Patienten nach Pirna. Alle wurden in der Gaskammer mit Kohlenmonoxyd getötet, ebenso der größte Teil der 1940/41 aus Zschadras verlegten 3. 515 Patienten. In einer Denkschrift über die Heil- und Pflegeanstalt der Inneren Mission Sachsen in Kleinwachau ist zu lesen: "Es war an einem Sonntag im Mai 1943, als wir alle zum letzten Mal in unserer Kapelle zusammenkamen. Die Abschiedsfeier... ging 77 uns allen sehr nahe. Nach der Feierstunde ging es hinaus auf den Hof. Dort standen schon die Autobusse..." Achtzig Kinder und viele Erwachsene wurden an diesem Tag nach der Landesheilanstalt Großschweidnitz gebracht - für die meisten ist es die letzte Fahrt; nur ein Kind hat das Grauen von Großschweidnitz überlebt. Die Nachforschungen in Großschweidnitz und Sonnenstein haben bisher ergeben, daß über 100 Euthanasieopfer aus Kleinwachau kamen. Struktur der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein 78 Damit den Angehörigen diese Morde möglichst lange verborgen bleiben sollten, erfolgte eine raffiniert ausgeklügelte Verschleierung. Die gemeinnützige Krankentransportgesellschaft "GEKRAT" transportierte die selektierten Opfer zunächst von einer Pflegeeinrichtung in die andere, ehe sie auf den "Sonnenstein" gebracht wurden. Der Transport erfolgte in Kleinbussen, deren Scheiben überstrichen oder durch Vorhänge dem Einblick entzogen waren. Kommunalverwaltungen und Standesämter gaben den Hinterbliebenen der Ermordeten Falschinformationen über die Todesursache und stellten Falschbeurkundungen aus. Dafür zwei Beispiele: Fräulein Erna Kriegel aus Löbau wurde aus Liebeskummer vorübergehend verhaltensgestört. 1934 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz eingeliefert und im gleichen Jahr gegen den Widerstand der Eltern in Ebersbach zwangsweise sterilisiert. Obwohl sich trotz dieser Tortour ihre psychische Festigkeit wiederhergestellt hatte, wurde sie unter der Fehldiagnose "Schizophrenie" wieder nach Großschweidnitz überstellt, am 7.8.1940 nach Pirna-Sonnenstein transportiert und zusammen mit 84 weiblichen und 8 männlichen Kranken in der Gaskammer umgebracht. Wochen später erhielt der Vater, Franz Kriegel, die Mitteilung, seine Tochter Erna sei in Hartheim bei Linz an Lungenentzündung gestorben. In Kummer und Leid ist Anna Frieda Lohse-Wächtler aus Dresden, eine vielseitig begabte Malerin und Textilgestalterin, die auch plastische Bildwerke schuf, erloschen. Sie hatte in der wirtschaftlich unsicheren Situation der Künstler infolge der Weltwirtschaftskrise eine schwierige materielle Lebenssituation. Konflikte mit ihrem sehr dominant-konservativen Vater, eine unglückliche Ehe und später eine Verletzung brachten diese sensible Künstlerin in eine extrem schwierige Lebenslage. In der Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf wurde eine angebliche Schizophrenie "diagnostiziert". Trotz des Widerstandes der Eltern und Angehörigen wurde im Dezember 1935 im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt an der jungen Frau die zwangsweise operative Sterilisation vorgenommen. Diese schwere, auch psychische Verletzung und die erbärmliche, weit unter dem Existenzminimum verabreichte Anstaltskost führten zum Schwund ihrer Kräfte. Am 31.7.1940, in ihrem 40. Lebensjahr, wurde Anna Frieda Lohse-Wächtler auf dem Sonnenstein Pirna im Gas umgebracht. Den Eltern wurde in einem amtlichen Schreiben mitgeteilt, die Patientin sei nach Brandenburg verlegt worden. Mit Datum vom 12.8.1940 wurde den Eltern die gefälschte Sterbeurkunde (siehe Seite 80) mit der Todesursache "Lungenentzündung, Herzmuskelschwäche" zugestellt. Mutige Einzelpersonen und Geistliche versuchten gegen diese Verbrechen anzugehen. Pfarrer Paul Gerhard Braune aus Arnsdorf schickte eine Denkschrift an Hitler, in der er darauf aufmerksam machte, daß in Arnsdorf die Anzahl der in der dortigen Landesheil- und Pflegeanstalt Verstorbenen innerhalb kurzer Zeit (1938-1940) 79 von 101 auf über 300 pro Jahr angestiegen war. Der Geistliche wurde verhaftet. Am 3.8.1941 nannte der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, in einer Predigt die Euthanasiepraxis der Nationalsozialisten Mord. Nur weil er eine international bekannte Persönlichkeit war, scheuten sich die NS-Machthaber, gegen ihn vorzugehen. Wegen fortgesetzter Proteste ordnete Hitler 1941 an, das Töten der Kranken durch Gas vorübergehend einzustellen. Statt dessen wurde der "Dämmerschlaf" praktiziert. Die Ärzte in den psychiatrischen Einrichtungen setzten nun Schlafmittel, auch Morphium und Scopolamin ein, um unruhige Kranke in Dämmerschlaf zu versetzen. Den durch 80 Mangel- und Fehlernährung ohnehin stark geschwächten Menschen wurden hohe Dosen dieser Medikamente verabreicht. Dadurch wurden die Schutzreflexe, wie Abhusten, unterdrückt, so daß schon leichte Erkältungsinfekte zu Lungenentzündung und damit zum "natürlichen" Tod führten. Dieses heimtückische Vorgehen wurde in unserer Heimat in den Einrichtungen Arnsdorf, Großschweidnitz und Waldheim praktiziert. Allein in Großschweidnitz starben bis Kriegsende 5.700 Menschen an Überdosen von Medikamenten oder der "Vitaminkur" und an den katastrophalen hygienischen Zuständen. Nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Barbarei wurden in der damaligen sowjetischen Besetzungszone die Täter, derer Polizei und Justiz habhaft werden konnten, vor dem Landgericht Sachsen angeklagt. Der Hauptangeklagte, Prof. Hermann Paul Nitsche, ist nicht nur für die Vergasung von mindestens 13.720 Menschen in der Tötungsanstalt Sonnenstein verantwortlich. Er trägt als Obergutachter und medizinischer Leiter der "Aktion T 4" in der Euthanasiezentrale Berlin auch die Verantwortung für den gesamten ab 1940 organisierten Massenmord von fast 120.000 wehrlosen Menschen in den Gaskammern. Er, der Arzt Dr. Leonhardt und die Pfleger Felfe und Gäbler wurden am 20.12.1947 zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt. Ein Krankenpfleger erhielt lebenslang Zuchthaus, weitere sieben Angeklagte Freiheitsstrafen zwischen 3 und 20 Jahren. Im jetzigen Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf erinnert eine Gedenktafel aus dem Jahre 1984 an die Opfer der faschistischen Euthanasieverbrechen. Nach 1990 wurde in Pirna das Kuratorium "Gedenkstätte Sonnenstein e.V." gegründet und eine würdige Gedenkstätte errichtet. In mühseliger Kleinarbeit werden alle noch erreichbaren Dokumente und Urkunden der Forschung zugänglich gemacht. Am 19.10.1995 wurde im Epilepsiezentrum Kleinwachau vor dem Brunnenhaus ein Denkmal eingeweiht, das an die Euthanasieopfer erinnert, geschaffen von der Bildhauerin Una Klose. 81 Im Gedenkblatt “Den Opfern der Euthanasie aus Kleinwachau” 1940-1942 wird dazu geschrieben: Nur allmählich erschließt sich in der Betrachtung des Werkes, daß es zwei Figuren sind, gebeugt die eine, in sich gekrümmt wie in hilfloser Abwehr die andere, doch untrennbar miteinander verhaftet und so die schicksalhafte Knechtschaft der Erkrankten deutlich machend. Spannungsgeladen, fast widersprüchlich aufstrebend dazu die Haltung der Beine und Füße. Diese Gegensätzlichkeit läßt uns erahnen, wie Dämon Epilepsie die Befallenen explosionsartig in eine uns verschlossene Aura reißt, ehe er sie nur wenig später mit ungeheurer Wucht zu einer konvulsiven Körpermasse verkommen läßt. 82 Frau Silke Teuerle, Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit im Epilepsiezentrum Kleinwachau, schreibt dazu: "Unser Denkmal ist den Opfern der Euthanasie gewidmet. Es ist Menschen gewidmet, die kürzere oder längere Zeit in Kleinwachau gelebt haben, deren Schicksal lange in Vergessenheit geriet. Doch solange sich niemand dieser Menschen erinnert, bleiben sie vergessen, gedemütigt und verstoßen. Wir möchten mit dem Denkmal ein Zeichen setzen und die Erinnerung nach Kleinwachau holen. Diese Bronzeplastik soll auch ein Mahnmal sein und unser Gewissen wachhalten gegenüber offensichtlichen oder versteckten geistigen und sozialen Tendenzen, die das Lebensrecht behinderter, alter, andersdenkender oder irgendwie hilfsbedürftiger Menschen in Frage stellen." IV. Die Verbrechen im "Arbeitserziehungslager" der Sachsenwerk Licht- und Kraft AG 1944 / 45 das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Radeberg Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in der Kriegsproduktion Am 13. Januar 1941 hatte Hitler die totale Mobilisierung aller materiellen und personellen Ressourcen für den Endsieg, den "totalen Krieg" ausgerufen. Damit begann die uferlose Radikalisierung des Krieges und des Alltagslebens. Dazu gehörte auch die verstärkte Verschleppung von Ausländern zur Zwangsarbeit in der Kriegsproduktion in Deutschland. Im Herbst 1944 arbeiteten rund 7,8 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft, darunter etwa 2 Millionen aus der Sowjetunion und 1,7 Millionen aus Polen. Wenn auch die Gesamtzahl der ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen in Radeberg, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla und anderen Orten des Radeberger Umlandes in der Landwirtschaft und in Industrie- und Handwerksbetrieben nur geschätzt werden kann, so ist die Zahl von 4.000 bis 5.000 nicht übertrieben. Ihre Einstufung erfolgte strikt nach rassistischen Gesichtspunkten. Ganz am Ende standen jüdische, sowjetische und polnische Frauen und Männer. Deshalb wurden sie auf ihrer Kleidung mit dem Judenstern mit "Ost" oder "P" speziell gekennzeichnet. In einer Polizeiordnung vom 2. Oktober 1943 "Über das Verhalten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen des polnischen Volkstums" war festgelegt: Es ist verboten • den Aufenthaltsort und die Unterkünfte in der Sperrzeit zu verlassen • öffentliche Verkehrsmittel über den Ortsbereich hinaus zu benutzen 83 • öffentliche oder private Fernsprecher zu benutzen und Fotoapparate zu besitzen • öffentliche Einrichtungen und Veranstaltungen sowie Gaststätten zu besuchen • jeder Umgang mit deutschen Volksgenossen, soweit es nicht im Hinblick auf den Arbeitseinsatz erforderlich ist. Alle Deutschen waren verpflichtet, der Ortspolizei jede Übertretung dieser Verbote zu melden, sonst drohte ihnen Verhaftung. In dieser Art gab es eine Vielzahl von Verbotsvorschriften für die Zwangsarbeiter. Im Sommer 1942 verhaftete die Gestapo die Frau des Schmiedemeisters Paul Berndt aus Kleinwolmsdorf bei Radeberg. Sie hatte die beiden Schmiedegehilfen, einen Polen und einen Sowjetbürger, mit an ihrem Tisch essen lassen. Frau Berndt mußte bei der Gestapo eine Erklärung abgeben, daß dies nie wieder vorkommen werde. "Ostarbeiter haben einen Platz im Hausflur zu bekommen" wurde sie zurechtgewiesen. Doch sie blieb wie manche andere Deutsche mutig und menschlich. Sie aß weiterhin mit ihren Zwangsarbeitern an einem Tisch, verschloß aber um die Mittagszeit die Haustür. In einer Anordnung für die Betriebe der Elektroindustrie - auch für das Sachsenwerk Radeberg gültig - hieß es: "Es ist strengstens verboten, den Russen irgendwelche Zuwendungen zukommen zu lassen (Geld, Kleidungsstücke, Getränke, Lebensmittel, Tabakwaren usw.)". Über Vorgänge in Wallroda berichtet Fritz Zinke, damals ein Schuljunge: "Schon sehr zeitig nach Kriegsbeginn wurde die Turnhalle in Wallroda zu einem Kriegsgefangenenlager umfunktioniert. Später wurden die Inhaftierten unter Bewachung in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Verlaufe der Zeit wurde dieses Lager wieder geräumt und die Inhaftierten, zuletzt vor allem polnische Zwangsarbeiter, direkt in den Bauernhöfen untergebracht. Das geschah unter starker Kontrolle des Staates. Kontrollgänger waren ständig zu sehen. Diese Kontrollen waren oft mit körperlicher Züchtigung verbunden. An nicht wenigen Tagen hörte man während solcher Kontrollgänge schmerzhafte Aufschreie von Männern. Wenn diese Schreie aufhörten, sah ich auf dem nahegelegenen Bauerngehöft die zum Teil uniformierten Kontrollkräfte wieder aus dem Pferdestall kommen. Wenn ich die Mißhandlungen auch nicht augenscheinlich sah, so war für mich bereits als Kind eindeutig, was da abgelaufen war". Die Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" Radeberg Der überwiegende Teil der Zwangsarbeiter in Deutschland war in größeren und kleineren Lagern untergebracht. Auf dem Gebiet des "Dritten Reiches" gab es mehr als 20.000 solcher Einrichtungen. Viele waren direkt den Rüstungsbetrieben angeschlossen. 84 Im System dieser Zwangseinrichtungen spielten die Arbeitserziehungslager mit KZ-ähnlichen Haftbedingungen eine besondere Rolle. Es gab etwa 80. Sie wurden vor allem in der zweiten Hälfte des Krieges eingerichtet, ein Lager davon in Radeberg. Die Einweisung erfolgte durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Durch härteste Arbeit und unmenschliche Haftbedingungen sollte zugleich ein Abschreckungseffekt erreicht werden. Für "unverbesserliche" Häftlinge war entweder die Einweisung in größere Konzentrationslager oder die Todesstrafe vorgesehen. Die "Sachsenwerk Licht- und Kraft-AG" war mit den beiden Konzernbetrieben in Dresden-Niedersedlitz und in Radeberg völlig in die Kriegsproduktion integriert. Mit Stolz schrieb der "Betriebsführer" Gustav Wrede in seinem Geleitwort für das Jahr 1942: "Wir aber in der Heimat geloben der Front aufs Neue, ihr weiterhin die besten Waffen zu schmieden, Waffen, an denen auch der letzte Feind zerbricht." Wrede wurde bereits 1938 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Diese Auszeichnung erhielten Wirtschaftsmanager für herausragenden Einsatz in der Rüstungsindustrie. 85 Wrede verstarb 1943. Sein Nachfolger, Dr. Kunze, wurde noch im Dezember 1944 mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Dr. Kunze - Auszeichnung mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse Bereits vor der Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" waren hunderte ausländische Zwangsarbeiter im Sachsenwerk eingesetzt. Im August 1943 waren es rund 800, davon 611 Sowjetbürger, weiterhin Tschechen, Franzosen und Belgier. Diese ausländischen Arbeitssklaven waren in Radeberg vornehmlich im sogenannten "Freien Ostarbeiterlager" und in einzelnen anderen Baracken für Zwangsverschleppte aus westeuropäischen Ländern untergebracht. Daneben gab es das "Fürsorge-Erziehungslager" in der Sportplatzbaracke an der Schillerstraße. Dort wurden Minderjährige ebenso wie die Zwangsverschleppten zu schwerer körperlicher Arbeit mißbraucht. Das dritte Lager, auf das nun näher einzugehen ist, war das "Arbeitserziehungslager". Mit dem Übergang zum totalen Krieg stiegen die Anforderungen an die Rüstungsindustrie enorm. Zusätzliche Arbeitskräfte waren erforderlich. Deshalb erhob die Leitung des Sachsenwerkes Radeberg eine entsprechende Forderung. Ende 1943 teilte das Arbeitsamt mit, daß bei der Gestapo in Dresden Häftlinge mit kurzzeitigem Freiheitsentzug für den Einsatz in Radeberg zur Verfügung stehen In den ersten Monaten des Jahres 1944 wurden die Vorbereitungen für die 86 Aufnahme der Häftlinge getroffen. Dabei spielte der Altnazi Lindenkreuz, ein führendes Mitglied der Werkleitung des Sachsenwerkes Radeberg, eine wichtige Rolle. Am 31. Juli 1944 befanden sich einschließlich der Wachmannschaften 110 Personen im "Arbeitserziehungslager". Die Häftlinge waren Zwangsarbeiter, der größte Teil aus der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei, weiterhin aus Belgien, Bulgarien, Norwegen, Holland, Frankreich, Italien, Rumänien, Ungarn und Deutschland. Sie waren wegen politischer Vergehen, Arbeitsverweigerung und anderer angeblicher Verstöße gegen bestehende Verordnungen verurteilt. Unter den Häftlingen befand sich eine Gruppe bulgarischer Studenten. Am 16. November 1944 hatte die Gestapo diese 18 bulgarischen Studenten an der TH Dresden verhaftet und nach intensiven Verhören in das "Arbeitserziehungslager" Radeberg eingewiesen. Der politische Hintergrund: Am 9. September 1944 hatte in dem Balkanland ein Volksaufstand die monarcho-faschistische Regierung gestürzt. Daraufhin hatte sich eine Exilregierung mit dem Ziel gebildet, mit militärischen Mitteln in Bulgarien wieder ein hitlerhöriges Regime zu errichten. Auch diese 18 Studenten sollten sich an der "Befreiung" Bulgariens beteiligen. Weil sie dieses Ansinnen ablehnten, wurden sie verhaftet. Kojtscho Kojtschew und Wassil Ditschew starben an der brutalen Behandlung, an Hunger und Entkräftung im "Arbeitserziehungslager". Die überlebenden 16 Bulgaren wurden Anfang März 1945 in das KZ Buchwald verschleppt. Nur sieben von ihnen erlebten die Befreiung am 16.4.1945. Fünf ehemalige bulgarische Häftlinge, die 1965 Radeberg besuchten. 87 Unmittelbar nach dem Terrorangriff auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 kamen zunehmend auch deutsche Antifaschisten, die vorher in Konzentrationslagern oder Zuchthäusern inhaftiert waren, in das Radeberger "Arbeitserziehungslager". Zu ihnen gehörten der Dresdner Graphiker Herbert Gute, Kurt Zechel aus dem Kurort Hartha, Oskar Mai aus Dresden, Martha Bohne und Betti Engelbee aus Ottendorf-Okrilla. Die Häftlinge, Männer und Frauen unterschiedlicher nationaler und sozialer Herkunft, religiöser und politischer Überzeugung und Motive, vereinte ihre antifaschistische Gesinnung und ihr Widerstand gegen die NS-Barbarei. Die Leitung der Gestapo setzte im Lager als Aufseher SS-Schläger ein. In der Anklageschrift im Radeberger Prozeß, der 1945 gegen Mitglieder des Wachpersonals durchgeführt wurde, wird der Lagerführer, Polizeirat und Sturmbannführer Ullrich, als ein "vollkommen skrupelloser Mensch charakterisiert, der keine Rücksicht kannte und lediglich auf sein Wohlergehen bedacht war". SS-Sturmbannführer Ullrich SS-Untersturmbannführer Joch An der Seite von Ullrich stand der Lagerkommandant, Kriminalsekretär und Untersturmführer Joch. Über ihn heißt es: "In Selbstsucht und Gemeinheit ist er seinem Vorgesetzten gleich." Mit Vollzugs- und Befehlsgewalt war Oberwachtmeister der Schutzpolizei Ernst Schneider, der "brutalste Peiniger im Lager", ausgestattet. Meist gaben die ersten beiden die Befehle zu Bestrafung, Knechtung oder Ermordung der Häftlinge, Schneider war für die Ausführung verantwortlich. Neben der Gestapo-Abteilung und der Lagerverwaltung fungierte im Lager eine Schutzpolizeiabteilung (Schupo) von 10 12 Mann. Die Anklageschrift bezeichnet die Schutzpolizisten Goldammer, Schelenz, Frings und zwei Volksdeutsche, "Friesen" genannt, als die brutalsten Mörder im Lager. Die Schutzpolizisten Epping, Härich und Teich stand ihnen nicht viel nach . 88 Als Lagerarzt fungierte der SS-Offizier Dr. Thieme. Dem Lagerarzt, einem Mörder im weißen Kittel, standen 40 deutsche Soldaten aus dem Strafgefängnis Torgau, die zu lebenslänglicher Haft verurteilt waren, für "medizinische Versuche" zur Verfügung. Mit ihrem Leben schaltete und waltete er, wie er wollte. SS-Offizier Dr. Thieme Die Hauptverantwortung für das Lager trug die Dresdner Geheime Staatspolizei (Gestapo). Seit Februar 1945 hatte sie im Sachsenwerk eine Außenstelle eingerichtet, die Kriminalsekretär Friedrich Beyerlein leitete. Lagerführer Ullrich und Lagerkommandant Joch standen mit der Gestapo ständig in Verbindung. Beyerlein und seine Mitarbeiter waren für das Lager und für die Stadt Radeberg und ihre Umgebung zuständig. Das Lager (siehe Seite 90) bestand aus zwei Baracken von 40 m Länge und war mit Stacheldraht eingezäunt. Die Hälfte einer Baracke diente als Wachlokal, Verwaltung und Krankenabteilung. Anfänglich war das Lager für 300 Häftlinge gedacht, doch bald betrug die Belegung zwischen 400 und 600, zuweilen bis 800 Häftlinge. Die dreistöckigen Schlafstellen reichten bei weitem nicht aus. Häufig mußten zwei Häftlinge den gleichen Schlafplatz benutzen. Am Anfang gab es zwei dünne Decken, später nur eine. Viele zerschnitten diese zu zusätzlichen Kleidungsstücken, denn die ihnen zugeteilte "Kleidung", Hose, Rock, Mütze, Holzschuhe, war mehr als dürftig. Unterwäsche gab es nicht. Da im Winter 1944/1945 kaum Heizmaterial vorhanden war, mußten die Häftlinge Teile ihrer Schlafstellen und Schlafsäcke verheizen. Den Häftlingen stand wenig Wasser zum Waschen zur Verfügung. Seife und Handtücher gab es nicht. Bald strotzte die Unterkunft vor Schmutz und Ungeziefer. Die Verpflegung war völlig unzureichend: morgens zwei dünne Scheiben Brot mit etwas Marmelade, mittags ¾ Liter Suppe mit Kohlrüben, 89 Diese dargestellte Lagerskizze wurde 1965 von Eberhard Wehner und Wolfgang Behrens angefertigt. Sie ist nicht maßstabsgerecht. Zum Verständnis für den Leser: der rechte Teil der Juri-Gagarin-Str. ist heute die Robert-Bosch-Str., die Wilhelm-Pieck-Str. (früher Fr.-Ebert-Str.) wurde in Heidestr. umbenannt. Auf dem Gelände des ehemaligen Sportplatzes ist nach 1945 eine Kleingartenanlage entstanden. Zwischen dem ehemaligen Sportplatz und dem damaligen AE-Lager führt heute die Adolph-Kolping-Str. und zwischen Sportplatz und den damaligen Lagerbaracken 3, 4 und 5 die Ferdinand-Freiligrath-Str. Kartoffeln oder Nudeln, abends wieder eine Doppelschnitte Brot, dünn mit Margarine beschmiert, dazu Tee oder eine Wassersuppe. Der allgemeine Körperzustand der Häftlinge verschlechterte sich zusehends, zumal viele aus anderen Lagern oder Gefängnissen schon ausgemergelt nach Radeberg gekommen waren. Hunger, Schläge, Krankheiten, Morde ... Die Gefangenen arbeiteten in Tages- und Nachtschichten vor allem im Sachsenwerk, aber auch bei der Fa. Eschebach, auf Baustellen und in anderen Betrieben unter strenger Aufsicht des Wachpersonals. Die Arbeitszeit betrug Werktag wie Sonntag 10 bis 12 Stunden, dazu oft Überstunden. Der Stundenlohn war zwar mit 42 Reichspfennigen festgelegt, wurde aber nie an die Häftlinge ausgezahlt. Allein in 5 Monaten unterschlug die Gestapo ca. 300.000 Reichsmark. 90 Am Arbeitsplatz gab es häufig Mißhandlungen, dabei taten sich bestimmte Vorarbeiter und Meister, oft Mitglieder der NSDAP, besonders hervor. Der Graphiker Herbert Gute schilderte aus eigenem Erleben. "Ein Schlag von hinten trifft meine Schulter. Hiebe prasseln, dann spüre ich nichts mehr. Als ich wieder auf den Füßen stehe, schmecke ich Blut. Werkspolizisten, den Gummiknüppel in der Hand, halten mich fest. Einer der Faschisten schreit nach dem Vorarbeiter. Der taucht hinter einer Maschine auf: 'Der Lump hier arbeitet ohne jede Pause bis heute abend, zu fressen kriegt er nichts mehr, verstanden!' Der Vorarbeiter nickt. Der weiße Kittel mit dem Hakenkreuz rauscht ab samt seiner Werkspolizei." Wer das Arbeitspensum nicht schaffte - ob Mann oder Frau - wurde bestraft mit Gummiknüppelschlägen, Essensentzug oder Zwangsarbeit in der Wohnbaracke. Meister oder Vorarbeiter gaben der Wachmannschaft einen Zettel mit der Nummer des Häftlings, die dem betroffenen Häftling dann 10 oder mehr Schläge erteilte. In einem Vernehmungsprotokoll vom 14. Juli 1945 ist festgehalten: "Wer in der Nachtschicht vor Hunger nicht mehr arbeiten konnte oder wem die Augen zufielen, der wurde früh bei Arbeitsschluß mit einer Handschelle an das Fenstergitter gekettet. Das wurde selbst bei strenger Kälte durchgeführt, so daß der Häftling vollkommen durchgefroren und blau angelaufen war. Die Erkältungen waren meist so schwer, daß der Betroffene nach wenigen Tagen verstarb." Aus einem anderen Vernehmungsprotokoll ist zu erfahren: "Die Abteilungsleiter Rinnelt, Lippert und Gruhl haben sich durch fortgesetzte Mißhandlungen der politischen Häftlinge sehr hervorgetan. Auftraggeber war der Obermeister Karl Thor, der sehr ehrgeizig veranlagt war und von der Direktion sehr gelobt wurde." Thor war bereits 1940 mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Die außerhalb des Sachsenwerkes eingesetzten Häftlinge wurden mit Handfesseln an ihre Arbeitsstellen getrieben. Viele Häftlinge litten infolge der erbärmlichen Kost unter schwerem Durchfall und mußten öfter den Abort aufsuchen. Wer mehrere Male kam, erhielt Schläge, weil er zu faul zur Arbeit sei. Das Resultat waren 10 Tote. Am 19. Februar 1945 schrieben Mitglieder der Betriebsleitung der Eschebachwerke folgenden Brief an die Schutzpolizei Radeberg: "Der französische Zivilarbeiter Bray, Aimable, geboren am 1.1.1915 in Saint en Gohette, wird in unserer Abteilung Dreherei als Revolverdreher beschäftigt. Genannter betreibt bewußt Sabotage, indem er zum Arbeitsbeginn früh laufend 1 bis 1½ Stunden später erscheint und sich außerdem noch während der Arbeitszeit stundenlang von seinem Arbeitsplatz entfernt. Trotz mehrmaliger Verwarnung durch den aufsichtsführenden Meister sowie durch die Betriebs91 leitung und Lagerführung ändert Bray sein Verhalten nicht und bummelt weiter. Bei der letzten Verwarnung durch den Lagerführer nahm Bray sogar eine drohende Haltung gegen diesen ein. Zur Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin unter den bei uns beschäftigten ausländischen Arbeitern bitten wir Sie, den Genannten dem Arbeitserziehungslager Radeberg zuzuführen, damit ihm von dortiger Stelle entsprechende Erziehung zuteil wird." Wie diese "entsprechende Erziehung" aussah, geht aus einem anderen Dokument hervor. Dort ist registriert, daß am 2. März 1945 vier Häftlinge erschossen worden sind: Die drei Sowjetbürger Michail Kudritzki, Piotr Trotzko, Michail Lossa und der Franzose Aimable Bray. Mißhandlungen der Lagerinsassen waren an der Tagesordnung. Die Wachmannschaft war mit Gummiknüppeln und anderen Schlaginstrumenten ausgestattet und schlug oftmals auf die Häftlinge ein, z.B. wenn einer später als angeordnet zum Morgen- oder Abendappell kam. Nicht wenige Häftlinge holten sich bei diesen Zählappellen in Wind und Wetter den Rest, denn sie waren nur dürftig bekleidet und gesundheitlich stark angeschlagen. Abends veranstalteten unbeschäftigte Wachleute zu ihrem Vergnügen regelrechte Prügelorgien. Häftlinge mußten sich über den Tisch oder einen Schemel legen, und der Wachmann verabreichte ihnen dann Schläge auf das Gesäß. Diese Zustände im Lager und während der Arbeitszeit führten zu einer immer rascheren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Häftlinge und schließlich bei vielen zum Tode. In den noch vorhandenen Totenlisten werden für die Monate Juli bis Dezember 1944 als Todesursachen Herzschwäche, Pneumonie, Nephritis, Hirnblutung und andere Krankheitserscheinungen genannt. Doch diese und andere Todesursachen setzte der Lagerarzt oft ein, obwohl diese Häftlinge in Wirklichkeit erschossen worden waren. Zu keiner Zeit der Geschichte Radebergs wurden in wenigen Monaten so viele Menschen umgebracht, wie von August 1944 bis April 1945 im "Arbeitserziehungslager" des Sachsenwerkes. Unmittelbar nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde eine Kommission zu Untersuchung der Verbrechen in diesem Lager eingesetzt. Sie arbeitete unter der Verantwortung des Leiters der Kriminalpolizei Dresden, Franz Dobermann. Die Kommission gibt 422 ermordete Häftlinge an, doch die genaue Zahl der umgekommenen Häftlinge ist kaum exakt zu ermitteln. Mit Sicherheit ist mehr als die Hälfte der Todesopfer durch Genick- und Kopfschüsse umgebracht worden. Das beweisen die Freilegungen von 12 Massengräbern im Sachsenwerkgelände sowie an der Friedhofsmauer und die ärztlichen Untersuchungen der Leichen. Einige der 1945 exhumierten Leichen stammten nicht aus dem "Arbeitserziehungslager". Diese Häftlinge waren von der Gestapo aus Dresden und anderen Orten zur Hinrichtung nach Radeberg gebracht worden. In den meisten Fällen waren die Namen der Opfer von der Gestapozentrale in Dresden oder deren Beauftragten im Sachsenwerk, z.B. von Kriminalsekretär Beyerlein, vorgegeben 92 Bilder des Grauens 93 Erschüttert stehen die Angehörigen von Radeberger Betrieben vor den Opfern faschistischer Verbrechen. worden. In der Anklageschrift wird ausgewiesen, daß "meistens ein Motorradfahrer oder ein Personenkraftwagen mit einem Schreiben der Gestapo nach Radeberg kam". Zum Erschießungskommando gehörten die Schutzpolizisten Goldammer, Schelenz, Frings u.a. Bei seiner Vernehmung im Jahr 1945 sagte der Schutzpolizist Frings aus, daß allein im März und April 1945 über 200 Häftlinge erschossen wurden. Der Schutzpolizist Schelenz gab an, bei den meisten Erschießungen zugegen gewesen zu sein. Frings hat 22, Schelenz 28 Häftlinge persönlich erschossen. Die Erschießungen gingen in den meisten Fällen von Lagerführer Ullrich oder Lagerkommandant Joch aus. Sie bestellten das Erschießungskommando zu sich und gaben den Befehl, die ausgesuchten Häftlinge außerhalb des Lagers umzubringen. Die betreffenden Gefangenen mußten auf dem Hof antreten. Je zwei oder drei wurden mit Handschellen aneinander gefesselt und in das naheliegende Wäldchen geführt. Manchmal erfolgte die Erschießung sogar im Lager. Die zur Hinrichtung geführten Häftlinge waren mitunter so schwach, daß sie nicht mehr allein gehen konnten. Die Erschießung erfolgte im Laufen hinterrücks, im Liegen oder in einer Grube durch einen Schuß in den Hinterkopf. Unmenschlichste Brutalität zeigt folgender Vorfall: Während der Erschießung rief einer der Häftlinge: " Ich bin noch nicht tot". Er bekam einen zweiten Schuß. Das Wachpersonal verscharrte die Leichen in den vorbereiteten Gruben notdürftig. Anschließend wurden die Namen der Ermordeten aus den Lohn- und Verpflegungslisten gestrichen. 94 Auch in diesen Fällen setzte der Lagerarzt Dr. Thieme an Stelle der wahren Todesursache oft "Tod infolge Herzschlag", "Lungenentzündung" oder andere Todesursachen ein. Die meisten Leichen hat er gar nicht begutachtet. Beispiele aus der Liste der im "Arbeitserziehungslager" Radeberg umgekommenen Häftlinge: 51. Koranek, Jiri, geb. 1924 in Kürschau CSR, Todesursache "Herzschwäche” 56. Ramsdonk, Pieter, geb. 1923 in Gouda, (Holland), Todesursache "Lungenentzündung” 148. Zechel, Kurt, geb. 1900 in Hartha/Sachsen, Todesursache "Herzschwäche” 213. Romanowsky, Adam, geb. 1920 in Oschnjanka (Sowjetunion), Todesursache "Herzschwäche” 265. Spano, Espodito, geb. 1909 in Gallipolo (Italien), Tod durch Erschießen 272. Bleijc, Hilda, geb. 1919 in Trifel (Tschechoslowakei), Tod durch Erschießen 311. Szklarek, Adam, geb. 1926 in Kalisch (Polen), Tod durch Erschießen 315. Dhon, Robert, geb. 1919 in Nanterre (Frankreich), Tod durch Erschießen 329. Vanheske, Willi, geb. in Ostende (Belgien), Todesursache "Herzfehler", Embolie linker Unterschenkel Massenerschießungen Aus der Anklageschrift des "Radeberger Prozesses": "Mitte April 1945 sind 29 Häftlinge erschossen worden, davon hat Schelenz sechs umgelegt. Den Befehl dazu hatte der Obersturmführer Becher aus Dresden erteilt, der von der Gestapostelle ins Lager gekommen war, um Joch zu vertreten. Es handelte sich durchweg um Polen, die erst einige Tage vorher aus einem auswärtigen Lager in das "Arbeitserziehungslager" gekommen waren. Goldammer kannte dieses Lager und auch einige der Leute. Schneider hatte angeordnet, daß einige Wachleute, unter ihnen Härich, einen Kordon um das Wäldchen bilden sollten, weil er befürchtete, daß wieder Gefangene ausreißen könnten. Er hatte deshalb die Waldränder mit Posten besetzt. Die 29 Mann waren zu je drei gefesselt und mußten sich im Wäldchen angezogen hinlegen... Die ersten beiden Reihen wurden von Schelenz erschossen. Einige Tage später erteilte der Lagerkommandant Ullrich Befehl, in einer leeren Baracke 35 Häftlinge zu erschießen. Ullrich hatte Schelenz mit in die Baracke genommen, wo das übrige Erschießungskommando bereitstand. Die Gefangenen lagen schon gefesselt nebeneinander. Sie waren dermaßen schwach und elend, daß sie nicht mehr nach dem Wäldchen hätten gehen können. Ullrich gab den Befehl zur Erschießung, indem er sich in die Mitte der Baracke stellte und kommandierte: "Nun los!" Schelenz hat vier bis fünf Mann getroffen. Bei dem Letzten will er daneben in die Wand geschossen haben, weil es ihm zuwider wurde. Die Leichen wurden dann auf einen Anhänger geladen und in die 95 Sandgrube gefahren. Als der Anhänger dort ankam, kam ein von Schneider geführter Pferdewagen, auf dem sich drei männliche und drei weibliche Häftlinge, wohl aus dem Bautzner Gefängnis, befanden. Goldammer ließ die Männer von dem Wagen heruntersteigen und tötete einen völlig erschöpften und offensichtlich kranken Mann durch Genickschuß. Die Mädchen wurden von Frings und Goldammer erschossen". In seiner Vernehmung sagte der Schutzpolizist Schelenz über die Erschießung dieser 35 Häftlinge aus: "Ullrich kam zu mir: 'Los, rüber in die Baracke, die werden alle umgelegt'. Ich ging in die Baracke, traf Goldammer, Frings und zwei andere. Wahrscheinlich hatte Goldammer schon vorgearbeitet, denn die Häftlinge lagen der Reihe nach auf dem Erdboden. Auch hier wieder dasselbe Bild: Ein Weinen, Beten und Betteln um Gnade... Wir hatten alle unsere Pistolen in der Hand... Ich habe fünf Häftlinge erschossen. Wir haben die Leichen auf den Anhänger verfrachtet. Darüber wurde eine Plane gelegt... Der Wagen fuhr an die Grube, Goldammer warf die Leichen herunter, und wir haben sie dann zugescharrt". Einige Tage zuvor wurden 18 Häftlinge erschossen, 15 Männer verschiedener Nationalität, eine Polin, eine Französin und eine Deutsche. Die drei Frauen wurden umgebracht, weil sie mit deutschen Soldaten Verkehr gehabt haben sollen. Diese drei Soldaten hat der Lagerarzt Dr. Thieme persönlich erschossen. Die 15 Männer wurden zu dritt gefesselt, in das Wäldchen geführt. Schelenz, Frings, Goldammer und Schneider gingen hinter ihnen her. Sie mußten sich hinlegen und wurden von hinten erschossen. Schelenz hat vier getötet. Vor der Erschießung hatten sich die männlichen Gefangenen, soweit sie noch brauchbare Sachen hatten, nackt ausziehen müssen. Nachdem die Leichen in der Grube mit Sand zugedeckt waren, mußten sich die drei Frauen an den Ecken der Grube auf die Sandschicht legen, unter der die Leichen der soeben erschossenen Männer lagen. Schelenz will keines von den Mädchen erschossen und eine Ladehemmung vorgetäuscht haben. Eines der drei Mädchen hat Frings, die beiden anderen Goldammer erschossen. Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll: Schelenz: "Wir sollten drei Mädel, eine Deutsche mit Namen Hansi, eine "Volksdeutsche" und eine Französin nach dem Wäldchen bringen, um sie zu erschießen... Goldammer gab Anweisung, daß sich die Mädchen ausziehen sollten. Nach einigem Sträuben und Wehren haben sie sich ausgezogen. Goldammer riß der Hansi noch das Hemd vom Leibe. Er versuchte auch, uns zu verleiten, mit den Mädels vorher noch Dummheiten zu machen. Er selbst packte die Hansi an den Brüsten... Das Mädel schrie und weinte: 'Ach bitte, laßt mich doch leben!' Aber Goldammer erledigte sie durch Genickschuß. Sie fiel, wie auch die anderen zwei, auf die bereits vorher erschossenen Männer." 96 Als letzte Daten werden in den Totenlisten der 24. und 25. April 1945 genannt. Als Todesursache wurden "Schußverletzung", "Verblutung" und mehrfach "unbekannt" eingetragen. Die letzten Opfer waren Sowjetbürger namens W. Matwejew, E. Gontschar, M. Tolstona, K. Sidowrok und W. Jaruschuk. Im Chaos der letzten Kriegstage Ende April bis zum 8. Mai 1945 lösten sich wie überall auch in Radeberg und Umgebung die Fremdarbeiter- und Kriegsgefangenenlager auf. Die Insassen versuchten, in Verstecken, auch mit Unterstützung deutscher Einwohner, die letzten Tage vor der Befreiung zu überleben, oder sie begannen, sich in ihre Heimat durchzuschlagen. In den turbulenten Tagen des Kriegsendes mußten das einige noch mit ihrem Leben bezahlen. Der Haß über die von Deutschen erlittenen Mißhandlungen führte manche Häftlinge in den Tagen nach ihrer Befreiung zu Gewalttaten gegenüber Deutschen. Ein Teil der Häftlinge des "Arbeitserziehungslager" Radeberg wurde nach Dresden transportiert - ihr Schicksal ist unbekannt - manchen gelang es, zu fliehen. Lagerführer Ullrich und Lagerkommandant Joch sowie seine Komplizen Schneider und Goldammer flohen nach dem Westen Deutschlands. Das Schlimmste: Das "Arbeitserziehungslager" Radeberg Der ehemalige Häftling Herbert Gute schreibt: "Ich war 6½ Jahre in deutschen Zuchthäusern und Gefängnissen. Das Schlimmste, was ich erlebt habe, war das "Arbeitserziehungslager" Radeberg. Die Zustände in Radeberg überstiegen alles, was wir durchgemacht hatten. Man konnte sich ungefähr ausrechnen, wann und wie man zugrunde ging. Ein Häftling, der mit mir eingeliefert worden war, verstarb nach zwei Tagen infolge der schlechten Behandlung. Es gab weder Decken, Seife noch Handtücher, und im Abortraum lagen die Leichen, die Merkmale schwerer Mißhandlungen trugen. Wegen Kleinigkeiten wurden die Häftlinge geschlagen, wobei sie über einen Schemel gelegt und an Kopf und Händen festgehalten wurden. Dabei wurden öfters 50, 60 und 75 Schläge ausgeteilt, so daß es vorkam, daß Häftlinge an den Folgen dieser Schläge binnen drei Tage gestorben waren.” 97 Professor Herbert Gute weihte im Mai 1965 den Gedenkstein auf dem Gelände des ehemaligen "Arbeitserziehungslagers" am Robert-Blum-Weg ein. Er bat die Einwohner von Radeberg, alles zu tun, damit der Frieden festen Fuß fassen kann. “Das haben wir nicht gewußt und nicht gewollt!" Es ist kein Zufall, daß das "Arbeits- und Erziehungslager" Radeberg auf Antrag der Sachsenwerk AG Radeberg, eines AEG-Betriebes, eingerichtet wurde. Der auch hier praktizierte Grundsatz: "Vernichtung durch Arbeit" kostete in ganz Deutschland Millionen Menschen das Leben. Neben den Riesengewinnen aus der enormen Kriegsproduktion, brachte er den Konzernen zusätzliche Profite, an denen das Blut der ermordeten Häftlinge klebt. Die Sachsenwerk AG hatte alles versucht, in der Öffentlichkeit die Existenz des Lagers mit dem demagogischen Begriff "Arbeitserziehung" zu begründen und die menschenunwürdigen Verhältnisse und die Verbrechen in diesem Lager vor der Bevölkerung zu verheimlichen. Dennoch drang einiges nach außen, konnte aber wegen des Terrors der Nazis nur unter Lebensgefahr weitergetragen werden. Als am 8. Mai 1945 sowjetische Einheiten die Stadt und das Radeberger Land befreit hatten, machten Arbeiter aus der Sachsenwerk AG und Radeberger Frauen und Männer die verantwortlichen Kräfte der Stadt darauf aufmerksam, daß auch in der Röderstadt ein Arbeitslager existiert haben mußte. Sie erzählten von ungewöhnlichen Leiterwagentransporten, die nicht selten Blutspuren hinterlassen hatten und auf dem Wege zur Friedhofsmauer beobachtet worden waren. Mancher hatte Schreie und Schüsse im Gelände des Werkes gehört. Verschiedene Radeberger hatten Häftlingen unter Einsatz ihres Lebens heimlich Lebensmittel zugesteckt. Die Möglichkeiten der Hilfe waren gering gewesen. Nunmehr unterstützten diese Einwohner die Kommission der Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen über das Lager. 98 Der "Radeberger Prozeß" vom 25. September bis 2. Oktober 1945, der erste dieser Art in Deutschland, deckte diese Verbrechen auf. Das Bekanntwerden der NSVerbrechen führte bei der Mehrheit der Bevölkerung zu Bestürzung und Erschrecken. Viele sagten: "Das haben wir nicht gewußt!" und "Das haben wir nicht gewollt!". Aktivitäten der Radeberger Stadtverwaltung, der Ortsgruppen der KPD, der SPD und anderer Parteien, die Besichtigung der freigelegten Massengräber, Versammlungen, Berichte in der "Volkszeitung" und der "Volksstimme", Anteilnahme an der feierlichen Beisetzung der Opfer am 20. Juli 1945 an der Pulsnitzer Straße trugen dazu bei, daß sich die Mehrzahl der Einwohner nicht nur von den Verbrechen distanzierte, sondern sich der Forderung anschloß, den Faschismus in Deutschland mit der Wurzel auszurotten und eine antifaschistische, demokratische Gesellschaft aufzubauen. Feierliche Beisetzung der Opfer aus 12 Nationen am 20. Juli 1945 an der Pulsnitzer Straße Es gab aber auch Stimmen wie: "Es waren ja nur Ausländer!" oder "Die kleinen Verbrecher sollen nicht so hart bestraft werden." Solche und ähnliche Auffassungen drückten nicht die allgemeine Meinung in Radeberg aus. 99 Gedenkstein - Ehrenhain Pulsnitzer Straße Die Todeslisten weisen aus, daß die Särge der Widerstandskämpfer in drei Reihen, jeweils zwei übereinander (in den Todeslisten als 1. und 2. Tiefe gekennzeichnet), eingeordnet sind. Zum Beispiel: Koitscheff, Kotscho und Ditscheff, Wassil jeweils 1. Tiefe, Reihe 1 Bray, Aimable, 1. Tiefe, Reihe 2 Zechel, Kurt, 1. Tiefe, Reihe 3 Mai, Oskar, Gemeinschaftsgrab Außerdem befindet sich auf dem Gelände des Ehrenhains ein größeres Gemeinschaftsgrab. Auf Bitten der Regierungen und antifaschistischer Verbände Frankreichs, Hollands und Belgiens wurden 29 Tote am 25. Mai 1949 aus diesen Ländern exhumiert und in ihre Heimat überführt. 100 V. Vor dem Kriegsende: NS-Durchhaltepolitik in Wort und Tat Verweigerung und antifaschistischer Widerstand Kampf bis zum Letzten... Am 18.2.1943 inszenierte Reichspropagandaminister Goebbels im Berliner Sportpalast eine Großkundgebung. Eine handverlesene Zuhörerschaft, die das deutsche Volk repräsentieren sollte, war geladen. Goebbels hielt eine Rede, die er von allen Sendern des Reichsrundfunks übertragen ließ. Seine Stimme ertönte auch aus tausenden Volksempfängern in Radeberg und in umliegenden Orten. Nach der Niederlage der deutschen Wehrmacht in der Schlacht um Moskau und nach der Tragödie von Stalingrad, der Wende im 2. Weltkrieg, wollte Goebbels einen Stimmungsumschwung in Deutschland herbeiführen. Vor allem sollte diese Großkundgebung zu einer Art "Volksentscheid für den totalen Krieg" werden. Sie sollte die nun im Zeichen des totalen Krieges nun folgenden Verbrechen vorher legitimieren. Pathetisch-beschwörend stellte Goebbels an die Zuhörer sich ständig steigernde Fragen und forderte ihre Antwort: "Seid Ihr entschlossen, den Führer in Erkämpfung des Sieges durch dick und dünn und unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen zu folgen?" "Seid Ihr bereit, wenn der Führer dies befielt, zehn, zwölf und wenn nötig, vierzehn und sechzehn Stunden täglich zu arbeiten und das Letzte herzugeben für den Sieg?" "Wollt Ihr den totalen Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, noch totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?" "Seid Ihr damit einverstanden, daß, wer sich am Kriege vergreift, den Kopf verliert?" Auf jede Frage antworteten die Teilnehmer der Kundgebung mit frenetischem Beifall, der nach jeder Frage immer stärker wurde. Auf die letzte, geradezu perverse Frage, folgte ein minutenlanger Sturm der Begeisterung. Mit dem frenetischen "Ja" im Berliner Sportpalast und mit der aktiven oder passiven Zustimmung der meisten Deutschen war ihre Mitschuld an den nun folgenden Verbrechen unübersehbar. In den letzten beiden, den schlimmsten und opfer- und zerstörungsreichsten Kriegsjahren erfuhr dann jeder, was totaler Krieg bedeutete. Er erreichte in der Agonie des Dritten Reiches seinen Höhepunkt. Als der Krieg auf deutschen Boden zurückkehrte, verschärften die NS-Machthaber den Terror gegen alle, die das Ende des Völkermordens und den Frieden herbeisehnten. Im März 1945 erhielt die Polizei den Befehl, alle "asozialen und feindlichen Elemente zu vernichten und die Spuren sorgfältig zu verwischen". 101 Ein Blick in die Radeberger Zeitung macht deutlich, dieses NS-Propagandablatt wollte bis zu seiner letzten Ausgabe die Wahrheit vertuschen und die Bevölkerung zu sinnlosem Widerstand bewegen. Typisch dafür ist der Kommentar zu Hitlers Geburtstag in der Ausgabe vom 28./29. April 1945, neun Tage vor Kriegsende: "Die fanatische Kampfentschlossenheit unserer Truppen im Osten und Westen, die aufrechte Haltung und der Widerstandsgeist der Zivilbevölkerung in den feindbesetzten Gebieten zeigen bereits ihre Folgen. Die Pläne des Feindes, der Deutschland vom Westen und Osten zu überrennen glaubte, sind durchkreuzt worden. Er hat dadurch nur kostbare Zeit verloren, die er nicht wieder einholen kann." ... "Es ist nicht so, daß unser Ringen ausweglos wäre, im Gegenteil. Die letzte und schwerste Probe, die uns das Schicksal gestellt hat, muß uns standhaft und von leidenschaftlichem Einsatzwillen beseelt finden." Am 16. April 1945 erließ der Sächsische Gauleiter und Reichsstatthalter Mutschmann folgenden Aufruf: 102 Lügen sollten helfen, den Widerstand der Bevölkerung gegen die heranrückenden Soldaten der Antihitlerkoalition zu stärken. Mit Großdruck stand in der Radeberger Zeitung: In Wirklichkeit unterschrieb der "allgewaltige Führer" am 29. April 1945 um 4 Uhr sein "Politisches Testament", das auch die Unterschriften von Goebbels, Bormann und Grätz trug, in dem Hitler sich sogar anmaßte, Schwerpunkte für seine Nachfolge zu setzen: "Von allen Deutschen, allen Nationalsozialisten, Männern und Frauen und allen Soldaten der Wehrmacht verlange ich, daß sie der neuen Regierung und ihrem Präsidenten treu und gehorsam bis in den Tod sind. Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen die Weltvergifter, das internationale Judentum." Stunden später entzog er sich feige der Verantwortung für seine Verbrechen durch Selbstmord. Die Lügenkette fortsetzend meldeten zentrale und regionale Zeitungen, darunter die Radeberger Zeitung, daß Hitler kämpfend gefallen sei. Auszüge aus einer Meldung vom 3. Mai 1945 103 Mobilisierung von Greisen und Jugendlichen für den "Endsieg" Die NS-Führung sah in den nicht zum Kriegsdienst eingezogenen Männern und in den 16- und 17jährigen Jugendlichen eine letzte Reserve gegen die bereits auf deutschem Boden operierenden alliierten Truppen. Am 25. September 1944 ordnete Hitler die Bildung des "Volkssturmes" unter direkter Leitung und Verantwortung der NSDAP an. Der Chef der Parteikanzlei, Martin Bormann und der Chef des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, waren zuständig für die Aufstellung und Bewaffnung der "Volkssturmbataillone". Die Aufstellung und Vereidigung erfolgte mit großer propagandistischer Aufmachung. Am 11. November 1944 waren Hunderte, vor allem Jugendliche und ältere Männer auf dem Marktplatz in Radeberg zur Vereidigung angetreten. NSDAP-Ortsgruppenleiter Kotte gab die Losung aus: "Wer leben will, der kämpfe also, wer nicht kämpfen will, der verdient das Leben nicht!" In Arnsdorf leisteten 360 Volkssturmleute den Eid: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler, bedingungslos treu und gehorsam sein werde. Ich gelobe, daß ich für meine Heimat tapfer kämpfen und lieber sterben werde, als die Freiheit des Volkes preiszugeben... Der Herrgott hat meinen Eid gehört, möge er unseren Kampf segnen." Die Volkssturmleute wurden zu Schanzarbeiten und zu Bewachungsund Sicherungsaufgaben eingesetzt. Obwohl schlecht ausgerüstet und kaum ausgebildet, kamen einige Einheiten dennoch, vor allem im Osten Deutschlands, zum Kampfeinsatz. Nach Schätzungen gelten etwa 175.000 von ihnen als vermißt, der größte Teil von ihnen dürfte gefallen sein. Mit welchen Lügen und welcher Skrupelosigkeit hohe Militärs noch zwei Wochen vor Kriegsende der NS-Führung folgten und Tausende Menschen in den sicheren Tod schickten, zeigt der Tagesbefehl (Die Stunde der Rache ist gekommen! - siehe Seite 104) des damals im Raum Radeberg operierenden Panzergenerals Gräser. Die Röderstadt und ihr Umland gehörte zum "Festungsbereich Dresden". Sie war in die Befehlsgewalt zur Verteidigung der "Gauhauptstadt" Dresden einbezogen. So mußten in der anliegenden Dresdner Heide, im Seifersdorfer Tal, in den Waldgebieten um Ottendorf/Okrilla, Langebrück und Arnsdorf Schützengräben, MG-Stellungen und andere "Verteidigungsmaßnahmen" angelegt werden. Noch nach über 50 Jahren stoßen Waldbesucher auf Reste dieser Hinterlassenschaften des Dritten Reiches. Auch Panzersperren wurden an den Ausfallstraßen von Radeberg, Arnsdorf, Ottendorf/Okrilla, Wachau und Schönborn errichtet und Flak-Stellungen eiligst ausgehoben. Zu diesen Arbeiten wurden Männer des Volkssturmes, Hitlerjungen und ausländische Zwangsarbeiter herangezogen. Der Schulunterricht fiel häufig aus, dafür mußten die älteren Jungen Schanzarbeiten, die Mädchen Hilfsdienste in den völlig überfüllten Notlazaretten in Radeberg und Arnsdorf verrichten. Der Radeberger HJ-Stammführer ließ keine 104 105 Gelegenheit ungenutzt, um die 15- und 16jährigen mit Befehlen und Aufrufen anzuspornen. Als eine seiner letzten Amtshandlungen dekorierte Hitler den Reichsjugendführer Axmann mit dem "Goldenen Kreuz des Deutschen Ordens" mit dem Worten: "Ohne Ihre Jungen wäre dieser Kampf nicht durchzuführen." Die Radeberger Zeitung kommentierte diesen Akt mit besonderer Anbiederung: "Mit dieser Auszeichnung ehrt der Führer die ganze deutsche Jugend, die mit Stolz seinen Namen trägt und sich in diesen schweren Tagen als treueste Gefolgschaft erweist." Noch am 7. Mai 1945 trieb die SS alle männlichen Einwohner Radebergs, deren sie habhaft werden konnte, zusammen und zwang sie, in der Nähe der Heidemühle Tellerminen zu verlegen. Mit brutalsten Mitteln ging die Hitlerclique gegen Wehrmachtsdeserteure vor. Auf Anweisung Hitlers wurden außerordentliche Feldgerichte der Wehrmacht und Standgerichte gebildet. 106 Die Feldgerichte bestanden aus einem Kriegsrichter und zwei Offizieren, die Standgerichte aus Offizieren und Zivilpersonen, in der Regel prominenten NSDAP-Mitgliedern aus dem jeweiligen Territorium. Außerdem konnte jeder Kommandant einer Stadt oder einer Truppeneinheit über das Leben der ihm unterstellten Soldaten und der Zivilbevölkerung verfügen. Die Urteile lauteten meist auf Erschießen oder Erhängen und wurden sofort vollstreckt. Im Dresdner Raum und in Ostsachsen wurden damals schätzungsweise 300 Menschen von Standgerichten ermordet. Zwei Wochen vor Kriegsende wurden in einer Görlitzer Kaserne mehr als 50 Soldaten hingerichtet. Seit März 1945 wütete in Löbau ein Standgericht, das noch am 7. Mai 1945 acht Soldaten zum Tode verurteilte. In Bautzen weigerten sich im April 1945 zehn Soldaten, darunter zwei Offiziere, die "Festung" Bautzen zu verteidigen. Sie mußten sich ihr Grab selbst ausheben und wurden danach erschossen. In Königsbrück wurde einer von fünf erschossenen Soldaten öffentlich zur Schau gestellt, und Wehrmachtsangehörige mußten am Leichnam vorbeimarschieren. In Dippoldiswalde wurde ein 19jähriger Soldat umgebracht. Die Mörder hängten ihn ein Schild mit der Aufschrift um: "So ergeht es jedem, der die Waffen wegschmeißt!" In Göda bei Bautzen ließ ein Standgericht einen Volkssturmmann und einen Hitlerjungen erhängen. Noch am Morgen des 8. Mai 1945 hingen beide Leichen am Ortseingang, jede mit dem Schild um den Hals: "Ich bin ein Deserteur" "Ich habe es für das ganze Dorf getan!" Gegen Kriegsende wuchs der Wunsch in der Bevölkerung nach Frieden immer stärker. Hinter vorgehaltener Hand ging das Wort um: "Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende". Sogar NS-Reichsleiter Bormann mußte in einem Brief an den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Kaltenbrunner am 4. April 1945 eingestehen, die deutsche Bevölkerung dränge gewaltig auf die sofortige Einstellung des Krieges. Aber jeder Einwohner, der sich mit Wort oder Tat gegen das untergehende NS-Regimes stellte, mußte mit dem Tode rechnen. Ungeachtet aller Repressalien formierten sich in den letzten Kriegstagen neue Kräfte des antifaschistischen Widerstandes. Oft traten spontan Menschen aus allen Bevölkerungsschichten an die Seite der Antifaschisten. So traf sich in Wachau Mitte April 1945 der Bürgermeister Bernhard Heinze, Mitglied der NSDAP, heimlich mit dem Bauern Ernst Kunath und dem Zimmermann Erich Wehner, vor 1933 Mitglied der SPD. Sie waren sich einig, daß die Kampfhandlungen möglichst vom Ort ferngehalten werden sollten. Die drei mutigen Männer sorgten dafür, daß im Ort, auch auf dem Kirchturm, weiße Fahnen gehißt, die Panzersperren an den Ortseingängen geöffnet wurden und die 107 Volkssturmmänner dagegen keinen Widerstand leisteten. Diesen Familienvätern - jeder hatte mehrere Kinder - war bewußt, wenn sie in die Hände der SS fallen, werden sie ohne Gnade erschossen. Der Ortschronist von Wachau, Georg Habedank, führte nach Kriegsende mit der Witwe des Bauern Ernst Kunath ein ausführliches Gespräch, in dem Einzelheiten über die mutige Tat der Wachauer Patrioten ans Tageslicht kamen: "Oft war mein Mann in diesen Tagen beim Bürgermeister, der mein Cousin ist. Da wurde beraten, wie es weitergehen soll... Am Sonntag, dem 22. April sagte mein Mann zu mir, daß er sich um 11 Uhr von der Frau Pfarrer Wolf ein weißes Bettlaken habe geben lassen und auf dem Kirchturm gehißt hat... Am Nachmittag, ich ging gerade wieder zu Heinzes, sah ich, wie mein Cousin von drei Männern in Zivil abgeholt wird... Am Montag gegen 18 Uhr erscheinen drei Mann. Ich erkenne den wieder, der den Bürgermeister mit abgeholt hat. Mein Mann sagt: 'Jetzt verhaften sie mich. Wenn ich erschossen werde, ich habe es ja nicht für mich, ich habe es für’s ganze Dorf getan.'" Aus der Anklageschrift im Radeberger Prozeß von 1945 geht im Zusammenhang mit der Vernehmung des Radeberger Ofensetzers Heintze, der am 22. April 1945 in das "Arbeitserziehungslager" eingewiesen worden war, folgendes hervor: Nach brutalen Verhören mit Androhung der Erschießung wurde Ofensetzer Heintze in seine Zelle gebracht. Dort war auch Bürgermeister Heinze aus Wachau eingesperrt, ..."den man am nächsten Morgen herausholte und erschoß, weil er die weiße Fahne gezeigt hatte". Der im Prozeß Mitangeklagte Härich, Wachmann im "Arbeitserziehungslager", gab zu Protokoll: Nach den Kampfhandlungen am Stadtrand von Radeberg "wurde der Bürgermeister mit einem Mann aus Wachau von einer unbekannten Militärperson gegen 6.30 Uhr früh gebracht und im Schießstand erschossen, von wem, ist mir nicht bekannt. Dieselben wurden von ihren Angehörigen geholt und dabei erfuhr ich, wer die Erschossenen waren." Nachdem sie sich mehrfach telefonisch in Radeberg erkundigt hatten, erhielten die Ehefrauen von Bürgermeister Bernhard Heinze und dem Bauern Ernst Kunath die Mitteilung, daß sie ihre Männer abholen könnten. Beide Familien nahmen an, die Verhöre seien beendet und die Verhafteten freigelassen worden. Nichts Schlimmes ahnend fuhr die Tochter des Bürgermeisters mit dem Pferdewagen nach Radeberg. Im Gelände des Sachsenwerkes warf man ihr die beiden Leichen auf das Pferdegespann. Das Begräbnis der Ermordeten durfte nur im engsten Familienkreis erfolgen. Der Zimmermann Erich Wehner konnte von einem Mitglied der Familie Heinze über die Verhaftung informiert werden. Sofort floh er mit einem Fahrrad auf der Autobahn in Richtung Bautzen. Unmittelbar danach erschienen in seiner Wohnung SS-Offiziere und vernahmen seine Ehefrau. Das Gewehr auf Emma Wehner gerichtet, wollten sie von ihr Auskunft über den Verbleib des Ehemannes erpressen. Obwohl sie auf das Schlimmste gefaßt war, gab sie an, sie wisse es nicht. Bis Anfang 1946 galt Erich Wehner als vermißt. Dann traf bei der Frau des 108 Verschollenen ein Brief aus Camina bei Bautzen ein. Darin steckte der Wehrpaß von Erich Wehner. Der Bauer Mickel hatte ihn auf dem Heuboden seiner Scheune gefunden. Auf Seite 6 stand mit Tintenstift geschrieben. "Wer ihn findet, schreiben sie es bitte meiner lieben Frau nach dem Kriege, Frau Emma Wehner, Wachau i. S. bei Radeberg." Und auf Seite 7 des Wehrpasses: "Liebe Emma und Kinder! Ich muß einen unschuldigen Tod sterben. Unser Glück war schön. Dein herzensguter Erich und Euer lieber Papa!” Wehrpaß von E. Wehner mit letztem Gruß an seine Familie und Brief von Bauer Mickel 109 Was war geschehen? Auf Grund der von Kriminalsekretär Beyerlein ausgeschriebenen Fahndung wurde Erich Wehner bei einer Kontrolle in Camina erkannt und von der SS festgenommen. Man sperrte ihn zunächst in die Scheune des Bauern Mickel. Hier konnte er, den Tod vor Augen, seine Abschiedsworte schreiben. Tags darauf erschossen ihn zwei SS-Offiziere in einem Schützengraben. Sechs Einwohner bestätigten diese Ereignisse. In Gersdorf im Kreis Kamenz erschossen SS-Leute am 21. April 1945 den Bürgermeister und den Pfarrer Talazko, weil sie ihre Einwohner veranlaßt hatten, weiße Flaggen und Tücher anzubringen. Den Bürgermeister, den Pfarrer, den Bauern und den Arbeiter vereinte der Wunsch: Schluß mit dem Krieg, Frieden für die Menschen, Frieden für die Heimat. Dafür wurden sie ermordet. Verweigerung und Widerstand An die letzten Kriegstage in Schönborn bei Radeberg erinnert sich Karl Pietzsch, SPD-Mitglied seit 1922: "Ende März, Anfang April 1945 sah ich im Geschäftszimmer des Gasthofes gegen 22 Uhr noch Licht. Neugierig trat ich unter das Fenster und hörte ganz leise das Pausenzeichen des Londoner Senders. Ich war verblüfft, das hatte ich nicht vermutet. Einige Tage später sagte ich dem Gastwirt auf den Kopf zu, daß er den Londoner Sender höre. Ja, sagte er, ich höre auch den Moskauer Rundfunk. Im Laufe des Gespräches kamen wir uns politisch etwas näher, denn er ließ durchblicken, daß er den Krieg für Hitler als verloren ansehe und die Rote Armee bei uns einmarschieren würde. Daraufhin vereinbarten wir, mit zuverlässigen Einwohnern eine geheime Zusammenkunft im Gasthof durchzuführen. Wir wurden uns auch einig, wen wir einladen. Es betraf etwa fünf Mitglieder der verbotenen SPD und KPD und drei oder vier Bauern. Bei diesem illegalen Treff beschlossen wir: 1. die in einer Bauernscheune lagernden Panzerfäuste im Steinbruch (bis zu 30 m tief) zu versenken; 2. die Panzerfäuste der Volkssturmleute, welche die im Dorf gebauten Panzersperren bewachten, zu entschärfen; 3. die Panzersperren bei günstiger Gelegenheit zu beseitigen; 4. die Einwohner aufzuklären, daß sie von der Roten Armee nichts zu befürchten hätten und sie zum Bleiben im Ort zu veranlassen. In unserem Dorf lagen zu dieser Zeit Offiziersschüler aus Dresden. Bei mir zu Hause war eine weibliche Schreibkraft aus dem Geschäftszimmer einquartiert. Als die polnischen Truppen bis in die Gegend von Leppersdorf vorgedrungen waren, wurden die Offiziersschüler nach Dresden zurückverlegt, kamen aber nach einiger Zeit nach Schönborn zurück. Der Kommandeur der zurückkehrenden Truppe vermißte die Panzerfäuste. Bauer Erich Wagner, der die 110 Panzerfäuste entsprechend unserer Festlegungen im Steinbruch versenkt hatte, gab zur Antwort, daß die Panzerfäuste von einer durchziehenden Panzerdivision mitgenommen worden wären. Die sofort vom Kommandeur der Offiziersschüler eingeleitete Überprüfung ergab, daß dies nicht zutraf. Er forderte sofortige Aufklärung. Gastwirt Friedrich und Bauer Wagner erklärten geistesgegenwärtig, sie hätten aus Versehen den falschen Namen der Panzerdivision genannt. Daraufhin erklärte der Offizier, er werde sofort Verbindung zur letztgenannten Division aufnehmen. Sollte das Gesagte nicht stimmen, hätte das Dorf mit schärfsten Strafen zu rechnen. Zusammen mit einigen Einwohnern hatte ich es übernommen, die Panzersperren am Ortseingang aus Richtung Seifersdorf zu beseitigen. Mitten in unserer Arbeit rollten plötzlich Wehrmachtstruppenteile aus Richtung Seifersdorf kommend an. Ein Offizier zog sofort seinen Revolver und fragte im Schnauzton, was das hier zu bedeuten hätte. Ich erklärte, daß die Sperren beseitigt würden, damit seine Truppen eine schnellere und freie Durchfahrt haben sollten. Er gab sich damit zufrieden und befahl uns, Bauernwagen, mit Steinen beladen, aufzufahren. Viele Einwohner packten das Nötigste ein und wollten das Dorf verlassen. Soldaten der durchziehenden Waffen-SS riefen der Bevölkerung, vornehmlich den jungen Frauen und Mädchen zu, auf die Fahrzeuge zu steigen und mitzufahren: 'Wir sind die Letzten, nach uns kommen die Russen, da seid ihr alle verloren!' An einem dieser Tage, früh 6 Uhr, wurde ich von einer Einwohnerin gebeten, an den Gasthof zu kommen, wo sich eine große Menschenmenge versammelt hatte, die den Ort verlassen wollte. Gemeinsam mit einigen Bauern bemühten wir uns, die Leute aufzuhalten. Uns wurde aufgeregt entgegengerufen, die Russen hätten in Lomnitz Kinder an die Scheunentore genagelt. Wir versuchten, die erregten Einwohnern zu beruhigen, doch die Aufregung legte sich nicht. Da rief ich den aufgeregten Menschen zu: 'Wer erklärt sich bereit, mit nach Lomnitz zu fahren?' Es meldete sich Bauer Wagner. Wir machten uns per Fahrrad auf den Weg. Als wir durch Seifersdorf kamen, sahen wir das gleiche Bild. Aufgeregte Menschenmengen. Mitten unter ihnen stand Fritz Weitzmann, Mitglied der verbotenen SPD, der von den Nazis der Stadt Radeberg verwiesen worden war. Auch er versuchte, die aufgeregten Menschenmengen zu beruhigen, die ihm ebenfalls von Verbrechen der Roten Armee erzählten. Ich sagte ihm, daß wir nach Lomnitz wollten, um das zu klären. Wir fuhren weiter und suchten dort Eckhard Brauny auf, der mir seit den zwanziger Jahren gut bekannt war. Er sagte uns, daß alles Lüge sei und nichts dergleichen im Ort geschehen ist. Auf der Rückfahrt informierten wir in Seifersdorf Fritz Weitzmann und die Einwohner davon, daß in Lomnitz alles ruhig ist. Ich war froh, daß der Bauer Erich Wagner dabei war, denn mir hätten manche Einwohner im Dorf nicht geglaubt, da ich ja als "Roter" bekannt war. Es gelang uns dann auch, den größten Teil der Einwohner von einer Flucht abzuhalten. Nur wenige verließen den Ort, kehrten aber bald nach dem 8. Mai wieder zurück..." 111 Auch in Ottendorf-Okrilla war der Befehl zur Räumung des Ortes gegeben. Viele Einwohner weigerten sich, diese Anweisung auszuführen. Es kam zu spontanem Aufbegehren, an das sich zwei Frauen erinnern: "Wir waren alle sehr empört und aufgeregt und zogen zum Gasthof "Hirsch". Der Hof und das Treppenhaus waren voller Menschen. Es mögen an die Hundert gewesen sein, vor allem Frauen, vereinzelt Männer. Wir verschafften uns gewaltsam Einlaß, die Bedrohung durch 16jährige Flakhelfer nicht achtend. Einige Frauen, darunter Martha Küttner, eine sonst ruhige und zurückhaltende Frau, rückten auf den Ortsgruppenleiter Elble zu und brachten die Forderung zu Gehör: 'Wir ziehen nicht ab, wir räumen unser Dorf nicht, macht die Panzersperren auf!' Elble drohte mit Verhaftung, einige Männer wollten beschwichtigen, aber die Naziführer wagten es angesichts unserer Haltung nicht, ihre Drohung wahrzumachen. Dann zogen wir zu den Panzersperren, zuerst an die Radeberger Straße. Wir räumten die schweren Stämme beiseite, die Volkssturmmänner hinderten uns nicht. Als wir an die Sperre auf der Dresdner Straße kamen, war diese von einigen anderen Gruppen von Frauen schon weggeräumt." In Lomnitz brachte Frau Liddy Thieme am Volksheim eine weiße Fahne an. Daraufhin drohten SS-Leute ihr und ihren Kindern mit Erschießung. Ein anderer Lomnitzer fuhr mit einem weißen Tuch in der Hand auf dem Fahrrad den aus Richtung Großnaundorf anrückenden Soldaten entgegen. Auch im Ostteil des Radeberger Landes setzten mutige Menschen in dieser turbulenten Zeit ihr Leben ein. Am 7. Mai 1945 sprengten gegen 20 Uhr deutsche Truppen Eisenbahnbrücken und Telegrafenleitungen im Raum Arnsdorf-Kleinröhrsdorf-Seeligstadt. Durch die Tat eines Antifaschisten gelang es, die Brücke zwischen Arnsdorf und Kleinwolmsdorf vor der Vernichtung zu retten. In der Nacht vor dem Eintreffen der Sowjettruppen öffneten beherzte Männer in Arnsdorf die Panzersperren. Und in der Stadt Radeberg? Viele Antifaschisten der Stadt waren in den 12 Jahren der NS-Herrschaft Verfolgungen und Terror ausgesetzt. Alfred Lehmann, Hans Wächtler, Paul Brückner, Walter Eberhard, Emil Vetters und Kurt Hantzsche gehörten zu denen, die jahrelang eingesperrt gewesen waren. In den Apriltagen 1945 vereinbarten sie illegale Treffs. Zu ihnen stieß Georg Wehner, dreimal verhaftet, zuletzt für sechs Jahre im Zuchthaus Waldheim. Er hielt sich seit dem 1. Mai 1945 illegal in Radeberg auf. Wie kann Radeberg der Roten Armee kampflos übergeben werden? Wie kann die Röderstadt vor der Zerstörung bewahrt und das Leben der Bürger erhalten werden? Dieses Problem stand im Mittelpunkt ihrer Überlegungen und Aktivitäten. Georg Wehner und Hans Wächtler sollten den Truppen der Sowjetarmee entgegengehen und über die Lage in der Stadt berichten. 112 Straßensperren mußten beseitigt werden, beginnend am Wiesental und an der Pulsnitzer Straße. Dafür übernahm Emil Vetters die Verantwortung. Außerdem wurde festgelegt, Verbindung mit Antifaschisten der benachbarten Orte herzustellen, so mit Fritz Weitzmann (Seifersdorf) und Karl Pietzsch (Schönborn). Wie am 8. Mai 1945 die Begegnung mit sowjetischen Soldaten vor sich ging, berichtete Georg Wehner: "Es mag gegen 6 Uhr gewesen sein, als wir aus Richtung Wachau den Lärm einer Marschkolonne hörten. Gespannt harrten wir der Dinge. Wir beschlossen, so bald die Sowjetsoldaten sichtbar würden, unsere Deckung im Straßengraben zu verlassen und ihnen winkend entgegenzugehen. Als die sowjetische Einheit noch etwa 300 m entfernt war, gingen wir, uns an den Händen fassend, mitten auf der Straße auf die Rotarmisten zu. Als sie näher kamen, riefen wir: 'Deutsche Kommunisten!...SS kaputt!’ Als dann ein Dolmetscher eintraf, erklärten wir alles noch einmal: Wer wir seien, wie die Lage in unserer Stadt war und welche Vorbereitungen wir getroffen hatten. Nun verstanden sie alles, umarmten uns und nannten uns Towarischtschi (Genossen)." Andere Bürger setzten sich, ihrem Gewissen folgend, in diesen schwierigen Tagen spontan für die Rettung ihrer Heimatstadt ein: Als sich Emil Vetters mit Frau Walther und Herrn Hentschel auf den Weg machten, um wie vereinbart die Sperren im Wiesental zu beseitigen, waren bereits andere, ihnen Unbekannte, dabei, diese Hindernisse wegzuräumen. Wenn der Röderübergang am Ende von Lotzdorf auch nur eine kleine Brücke ist, so konnte sie für Truppenbewegungen von Bedeutung sein. Die zurückflutenden SS-Soldaten hatten Sprengstoff angebracht, um diese Brücke zu sprengen und den vorrückenden Soldaten der Sowjetarmee ein Hindernis in den Weg zu legen. Albert Zumpe, vor 1933 aktives Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei und wegen seiner antifaschistischen Gesinnung verhaftet, eingesperrt und danach in ein Strafbataillon eingezogen, verwundet und im Lazarett auf Genesung hoffend, war einige Tage in Lotzdorf auf Urlaub. Das Lazarett war aufgelöst worden. Er hatte beobachtet, wie die Sprengladung angebracht worden war. Als die Brückenwache zeitweilig ihren Posten verlassen hatte, entfernte er gemeinsam mit Paul Fasold und Erich Franke den Zünder, holte die in die Erde eingebettete Sprengleitung heraus und warf sie in den Garten. So blieb die Brücke erhalten. Auch fünf Minuten vor 12 geht das Morden weiter In der "Enzyklopädie des Nationalsozialismus" wird unter dem Stichwort "Todesmärsche" gesagt: "Phänomen im Dritten Reich, vor allem gegen Ende des Krieges, als die Häftlinge etlicher KZ evakuiert, d.h. in großer Zahl gezwungen wurden, unter unerträglichen Bedingungen und brutalen Mißhandlungen über 113 weite Entfernungen zu marschieren, wobei ein großer Teil von ihnen von den Begleitmannschaften ermordet wurde." In den Monaten März und April 1945 erhöhte sich die Zahl der Todesmärsche sprunghaft. Auch das Radeberger Land war von einem dieser Todesmärsche betroffen. Zwei damals 11jährige Jungen, ihre Eltern wohnten in Wallroda bzw. in Fischbach, haben, sich ihrer Kindheit erinnernd, 53 Jahre später niedergeschrieben, was sie damals sahen. Im Gedächtnisprotokoll von Fritz Zinke ist zu lesen: "Über die seichte Bergkuppe kam von Radeberg her eine Menschengruppe mit einem größeren Bauernhandwagen. Beim näheren Herankommen wurde uns deutlich, es sind Menschen in Sträflingskleidung, die von bewaffneten Uniformträgern bewacht wurden. Um sich herum mußten sie einen Stacheldrahtzaun tragen. An der Bewegung der Gefangenen konnten wir erkennen, daß es den Menschen sichtlich schwer fiel, mit dem Wagen voranzukommen. Auf etwa halber Strecke der einsehbaren Straße fiel einer der Gefangenen um. Die anderen zogen und schoben den Wagen äußerlich scheinbar unberührt weiter. Der Umgefallene blieb liegen und war nun außerhalb des Drahtzaunes. Nach wenigen Schritten blieb der Troß stehen. Einer der Bewachungskräfte griff zum Feldspaten und schlug sehr kräftig und wiederholt auf den Kopf und den Oberkörper des am Boden Liegenden ein. Nach kurzer Zeit zog der Troß weiter. Wir Kinder wollten jetzt sofort auf die Straße und dem liegenden Menschen helfen. Doch unser Vater hielt uns energisch zurück... Die Männer haben sich dann mit dem liegengebliebenen Gefangen noch ein kurzes Stück auf der Straße nach Kleinwolmsdorf bewegt. Neben der Straße wurde danach geschachtet... Wie sich später herausstellte, wurde an dieser Stelle nicht nur ein Gefangener regelrecht verscharrt. Mehrere Wochen nach Kriegsende wurden diese Opfer wieder ausgegraben und auf dem Friedhof in Wallroda (Gedenkstein siehe Seite 115) an der Mauer zur Kirchgasse ordentlich bestattet." Dr. Heinz Senenko schrieb über seine Erlebnisse als 11jähriger: "In der zweiten Aprilhälfte 1945 hatte uns der Frontenlärm um Kamenz Großröhrsdorf in die Keller vertrieben. 'Die Russen kommen!' rief man erschreckt. Auf der Landstraße in Richtung Dresden rollten tatsächlich Panzer heran, Einschläge dröhnten. Später sahen wir, Panzergranaten hatten im Oberdorf Häuser zerstört. 'Am Chauseehaus', so bezeichneten wir das Fischbacher Kreuz, 'liegen die Toten', diese Botschaft ging wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus. Wir machten uns auf den Weg dorthin. Niemals werde ich den Anblick vergessen. Im Bereich der Kreuzung lagen mehrere Tote in gestreifter Kleidung. Damals war dort Heinemanns Sandgrube. In der Einfahrt lagen zerquetschte Körper, die offensichtlich nach der Erschießung von Panzern überrollt worden waren. Nach dem Kriege wurden sie auf dem Friedhof in Fischbach bestattet, wo der Seeligstädter Bürgermeister, Martin Burkhardt, selbst KZ-Überlebender, die Trauerrede hielt." 114 Gedenkstein in Wallroda Gedenkstein in Fischbach 115 Die "Sächsische Volkszeitung" berichtete in ihrer Radeberger Ausgabe vom 15. Oktober 1945: "Auf Anordnung des Polizeileiters wurden im Oktober 1945 auf einer ihm gemeldeten Stelle auf der Flur zwischen Radeberg und Wallroda Nachgrabungen nach dort versteckten Leichen von ehemaligen KZ-Häftlingen vorgenommen. Die Nachforschung ergab, daß rechts an der Straße, in etwa 3o m Entfernung von der Landstraße, auf dem Kartoffelacker sich eine verdächtige Stelle befand. Nachgrabungen zeigten, daß man schon in etwa 50 cm Tiefe auf zwei männliche Leichen stieß. Am 10. Oktober 1945 wurden die Nachgrabungen im Beisein von Wachtmeister Papperitz intensiver weitergeführt. Der Erfolg zeigte, daß man nach Freilegung einer geringen Erdschicht auf insgesamt sechs Leichen stieß. Dieselben waren wahllos in diese Grube hineingeworfen worden. Die Untersuchung der sechs Leichen ergab, daß bei zwei von ihnen der bekannte Genickschuß stattgefunden hatte. Dagegen war bei den vier anderen festzustellen, daß die Schädeldecken vermutlich durch schwere Schläge vollkommen zertrümmert waren. Auch sah man an den teilweise noch vorhandenen Kleidungsstücken der Toten den ungeheuren Blutverlust. Die erste geborgene Leiche zeigte an den noch vorhandenen Kleiderresten das gut bekannte rote Erkennungszeichen der Kriegsgefangenen holländischer Nationalität mit der Erkennungsnummer 91797 und unter diesem Zeichen ein rotes Dreieck. Tod durch Zertrümmerung der Schädeldecke. Die Leiche Nr. 2 war völlig unkenntlich. Tod durch Zertrümmerung der Schädeldecke. Die Leiche Nr. 3 war ebenfalls unkenntlich. An der Schädeldecke war deutlich ein handtellergroßes Loch erkennbar. Leiche Nr. 4 hatte Zivilsachen an und an der Schädeldecke ein geldstückgroßes Loch, das vermutlich der Ausschuß war (Genickschuß). Leiche Nr. 5 hatte einen blau-weiß-blauen Erkennungsstreifen aus Stoff an der Kleidung mit rotem Dreieck, was auf belgische Nationalität schließen läßt. Tod durch Genickschuß. Leiche Nr. 6 hatte ein blau-weiß gestreiftes Hemd an. Der Kopf war völlig zerschlagen. Des weiteren wurden in diesem Grabe ein Kaffeetopf aus Steingut sowie ein Eßlöffel gefunden. Nach Zeugenaussagen einer Frau sind diese Menschen, die einem vorüberziehenden Zug von KZ-Häftlingen ange-hörten, in der Nähe der Grube von ihren Aufsehern erschlagen bzw. erschossen worden..." Auch die Standgerichte wüteten weiter. Über einen grausamen Doppelmord neun Tage vor Kriegsende berichtet die "Arbeitsgemeinschaft Radeberg und Umgebung im Nationalsozialismus" am Radeberger Humboldt-Gymnasium. Mit freundlicher Genehmigung der Verfasser veröffentlichen wir im Anhang den Bericht über diese Schreckenstat und über die Entstehung, die Aktivitäten und die weiteren Pläne dieser rührigen Arbeitsgemeinschaft. In Ottendorf-Okrilla verurteilte ein Standgericht am 27. April 1945 die 18jährige Lydia Baibikowa zum Tod durch Erschießen. Das polnische Mädchen wollte ihren Verlobten aufsuchen. Da sie ihn nicht antraf, hoffte sie, sich zur Roten Armee 116 durchschlagen zu können. Einwohner denunzierten sie. Ein Bürger berichtete: "Es war am 27. April bei Einbruch der Dunkelheit. Ich befand mich auf dem Nachhauseweg in der Köhlerei an der Bergstraße. Da hörte ich vom alten Sportplatz her eine Feuersalve. Ich ging hin und sah das Mädchen neben einer der großen Eichen an der Seite des Sportplatzes liegen". Der verstorbene verdienstvolle Leiter des Heimatmuseums Radeberg, Rudolf Limpach, verwies in einer Studie auf ein schreckliches Verbrechen am 6. Mai 1945: Soldaten bemerkten in der Stadt zwei junge ausländische Mädchen, offensichtlich Zwangsarbeiterinnen, und nahmen sie fest. Einwohner hörten Schüsse. Hinter den Scheunen der Otto-Uhlig-Straße war ein Doppelmord vollzogen worden. Auch gegen die eigenen Leute wüteten die SS-Mörder: Weil der Oberleutnant der Schutzpolizei Unger die Verteidigung der Stadtrandsiedlung in Radeberg (21./22. April 1945) angeblich nicht genügend organisiert hatte, wurde der Polizeioffizier verhaftet und von einem Standgericht zum Tode verurteilt. Schließlich wurde die Todesstrafe in eine langjährige Zuchthausstrafe umgewandelt. Millionenfach verletzten die NS-Barbaren das internationale Kriegsrecht, besonders bezüglich der Behandlung der Kriegsgefangenen: Am Nachmittag des 7. Mai 1945 überflogen drei sowjetische Aufklärungsflugzeuge die Röderstadt. Eine Maschine wurde von der am Heiderand stehenden Hitlerjugend-Flak abgeschossen. Der Pilot konnte abspringen. Zwei SS-Leute nahmen ihn gefangen und brachten ihn um. Sich der Verantwortung entziehen In den letzten Aprilwochen ergriffen die NS-Machthaber Maßnahmen, um die Schuld für ihre blutigen Verbrechen zu vertuschen. Dazu gehörte die Anweisung an die kommunalen Behörden und an die Betriebe, alle Aktenbestände über die NSDAP und ihre Gliederungen, über die Aktivitäten der verbotenen politischen Parteien und Organisationen, über die Juden, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter umgehend und restlos zu vernichten. Zugleich mußten Personalunterlagen, Geheimberichte, Kabel- und andere Pläne der Infrastruktur beseitigt werden. Am 23. April 1945 meldete der Radeberger Bürgermeister, Dr. Hilbert, den Vollzug dieser Anweisung. Auch die umliegenden Gemeindeverwaltungen beseitigten diese Unterlagen. Die Radeberger Zeitung rief noch in ihrer letzten Ausgabe vom 5./6. Mai 1945 die Bevölkerung "zur letzten Bewährung" auf. 117 Zur gleichen Zeit versuchten viele Funktionäre der NSDAP sich durch Flucht ihrer Verantwortung zu entziehen. Das gelang den Hauptverantwortlichen für die Ermordung der Häftlinge des "Arbeitserziehungslagers", SS-Sturmbannführer Ullrich und SS-Untersturmführer Joch. Ebenso setzten sich "Betriebsführer" großer Betriebe, wie der Sachsenglas AG, der Exportbierbrauerei und der Hutschenreuter AG nach dem Westen ab oder tauchten unter. Auch der Leiter der örtlichen Polizei, Senf, war zeitweise verschwunden. In einer Aufstellung aus der Nachkriegszeit über Radeberger Aktivisten der NSDAP steht hinter vielen Namen: "Aufenthalt unbekannt". 118 Sie alle ahmten ihren Gauleiter, Martin Mutschmann, nach, der kurz vor dem Einmarsch der Sowjetarmee in Dresden die "Gauhauptstadt" mit seinem Gefolge, vollbepackt mit Lebensmitteln und anderen Reserven, verlassen hatte und sich im erzgebirgischen Tellerhäuser versteckt hielt. Schließlich verhafteten Mitglieder der antifaschistischen Polizei 10 Tage nach der Kapitulation den Ranghöchsten der NSDAP in Sachsen. Während die Bevölkerung hungerte, wurden in seinem Versteck große Mengen an Lebensmitteln vorgefunden. Auch das muß in Erinnerung gerufen werden: Unter dem Eindruck der jahrelangen national-chauvinistischen Hetze der NSDAP, teilweise gepaart mit Schuldgefühl, ergriff manche Menschen Ausweglosigkeit und Hysterie. Sie sahen keinen Ausweg und begingen Selbstmord. In Pulsnitz waren es über 50 Menschen, in Moritzburg 18 und in Radeberg 30-40 Einwohner. Einige NS-Größen von Radeberg benutzten todbringende Zyankalikapseln, die kurz vor Kriegsende an die Funktionäre der NSDAP verteilt worden waren, sogar für ihre Kinder. Im Juli 1945 konnte der untergetauchte SS-Sturmbannführer Senf festgenommen werden. In seinem Schlips hatte er eine solche Ampulle verborgen und versuchte, sich während seiner Vernehmung zu vergiften. Einem Polizisten gelang es, ihm die Ampulle vorher zu entreißen. Am 8. Mai 1946 hielt Bürgermeister Paul Brückner Rückblick auf das erste Nachkriegsjahr: "Wo waren die Helden der Nazizeit, alle die, die im Gefühl ihrer Macht die Bevölkerung jahrelang terrorisieren konnten? Wo waren die bisherigen Machthaber, die so überheblich vom tausendjährigen Reich gesprochen haben, die stark waren, so lange sie von ihren Nachbetern, Schmeichlern und Marionetten umgeben waren? Aller Heldenmut war vorbei. Feig waren sie geflohen und haben die von ihnen jahrelang "Betreuten", aber auch Geknechteten im Stich gelassen, haben ein Trümmerfeld hinterlassen, nicht nur materiell, auch geistig, moralisch, politisch und seelisch". F F F F F In dem Maße, in dem nach der Befreiung Deutschlands von der Hitlertyrannei der ganze Umfang der Verbrechen und der Barbarei im Dritten Reich aufgedeckt wurde, wuchs die Abscheu der Bevölkerung. "Nie wieder Krieg!" war der einhellige Wunsch. Dazu trugen die eigenen Erfahrungen bei, die fast alle Bürger mit dem Krieg gemacht hatten. Fast jede Familie beklagte Angehörige, die im Kriege gefallen oder umgekommen waren. Allein im zweiten Halbjahr 1943 erschienen in der Radeberger Zeitung 210 Todesanzeigen gefallener Soldaten. Das gleiche erschreckende Bild zeigt ein Blick in die Betriebszeitung des Sachsenwerkes "Arbeit und Freizeit": 119 “Arbeit + Freizeit”, Sachsenwerkchronik - Folge 16, Dez. 1939 120 “Arbeit + Freizeit”, Sachsenwerkchronik - Folge 36, Dez. 1944 121 Die Menschen erinnerten sich an das Versprechen, das Hitler 1933 dem deutschen Volk gegeben hatte und dem die meisten geglaubt hatten: "Gebt mir vier Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!" Deutschland war nicht wiederzuerkennen. Dresden, die Perle an der Elbe, ein einziges Trümmerfeld, äußerste Knappheit an Lebensmitteln und Kleidung, Hunger, Wohnungsnot, Krankheiten, Seuchengefahr... Besonders Hitlergegner und Antifaschisten machten den verzweifelten Menschen Mut, zuzupacken und die Nachkriegsnot Schritt für Schritt gemeinsam zu überwinden. Aus dem Beispiel dieser Antifaschisten und den eigenen Erfahrungen mit zwölf Jahren NS-Diktatur und sechs Jahren Krieg wuchs der Wille der Mehrheit der Bevölkerung, den Nazismus in unserem Lande mit der Wurzel auszurotten. Gemeinsam in Deutschland antifaschistische Verhältnisse zu entwickeln, lag im Interesse der deutschen Bevölkerung und entsprach zugleich den Beschlüssen aller Siegermächte über die Nachkriegsentwicklung in Deutschland. Wer von einem "verordneten" Antifaschismus in der sowjetischen Besatzungszone spricht, ignoriert die geschichtlichen Tatsachen. An dieser historischen Wahrheit ändern auch die Fehler beim Aufbau einer antifaschistischen Gesellschaft und die Versuche der DDR, sie mit antifaschistischen Grundpositionen zu rechtfertigen, nichts. Darüber und über die gesamte Nachkriegsentwicklung in beiden deutschen Staaten und deren Ursachen brauchen wir eine vorurteilsfreie, sachliche, kritische und tolerante öffentliche Diskussion in unserem Lande. Eine Erkenntnis aus unseren Forschungen über das Radeberger Land ist leider noch heute aktuell: Nie darf die NS-Barbarei vergessen werden! Nie wieder Rassenhetze, Juden- und Ausländerhaß! Wehret den Anfängen! Dafür brauchen wir einen antifaschistischen Grundkonsens der Demokraten unserer Stadt und unseres Landes. 122 Anhang Die Arbeitsgemeinschaft "Radeberg und Umgebung im Nationalsozialismus" Seit ungefähr eineinhalb Jahren treffen wir, Schüler der Klassen 9-12 des Radeberger Humboldt-Gymnasiums und unser Lehrer, Herr Mönch, uns, um uns mit der Heimatgeschichte in der Zeit von 1933 bis 1945 zu beschäftigen. Anlaß zur Gründung einer solchen Arbeitsgemeinschaft war zum einen die Anonymität, von der unser Geschichtsunterricht oft geprägt ist. Zum anderen besteht vor allem unter Jugendlichen ein großes Unwissen über diese Ereignisse. Der dritte und wichtigste Grund für unsere Arbeit ist unsere Besorgnis angesichts der immer stärker werdenden rechtsradikalen Tendenzen, besonders unter Jugendlichen. Wir wollen vor allem jungen Menschen die schrecklichen Ausmaße des Nationalsozialismus vor Augen führen, damit derartiges Gedankengut nie wieder Fuß fassen kann und Demokratie als wertvolles, aber verletzliches Gut erfaßt wird, welches immer wieder neu errungen und verteidigt werden muß, damit Humanismus kein leeres Wort bleibt. Wir versuchen, Denkanstöße zu geben und Lehren aus unserer Geschichte zu ziehen. Um unsere Ziele zu verwirklichen, befragen wir Zeitzeugen und werten Dokumente aus. Dabei stießen wir im Herbst 1997 auf ein besonders grauenvolles Verbrechen, den Doppelmord an Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel. Dieser Beitrag wurde von der Arbeitsgemeinschaft Geschichte “Radeberg und Umgebung im Nationalsozialismus” des Humboldt-Gymnasiums Radeberg verfaßt. Als Mentor wirkt der Geschichtslehrer Bernd Mönch. Charlotte Freche 123 Auch in Radeberg wurde gemordet Am 29. April 1945 wurden Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel in Radeberg erhängt. Was war geschehen? Das Radeberger Arbeitslager, in dem Joseph Paulin gearbeitet hatte, wurde aufgelöst. Der junge Belgier wollte am nächsten Morgen die Stadt verlassen und suchte nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Die Straßen waren voller Menschen. Charlotte, die mit einem im Felde stehenden SS-Mann verheiratet war, hatte Joseph Paulin im Sachsenwerk kennengelernt. Sie bat eine Nachbarin, ihn für eine Nacht mit zu sich zu nehmen. Da diese es ablehnte, ließ Charlotte den jungen Belgier in ihrer Wohnung, Winkelwiese 14, übernachten. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, kam der Ehemann zufällig heim, weil die Front immer näher rückte. Nachdem er beide gesehen hatte, verließ er ohne weitere Erklärung das Haus. Kurz darauf gingen auch Charlotte und Joseph Paulin. Der junge Mann mischte sich unter die Menschen auf der Straße. Charlotte fuhr mit dem Fahrrad zu ihren Eltern nach Stolpen und gab ihre Papiere der Mutter. Am Nachmittag erschienen drei SS-Leute, die den Eltern versprachen, daß ihrer Tochter nichts passieren würde; sie sollte nur zu einer kurzen Aussprache kommen. In Begleitung einer ihrer Schwestern wurde Charlotte mit nach Radeberg genommen. Auch Joseph Paulin wurde gefangen. Er war von der SS mit Hunden in der Heide aufgespürt worden. Offensichtlich hatte man ihn geschlagen, denn von seinen Händen lief Blut. Auf der Winkelwiese rief jemand: "Wann und wo ist mir egal, aber ihr holt sofort den Bürgermeister! Wir brauchen den Bürgermeister!" Dieser mußte kommen, da ein Standgericht einberufen worden war. Charlottes Ehemann war bei der Verhandlung, die in der Küche stattfand, nicht anwesend. Einer unserer Zeitzeugen, der damals als Kind im gleichen Haus wohnte, ist durch das Treppenhaus geschlichen und hat zur Wohnungstür, die nur angelehnt war, geguckt. Er sah einen Tisch mit einer Hakenkreuzfahne darüber. Scheinbar wurde dort das Gericht abgehalten. Vorher mußte die Schwester das Haus verlassen. Sie lief heim nach Stolpen. Durch Autos, Soldaten und Gespräche der Erwachsenen neugierig geworden, versuchten die Kinder aus der Nachbarschaft herauszufinden, was passiert war. In einem Jeep, der auf der Straße geparkt war, entdeckten sie zwei große Holzschilder. Sie gingen heran, um festzustellen, was darauf geschrieben stand. Aber ein Soldat forderte sie auf, wegzugehen: "Das geht euch nichts an, das ist nichts für euch!" Draußen vor der Tür stand ein Wachposten. Er fragte eine Nachbarin, die aus einen Fenster sah, nach einer Tasse Kaffee. Die Frau brachte ihm den Kaffee und fragte: "Was macht ihr mit den beiden?" Sie bekam zur Antwort: "Weiß ich nicht. 124 Geht mich nichts an, ich bin nur ein Wachposten." "Na, um Gottes Willen, ihr werdet sie doch nicht etwa in ein KZ stecken?" "Nein, solche werden doch nicht noch durchgefüttert." "Ihr werdet sie doch um Gottes Willen nicht erschießen?" "Nein, eine Kugel ist zu schade, da haben wir keine übrig, wir haben Krieg." Nach der Gerichtsverhandlung gingen die SS-Leute durch das Haus und fragten, wer eine Wäscheleine hat, da kein Strang vorhanden war. Sie klingelten an jeder Wohnungstür, aber keiner wollte eine haben. Der Wachposten verlangte den Bodenschlüssel, und die Tür mußte aufgeschlossen werden. Jeder Mieter besaß eine kleine Bodenkammer. In der ersten stand vorn ein Körbchen mit Klammern und einer Wäscheleine. Nachdem der Wachtposten nach dem Besitzer gefragt hatte, mußte dieser die Leine geben. Ursprünglich sollten sie im Hof der Winkelwiese 14 an einer Teppichstange "aufgeknüpft" werden. Doch die Frauen aus dem Haus haben dagegen opponiert: "Das geht nicht. Wir haben Kinder hier." Die Bitte wurde gewährt. Dafür wurden Charlotte und Joseph Paulin am damaligen Kaiserhof zentral in der Stadt gehängt. Als die Schwester gegen 22 Uhr zu Fuß ihr Elternhaus erreichte, wußte sie noch nicht, daß Charlotte zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Sie und der Belgier wurden sofort nach der Verhandlung zur Hauptstraße 61 gebracht, wo man das Urteil "Tod durch den Strang" gegen 19,30 Uhr vollstreckte. Sie wurden mit Wäscheleinen um den Hals auf einen LKW gestellt. Charlotte sprang herunter, noch bevor das Auto unter ihnen wegfuhr. Joseph Paulin lief mit, solange es ging. Beide hatten ein Schild umhängen. Auf dem Schild der Frau war zu lesen: "Mein Mann ist im Felde und ich habe mit einem Ausländer gehurt". Das Schild des Belgiers trug folgende Aufschrift. "Ich bin Ausländer und habe mich an einer deutschen Frau vergriffen". Charlottes Ehemann brach zusammen, als er seine Frau hängen sah, haben Augenzeugen berichtet. Zur Abschreckung blieben die Leichen bis zum nächsten Morgen hängen. Niemand kümmerte sich um die Toten. Charlotte wurde von ihrer Familie mit dem Auto nach Stolpen geholt. Sie mußte unter einem Baum beerdigt werden, denn sie durfte ihre letzte Ruhestätte nicht in den Reihen der anderen Gräber finden. Die Grabrede hielt eine jüngere Schwester, da der Pfarrer sich weigerte. Aus Angst vor den Nazis war außer der Familie niemand gekommen. Der Vater schrieb ins Stammbuch, daß Charlotte "von SS-Banditen öffentlich gehängt" worden ist, weil sie "einem mit ihr arbeitenden Belgier manchmal ein Stück Brot gab." Für die Nachbarschaft war dieses Urteil um so schlimmer, da sie Charlotte als eine sympathische, aufgeschlossene junge Frau kennengelernt hatten. Nach Kriegsende wurde Charlotte umgebettet, die auf Wunsch ihrer Eltern unter ihrem Mädchennamen beerdigt worden war, da ihr Ehemann maßgeblich am Mord der beiden mitgewirkt hatte. Der Nachbar, der die Wäscheleine geben mußte, wurde nach Kriegsende verhaftet. 125 Die Mörder verstanden sich als die besseren Deutschen. Doch offensichtlich nahmen sie es mit ihrer Muttersprache nicht so genau. Vielleicht aber mußte auch alles sehr schnell gehen, zum Töten jedoch hatten sie genug Zeit. 126 Aber die Mitbewohner waren sich einig, daß jeder in so eine Situation hätte kommen können. Da sie sich sehr für ihn einsetzten, kam dieser schnell wieder frei. Unsere Forschungsarbeit Bei den ersten Treffen unserer AG hatte keiner von uns eine genauere Vorstellung, wie wir an ein solches Projekt herangehen sollen. Unser Lehrer, Herr Mönch, wies uns gleich darauf hin, daß unsere Arbeit nicht nur auf Sympathie stoßen würde. Damals konnte das noch keiner von uns glauben, da wir fest davon überzeugt waren, daß sich niemand gegen unser menschliches Anliegen und die Suche nach geschichtlicher Wahrheit stellen könnte. Später erkannten wir, wie naiv und idealistisch diese Vorstellungen waren. Mit Hilfe eines Fragebogens, den wir zunächst zusammenstellten, verschafften wir uns einen groben Überblick über die Ereignisse in Radeberg während der Zeit des Nationalsozialismus. Wir versuchten, die Fragen so zu formulieren, daß die Gefühle der Zeitzeugen nicht verletzt werden. Dies erwies sich als sehr schwierig und erforderte viel Einfühlungsvermögen. Bei der Auswertung dieser Befragungen wurden wir auf das Schicksal von Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel aufmerksam. Um weitere Informationen über diese Ereignisse zu bekommen, wandten wir uns an andere Hobbyhistoriker, die uns eine Kopie des Standgerichtsurteils zur Verfügung stellten. Die näheren Umstände aber erfuhren wir im Gespräch von der Schwester der Ermordeten. Es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen, zugleich war sie aber froh, daß sich junge Menschen für den tragischen Tod ihrer Schwester und des Belgiers interessieren. Sie empfand es als ein Stück Wiedergutmachung. Auch ehemalige Nachbarn und weitere Zeitzeugen konnten wir befragen. So ergab sich ein genaueres Bild der schrecklichen Ereignisse. Als wir erste Forschungsergebnisse bei öffentlichen Diskussionen in der Stadt Radeberg vorstellten, kam es zu kontroversen Debatten. Mehrfach stießen wir auf seltsame Auffassungen und latente Ausländerfeindlichkeit. Dies spürten wir dadurch, daß manche abfällig von der vermeintlichen Beziehung einer Deutschen mit einem Ausländer sprachen, um das Urteil zumindest teilweise zu legitimieren. Andere versuchten den Doppelmord als Familientragödie zu banalisieren. Und plötzlich begriffen wir, wie schwer es wirklich ist, dennoch einen friedlichen und konstruktiven Meinungsaustausch mit Leuten zustande zu bringen, die andere Auffassungen haben. Schnell ertappten wir uns dann selbst, in leeren Phrasen zu denken, anstatt nach möglichen Argumenten zu suchen, wie wir das schon bei vielen unserer Kritiker erleben mußten. Um das Verbrechen an Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel dauerhaft im Gedächtnis der Menschen wach zu halten, brachten wir im Radeberger Stadtrat 127 den Vorschlag ein, jeweils eine Straße nach den Ermordeten zu benennen. Wir ahnten nicht, auf wieviel Widerstand unser Ansinnen stoßen würde. Wir erlebten streitbare Demokratie und nahmen die Gelegenheit wahr, unsere eigenen Vorstellungen mit einzubringen. Erfolg und Mißerfolg lagen nahe beieinander; Zwar wurde unser Vorschlag der Straßenbenennung mehrheitlich abgelehnt, in der nächsten Stadtratssitzung wurde unser Textvorschlag für eine Gedenktafel mit wenigen Detailänderungen fraktionsübergreifend angenommen. Die Inschrift lautet: Zum Gedächtnis Am 29. April 1945 wurden an dieser Stelle Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel von der SS ermordet. Diese Tat war brutale Konsequenz einer verbrecherischen Weltanschauung. Die Würde des Menschen ist (un)antastbar. Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltung Langfristig bereiteten wir uns auf den 29. April 1998 vor. Der Tag sollte ein würdiges und ehrendes Andenken für die beiden Opfer werden. Da es sehr viel zu tun gab, wurden Arbeitsgruppen gebildet, Aufgaben verteilt und zusätzliche Treffen an Wochenenden und in den Ferien notwendig. Wir begannen, mit selbstverfaßten Zeitungsartikeln die Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Um vor allem junge Menschen für unser Vorhaben zu gewinnen, wandten wir uns mit der Bitte, unser Projekt vorstellen zu können, an Schulleitung und Lehrer. In jeder Klasse unserer Schule gestalteten Mitglieder unserer AG eine Unterrichtsstunde. Für viele Schüler der Sekundarstufe 1 und 2 stellte dieser lebendige und anschauliche Geschichtsunterricht eine besondere Bereicherung des Schulalltags dar. Einladungen für den 29. April verschickten wir sowohl an umliegende Schulen, als auch an Vereine, Parteien und andere Organisationen. Persönlich besuchten wir Junge Gemeinden und Kinder- und Jugendtreffs. 128 Wir waren verwundert, wieviel Aufwand die Vorbereitung eine solche Veranstaltung erfordert. So zum Beispiel mußten wir unsere Reden ausarbeiten, die Musik auswählen, den genauen Ablaufplan zusammenstellen und technischorganisatorische Probleme bewältigen. Der 29. April 1998 auf dem Radeberger Marktplatz 19.30 Uhr eröffnete die Saxophongruppe eines Mitschülers die Veranstaltung. In der sich anschließenden ersten Rede klärten wir die Anwesenden über das Schicksal von Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel, die am 29. April vor 53 Jahren in Radeberg erhängt worden sind, auf. Dabei zeigten sich viele Teilnehmer sehr bewegt. Mit unseren Kritikern setzen wir uns in der zweiten Rede auseinander. Wir begründeten, weshalb wir uns ausgerechnet diesen Fall gewählt haben. Zitat: "..., denn die wären doch selber schuld, das wäre doch Ehebruch oder eine Familientragödie gewesen". Uns geht es aber um einen Staat, in dem Gesetze den Mord an zwei Menschen legalisieren. Zudem haben wir weder behauptet, daß zwischen den beiden keine Beziehung bestanden hat, noch könnte irgend jemand beeiden, es hätte eine intime Freundschaft zwischen den Ermordeten gegeben. Auch auf den Vorwurf, die zwei hätten doch gar nichts geleistet, seien keine Widerstandskämpfer gewesen, gingen wir ein. Für uns sind Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel Opfer, deren geraubte Ehre wir ein Stück mit dieser Veranstaltung wieder herstellen wollen." In der dritten Rede wollten wir den Teilnehmern zeigen, wie wichtig es heute noch ist, daß man sich mit dieser Geschichte, besonders in den Jahren von 1933-1945, auseinandersetzt. Wir wiesen auf aktuelle Tendenzen hin, die verdeutlichen, daß viele die Schreckenstaten der Nationalsozialisten wahrscheinlich schon wieder vergessen haben. Mit den Worten des Schriftstellers Erich Fried endete diese Rede: “Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder nichts tun." Im Anschluß an diese Reden, die alle von Schülern unserer Arbeitsgemeinschaft gehalten wurden, gingen wir an den Ort, an dem Charlotte und Joseph Paulin vor 53 Jahren erhängt worden waren. Der Trauermarsch wurde von monotonen Trommelklängen bis zum Haus der Hauptstraße 61 begleitet. Dort angekommen, legten die Anwesenden mitgebrachte Kerzen und Rosen nieder. Anschließend wurde das Urteil verlesen und zu einer Schweigeminute für die beiden Ermordeten aufgefordert. 129 Zum Abschluß rezitierte ein Mitglied unserer Arbeitsgemeinschaft das Gedicht "Überlegungen" von Martin Niemöller, welches den Leuten einen letzten Anstoß zum Nachdenken geben sollte: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen . Ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert, ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." Musikalisch ließen wir die Gedenkveranstaltung ausklingen. Ein größeres Polizeiaufgebot sicherte den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung, was uns angesichts einiger merkwürdiger Zaungäste durchaus angebracht erschien. Presse und Fernsehen berichteten. Viele Teilnehmer dankten uns für die ergreifende Gedenkstunde. "Rote Rosen für Ermordete" (Sächsische Zeitung, 02./03. Mai 1998) und Kerzen zeugten noch tagelang von diesem Abend. Gedenken am Ort des Verbrechens, Trauermarsch am 29. 4. 1998 130 Sachsensieger im Wettbewerb um den GOLDENEN FLOH, einem Förderpreis für praktisches Lernen Mitte Mai 1998 entdeckten wir in der Schule ein Plakat, auf dem zu einen Wettbewerb aufgerufen wurde. Auf diesem war zu lesen: "Ein Oscar, der Floh heißt: Der GOLDENE FLOH ist ein Förderpreis für Praktisches Lernen der Jugendzeitschriften Flohkiste und Floh unter der Schirmherrschaft des sächsischen Kultusministers Dr. Matthias Rößler, ausgeschrieben von FLOH Praktisches Lernen e.V. und dem Verband Bildung und Erziehung Sachsen... Ausgezeichnet werden Beispiele praktischen Lernens, in denen unsere Welt durch Unterrichtsthemen und Projekte handelnd und sinnvoll erfahren und begriffen werden kann... Teilnahmebedingungen: Schicken Sie uns bitte Ihr Beispiel praktischen Lernens aus Ihrem Unterricht, aus Arbeitsgemeinschaften, Projektwochen oder Projekten aus Ihrem Schulleben, von Erkundungen, Aufführungen oder Ausstellungen. Die Darstellungen können sich auf aktuell verwirklichte, laufende oder im Ausschreibungszeitraum begonnene Vorhaben beziehen. Stellen Sie der Jury Ihr Projekt zum praktischen Lernen in einem Bericht vor, der nicht mehr als zehn Seiten umfaßt (DIN A4). Dieser kann durch Fotos, Videos, Dokumente usw. ergänzt werden." Wir beschlossen, daran teilzunehmen. Allerdings gab es ein Problem: Bis zum Einsendeschluß blieben uns nur zwei Tage. In einer wahren "Nacht- und Nebelaktion" stellten wir aus Fotos, Zeitungsausschnitten und bereits vorhandenen Texten eine Mappe über das Schicksal von Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel sowie über unsere Arbeit zusammen. Ungefähr 150 Gruppen beteiligten sich an diesem Wettbewerb. Um so mehr freuten wir uns, als wir einen Monat später erfuhren, daß wir zu den 20 Preisträgern gehörten, die ihr Projekt in Zittau präsentieren durften, damit die endgültige Plazierung festgelegt werden konnte. Bis dahin arbeiteten wir an unserem Ausstellungsmaterial, das wir mitnehmen wollten. So zum Beispiel stellten wir Mappen mit Zeitungsausschnitten und Briefen zusammen. Ein rotschwarz-geflammter Modellgedenkstein, eine Fototafel über den 29. April und das Video dieser Gedenkveranstaltung gehörten ebenfalls zu unserem Gepäck. In der Zittauer Mittelschule am Burgteich stellten wir am 26. und 27. September 1998 der Jury und interessierten Besuchern unsere Ergebnisse vor. Viele Leute ermunterten uns, nicht aufzugeben und uns für unsere Ziele einzusetzen. Einige ältere Menschen erzählten von ihren Erlebnissen aus dem 2. Weltkrieg. Die Atmosphäre an diesem Wochenende war sehr angenehm und wohltuend. Grundschüler, Mittelschüler, Förderschüler, Behinderte und Gymnasiasten gingen alle natürlich und verständnisvoll miteinander um. 131 Mit einer musikalisch umrahmten Auszeichnungsveranstaltung wurde die Präsentation abgeschlossen. In der Kategorie Mittelschulen/Gymnasien wurden wir Sachsensieger. Mit dem Preisgeld wollen wir einen Teil der Gedenktafel für Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel finanzieren. 132 Eine Ausstellung im Schloß Klippenstein Um unsere Ergebnisse für einen längeren Zeitraum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, stellten wir eine kleine Dokumentation unserer Arbeit zusammen. Zur Eröffnung am 16. November 1998 luden wir Zeitzeugen, mit denen wir im Verlauf unserer Nachforschungen gesprochen hatten, verschiedene Organisationen und Einzelpersonen, die uns unterstützt hatten und natürlich interessierte Einwohner Radebergs ein. Schätzungsweise 50 Personen waren dieser Einladung gefolgt. Nachdem Frau Altmann als Museumsleiterin, der Bürgermeister, Herr Lemm, und unser Lehrer, Herr Mönch, zu Wort gekommen waren, war es an uns, etwas zu sagen. Wir bedankten uns noch einmal bei allen, die uns immer wieder unterstützt und ermutigt haben, nicht lockerzulassen und weiterzuforschen. Anschließend rezitierten wir das Gedicht "Gespräch mit einem Überlebenden" von Erich Fried, daß wir schon bei der Gedenkveranstaltung auszugsweise einbezogen haben... Eine Gedenktafel für Charlotte und Joseph Paulin Leider war es uns nicht möglich, die Gedenktafel für Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel schon am 29. April 1998 zu enthüllen. Dazu fehlten uns die finanziellen Mittel. Nach unserem Spendenaufruf, dem auch viele gefolgt sind, haben sich nun neue Möglichkeiten eröffnet. Die Firma Formguß Dresden GmbH ist bereit, die Produktions- und Materialkosten für die Bronzeplatte zu übernehmen. Bei der Aufstellung eines Konzeptes für die Gestaltung dieser Platte steht uns der Radeberger Künstler Detlef Herrmann mit Rat und Tat zur Seite. Wir hoffen so, die Gedenktafel am 29. April 1999 am Ort des Verbrechens, vor dem Gebäude der Hauptstraße 61, enthüllen zu können. Pläne für die Zukunft Natürlich müssen wir erst diese Forschungsarbeit beenden, bevor wir uns neuen Themen zuwenden können. So sind wir beispielsweise schon dabei, Kontakt mit Belgien aufzunehmen, um Informationen über den Belgier und den Verbleib dessen Leiche zu erhalten. Dazu haben wir uns an die belgische Botschaft und verschiedene Suchdienste gewandt. Bisher leider ohne Erfolg. Zudem haben wir unser Ziel, Straßen nach den Ermordeten zu benennen, noch nicht aus den Augen verloren. Wenn wir dieses Projekt abgeschlossen haben, wollen wir uns neuen Nachforschungen widmen. Anhaltspunkte dafür haben wir schon gesammelt. 133 Einflußreiche Parteien und Organisationen während und nach der Weimarer Republik SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands 1875 vereinigten sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Mitgliederzahl: 1914 1 085 905 Mitglieder 1932 1 008 953 Mitglieder Von 1924 bis Mitte 1932 stellte die SPD die stärkste Fraktion im Deutschen Reichstag. SAP - Sozialistische Arbeiterpartei Als linke Opposition aus der SPD ausgetretene oder ausgeschlossene Mitglieder gründeten am 2.10.1931 in Breslau die Sozialistische Arbeiterpartei. Unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkrieges zerfiel die Auslandsleitung der SAP. Damit hörte sie auf, als selbständige Partei zu bestehen. KPD - Kommunistische Partei Deutschlands Am 30.12.1918 von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet, war sie 1932 die drittstärkste Partei in Deutschland. Zu ihren Fehlern gehörte die Sozialfaschismusthese gegenüber der SPD und die Unterschätzung des NSTerrors. Im Widerstand gegen die NS-Diktatur erlitt die KPD die größte Zahl an Opfern (unmittelbar nach dem Reichstagsbrand ca. 11.000 Verhaftete), prozentual gefolgt von den Bibelforschern (Zeugen Jehovas). KPD (O) - Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) Am 30.12.1928 von August Thalheimer und Heinrich Brandler gegründet. Mit dem Programm des deutsch-nationalen Weges zum Sozialismus und scharfer Kritik an der stalinistisch dominierten KPD und der kommunistischen Internationale wollte sich die KPD (O) gegenüber der KPD unter Ernst Thälmann durchsetzen. Das gelang nicht. 134 DNVP - Deutschnationale Volkspartei Gegründet am 22.1.1918 von Großunternehmern, Großgrundbesitzern und An-gehörigen des ehemaligen monarchistischen Offizierskorps. Ziele: Beseitigung der Weimarer Republik Rückkehr Deutschlands zur Monarchie Wiedererwerb der deutschen Kolonien Kampf gegen jüdische Kreise 1928 hatte die DNVP 696.000 Mitglieder, die besonders im "Stahlhelm" aktiv waren. Am 1.12.1931 schloß sich die DNVP mit der NSDAP und dem "Stahlhelm" in Bad Harzburg zur nationalen Opposition, der "Harzburger Front" zusammen. DVP - Deutsche Volkspartei Gegründet am 23.11.1918. Ende 1920 hatte sie 800 000 Mitglieder, die sich auf den Boden der Weimarer Republik stellten, jedoch am Ende der Weimarer Republik zunehmend für den Abbau der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie wirkten und den Faschisierungsprozeß unterstützen. Nach der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23.3.1933 löste sich die DVP selbst auf. Stahlhelm Am 13.11.1918 von Fabrikbesitzer Franz Seldte (DVP) gegründeter paramilitärischer Wehrverband zur Niederschlagung der Novemberrevolution. Zwischen 1924 und 1929 hatte der Stahlhelm 500.000 Mitglieder, die ab 1930 zunehmend zur NSDAP überwechselten. Seldte wurde am 30.1.1933 Arbeitsminister in der ersten Hitler-Regierung. Am 27.4.1933 unterstellte sich der Stahlhelm der Hitlerregierung und wurde in die SA übernommen. NSDAP - Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Die am 5.1.1919 in München gegründete Deutsche Arbeiterpartei entwickelte sich mit Unterstützung des bayrischen Reichswehrkommandos und gab sich am 24.2.1920 den Namen NSDAP. Mitgliederzahl: 1925 27 000 Mitglieder 1929 176 000 Mitglieder 1930 806 000 Mitglieder 1933 3 900 000 Mitglieder 1945 9 600 000 Mitglieder 135 SA - Sturmabteilung Von Hitler am 3.8.1921 als Kampftruppe gegründet, wurde die SA ab 1931 zu einer halbmilitärischen Terrororganisation ausgebaut. 1932 hatte sie 300.000 Mitglieder. SS - Schutzstaffel Die SS war der Stoßtrupp Hitlers und gehörte anfangs organisatorisch der SA an. Sie wurde jahrelang von der Reichswehr logistisch und mit Waffen unterstützt. Von 400 Angehörigen im Jahr 1923 wuchs sie auf 52.000 im Jahr 1933 und 146.000 im Jahr 1944. Waffen-SS Sie wurde von Reichsminister Himmler am 18.5.1933 gebildet. Am 30.6.1944 hatte sie einen Bestand von 600.000 Mann, davon 350.000 Feldtruppen (35 Divisionen). 136 Quellen und Literaturangaben Stadtverwaltung Radeberg, Archiv-Nr.: 62, 177, 227, 403, 2073, 2074, 2180, 2189, 4000, 4100, 4151, 5046 Nr. 3489: Ortschronik der Stadt Radeberg 1945 bis 1989, Band 1, von Rudolf Thomas Nr. 3589: Chronik der Stadt Radeberg und Umgebung bis 1948 von Theodor Arlt. Archiv der Bezirksstaatsanwaltschaft Dresden Landesnachrichtendienst, herausgegeben von der Landesverwaltung Sachsen/ Landesnachrichtendienst, September/Oktober 1945 Radeberger Zeitung und Tageblatt (RZ), Jahrgänge 1922, 1931-1938, 1943, 1944 und einzelne Ausgaben 1945 Der Freiheitskampf, Amtliche Zeitung der NSDAP, Amtliches Blatt der Behörden, Dresden, Januar bis 6. Mai 1945 Volkszeitung, Dresden, September/Oktober 1945 Volksstimme Dresden, September/Oktober 1945 Sächsische Zeitung vom 1.4.1964, 9.10.1991, 25.3.1992, 25.10.1994, 21.1.1998 Neues Deutschland vom 21.7.1998 Annaberger Tageblatt vom 17. Mai 1945 Die Radeberger Heimat, Heft 1 und 2, 1994 und 1995 Enzyklopädie des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, Stuttgart, Klett-Cotta 1997 Deutscher Bundestag: Fragen an die deutsche Geschichte, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Bonn 1990 Chronik des antifaschistischen Widerstandes im Kreis Dresden-Land 19331945, Dresden 1985 Chronik des VEB RAFENA-Werkes, 1915-1957 Ortschroniken von Wachau, Ottendorf-Okrilla, Arnsdorf, Lomnitz, Kleinwolmsdorf, Schönborn, Langebrück Lebenserinnerungen verdienter Partei- und Arbeiterveteranen des Kreises Dresden-Land 1933-1945, Dresden 1985 Zeitzeugen und andere Berichte von Karl Pietzsch (Radeberg), Georg Wehner (Dresden), Albert Zumpe (Radeberg), Franz Dobermann (Dresden), Arthur Hofmann (Dresden), Dr. Heinz Senenko (Sebnitz), Fritz Zinke (Radeberg), Otto Wittich (Kleinwolmsdorf), Hans Thalheim (Lomnitz), jeweils im Besitz der Verfasser Privatarchive sowie Material- und Fotosammlungen zu einzelnen Sachgebieten von Herbert Böhm, Rosemarie Böttcher, Eberhard Wehner, Helfried Wehner (alle Radeberg), Otto Wittich (Kleinwolmsdorf), Hans Thalheim 137 Beier Gottfried: Unerschrockene Frauen gedemütigt, in: Sächsische Zeitung vom 6.11.1997 Bergschicker Heinz: Deutsche Chronik 1933-1945, Berlin 1981 Böhm Boris: In Jammer und Schmerz ist sie erloschen, in Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen in Sachsen, Beiträge zu ihrer Aufarbeitung, Dresden-Pirna 1996 Ders.: Die Euthanasieanstalt Pirna-Sonnenstein 1940-1941, in: ebenda Böhm Herbert: Der gelbe Stern, Gedanken zur Reichskristallnacht vor 50 Jahren, in: ROBOTRON, November 1988 Czok, Karl: Geschichte Sachsens, Weimar 1989 Forner, Willy: Kriminalsekretär Beyerleins letzter Fall in: Dresdener Pitaval, Kriminalfälle aus vier Jahrhunderten Gebauer, Hans-Werner: Biografische Anmerkungen zum Lebensweg des Radeberger Bürgermeisters Otto Uhlig, Langebrück-Radeberg 1997 Goldenhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, 1996 Gute, Herbert: Partisanen ohne Gewehr, Berlin 1970 Knopp, Guido: Hitler - eine Bilanz, München 1997 Körner, Eberhard: Das Verbrechen an Familie Schönwald, in: Sächsische Zeitung vom 9.10.91 Konev, I. S.: Das Jahr fünfundvierzig, Berlin 1969 Limpach, Rudolf: Kampfweg des Sieges - Tagebuch der Befreiung, eine Dokumentation, in: Radeberger Kulturleben 1975 Löwental, Richard, von zur Mühlen, Patrik (Hg): Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933-1945, Bonn 1997 Marschner, Wolfgang: Verfolgt - Verschleppt - Verbrannt (Sächsische Hefte), Vom Schicksal der Juden in Dresden, Dresden 1995 Naumann, F. : Die Hilfe, Gotteshilfe, Selbsthilfe, Staatshilfe, Bruderhilfe, Berlin, Nr. 28 vom 14.7.1895 Rosanow, German: Des Ende des dritten Reiches, Berlin 1965 Schmeitzner, Mike und Rudloff, Michael: Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag, Dresden 1997 Schröder, Nina: Hitlers beugsame Gegnerinnen, Der Frauenaufstand in der Rosenstraße, Wilhelm Heyne-Verlag, München, 1997 Stephan, Klaus: Zur politischen Bedeutung des Dresdner Prozesses gegen die faschistischen Massenmörder des Arbeitserziehungslagers der "Sachsenwerk Licht- und Kraft AG" in Radeberg (25. September bis 2. Oktober 1945), Staatsexamenarbeit , Dresden 1964 Stolle, Charlotte: Der "Radeberger Prozeß" - Erste demokratische Justizorgane urteilen im Namen des Volkes, in: Als der Krieg zu Ende war..., Dresden 1985 138 Wehner, Herbert: Zeugnis persönliche Notizen 1929-1942, Halle-Leizig 1990 Wehner, Helfried / Gräfe, Karl-Heinz: Die Befreiung unseres Volkes vom Faschis-mus und der Beginn der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, darge-stellt am Beispiel des Landes Sachsen, in: Sächsische Heimatblätter, Heft 5 / 1975 Ders.: Verbrechen an Zwangsarbeitern in: Sächsische Zeitung vom 20.9.85 Ders.: Verjährung? Niemals?, eine aktuelle Dokumentation in: Sächsische Zeitung vom 1.4.65 Wenske, Jürgen: In Gedenken der Opfer des 20. Juli (Kreisauer Kreis, Schlesien), in Neues Deutschland vom 21.7.98 Aliiertes Haftstättenverzeichnis "Cataloque of Camps und Prisons in Germany": Arbeitserziehungslager Radeberg: working for the "Sachsenwerke" in Radeberg, established summer 1944. Strength: 300 persons in september 44, later 400-600-800 persons. At liberation in May 1945 200 persons. In january 1945 executions started, more than 150 prisoners lost their lives in this manner (1949). Gedenkblatt: Den Opfern der Euthanasie aus Kleinwachau 1940-1943 Die Mörder in Weiß - Das NS-Euthanasieprogramm, Wettbewerbsarbeit von Berliner Schülerinnen in: ANTIFA, 1/1996 Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen in Sachsen, Beiträge zu ihrer Auf-arbeitung, Dresden-Pirna 1996 Antisemitismus und Massenmord, Rosa-Luxemburg-Verein e.V., Heft 16, Leipzig 1994 Radeberger Marktgeschichten, Radeberg, 1989 Als der Krieg zu Ende war, Dresden 1985 Um der Zukunft Willen nicht vergessen, Pädagogisches Begleitheft zur Ausstellung, Kamenz 1997 Chronik Bibliothek des 20. Jahrhunderts 1940-1944, München 1995 Hohnstein und Umgebung, In der Nationalparkregion Sächsische Schweiz, Hohnstein 1995 139 Impressum: Herausgeber: Bund der Antifaschisten, Region Dresden e.V. Autorengruppe unter Leitung von Prof. Dr. Helfried Wehner Fotoreproduktion der 12 graf. Blätter: Dieter Büttner, Radeberg Satz, Gestaltung und Repros (Agfa-Scanner): PC-Satzstudio Förster, Zittau Druck und Weiterverarbeitung: Graphische Werkstätten Zittau 140