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Karl - Josef Pazzini Für bedingte Unterstützung • gegen Terror • gegen Kriech • Ruf doch mal an Zwei Tage vor dem Terroranschlag in New York und Washington telephonierte Ussama bin Laden mit seiner Mutter. Dies war das erste Telephonat seit zwei Jahren, weil bin Laden in Kenntnis der Abhörmöglichkeiten nicht mehr telephonierte. Er teilte ihr mit: „In zwei Tagen wirst Du von mir große Neuigkeiten hören, und Du wirst dann eine zeitlang nichts mehr von mir hören.“ Jedenfalls wurden keine Telephonate mehr abgehört. Egal: Er wußte jedenfalls, daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, abgehört zu werden. Und er telephonierte dennoch. Es war ihm wichtig. Ich erwähne diese Geschichte, weil sie mich anregt, zunächst mit den Mitteln meiner Erfahrung, meiner Denkmöglichkeiten auf die Herausforderungen durch den Terror, der am 11. September 2001 für uns in aller Deutlichkeit in Erscheinung trat, zu reagieren, mich nicht lähmen zu lassen. Vorher war der Terror nicht so leicht bemerkbar und gab nur Anlaß, hier und da mal drüber nachzudenken. Ich nutze das Schreiben als Form, einen Widerstand aufzubauen, hoffentlich keine Abwehr, gegen diesen Terror, und zu entdecken, wie ich damit selber zusammenhänge. Wir sind ja alle vernetzt. Es geht um das „Wie“ dabei. Nicht darum, ob ich damit zusammenhänge. Es bedarf keiner großen Denkanstrengungen festzustellen, daß ich als Mitglied dieses Staates jedenfalls von einem Faktor, der zu einem solchen Terror führen kann, profitiere: Es ist nicht auszuschließen, daß unser relativer Wohlstand auch zusammenhängt mit der Zerstörung des sozialen Lebens in Ländern der sogenannten Dritten Welt. Wenn das auch nicht der Grund ist für diese Form des Terrorismus, so ist er diesem doch wahrscheinlich förderlich. – Und auch in der anderen Richtung gedacht: Ich profitiere auch vom Fundamentalismus, wie ihn Europa vor 300 Jahren nach Amerika exportiert hat, in God’s own country – God bless America!, das vorher wohl jemand anders gehörte. Ein anderes Moment liegt in der Art und Weise wie wir uns bilden als individuelle Subjekte: Das läuft über die Idealbildung, die in der Rede vom Ich steckt, das in sich eine Gewißheit konstruieren muß, und dies läuft immer über eine Aggressivität, sei es gegenüber dem eigenen Körper, der nicht so will, wie „Ich“ das vorgesehen hat, oder gegenüber dem Nebenmenschen, der auch nicht so reagiert, wie „Ich“ das erwartet hat. Masodienstlich: privat / psychoanalytische Praxis: Prof. Dr. Karl - Josef Pazzini Universität Hamburg • FB Erziehungswisse nschaft • Institut 10: Didaktik der Ästhetischen Erziehung • Bildende Kunst • Von Melle Park 8 • 20146 Hamburg • Tel. +49-40-428-38 - 2145 • Fax - 6120 • G eschäftszimmer - 3198 • Fax 2112 • email: [email protected] • http://kunst.erzwiss.uni-hamburg.de Bornstr. 12 • 20146 Hamburg • Tel. 040/41352906 • Fax 040/ 41352907 2 chismus und Sadismus werden zu Quellen der Lust (jedenfalls bei mir, und ich kenne noch ein paar andere). In dieser Aggressivität liegt ein breiter Fundus, der nach Sicherheitsoperationen verlangt. Jeder fünfte Hamburger überträgt diese anstrengende Arbeit einer Dreifaltigkeit, einem Richter, einem Freiherrn und einem Konteradmiral, allesamt Parodien patriarchaler Typen, nachdem die staatlichen Institutionen enttäuschten. Das ist noch relativ ungefährlich. Aber auch ein Symptom dafür, daß die angebliche „vaterlose Gesellschaft“, sich nicht mit der Vaterlosigkeit abfindet, jedenfalls nicht dahin gelangt ist, mit dem dauernden Entzug des Vaters, mit einem notwendig versagenden und untersagendem Vater zu leben. Er entspricht in seiner Großartigkeit nicht unseren Wünschen, das tun erst recht nicht die Väter der Fremden, ... Coming together • Nichts ist unmöglich Bin Laden ruft nach zwei Jahren zum ersten Mal seine Mutter an. Das ist das, was Freud einen Symptomhandlung nennt, eine versuchte Stillstellung eines Konflikts durch Kompromißbildung. In diesem Konflikt findet sich der Wunsch nach „Rückkehr“ zur Mutter, der Wunsch, angenommen zu werden als leistungsfähiger, potenter Sohn1. Genau diese Figur des Agierens ist die Grundfigur des Terrors, der Überschreitung des Gesetzes. Terror ist die Reaktion auf eine nicht aushaltbare Trennung von der Quelle einer phantasmatischen Befriedigung, die es nie gab. Das ist der Drang zum unmittelbaren Akt, zur unmittelbaren, authentischen Praxis. Der Terror meint das zerstören zu können, was in der Einbildung zur Trennung getrieben hat – auch auf dem Umweg über Projektionen. Der Terror erinnert an Werbekampagnen „Coming together“ oder „Nichts ist unmöglich“. Solange diese als spielerische Wünsche mit einem Schuß Ironie wahrgenommen werden können, sind diese produktiv. Sie müssen aber auch als Anzeichen wahrgenommen werden können für eine Gefahr. Terror kann deshalb nur immer wieder überwunden werden dadurch, daß er zur Ur-Sache des Symbolischen wird. Wir können etwas schaffen, daß uns vom terroristischen Wunsch distanziert, die Trennung aushalten läßt. Zu den terroristischen Wünschen gehört auch das Phantasma der Nation (Terror und Territorium liegen soweit nicht auseinander) oder der Nato (da fehlen nur ein paar Buchstaben) als eines Bandes, einer Wiedervereinigung in geteiltem Leid und aufwärts zu neuer Stärke. Trennung kann unaushaltbar werden, wenn es keine Hoffnung auf Sinn gibt, bzw. dieser Sinn nur in einer ganz bestimmten Form als gegeben 1 Dieser Rückkehrwunsch – unter Umgehung des Gesetzes auch als Inzest zu bezeichnen – ließe sich mit ein paar weiteren Argumentationsschritten auch als eine Manifestation des Todestriebs entziffern. 3 vorgestellt werden kann, nämlich als Vernichtung dessen, was den bornierten Sinn stört, den man sich privatsprachlich zurechtgelegt hat. Terror vereinigt und stellt unmittelbar Sinn wieder her. Auch bei den Adressaten des Terrors, wenn sie denn den Terror bedingungslos aufnehmen. Die großtheoretischen Überlegungen unterbreche ich hier für einen Moment. Stockhausen in Hamburg und anderswo Die folgenden Überlegungen2 beziehen sich auf ein Hamburger Ereignis fünf Tage nach dem Anschlag auf das WTC in New York und das Pentagon in Washington. Der Komponist Karl-Heinz Stockhausen durfte am Hamburger Musikfest nicht mehr teilnehmen. „17. September 2001 /kb17 Musikfest Hamburg 2001 Stockhausen-Konzerte werden abgesagt! Auf Bitten der Kulturbehörde und des Hauptsponsors ZEIT-Stiftung hat die Musikfest Hamburg GmbH beschlossen, die beiden Konzertabende des Komponisten Karlheinz Stockhausen abzusagen. Der Grund sind Äußerungen von Stockhausen zu den jüngsten Terrorakten in den USA. Von der Absage betroffen sind vier Ko nzerte am morgigen Dienstag und am Mittwoch in der Musikhalle. Karlheinz Stockhausen hatte in einer Pressekonferenz am Sonntag die Terroranschläge in New York als das „größte Kunstwerk, das man sich vorstellen kann“ bezeichnet, seine Äußerungen aber am Montagabend widerrufen. Nach Ansicht der ZEIT-Stiftung und der Kulturbehörde ist aber trotz dieses Dementis ein Auftritt Stockhausens in Hamburg nicht mehr akzeptabel.“3 Das Ereignis und die Folgen sind aber beispielhaft für eine eilfertige, „bedingungslose Unterstützung“ genannte Haltung, die zunächst kunstfeindlich ist und sich fürchtet, das Neue an den Herausforderungen für Denken, Wahrnehmen und Handeln mit Risikofreude anzugehen. Sine conditio Und das Muster dieser Hamburger Ereignisse ist nicht singulär geblieben. Ulrich Wickert hat’s erwischt, Lehrer werden vom Dienst suspendiert, weil sie sich einer „bedingungslosen Unterstützung“ verweigern oder ihnen diese mißlingt. Dem Lehrer Nolz z.B. wird eine Fehleinschätzung vorgeworfen: Er habe einen Trauermarsch mit einer politischen Kundgebung verwechselt. Er hatte aufgerufen den Kriegsdienst zu verweigern und gesagt „Seit vielen Jahren beeinträchtigen die USA die Arbeit der Vereinten 2 3 Dank an Erik Porath, der mic h angeregt hat, einige Differenzierungen einzufügen. Für Rückfragen: Ingo Mix, Pressesprecher Kulturbehörde. Tel: 040/428 24-207. Im Internet: http://www.hamburg.de/fhh/behoerden/kulturbehoerde/aktuelles.htm 4 Nationen. Das reichste Land der Welt kommt seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach. Derselbe Staat stellt jetzt 40 Milliarden bereit, um aufzurüsten ...“4. Er wird vom Dienst suspendiert. Ich plädiere hier nicht dafür, daß jeder alles sagen darf, ohne daß dies Konsequenzen zeitigt. Man muß jeden Redner und jeden Schreiber beim Wort nehmen, notfalls bei jedem einzelnen. Es kommt aber darauf an, Vorsicht walten zu lassen, damit man nicht im Terror landet, bei einer bedingungslosen Unterstützung oder beim bedingungslosen Dahinterstehen (zweiwertige Logik). Die Bedingung ist ja jenes Dritte, das die binäre Logik aufbricht. Die Conditio, das, was mit gesagt wird, mitgesagt werden muß. Bedingungslosigkeit ist vielleicht im Zustand der Verliebtheit verständlich oder nach einer Gehirnwäsche, nicht aber im politischen Handeln. Wer sich bedingungslos dahinter stellt, produziert eine (dyadische) Einheit. Im Erwachsenenalter geschieht dies bei Panik, bei extremem Anlehnungsbedürfnis aus Bequemlichkeit oder als Vernichtungswunsch gegenüber der eigenen oder der anderen Individualität. Kitsch Zum Stockhausenereignis zurück: Ich teile nicht die künstlerische Position des Stockhausens, auf deren Hintergrund die inkriminierte Äußerung basiert, soweit ich das als Nicht-Musiker einschätzen darf. Ich wende mich gegen einen heuchlerischen Umgang mit Aussagen, die aus einem Kunstdiskurs entstehen, der ansonsten goutiert und mit Preisen veredelt wird. Es war doch klar, wen man da fragt. Stockhausen kommt weder von der protestantischen Landeskirche, noch vom Friedensforschungsinstitut. Kunst ohne Risiko ist Kitsch. Wer Risiken wünscht, kann und muß auch damit rechnen, daß es daneben geht. Die hier angedeutete abweichende Position müßte aber in einem fortgesetzten Diskurs erst genauer entwickelt werden. Genau dies wurde durch die einfache Absage der Aufführungen von Stockhausens Musik unterbunden. Seine Äußerung wurde funktionalisiert zum Ausweis einer politisch korrekten Haltung in einer Krisensituation. Nicht aber etwa die Veranstaltungsform geändert. Der mir zugängliche und die Absage auslösende Teil seiner transkribierten Äußerung war folgende: "Was da geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Dass Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, dass Leute zehn Jahre 4 Siehe taz vom 6./7. 10. 2001, S.4 und vergleiche: taz Nr. 6554 vom 20.9.2001, Seite 2, 32 und taz Nr. 6553 vom 19.9.2001, Seite 17 5 üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen sich das doch vor, was da passiert ist. Da sind also Leute, triert auf eine Aufführung, und dann werden 5.000 Leute gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen als Komponisten. sterben. Das ist das Kosmos. Stellen Sie die sind so konzenin die Auferstehung sind wir gar nichts, . . . Stellen Sie sich vor, ich könnte jetzt ein Kunstwerk schaffen und Sie wären alle nicht nur erstaunt, sondern Sie würden auf der Stelle umfallen, Sie wären tot und würden wiedergeboren, weil es einfach zu wahnsinnig ist. Manche Künstler versuchen doch auch über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen." Zit. Nach taz–hamburg vom 19.9.01 Freunde des Verbrechens In Hamburg hat sich der Komponist K.H. Stockhausen in einer Pressekonferenz geäußert. Es wurde ein Künstler befragt. Und es ist nachvollziehbar, daß bei einer solchen Gelegenheit, wenn auch noch gerade das Reale als etwas Zerstörerisches mit aller Wucht eingebrochen ist, etwas, das das Vorstellungsvermögen übersteigt und das uns zum Stammeln bringt, auch der Künstler befragt wird, ob er nicht auch mit seinen Figuren, mit Michael, Eva und Luzifer historische Personen gemeint habe. Es ist eine vertrackte Situation: Klar ist, daß Stockhausen nicht musikalisch antworten wird. Dennoch ist er kein Politiker. Er wird als Idol befragt, dem man Preise verliehen hat, in dem man einen großen Künstler verehrt hat, der als Idol, Orientierung geben möge, als Autorität. Und er versagt. Das muß bestraft werden5. Allerdings wurde er auf ein Gebiet gelockt, das für ihn Ausland ist. Man schmeichelt ihm, weil man ihm zutraut, daß er auch dazu etwas zu sagen habe. Ihn treffen die projektiven und auch projektilen Wünsche der Ratlosen, der Beleidigten, der Verletzten. Wir möchten Größe wieder haben. Offensichtlich ist die Symbolisierungsfähigkeit an Grenzen gelangt und das nicht nur als ein individuelles Versagen, das eventuell psychiatrisch behandelbar und besprechbar wäre, sondern bei vielen, die man nun als Fundamentalisten bezeichnet. Das sind die, die Grund haben und ihn nicht mehr suchen können und müssen. Auch Stockhausen war überfordert, eine zeitlang. Er tat von der Struktur her nichts anderes als die anderen eigentlich Sprachlosen angesichts der Terroranschläge auf das World-Trade-Center und das Pentagon. Er bewegte sich in Richtung des ihm Vertrauten, zur Kunst, um erst einmal wieder die 5 Siehe oben die Anmerkung zur Idealbildung. 6 Wahrnehmung und das Denken zu justieren. Er bemerkte es schon als er anfing zu sprechen: „Sie müssen jetzt ihr Gehirn umschalten.“ – Er hätte vielleicht angemessener sagen sollen, daß er erst einmal sein Gehirn umschalten müsse. – Jedenfalls muß man anders und anderes denken. Darin, dies zu markieren, war er schon vielen anderen voraus, die z.B. in solchen Situationen bruchlos zu Cowboys regredieren, zu professionell Trauernden, zu unbedingt Solidarischen usw. Die versammelten Feuilletonisten hatten die Gelegenheit einen Denk- und Sprechprozeß zu erleben, wie er jetzt erfordert ist, einen hoch gefährlichen. Wie anders kann man den Versuchungen widerstehen, die uns der Terror als Zerstörung unseres differenzierten Denkens und Wahrnehmens aufzwingen will? Was anders kann Zivilisation heißen? Differenzierung Die Schäden im Symbolischen und Imaginären sind neben der Ermordung der Menschen in den Türmen und im Pentagon doch die verheerenden Folgen, oder in der Sprache von Natosprechern, die Collateralschäden (der Natosprecher ist übrigens nicht nach Hause geschickt worden). Terrorismus ist eine Herausforderung an höheres Differenzierungsvermögen und die Kraft, diese in Handlung umzusetzen. Genau das mahnen die Terrorakte an. Es gilt, dem Terror zu widerstehen, indem man das Phantasma der Wiedervereinigung durchkreuzt. Das muß auch heißen, weitere Terroranschläge mit Gewalt zu unterbinden. Dabei fällt uns die schwierige Aufgabe zu, eine Differenz zu halten gegen den Willen unmittelbar alles in Ordnung zu bringen. Der Terror zeigt das, was vorher gefehlt hat, was von uns und unseren Regierungen verfehlt worden ist. Es sind Relationen zerrissen. Die Terroristen machen sich und andere zum Geschoß, zum Wurf (ohne Ob- und Sub, einfach zum –jekt, oder griechisch zum Bolos ohne Sym-). Wir leben doch so, wie wir leben, nicht unabhängig von der gleichzeitigen Produktion von Fundamentalismus, nicht zuletzt von dem christlich pervertierten Fundamentalismus der USA („Gott segne Amerika“). Es gibt den Terror zumindest in unseren Phantasien, sonst gäbe es bestimmte Hollywoodproduktionen nicht, und es müßte auch von Schwarzenegger jetzt keine Filmproduktion storniert werden. Die Filme werden weder von Bin Laden bezahlt, noch lädt er zum Kinobesuch ein, zumindest wissen wir davon noch nichts. Aber denen ist ja alles zuzutrauen. 7 Adresse Dabei sind wir sofort mit der Schwierigkeit konfrontiert, an wen wir uns politisch adressieren können: Die Terroristen sind losgelöst, absolut, sie haben sich aus den bekannten Bindungen des Symbolischen herausbegeben. Ihnen fehlt die territoriale Bindung, sie haben keine diplomatischen Vertretungen, sie sind außerhalb der mühsam eingerichteten und oft schon wenig stabilen Ordnungen. Sie können diese bedrohen durch tatsächliche Gewalt- und Zerstörungsakte und dadurch, daß sie Symbole angreifen, nicht nur in Form der beiden Türme und der Menschen, die dabei ermordet wurden, sondern auch, indem sie den Mißbrauch der symbolischen Einrichtungen, wie die Menschenrechte es sind, umwandeln in einen Glaubwürdigkeitsverlust und in den Terrorismus der Selbstgerechtigkeit, der keine Bedingungen mehr kennt. Wir sind auf einmal konfrontiert mit der Ausbeutung und Aushöhlung der symbolischen Errungenschaften von denen wir leben. Wir müssen nun Stärke zeigen, um wieder einen Zugang zum Symbolischen zu finden, zum Symbolisieren. Tragisch daran ist, daß man nicht wieder in einen Zustand der Unschuld dabei kommt, anders formuliert, wir müssen auch mit mächtigen Mitteln der unmittelbaren Bedrohung Einhalt gebieten. Daß diese unmittelbare Bedrohung aber schon fabriziert wurde mit z.B. der Vernachlässigung der Investitionen in Bildung und soziale Infrastruktur – nicht nur in Deutschland – gerät dabei in Vergessenheit. Es kam kaum einer auf die Idee, etwa in Rothenburgsort oder in Wilhelmsburg Geld für die Erfindung veränderter sozialer Strukturen und Bindungen zu investieren, als es nur um den Terror der Kampfhunde ging. Mut Mut hätte darin bestanden, Stockhausen aufzuführen, aufführen zu lassen und vielleicht vorzuführen. Oder die Musikveranstaltung in eine politische umzuwandeln. Mit oder ohne Stockhausen. Der hätte sich ja entscheiden können. Und mit ihm und miteinander über den Drahtseilakt seines Denkens und Sprechens zu reden, ihn beim Wort zu nehmen und ihm nicht den Gefallen zu tun, davon keinen Gebrauch zu machen. Dann käme man vielleicht auf neue Differenzen, man käme vielleicht darauf, daß Stockhausen ein antiquiertes Künstlerbild formuliert. Man hätte die Chance auch wahren können, die Kunst weiterzuentwickeln, aus den Begrenzungen eines erstarrten Kunstbetriebes hinaus, dessen Idol z.B. Stockhausen war. Zumindest die Kunst könnte zu einem flexiblen Netzwerk werden, das institutionelle Grenzen aufbricht, so wie es die in diesem Punkt mit den Global Players, die auch alle territorialen Grenzen überschreiten und kei- 8 ne diplomatischen Vertretungen unterhalten, kongenialen Terroristen schon getan haben. Wenn aber auf eine solche Äußerung hin viele Unterscheidungen einfach gestrichen werden, z.B. die zwischen Künstler, Werk und Sprechen darüber, ferner der Unterschied zwischen einer Pressekonferenz zur Vorstellung eines Musikfestes und der alltäglichen Politik, wenn die Aufführungen von Stockhausen, auch noch mit offensichtlich entstellten Meldungen – von den Hauptsponsoren als Bitte vorgetragen – von der Stadt gehorsam abgesagt werden, dann ist das eine verpaßte Chance, dann ist das Mißbrauch. Scheinheilig Und es geht um einen weiteren Widerspruch, der als Scheinheiligkeit daherkommt: Verlangt man nicht vom Künstler hochgradige, spezialisierte Wahrnehmungsfähigkeit für das kaum und noch nicht Denkbare, noch nicht Darstellbare? Fordert man nicht Authentizität? Und wenn das dann passiert, also beim Passieren, in der Passage erlebt wird, dann soll es aber auch gleich ganz korrekt sein, sauber, ohne Ballaststoffe. Es soll authentisch sein, gerade dann, wenn wir verwirrt sind. In der Authentizität liegt der amoralische (Be-)Zug (zum Unbewußten) in der Kunst (und auch in der Psychoanalyse). Authentisch nennt man die immer wieder vorkommende Unbeeindruckbarkeit von Verwertungsinteressen („Autonomie“) und Rücksichtslosigkeit, bzw. Unversichertheit in der Kunst. Das ist natürlich eine produktive Fiktion. Der erste Wortbestandteil von authentisch leitet sich von autos (selbst) ab. Der zweite Wortbestandteil ist nicht so leicht zu dechiffrieren. Nach Auskunft der Wörterbücher steckt in ihm dieselbe Wurzel wie „Sin“, was ja bekanntlich Sünde bedeutet, in der älteren Bedeutung „schädlich“, „sträflich“ heißt. Der Authentes handelt nach eigenen Gesetzen? Sind Künstler Freunde des Verbrechens? Zeugen Wurden die Feuilletonisten Zeugen eines solchen Verbrechens? „Zeugenschaft“ wäre ein Modell, das in verschiedenen Formen eine Stellungnahme zum Stand der Beziehung zu bisher so nicht Aufgetauchtem, nicht Formuliertem oder Formulierbarem, Ungewußten und Unbewußtem bei einem Subjekt erlauben würde, das sich mit dem Wunsch, sich künstlerischer Artikulation zu nähern, auseinandersetzt. Der Zeuge ist dabei, wie ein Subjekt wieder oder erst zum Subjekt wird, gerade bei diesen Ereignissen, die uns nicht zuletzt durch die dauernden Wiederholungen des Crash in die beiden Türme und dann der beiden Türme zwangsläufig auf mehrfache Weise zu Objekten machten – notgedrungen. Ein Subjekt kann das 9 nicht ertragen. Die drinnen waren und einige, die von draußen halfen, sind schon tot. Grenze der Darstellbarkeit Der Zusammenbruch verlangt nach anderen Darstellungsweisen und die gelingen nicht im ersten Schritt in Reinschrift. Anders gesagt: Es geht in Feld der Kunst um die Darstellung (mit ‘Rücksicht auf Darstellbarkeit’schrieb Freud über die Entstellung bei der Erzählung des Traumes) des je Besonderen. Es geht um die Wahrnehmung und Darstellung der Situation selbst, welche die „Zeugenschaft“ aufführt – als Darstellung des Zeugnisses und ebenso als Wahrnehmung durch die anderen. Die Katastrophe von New York und Washington wurde mit dem Reden von Stockhausen (ob nun kalkuliert oder nicht) der Möglichkeit nach in menschliche, d.h. sprechbare Dimensionen geholt. Eine Katastrophe in kleinem Format. In der Produktion und Rezeption von Kunst wird so etwas wie ein dosierter „künstlicher“ Wahn hergestellt. Dieses kleine Format des Wahns könnte man auch als Unsinn bezeichnen. Es treten für kürzere oder längere Momente die drei Register des Realen, Symbolischen und Imaginären auseinander und fallen, wie in der Psychose aufeinander. Kein Sinn hält sie mehr zusammen und auseinander. Von der Seite der Produktion von Kunst ist das eine Reaktion auf festgefahrenen Sinn als Destruktion erstarrter, fesselnder Symptome. Aus dieser Leere heraus wird versucht, in der Tat auf Reales Bezug zu nehmen. Insofern hat Ligeti recht, wenn er vorschlägt, Stockhausen in die Psychiatrie einzusperren („Wenn er diesen niederträchtigen Massenmord als Kunstwerk auffaßt, muß ich leider sagen, gehört er in eine psychiatrische Klinik gesperrt.“ spiegel online 19.09.01). Auch ein Kurzschluß. Die üblichen Verfahren der Beurteilung, wie jetzt in Hamburg, des Gesagten, des Dargestellten und des Ausgesagten folgt dem Muster der Anpassung ans Bekannte und Vertraute, ans schon vorher Geurteilte. Ohne ein solches Angebot zur „Zeugenschaft“ (oder ein vergleichbares Verfahren) steht eine Institution, eine Stadt, eine Musikhalle leicht in der Gefahr, nichts anderes als eine Abwehr – Widerstand wäre ja nicht schlimm – zu verkörpern: Laßt uns mit all dem in Ruhe, wir wissen schon, wie man sich jetzt anständig verhält gegenüber den Opfern und ihrem Volk (oder Staat?). Gerade Veranstaltungen im Feld der Kunst könnten sich, wenn denn ihre fiktive Autonomie gewahrt wird, der Ermöglichung von Diskontinuität nähern. Damit stünde man gegen eine Vetternwirtschaft (bedingungslose Unterstützung), die nichts anderes kennt als familiale, ja inzestuöse Bindungen ohne Diskontinuität. „Inzestuös“ hier im übertrage- 10 nen Sinne des „zu Hause bei uns ist alles möglich, wenn wir alle zusammenhalten!“. Genau darin liegt aber die Chance, der Zweck einer Institution der Bildung, nämlich Unterbrechungen und Übergänge so zu ermöglichen, daß Individuen nicht zugrunde gehen. Nehmen wir den schlechtesten Fall: Stockhausen wäre seiner Geltungssucht erlegen. Er hätte ganz kalkuliert eine Provokation formuliert und dann darum gebeten, davon keinen Gebrauch zu machen – was ja unmöglich ist (siehe Freuds kleine Schrift „Über die Verneinung“). Selbst dann, gerade dann wäre es an der Zeit genau darüber weiter öffentlich im Feld der Kunst, hier der Musik, mit ihm darüber zu sprechen, und wenn es nur darum ginge, miteinander zu reden, um der inneren und äußeren Zensur zu entgehen. Und wenn die „Ereignisse“ in den USA dafür herhalten müssen, auch noch Gysi endgültig als Gastredner der Staatsoper am 3. Oktober auszuladen – „ ... wegen der politischen Entwicklung nach den Terroranschlägen in New York und Washington. Vor diesem Hintergrund sei es angebracht, das Konzert ‚ganz der Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie mit dem hochaktuellen Schiller-Text durch das Philharmonische Staatsorchester zu überlassen’“ (taz-hamburg vom 18.9.01) – , dann kann einem bange werden. HINWEISE AUF HINTERGRUNDBERICHTE: Was einem Künstler, der sich maßlos überschätzt, zum Terrorangriff auf New York einfällt taz– hamburg 19.09.01 Als Karl-Heinz Stockhausen der Verführung Luzifers erlag. taz 19.09.01 http://www.taz.de/pt/2001/09/19/a0115.nf/text Keine De-Eskalation. Warum auch bei Stockhausens verbaler Entgleisung Differenzierung nötig ist Von Petra Schellen. taz 19.09.01 http://www.taz.de/pt/2001/09/19/a0227.nf/text Gegenwärtig unverständlich. Eklat beim Musikfest: Stockhausen-Konzerte nach umstrittenen Äußerungen abgesagt. Von Alexander Diehl. http://www.taz.de/pt/2001/09/19/a0218.nf/text Pressemeldung der Behörde: http://www.hamburg.de/fhh/behoerden/kulturbehoerde/aktuelles.htm