GOTT wird Weltmeister Bitte lesen Sie diesen Text kniend. Denn

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GOTT wird Weltmeister Bitte lesen Sie diesen Text kniend. Denn
GOTT wird Weltmeister
Bitte lesen Sie diesen Text kniend. Denn hier spricht der HERR
Neulich hatte ich einen Tag frei. So richtig frei. Alle Lieben waren
verreist. Alle Blöden abgewimmelt. Alle Artikel geschrieben. Als ich
um elf Uhr morgens aufwachte, lag frischer Schnee und die Sonne
schien. Ein herrlicher Tag, um etwas Neues zu beginnen: Ein Buch
zu lesen. Oder sogar ein Buch zu schreiben. Eine neue Sprache zu
lernen. Chinesisch vielleicht. Tatendurstig kochte ich mir erst mal
einen Kaffee. Dann ging ich an meinen Computer und schob die CD
"Soccer Simulation 1998" ins Laufwerk.
Da materialisierte sich GOTT neben mir:
- "Du bist mein Geschöpf, das ich nach meinem Bilde geformt habe.
Und dieser Tag ist ein Geschenk von mir: Willst du ihn wirklich am
Computer verdaddeln?"
Mann, habe ich mich erschrocken. Aber GOTT sah gar nicht so
zornig aus, wie er klang. Er hatte die klassische Erscheinung
gewählt: So wie ein alter, weißbärtiger Hippie, der heute mit einem
Umzugsunternehmen viel Geld verdient. Eigentlich ganz okay. Ich
meine, GOTT hätte auch als brennender Dornbusch mein
Arbeitszimmer versengen können.
- "Grundgütiger, das Zocken war doch nur zum Wachwerden
gedacht. Trinkst du einen Kaffee mit?" Das tat GOTT. Mit fünf
Löffeln Zucker. Angst um seine Figur hatte er wohl nicht. Rasch
wurde er konziliant und zeigte auf den Bildschirm:
- "Was ist das eigentlich, womit du deine von mir geschenkte Zeit
verschwendest?"
- "Och, nur ein altes Fußballspiel. Man wählt eine beliebige
Mannschaft aus und tritt in der Champions League an oder bei der
Weltmeisterschaft."
- "Darf ich es auch einmal versuchen?", fragte GOTT.
Äußerlich blieb ich ruhig, aber innerlich war ich aufgewühlt: GOTT
spielte Computer! Wenn das meine Mutter wüsste! Für welches
Team würde sich der HERR entscheiden? Für El Salvador?
Quelle: http://www.taz.de/pt/2005/03/04/a0136.1/text
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Oder den AS Rom? Andererseits, GOTT findet man immer dort, wo
Not und Elend am größten sind: Also Borussia Dortmund? Nein,
GOTT erwählte Israel. Natürlich.
Am Anfang ging GOTT ziemlich ein. Er war augenscheinlich nicht
geübt im Computerfußball, aber ich zeigte ihm, wie man effektiv
foult, und er wurde immer besser. Und: Die Verletzten in seinem
Team wurden wie durch ein Wunder vor wichtigen Spielen wieder
fit.
GOTT war auf den Geschmack gekommen. Jetzt wollte er
Weltmeister werden.
- "Das klappt nie mit Israel", wandte ich ein. "Weißt Du, HERR, Dein
Volk ist im Fußball nicht wirklich eine Macht." Da wurde GOTT zornig
und donnerte mich an:
- "Du Kleingläubiger. Ich habe mein Volk aus dem Sklavenhaus
Ägypten geführt. Da werde ich es doch noch ins Finale führen
können."
Er hat es tatsächlich geschafft - nach sieben Versuchen.
Zwischenzeitlich wurde mir ein wenig langweilig:
- "Ich habe nur noch einen Brotkanten und ein angebrochenes Glas
Rollmöpse im Kühlschrank", maulte ich.
- "Wenn ich das teile, reicht es für uns beide und es bleibt noch
etwas übrig", meinte Gott, "aber warum bestellst du nicht einfach
eine Pizza?"
Während wir aßen, erwachte der investigative Journalist in mir:
Doch GOTT packte nicht aus, ob der nächste Papst wirklich ein
Deutscher sein wird und ob George W. Bush das Tier aus der
Apokalypse ist. GOTT wollte nicht reden, sondern zocken.
Die Sonne war längst untergegangen, da schlug der HERR Brasilien
im Finale 3 zu 2. Er hatte allerdings in der 90. Minute einen sehr
zweifelhaften Elfer bekommen.
- "Du kannst doch Blinde sehen machen, nicht wahr? Dann fang
doch mit diesem Schiri an!", nörgelte ich, doch GOTT lachte nur:
- "Hast du noch andere Computerspiele hier, mein Sohn?"
Ich wollte ihn endlich loswerden und suchte deshalb ein besonders
abschreckendes Spiel heraus:
Quelle: http://www.taz.de/pt/2005/03/04/a0136.1/text
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- "Hier, HERR: 'Warcraft - Reign of Chaos'. Ein Massaker im
Fantasy-Stil. Untote und Orks überfallen Elben und Menschen."
- "Super", sagte GOTT: "Ich spiele die Untoten."
(Robin Alexander, tazzwei-Kolumne, in der taz vom 4.03.05)
Quelle: http://www.taz.de/pt/2005/03/04/a0136.1/text
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