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Live-Art: Acid statt Abseits - taz.de
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Live-Art
Acid statt Abseits
„Excess yourself!“ fordert das Live-Art-Festival auf Kampnagel: mit Miley Cyrus, Goa und
Cyberpunk-Balletts als Gegenprogramm zur Fußball-WM.
Glamouröses Scheitern: Der Performancekünstler Neal Medlyn schlüpft in Popstar-Rollen.
Bild: Neal Medlyn
HAMBURG taz | Smileys, Pilze, eine LSD-Spirale und ein
jesusbärtiger Guru: Das diesjährige Live-Art-Festival auf Kampnagel
beschwört so etwas wie eine poststrukturalistische Goa-Party. Seit
sechs Jahren versteht sich das Festival als eine anarchische
Verbindung aus Kunst und Wissenschaft. Wurden in den letzten
Jahren neue und herrlich verqueere Theoriezweige wie die HumanAnimal-Studies diskutiert, wird es dieses Jahr zeitlos: „Excess
yourself!“
Mottogeber ist der britische Maler, Dichter und Naturmystiker
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William Blake, der im 18. und 19. Jahrhundert als Exzentriker
bekannt, aber künstlerisch weitestgehend unbeachtet durch die
Landschaft geisterte. Heutzutage gilt er in der Popkultur vielen als
Godfather des Rausches als Lebenshaltung: „The road to excess
leads to the palace of wisdom … for we never know what is enough
until we know what is more than enough“, dichtete er in seiner
Revolutionsschrift „The Marriage of Heaven and Hell“.
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„Blake hat den Exzess als
Politikum verstanden“, so
Nadine Jessen, die das Festival
mit Melanie Zimmermann
kuratiert. „Es geht eben nicht
um diesen kontrollierten Exzess,
der jedes Wochenende auf dem
Kiez oder jetzt zur Fußball-WM
passiert: Dieses Ausrasten, das
eigentlich nur dazu da ist, um in
der Kontrollgesellschaft besser
zu funktionieren.“ Man wolle
Exzess provozieren, aus dem
der Zuschauer Erkenntnisse
ziehen könne.
Der Exzess als „To know what is more than enough“ zeigt sich dabei
schon in einer Verdichtung und Verschränkung der Produktionen,
die auf künstlerischer Seite für eine orgiastische Grundstimmung
und auf bürokratischer Seite für eine Anberaumung zusätzlicher
Sicherheitssitzungen sorgt: Dieses Jahr ist das Live-Art auf fünf
Tage verkürzt, mit bis zu sechs Vorstellungen an einem Tag. Das
hat dazu geführt, dass die Künstler begonnen haben,
zusammenzuarbeiten, auszuweiten oder einfach an einem Ort zwei
Vorstellungen auf einmal zu spielen. „Das ist genau die Art von
chaotischem Strudel, auf den wir bauen“, freut sich Jessen. Sechs
Produktionen werden dieses Jahr gezeigt.
Im Zentrum steht dabei die Zusammenarbeit der Wiener KrawallPerformer und Kampnagel-Dauergäste von God’s Entertainment mit
dem nicht minder exzentrischen Hamburger Musik- und
Performancekollektiv Hgich.T. Dessen 2009er-Album „Hallo Mama“
Linus Volkmann in der Intro – ungewöhnlich humorbefreit – zum
„beschissensten Album des Jahrzehnts“ kürte. In einem dreitägigen
Trip bearbeiten die beiden Gruppen die futuristische Oper
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„Niederlage über die Sonne“, während ein „Mad Professor“ die Welt
und den Exzess erklärt. Enden soll die Performance in einer
Umwandlung Kampnagels in ein „Acid Bayreuth“ – durch eine
hochexstatische Goa-Party.
Ein auf andere Weise opulentes Highlight ist die Europa-Premiere
des queeren New Yorker Performancekünstlers Neal Medley, der in
den „Pop Star Series“ sechs Vorstellungen seiner PopstarImitationen zeigen wird – von Lionel Richie über die Insane Clown
Posse bis Miley Cyrus aka Hannah Montana, das alles mit der
linkischen Zauberhaftigkeit des Außenseiters. „Neal macht etwas
sehr Spezielles, was es in Deutschland nicht gibt“, so Jessen. „Es ist
keine Comedy, aber trotzdem witzig und arty. Ich fand es wichtig,
jemanden dabei zu haben, der sich so ganz obsessiv an der Popwelt
abarbeitet.“ Sechs einstündige Inszenierungen in fünf Tagen
scheinen ihm dabei nicht genug zu sein – er kündigte bereits an,
unter seinem Hip-Hop-Alter-Ego Champagne Jerry auch auf der
Goa-Party auflegen zu wollen.
Teil des kollektiven Exzesses sind außerdem: der israelische
Wahlberliner Ariel Efraim Ashbel, der in der Pseudo-Realitätsnähe
des zeitgenössischen Dokumentartheaters eine neue Form des
Menschenzoos entdeckt. Mit „All white people look the same to me“
hat er, unter anderem mit Hilfe des Anthropologen Romm
Lewkowicz und eines Kartoffelsackes, ein weißes
Kuriositätenkabinett zusammengestellt.
Die schwedischen Choreografen Halla Ólafsdóttir und John Moström
machen aus Téophiles Klassiker des romantischen Balletts „Giselle“
ein Cyberpunk-Ballett, an dem professionelle Choreografen und
mehr als 30 Laien nicht nur die Figuren nachtanzen: Die
Primaballerina wird zum Adler wird zum Bauern, dass es das
schönste Genderdurcheinander wird.
Die Hamburger Geheimagentur ist auch dabei, mit einem Projekt
übers Projektemachen, inspiriert vom „Essay upon Projects“, das
der Schriftsteller Daniel Defoe 1697 verfasste, auf der Flucht vor
seinen Gläubigern – er hatte sich mit Zibetkatzen und
Taucherglocken verspekuliert. „Exzess kann man in alle möglichen
Richtungen lesen“, erklärt Jessen den inhaltlichen Eklektizismus.
Erholen kann man sich im „Refugium Avant-Garten“ hinter den
Kampnagel-Hallen, täglich ab 18 Uhr bespielt von Ilhana Verem,
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Jewgeni Roppel und Biljana Milkov. Das Refugium soll nicht nur
Gegen-, sondern auch Ruhepol sein: Wer vom Raven erschöpft ist,
kann sich zum Beispiel in einen großen Topf setzen, Pflanze werden.
Denn auch Exzess-Großmeister William Blake sagt: Es geht um das
richtige Verhältnis zwischen Exzess und Regeneration.
■ Di, 10. 6., bis Sa, 14. 6., Kampnagel; www.kampnagel.de/2live-art-festival/
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