Verherrlicher des Hässlichen und Gemeinen

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Verherrlicher des Hässlichen und Gemeinen
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MONTAG, 5. AUGUST 2013  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
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Verherrlicher des Hässlichen und Gemeinen
KUNSTGESCHICHTE Heinrich Zilles widersprüchliche Rezeption im
Nationalsozialismus thematisiert eine kleine Ausstellung in Berlin
VON BRIGITTE WERNEBURG
„Nur Lokalredakteure von Massenblättern erinnern sich seiner
in der Sauren-Gurken-Zeit“,
schreibt Matthias Flügge, Rektor
der Hochschule für Bildende
Künste in Dresden, im Katalog
zur aktuellen Ausstellung „Typen
mit Tiefgang. Heinrich Zille und
sein Berlin“ im Museum für
Kunst und Technik in Baden-Baden.
Weil es also wieder einmal so
weit ist, wir aber weder Lokalredakteur noch Massenblatt sind,
möchten wir überregional die
kleine Kabinettausstellung einer
wirklich lokalen Einrichtung,
nämlich des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa
Oppenheim, würdigen. Im Rahmen des Berliner Themenjahrs
2013 „Zerstörte Vielfalt“ beleuchten die Ausstellungskuratoren
Sabine Meister und Pay Matthis
Karstens unter dem Titel „Zensur
und Willkür“ das „Werk Heinrich
Zilles im Nationalsozialismus“.
Und diese Untersuchung begründet auch das überregionale
Interesse. Denn das Werk Heinrich Zilles ist wie kaum ein anderes in seine Rezeption verheddert.
Dieser Umstand drängt zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dieser Rezeptionsgeschichte, innerhalb der der nationalsozialistische Umgang mit
Zille noch kaum je wirklich ausgeleuchtet wurde. Ihn aufzuzeigen, scheint schon deshalb gebo-
ten, weil er die späteren Lesarten
Zilles in der Bundesrepublik beziehungsweise der DDR mitbestimmt hat. Selbst der lohnenswerten Baden-Badener Schau
kommt dieses Problem nicht in
den Blick.
Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Zille und Zensur ein Begriff.
So wurde Zille 1921 zu einer Geldstrafe verurteilt und der Verkauf
seiner aus dem Prostituiertenmilieu hergeleiteten „Zwanglosen Geschichten und Bilder“ im
Gurlitt Verlag untersagt. Großes
Medienecho hatte 1925 auch der
Streit um die an sich völlig harmlose Grafik „Modellpause“ für
den Simplicissimus, als das Gericht Zille zwang, die Druckplatte
unbrauchbar machen.
An diese Zensurfälle konnten
die Nazis freilich nicht nahtlos
ansetzen. Dass sie sich am vermeintlich pornografischen Zille
störten, verstand sich von selbst,
ideologisch untragbar war aber
vor allem der „Verherrlicher des
Hässlichen und Gemeinen“, als
den die Schriftleiterin der Deutschen Kunstkorrespondenz und
der Deutschen Bildkunst, Bettina
Feistel-Rohmeder, Zille sah. Und
da der Künstler, als er am 9. August 1929 starb, eine Berliner Institution, ein wirklicher Medienstar der Weimarer Republik
war und sein Werk enorm populär, hieß es vorsichtig vorzugehen. Man rückte ihn in die ganz
linke Ecke, entfernte ohne großes Brimborium die Gedenktafel
an seinem ehemalige Wohnhaus
und verbot den Film „Mutter
Krausens Fahrt ins Glück“, der
auf einer Idee Zilles basierte.
Auch die Bücher sollten ohne
großes Aufsehen allmählich verschwinden. Dass er Opfer der Bücherverbrennungen wurde, ist
entsprechend nicht belegt.
Problematischer als Unterdrückung und Zensur, so zeigt es
die Ausstellung in Charlottenburg in einer klugen Gegenüberstellung von zensiertem und redigiertem Werk, war die versuchte Vereinnahmung Zilles, die vor
allem der SA-Standartenführer
Otto Paust betrieb. Zwar scheiterte er damit, den Antisemiten Zille zu zeigen, weil selbst er das
entsprechende
Bildmaterial
nicht fand. Doch konnte er einerseits Zille erfolgreich zum künstlerischen Einzelgänger stilisieren, der bei aller Sozialkritik „das
Starke und Echte im Volke nicht
vergaß“, andererseits das Werk
historisieren, so dass es zur Folie
wurde, vor der die Fortschritte
des NS gepriesen werden konnten. Hier begann die Entwertung
des zeitkritischen Werks zum
Anekdotenschatz aus der sogenannten guten alten Zeit, an das
man sich nur noch in der SaurenGurken-Zeit erinnert.
■ Bis 13. Oktober, Villa Oppenheim,
Berlin, Katalog (Vergangenheitsverlag) 16,90 Euro; bis 1. September, Museum für Kunst und Technik
des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden, Katalog (Athena) 19 Euro
Heinrich Zille, „Das eiserne Kreuz“, 1916, Lithografie Foto: Galerie Nierendorf, Berlin
Was der Mensch mit den Worten macht
SPRACHE Daniel Everett, bekannt für seine linguistischen Forschungen im Amazonasgebiet, erklärt die Sprache in seinem neuen Buch zum „Kulturwerkzeug“
Es ist im Grunde eigenartig, dass
gerade das, was den Menschen
vom Tier unterscheidet, in seinem Ursprung immer noch so
umstritten ist. Zwar sind die
Sprachen der Welt so erforscht
wie noch nie. Doch über eine allgemeingültige Theorie, die befriedigend erklären würde, warum der Mensch spricht und was
genau ihn im Unterschied zu allen anderen Primaten dazu befähigt, denkt man sich immer noch
die Köpfe heiß. Der US-Amerikaner Daniel Everett, Professor am
Bentley College bei Boston, hat
zwar keine neue Sprachtheorie
entworfen, aber seiner Disziplin
durch die inspirierte Interpretation von Ergebnissen seiner vieljährigen Feldforschung wichtige
Impulse gegeben.
„Language. The Cultural Tool“
heißt Everetts neues Buch im
Original, ein Titel, der direkt in
Konfrontation geht zu Steven
Pinkers einflussreicher Veröffentlichung „Der Sprachinstinkt“ von 1994. Darin wurde die
These Noam Chomskys, die Fähigkeit zur Beherrschung und
Bildung komplexer Sprachen sei
dem Menschen genetisch eingeschrieben, erstmals für ein breiteres Publikum erläutert.
Nachdem die Chomskyaner
mit ihrem Fokus auf formale
Grammatik jahrzehntelang die
Linguistik dominierten, scheint
das Pendel der Forschung derzeit
wieder in die andere Richtung zu
schwingen und die Pragmatik,
die auf die Handlungsaspekte
von Sprache fokussiert, mehr ins
Zentrum zu rücken. Mit der programmatischen
Bezeichnung
der Sprache als „Werkzeug“ bzw.
als „Erfindung“ stellt Everett sich
in eine direkte argumentative Linie mit „How To Do Things With
Words“, einem Aufsatz, mit dem
der britische Philosoph John
Austin 1962 den Grundstein zur
Sprechakttheorie legte.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob das Pendel der wissenschaftlichen Deutungshoheit
sich jemals in der Mitte einschwingen wird. Wie Everett vom
Chomskyaner zum Pragmatiker
wurde, ist nachzulesen in seiner
fesselnden Forschungsreportage
„Das glücklichste Volk“, die 2010
in deutscher Übersetzung erschien. Nun mischt er munter
mit im Kulturkampf, den die Linguisten unter sich austragen.
Diesen darzustellen und gleichzeitig Belege dafür zu liefern,
dass die eine Seite mehr recht hat
als die andere, ist das Anliegen
seines neuen Buches.
Seine berufliche Vergangenheit als Missionar trägt viel zu
dem rhetorischen Schwung bei,
der seine Darstellung so überzeugend macht. Sie ist selbst
dann noch lebendig, wenn es darum geht, Grundlagen der Linguistik verständlich zu erläutern.
Da „Die größte Erfindung der
Menschheit“ auch solche Menschen von der These der Sprache
als Werkzeug überzeugen soll,
die nicht Teil des Fachpublikums
sind, macht Everett es nicht unter einem inhaltlichen Rundumschlag.
Aristoteles als einen der wichtigsten Zeugen zu berufen, ist ein
geschickter Schachzug: Aristoteles habe den Menschen als soziales Wesen in den Mittelpunkt sei-
ner Überlegungen gestellt und
die Sprache aus dem Willen und
der Notwendigkeit zur Kommunikation abgeleitet. Everett
macht daraus argumentativ den
„Interaktionsinstinkt“ und geht
in Schulterschluss mit dem großen Griechen, um Pinkers
„Sprachinstinkt“ mit einem
machtvollen Gegenkonzept zu
kontern. Im Grunde ist das gar
nicht nötig, denn Everett ist in
der Lage, seine „Kulturwerkzeug“-These mit vielen Beispielen aus der eigenen Forschung
überzeugend zu unterfüttern.
Das liest sich anregend und
überzeugend. Doch auch wenn
man der Argumentation gern
folgt, kann sich der paradoxe Fall
einstellen, dass man sich mitunter wünscht, die Leistungen der
Everetts berufliche
Vergangenheit als
Missionar trägt viel zu
seinem rhetorischen
Schwung bei
Chomskyaner (der „Nativisten“)
verteidigen zu dürfen. Denn obgleich der Autor sehr bemüht ist,
alle Positionen darzustellen, ist
die dahinter liegende Absicht
eindeutig polemisch.
Gerade ein Gebiet, das sich
ganz besonders eignet, die Angemessenheit der „Angeboren“versus der „Erfindungs“-These
gründlich zu überprüfen, wird
von Everett sehr kurz abgehandelt: die Kreolsprachen. Als solche werden Sprachen bezeichnet, die über die komplexe
Grammatik einer vollwertigen
Sprache verfügen, sich aber aus
einer rudimentären Pidgin-Sprache entwickelt haben. Während
die Kreolsprachen von den Nativisten stets als Beleg dafür angeführt wurden, dass es dem Menschen genetisch bestimmt sei,
nach einer komplexen Syntax zu
streben, gibt es neuere Arbeiten,
die die Kreolisierung mit der
Nachahmung bekannter Muster
erklären – eine Position, die auch
Everett vertritt. Es wäre spannend, hier mehr zu erfahren.
Doch der Autor belässt es bei der
UNTERM STRICH
Der US-amerikanische Schauspieler Michael Ansara ist tot.
Ansara, der in mehreren „StarTrek“-Folgen als Klingone Kang
mitwirkte, starb am Mittwoch
im Alter von 91 Jahren in seinem
Haus im kalifornischen Calabasas. Der gebürtige Syrer kam als
Kind mit seinen Eltern in die
USA und war von 1958 bis 1974
mit „Bezaubernde-Jeannie“-Darstellerin Barbara Eden verheiratet. Ihr Sohn Matthew Michael
Ansara kam 2001 im Alter von 35
recht kurzen Darstellung der eigenen Position und der Feststellung, dass es verschiedene Meinungen gebe.
Eigentlich schade, dass das
implizite Regelwerk der Wissenschaft von allen Angehörigen der
Zunft verlangt, sich zu einer bestimmten Schule zu bekennen.
Dieses Buch ist Everett deutlich
kämpferischer geraten als noch
„Das glücklichste Volk“, in dem er
nachwies, dass Chomsky nicht in
allen Teilen recht haben kann.
Und dabei wäre gerade einem so
beweglichen Geist wie Everett
zuzutrauen, eine Synthese zu wagen zwischen zwei äußerlich
konträren wissenschaftlichen
Auffassungen, deren scheinbare
Unversöhnlichkeit zum Teil sicherlich auch zurückzuführen
ist auf die Lust am akademischen
Disput.
KATHARINA GRANZIN
■ Daniel Everett: „Die größte Erfindung der Menschheit. Was mich
meine Jahre am Amazonas über
das Wesen der Sprache gelehrt haben“. A. d. Engl. v. H. Stadler. DVA,
München 2013, 463 S., 24,99 Euro
BERICHTIGUNG
Michael Ansara Foto: ap
Jahren durch eine Überdosis Heroin ums Leben. Seine erste größere Rolle hatte Ansara 1956 als
Indianerhäuptling in der TV-Serie „Broken Arrow“. Auf der Leinwand war er in Filmen wie dem
John-Wayne-Western „Die Comancheros“ (1961), „Zwei tolle
Kerle in Texas“ (1966), „The Manitou“ (1978) und „Der Mordanschlag“ (1986) zu sehen. Besonders beliebt war Ansara in seiner
Rolle als der legendäre klingonische Kämpfer Kang in „Star
Trek“. Schon 1968 in der Original-„Star-Trek“-Serie griff er zu
den Waffen, später dann in den
Serien „Deep Space Nine“ (1994)
und „Voyager“ (1996).
Die Schau „Lebenswerke“
zeigt sechs Künstler, die ihre ersten Schaffensjahre in der DDR
verbinden. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck
(SPD) eröffnete die Ausstellung
am Samstag in Potsdam. „Das
Lebenswerk der Künstler steht
auch stellvertretend für Ge-
schichte, Vergangenheit und Gegenwart Brandenburgs“, so der
Regierungschef. Zu sehen sind
Werke der Bildhauer Werner
Stötzer (1931–2010), Wieland
Förster und ihrer Kollegin Sabina
Grzimek sowie der Maler Bernhard Heisig (1925–2011), Harald
Metzkes und Ronald Paris. Anlass
ist das zehnjährige Jubiläum des
Brandenburgischen Kunstpreises. Für ihr Lebenswerk wurden
die Künstler mit dem Ehrenpreis
ausgezeichnet.
Das klang alles sehr freundlich,
freundschaftlich und engagiert,
was unter der Überschrift „Ein
Leben im Commonismus“ in der
sonntaz zu lesen war. Allein das
neu gefunden Wort „Commonismus“, das die vielen kleinteiligen
Projekte von Urban Gardening
bis Guerilla-Stricken zusammenfassen soll, sieht doch nach
einem arg theoretischen Ungetüm aus, eine Nummer zu groß
und zu schwer für die sympathischen Unternehmungen.