Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung am
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Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung am
Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung am Beispiel von Daniele del Giudices „Das Abheben des Schattens vom Boden“ Peter Paschke © Peter Paschke Kassel 2000 2 Inhalt 0. Vorbemerkung 5 1. Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung 7 2. 3. 4. 5. Exkurs: Daniele del Giudice: Staccando l’ombra da terra 10 Die Metapher in der literarischen Übersetzung 12 2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung 12 2.2. Lexikalisierte Metaphern 15 2.3. Okkasionelle Metaphern 18 2.4. Metaphern und Vergleiche 22 Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung 24 3.1. Lexemwiederholung und Polysemie 24 3.2. Thematisierung grammatischer Phänomene 31 3.3. Sprachtypologische Kontraste 33 3.4. Satzverlängerung 37 3.5. Probleme der Wortwahl 38 Inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung 41 4.1. Logisierung von Textinhalten 41 4.2. Soziokultureller Standpunkt und inhaltliche Eingriffe 44 Schluss 46 Bibliographie 48 3 4 0. Vorbemerkung1 „Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“2 „Eindeutschen“ Die und von Schleiermacher „Verfremden“ bringt formulierte die sich Dichotomie historisch zwischen abwechselnden Grundorientierungen der literarischen Übersetzung auf den Begriff. Im 20. Jahrhundert finden wir dieselbe Alternative – wenn auch deskriptiv gewendet – etwa bei Gideon Toury (1978) wieder, der unter dem Begriff „initial norms“ die grundlegende Entscheidung des Übersetzers wie folgt fasst: „he either subjects himself to the original text ... or to the linguistic and literary norms active in TL3 and in the target literary polysystem ...“ (Toury 1978: 88).4 Lawrence Venuti verlässt die rein deskriptive Haltung und wirft in The Translator’s Invisibility (1995) den englischsprachigen Übersetzer der letzten Jahrhunderte vor, sie hätten sich einseitig am Kriterium der Lesbarkeit („fluency“), also am literarischen Geschmack der Zielkultur orientiert. Kloepfer (1966) verfolgt den Widerstreit und die Dialektik der Ansätze durch die abendländische Geschichte, bevor er sich selbst dafür ausspricht, die Schleiermachersche Antinomie als die zwei Seiten ein und derselben Medaille zu deuten, also vom Entweder-Oder zu einem Sowohl-als-auch zu gelangen. Unter Rückgriff auf F. Rosenzweig schreibt Kloepfer (1966: 69), die eigentliche Frage sei, „an welchen Punkten des Werkes der Leser und an welchen Punkten das Original ‚bewegt’ wird“. Kloepfer nennt seinen vermittelnden Ansatz „treue“ oder – in Anlehnung an Schadewaldt – „dokumentarische“ Übersetzung, muss aber eingestehen (1966: 84f.), dass der künstlerische Prozess des Übersetzens und die damit verbundenen stilistischen Probleme durch derartige Postulate nicht erfasst werden.5 Da sich die vorliegende Arbeit mit stilistischen „Detail“problemen auseinandersetzt, werden die „großen“ Theorien und Ansätze nur am Rande gestreift, auch wenn ihr heuristischer Wert nicht bezweifelt werden soll. Im ersten Kapitel werden zunächst die Spezifika der literarischen (im Gegensatz zur Fach-/Sachtext-) Übersetzung bestimmt, d.h. 1 Der vorliegende Beitrag entstand als Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Literarische Übersetzung“ von Sabine Krobb am University College Dublin, Studienjahr 1999/2000 2 Schleiermacher, zit nach Kloepfer 1966: 52 3 TL = target language, Zielsprache 4 Im weiteren werden die beiden Grundhaltungen als Streben nach „Adäquatheit“ oder „Akzeptabilität“ (im zielsprachlichen bzw. –kulturellen) System bezeichnet, wobei Toury anmerkt, dass in der Praxis meist eine Kombination oder ein Kompromiss dieser beiden polaren Einstellungen zu beobachten ist (Toury 1978: 88f.) 5 vgl. zu Kloepfers Ansatz auch Koller 1997: 292-294 5 es wird der Rahmen aufgezeigt, in den sich die einzelnen stilistischen Probleme einordnen. In einem Exkurs wird daraufhin der italienische Text von Daniele del Giudice vorgestellt, an dem die Problemkomplexe der literarischen Übersetzung verdeutlicht werden sollen. Das zweite Kapitel ist der Übersetzung von Metaphern gewidmet; es soll versucht werden, die in der einschlägigen Literatur aufgezeigten Probleme und Fragestellungen der Metaphernübersetzung am Text von Daniele del Giudice zu veranschaulichen. Kapitel drei beschäftigt sich mit anderen stilistischen Fragen wie Satzbau, Sprachspiel und stilistischerlexikalischer Verflachung bzw. Verstärkung, die wiederum an der deutschen Übersetzung von Del Giudices Erzählung verdeutlicht werden. Das vierte und letzte Kapitel schließlich geht Problemen nach, die auf der inhaltlichen Ebene angesiedelt sind. Dabei versteht sich die Arbeit nicht als Kritik der deutschen Übersetzung von Del Giudices Staccando l’ombra da terra, sondern als der Versuch, Begriffe und Beobachtungen der einschlägigen Literatur in Beziehung zu einem konkreten Textbeispiel zu setzen und eine literarische Übersetzung im Detail zu analysieren. Eine Wertung übersetzerischer Lösungen ist nicht Ziel der Arbeit, soll aber auch nicht peinlich vermieden werden. Zu bedenken ist dabei, dass der Verfasser nicht selbst übersetzen musste, sondern eine in vieler Hinsicht überzeugende Übersetzung zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen machen konnte. Hinsichtlich der Bewertung von Übersetzungen existieren im übrigen unterschiedliche Positionen (vgl. Lorenz 1996). Im Bereich der auf Schleiermacher zurückgehenden hermeneutischen Übersetzungstheorie – z.B. vertreten durch Rudolf Kloepfer – wird bzw. wurde klar Position bezogen für eine Norm übersetzerischen Handelns, sei dies nun die „Verfremdung“ oder eine „Mittellinie“ wie bei Kloepfer. Diese Norm dient dann als Grundlage der Übersetzungskritik. Aber auch die linguistisch orientierte Übersetzungswissenschaft – z.B. durch Werner Koller repräsentiert – verfolgt mit ihrer Äquivalenzforderung letztlich einen normativen Ansatz, auch wenn dieser nicht von allen Autoren auf die Übersetzung literarischer Texte bezogen wird. Es geht ihr um die Frage „Wie soll/muß man Literatur übersetzen?“ (A.P. Frank zit. nach Lorenz 1996: 556). Dagegen steht die Übersetzungsforschung mit ihrem deskriptiven Ansatz, die aus Einzelphilologien und der Komparatistik hervorgegangen und etwa durch Gideon Toury und Itamar Even-Zohar vertreten wird. Sie stellt die Frage „Wie ist Literatur nun wirklich 6 übersetzt worden?“ (ebd.) und sucht nach den dafür maßgeblichen, kulturell und historisch definierten Normen.6 1. Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollten wir alle Ansätze der philologischen Beschäftigung mit Übersetzungen daraufhin befragen, worin sie die Spezifika der literarischen Übersetzung sehen. Hier soll kurz die hermeneutische Position und etwas ausführlicher diejenige der Übersetzungswissenschaft (Koller) vorgestellt werden. In der hermeneutischen Tradition wird die „Kunst der Übersetzung“ literarischer Texte oft in Anlehnung an Schleiermacher vom „Dolmetschen“ der Alltagstexte geschieden. Kloepfer (1966: 7ff) lehnt in seinen „Vorbemerkungen“ den Anspruch linguistisch orientierter Ansätze ab, beide Arten von Übersetzungen mit derselben Theorie erfassen zu können. Nur bei Sachtexten sei eine „wissenschaftliche“ Übersetzung möglich, nur hier seien „Äquivalenz“ und (inhaltliche) „Invarianz“ sinnvoll und (prinzipiell) maschinell herstellbar. Da eine solche Theorie von den Sprachsystemen ausgehe, könne sie dem typisch literarischen, insbesondere poetischen Sprachgebrauch, der sich durch hohe Individualität – also, so möchte man hinzufügen, durch Abweichung vom Sprachsystem – auszeichnet, nicht gerecht werden. Während die nicht-literarische Übersetzung in den Zuständigkeitsbereich von strukturalistischer Sprachwissenschaft und Informationstheorie falle, werde sich die Theorie der literarischen Übersetzung nicht von der Theorie der Dichtkunst und der Hermeneutik trennen lassen, (ebd., 9f). Kloepfer ist überzeugt, „daß der künstlerische Sprachgebrauch die Übersetzung zu einer prinzipiell nur mehr oder weniger, nie vollkommen lösbaren Aufgabe macht.“ (ebd.)7 Vertreter der sprachwissenschaftlich orientierten Übersetzungswissenschaft wie Werner Koller beharren demgegenüber auf der „prinzipiellen Übersetzbarkeit“ auch von literarischen Texten, räumen allerdings ein, dass sich diese u.U. nur durch Rückgriff auf kommentierende Verfahren, also auf einer intellektuellen Ebene erreichen lasse. Die Auch die Descriptive Translation Studies (DTS) (vgl. Toury 1995) dürften kaum leugnen, dass es neben kulturell definierten Normen auch mehr oder weniger geglückte Übersetzungen gibt. So ist z.B. stellenweise von „inexperienced translators“ die Rede (ebd., 270). Entscheidend ist aber dennoch der deskriptive Grundansatz. Zum Verhältnis von DTS und praktischen Anwendungen z.B. in der Übersetzungskritik vgl. ebd., 9-19. 7 Kloepfer sieht übrigens, dass sich eine Trennung von literarischer Übersetzungskunst und nichtliterarischem Dolmetschen eigentlich nicht ohne weiteres auf Schleiermacher berufen kann, weil dieser auch wissenschaftliche Texte zum Gegenstand der Übersetzungskunst rechnete, vgl. Kloepfer 1966: 10f. 6 7 gleichen „unmittelbaren Effekte“ ließen sich nicht in jedem Fall erzielen. (Koller 1997: 267). Für Koller stellt sich die Frage der Spezifika literarischer Übersetzung in besonderer Weise, denn er ist einer jener Vertreter der Übersetzungswissenschaft, die sich nicht auf Aussagen über Fach- und Sachtextübersetzungen beschränken, sondern auch die literarische Übersetzung theoretisch zu erfassen beanspruchen. Insbesondere fasst er den Begriff der Äquivalenz weiter als andere, d.h. er beschränkt ihn nicht auf die Invarianz des „Inhalts“ oder der „message“ (wie bei A. Nida, vgl. Lorenz 1996: 560f.), sondern kennt eine „formal-ästhetische Äquivalenz“, die er unter Berufung auf Katharina Reiß als jene Handhabung von Lexik, Syntax, Stil und Aufbau charakterisiert, welche eine dem Gestaltungswillen des Autors entsprechende und dem Charakter des AS-Textes analoge ästhetische Wirkung in der ZS erzielt.8 Ein ähnlicher funktionaler, d.h. eine vergleichbare ästhetische Wirkung in der Übersetzung anstrebender Ansatz findet sich bei J. Levy (1969: 21), einem Vertreter des Prager Strukturalismus, dessen Ansatz Koller (1997: 294-297) nicht zufällig sehr wohlwollend kommentiert.9 Bei Kollers Äquivalenzbegriff bleibt zu bestimmen, welche Stilmittel in der ZS analoge ästhetische Wirkungen hervorrufen; vermutlich müssen und können dies nicht in jedem Falle gleiche Stilmittel sein wie im ASText. Den grundlegenden Unterschied zwischen der Übersetzung von literarischen und Sachtexten (die ebenso manche formal-ästhetische Qualitäten aufweisen) sieht Koller (253) darin, dass die ästhetischen Werte nur für literarische Texte konstitutiv seien. Gegenüber Sachtexten verschiebt sich die Äquivalenzforderung – oder „die Hierarchie der zu erhaltenden Werte“ (266) vom Inhalt zur Form. Den ganz anderen Stellenwert des Inhalts in literarischen Texten stützt Koller (272ff) mit drei Überlegungen, die wir in der gebotenen Kürze benennen wollen: 1.) Eine (inhaltlich) falsche Übersetzung hat bei literarischen Texten kaum praktische Konsequenzen, auch wenn sie noch so bedauerlich sein mag. So kommt es z.B. bei der odontologischen Fachterminologie in Günter Grass’ örtlich betäubt letztlich nicht auf die Denotation, also eine inhaltlich 100%ig korrekte Übersetzung, sondern vor allem auf die Konnotation an. 2.) Fiktionale Texte konstruieren eine eigene Welt, die sich durch immanente Sinnhaftigkeit auszeichnet. Auch wenn diese einen Bezug zur realen Welt hat und sich als sachlich falsch erweist (z.B. hat die vgl. Koller 1997: 252f.; AS = Ausgangssprache, ZS = Zielsprache Letzlich finden sich die von Koller genannten Schlüsselbegriffe, nämlich Analogie hinsichtlich Intention des Autors und Wirkung auf den Leser, explizit oder implizit auch schon bei Kloepfer: „Es [das Übersetzen, P.P.] verwirklicht die verschiedenen kommunikativen Kräfte eines Textes und damit den originalen künstlerischen Willen mit den Mitteln einer anderen Muttersprache. Übersetzung vermag aus äquivalenten und analogen Einzellösungen ein dem Original zumindest analoges Ganzes hervorzubringen.“ (Kloepfer 1966: 84). Zur Wirkung auf den Leser vgl. Kloepfers (1966: 86ff.) Ausführungen zur Übersetzung der Plautinischen Komödie „Epidikus“. 8 9 8 amerikanische Freiheitsstatue bei Kafka statt der Fackel ein Schwert in der Hand), so ist dies – anders als bei Sachtexten – noch lange kein Grund für den Übersetzer, korrigierend einzugreifen. 3.) Literarische Texte werden ästhetisch rezipiert, d.h. auf gängige sprachlichstilistische und ästhetische Normen bezogen. Zur Ästhetizität ist auch die von der Rezeptionsästhetik thematisierte Vieldeutigkeit literarischer Texte zu zählen; sie steht im Gegensatz zur anzustrebenden Eindeutigkeit von Sachtexten und ist in der Übersetzung so gut wie möglich zu bewahren. Zusammenfassend lässt sich sagen, das Spezifikum der literarischen Übersetzung ist – nach Koller – die Verschiebung der Äquivalenzforderung vom inhaltlichen (oder pragmatischen und textuellen) zum ästhetischen Aspekt, also eine veränderte „Hierarchie der Äquivalenzforderungen“ (Koller 1997: 266). Es geht darum, durch die stilistische Gestaltung der Übersetzung eine dem AS-Text vergleichbare ästhetische Wirkung zu erzielen. Welche Probleme sich dabei im Einzelnen stellen, soll in den Kapiteln 2 und 3 an stilistischen Phänomenen wie Metapher, Sprachspiel, Wortwahl usw. erläutert und an Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra verdeutlicht werden. In Kapitel 4 geht es hingegen um inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung, z.B. den Umgang mit Unterschieden im Weltwissen der AS- bzw. ZS-Leser oder um die Logisierung von inhaltlichen Widersprüchen und Ungereimtheiten durch den Übersetzer. Abschließend eine Bemerkung zum (vermeintlichen) Gegensatz von hermeneutischer und übersetzungswissenschaftlicher Position: Im Grunde sind sich beide einig, dass die literarische Übersetzung sich in spezifischer Weise von Fach/Sachtextübersetzungen unterscheidet und dass die Gründe hierfür in der besonderen Rolle der stilistischen Gestaltung (der sprachlichen Form) liegen. Die Lösung der damit verbundenen Probleme jedoch ist in hermeneutischer Sicht eher ein einmaliger, nicht systematisierbarer Akt des schöpferischen Nachvollzugs, für die Übersetzungwissenschaft und den Strukturalismus dagegen wissenschaftlicher Analyse zugänglich. Dennoch wollen wir wo möglich versuchen, Kloepfers (1966) an Fallbeispielen gewonnene Einsichten mit den systematischen Beobachtungen Kollers, Levys oder Kjärs in Beziehung zu setzen. Bei der Untersuchung von Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra möchte ich darüber hinaus einen Aspekt im Blick behalten, der in allen Ansätzen als dominierende Tendenz benannt wird: die stilistische „Verflachung“. In normativer Sicht erscheint sie teils als unvermeidlich, teils als Unfähigkeit des Übersetzers, in der 9 deskriptiven Übersetzungsforschung tritt sie – jenseits aller historisch und kulturell veränderlichen „Normen“ – als universelles (?) „Gesetz“ der literarischen Übersetzung auf (vgl. Toury 1995: 267ff.: „the law of growing standardization“). Exkurs: Daniele Del Giudice: Staccando l’ombra da terra Daniele Del Giudice ist 1949 in Rom geboren und lebt in Venedig. Der Erzählband Staccando l’ombra da terra von 1994 erschien in der deutschen Übersetzung von Karin Fleischanderl10 1997 im Carl Hanser Verlag unter dem Titel: Das Abheben des Schattens vom Boden.11 Del Giudice wird zusammen mit Tabucchi, Andrea de Carlo, Pier Vittorio Tondelli u.a. zu den “giovani scrittori” oder – da nicht mehr ganz so jung – zu den “nuovi narratori”, also den “neuen Erzählern” gerechnet (Kapp 1994: 382). „Fliegen“ ist das thematische Band, das die acht Erzählungen von Staccando l’ombra da terra zusammenhält und – ähnlich wie bei Saint-Exupéry – zugleich als Metapher für das Leben fungiert.12 Für den Übersetzungsvergleich habe ich die Geschichte Fino al punto di rugiada/ Bis zum Taupunkt (67-84/ 97-121)13 ausgewählt. In der Du-Form und in Vergangenheitstempora wird darin vom Piloten eines Sportflugzeugs erzählt, der sich „so wie man manchmal im Leben die Orientierung verliert“ (Abheben, 97) auf einem (Sicht)Flug über der Poebene im Nebel verirrt, bevor er – unterstützt vom Fluglotsen – den Weg zurück zum Heimatflughafen findet. Übrigens experimentiert Del Giudice in den einzelnen Kapiteln von Staccando mit verschiedenen Erzählperspektiven: neben der Du-Form, finden sich IchErzähler, anonyme Erzähler sowie zahlreiche Erzählerwechsel.14 Nicht nur kann der Orientierungsverlust – wie der Autor gleich zu Beginn zu verstehen gibt – als Gleichnis gedeutet werden, sondern der Text enthält weitere z.T. mit Sprachspielen und Polysemien 10 Karin Fleischanderl, geb. 1960, lebt in Wien und ist u.a. durch die deutsche Übersetzung der Werke von Antonio Tabucchi hervorgetreten. 11 Ich zitiere nach der italienischen Original- und der deutschen Taschenbuchausgabe von dtv (Januar 2000), s. Literaturverzeichnis. 12 Anna Frabetti (o.J.) spricht von “metafora polivalente, della vita, della morte, dell’infanzia, …” 13 Bei diesen durch / getrennten Seitenangaben bezieht sich die erste Zahl stets auf die italienische Ausgabe des Erzählbandes (Staccando), die zweite auf die deutsche (Abheben). 14 In Manovre di volo/ Flugmanöver erscheint der Erzähler zunächst in der Du-Form, wechselt dann zum Ich über, während nun der Fluglehrer Bruno mit Du angeredet wird. In Doppio decollo all’alba/ Doppelter Start im Morgengrauen berichtet zunächst ein anonymer Erzähler von Saint-Exupéry, am Ende erscheint ein Wir (Ich + Bruno, der Fluglehrer). Pauci sed semper immites hat einen Ich-Erzähler, führt dann aber einen weiteren Erzähler ein, der in einer längeren, eingebetteten Geschichte das erzählende Ich mit Lei/Sie anspricht. 10 verknüpfte Makro-Metaphern, z.B. Ente (= dt. Anstalt, Einrichtung, Körperschaft, Wesen, das Seiende) als Bezeichnung für die Flugsicherung, aber auch für ein höheres Wesen oder das spanische destino mit seiner doppelten Bedeutung von Schicksal und Bestimmungsort (Ziel einer Reise). Der Text ist darüberhinaus reich an „normalen“, in ihrer textuellen Reichweite beschränkten Metaphern, von denen einige mitsamt den jeweiligen Übersetzungsproblemen in Kapitel 2 vorgestellt werden. Kennzeichnend ist im Übrigen die Schichtung und Verflechtung verschiedener Texte bzw. Textsorten: die Reflexionen des „Du-Erzählers“ verbinden sich mit Luke Howards lateinisch-englischen Beschreibungen der Wolkenformationen, mit der Geschichte von Cola Pesce (nahezu wörtliche Anleihen aus der Version von Benedetto Croce15) sowie mit den Funkdialogen zwischen Pilot und Flugsicherung (Fluglotse). Fliegerjargon erscheint freilich nicht nur im Funkverkehr, sondern auch in der Beschreibung der Flugmanöver. Obgleich es bei fachsprachlichen Termini, wie Koller anmerkt (s.o.), im Zweifelsfall eher auf die Konnotation als auf sachliche Richtigkeit im Detail ankommt, sollte der entstehende zusätzliche Zeitaufwand für die/den Übersetzer/in nicht unterschätzt werden. Der Fliegerjargon, genauer gesagt: seine international gültige „Buchstabiertafel“, wird in Bis zum Taupunkt übrigens auch selbst zum Gegenstand von Reflexionen. In der Syntax dominieren lange, parataktische Reihen von Aussagen, die durch Kommata getrennt sind; Punkte werden erst dann gesetzt, wenn ein längerer Gedankengang zu Ende geführt ist. Eine Bemerkung zum Titel der Geschichte: der Taupunkt (ital. punto di rugiada) gibt die Temperatur an, bei der sich Luftfeuchtigkeit in Tau bzw. Nebel verwandelt. - Ergänzend zu Fino al punto di rugiada werden vereinzelt zwei weitere Erzählungen aus demselben Band in den Übersetzungsvergleich einbezogen: Tra il secondo 1423 e il secondo 1797/Zwischen der 1423. Sekunde und der 1797. Sekunde (15-22/ 21-31) lässt uns den Bericht zweier Piloten mithören, deren vollbesetztes Passagierflugzeug innerhalb weniger Minuten unrettbar verloren ist und abstürzt; Unreported inbound Palermo (97-104/ 139-148) setzt sich mit dem bis heute ungeklärten Absturz einer Linienmaschine nahe der sizilianischen Insel Ustica (27.6.1980) auseinander. Der Text von Croce (bei ihm: „Niccolò“ Pesce) findet sich z.B. unter: http://free.imd.it/colapesce/Cola-Chiera/Colapesce-Croce.htm Auch Schillers Gedicht „Der Taucher“ ist von dem Cola Pesce-Märchen angeregt. 15 11 2. Die Metapher in der literarischen Übersetzung 2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung Metaphern können in literarischen Übersetzungen zum Problem werden, denn nicht jedes Bild, das in der AS „funktioniert“ lässt sich ohne Weiteres in die ZS übertragen. Andererseits hat es den Anschein, dass viele Übersetzer dazu neigen, stilistisch wirksame Metaphern, auch in Fällen, in denen es nicht erforderlich wäre, stilistisch abzuschwächen oder gänzlich zu neutralisieren. Bevor wir den Umgang mit Metaphern in der literarischen Übersetzung untersuchen, wollen wir eine notgedrungen knappe Begriffsklärung versuchen. (vgl. Glück 1993: 388 u. 653; Bußmann 1990: 484f; Wilpert 1989: 568f.) In der antiken Rhetorik gehört die Metapher zu den Tropen, d.h. zu den Formen „uneigentlichen“ Sprechens, bei denen ein Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem besteht. Nach Quintilian sind Metaphern abgekürzte Vergleiche: Das Gesagte tritt unmittelbar an die Stelle des Gemeinten, ohne formelle Ausführung des Vergleichs. Der metaphorische Ausdruck wird „aus dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang auf einen anderen, im entscheidenen Punkt vergleichbaren, doch ursprünglich fremden Vorstellungsbereich übertragen“ (Wilpert ebd.). Deshalb ergibt sich bei wörtlicher Lesart – z.B. von „Der Schrank seufzt“ (Titel von Kjär 1988) ein Widerspruch; ein Schrank kann nun mal nicht seufzen. Entweder hat „Schrank“ eine übertragene Bedeutung („großer, breitschultriger Mann) oder „seufzt“ ist metaphorisch gebraucht („knarrt“, „quietscht“). Aus linguistischer Sicht spricht man deshalb auch davon, dass die Metapher einen „Verstoß gegen Selektionsregeln“ bzw. eine „Verletzung der semantischen Kongruenz“ darstellt (Kjär 1988: 25). Nach Musso (1992: 38f) kann man solchen Verstößen mit einer semantischen Komponentenanalyse auf den Grund gehen. Beim obigen Beispiel ergibt sich etwa ein Widerspruch zwischen den Semen [+belebt] von „seufzen“ und [-belebt] von „Schrank“. Nicht immer aber lassen sich solche Inkongruenzen im Satz bzw. Text selbst dingfest machen.16 Musso (1992: 39) weist zutreffend darauf hin, dass sich das Phänomen der Metapher nur dann erfassen lässt, wenn man die Wortebene nicht nur nach unten (Komponentenanalyse), sondern auch in umgekehrter Richtung überschreitet, d.h. den Satz, den Text und notfalls auch den Kontext mitberücksichtigt. So könne man bei einer Uwe Kjär (1988) gelingt dies bei seiner umfangreichen statistischen Analyse von Metaphernübersetzungen nur, weil er sich auf einen einzigen Typ beschränkt, nämlich auf Verbalmetaphern des Typs „Der Schrank seufzt“, also: NP (Subjekt) + VP (finites Verb) (ebd., 28). 16 12 (isolierten) Äußerung wie „La vedi, quella è proprio un’oca!“17 u.U. erst aus der Situation entnehmen, wie sie zu interpretieren sei (Haustier/ dumme Frau). Nun sind nicht alle Metaphern in gleicher Weise stilistisch wirksam; es ist bekannt, dass ursprünglich originelle Bilder, wenn sie sich in der Sprachgemeinschaft durchsetzen, verblassen (z.B. sich zügeln). Sie werden Teil des Sprachsystems und erscheinen im Lexikon als Polysemie des jeweiligen Lexems. Solche Metaphern werfen bei der Übersetzung vermutlich andere Probleme auf als „okkasionelle“ (oder „kreative“, „kühne“, „private“) Metaphern. Van den Broeck, der sich in dem Aufsatz „The Limits of Translatability Exemplified by Metaphor Translation“ (1981) mit dem Problem auseinandergesetzt hat, unterscheidet – nach dem Grad der “Institutionalisierung” drei Kategorien: lexikalisierte, konventionelle und private Metaphern. „Konventionelle“ Metaphern (bei Kjär 1988 „usuell“, vgl. auch Koller 1997: 254ff.) stehen in der Mitte: sie sind nicht mehr „privat“, aber auch (noch) nicht lexikalisiert, sondern z.B. Teil einer literarischen Tradition (Schule, Generation). Darüber, welche Metaphern besondere Probleme bei der Übersetztung aufwerfen, gibt es verschiedene Ansichten. Ausgangspunkt ist häufig Kloepfers (1966: 116) Behauptung „je kühner und freier erfunden, je einmaliger eine Metapher ist, desto leichter läßt sie sich in anderen Sprachen wiederholen“, denn es gebe eine „Harmonie der Bildfelder zwischen den abendländischen Sprachen (H. Weinrich)“ und (universell) gültige „Strukturen der Phantasie“. Kloepfer macht diese Aussage im Zusammenhang der Übersetzung eines Rimbaud-Textes („Metropolitain“); ob sie verallgemeinert werden kann, scheint mir zweifelhaft, denn bei Rimbaud handelt es sich m.E. um für die moderne Lyrik charakteristische „absolute“ Metaphern bzw. Chiffren, „die auf das tertium comparationis verzichte[n]“ (Wilpert 1989: 569). Van den Broeck (1981: 80) stimmt Kloepfer insofern zu, als kühne Metaphern selbst Verstöße gegen das Sprachsystem seien und ihre Übersetzung daher kaum an den systematischen Sprachkontrasten scheitern dürfte.18 Auf jeden Fall stellt van den Broeck die Hypothese auf, „private“ Metaphern seien leichter übersetzbar als „konventionelle“, weil sie weniger kulturspezifisch seien (ebd.: 84) als diese. Aber auch letztere erwiesen sich als relativ gut übersetzbar, da sie oftmals dem gemeinsamen kulturellen Erbe der Weltliteratur angehörten (ebd.: 81). Lexikalisierte Metaphern stellten – so van den Broeck – überhaupt kein Problem dar, wenn sie in „non-creative language“ erschienen; auch in literarischen Texten jedoch sei nicht jeder metaphorische Ausdruck relevant für die kommunikative Funktion des Textes. Van den Broeck weist in diesem Dt.: “Guck mal da! Das/die ist wirklich eine Gans!“ “In so far as private metaphor is itself a violation of the rules governing the linguistic system it will be difficult to realize how mere differences between linguistic systems (natural languages) can impose serious limits on its translatability.” (Broeck 1981: 80) 17 18 13 Zusammenhang auf die „translator’s illusion“ (Jean Paulhan) hin, also auf die Gefahr, in der AS stilistisch eigentlich nicht auffällige Einheiten für eine kreative Leistung des Autors zu halten und dementsprechend durch „overtranslation“ zu verzerren. Am geringsten sei die Übersetzbarkeit – so van den Broeck – bei deautomatisierten („foregrounded“) lexikalisierten Metaphern. Ein schönes Beispiel aus Musils Mann ohne Eigenschaften bringt Isabella Musso (1992: 44): „am nächsten Morgen stand Ulrich mit dem linken Fuß auf und fischte mit dem rechten unentschlossen nach dem Morgenpantoffel“. Natürlich lässt sich „mit dem linken Fuß aufstehen“ als lexikalisierte Metapher19 problemlos übersetzen, u.U. sogar mit einer anderen lexikalisierten Metapher. Aber wenn sich die ZS-Metapher nicht des gleichen Bildes bedient, dann kann der durch den zweiten Teil des Satzes ausgelöste Effekt des „foregrounding“ nicht in die ZS hinübergerettet werden. Musso schätzt dagegen die Übersetzbarkeit von „okkasionellen“ bzw. „kühnen“ Metaphern etwas anders ein; im Gegensatz zu Kloepfer, dessen o.a. Aussage auch sie zitiert, hält sie die Übersetzung kühner Metaphern für sehr problematisch. Da kühne Metaphern nicht dem Sprachsystem (langue) zugehörten, sondern einmalige Äußerungen der parole seien, sei jeder Fall ein Fall für sich, ohne dass man allgemeine Regeln aufstellen könne (Musso 1992: 38). Musso zeigt auch an praktischen Beispielen aus der italienischen Übersetzung von Ein Mann ohne Eigenschaften, wie schwer eine angemessene Übertragung solcher Metaphern sein kann. Bevor wir uns fragen, welche empirischen Daten vorliegen, eine kurze Bemerkung zum Begriff der Übersetzbarkeit: Van den Broeck spricht von Übersetzung „sensu stricto“, wenn das der Metapher zugrunde liegende Bild auch in der ZS wiedergegeben wird, von Substitution, wenn die Übersetzung sich eines anderen Bildes bedient (aber ebenfalls metaphorisch ist), von Paraphrase, wenn die Übersetzung in nicht-metaphorischer Sprache („plain speech“) verfasst ist (vgl. Koller 1997: 254). Wir werden in diesem letzten Fall auch von „Neutralisierung“ sprechen. Nun kann klargestellt werden, dass sich der Begriff „Übersetzbarkeit“ vor allem auf die Übersetzung „sensu stricto“ bezieht. Dies gilt insbesondere für okkasionelle und deautomatisierte lexikalisierte Metaphern; normale lexikalisierte gelten auch dann als gut übersetzbar, wenn die Übersetzung das Bild substituiert oder gar neutralisiert. Die einzige mir bekannte empirische Studie zur Übersetzbarkeit ist die schon erwähnte von Uwe Kjär (1988). Kjär hat die Übersetzung (ins Schwedische) von ca. 1200 okkasionellen Verbalmetaphern aus deutschen narrativen Texten des 20. Jahrhundert (u.a. Böll, Frisch, Grass, Handke, Lenz, Walser) untersucht. Dabei ergab sich, dass 47,7% der Übersetzungen Metaphern waren, die sowohl in der Streng genommen handelt es sich um eine idiomatische Wendung, denn bei wörtlicher Lesart fehlt hier die semantische Inkongruenz. 19 14 syntaktischen Struktur (Subjekt und finites Verb) als auch semantisch-lexikalisch (also in der Wortwahl) dem Original entsprachen. Weitere 17,9%20 wiesen semantisch-lexikalische Abweichungen auf (z.B. Pressebleistifte huschten über Stenogrammblöcke -> Bleistifte stenographierten auf Reporterblöcken, vgl. S. 107), 1,6% präsentierten zusätzlich formelle (syntaktische) Inkongruenzen und die übrigen (ca. 1/3) waren nicht-metaphorisch übersetzt, d.h. neutralisiert oder „frei übersetzt“. Während für Kjär (1988: 120) „die These von der Unübersetzbarkeit von Metaphern“ durch dieses Ergebnis „den Charakter einer theoretischen Fiktion“ erhält, wertet Koller (1997: 256) es umgekehrt als Beleg für die Schwierigkeit, okkasionelle Metaphern zu übersetzen, sowie als (partiellen) Beweis der Behauptung, Übersetzungen seien „flacher“ als Originale. Dass sich, wie Kjärs Studie zeigt, die verschiedenen Übersetzer „gegenüber der übersetzerischen Herausforderung der okkasionellen Metapher“ (Koller 1997: 257) ganz unterschiedich verhalten, zeigt allerdings auch, wie problematisch die von der deskriptiven Übersetzungsforschung postulierten „Gesetze“ sind (vgl. Broeck 1981; 84; Toury 1995: 267ff.). Im zweiten Teil des Kapitels soll an einigen Beispielen gezeigt werden, wie die Übersetzerin, Karin Fleischanderl, mit den Metaphern in Del Giudices Erzählung Bis zum Taupunkt verfahren ist. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf umfassende oder repräsentative Analyse, sondern möchte nur anschauliche Beispiele und grobe Tendenzen aufzeigen. 2.2. Lexikalisierte Metaphern Wie zu erwarten, ist die Übersetzung lexikalisierter Metaphern in der Regel unproblematisch. Beispiele (I = AS-Text; W= wörtliche Übersetzung; D = ZS-Text): [72/105] I: Ecco come t’ha incastrato. D: Da siehst du, wie er dich festgenagelt (W: eingeklemmt) hat. Usuelle Metaphern fallen zwar in diese Kategorie (vgl. Kjär 1988: 108), sind aber nicht mir ihr identisch (stellten vermutlich sogar nur einen kleinen Teil dar). Kollers (1997: 255) Zusammenfassung von Kjärs Ergebnissen ist in diesem Punkt sachlich falsch. Übrigens ist auch der Prozentwert für „Verfahren III“ (S. 256) inkorrekt: statt 28% müsste es 22,8% heißen. 20 15 Für incastrare, eigentlich „ineinanderstecken, einklemmen“, gibt das Wörterbuch21 als übertragene Bedeutung u.a. „in die Zange nehmen, festnageln“ an. Es handelt sich also eindeutig um eine lexikalisierte Metapher, die in diesem Fall auch im Deutschen mit einer verblassten Metapher wiedergegeben werfen kann. [70/101] I: il rumore dell’elica che mordeva l’aria con una diversa incidenza D: das Geräusch des Propellers, der sich mit veränderter Geschwindigkeit durch die Luft schraubte (W: …der … (in) die Luft biss) Das zweisprachige Wörterbuch kennt an einschlägigen übertragenen Bedeutungen von mordere („beißen“) nur mordere l’asfalto = auf dem Asphalt haften/ geradezu kleben. Aber im „Zingarelli“ finden sich andere Beispiele für mit Gewalt eindringende, schneidende Bewegungen. Die damit verbundene bildliche Vorstellung ist m.E. nicht ganz verblasst und hätte durch das Verb (die Luft) durchschneiden vielleicht ins Deutsche hinübergerettet werden können.22 [71/103] I: un’augusta frase naturale stampata in mente D: ein erhabener, schlichter Satz, der sich dir eingeprägt [W: in den Geist gedruckt] hatte Hier bieten die beiden Sprachsysteme wiederum sehr ähnlich gelagerte Bilder an, die einerseits dem Buchdruck, andererseits der Münzprägung entnommen sind. Es kann also nicht nur der Grad der stilistischen (Un)Auffälligkeit, sondern sogar weitgehend das zugrunde liegende Bild gewahrt werden. Von Neutralisierung einer lexikalisierten Metapher kann man dagegen im folgenden Beispiel aus der Erzählung Unreported inbound Palermo sprechen: [98/140] I: dipinte con vernice nera sul ventre dell’ala sinistra D: mit schwarzem Lack auf die Unterseite (W: den Bauch) der linken Tragfläche gemalt Alle Wörterbuch-Informationen sind – falls nicht anders angegeben – entnommen aus dem zweisprachigen DIT des Verlags Paravia (1996); aus dem einsprachig italienischen „Zingarelli“ von Zanichelli (1988) und dem „Deutschen Universalwörterbuch A-Z“ von Duden (1989); vgl. Literaturverzeichnis 22 In diese Richtung würde auch incidenza weisen, das hier keine lexikalisierte Bedeutung hat, aber – da von incidere= einschneiden abgeleitet, ebenfalls auf das Schneidende hinweist. Vielleicht wäre ein semantischer Austausch folgender Art möglich gewesen: ..., der mit verändertem Biss die Luft durchschnitt/zerschnitt. 21 16 Die Unterseite des Flügels heißt im Italienischen ventre (Bauch); das Deutsche hat hier nichts Vergleichbares zu bieten. Die Übersetzung kann also nur nicht-metaphorisch sein. Für einen anderen Teil des Flugzeugs, den Bug, greifen beide Sprachen hingegen auf genau denselben (lexikalisierten) metaphorischen Ausdruck zurück: [75/108] I: seduto su un fianco, dentro il tuo aereo girato su un fianco e col muso in alto. D: du sitzt schräg in deinem schräg dahinfliegenden Flugzeug mit der Schnauze nach oben. Im Deutschen wäre hier auch Nase möglich – und wahrscheinlich stilistisch weniger auffällig - gewesen. Im nächsten Beispiel liegt – für mein Empfinden – eine (leichte) stilistische Überhöhung vor, also eine „overtranslation“, wie van den Broeck es nennen würde. [72/105] I: l’aereo ballava di qua e di là D: das Flugzeug hüpfte hierhin und dorthin Ballare, in der Grundbedeutung tanzen, wird im Italienischen für viele zitternde, schwankende Bewegungen von Gegenständen verwendet (der Tisch „tanzt“, d.h. wackelt – bei einer Erschütterung, z.B. einem Erdbeben „tanzen“ die Möbel), hüpfen dagegen wird eher auf belebte Wesen bezogen (Kinder, Frösche usw.) und ist deshalb in diesem Kontext stilistisch auffälliger (stärker „markiert“) als das italienische Lexem. Alternativ hätte man springen verwenden können. Schwierig zu übersetzen – so die einhellige Meinung der meisten oben zitierten Fachleute – sind lexikalisierte Metaphern, die aufgrund besonderer Kollokationen „deautomatisiert“ werden und dadurch als Metaphern ins Bewusstsein treten („foregrounding“). Das folgende Beispiel ließe sich so interpretieren: [80/115] I: del temporale, … percepivi soltanto qualche balenio ovattato D: von dem ... Gewitter, ..., nahmst du nur hin und wieder ein Wetterleuchten (W: ein „wattiertes“, d.h. gedämpftes, Blitzen/Wetterleuchten) wahr 17 Ovattare bedeutet wörtlich wattieren, als lexikalische Metapher dämpfen, abschwächen. In dieser Bedeutung bezieht sich das Lexem aber eigentlich immer auf Geräusche. Die Verwendung im Zusammenhang mit einer visuellen Erscheinung führt – unterstützt durch die vom Ko-text nahegelegte Assoziation Wolke-Watte – dazu, dass der italienische Leser tatsächlich an die wörtliche Bedeutung erinnert wird. Eben darin besteht „foregrounding“. Die Übersetzerin hat sich für eine Übersetzungslücke entschieden; tatsächlich dürfte es schwierig, wenn nicht unmöglich sein, einen analogen Effekt im Deutschen zu erzielen.23 Ein anderer Fall von „foregrounding“ besteht im mehrfachen Auftreten des Wortpaares sotto (unten) und sopra (oben) im Kontext der Cola Pesce-Geschichte [75-76/ 109-111]. Im freien Fall nach dem Strömungsabriss ist dem Piloten („dir“) nicht klar, wo Oben und Unten ist und er assoziiert die Geschichte von Cola Pesce, dem Fisch-Jungen der in einer Luftblase am Meeresboden gefangen bleibt, weil auch hier eine Verkehrung von Oben und Unten vorliegt. Nachfolgend erscheinen die beiden Adverbien zusammengerückt als sottosopra mit der lexikalischen Bedeutung Durcheinander. Da es sich aber auch hier wieder auf die Verkehrung von Oben und Unten bezieht, entfaltet es einen „poetischen“ Effekt und bewirkt einen Aufmerksamkeitssprung auf die metalinguistische Ebene. Die Übersetzerin hat sich hier für Drunter und Drüber entschieden, um die Assoziation „ungeordnete Verhältnisse“ zu bewahren. Gleichzeitig ist aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs auch der Bezug zur räumlichen Vorstellung der Verkehrung von Oben und Unten gesichert, d.h. Drunter und Drüber wird auch im Deutschen deautomatisiert; was sich nicht aufrecht erhalten ließ, ist die wörtliche Identität der beiden Ausdrücke: [76/111] I: ... nessuno aveva riflettuto su quell’inaudito sottosopra, non diverso dal sottosopra in cui tu stesso ti rivoltavi ora ... D: ... niemand hatte sich über dieses unerhörte Drunter und Drüber Gedanken gemacht, das sich nicht von dem Drunter und Drüber unterschied, in dem du dich im Augenblick befandest, ... 2.3. Okkasionelle Metaphern Die Übersetzbarkeit okkasioneller, kreativer Metaphern, also jener, die (noch) nicht ins Sprachsystem bzw. Lexikon eingegangen sind, wird – wie in 2.1. dargestellt – ganz unterschiedliche eingeschätzt; hinzu kommt, dass verschiedene Übersetzer in diesem Punkt Man könnte versuchen, dämpfen durch ein neu eingeführtes Kontextelement zu deautomatisieren, z.B. ... nahmst du im Wolkendampf nur hin und wieder ein gedämpftes Blitzen wahr. 23 18 offenbar unterschiedliche individuelle Normen bzw. Gepflogenheiten haben. Um es vorwegzunehmen: in der Übersetzung von Karin Fleischanderl sind einige okkasionelle Metaphern stilistisch wirksam übersetzt worden, die meisten jedoch wurden neutralisiert. Eine zielsprachliche Metapher findet sich z.B. in folgendem Fall: [71/102] I: La velocità l’avevi ridotta d’istinto sentendo l’aereo torcersi e piegarsi W: Die Geschwindigkeit hattest du instinktiv reduziert, als/weil du das Flugzeug sich winden und krümmen spürtest. D: Du spürtest, wie es sich wand und krümmte, und nahmst instinktiv Fahrt zurück Hier liegt eine Übersetzung „sensu stricto“ im Sinne van den Broecks vor, denn die Übersetzung „bleibt im Bild“. Die semantische Inkongruenz ist in beiden Sprachen dieselbe, denn nur ein Lebewesen, kein unbelebtes Objekt krümmt und windet sich; auch das tertium comparationis funktioniert in beiden Sprachen in gleicher Weise, bei sich winden und krümmen denkt man u.a. an Schläge: hier sind es die Schläge und Stöße, die denen das Flugzeug im Unwetter ausgesetzt ist. Leicht abgeschwächt erscheint dagegen folgende Metapher: [76/110] I: ... e quando sollevò il capo per risalire vide sopra di sé le acque tese e ferme. Chiuse. D: … und als er den Kopf nach oben wandte, um aufzusteigen, sah er über sich eine fest gespannte, unbewegliche und abgeschlossene Wasserdecke. Hier ist die Rede von Cola Pesce, der wieder an die Oberfläche möchte, aber den Rückweg versperrt vorfindet. Die Formulierung ist von Benedetto Croce übernommen und bedeutet wörtlich „sah er über sich die Wasser gespannt und still. Geschlossen.“ M.E. wäre eine näher am Text verbleibende, stilistisch akzeptable Übersetzung möglich gewesen, etwa: „sah er, dass das Wasser über ihm steif/erstarrt und unbeweglich war. Verschlossen.“ Dass es sich dabei um eine Art „Decke“ handelt, kann der italienische Leser erst im nächsten Satz erahnen, wo von der Luftblase die Rede ist, in der Cola Pesce sich aufhält. Die Übersetzerin hat also die semantische Inkongruenz – flüssiges Wasser kann nicht steif sein – zwar nicht neutralisiert, durch die frühzeitige Einführung der „Decke“ aber doch begreifbarer und lesbarer gemacht. Eine Abschwächung liegt auch im folgenden Fall vor: 19 [77/112] I: …, quando la materia nebulosa si faceva più scura riverberava i flash intermittenti degli strobe anticollisione sul bordo delle ali, lampi regolari per foto ricordo delle nuvole, viste dal loro interno, e con te dentro. D: ..., als die neblige Masse dunkler wurde, blitzten die strobe lights an der Kante der Tragflächen auf, ein regelmäßiges Blitzlicht für Erinnerungsfotos aus dem Bauch der Wolken, mit dir mittendrin. (W: ... für Erinnerungsfotos von den Wolken, aus ihrem Inneren gesehen, und mit dir darinnen) Hier greift die Autorin eine vorher eingeführte Metapher des Autors (Bauch) wieder auf, um die „Innenansicht“ der Wolken zu übersetzen. Dabei geht aber die subtile Inkongruenz von Erinnerungsfoto und Wolken verloren: Erinnerungsfotos macht man eigentlich nicht von Wolken und überhaupt selten von unbelebten Objekten, sondern meist von Freunden und Familienangehörigen (mit sich selbst mitten drin). Eine Übersetzung, die dieses feine metaphorische Element wahrt, könnte vielleicht sein: ... für Erinnerungsfotos von den Wolken, von innen gesehen, und mit dir mittendrin (oder: und du mittendrin). In den folgenden Fällen würde ich nicht mehr von Abschwächung, sondern von Neutralisierung sprechen: [67/97] I: i vetri dell’aereo divennero smerigliati e bianchi D: die Fenster des Flugzeugs beschlugen sich rundherum und wurden weiß (W: ... wurden mattgeschliffen/milchig und weiß) Die vorgeschlagene Übersetzung ist m.E. sowohl denotativ wie konnotativ unangemessen. Vetro smerigliato ist keine beschlagene Scheibe (dafür verwendet man appannato, wörtlich „besahnt“), sondern Milch- oder Mattglas; darin besteht übrigens das Metaphorische, dass sich die Windschutzscheibe nicht wirklich in Milchglas verwandelt, während sie ja durchaus beschlagen könnte. Milchglas als Cockpitverglasung wirkt zudem bedrohlicher, und darum geht es hier. Mögliche Alternative: „... die Fenster verwandelten sich in (weißes) Milchglas“. [69/100] I: …, in questo modo la mente si proteggeva dal terrore spurgando stupidaggini, … D: …, so schützte sich der Geist vor der Angst, indem er Banalitäten von sich gab, … Spurgare bedeutet reinigen, säubern (z.B. von Sickergruben) und in der Medizin aushusten, auswerfen. Die syntaktische Struktur ist die der zweiten Bedeutung. Warum also nicht: so 20 schützte sich der Verstand vor der Panik, indem er Blödsinn abhustete. Etwas weniger gewagt, aber dem Original dennoch näher wäre ausspuckte. Folgendes Beispiel macht klar, in welch misslicher Lage man sich als Übersetzer befinden kann: [69/100 vgl. auch 73/106] I: occhio che al buio ti segue dentro il catino luminoso delle tracce radar D: Auge, das dir im Dunkeln am Radarschirm (W: im leuchtenden Becken der Radarspuren) folgt Catino bedeutet eigentlich Schüssel, Becken, in der Geographie Mulde, in der Architektur Halbkuppel; es kann, so der „Zingarelli“, auch übertragen werden auf die Form eines Sportstadions. Das Grundproblem ist der lexikalische Status von catino im vorliegenden Zusammenhang. Ist catino ein technischer Fachbegriff, d.h. eine lexikalisierte Metapher für den konkaven Radarschirm24, dann darf Radarschirm als angemessene Übersetzung gelten und jede metaphorische Übertragung ins Deutsche wäre „overtranslation“. Handelt es sich aber um eine originelle, bildhafte Schöpfung des Autors – wofür einiges spricht – dann wäre Radarschirm eine stilistisch stark verflachende Neutralisierung. Noch komplizierter wird die Angelegenheit, wenn wir die Wirkung auf den italienischen Leser einzubeziehen versuchen; denn selbst wenn catino Fach- oder Fachjargonbegriff ist, wird der durchschnittliche Leser es u.U. „deautomatisiert“ wahrnehmen, d.h. an die Form einer Schüssel denken. Die folgenden zwei Metaphern beruhen auf der „Übertragung von Belebtem auf Lebloses“ (nach Wilpert 1989: 568 die häufigste Kategorie in der Metapherneinteilung nach Quintilian). In der Übersetzung wurden sie neutralisiert: [76/109] I: ... e relitti di navi morte. D: … und Resten gesunkener Schiffe. (W: ... und Wracks toter/gestorbener Schiffe) [98/140] aus: Unreported inbound Palermo I: ..., la telecamera sottomarina intuí cinque lettere dell’alfabeto, I-TIGI, dipinte in vernice nera sul ventre dell’ala sinistra, … D: Die Unterwasserkamera ... erfaßte (W: erahnte/ erkannte) fünf Buchstaben des Alphabets, I-TIGI, die mit schwarzem Lack auf die Unterseite der linken Tragfläche gemalt waren 24 Dafür konnte ich in technischen Wörterbüchern keinen Beleg finden. 21 Das erste Beispiel ist der in die Erzählung eingebauten Croce-Version des Cola PesceMärchens entnommen: Cola Pesce berichtet dem König, was er am Meeresboden gesehen hat. Del Giudice, der den Croce-Text ansonsten fast wörtlich übernimmt, greift hier auf signifikante Weise ein, denn Croces navi sommerse (versunkene Schiffe) werden zu navi morte (tote Schiffe); durch die „Humanisierung“ unbelebter Gegenstände schafft er zudem einen Gleichklang mit den in der Aufzählung unmittelbar voraufgehenden menschlichen Skeletten. Eine im Bild bleibende Übersetzung wäre m.E. nicht allzu kühn, denn so wie im Italienischen existieren auch in der deutschen Sprache zahlreiche lexikalisierte Metaphern mit „tot“, die als Bezugsrahmen für die okkasionelle Metapher dienen können (Totes Meer, totes Gleis, tote Materie usw.). Die Übersetzung des zweiten Beispiels ließe damit begründen, dass erfassen auch begreifen bedeuten und mithin eine originär menschliche Tätigkeit bezeichnen kann; diese Konnotation wird jedoch m.E. im Kontext des ZS-Textes nicht aktiviert. Eine solche stilistische Abschwächung ist besonders problematisch, weil die Übertragung von Belebtem auf Lebloses in Unreported inbound Palermo ein durchgängiges Motiv ist: Die Geschichte dieses Flugzeugabsturzes kann nur von den vom Meeresgrund geborgenen Relikten „erzählt“ werden, denn Überlebende gibt es nicht. Selbst die Kennbuchstaben I-TIGI werden als Name eines antiken Volkes („Die Tigi“) interpretiert, das auf dem Meeresboden verstreut lagert. Wie schon gesagt, erheben diese Beispiel nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Dennoch sind sie wohl geeignet, die mit der Übersetzung von Metaphern verbundenen Probleme anschaulicher zu machen. Gerade bei den okkasionellen Metaphern lässt sich tatsächlich – auch im hier zugrunde gelegten Text – häufiger eine stilistische Verflachung beobachten. Wieweit diese Tendenz auf individuellen Präferenzen und Gewohnheiten, auf kulturellen und literarischen Normen oder auf der Psychologie des Übersetzer-Berufs („etwas verständlich machen“) beruht, möchte ich offen lassen.25 2.4. Metaphern und Vergleiche Im letzten Abschnitt des Kapitels soll kurz auf einen Aspekt hingewiesen werden, der im Zusammenhang der Metaphernübersetzung immer wieder genannt wird: die stilistische Abschwächung der Metapher durch Überführung in einen Vergleich. Musso (1992: 44) M.E. spielt auch eine Rolle, dass literarische Übersetzer sich auch aufgrund ökonomischer Zwänge nicht allen stilistischen Problemen in dem Umfang widmen können, wie sie es vielleicht gern möchten. 25 22 bringt u.a. folgendes Beispiel aus der italienischen Übersetzung von Der Mann ohne Eigenschaften: D: Der Spätfrühling-Herbsttag beseeligte ihn. Die Luft gor. I: La giornata primaverile d’autunno gli dava un senso di beatitudine. L’aria era come un lievito (W.: Die Luft war wie Hefe) Musso (ebd.) meint, durch diese Form der Explizierung von Metaphern werde die semantische Inkongruenz stark abgeschwächt, da an die Stelle einer Beziehung der Identität (von Gesagtem und Gemeintem) eine solche des Vergleichs trete. Schon Levý (1969: 118) weist darauf hin, dass die Auflösung von Metaphern in Vergleiche einer der charakteristischsten Züge poetischer Übersetzungen sei, wobei er zwar keine wesensmäßigen Unterschiede zwischen den beiden Figuren sieht, aber gleichwohl in dem Verlust an Intensität und Unmittelbarkeit eine stilistische Abschwächung erkennt. Ebenso kritisiert Kloepfer (1966: 104), Vossler verflache Dantes Purgatorio in der deutschen Übersetzung, indem er Metaphern in Vergleiche auflöse. In Fleischanderls Übersetzung von Fino al punto di rugiada habe ich diese Form der Stilunterbietung freilich nicht entdecken können. Eine andere Frage ist die nach der Übersetzung von bereits im AS-Text enthaltenen Vergleichen. Die untersuchte Erzählung enthält eine ganze Reihe davon, wobei die Übersetzung meist so wörtlich und unproblematisch ist wie in den folgenden Fällen: [69/100] I: … come un cane dal proprio padrone D: … wie ein Hund von seinem Herrn [70/102] I: ... umido e opaco come una medusa D: … feucht und undurchdringlich wie eine Qualle Vereinzelt allerdings sind die Entsprechungen nicht so direkt. Warum die Übersetzerin im folgenden Beispiel das vom Autor benutzte Bild der Wetterfahne aufgibt (das Fischchen hätte zum Hahn mutieren können), ist mir nicht einsichtig. Außerdem verschiebt sich der Bezugspunkt des Vergleichs vom Flugzeug auf den imaginären Stift: 23 [70/101] I: queste [=le imbardate di lato] mettevano l’aereo di traverso senza piegarlo in virata, facendolo ruotare su un immaginario perno verticale che lo trafiggesse dall’alto, come un pesciolino in una banderuola … D: deshalb wurde es [=das Flugzeug] seitlich versetzt, aber ohne wie bei einer Kurve Querneigung anzunehmen, es rotierte flach um einen imaginären senkrechten Stift, der es von oben durchbohrte wie eine Fahnenstange … (W.: wie ein Fischchen in der Wetterfahne) Das folgende, abschließende Beispiel dokumentiert den vermutlich seltenen Fall der Umwandlung eines Vergleichs in eine Metapher: [77/112] I: tu volavi tra onde d’aria invisibili e gocce di pioggia che il vento dell’elica schiacciava come lombrichi trasparenti velocissimi, subito essiccati lungo il parabrezza D: du flogst inmitten unsichtbarer Luftwellen und Regentropfen, die im Propellerwirbel zu meterlangen, durchsichtigen Würmern wurden und auf der Scheibe augenblicklich gefroren. (W.: ..., die der Propellerwind zerdrückte wie sehr schnelle durchsichtige Regenwürmer, die sofort längs der Windschutzscheibe vertrockneten) 3. Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung 3.1. Lexemwiederholung und Polysemie Nicht zu übersehendes stilistisches Kennzeichen der hier untersuchten Erzählungen von Daniele del Giudice ist der Rückgriff auf sprachspielerische Elemente verschiedenster Art; in vielen Fällen beruhen sie auf Wiederholungen von Lexemen oder Syntagmen, die durch durch formale Analogie Verbindungen zwischen Textinhalten herstellen oder vertiefen. Teilweise sind es Schlüsselwörter, die leitmotivisch wiederholt werden und Grundthemen des Textes betreffen, wobei mitunter auch Polysemien genutzt werden. Ich bin der Meinung, dass stilistische Phänomene dieser Art soweit wie möglich im ZS-Text bewahrt werden sollten, um „formal-ästhetische Äquivalenz“ (Koller) herzustellen. Zunächst zwei Beispiele aus Unreported inbound Palermo. Das insgesamt in Klammern gesetzte Kapitel beginnt wie folgt: 24 [97/139] I: (Se qui ci fosse un capitolo su Ustica, dovrebbe essere la storia dell’aereo. Sarebbe la storia di un aeroplano finito in fondo al mare e riemerso dalle acque, … D: (Wenn es hier ein Kapitel über Ustica gäbe, wäre es die Geschichte eines Flugzeugs. Es wäre die Geschichte eines Flugzeugs, das am Meeresgrund gelandet und wieder aufgetaucht ist, ... Entscheidend ist hier die Formel sarebbe la storia (es wäre die Geschichte), die auf der ersten Seite (des ital. Originals) zweimal wiederholt wird, davon einmal abgewandelt zu sarebbe il racconto (es wäre die Erzählung), und dann auf der dritten Seite etwas unvermittelt erneut erscheint. Die anfängliche Protasis Wenn es hier ein Kapitel über Ustica gäbe ist dabei jeweils vom Leser mitzudenken. Der Konjunktiv mutet paradox an, denn das Buch enthält ja ein Kapitel über „Ustica“, d.h. über den mit dem Namen der sizilianischen Insel assoziierten Absturz einer italienischen Passagiermaschine Anfang der 80er Jahre. Und zwar aus der Sicht der Maschine, der Dinge, des Metalls. Die Einklammerung der Geschichte ändert ja nichts an ihrer Existenz; oder soll ausgedrückt werden, dass die Metallteile ihre Geschichte nicht erzählen, ihr Wissen über die Ursachen des Absturzes nicht weitergeben können? Offenbar enthält der Text eine Leerstelle, auf die der Refrain sarebbe la/una storia (il racconto)... wiederholt hinweist. Die Übersetzerin hat sich beim zweiten Vorkommen im Text für eine idiomatische, lesbarere Variante entschieden und beim vierten Vorkommen eine (aber nicht die ursprüngliche) Protasis hinzugefügt und somit auch inhaltlich in den Text eingegriffen: [97/139] (2. Vorkommen) I: Sarebbe una storia da intitolare I Tigi, come fossero un popolo antico o degli alberi secolari … D: Man könnte die Geschichte I Tigi nennen, Die Tigi, als handle es sich um ein Naturvolk oder um jahrhundertealte Bäume ... (W: Es wäre eine Geschichte, die man I Tigi nennen sollte, ...) [97/140] (3. Vorkommen) I: ..., sarebbe il racconto in prima persona del metallo stesso,... D: …, es wäre die Erzählung des Metalls in der ersten Person, … [99/142] (4. Vorkommen) I: Sarebbe la storia dell’aereo, perché l’aereo conosce la sua storia, quanti la conoscono al mondo?, in mancanza di parole sarebbe una storia di cose, storia di metallo, metallo offendente e metallo offeso,… D: Wenn es die Geschichte des Flugzeugs wäre – denn das Flugzeug kennt seine Geschichte, wie viele auf der Welt kennen die ihre? – , wäre es in Ermangelung der Worte eine Geschichte der Dinge, eine Geschichte des Metalls, des Schaden zufügenden und beschädigten Metalls, ... (W: Es wäre die Geschichte des Flugzeugs, denn das Flugzeug kennt seine Geschichte, wie viele auf der Welt kennen 25 sie?26, in Ermangelung der Worte wäre es eine Geschichte der Dinge, des verletzenden Metalls und des verletzten Metalls, ...) Ein zweiter „Refrain“ in Unreported inbound Palermo ist das Kürzel des Flugzeugs „ITIGI“, das die Unterwasserkamera auf der Tragfläche „erkennt“ (im Funkverkehr: „India Tango India Golf India“). Schon bevor dieser Zusammenhang aufgeklärt ist, wird der Leser mit dem Satz konfrontiert (wörtlich:) „Es wäre eine Geschichte, die man I Tigi nennen sollte, als handle es sich um ein antikes Volk oder um jahrhundertealte Bäume.“ Der Autor spielt damit, dass sich das Kürzel als Artikel+Substantiv (maskulinum Plural) interpretieren lässt und weist ihm eine Bedeutung mit dem Sem [+belebt] zu.27 Nicht zufällig, denn „die Tigi“, also die Relikte des Flugzeugs, sollten ja eigentlich die Erzähler „ihrer Geschichte“ sein. Die „Humanisierung“ des Gegenständlichen ist ein durchgehendes Merkmal. Im weiteren Text erscheinen I Tigi mitunter in semantischen Kollokationen, die ihrerseits auf eine Vermenschlichung hinweisen. Dieser Gesamtzusammenhang ist bei der Übersetzung möglichst zu respektieren. Bei der Umdeutung des Kürzels gelingt dies der Übersetzerin durch die zielsprachliche Kontiguität von „i Tigi“ und „die Tigi“. Eine andere Lösung ist kaum vorstellbar, es sei denn, man wollte das Kürzel an deutsche Morphologie anpassen (DIE-TIGIS o.ä.) und damit sachlich-historisch verfälschen. Hier ist Koller (1997: 258) zuzustimmen, wenn er feststellt: „Die Übersetzung von Textstellen, in denen mit sprachlichen Formen und Inhalten gespielt wird, stellt den Übersetzer in der Regel vor nur annähernd lösbare, häufig unlösbare Probleme.“ Die „Vermenschlichung“ der Tigi wird von der Übersetzung nicht in vollem Umfang nachvollzogen: die Tigi „ruhen“ (risposavano) hier nicht, sondern „liegen“ (98/141) auf dem Meeresgrund – angesichts des hier erwähnten benachbarten Schiffsfriedhofs hätte „ruhen“ auch im Sinne von „letzte Ruhestätte“ nahegelegen – und nach dem Zusammenbau im Hangar sind sie nicht „(wieder) versammelt“ (riuniti), sondern „wiedervereint“ (103/147). Auch in Fino al punto di rugiada finden wir einige stilistisch wirksame Wortwiederholungen. Ein erstes, einfaches Beispiel ist die Verdopplung von viaggiare nel Die von Fleischanderl vorgeschlagene Übersetzung “die ihre” ist m.E. eine verfälschende Interpretation; im Italienischen steht nämlich nicht „la loro“ (die ihre/ihrige), sondern „la“ (sie). Wichtiger ist aber der historische Kontext (vgl. Kapitel 4): Die Frage, wer auf der Welt eigentlich weiß, was genau mit dem Flugzeug passiert ist – italienische Militärs? der amerikanische Geheimdienst? Gaddafi? – ist genau die Frage, die auch die italienische Öffentlichkeit seit fast zwei Jahrzehnten beschäftigt. 27 Die Bedeutungsalternative “antikes Volk” („popolo antico“) lässt außerdem die Konnotation „tot, ausgestorben“ zu; auch diese wird in nachfolgenden Kollokationen aktiviert, z.B. werden die Tigi als Grabmal interpretiert (102/146) 26 26 ventre (Wörtlich: im Bauch reisen), welche die Analogie zwischen Cola Pesce und dem Piloten („du“) formal-ästhetisch unterstützt: [75/109] I: ..., viaggiava nel loro ventre così come tu viaggiavi verso l’abisso nel ventre umido della grande nube; … W: …, er reiste in ihrem Bauch, so wie du im feuchten Bauch der großen Wolke in den Abgrund reistest; … D: …, und er bewegte sich in ihrem Bauch, so wie du im feuchten Bauch der großen Wolke in die Tiefe stürztest; ... Nun scheidet zwar reisen als Übersetzungsmöglichkeit aus – man kann kaum „in die Tiefe reisen“ – aber durch einen kleinen Kunstgriff hätte die Wiederholung des Bewegungsverbs durchaus auch im Deutschen realisiert werden können: „..., und er fuhr in ihrem Bauch durchs Meer, so wie du im feuchten Bauch der Wolke in den Abgrund fuhrst; ...“. So hätte gleichzeitig die missverständliche Formulierung „bewegte sich“ disambiguiert werden können; denn nicht der Junge bewegt sich im Bauch, sondern er wird von den Fischen irgendwohin getragen. – In einem anderen Fall (82/118), der hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden kann, wiederholt Del Giudice fünf Mal das Wort arco. Im Deutschen lässt es sich nicht einheitlich mit Bogen übersetzen; unter Einbezug von zwei weiteren Lexemen in der unmittelbaren Umgebung gelingt es der Übersetzerin aber, eine dreimalige Wiederholung des Wortes Spanne zu realisieren; die Abfolge der Entsprechungen ist wie folgt: quantità/Spanne – arco/Bogen – arco+arco+arco/Kreisbögen – arco/Spanne – limite/Spanne. Angeblich – so Kloepfer (1966: 87) – konnte schon Lessing „gegen die ‚feineren Kunstrichter’ nicht durchsetzen, daß ‚Wortspiele ... durch ähnliche Wortspiele zu ersetzen sind’“, aber mit Koller (1997: 263) würde ich meinen, dass „eine Notlösung oft besser ist als gar keine Lösung“ (vgl. auch Musso 1992: 48), zumal die hier vorgestellte Lösung sehr stark an das Original anknüpft. - In einem Fall greift Del Giudice sogar auf eine Fremdsprache zurück, um eine inhaltlich relevante Polysemie zu etablieren. Die Schlüsselstelle ist folgende: [72/104f] I: …: per come voi mi rilevate qual è la prua che devo mettere volendo giungere alla mia destinazione?, destino in spagnolo, unica lingua in cui il fine geografico coincide col compimento della propria personale avventura. 27 D: …: Könnt ihr mir zeigen, welchen Kurs ich nehmen muß, wenn ich mein Ziel erreichen will?, destino heißt es auf spanisch, in der einzigen Sprache, in der das geographische Ziel mit dem Schicksal übereinstimmt. Mit diesem Kunstgriff erreicht der Autor, dass im nachfolgenden Text jedes Vorkommen von destinazione (Ziel, Bestimmungsort) das ital.-spanische destino (Schicksal, Bestimmung) mit aufruft und umgekehrt, so dass der Flug einmal mehr zur Metapher für das menschliche Leben wird. Auch hier gibt es sicher keine ideale Lösung für das Deutsche28; dennoch scheint mir, dass die Lösung von Karin Fleischanderl sicherstellt, dass bei den nachfolgenden Erwähnungen von Ziel bzw. Schicksal der jeweils andere Begriff mit assoziiert wird. Dass das spanische destino – anders als im Italienischen – keine Bedeutung hat, kompensiert sie dadurch, dass „compimento della propria personale avventura“ direkt mit „Schicksal“ übersetzt wird. Die Ähnlichkeit von destino/destinazione könnte man im Deutschen mit (menschliche) Bestimmung bzw. Bestimmungsort wiedergeben, allerdings hätte man sich damit neue Vieldeutigkeiten eingehandelt, ohne eine (partielle) Identitätsbeziehung mit dem spanischen destino zu erreichen. Das entscheidende stilistische Problem von Bis zum Taupunkt liegt in der leitmotivischen Wiederholung eines anderen mehrdeutigen Lexems: (it.) ente. Das erste Mal erscheint es wenige Zeilen nach Beginn der Erzählung: [67/97] I: …, in realtà ti eri già perso prima, all’ultimo riporto, quando avevi chiamato l’Ente confermando di essere dove secondo il piano di volo avresti dovuto essere: … D: …, eigentlich hattest du dich schon vorher verirrt, beim letzten Meldepunkt, als du die Flugsicherung gerufen und bestätigt hattest, dort zu sein, wo du laut Flugplan hättest sein sollen: … Der italienische Leser wird hier schon aufmerken, denn die Großschreibung lässt ahnen, dass es sich um eine besondere Autorität handelt. Übersetzungsäquivalente für ente aus dem Wörterbuch (DIT) sind: Körperschaft, Anstalt, Einrichtung, Amt, (philos.) Wesen, (l’ente supremo) das Höchste Wesen. Zusätzlich entspricht it. ente dem lat. ens, also dt. das Seiende. Del Giudice spielt in seiner Erzählung mit den Bedeutungen Anstalt (für Flugsicherheit), (höchstes) Wesen und Seiendes. Bereits auf der dritten Seite der Erzählung (69/100) erscheinen alle drei zusammen in einer Schlüsselpassage; der Vergleich von AS-Text, wörtlicher Übersetzung Während z.B. im Englischen mit destination/ destiny zwei ganz ähnliche und ebenso mit dem span. destino verwandte Wörter vorliegen. 28 28 und deutscher Version zeigt, dass die Übersetzerin die philosophische Ausdeutung ausgelassen, d.h. einige Textzeilen „unterschlagen“29 hat: [69/100] AS-Text Wörtliche Übersetzung Übers. K. Fleischanderl Potevi farlo adesso, potevi Du hättest es jetzt tun kön-nen, Das hättest du jetzt tun können, domandare all’Ente se hättest die Anstalt fragen können, jetzt hättest du bei der aveva notizie di quella cali- ob sie nähere Angaben zu diesem Flugsicherung nachfragen können, gine, quanto fosse diffusa Dunstnebel hatten, wie verbreitet ob sie etwas von diesem Nebel e fino a che quota, ma con er war und bis zu welcher Höhe, wußten, über seine Verbreitung und l’Ente avresti dovuto chia- aber mit der Anstalt hättest einige bis in welche Höhe er reichte, aber rire alcune questioni, dun- Fraugen que rimandavi. klären müssen, also dann hättest du auch einige Fragen Ente, schobst du es auf. Seiendes, wie in klären müssen, also verschobst du come in filosofia non der Philosophie keiner Definition, es auf später. suscettibile di definizione sondern nur der Erhellung fähig, ma solo di chiarificazione, unteilbares und von allen anderen Ente indivisibile e distinto unterschiedenes Seiendes (Wesen), da tutti gli altri, di per sé an und für sich begreifbar, an und intellegibile, di per sé für sich liebenswert. amabile. Anche l’Ente di Auch die Flugsicherungsanstalt controllo di aereo könnte man so auffassen, im potrebbe intendersi così, Grunde ist sie bloß eine im Nebel in fondo è una pura voce empfangene Stimme, eine captata nella nebbia, voce unsichtbare Stimme, die vom Im Grunde war der Lotse nicht invisibile che ti parla da Boden aus zu dir spricht, Oben mehr als eine Stimme, die vom terra, l’alto e il basso si und Unten sind vertauscht, wir Boden aus zu dir spricht, oben und sono capovolti, noi poveri armen Sterblichen am/im Himmel unten wurden vertauscht, wir armen mortali smarriti in cielo e verirrt und der Unsterbliche ruhig Sterblichen haben uns im Himmel l’Immortale tranquillo a am Boden, Auge, das dir terra, occhio che al buio ti Dunkeln in der im verirrt, und der Unsterbliche sitzt leuchtenden seelenruhig am Boden, ein Auge, segue dentro il catino Mulde der Radarspuren folgt; ... das dir im Dunkeln am Radarschirm luminoso folgt; ... delle tracce radar; … Eine Auslassung findet sich auch im Kapitel Tra il secondo 1423 e il secondo 1797, auf Seite 21/30 fehlen 8 Zeilen des AS-Textes: „Ci fermammo tutti e tre a guardarla, ... Ma fu l’ultimo istante ...“. Ein Grund ist dort allerdings nicht erkennbar. 29 29 Der Grund für diese Auslassung ist unschwer erkennbar: Es scheint unmöglich, ein deutsches Wort zu finden, das die genannten drei Bedeutungsaspekte einschließen könnte. Außerdem bringt der philosophische Einschub als solches Übersetzungsprobleme mit sich, denn es handelt sich offenbar um eine stark normierte Sprache, die ohne einschlägige Recherchen kaum angemessen übersetzbar ist.30 Hinzu kommt zudem, dass der philosophische Begriff „ente“ zwar als Verbindungsglied zwischen (Flugsicherungs)anstalt und (höherem) Wesen fungiert und somit die behauptete Analogie zwischen beiden stützt, ansonsten aber eher unverbunden im Text steht und daher als nicht völlig unverzichtbar erscheint. Auf jeden Fall zu bewahren ist die Konnotation von Flugsicherungsanstalt im Sinne einer höheren, göttlichen Instanz, die den Piloten zu seinem Bestimmungsort (= Schicksal, Bestimmung) leitet; diese aber wird von Del Giudice nicht nur sprachassoziativ (über das Wort Ente), sondern auch explizit inhaltlich hergestellt, wie wir der zitierten Passage entnehmen können. Fleischanderl setzt für Ente sowohl Flugsicherung als auch Lotse; vielleicht wäre es angemessen gewesen, sich für ein einziges Wort zu entscheiden, um den leitmotivischen Charakter – Ente erscheint sicher ca. 30mal im Text – besser zu bewahren. In diesem Fall wäre vermutlich Lotse vorzuziehen, da es die Konnotation der Führung durch ein höheres bzw. himmlisches Wesen (Gott, Schutzengel) erlaubt. Ganz unabhängig von möglichen anderen Lösungen zeigt das Beispiel „Ente“ vor allem, wie schwierig der Umgang mit Sprachspielen ist, die auf ausgangssprachlicher Polysemie aufbauen und sich leitmotivisch durch den ganzen Text ziehen und keine „ornamentale“ (vgl. Koller 1997: 263), sondern eine essenzielle Funktion im Hinblick auf den Textinhalt, hier: die Metapher „Fliegen“, übernehmen. – Noch eine Bemerkung zur Verknüpfung des Sprachspiels Ente mit dem restlichen Text. Es dürfte auf der Hand liegen, dass auch cielo/Himmel doppeldeutig ist; zum Glück vereint das dt. Himmel ebenso wie cielo die beiden Bedeutungen, die im Englischen auf zwei Lexeme (heaven, sky) verteilt sind31. Aber die Tücke liegt im Detail: in cielo kann sowohl im Himmel als auch am Himmel bedeuten, im Dass Del Giudice hier nicht „phantasiert”, sondern sich auf sprachlich stark normierte philosophische Traditionen bezieht, wird beim Vergleich mit einer Wörterbuch-Definition von „ente“ deutlich: “Ogni essere che realizza un’essenza: ciò che è, in uno qualsiasi dei significati esistenziali di essere (è termine trascendentale, semplicissimo, non suscettibile di definizione, ma soltanto di chiarificazione; e, secondo la filosofia aristotelica e scolastica, ogni ente è uno, è vero, è buono, cioè è completo, indivisibile e distinto da tutti gli altri: è di per sé intelligibile, è di per sé amabile).” (Grande Dizionario della lingua italiana di Salvatore Battaglia, Bd. V, Torino: UTET 1968, S. 165 Hervorh. von mir.). Vgl. dazu folgende Angabe aus einem deutschen Philosophielexikon: „Seiende, das (lat. ens) ... – Im gleichen Maße allgemein zusprechbar wie ‚seiend’ sind nach der scholastischen Metaphysik die Eigenschaften, eines, wahr und gut zu sein. Demgemäß wird die Konvertierbarkeit von ‚seiend’, ‚eines’, ‚wahr’ und ‚gut’ behauptet und das höchste S. mit der Einheit, Wahrheit und Gutheit selbst identifiziert und als Schöpfergott verstanden. (...)“ (aus: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. von Jürgen Mittelstraß, Bd. 3, Stuttgart: Metzler 1995, S. 748 [Auszug]). 31 Im Wörterbuch (DIT) findet sich auch die in unserem Kontext relevante Entsprechung “Luftraum” (z.B. über einer Stadt) 30 30 Deutschen muss man sich entscheiden. Die Entscheidungen der Übersetzerin sind unterschiedlich ausgefallen; im obigen Textausschnitt ist die Wahl auf „im Himmel“ gefallen; gegen Ende der Erzählung finden wir dagegen: [82/118] I: In nessun luogo la parola ti sembrava così importante come in cielo, o ascoltata con tanta avidità; … D: Nirgendwo schien das Wort eine so große Bedeutung zu haben, so begierig aufgenommen zu werden wie am Himmel; … Die Entscheidung für am Himmel ist hier gut begründet, denn der Pilot ist ja am und nicht im Himmel. Nicht ohne weiteres zu bestimmen ist hingegen, ob diese Entscheidung die Konnotationen von parola/ Wort in unerwünschter Weise einschränkt. Denn parola (Wort, Sprache, Rat u.a.) meint natürlich zunächst den sprachlichen Kontakt mit dem Fluglotsen, dessen Rat und Beistand unverzichtbar sind, zum anderen kann es es auf das göttliche Wort verweisen, etwa im Sinne des Johannesevangeliums („Im Anfang war das Wort ...“). Wenig überzeugend erscheint in diesem Zusammenhang die Übersetzung des folgenden Passus: [83/120] I: Qualche volta parlando alla radio in cielo poteva accadere di non ricevere risposta,.. D: Es konnte geschehen, daß man einmal keine Antwort bekam, wenn man sich in der Luft per Funk unterhielt, … Abgesehen davon, dass die Formulierung in der Luft jeden Rest von Zweideutigkeit auflöst, scheint mir unterhalten unangemessen, da es bereits eine Antwort des Gesprächspartners impliziert. Vielleicht hätte man sagen können: Wenn man am Himmel einen Funkspruch (oder: einen Himmelsfunkspruch) absetzte, konnte es geschehen, dass keine Antwort zurückkam. 3.2. Thematisierung grammatischer Phänomene Bisher haben wir gesehen, welche Schwierigkeiten Lexemwiederholungen und Polysemien bei der Übersetzung bereiten können. Eine andere Form von Sprachspiel ist die explizite Bezugnahme auf bzw. die Ausnutzung grammatischer Phänomene. Koller (1997: 264f) zeigt die damit verbundenen Probleme, aber auch die Möglichkeiten eines 31 schöpferischen Nachvollzugs anhand von Morgensterns Gedicht „Der Werwolf“ auf. In Fino al punto di rugiada finden wir zwei Textstellen, an denen der Autor auf morphologische Erscheinungen Bezug nimmt. Zunächst einmal ist dies die Anrede voi, welche die Flugsicherung dem Piloten gegenüber benutzt. Das Personalpronomen der 2. Person Plural voi entspricht in der Anrede nicht nur dem deutschen „ihr“, sondern auch der an eine Gruppe gerichteten Höflichkeitsform „Sie“. Im Funkverkehr verwenden beide Seiten die Anrede voi, aber der Pilot konstatiert die Ironie der Tatsache, dass er – obwohl allein und verlassen – im Plural angesprochen wird: [73/105] I: “… Avete il transponder?” – „Abbiamo il transponder”. Certo, avevi il transponder automatico ai radar, ma era così ridicolo quel plurale in tanta solitudine, così ipocrita e cerimonioso, avete?, abbiamo, come se ci fosse un equipaggio completo, … D: “… Habt ihr Transponder?” – „Wir haben Transponder“. Gewiß hattest du einen automatischen Signalgeber, aber die Pluralform war so lächerlich in dieser großen Einsamkeit, so verlogen und umständlich, habt ihr?, wir haben, als ob es eine vollständige Besatzung gäbe, ... Im Deutschen steht man vor einem Dilemma: entweder man übersetzt die Anrede pragmatisch korrekt mit „Sie“ und zerstört die Ironie (denn „Sie“ regiert zwar ein Verb in der 3. Person Plural, kann aber auch für einzelne Gesprächspartner verwendet werden), oder man rettet die ironische Anspielung und nimmt ein pragmatisch-stilistisch auffälliges „ihr“ in Kauf. Karin Fleischanderl hat sich für Letzteres entschieden, mit guten Gründen, wie ich meine, denn nur so kann die „Pointe“ (auf die auf S. 73/106 noch einmal angespielt wird) erhalten werden. Außerdem mag es ja im Flugverkehr auch die informelle Anrede geben; und schließlich ist die Sie-ihr-Substitution auch in regionalen oder soziolektalen Varianten des Deutschen belegbar. Ein zweiter expliziter Bezug auf grammatische Phänomene kommentiert eine vom Erzähler wiedergegebenen Äußerung Brunos (der Fluglehrer des Erzählers, wie wir aus vorhergehenden Kapiteln wissen): [75/108] I: Credere agli strumenti, diceva Bruno nel suo ironico infinito imperativo, non alzare gli occhi dal cruscotto se non vedi fuori, fidati solo degli strumenti, … W: Den Instrumenten glauben, sagte Bruno in seinem ironischen, imperativischen Infinitiv, die Augen nicht vom Armaturenbrett heben, wenn du nicht rausgucken kannst, vertrau nur den Instrumenten, ... 32 D: Glaub den Instrumenten, sagte Bruno in seinem ironischen Befehlston, laß das Armaturenbrett nicht aus den Augen, wenn du draußen nichts siehst, vertrau nur den Instrumenten, … Wie wir sehen, hat die Übersetzerin den Bezug auf das grammatische Phänomen des infinitivischen Imperativs im ZS-Text getilgt und die Imperative nicht-infinitivisch wiedergegeben. Im Italienischen kann ein als Imperativ einsetzter Infinitiv bei geeigneter Intonation ironisch wirken, weil er den Charakter eines Lehrbuch-Grundsatzes annimmt, also unpersönlicher und allgemeingültiger ist als ein Imperativ der 2. Person Singular (z.B. fidati im obigen Zitat)32. Im Deutschen könnte man dies wie folgt wiedergeben: Immer schön den Instrumenten glauben, pflegte33 Bruno leicht spöttisch im Infinitiv zu sagen, nie vom Armaturenbrett hochblicken, wenn du draußen nichts erkennen kannst, vertrau nur den Instrumenten, ... Metasprachliche Elemente mit poetischer Funktion – um es in Jakobsons Begrifflichkeit zu sagen - finden wir bei Del Giudice übrigens nicht nur bezogen auf morphosyntaktische Eigenschaften der Sprache. Die im Funkverkehr übliche Fliegersprache wird mehrfach zum Anlass von Reflexionen: dabei geht es einmal um ihren objektivierenden, verhüllenden Charakter (72/104), zum anderen um das Verhältnis von minimalem Wortschatz und maximaler Informationsdichte sowie „Endgültigkeit“, aber auch um so formale Aspekte wie die Umkehrung des Verhältnisses von Buchstabe und Wort im Buchstabieralphabet: während sich normalerweise ein Wort aus Buchstaben zusammensetzt, setzt sich dieses Alphabet aus Wörtern zusammen (82/118f). Wir können nicht näher darauf eingehen, da hier keine besonderen Übersetzungsprobleme auftreten. 3.3. Sprachtypologische Kontraste Als nächsten Aspekt möchte ich Probleme beleuchten, die durch sprachtypologische Unterschiede verursacht werden. Durchaus lösbar ist z.B. der durch das italienische Der verneinte Imperativ der 2. Person Singular muss im Italienischen obligatorisch mit Infinitiv gebildet werden. Stilistisch auffällig ist also genau genommen nur „credere“, nicht „non alzare“. In nachfolgenden Übersetzungsvorschlag habe ich den Effekt dennoch durch zweimaligen Infinitiv verstärkt. 33 Im Italienischen signalisiert das “imperfetto” („diceva“) (im Gegensatz zum “passato remoto”) durativen oder iterativen Aspekt. Dadurch wird im Italienischen klar, dass Bruno nicht in der Erzählzeit (im Flugzeug) anwesend ist. Im Deutschen muss dies mit lexikalischen Mitteln ausgedrückt werden. 32 33 Imperfetto34 ausgedrückte iterative Verbalaspekt: er lässt sich mit lexikalischen Mitteln wiedergeben. In folgendem Fall müsste z.B. nach meinem Dafürhalten wenn statt als stehen: [77/112] I: …, quando la materia nebulosa si faceva piú scura riverberava i flash intermittenti degli strobe anticollisione sul bordo delle ali, … D: …, als (besser: [immer] wenn] die neblige Masse dunkler wurde, blitzten die strobe lights an den Kanten der Tragflächen auf, … Ein wichtiges sprachtypologisches Problem in der Erzählung Bis zum Taupunkt ist die Kombination von Erzählperspektive35 und Vergangenheitstempus, denn das deutsche Erzähltempus schlechthin – das Präteritum – ist in der zweiten Person Singular (ebenso Plural) bei vielen, wenn nicht den meisten Verben stilistisch auffällig. Formen wie du strampeltest, betetest, ließest (alle: Abheben, 111) wirken holprig, weil Erzählungen eben normalerweise nicht in der zweiten Person abgefasst sind, sondern in der ersten oder dritten. Sätze mit du als Subjekt gehören meist der dialogischen Sprache an und bedienen sich – abgesehen von Hilfs- und Modalverben (sowie einzelnen hochfrequenten weiteren Verben) – des Perfekts als Vergangenheitstempus. Andererseits kann man nicht einfach generell das Perfekt benutzen, weil die Unmittelbarkeit der Erzählung verlorenginge; Sprechzeit und Betrachtzeit – um es mit den Begriffen Helbigs zu sagen – würden auseinander fallen und eine künstliche Distanz zum Erzählten schaffen. Das Problem ist sprachtypologischer Art, denn im Italienischen stellt sich die Situation anders dar: das Imperfetto wird bei durativer oder iterativer Aktionsart auch in gesprochener Sprache und somit in der Du-Form verwendet. Zusätzlich steht das Passato remoto zur Verfügung, das – wenigstens in Mittelund Süditalien - ebenfalls dem mündlichen Register angehört. Zwar ist eine Du-Erzählung auch auf Italienisch ein narratives Experiment, das ein paar Tempus-Probleme aufwirft, aber diese Probleme wiegen weniger schwer als im Deutschen. Von daher ist es verständlich, dass die Übersetzerin bei besonders seltsam wirkenden Präteritum-Formen zuweilen auf das Perfekt ausweicht: [68/99] I: ... ti rinchiudevi nel cilindro di salvezza … D: … hast du dich in einen sicheren Zylinder eingeschlossen (statt: schlossest du dich … ein) Vgl. die vorige Anmerkung Apropos Erzählperspektive: Mir nicht verständlich ist, warum die Übersetzerin in einem Fall vom du des AS-Textes zum ich übergeht. Handelt es sich um ein Versehen, oder liegen dem bestimmte Überlegungen zugrunde? [76/110] I: Così l’avevi letta nel Croce. D: So hatte ich es bei Benedetto Croce gelesen. 34 35 34 [80/115] I: ... le indicazioni dell’Ente coincidevano ... con quelle che tu stesso ricavavi dagli strumenti … D: … die Angaben der Flugsicherung stimmten mit den Werten überein, die du von den Instrumenten abgelesen hast (statt: ablasest) Im letzten Fall hätte ich ein „ablesen konntest“ (oder „abgelesen hattest“) vorgezogen, aber das ändert nichts am grundsätzlichen Problem: der Nachvollzug der Erzählperspektive des AS-Textes führt zu stilistischen Auffälligkeiten im ZS-Text. Übrigens wäre auch ein Übergang zum „epischen“ Präsens keine überzeugende Lösung, denn – abgesehen von dem tiefen Eingriff in die Stilistik des Originals – würde das Präsens dann als zusätzliches Stilmittel der „Unmittelbarkeit“ verloren gehen. Der Autor setzt ein solches „szenisches Präsens“ nämlich durchaus ein, z.B. für den Moment des sich Durchringens zur Kontaktaufnahme mit der Flugsicherung (71/103). Schon im Exkurs (s.o.) haben wir angedeutet, dass Del Giudice bei den syntaktischen Stilmitteln zu langen, parataktischen Reihen von Aussagen neigt. Die einzelnen Glieder, Handlungselemente, Reflexionen, wörtlichen Redewiedergaben sind unterschiedslos und nur durch Kommata (zuweilen ein Semikolon) getrennt, wie Perlen auf einer Kette aufgereiht. Die italienische Sprache unterstützt durch ihre syntaktischen Möglichkeiten und Eigenschaften den dabei entstehenden Eindruck von Gleichmaß und additivem Fortschreiten: Zu nennen sind die einheitliche Konstruktion von Haupt- und Nebensatz (keine unterschiedliche Verbstellung wie im Deutschen), die flexiblen Verwendungsweisen des Gerundiums (andando, volando,...), das für viele semantische Interpretationen offen ist, welche im Deutschen durch je andere subjunktive Elemente expliziert werden müssen, schließlich das nachgestellte und rechtsverzweigende attributive Partizip, das in einem narrativen Text kaum durch (linksverzweigende und vorangestellte) deutsche Partizipialattribute, sondern nur durch – vergleichsweise schwerfällig wirkende – Relativsätze wiedergegeben werden kann. Sehr deutlich wird dies z.B. in folgender Passage mit vier Partizipien: [76/110] I: Cosí l’avevi letta nel Croce, filtrata attraverso tutte le varianti, da Gualtiero Mapes alla tradizione spagnola antecedente il Don Quijote fino alla versione accolta da Athanasius Kircher nel Mundus Subterraneus, e a quella versificata da Schiller. (Unterstreichung = Partizipien). 35 D: So hatte ich es bei Benedetto Croce gelesen, in dessen Erzählung alle Varianten der Geschichte eingegangen waren, von Gualterus Mapes über die spanische Tradition von Don Quijote bis hin zu der Version, die Athanasius Kircher in den Mundus Subterraneus aufgenommen, oder jener, die Schiller in Verse gefaßt hatte. (Unterstreichung = Relativpronomen) Drei Partizipialattribute wurden in Relativsätze aufgelöst, eines (antecedente) wurde nicht übersetzt, wodurch die Satzstruktur entlastet, aber auch der Inhalt verfälscht wurde (eigentlich wörtlich: von Gualterus Mapes über die dem Don Quijote voraufgehende spanische Tradition ...). Gerundien lassen sich z.T. durch und+Hauptsatz wiedergeben, so dass die parataktische Struktur erhalten wird; oft aber müssen sie in Adverbialsätze umgeformt werden, die durch explizite Subjekte und finite Verben in Endstellung den Rhythmus stören: [75/109] I: Difficile dire come tu cadessi, dove fosse il sotto e il sopra, per questo, o forse per la voce del napoletano che alla radio domandò “India Echo November, problemi?” vedendoti perdere sul radar un migliaio di piedi in tre secondi, comunque fosse, cadendo senza piú sotto né sopra ti tornò in mente Cola Pesce, … (Unterstreichung = Gerundium) D: Schwierig zu sagen, wie du fielst, wo unten und oben war, und deshalb oder vielleicht aufgrund der Stimme des Neapolitaners, der auf dem Radar sah, wie du in drei Sekunden gut tausend Fuß verlorst, und fragte “India Echo November, Probleme?”, deshalb oder aus irgendeinem anderen Grund fiel dir, während du in die Tiefe stürztest, ohne zu wissen, wo oben und unten war, Cola Pesce ein, ... Das erste Gerundium konnte dank der inhaltlichen Umstellung (AS-Text: er fragte dich, ‚weil’ er dich fallen sah; ZS-Text: er sah dich fallen und fragte dich) durch Koordinierung mit und übersetzt werden, das zweite wurde in einen Temporalsatz mit während verwandelt. Freilich ist die Grenze zwischen sprachsystematisch bedingten Stilphänomenen und solchen, die auf Entscheidungen des Übersetzers beruhen, nicht immer eindeutig zu ziehen. Die Übersetzung von Gerundien ist zwar unter stilistischen Gesichtspunkten – und insbesondere bei einer reihenden Textstruktur wie der von Del Giudice – prinzipiell problematisch, aber der Übersetzer hat die Wahl zwischen verschiedenen Lösungen, neben Adverbialsätzen z.B. Präpositionalphrasen. Den o.a. während-Satz könnte man z.B. auch mit beim Fallen oder auf dem Fall in die Tiefe wiedergeben. 36 3.4. Satzverlängerung Damit kommen wir zu einigen Fällen, in denen Sätze im Verhältnis zum Original ohne zwingende sprachsystematische Gründe deutlich verlängert wurden; solche Verlängerungen, die auf stilistische Entscheidungen des Übersetzers zurückgehen, entspringen vermutlich dem Bestreben, den Text für die Leser verständlicher und lesbarer zu machen. Man fragt sich in solchen Fällen, ob es nicht möglich und sinnvoll gewesen wäre, den Grad der stilistischen „Verknappung“ des AS-Textes zu erhalten. Während sich die deskriptive Übersetzungsforschung damit begnügt, Verlängerungen als Phänomen festzustellen und eventuell auf bestimmte „Normen“ zurückzuführen, wird man sie aus normativer Sicht eher kritisch beurteilen. Kloepfer (1966: 118) z.B. gesteht Verlängerungen bei Übersetzungen aus dem Lateinischen zu, fordert aber für die Übersetzung des Prosagedichts „Metropolitain“ von Rimbaud, dass ein Wort im Original höchstens durch zwei Worte im ZS-Text ersetzt werden dürfe. Nachfolgend einige Beispiele für Verlängerungen und potentielle Verkürzungen: [75/109] I: .., comunque fosse, cadendo senza piú sotto né sopra ti tornò in mente Cola Pesce, .. D: ..., deshalb oder aus irgendeinem anderen Grund fiel dir, während du in die Tiefe stürztest, ohne zu wissen, wo oben und unten war, Cola Pesce ein, ... Kurz: ..., jedenfalls fiel dir, als du ohne Oben und Unten in die Tiefe stürztest, Cola Pesce ein ... [68/99] I: Hai letto sulla carta le quote delle alture più probabili, … D: Du lasest von der Karte die Höhe der Berge ab, in deren Nähe du dich am ehesten zu befinden glaubtest, … Kurz: Du lasest von der Karte die Höhe der in Frage kommenden (W.: der wahrscheinlichsten) Berge ab, ... [83/120] I: ..; anche il suo, il messaggio dell’Ente, era reciprocamente sempre dello stesso tipo... D: …; auch der Funkspruch der Flugsicherung war gleich, denn er bezog sich auf deinen vorhergehenden: ... Kurz: ...; auch der Funkspruch der Flugsicherung war – in umgekehrter Form – stets gleich: ... Dass kürzere Versionen möglich sind, beweist noch nicht, dass sie in jedem Fall stilistisch vorzuziehen wären. Wenn aber die längere ZS-Version zusätzlich ein wenig hölzern und umständlich wirkt wie in den hier gezeigten Fällen und durch Einfügung 37 vollständiger Sätze den Textrhythmus verändert, lohnt es sich, nach Abkürzungen zu suchen. Satzverlängerungen tendieren im Übrigen dahin, Inhalte zu explizieren, die der ASText im Grunde nicht aussagt. Demgegenüber möchte ich mit Levý (1969: 118) zu bedenken geben: „Stellen der Unbestimmtheit sind jedoch genauso wesentliche Bestandteile im Aufbau eines Werkes wie die ausgesprochenen Bedeutungen“. In den ersten beiden der o.a. Beispiele implizieren die Verlängerungen z.B. eine bestimmte Perspektive: Dass es weder Oben noch Unten gibt bzw. welche Erhebungen in Frage kommen, wird durch die langen Versionen als Wahrnehmung bzw. Überlegung des Protagonisten ausgegeben, wohingegen der AS-Text diese Aspekte versachlicht oder doch zumindest offenlässt. 3.5. Probleme der Wortwahl Im abschließenden Teil dieses Kapitels sollen Probleme der Wortwahl in den Blick genommen werden. Levý (1969: 110-114) unterscheidet drei Problemkomplexe: a) Verwendung eines allgemeinen Begriffs anstelle einer konkreten Bezeichnung (aber manchmal auch umgekehrt Verstöße gegen das „semantische Understatement“ des Autors; b) Verwendung eines stilistisch neutralen Wort anstelle eines gefühlsgefärbten (oder umgekehrt); c) geringe (oder übertriebene) Ausnutzung von Synonymen zur Abwechslung im Ausdruck. Auch Kloepfer (1966: 104ff.) geht – wenngleich weniger systematisch – im übersetzungskritischen Teil seiner Dissertation immer wieder auf lexikalisch-stilistische Fragen ein, kritisiert den Ersatz konkreter durch allgemeine Wörter, was zur Verflachung des Originals führe, diskutiert den emotionalen Wert von Lexemen am Beispiel von „(it.) dolce“ mit seinen – je nach Kontext – besonderen „semantischen Obertönen“, lobt George, wo es ihm – auch in der Wortwahl – gelingt, in der Übersetzung von Dantes Purgatorio die Mitte zwischen „Stilunterbietung“ und „Stilüberbietung“ zu halten. – Weiter oben hatten wir bereits gesehen, dass bestimmte Lexemwiederholungen textuelle Funktionen haben und leitmotivisch wirken können; das Bemühen um lexikalische Variation in der Übersetzung, d.h. die Suche nach Synonymen ist dann wenig sinnvoll. Manche Lexemwiederholungen bei Del Giudice scheinen dagegen keine besondere Textfunktion zu übernehmen, sondern vom Autor einfach aufgrund bestimmter Konnotationen (und Klangeigenschaften?) generell bevorzugt zu werden. Sehr häufig sind z.B. das Adjektiv opaco (undurchsichtig, matt, stumpf, ...) und das Bewegungsverb scivolare (gleiten, rutschen,...). Der emotionale Wert von scivolare, seine „semantischen Obertöne“ liegen nach 38 meinem Empfinden in der Mühe-, Laut- und Bewußtlosigkeit der Bewegung, welche ihr zugleich etwas Unwirkliches und Träumerisches verleiht. In der Übersetzung stellt sich die doppelte Frage, a) ob sich die Konnotation im jeweiligen Kontext erhalten lässt, b) ob dies von ein- und demselbem ZS-Lexem geleistet werden kann. Zunächst einige Beispiele: [15/21] Beispiel 1 I: Non ero mai rimasto fino a cosí tardi, la notte d’agosto scivolava in un caldo umido verso il suo cuore piú profondo. D: Ich war noch nie so lange geblieben, die schwüle Augustnacht trieb auf ihren Höhepunkt zu. [19f/27f] Beispiel 2 I: Avevamo sbattuto contro una nube, avevamo preso in pieno una nube che pochi secondi dopo, intatta e sgravata di qualche quintale di ghiaccio, proseguiva pacifica verso est, e il mattino dopo, quando ci trovarono in un bosco, scivolava inconsapevole sullo Ionio e sui Balcani. D: Wir waren gegen eine Wolke gekracht, wir waren voll in eine Wolke gerast, die ein paar Sekunden später, unversehrt und von einigen Tonnen Eis befreit, friedlich ihren Weg Richtung Osten fortsetzte und die am Morgen darauf, als man uns in einem Wald fand, ahnungslos über das Ionische Meer oder den Balkan zog. [21/30] Beispiel 3 I: Lungo il canale delle bocche di porto scivolava una nave passeggeri, lenta e silenziosa nella notte, … D: Ein Passagierschiff fuhr über den Hafenkanal, langsam und still in der Nacht, … [67/97] Beispiel 4 I: Ti perdesti una mattina in volo come ci si perde nella vita, senza rendersi conto che ci si smarrisce, scivolando a poco a poco nel non trovarsi piú; … D: Eines Morgens verlorst du beim Fliegen die Orientierung, so wie man im Leben manchmal die Orientierung verliert, ohne zu bemerken, daß man sich verirrt hat, während man allmählich nicht mehr zu sich findet; … (W: ... nach und nach in das Sich-nicht-mehr-zurechtfinden hineingleitend.) [70/102] Beispiel 5 I: Ma questa volta eri scivolato in nube senza sapere da dove, né immaginavi dove finisse quel cielo. D: Aber diesmal warst du in eine Wolke geraten, ohne zu wissen, von welcher Seite, und du konntest dir auch nicht vorstellen, wo dieser Himmel sein Ende nahm. [74/108] Beispiel 6 I: ..., i tuoi liquidi densi corporali scivolano molto piú lentamente di come scivola adesso il tuo aereo in virata, … 39 D: …, deine dickflüssigen Körperflüssigkeiten bewegen sich viel langsamer als dein Flugzeug jetzt in der Kurve, ... (W: ..., deine dicklichen Körperflüssigkeiten gleiten viel langsamer als jetzt dein Flugzeug durch die Kurve gleitet) Eine durchgehende Übersetzung von scivolare mit gleiten würde in einigen der hier zitierten Fällen – Beispiel 1, 5, 6 – wohl arg bemüht wirken, andererseits fällt auf, dass die Übersetzerin diese Entsprechung nicht ein einziges Mal wählt. Bei Beispiel 2 und 3 wäre ein (dahin)gleiten durchaus möglich und angemessen gewesen. Die erwähnten Konnotationen von scivolare/ gleiten werden nämlich in diesen Fällen besonders stark aktiviert. Man gewinnt den Eindruck, dass Del Giudices Vorliebe für scivolare auf eine Abneigung der Übersetzerin gegenüber dem Verb gleiten gestoßen ist. Vielleicht empfindet Fleischanderl scivolare als billigen Versuch, Bewegungsverben stilistisch zu überhöhen und wollte durch ihre „Unterschlagung“ den Text akzeptabler machen? Wir können nur spekulieren, aber es ist nicht auszuschließen, dass die Übersetzerin wirkliche oder vermeintliche Reaktionen (bzw. Normen des literarischen Geschmacks) des deutschsprachigen Lesepublikums in ihrer Übersetzung berücksichtigt hat. Noch zwei Beispiele für die Veränderung des emotionalen Wertes bzw. der Konnotation im Bereich der Wortwahl: Das erste zeigt Stilüberhöhung und Stilunterbietung im selben Satz, denn ein schlichtes cielo (Himmel) verwandelt sich in ein preziöses Firmament, und ein cilindro di salvezza (Zylinder der Rettung) wird im Deutschen zu einem deutlich banaleren sicheren Zylinder: [68/99] I: …, in pieno cielo opaco, in uno spazio infinito, ti rinchiudevi nel cilindro di salvezza costruito dal tuo volare in cerchio, … D: …, inmitten eines undurchdringlichen Firmaments, eines endlosen Raums, hast du dich in einen sicheren Zylinder eingeschlossen, der dadurch entstand, daß du im Kreis flogst, ... In den zweiten Fall spielen möglicherweise kulturspezifische Wahrnehmungen hinein; aus deutsch(sprachig)er Perspektive mag warmes Wetter spontan positiv assoziiert sein, wer aber einmal den Sommer in der Poebene verbracht hat, weiß wie lästig schwüle Wärme sein kann: 40 [67/97] I: …, infine la foschia da caldo che vaporava sulla Padania si cristallizzò in una opacità densa e piú consistente, … D: …, schließlich verdichtete sich der Schönwetterdunst über der Poebene zu einer kompakteren, festeren und undurchdringlichen Masse, … (W: ... der Wärmedunst, der über der Poebene dampfte, ...) Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass das Verb vaporava/dampfte unterschlagen wurde, denn es hätte nicht nur die Syntax schwerfälliger gemacht, sondern in gewisser Weise auch der positiven Konnotation von Schönwetterdunst widersprochen. Um den Relativsatz der wörtlichen Übersetzung zu vermeiden, könnte man auch eine inhaltliche Verschiebung vornehmen: der Wärmedunst über der dampfenden Poebene. 4. Inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung In diesem abschließenden Kapitel sollen kurz zwei Problemkreise der literarischen Übersetzung angesprochen werden, die über stilistische Fragen hinausgehen. Einmal sind dies logisierende Eingriffe in den Textinhalt dort, wo der/die Übersetzer/in sachliche Widersprüche oder Ungereimtheiten entdeckt und durch inhaltliche Eingriffe den Text lesbarer macht. Zum anderen sind damit Veränderungen am Text gemeint, die auf das unterschiedliche Weltwissen der ZS-Leser reagieren, aber auch Fehler und Interpretationen des Übersetzers, die auf seinen eigenen soziokulturellen Standpunkt zurückgeführt werden können. 4. 1. Logisierung von Textinhalten Ein literarischer Text kann in sachlichem Widerspruch zur Außenwelt stehen oder selbst (wirkliche oder vermeintliche) inhaltliche Widersprüche oder Unklarheiten enthalten. Ein Beispiel für den ersten Fall liefert Koller (1997: 279): In Kafkas „Amerika“ hält die Freiheitsstatue ein Schwert in der Hand; in Wirklichkeit ist es eine Fackel. Im Gegensatz zu einem Sachtext wird sich der Übersetzer – wie Koller zutreffend anmerkt – nicht ohne weiteres verpflichtet fühlen, hier korrigierend einzugreifen. Etwas anders liegt der Fall, wenn die Widersprüche textimmanent sind. Levý (1969: 117) schildert einen Fall mit einem – auf den ersten Blick – unmotiviert auftretenden unpersönlichen Subjekt, dem 41 Handlungen zugeschrieben werden, die der Protagonist eigentlich selbst ausführt. Fast alle Übersetzer haben diese Textstelle (aus den „Englischen Briefen“ von Karel Čapek) logisiert. Ein Beispiel aus der deutschen Übersetzung von Bis zum Taupunkt ist folgendes: [68f/99] I: La nebbia è arredamento, la nebbia si appoggia: sui campi, e nello spazio tra terra e cielo, sterile, buona per delitti. E inconsapevoli, ad essa indifferenti. Ma sono delitti quelli che commette. D: …, der Nebel ist ein Mobiliar, er macht sich breit auf den Feldern, im Raum zwischen Himmel und Erde, er ist steril und begünstigt Verbrechen. Ahnungslos und ihnen gegenüber gleichgültig. Dennoch begeht er Verbrechen. (Wörtlich: Und ahnungslose, ihm [=dem Nebel] gegenüber gleichgültige [Verbrechen]) Die Sache ist einigermaßen vertrackt: Zunächst einmal wird durch die Konjunktion e (und) suggeriert, den voraufgehenden adjektivalen Prädikationen (sterile, buona per...) solle eine weitere hinzugefügt werden; inconsapevoli (ahnungslos[e]) kongruiert aber mit delitti/Verbrechen, nicht mit nebbia/Nebel. Aber was soll es bedeuten, dass die Verbrechen ahnungslos sind? Hat es nicht viel mehr Sinn zu sagen, der Nebel sei ahnungslos, weil er „Verbrechen“ begeht bzw. deckt, ohne zu wissen, was er tut? Verwirrend ist zusätzlich, daß indifferente ebenso wie das deutsche gleichgültig sowohl subjekt- wie objektbezogen sein kann (Person X reagiert gleichgültig auf Objekt O; Objekt O ist der Person X gleichgültig). Als Übersetzer fragt man sich, was der Autor wohl gemeint haben mag, oder ob ihm ein banaler Fehler unterlaufen ist. Da ist der Schritt zum logisierenden Eingriff nicht weit. Ohne diesen Fall abschließend aufklären zu können, möchte ich dennoch eine näher am AS-Text verbleibende Übersetzung anbieten: Ahnungslose Verbrechen, denen der Nebel gleichgültig war. Auch im nächsten Fall ist die Entscheidung der Übersetzerin zunächst durchaus nachvollziehbar: [83/119f] I: …; parole con conseguenze, poiché da esse dipendevano alcune questioni fondamentali per la vita, e con un certo quoziente di onestà intellettuale, perché se provavi a mentire l’Ente usciva subito dal linguaggio procedurale, e colloquialmente chiedeva: “Ne siete certi?” D: …; folgenreiche Worte, denn von ihnen hingen einige lebenswichtige Fragen ab, die einen gewissen Quotienten intellektueller Ehrlichkeit erforderten, denn versuchtest du zu lügen, würde sie [=die Flugsicherung] sofort die formelle Sprache ablegen und dich im Umgangston fragen: „Seid ihr sicher?“ 42 (W: Worte mit Folgen, da von ihnen ein paar lebenswichtige Fragen abhingen, und mit einem gewissen Quotienten intellektueller Redlichkeit) Eines steht fest: die von der Flugsicherung ausgesprochenen Worte ließen keine Lügen oder Halbwahrheiten als Antwort zu. Aber der AS-Text schreibt die „intellektuelle Ehrlichkeit“ (besser wohl: Redlichkeit) den Worten der Flugsicherung zu; das „erfordern“ des ZS-Textes ist ein logisierender Eingriff, der aber im gegebenen Kontext verständlich ist. Der Sinn ist wohl folgender: die Fragen der Flugsicherung sind so offen und direkt, von so großer intellektueller Klarheit, dass sie keine ausweichenden Antworten zulassen. Vielleicht hätte man dies (mit einer anderen Form von Logisierung?) so ausdrücken können: Worte mit Folgen - von ihnen hingen ein paar lebenswichtige Fragen ab - und mit einem gewissen Grad intellektueller Unbestechlichkeit, ... Einen ziemlich auffälligen Eingriff der Übersetzerin finden wir kurz nach der Stelle, wo vom Strömungsabriss und dem anschließenden freien Fall des Flugzeugs berichtet wird. Das Ende dieser kritischen Phase beschreibt die folgende Passage: [77/111] I: …, e quando il volantino avvertì una sua presa, incredulo richiamasti con più decisione restituendo potenza, finché gli strumenti indicarono un assetto barcollante, una velocità quasi normale. D: …, und als der Steuerknüppel wieder Widerstand bot (W: spürte), zogst du, ohne es recht wahrzunehmen (W: ungläubig), entschiedener daran und setztest wieder Leistung, bis die Instrumente eine stabile (W: schwankende, torkelnde) Fluglage anzeigten und eine fast normale Geschwindigkeit. Zunächst einmal kann die Wiedergabe der „Wahrnehmung“ des Steuerknüppels (avvertì = spürte, fühlte) mit dem Verb bieten als Neutralisierung und Versachlichung einer Metapher eingestuft werden. Interessant ist in unserem Zusammenhang aber vor allem das Logisieren der schwankenden Fluglage. Nach dem Empfinden der Übersetzerin stand „torkelnd“ oder „schwankend“ wohl in zu starkem Widerspruch zur Beendigung der kritischen Phase; die Leser könnten sich – so scheint es – fragen: ist es nun überstanden oder nicht? Ein derartiger Eingriff ist zwar in seiner Intention verständlich, aber in normativer Hinsicht kaum akzeptabel. 43 4.2. Soziokultureller Standpunkt und inhaltliche Eingriffe Das Weltwissen des Lesers spielt im Verstehensprozess und bei der Füllung der „Leerstellen“ literarischer Texte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bekannt ist auch, dass dieses Vor- und Weltwissen nicht nur individuell, sondern auch sozio-kulturell unterschiedlich ist. Das deutsche Lesepublikum bringt sicher in vieler Hinsicht andere Wissensbestände in die Lektüre eines literarischen Textes ein als das italienische. In der Erzählung Bis zum Taupunkt fallen solche Unterschiede anscheinend wenig ins Gewicht, da die Bezüge zu einer konkreten räumlich-geographischen und zeitlich-historischen Situation spärlich sind bzw. die Rezeption wenig kaum beeinflussen. Zwar kann sich der (nordost)italienische Leser bei „Monte Venda“, „Monti Lessini“ und „Chioggia“ etwas vorstellen, er gewinnt im Unterschied zum durchschnittlichen deutschen Leser einen räumlichen Bezugsrahmen, aber auf die Rezeption des Textes – einschließlich seiner metaphorischen Bedeutungsebene – dürfte sich dies kaum auswirken. Nur an einer Stelle – so scheint mir – reagiert die Übersetzerin mit einem minimalen Eingriff auf das unterschiedliche Weltwissen deutscher Leser: Croce wird im ZS-Text als Benedetto Croce wiedergegeben, auch wenn diese „Zusatzinformation“ das Informationsgefälle zwischen deutschen und italienischen Lesern kaum ausgleichen dürfte. Anzumerken ist, dass Karin Fleischanderl auf kommentierende Übersetzungsverfahren (vgl. zum Problemkomplex Koller 1997: 267ff) gänzlich verzichtet, also an keiner Stelle, z.B. in Fußnoten, Hintergrundinformationen gibt. Im dem Kapitel Unreported inbound Palermo schlagen kulturell unterschiedliche Wissenbestände beim Leser sicherlich viel stärker zu Buche. Jeder erwachsene Italiener ist in den letzten 20 Jahren mit Fernsehbildern und Presseberichten zum Fall „Ustica“ überflutet worden. Als minimaler Wissensbestand des Durchschnittsitalieners darf gelten: der Absturz ist bis heute nicht ganz aufgeklärt; Militärs oder Geheimdienste haben Informationen vertuscht und vernichtet und kennen vermutlich die genaue Absturzursache; das Flugzeug wurde wahrscheinlich von einer Rakete getroffen (oder von einer Bombe zerstört); neben den Gerichten versucht der Verein der Hinterbliebenen seit Jahren, Licht ins Dunkel zu bringen. Wer über diese und ähnliche Vorinformationen nicht verfügt, wird den Text voraussichtlich anders wahrnehmen als die italienischen Leser. Genau dies scheint in einigen Fällen auch auf die Übersetzerin selbst zuzutreffen, denn 44 durch bestimmte Entscheidungen hat sie den Bezug auf die genannten Wissensbestände geradezu verstellt. I: Sarebbe la storia dell’aereo, perché l’aereo conosce la sua storia, quanti la conoscono al mondo?, … D: Wenn es die Geschichte des Flugzeugs wäre – denn das Flugzeug kennt seine Geschichte, wie viele auf der Welt kennen die ihre (W: sie)? – ... In einer Anmerkung hatten wir schon darauf hingewiesen, dass die Anspielung auf Geheimdienste und Militärs, die das Wissen besitzen, es aber nicht preisgeben, durch die Übersetzung mit „die ihre“ zunicht gemacht wird. Auch das Gewitter für boato (= Donnern, Knall) im folgenden Auszug führt in die Irre: [100/143] I: …, le rivettature strappate sanno se a strapparle è stata la velocità della caduta o la depressione di un boato. D: …, und die aufgerissenen Nieten [wissen], ob sie nun aufgrund der Geschwindigkeit während des Falls oder des Unterdrucks infolge eines Gewitters aufgerissen sind. Boato bezieht sich natürlich auf die Möglichkeit, dass das Flugzeug in der Luft explodiert ist, sei es wegen einer Rakete, sei es – so eine andere Hypothese – wegen einer in der Bordtoilette befindlichen Bombe. Angemessen wäre hier z.B. Explosion oder Explosionsknall gewesen. Auch der letzte, aus Sicht der Übersetzerin wohl als logisierend wahrgenommene Eingriff in den Del Giudice-Text zeugt von interkulturell bedingten Wissenslücken: [102/146] I: Ogni tanto, nell’hangar, i parenti si riunivano attorno ai Tigi per testimoniare il loro dolore o per testimoniare le azioni intraprese per ottenere giustizia e conoscenza della verità… D: Hin und wieder versammelten sich im Hangar Angehörige um die Tigi, die ihren Schmerz bekundeten oder sich überzeugen (W: bezeugen) wollten, daß etwas unternommen wurde, damit sie Gerechtigkeit erfuhren oder die Wahrheit zutage gebracht wurde, ... Keine der lexikalisierten Bedeutungen von testimoniare entspricht dem deutschen sich von etwas überzeugen; dieser Umstand hätte eigentlich den Verdacht wecken müssen, dass die Angehörigen – entsprechend der wörtlichen Bedeutung des AS-Textsegments, wenn auch vielleicht entgegen dem, was man in deutschsprachigen Ländern erwarten mag – davon 45 berichten wollten, was sie selbst unternommen hatten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. 5. Schluss Schopenhauers Antinomie von „Verfremden“ oder „Eindeutschen“, das hat die Analyse einer konkreten Übersetzung einmal mehr gezeigt, hat zwar ihren heuristischen Wert, aber ist in ihrer Abstraktheit als Richtschnur übersetzerischer Einzelentscheidungen nur bedingt geeignet. Die „Wahrheit“ kann – aufgrund der „doppelten Gerichtetheit“ (Koller) jeder Übersetzung – nur auf der von Kloepfer beschworenen „Mittellinie“ liegen. Was das konkret bedeutet, lässt sich sicher systematischer darstellen, als Kloepfer dies 1966 getan hat, hängt im Einzelfall aber dennoch vom Ermessen des Übersetzers, von seinem Stilgefühl ab. Auch Kollers auf Autorenintention und Leserwirkung abhebende „formalästhetische Äquivalenz“ deutet mit der Verschiebung der Äquivalenzforderung vom Inhalt zur Form zwar die Richtung an, lässt aber offen, wie dieses Postulat im Einzelnen umzusetzen ist. Deutlichere Konturen gewinnen all diese Ansätze erst dort, wo konkrete Übersetzungsfälle vorgestellt, analysiert und kritisiert werden. Wenn es gelungen ist, mit der vorliegenden Arbeit hierzu einen bescheidenen Beitrag zu leisten, dann hat sie ihr Ziel erreicht. Die Analyse der Übersetzung von Del Giudices Bis zum Taupunkt hat m.E. gezeigt, wie problematisch (und zeitraubend) die Herstellung formal-ästhetischer Äquivalenz sein kann. Besonders bei den okkasionellen Metaphern und den auf sprachspezifischer Polysemie beruhenden Sprachspielen sind optimale Lösungen häufig nicht erkennbar. Das besondere Problem des hier besprochenen Textes war zudem, dass er insgesamt als Metapher gelesen werden kann und soll; der Autor weist ja selbst zu Beginn des Kapitels auf die Analogie von Leben und Fliegen hin. Dadurch kann nahezu jedes Textelement in doppelter Weise rezipiert werden; intratextuelle Bezüge ergeben sich nicht nur auf einer konkreten, wörtlichen, sondern auch auf der metaphorischen Ebene. Erschwerend kommt schließlich hinzu, dass Del Giudice die äußere Gestalt der Sprache (Beispiel „ente“) nutzt, um inhaltliche Assoziationen aufzubauen. Angesichts dieser Konstellation ist es nicht verwunderlich, wenn sich auch in der hier untersuchten Übersetzung Verflachungstendenzen beobachten ließen. Da meine Vorstellungen von Äquivalenz dabei teilweise im Widerspruch zu den von Karin Fleischanderl vorgeschlagenen Lösungen 46 standen, sei abschließend daran erinnert, dass auch meine Rezeption nur eine von vielen möglichen ist und keinen Anspruch auf alleinige Gültigkeit erhebt. Übersetzen setzt immer Verstehen voraus, und Verstehen ist kein einseitiger Vorgang, sondern entsteht in der Interaktion von Text und Leser, muss also individuell (und soziokulturell) geformt sein. Eine fruchtbare Ergänzung findet dieser Austausch freilich auf der „horizontalen“ Ebene, d.h. zwischen Leser und Leserin, Übersetzer und Übersetzerin desselben Textes. Für mich war die intensive Auseinandersetzung mit einer – in der Übersetzung konkretisierten – Interpretation jedenfalls eine wertvolle Erfahrung. 47 Bibliographie Broeck, Reymond van den (1981): The Limits of Translatability Exemplified by Metaphor Translation, in: Even-Zohar/ Toury, G. 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