Tenor Tatbestand

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Tenor Tatbestand
VG Augsburg, Urteil v. 16.02.2012 – Au 2 K 09.765
Titel:
Normenketten:
BeamtVG § 31 I
§ 117 Abs. 5 VwGO
§ 154 Abs. 1 VwGO
§ 167 VwGO
§§ 708 ff. ZPO
§ 117 Abs. 5 VwGO
§ 154 Abs. 1 VwGO
§ 167 VwGO
§§ 708 ff. ZPO
Orientierungsatz:
Dienstunfall; Fehlen einer als Dienstunfallfolge feststellungsfähigen Diagnose
Schlagworte:
Dienstunfall, Dienstunfallfolge, feststellungsfähige Diagnose, Dienstunfallfürsorge, Beamter,
Polizeiobermeister, Morbidität
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger ist als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A8) im Dienst des Beklagten tätig und begehrt die
Anerkennung der Diagnose „Morbidität durch Unfälle“ als Dienstunfallfolge.
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Am 24. Oktober 2003 war der Kläger als Beifahrer in einen Verkehrsunfall mit dem Dienstwagen verwickelt.
Er befand sich an diesem Tag auf einer Einsatzfahrt mit blauem Blinklicht und Einsatzhorn. Beim
Überqueren einer Straßenkreuzung in ... wurde der Pkw seitlich von rechts von einem Lkw gerammt. Das
Polizeifahrzeug schlitterte gegen einen Ampelmast und wurde dann eine abfallende Böschung
heruntergeschleudert. Dabei verletzte der Kläger sich u. a. am linken Knie und an der linken Hüfte. Mit
Bescheid vom 4. Februar 2004 erkannte die ehemalige Bezirksfinanzdirektion ... den Unfall als Dienstunfall
an.
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2008 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung der Diagnose „Morbidität durch Unfälle“ als
Unfallfolge. Er legte hierzu einen ärztlichen Befundbericht vom 20. Januar 2008 des Facharztes für
psychotherapeutische Medizin ... vor, in dem diese Feststellung unter Angabe der
Diagnoseschlüsselnummer V01-X5 getroffen wird.
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Mit Bescheid vom 20. Januar 2009 wurde die Anerkennung abgelehnt, da das beschriebene Krankheitsbild
nicht durch ein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Unfallereignis verursacht worden sei. Des
Weiteren wird auf die ärztliche Stellungnahme vom 14. Oktober 2008 von Dr. ..., Facharzt für Neurologie
und Psychiatrie, verwiesen, der sich im Rahmen des Verfahrens zur Anerkennung der Schwerbehinderung
des Klägers gegenüber dem Zentrum Bayern Familie und Soziales -Versorgungsamt- wie folgt äußerte:
„Der Psychotherapeut ... stellte am 13.9.2008 überhaupt keine Diagnose, ging lediglich von „Morbidität
durch Unfälle“ aus und beschreibt einen vollständig unauffälligen psychischen Befund.“
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Gegen den ablehnenden Bescheid ließ der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2009 Widerspruch
einlegen.
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Das Landesamt für Finanzen hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 - dem
Kläger zugestellt am 13. Mai 2009 - zurückgewiesen.
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Am 10. Juni 2009 erhob der Kläger Klage mit den Anträgen:
1. Der Bescheid des Landesamts für Finanzen, Dienststelle ..., vom 20. Januar 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30. April 2009 wird aufgehoben.
2. Als weitere Folge des Dienstunfalls vom 24. Oktober 2003 wird „Morbidität durch Unfälle“ anerkannt.
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Er legte ein weiteres Attest vom 18. August 2009 vor, in dem nunmehr die Diagnose „Äußere Ursachen von
Morbidität, PKW-Unfall mit LKW“ gestellt und als Diagnoseschüsselnummer V44.6 angegeben wird. Der
letzte Dienstunfall habe die Morbidität ausgelöst.
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Mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Am 16. Februar 2012 fand mündliche Verhandlung statt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 16. Februar 2012 wurde vom vorliegenden Verfahren der Verfahrensteil, der die
Anerkennung der „Hüftkontusion links“ als fortbestehende Unfallfolge betrifft, abgetrennt und unter dem
Aktenzeichen Au 2 K 12.228 fortgeführt.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie die
Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Diagnose
„Morbidität durch Unfälle“ als Unfallfolge.
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Nach § 30 BeamtVG wird Dienstunfallfürsorge gewährt, wenn ein Beamter durch einen Dienstunfall verletzt
wurde. Gemäß § 31 Abs. 1 BeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes,
plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in
Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
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Auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung sind als Ursache im Rechtssinn nur solche
für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen in naturwissenschaftlich-philosophischen
(natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach
natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BVerwG vom 18.4.2002 ZBR
2003, 140; vom 29.12.1999 Az. 2 B 100.99 <juris> RdNr. 6; vom 20.2.1998 Az. 2 B 81.97 <juris> RdNr. 2).
Beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als alleinige Ursache im Rechtssinne anzusehen, wenn
sie bei natürlicher Betrachtungsweise überragend zum Erfolg mitgewirkt hat, während jede von ihnen als
wesentliche (Mit-) Ursache im Rechtssinne anzusehen ist, wenn sie nur annähernd die gleiche Bedeutung
für den Eintritt des Erfolges hatte. Alle übrigen Bedingungen im natürlich-logischen Sinne scheiden als
Ursachen im Rechtssinne aus. Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht der Beamten kann hiernach auch
ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder/und beschleunigt, wenn diesem
Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen - zu denen auch die bei Eintritt des äußeren
Ereignisses schon vorhandene krankhafte Veranlagung bzw. das anlagebedingte Leiden in dem bei Eintritt
des Ereignisses bestehenden Stadium gehören - eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der
Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als
maßgeblich anzusehen sind. Nicht Ursachen im Rechtssinne sind demgemäß sogenannte
Gelegenheitsursachen, d. h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst
eine rein zufällige Beziehung besteht, d. h. wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte
Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer
Eigenart un-ersetzlicher Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes
Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (siehe z. B. BVerwG vom 30.6.1988 Buchholz 239.1 § 31
BeamtVG Nr. 6 = ZBR 1989, 57). Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen
Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der krankhaften Veranlagung) derart zurück, dass die bereits
gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist.
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Der im Dienstunfallrecht maßgebende Ursachenbegriff zielt auf eine dem Schutzbereich der
Dienstunfallfürsorge entsprechende sachgerechte Risikoverteilung ab. Der Dienstherr soll nur die
spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen
belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als
dienstlichen Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und
Abnutzungserscheinungen ergeben (BVerwG vom 18.4.2002 a. a. O.).
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Im Dienstunfallrecht gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze. Für das Vorliegen des Dienstunfalls und der Kausalität für
die Unfallfolgen ist grundsätzlich der volle Beweis („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) zu
erbringen. Die Beweislast trägt der Beamte. Lassen sich die den Anspruch begründenden Voraussetzungen
trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Mittel nicht klären, so geht dies zu seinen Lasten (BVerwG vom
23.5.1962 BVerwGE 14, 181; BayVGH vom 9.3.2001 Az. 3 ZB 01.76 <juris> RdNr. 4).
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Vorliegend begehrt der Kläger die Anerkennung der Diagnose „Morbidität durch Unfälle“ als Unfallfolge.
Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die Beschreibung einer Erkrankung oder Verletzung. Das Wort
„Morbidität“ bezeichnet die Häufigkeit von Erkrankungen innerhalb einer Bevölkerungsgruppe (vgl. Duden,
Deutsches Universalwörterbuch, 7. Auflage 2011) bzw. die Erkrankungsrate, d. h. die Zahl der Erkrankten
an einer bestimmten Krankheit auf z. B. 100.000 Einwohner oder die Gesamtbevölkerung (vgl. Hexal
Taschenlexikon Medizin, 2. Auflage 2000). Auch die verwendeten Diagnoseschlüssel-Bezeichnungen nach
der ICD-9 beziehen sich auf die V-Klassifikation, die keine Erkrankungen enthält, sondern nur Faktoren
benennt, die den Gesundheitszustand beeinflussen. Dem vom Kläger vorgelegten Befundbericht vom 20.
Januar 2008 bzw. dem Attest vom 18. August 2009 lässt sich somit lediglich entnehmen, dass der Kläger
irgendwie erkrankt ist und der Unfall für diese, nicht näher bezeichnete Erkrankung eine Rolle spielt.
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Zu diesem Ergebnis kommt im Übrigen auch Dr. ... in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 14. Oktober
2008, wenn er ausführt, es sei überhaupt keine Diagnose gestellt worden, sondern nur ein vollständig
unauffälliger Befund beschrieben.
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Nach § 31 Abs. 1 BeamtVG können nur Körperschäden - in Abgrenzung zu Vermögensschäden - als
Dienstunfallfolgen anerkannt werden. Die Diagnose „Morbidität durch Unfälle“ beschreibt jedoch schon
keinen Körperschaden. Im Übrigen muss der Körperschaden, dessen Anerkennung begehrt wird,
hinreichend konkret bezeichnet sein, damit überprüfbar ist, ob sich die fragliche Verletzung oder Erkrankung
auf den Dienstunfall kausal zurückführen lässt. Jedenfalls daran fehlt es, selbst wenn sich den vorgelegten
Attesten ein Körperschaden entnehmen ließe.
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Da der Kläger nicht die Anerkennung eines bestimmten Körperschadens als Dienstunfallfolge begehrt, war
die Klage abzuweisen.
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Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2009 Bezug
genommen, denen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
23
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
24
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§124, §
124a VwGO).