- Landtag Baden Württemberg

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Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 6398
15. Wahlperiode
26. 01. 2015
Antrag
der Abg. Dr. Reinhard Löffler u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft
Rechtsanspruch auf ein Bürgerkonto
in Baden-Württemberg
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. ob ihr bekannt ist, wie viele Menschen in Baden-Württemberg kein eigenes
(Giro)-Konto besitzen;
2. wie die öffentlichen Bankinstitute in Baden-Württemberg die Selbstverpflichtung auf Erteilung eines Girokontos auf Guthabenbasis umsetzen;
3. über welche Kenntnisse sie verfügt, wie andere Bundesländer einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Girokontos (Bürgerkonto bzw. Jedermannkonto) gesetzlich umgesetzt haben;
4. ob sie der Ansicht ist, dass sich die Praxis der Selbstverpflichtung bewährt hat;
5. ob ihr bekannt ist, wie vielen Bürgerinnen und Bürgern im Land trotz der
Selbstverpflichtung ein Girokonto verweigert wurde;
6. ob sie aufgrund der Richtlinie 2014/92/EU der Europäischen Union (EU) aus
dem Jahre 2014 plant, einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto als Bürgeroder Jedermannkonto gesetzlich im Sparkassengesetz zu verankern.
22. 01. 2015
Dr. Löffler, Kößler, Throm, Gurr-Hirsch, Blenke CDU
1
Eingegangen: 26. 01. 2015 / Ausgegeben: 27. 02. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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Drucksache 15 / 6398
Begründung
Das Europäische Parlament beschloss im April 2014 für alle EU-Bürger – auch
ohne festen Wohnsitz – einen gesetzlichen Anspruch auf ein Basis-Girokonto, damit allen Bürgern die vollständige Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben einer modernen Gesellschaft möglich ist. Nach Zustimmung des Ministerrats
ist die entsprechende Richtlinie (RICHTLINIE 2014/92/EU) am 28. August 2014
in Kraft getreten. Diese Regelung muss binnen 24 Monaten in den Mitgliedstaaten
in nationales Recht umgesetzt werden. Zwar haben sich die 423 Sparkassen in
Deutschland verpflichtet, jeder Privatperson in ihrem Geschäftsgebiet ein Guthabenkonto einzurichten und nach den Angaben des Deutschen Sparkassen- und
Giroverbands (DSGV) können alle Kunden mit einem Bürgerkonto bzw. Jedermannkonto (Guthabengirokonto) am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen,
ohne höhere Entgelte zahlen zu müssen, als bei einem vergleichbaren Konto mit
Überziehungsmöglichkeit, die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. In der EU haben nach Angaben der EU-Kommission 58 Millionen Menschen kein Konto.
Trotz der Selbstverpflichtung der Banken auf Einrichtung des Jedermannkontos
wird in der Praxis diesen Kunden das Konto verweigert. Dies hängt damit zusammen, dass die Geldinstitute vor der Kontoeröffnung Informationen bei der Schufa
einholen und erst anhand dieser Daten eine Entscheidung treffen. Die öffentlichrechtlichen Sparkassen sind in einigen deutschen Bundesländern durch Sparkassengesetze und -verordnungen rechtlich verpflichtet („Kontrahierungszwang“),
jedermann ein Konto auf Guthabenbasis zu eröffnen: In Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie in den ostdeutschen Bundesländern besteht durch die Sparkassengesetze und -verordnungen ein Rechtsanspruch auf ein
Girokonto auf Guthabenbasis. In Baden-Württemberg fehlt ein gesetzlicher Anspruch. Ohne gesetzlichen Anspruch müssen viele Zahlungen des täglichen Lebens (z. B. Miete, Strom) bar eingezahlt werden und sind damit mit hohen Kosten
verbunden. Auch ist es schwieriger einen Arbeitsplatz ohne Girokonto zu finden
und auf die Auszahlung von Barschecks bei Sozialleistungen werden hohe Gebühren berechnet. Ein gesetzlicher Anspruch auf ein Bürgerkonto gehört zur
Würde des Menschen in unserer Gesellschaft.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 18. Februar 2015 Nr. 99-4203.262/2 nimmt das Ministerium
für Finanzen und Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Innenministerium zu dem
Antrag wie folgt Stellung:
1. ob ihr bekannt ist, wie viele Menschen in Baden-Württemberg kein eigenes
(Giro)-Konto besitzen;
Zu 1.:
Nein. Diese Zahl wird weder statistisch erfasst noch liegen den befragten Verbänden des Kreditwesens – Bankenverband Baden-Württemberg, Sparkassenverband
Baden-Württemberg und baden-württembergischer Genossenschaftsverband – entsprechende belastbare Zahlen vor.
2. wie die öffentlichen Bankinstitute in Baden-Württemberg die Selbstverpflichtung auf Erteilung eines Girokontos auf Guthabenbasis umsetzen;
Zu 2.:
Die kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände haben auf Bundesebene bereits im
Jahr 1995 folgende, rechtlich unverbindliche Empfehlung (Selbstverpflichtung)
zum „Girokonto für jedermann“ beschlossen:
„Alle Kreditinstitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen führen, halten
für jede/n Bürgerin/Bürger in ihrem jeweiligen Geschäftsgebiet auf Wunsch ein
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Girokonto bereit. Der Kunde erhält dadurch die Möglichkeit zur Entgegennahme
von Gutschriften, zu Barein- und -auszahlungen und zur Teilnahme am Überweisungsverkehr. Überziehungen braucht das Kreditinstitut nicht zuzulassen. Jedem Institut ist es freigestellt, darüber hinausgehende Bankdienstleistungen anzubieten.
Die Bereitschaft zur Kontoführung ist grundsätzlich gegeben, unabhängig von Art
und Höhe der Einkünfte, z. B. Arbeitslosengeld, Sozialhilfe. Eintragungen bei der
Schufa, die auf schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Kunden hindeuten, sind
allein kein Grund, die Führung eines Girokontos zu verweigern.
Das Kreditinstitut ist nicht verpflichtet, ein Girokonto für den Antragsteller zu
führen, wenn dies unzumutbar ist. In diesem Fall darf die Bank auch ein bestehendes Konto kündigen. Unzumutbar ist die Eröffnung oder Fortführung einer Kontoverbindung insbesondere, wenn
• der Kunde die Leistungen des Kreditinstitutes missbraucht, insbesondere für
gesetzwidrige Transaktionen, z. B. Betrug, Geldwäsche o. ä.
• der Kunde Falschangaben macht, die für das Vertragsverhältnis wesentlich sind
• der Kunde Mitarbeiter oder Kunden grob belästigt oder gefährdet
• die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht gegeben ist, weil z. B. das Konto durch Handlungen vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Jahr lang umsatzlos geführt wird
• nicht sichergestellt ist, dass das Institut die für die Kontoführung und -nutzung
vereinbarten üblichen Entgelte erhält
• der Kunde auch im Übrigen die Vereinbarungen nicht einhält.“
Über diese Empfehlung der Deutschen Kreditwirtschaft hinaus haben alle öffentlich-rechtlichen Sparkassen im Jahr 2013 eine Selbstverpflichtung für die Einrichtung eines „Bürgerkontos“ abgegeben. Der Sparkassenverband Baden-Württemberg betont in seiner Stellungnahme, dass seine Mitgliedsinstitute diese Selbstverpflichtung sehr ernst nähmen. In der Antwort heißt es wörtlich: „Die Sparkassen
halten sich an ihr Versprechen zum sog. Bürgerkonto (Konto für jedermann).
Eine schlechte Bonität des Kunden (schlechte Schufa-Auskunft) ist bei den Sparkassen kein Grund, die Eröffnung des Bürgerkontos abzulehnen.“
3. über welche Kenntnisse sie verfügt, wie andere Bundesländer einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Girokontos (Bürgerkonto bzw. Jedermannkonto) gesetzlich umgesetzt haben;
Zu 3.:
Ausweislich einer aktuellen Umfrage sehen derzeit folgende Länder in ihren
Sparkassengesetzen einen grundsätzlich geltenden gesetzlichen Anspruch auf ein
Girokonto auf Guthabenbasis vor: Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
4. ob sie der Ansicht ist, dass sich die Praxis der Selbstverpflichtung bewährt hat;
Zu 4.:
Zur Vorbereitung der Richtlinie 2014/92 EU über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen (Zahlungskontenrichtlinie) hat sich
die Europäische Kommission bemüht, den Grad der Versorgung der Bevölkerung
mit Basiskonten und die Gründe für die Nichtnutzung eines Basiskontos zu ermitteln. Hiernach verfügen über 99 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland über
ein Bankkonto. Die Angabe basiert auf einer Hochrechnung der Europäischen
Kommission vom März 2010. Danach haben in Deutschland 0,6 % der Befragten
angegeben, kein Konto zu haben.
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Erhebungen über die Ursachen dafür, dass das verbleibende eine Prozent der Bevölkerung nicht über ein Konto verfügt, stehen nicht zur Verfügung. Deshalb lässt
sich nicht sagen, ob die betroffenen Personen aus Kostengründen (Kontoführungsgebühr) oder aus persönlichen Gründen (z. B. drohende Kontopfändung) auf
ein Konto verzichten, ob ihnen ein Konto aufgrund eines der in der Empfehlung
genannten Ausnahmetatbestände (z. B. Nichteinhaltung von Vereinbarungen, mangelnde Fähigkeit zur Zahlung der Gebühren oder Belästigung von Mitarbeitern)
oder ohne einen berechtigten Grund verweigert wurde.
Die Stellungnahmen der befragten Verbände legen im Übrigen nahe, dass wegen
der Selbstverpflichtung auch Personen, die als Kunden für Kreditinstitute unter
ökonomischen Gesichtspunkten wenig attraktiv sind, Basiskonten zur Verfügung
gestellt werden. Der Sparkassenverband hat mitgeteilt, dass sich die Sparkassen
an ihr Versprechen zum Konto für jedermann halten. Auf die Antwort zu Frage 2
wird verwiesen. Der Bankenverband Baden-Württemberg hat darauf hingewiesen,
dass die Zahl der Beschwerden beim Ombudsmann der privaten Banken in Sachen Girokonto für jedermann kontinuierlich gesunken seien. Im Jahr 2014 habe
es bundesweit lediglich 123 Beschwerden gegeben. Auch der baden-württembergische Genossenschaftsverband hat sich zu der Selbstverpflichtung bekannt. Seine Mitgliedsinstitute nähmen ihre Verpflichtung sehr ernst.
Die Selbstverpflichtung hat sich im Grundsatz bewährt, weil sie die Versorgung
der Bevölkerung mit Girokonten verbessert hat. Die Landesregierung sieht in der
Selbstverpflichtung aber keine Alternative zu einem Rechtsanspruch auf ein Basiskonto, das die grundlegenden Funktionen eines Girokontos erfüllt und den Inhabern die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglicht. In Deutschland gibt es derzeit keinen Rechtsanspruch auf ein Basiskonto. Nach der gegenwärtigen Rechtslage können alle Banken mit Ausnahme der Sparkassen in den in
der Antwort zu Frage 3 genannten Ländern privatautonom entscheiden, ob sie für
eine bestimmte Person ein Konto eröffnen möchten oder nicht. Baden-Württemberg hat sich mit dieser Rechtslage nicht zufrieden gegeben und bereits im Dezember 2011 einen Bundesratsantrag der Länder Hamburg und Brandenburg unterstützt, dessen Ziel es war, einen Anspruch auf ein Basiskonto einzuführen.
Gleiches galt für einen Gesetzentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen zur Einführung eines Anspruchs auf ein Girokonto auf Guthabenbasis. Er wurde vom
Bundesrat beschlossen und als Gesetzentwurf des Bundesrates in den Deutschen
Bundestag eingebracht (BR-Drs. 320/13 Beschluss).
5. ob ihr bekannt ist, wie vielen Bürgerinnen und Bürgern im Land trotz der
Selbstverpflichtung ein Girokonto verweigert wurde;
Zu 5.:
Nein. Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen.
6. ob sie aufgrund der Richtlinie 2014/92/EU der Europäischen Union (EU) aus
dem Jahre 2014 plant, einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto als Bürgeroder Jedermannkonto gesetzlich im Sparkassengesetz zu verankern.
Zu 6.:
Nach Auskunft des Sparkassenverbandes verhalten sich die Sparkassen in BadenWürttemberg in Bezug auf ihre Bereitschaft, Bürgerkonten nach Maßgabe ihres
öffentlichen Versprechens einzurichten, genau gleich wie Sparkassen in solchen
Bundesländern, deren Sparkassengesetze einen Kontrahierungszwang vorsehen.
Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der „Versorgungsgrad“ in Baden-Württemberg schlechter sein könnte als in Bundesländern mit Kontrahierungszwang.
Außerdem gewährt die Zahlungskontenrichtlinie in Artikel 16 Abs. 1 allen Verbrauchern das Recht auf den Zugang zu einem Basiskonto. Es handelt sich um ein
subjektives Recht, das Verbrauchern einen einklagbaren Anspruch auf Eröffnung
eines Basiskontos gewährt. Dazu zählen ausdrücklich auch Verbraucher ohne
festen Wohnsitz. Die Richtlinie muss bis zum 18. September 2016 in deutsches
Recht umgesetzt sein.
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Drucksache 15 / 6398
Das federführende Bundesministerium der Finanzen bereitet einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie vor. Derzeit finden Abstimmungsgespräche zwischen den beteiligten Bundesressorts statt. Das Bundesministerium der Finanzen rechnet damit, dass der Referentenentwurf im Mai, spätestens jedoch bis zur Sommerpause 2015 an die Länder versandt werden kann.
Im Frühherbst 2015 soll der Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht
werden. Sollte das Gesetzgebungsverfahren ohne Verzögerungen verlaufen,
könnte das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten.
Ein Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung eines Rechtsanspruchs auf ein Basiskonto im Sparkassengesetz des Landes würde nicht wesentlich früher abgeschlossen werden können. Deshalb ist eine Änderung des Sparkassengesetzes nicht beabsichtigt.
In Vertretung
Hofelich
Staatssekretär
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