Der «King of the Road»

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Der «King of the Road»
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S P E C I A L | SCANIA – DER «DER KING OF THE ROAD»
50 Jahre Scania in der Schweiz
Jahre
Der «King of the Road»
1956 – also vor genau 50 Jahren – kam mit dem Einzug der ersten Scanias aus Schweden Bewegung in den
damals von Berna, FBW und Saurer dominierten Schweizer Lastwagenmarkt. Während sich Scania in den
vergangenen 50 Jahren vom Nischenanbieter zu einer der führenden Marken mit einem
Komplettprogramm an schweren Lastwagen, Linien- und Reisebussen entwickelte, verschwanden die in
den 1950er Jahren noch starken helvetischen Marken vollständig. Dank der sprichwörtlichen Qualität des
«King of the Road» werden klassische Scanias von ihren Besitzern zunehmend als «Oldtimer» gepflegt.
Text: Beat Winterflood
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Transport eines erfrorenen Nussbaums im Winter
56/57: Scania-Vabis L51 mit Wirz-Kipper.
Foto: Archiv Küng
Im Dorf Mühlehorn beim Restaurant Mühle:
Bau der Walenseestrasse 1958/59.
Foto: Archiv Küng
Georg Küng 1958 mit Scania-Vabis L71.
Das Fahrzeug war mit Trilex-Rädern ausgerüstet.
Foto: Archiv Küng
Die Pioniere von Scania und Vabis
für die Schweiz. Noch im gleichen Jahr
absolvierte Stump nach dem Motto
«die Kunden wollen die Autos sehen»
die Lastwagenprüfung und orderte 10
baugleiche Scania-Vabis L51 mit dem 4Zylinder-Dieselmotor D442. Anfang
1956 erreichte das erste Fahrzeug per
Bahnwaggon die Werkhallen des Importeurs. Nach dem Aufbau der Brücke
war der erste Scania der Schweiz mit
Chassis-Nr. 104 612 für die Präsentation
am Autosalon in Genf bereit. Damals
war auf dieser lebendigen und abwechslungsreichen Route, welche Stump mit
seinem ersten Scania auf eigener Achse
bewältigte, noch kein Autobahnteilstück
eröffnet. Gefahren wurde auf der Landstrasse Nr. 1 Zürich–Bern–Moudon, u.a.
über die historische Holzbrücke in Bremgarten. Blättern wir in der «Automobil
Revue» vom 7. März 1956, so entdeckten
wir nebst der Vorstellung des Nash Metropolitan und Inseraten von PallasReifen der R.& E. Huber in Pfäffikon
(heute Huber+Suhner) und des DKW-Importeurs Holka auf Seite 20 auch eine
kleine Annonce von Peter Stump, Sulgen.
«Die schwedischen Scania-Vabis-Lastwagen gehören zu den ältesten und
besten der Welt», steht da fettgedruckt
zu lesen. Auch erfährt man, dass Durchschnittsleistungen von 400 000 km ohne
Revision möglich sind. Während Peter
Stump am Stand mit der Nummer 257
alle Hände voll zu tun hatte, fotografierten die angereisten Japaner die schwedische Neuheit. «Besonders das offene
Getriebemodell stand im Rampenlicht»,
so Peter Stump während unseres Gesprächs. Bereits am 16. März 1956 erschien
in der «Automobil Revue» ein erster Kurztest zum Scania-Vabis L51. Unter «Auf
der Fahrt» stand u.a.: «In der Kabine fällt
sofort die beim Scania-Vabis typische
Pflege aller Details auf. Das Innere der
Kabine wird durch eine an amerikanische
Personenwagen gemahnende Klimaanlage mit Warmwasserheizung, Ventilator,
regulierbarer Umluft- und Frischluftheizung klimatisiert.» Pikant ist auch der Blick
in die Preisliste der «AR»: Während
Berna, FBW und Saurer keine Preise veröffentlichten, waren sämtliche Preise
der Importfahrzeuge detailliert abgedruckt. Der Scania-Vabis L51 mit einer
Nutzlast von 5 Tonnen als Chassis/Kabine
und einem Preis von 41 500 Franken positionierte sich attraktiv. Im Verlauf des
Jahres 1956 kam der Verkaufschef von
Scania nach Sulgen, um mit Peter Stump
über einen Ausbau des Scania-Netzes
zu diskutieren. Obwohl die Qualität und
der Preis des Scania L51 überzeugten,
erwies sich der Verkauf der ersten zehn
Fahrzeuge als schwierig. «Es fehlte ein
6-Zylinder-Motor, optionaler Allradantrieb und Differentialsperre», so Peter
Stump. «Den bei der Konkurrenz erhältlichen 6-Zylinder-Motor konnte Scania
zu jenem Zeitpunkt wegen eines Grossauftrags der schwedischen Armee nicht
in die Schweiz liefern.» Auch ein detaillierter Vergleich zwischen dem ScaniaVabis L51 (4 Zylinder) und dem Volvo L385
Viking (6 Zylinder), welcher für den Scania-Vabis sprach, nützte wenig. Die
Schweizer Kundschaft wollte bei gleichen
Leistungen trotz höheren Verbrauchs und
teureren Unterhalts einen 6-Zylinder!
So kam es, dass die Firma Stump das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit
mit Scania-Vabis verlor.
Im Jahre 1891 wurde in Schweden die
Wagenfabrik von Södertälje, besser
bekannt unter dem Kürzel V.A.B.I.S.
(Vagnfabriks Aktiebolaget i Södertelge)
gegründet. 20 Jahre später fusionierte
die auf Eisenbahn-Waggons spezialisierte Firma mit der 1896 gegründeten
Fahrrad- und Automobilfabrik Scania in
Malmö zu Scania-Vabis. Waren Scania
und Vabis anfänglich Konkurrenten, so
kamen die beiden Firmen einander 1911
näher. Es war der berühmte NordmarkBus, der die Firmen zusammenbrachte:
Scania baute in Malmö das Chassis,
während Vabis in Södertälje Motor und
Carrosserie beisteuerte. Es folgte ein
Siegeszug rund um die Welt mit Werken
in Argentinien, Brasilien, Frankreich,
den Niederlanden, Mexiko, Polen, Schweden und Russland. Mit dem 1968/69
eingeführten V8-Motor bekam die schwedische Marke erstmals den Titel «King
of the Road». 2004 versetzte Scania die
Fachwelt mit den neu eingeführten
Serien P, R und T ins Staunen: Den MotorIngenieuren ist es gelungen, die strengen
Euro-4-Abgaslimiten ohne den Zusatz
von Treibstoff-Additiven zu unterschreiten. Solche Aggregate kommen ab 2006
auch als Euro-5-Variante im Linien- und
Reisebus und ab 2008 im Lastwagen
zum Einsatz.
Ein Pionier am Werk
1955 muss es gewesen sein, als Peter
Stump aus Sulgen auf einer Geschäftsreise durch Schweden auf das «Wunderauto» aufmerksam wurde. Die Firma
Stump importierte zu jener Zeit im
grösseren Stil Landmaschinen und Traktoren. Nach Verhandlungen mit der Geschäftsleitung von Scania in Södertälje
wurde Stump zum Scania-Importeur
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Die ersten Scania
kommen zum Einsatz
Georg Küng aus Mühlehorn am Walensee war der erste Kunde von Peter
Stump; sein Scania-Vabis L51 wurde am
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Georg Küng mit Scania L76 während Belastungsproben
auf der A3 1974/75. Foto: Archiv Küng
Bau der A3 im Jahr 1979. Im Vordergrund Georg Küng mit
Scania LT111 mit Trösch-Sörling-Kipper. Foto: Archiv Küng
Steintransporte: Das Nordufer des Walensees kann nur
übers Wasser erreicht werden. Foto: Archiv Küng
Heute noch
im harten Winterdienst:
Der rechtsgelenkte
Scania LB110 aus dem
Jahr 1973 steht bei
Kilometer 516 413.
Foto: Beat Winterflood
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10. Juni 1956 verzollt und danach mit
einem Wirz-Kipper in Betrieb genommen.
Ein Einsatz, an den sich Georg Küng heute
noch erinnern kann, war der Transport
eines erforenen Nussbaums im harten
Winter 1956/57: «In mühsamer Handarbeit wurde der Strunk ausgegraben.»
Auch der Bau der Walensee-Strasse ging
sprichwörtlich hautnah an der Familie
Küng vorbei. «Wie so manche Häuser entlang der neuen Strasse, welche die alte
Route über den Kerenzerberg ab 1964
ersetzen sollte, wurde auch unser
Wohnhaus samt Garage abgerissen und
durch einen Neubau ersetzt. Einigen
Bauern im Dorf wurde im Thurgau
Ersatz geboten.»
Für die Firma Küng hatte die neue Strasse
auch einen positiven Aspekt: Pausenlos
wurde Aushub und Abbruchmaterial gefahren. Aufgrund der guten Erfahrungen
mit dem L51 kaufte Küng 1958 einen weiteren Scania-Vabis, diesmal einen L71
mit sechs Zylindern und satten 150 PS.
Das Fahrzeug mit Chassis-Nummer 125
106 war das vierte Fahrzeug und gleichzeitig der erste L71 der Schweiz, welcher
vom neuen Generalvertreter, der Firma
Joos Heintz, importiert wurde. Nach
längeren technischen Abklärungen und
auf Drängen der Schweizer Kundschaft
wurden bereits die allerersten ScaniaVabis L71 statt mit den Scheibenrädern
mit dem robusten Trilex-Radsystem von
Georg Fischer aus Schaffhausen ausgestattet. Um auch für den Holztransport
zwischen dem Bündnerland und den Sägereien gerüstet zu sein, bekam Küngs
3-Seiten-Kipper einen hydraulischen Focco-Kran zwischen Kabine und Brücke.
In den nun folgenden 50 Jahren blieb
Küng dem «King of the Road» aus
Schweden immer treu. Noch heute im
Betrieb ist, nebst Fahrzeugen der Serien
4, 3 und 2, der rechtsgelenkte LB110 aus
dem Jahr 1973. Das Fahrzeug, welches
damals 126 000 Franken kostete, steht
heute bei Kilometerstand 516 413 und
wird vor allem im Winterdienst mit dem
vom Kanton Glarus gestellten Pflug eingesetzt.
Eine neue
Importorganisation wird aktiv
Im Frühjahr 1957 kam es zu ersten Kontakten zwischen AB Scania-Vabis und
der Firma Joos Heintz in Zürich. Joos
Heintz schrieb am 25. April persönlich
an Direktor Sanzelius bei Scania-Vabis:
«Ich bin seit 20 Jahren Generalvertreter
der Hanomag-Werke für die ganze
Schweiz und verfüge über eine ausgezeichnete Verkaufsorganisation mit erstklassigen Untervertretern. Desgleichen
stehen modernst eingerichtete Werkstätten mit Diesel-Spezialisten zur
Verfügung.» Diese Offerte blieb bei
Scania-Vabis nicht ungehört, denn ein
flächendeckendes Servicestellennetz
stand seit Beginn des Imports in die
Schweiz im Jahre 1956 auf der Wunschliste. Am 4. Juli 1957 landeten Direktor
Sanzelius und Verkaufsinspektor Jonfelt
mit einer Linienmaschine der SAS von
Stockholm her kommend pünktlich um
13:15 Uhr in Zürich-Kloten, um mit Joos
Heintz das «Distributor Sales Agreement»
vorzubereiten.
Parallel zur Vertragsunterzeichnung am
1. August 1957 bestellte Joos Heintz zehn
Scania-Vabis. Während neun Fahrzeuge
per Bahn nach Schaffhausen geliefert und
verzollt werden sollten, wollte man das
erste Fahrzeug auf der Strasse überführen.
Der für Melchior Kamm in Obstalden
bestimmte L51 mit Chassis Nummer
106 862 wurde von Mechaniker und
LKW-Spezialist Willi Renz nach einer
mehrtägigen Schulung im Werk von
Södertälje via Hannover in die Schweiz
überführt. Das Fahrzeug hatte ein
Leergewicht von 3855 kg und ein gesetzlich zugelassenes Gesamtgewicht
von 9975 kg. Unter den ersten zehn
Fahrzeugen, welche zwischen dem 5.
September 1957 und 4. September 1958
verkauft wurden, befand sich interessanterweise auch ein Bus-Chassis B51
für die Firma E.H. Schelling & Co. in
Rümlang. Das Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht von 10 400 kg erhielt einen
Koffer-Spezialaufbau für den Wellpappentransport und zog einen 10-TonnenAnhänger. Der 4-Zylinder-Motor des Typs
D441 leistete 110 PS; kaum noch vorzustellen, wie man damals mit über 20 Tonnen Gesamtgewicht unterwegs war!
Ein Blick in die Bücher von Joos Heintz
als Generalvertreter zeigt, dass als Wiederverkäufer die 1937 gegründete und
von Franz Vasicek geleitete Garage
Riesbach genannt wurde. Nebst diesem
wichtigen Stützpunkt in Zürich verkaufte damals auch die Garage Louis Genet
in Lausanne erfolgreich Scania-Vabis.
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Dreigestirn: Dr. Bruno Herzer (links), Joos Heintz,
Gründer und VR-Präsident der Truck AG (Mitte),
und Franz Vasicek (rechts). Aufnahme ca. 1957.
Foto: Archiv Scania Schweiz
Werkbesuch in Schweden: Zweiter von rechts
Joos Heintz, links neben ihm Walter Anderes,
erster Verkaufsdirektor. Foto: Archiv Scania Schweiz
Schwank mit Walter Anderes (links) und Heinrich
Sigrist (rechts) anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums der
Garage Riesbach am 21. Juni 1962: Seit Anfang 1961
verkaufte man Ford GB. Foto: Archiv Scania Schweiz
So wurde in den 1960er Jahren für Scania geworben. Rolls-Royce war damit nicht einverstanden! Foto: Archiv Scania Schweiz
Einige Meilensteine
1891
1896
1902
1911
1936
1953
1954
1956
1957
1958
1966
1969
1986/88
1990
1997
2004
2005
2006
In Södertälje, Schweden, wird die Vagnfabriks Aktiebolaget i Södertelge Vabis gegründet.
Gründung von Scania in Malmö als Fabrik für Fahrräder und Automobile.
Erste Lastwagen von Vabis und Scania.
Fusion von Scania und Vabis zu AB Scania-Vabis.
Dieselmotoren gehen in Serie.
Der Metropol-Bus mit selbsttragender Carrosserie, 8-Zylinder-Reihenmotor und Automatikgetriebe geht in Serie.
Scania-Vabis konzipiert für Lastwagen und Busse das Baukasten-System.
Erster Import in die Schweiz von 10 Scania-Vabis L51 durch Peter Stump, Sulgen.
Joos Heintz, Zürich, wird am 1. August Generalvertreter.
Die Importgesellschaft heisst ab 3. Dezember Truck AG mit Sitz in Zürich.
Das 1000. Fahrzeug wird durch die Truck AG ausgeliefert.
Vorstellung V8-Motor DS14 mit 350 PS/1240 Nm.
Die Stadt Schaffhausen wird mit 10 Scania N112 zum ersten grossen Bus-Kunden in der Schweiz.
Der 10 000. Scania wird in der Schweiz ausgeliefert.
Übernahme der Truck AG durch AB Saab-Scania in Schweden.
Scania führt in Europa die neuen Baureihen P, R und T nach Euro-4-Abgasnorm ein.
Der klassische Hauber-Lastwagen wird mangels Nachfrage aus dem Verkaufsprogramm gestrichen.
Am 15. September wird Scania Truck AG zu Scania Schweiz AG. Per Ende 2005 wurden seit 1956 rund
18000 Scania importiert.
50 Jahre Scania in der Schweiz. Erste Euro-5-Reise- und Linienbusse mit EGR-Abgasrückführung.
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Mit Sattelzugmaschinen
zum Erfolg
Scania-Vabis L75 mit 1-Achs-Kippauflieger Lanz+Marti.
Foto: GF-Archiv
Die Scania-Sattelzugmaschinen waren meist mit gegossenen Sattelkupplungen aus Späroguss von Georg Fischer
in Schaffhausen ausgestattet.
Foto: GF-Archiv
Kran-Spezialtransport mit Scania-Vabis LT75S der Firma
Heggli für Bell Kriens. Foto: Archiv Scania Schweiz
Scania-Vabis LB76 mit 3,5 m Radstand für Edy Bosshart + Co,
heute FBB. Foto: Archiv Scania Schweiz
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Trotz der Verfügbarkeit des stärkeren
Scania-Vabis L71 mit zwei Achsen und
des LS71 mit drei Achsen – beide ausgestattet mit dem direkt eingespritzten
6-Zylinder-Diesel D642 und 150 PS/
580 Nm – waren die Verkäufe bis Anfang der 1960er Jahre bescheiden. 1957
wurden 3, 1958 9 und 1959 16 Fahrzeuge
an Kunden ausgeliefert. Ein Blick in die
Verkaufsstatistik der am 3. Dezember
1958 durch die drei Partner Joos Heintz,
Franz Vasicek und Dr. Bruno Herzer
gegründeten Truck AG zeigt jedoch zwischen 1960 und 1963 einen markanten
Anstieg von 32 auf 270 Fahrzeuge. Den
eigentlichen Grundstein zum Siegeszug
von Scania legte die Auslieferung Nr. 38
mit Datum 7. April 1961. Es war eine Sattelzugmaschine des Typs L75 mit einem
Radstand von 3,4 m. Das Fahrzeug war
als Kipp-Auflieger für die Firma Hauri in
Seon bestimmt. Im Gespräch mit Jörg
Vasicek, langjähriges VR-Mitglied, sowie
Heinrich Sigrist, welcher 1961 von Saurer her kommend zur Truck AG kam,
erfahren wir mehr über die heute kaum
mehr nachvollziehbaren Geschehnisse
von damals. Führen wir uns kurz vor
Augen: Anfang der 1960er Jahre musste
ein Unternehmer bei Berna, FBW und
Saurer zwei bis drei Jahre auf die Auslieferung des bestellten (und zur Hälfte
bezahlten!) Fahrzeugs warten. Dies war
aufgrund der boomenden Auftragslage
für die meisten ein nicht akzeptierbarer
Zustand.
«Während für normale Lastwagen wegen
der starken einheimischen Nutzfahrzeugindustrie für Importfahrzeuge ein Ausnahmegesuch an die Oberzolldirektion
in Bern gestellt werden musste, galten
Sattelzugmaschinen wegen ihres kurzen
Radstands als Traktoren, d.h. der Import
war nicht beschränkt», so Jörg Vasicek.
«Diese im Baugewerbe völlig neue Fahrzeugkonfiguration war die Idee meines
Vaters.» In Kooperation mit der in Sursee
ansässigen Firma Lanz+Marti wurde ein
Standardfahrzeug entwickelt, bestehend
aus einem Scania-Vabis L75 mit 165 PS
und einem einachsigen Leichtbau-Auflieger. Um die Stabilität des Aufliegers
zu erhöhen und um schwere Unfälle zu
vermeiden, konnte die Auflieger-Federung
in Horizontallage arretiert werden.
«Diese clevere Fahrzeugkombination
mit einer Nutzlast von 8,5 Tonnen bei
einem Eigengewicht von 7,5 Tonnen
erwies sich über viele Jahre als Verkaufschlager», so die Ausführungen von
Roman Brunner, welcher ab 1965 als
Prokurist in der Verkaufsabteilung arbeitete. «Trotz kurzen Lieferzeiten von 1
bis 3 Monaten wollten die Unternehmer
in vielen Fällen das von mir gezeigte
Vorführfahrzeug auf der Stelle kaufen.»
Parallel zum Scania-Vabis L75 gab es
auch den im Februar 1961 vorgestellten
L75 Super mit Abgasturbolader und
kräftigen 205 PS/760 Nm, welcher dem
16 Tonnen schweren Kipper exzellenten
Vortrieb gaben.
Nicht nur Baustellenfahrzeuge
«Auf die innovativen und robusten
Scania-Vabis mit ihren grossen Serviceintervallen wurden bald auch schon die
auf Flüssigkeiten spezialisierten Unternehmen aufmerksam», so Roman Brunner mit Stolz. «Auch Spediteure im Stückgut- und im internationalen Transport
setzten auf den King of the Road.»
Einer von Brunners Kunden waren die
Gebrüder von Ow aus Hinwil, welche in
den 1950er Jahren mit dem ersten FBW
mit Automatikgetriebe, Schlafkabine
und Kühlschrank international für Aufsehen sorgten. «Bis Anfang der 1960er
Jahre kauften wir unsere Fahrzeuge
ausschliesslich bei der im Nachbardorf
Wetzikon ansässigen FBW», erinnert
sich Fritz von Ow. «Doch allmählich kam
FBW mangels Leistung der Motoren bei
den internationalen Transporten ins
Hintertreffen.» Chauffeur Fritz Wichser,
welcher seit 1962 bei von Ow tätig war,
bekam 1964 einen neuen Scania-Vabis
LB76. Das Fahrzeug mit dem Turbo-Motor
DS 11 hatte bereits damals 240 PS, rund
65 Prozent mehr als die seinerzeit verfügbaren FBW-Motoren des Typs ED
(der aufgeladene ED-A mit 200 PS wurde erst 1966 vorgestellt) und 15 Prozent
mehr als der 210 PS starke SaurerMotor DCL, ebenfalls mit Turboladung.
Der Scania-Vabis LB 76 mit der Betriebsnummer 22 mit Chauffeur Fritz Wichser
war oft mit Franke-Spültischen und CibaChemikalien nach Belgien unterwegs.
Auf dem Rückweg wurden in Antwerpen
u.a. Autoteile, Motorenöle und MarsRiegel aus England sowie Speisefette
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Benzinlieferung mit Scania-Vabis L75 der Firma Tanner Frauenfeld. Im Bild links ein Opel Rekord Caravan Montage Suisse.
Foto: GF-Archiv
Scania – das Logo im Laufe der Zeit
1911-1954
1954-1968
1984-1995
Ladung aus England: Fritz Wichser 1964 im Hafen von Antwerpen mit Scania-Vabis LB76. Der LB76 wurde insgesamt
22 717-mal gebaut und war auch in Grossbritannien ein
Verkaufsschlager. Foto: Fritz Wichser
Die Gebrüder von Ow aus Hinwil waren spezialisiert auf
internationale Transporte. Der Scania-Vabis LBS76 hatte
eine pneumatisch hebbare Nachlaufachse.
Foto: Fritz Wichser
1995- heute
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und Kandiszucker für die Migros geladen.
«Auf der Nationale 4, der Strasse von
Brüssel nach Luxemburg durch die Ardennen, waren die unzähligen Steigungen
eine grosse Herausforderung», so Fritz
Wichser. «Um in Schwung zu kommen,
wurde auf den Gefällsstrecken der
Gang kurzerhand herausgenommen.»
Im Winter halfen sich die Schweizer, indem sie zur Erhöhung der Traktion bei
Schnee und Eis mehrere Fahrzeuge mit
Abschleppstangen koppelten.
Fahrzeugparade der Firma Setz auf der noch nicht eröffneten
A1 Zürich–Bern Im Hintergrund ein Autozug mit Neuwagen
von General Motors Biel. Foto: Archiv Hanspeter Setz
Hanspeter Setz am Steuer seines Scania-Vabis LB76 Baujahr
1963. Im Hintergrund die ehemalige, 1909 bis 1911 erbaute
Bally-Schuhfabrik in Dottikon. Foto: Beat Winterflood
Mit dem V8 zum «King of the Road»
Am 9. September 1969 versetzte Scania
an der 44. Automobilausstellung IAA
in Frankfurt die Fachwelt mit einer Weltpremiere ins Staunen:
Der V8-Motor DS14
mit 14,2 Litern
Hubraum leistete 350 PS/1240
Nm. Das Aggregat,
dessen Entwicklungsarbeit 1962 begann, entspricht dem Baukasten, zu dem
auch der Reihen-Sechszylinder
DS11 gehört. Bei Scania war man damals der Ansicht, dass Leistungen von
über 325 PS nur durch einen Acht-
zylinder zuverlässig zu bewerkstelligen
seien. Die Turboladung Fabrikat Holset
Huddersfield UK ist eine speziell für
diesen Motor entwickelte Konstruktion:
Das Schaufelrad im Kompressorteil war
so effizient konzipiert, dass beide Zylinderreihen mit verdichteter Verbrennungsluft versorgt werden konnten. Zu
den ersten Kunden in der Schweiz
gehörte die Firma Setz Gütertransporte
AG in Dintikon. Für unser Gespräch trafen wir Hanspeter Setz: «Um unseren
Chauffeuren im nationalen Stückgutverkehr optimale Bedingungen zu
bieten, rüsteten wir die Fahrzeuge
schon damals mit Automatikgetrieben
aus.» Statt des standardmässigen 10-GangGetriebes wurde
bei der Firma
Sterki in Wolfhausen ein Allison
5- und 6Stufen-Automat
eingebaut. Dieser
Umbau wurde an
hunderten von ScaniaFahrzeugen durchgeführt, bis
Scania mit der Serie 4 im Jahre 1995
die Halbautomatik Opticruise serienmässig anbot.
Peter Stump
Noch immer im Einsatz: Die vier Standardbusse Scania N112
Bj. 87/88 haben in Schaffhausen je über 1.2 Mio. Kilometer
zurückgelegt. Foto: Beat Winterflood.
&
Der erste Importeur
Kurz nach unseren Gesprächen mit Louise und Peter Stump ist am 27. Dezember 2005 der am
18. Mai 1919 geborene Scania-Pionier gestorben. Nach der Sekundarschule führte der berufliche
Werdegang von Peter Stump zur Traktorenfirma Hürlimann, wo er sich zum Kaufmann ausbilden
lies. Bereits als 18-Jähriger fuhr Peter 1937 ein Auto der Marke Austin, welchen ihm seine Eltern für
den 20 km langen Arbeitsweg von Kradolf nach Wil schenkten.
Ende der legendären Hauber: Beat Bürki vom Kieswerk Heimberg AG lenkt einen der letzten produzierten T420 mit Euro4 zur Handeck am Grimselpass. Foto: Beat Winterflood
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Aufgewachsen im Automobil-Gewerbe
(seine Eltern führten eine Garage mit AdlerVertretung) gründete Stump in Sulgen seine
eigenen Importfirma für landwirtschaftliche
Geräte und Traktoren. 1955, als erste Kontakte zu Scania-Vabis aufgebaut wurden,
machte Stump aus praktischen Überlegungen
die Lastwagenprüfung. 1956 begann er mit dem
Import der ersten Scania-Vabis in die Schweiz.
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