FES Titel WB 2005 - Friedrich-Ebert

Transcrição

FES Titel WB 2005 - Friedrich-Ebert
Willy Brandt
Ein politisches Leben 1913-1992
Werner Krause / Mario Bungert / Michael Oberstadt /
Bernd Raschke / Hartwig Schlaberg / Wolfgang Stärcke
Willy Brandt
Ein politisches Leben
1913-1992
Katalog zu einer Ausstellung
des Archivs der sozialen Demokratie
der Friedrich-Ebert-Stiftung
mit einem Vorwort von Anke Fuchs
1
ISBN 3 –89892 – 333–9
Herausgeber: Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
der Friedrich-Ebert-Stiftung
Godesberger Allee 149
D-53170 Bonn
Tel. (02 28) 88 3-0
Gestaltung der Ausstellung: Walter Kreutzberg (Alfter) und Desirée Gensrich
Gestaltung des Kataloges: Pellens Kommunikationsdesign GmbH, Bonn
Druck: Toennes Druck + Medien GmbH, Erkrath
Gedruckt auf 100 g Recystar
(100% Altpapier, matt oberflächengeleimt)
Printed in Germany 2004
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Inhalt
Vorwort von Anke Fuchs ................................................................................................................................. 5
Einleitung ........................................................................................................................................................ 6
Beschreibung der Ausstellungstafeln u.a.
Lübeck ............................................................................................................................................................. 9
Deutschland 1933 unter der NS-Herrschaft .................................................................................................. 19
Exil in Norwegen ........................................................................................................................................... 20
Der Faschismus auf dem Vormarsch ............................................................................................................ 24
SAP ................................................................................................................................................................ 26
In Berlin 1936 ............................................................................................................................................... 27
Spanien ......................................................................................................................................................... 29
„Reichsfeinde“ ............................................................................................................................................... 31
Schweden und Norwegen .............................................................................................................................. 33
„Die Kleine Internationale“ ........................................................................................................................... 35
Rückkehr nach Deutschland .......................................................................................................................... 37
Der deutsche Sozialdemokrat ........................................................................................................................ 39
Der Bundestagsabgeordnete ......................................................................................................................... 42
17. Juni 1953 ................................................................................................................................................ 45
Der Regierende Bürgermeister ...................................................................................................................... 48
Die Mauer ...................................................................................................................................................... 52
„Wandel durch Annäherung“ ........................................................................................................................ 56
Der sozialdemokratische Parteivorsitzende .................................................................................................. 58
Bundeskanzler ............................................................................................................................................... 63
Friedensnobelpreis ........................................................................................................................................ 69
Wahlsieg mit Rekordzahlen ........................................................................................................................... 73
Rücktritt ........................................................................................................................................................ 79
„…auf der Zinne der Partei“ ......................................................................................................................... 81
Sozialistische Internationale ......................................................................................................................... 85
Die Nord-Süd-Kommission ............................................................................................................................ 91
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In der Opposition .......................................................................................................................................... 93
Der Ehrenvorsitzende .................................................................................................................................. 96
Programmatik .............................................................................................................................................. 97
Friedrich-Ebert-Stiftung ............................................................................................................................... 99
Die letzten Jahre ........................................................................................................................................102
Beschreibung der Ausstellungsvideos ........................................................................................................ 109
Weitere Exponate .......................................................................................................................................125
Quellennachweise .......................................................................................................................................126
4
Vorwort
A
Am 18. Dezember 1993 wäre Willy Brandt 80 Jahre
alt geworden. Aus diesem Anlaß versucht die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dieser Ausstellung, Persönlichkeit, politisches Wirken und historische Bedeutung
Willy Brandts einer breiteren Öffentlichkeit – vor
allem auch der jüngeren Generation – nahezubringen.
In der Darstellung seines Lebensweges lassen sich
wie bei kaum einem anderen Politiker die wichtigsten
Entwicklungen in Politik und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts nachzeichnen. Er ist durch die Sozialdemokratische Partei geworden, was er war. Zugleich hat
er seinerseits das Gesicht dieser Partei in der Nachkriegszeit entscheidend geprägt.
Willy Brandt sah sich in der Tradition der alten Arbeiterbewegung August Bebels. Aber er hat darüber
hinaus in vielfältiger Hinsicht durch neue politische
Ansätze – wie ein neues Fortschrittsdenken, ökologische Grundüberzeugungen und das Wagnis von mehr
Demokratie – Politik und Programmatik seiner Partei
entscheidend weiterentwickelt und für Zukunftsfragen
geöffnet.
In seiner „neuen Ostpolitik“ hat er die Versöhnung mit
den Staaten des Ostens in Gang gesetzt. Er hat dadurch neues Vertrauen in die Friedfertigkeit der Bundesrepublik bei den Völkern in Ost und West geschaffen. Dies hat der deutschen Politik neue Bewegungsmöglichkeiten eröffnet und Veränderungsprozesse in
Gang gesetzt, die schließlich zum Umbruch im Osten
führten.
Willy Brandt war ein überzeugter Internationalist.
Als Präsident der Sozialistischen Internationale hat er
entscheidende Anstöße für die Ausweitung dieser Institution über Europa hinaus in alle Erdteile gegeben.
Der Nord-Süd-Dialog ist untrennbar mit seinem Namen verbunden.
Zugleich war er ein deutscher Patriot. Er empfand es
als Vollendung seines politischen Lebenswerks, als
Deutschland vereinigt wurde. Seine Worte „Jetzt wächst
zusammen, was zusammen gehört“ bleiben unvergessen.
Willy Brandt war Mitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er fühlte sich über eine lange Wegstrecke unserer Arbeit eng verbunden. Die Stiftung konnte ihn im
Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.
Ich hoffe, daß wir mit dieser Ausstellung viele Menschen erreichen können. Deshalb soll sie nach der Eröffnung in Bonn zunächst in Berlin und dann in weiteren Städten gezeigt werden. Die Ausstellung ist
zugleich ein Beispiel für die historische Arbeit unserer
Stiftung und des von Willy Brandt Ende 1967 begründeten Archivs der sozialen Demokratie.
Bonn, im Dezember 2004
Anke Fuchs
5
Einleitung
N
Nach dem Tod Willy Brandts (18. Dezember 1913 bis
8. Oktober 1992) erklärte die SPD: „Willy Brandt war
die letzte große Gründergestalt der zweiten deutschen
Demokratie. Verfolgt, verfemt, geächtet von einem
Regime der Unmenschlichkeit, hat er die Geschichte
seines Volkes durchlitten. Ohne Ressentiments, ohne
Bitterkeit und ohne Haß. Er hat statt dessen aus der
Erfahrung der Unmenschlichkeit, der Unfreiheit und
der Ungerechtigkeit den neuen deutschen Staat mit
demokratischer und sozialer Leidenschaft mitgestaltet. Einer, der sein Land immer geliebt hat, ohne es
über andere Vaterländer zu erheben, ein Patriot im
besten Sinne des Wortes.“ Und im weiteren: „Er war
der erste sozialdemokratische Kanzler, der seine Partei nach schmerzvollen Jahren der Opposition zur
Regierungsfähigkeit brachte. Er war über 23 Jahre
Vorsitzender der traditionsreichsten und größten deutschen Partei. Er war 16 Jahre lang Präsident der Sozialistischen Internationale, ein Repräsentant einer
freiheitlichen Sozialdemokratie, einer, der die traditionsreiche deutsche Arbeiterbewegung mit den liberalen und aufgeklärten Schichten des Bürgertums
versöhnte. Einer, der mit einem Charisma wie wohl
kein anderer in dieser Republik alte und vor allem
auch junge Menschen in seinen Bann zu ziehen vermochte, einer, der menschlich war und blieb, auch in
persönlich schweren Stunden.“
Rudolf Augstein ist der Überzeugung, daß seit Konrad
Adenauers Tod kein Deutscher seine Landsleute mit
seinem Sterben so tief bewegt habe wie Willy Brandt:
„Er war einer der ganz Großen im Land, gehörte in die
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Reihe der Wallensteins, Fridericus, Freiherr vom Stein,
Bismarck, Bebel, Schumacher, Adenauer, Wehner.“
Selbst die politischen Gegner von einst zollten Brandt
„über Parteigrenzen hinaus“ großen Respekt.
Seine Verdienste um Deutschland und den Frieden in
der Welt sichern ihm einen Platz in der Geschichte.
Diese Ausstellung soll den Internationalisten und Patrioten Willy Brandt ehren – ohne daß ständig mit dem
pädagogischen Zeigefinger auf seine politischen Leistungen hingewiesen wird. Die Ausstellung versteht
sich vielmehr schlicht als eine Bildgeschichte, die
einen anschaulichen Zugang zur Person Brandts ermöglichen soll.
Eine Ausstellung verfügt nicht über die Mittel einer
biographischen Darstellung bzw. einer wissenschaftlichen Einzeluntersuchung. Dies ist eine Binsenwahrheit, die von den meisten akzeptiert, aber deren Tragweite oft nicht bedacht wird: Eine Bildgeschichte kann
nicht mit feinen Nuancierungen erzählt werden. Sie
ist notgedrungen holzschnittartig; vieles muß weggelassen werden, was „eigentlich“ auch wesentlich ist.
Vieles läßt sich nicht bebildern. Eine Reihe von Aspekten der politischen Tätigkeit Willy Brandts mußte aus
den dargelegten Gründen unberücksichtigt bleiben.
Auch werden sich viele Mitarbeiter, Weggefährten
und Freunde Brandts in dieser Bildgeschichte vermissen – nicht, weil die Ausstellungsmacher der Ansicht waren, sie hätten keine Bedeutung für Brandt
gehabt, sondern weil dem Umfang einer Ausstellung
enge Grenzen gesetzt sind, wenn sie nicht die Besucher überfordern soll. Mit dieser Bemerkung bitten
wir die Betroffenen um Nachsicht und Verständnis.
Bei den Texten zu den Exponaten haben sich die Ausstellungsmacher bewußt zurückgenommen, um die
Besucher nicht mit ihrem eigenen Urteil, sondern –
wo immer es möglich war – mit den Worten Brandts
zu konfrontieren.
„Er war einer von uns“, hatte ein norwegischer Widerstandskämpfer auf einer Berliner Trauerkundgebung für Willy Brandt am Vorabend des Staatsakts zu
Recht gesagt. Aber auch andere „Vereinnahmungen“
sind zu beobachten: Sie bestehen darin, Widersprüche zwischen dem Patrioten und dem Internationalisten Brandt zu konstruieren oder gar einen Bruch
des langjährigen SPD-Vorsitzenden mit seiner Partei
zu suggerieren. Bei den Recherchen zu dieser Ausstellung hat sich gezeigt, daß solche Formen der Vereinnahmung geradezu grotesk sind.
Obwohl das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung auf seine reichen Bestände zur
Geschichte der Arbeiterbewegung und Willy Brandts
zurückgreifen konnte, wäre die Ausstellung ohne die
freundliche Mithilfe anderer Archive und Personen so
nicht denkbar gewesen. Ein Blick auf die Quellennachweise wird den Besucher bzw. Leser davon überzeugen. Nicht allen kann an dieser Stelle gedankt
werden. Besonderer Dank allerdings gebührt: Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv, Landesfilm- und Tonarchiv), „Berliner Stimme“ (Konrad Beck), AugustBebel-Institut, Berlin, Franz-Neumann-Archiv, Berlin
(Helga Ernst), RIAS, Berlin (Manfred Rexin), Presseund Informationsamt der Bundesregierung (Bundes-
bildstelle), Bonn, Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M. (Walter Roller), Elisabeth Armbrust, Hamburg, Deutsche Wochenschau GmbH, Filmarchiv,
Hamburg (Wilfried Wedde), Museum für Kunst und
Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, Archiv der
Hansestadt Lübeck, Gymnasium Johanneum zu Lübeck,
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo, Einhart
Lorenz, Oslo, Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek,
Stockholm, Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien.
Dank gebührt ferner allen in- und ausländischen Zeitungen, die uns Originalausgaben mit Berichten über
den Tod Willy Brandts zur Verfügung gestellt haben.
Wir danken zudem Hans Schaufler (AdsD), der an
dem Zustandekommen der beiden Bildplatten wesentlich beteiligt war, und Isabella Magee, die uns bei
der schriftlichen Übertragung von Fernseh- und Tonbandinterviews Willy Brandts und bei den Schreibarbeiten zu diesem Katalog sehr behilflich war.
Unser herzlicher Dank gilt last but not least Walter
Kreutzberg und Desirée Gensrich, die die graphische
Gestaltung der Ausstellung übernommen haben.
Werner Krause (Archiv der sozialen Demokratie)
Mario Bungert (AdsD)
Michael Oberstadt (AdsD)
Bernd Raschke (AdsD)
Hartwig Schlaberg (AdsD)
Wolfgang Stärcke (AdsD
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Die Tafeln
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TAFEL 1
Lübeck
01.– August Bebel (hier am Dessauer Bahnhof, 1903),
der große Parteiführer der deutschen Sozialdemokratie, stirbt in dem Jahr, in dem Willy Brandt
geboren wird.
In einem Artikel zum 140. Geburtstag von August Bebel (1980) schrieb Willy Brandt: „Bürgerliche und Adlige, alle, die in der Sozialdemokratie die Ausgeburt des Teufels sahen und allzuoft
deutscher Großmannssucht verfielen, hatten ihren Wilhelm über dem Familiensofa hängen. Die
anderen aber, für die im jungen Reich kein Platz
war, die derselbe Wilhelm eine Rotte von Menschen nannte, nicht wert, den Namen Deutsche
zu tragen, für sie und ihre Familien war August
Bebel das Sinnbild der Hoffnung. Der Hoffnung,
daß es einmal anders werde; daß die Not ein
Ende habe; daß Schluß sei mit wirtschaftlicher
Ausbeutung und politischer Knechtschaft.“
02.– Das Holstentor (hier eine Aufnahme aus der Zeit
vor dem I. Weltkrieg) ist ein Wahrzeichen der
Stadt Lübeck. In der Freien und Hansestadt
herrscht ein etwas liberalerer Geist als in vielen
Ländern des Deutschen Reichs, dessen Einfluß
letztlich jedoch bestimmend bleibt (Foto: Bismarck-Denkmal unweit des Lübecker Bahnhofs).
Das Lübecker Holstentor trägt die berühmte Inschrift: „Concordia domi, foris pax“ (Eintracht
im Innern, Friede nach außen). Auf diesen Spruch
bezieht sich Willy Brandt immer wieder. Die
Inschrift sei aber für das Lübeck seiner Jugend
keine Zustandsbeschreibung gewesen. Lübeck
kam ihm „ein wenig eng vor“.
03.– Historische Hansekogge im Lübecker Hafen (Foto
aus den 30er Jahren).
04.– Das Geburtshaus W. Brandts in der Meierstraße
(heutige Aufnahme, Bildmitte).
Das Haus wird im II. Weltkrieg halb zerstört. Die
Meierstraße liegt in einem typischen Arbeiterviertel Lübecks.
05.– Ausriß aus dem „Lübecker Volksboten“ vom 18.
12.1913, dem Tag der Geburt von Willy Brandt.
Foto einer Verkaufsstelle des Konsumvereins für
Lübeck und Umgegend. Brandts Mutter, Martha
Frahm, arbeitet einige Zeit in diesem Konsumverein.
Brandt am Tag der Beerdigung seiner Mutter
(8.8.1969): „Meine Mutter war eine sehr einfache,
gradlinige und pflichterfüllte Frau, mit festem
Willen und frohem Herz. Sie hat mir Anstand,
Pflichtbewußtsein und Nächstenliebe mit auf den
Weg gegeben. So taten und tun es unzählige Mütter jeden Tag. Ich ehre die vielen, wenn ich von
der einen spreche.“
06.– Auszug aus dem Taufregister der St. LorenzKirche (vgl. Foto). Willy Brandt ist als Herbert
Ernst Karl Frahm geboren und getauft worden.
Der junge Herbert Frahm wählt 1933 das Pseudonym und den politischen Kampfnamen „Willy
Brandt“, um den Verfolgungen durch die nationalsozialistischen Machthaber zu entgehen. Er
bleibt bei diesem Namen, den er ab 1949 auch
„offiziell“ führen darf. Im weiteren Verlauf der
Ausstellung wird – obwohl historisch nicht ganz
korrekt – der Einfachheit halber ausschließlich der
Name Willy Brandt verwandt. Diese Namensänderung und seine uneheliche Herkunft liefern
später politischen Gegnern bis in die 60er und
70er Jahre hinein Anlaß zu bösartigen Verleum-
9
TAFEL 1
dungen und Diffamierungen, über die die Geschichte inzwischen hinweggegangen ist.
Herbert Frahm hatte sich nach Absprache mit
seinen engsten Freunden der linkssozialistischen
Gruppe „Willy Brandt“ genannt. Brandt im November 1960: „In einer gesteuerten Flüsterpropaganda wird daran herumgeheimnist, daß ich nicht
als Willy Brandt geboren wurde und wohl etwas
zu verbergen habe. Nun, es stimmt, daß ich ‚erst‘
seit 28 Jahren Willy Brandt heiße. Ich habe daraus keinen Hehl gemacht. Ich habe meinen
Namen beibehalten, weil ich mich ausdrücklich
0
zu dem bekennen wollte, was ich getan, gesagt
und geschrieben habe, seit ich erwachsen bin.
Als Journalist und Schriftsteller habe ich mir in
allen diesen Jahren meinen Namen erworben
und ich wollte davor nicht weglaufen. Ich habe
nichts zu verbergen. Mit meinem Geburtsnamen
und dem Namen meiner damals unverheirateten
Mutter verband mich, als ich nach Deutschland
zurückkehrte, wenig mehr als die Erinnerung an
eine nicht ganz leichte Kindheit. Das mag vielen
ungewöhnlich erscheinen und ist es wohl auch.
Aber niemand hat das Recht, mir meine Ehre
streitig zu machen.“
07.– Der junge Willy Brandt mit seiner Mutter (Bildausschnitt) bei einer Veranstaltung der Lübecker Arbeiterbewegung. *Der Großvater Ludwig
Frahm, ursprünglich im Mecklenburgischen beheimatet, zieht zu Jahrhundertbeginn nach Lübeck, wo er unter anderem bei den Dräger-Werken arbeitet. Er ersetzt dem kleinen Willy den
Vater. *Mecklenburgische Landarbeiterfamilie vor
dem I. Weltkrieg.
Brandt teilt Leo Lania („Mein Weg nach Berlin“)
über Ludwig Frahm mit: „An den Großvater
schloß er sich enger an; dieser war ein einfacher,
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gewissenhafter Mann und ein guter Erzähler. Die
Mutter sah er ein- oder zweimal in der Woche; im
Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten versuchte sie, den Jungen ein bißchen zu verwöhnen.“ Und: „Sozialismus war dem Großvater mehr
als ein politisches Programm, es war ihm eine Art
Religion.“ Ludwig Frahm (geb. 1875) nimmt sich
1934, krank und verzweifelt, das Leben.
08.– Der leibliche Vater Willy Brandts, John Möller
aus Hamburg. Hier (um 1925) mit seiner Frau
Helene und deren Sohn Heinz. Brandt erfährt
den Namen seines Vaters erst in der Nachkriegszeit. J. Möller ist in der Weimarer Republik Lehrer
und nach 1933 Buchhalter. – Aufnahme (Bildausschnitt) J. Möllers aus der Zeit nach 1945.
Brandt in seinen „Erinnerungen“: „Über meinen
Vater sprachen weder Mutter noch Großvater, bei
dem ich aufwuchs; daß ich nicht fragte, verstand
sich von selbst. Und da er so offenkundig nichts
von mir wissen wollte, hielt ich es auch später
nicht für angezeigt, die väterliche Spur zu verfolgen.“ Ein Vetter schrieb Willy Brandt 1961, daß
John Möller (1887-1958) im Ersten Weltkrieg
eine Verwundung erlitten habe und dadurch „sei
sein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt gewesen. Ein Hinweis, der mich womöglich milde stimmen sollte gegenüber meinem Vater.“
09.– Zwei Kindheitsfotos von Willy Brandt.
10.– 1918 – Brandt ist noch keine fünf Jahre alt –
zerbricht das Deutsche Kaiserreich. In allen deutschen Reichsländern wird die Republik ausgerufen. Hier: der Umsturz in der mecklenburgischen
Landeshauptstadt Schwerin.
TAFEL 1
Willy Brandt als Kleinkind
in Matrosenanzug auf einem
Stuhl stehend, ca. 1915
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TAFEL 2
Holstentor: Eintracht im
Innern, Friede nach außen.
Keine Zustandsbeschreibung,
sondern Aufforderung.
01.– Dezember 1918 in Berlin: Philipp Scheidemann
(SPD), Friedrich Ebert (SPD) und Hugo Haase
(USPD) im Gespräch. Alle drei sind Mitglieder des
Rats der Volksbeauftragten, der provisorischen
Reichsregierung.
02.– Zwei berühmte Söhne der Stadt Lübeck: die Schriftsteller Thomas Mann (X) und Heinrich Mann (XX).
Hier (1929) während einer Tagung der Akademie
der Künste in Berlin.
Brandt in „Links und frei“ über den Autor der
„Buddenbrooks“: „Thomas Mann legte für seine
Kreise einen Teil der Wirklichkeit bloß, als er
über seine Vater- und meine Mutterstadt schrieb,
dort sei ‚ein altertümlich-neurotischer Hintergrund‘ spürbar gewesen. Das bezog sich auf das
Milieu der ‚feinen Leute‘... Aber auch wenn man
zu den gar nicht für fein gehaltenen Leuten gehörte, konnte man schon als Schuljunge die Nähe zwischen weltweiten Geschäften und mittelstädtischer Enge spüren.“
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03.– Rechts: das sog. Buddenbrook-Haus, das Stammhaus eines Lübecker Patriziergeschlechts. Links:
das Gewerkschaftshaus in Lübeck (1925).
04.– Willy Brandt als Schulanfänger. *Seine Volksschule, wie sie heute aussieht.
05.– Willy Brandt, 1925.
06.– W. Brandt (X) und seine Mutter (XX), 1926, im
Kreise Lübecker Naturfreunde, einer sozialdemokratischen Umfeldorganisation.
Brandt betrachtet sich in dieser Zeit als „norddeutschen Arbeiterjungen, der in die sozialistische Bewegung hineingeboren wurde. Ein Aufstiegsschüler, der sich auf ein anderes Berufsleben als das seiner Familie oder seiner sozialen
Umgebung vorbereitete.“
7.+8. Die Dräger-Werke in Lübeck, viele Jahre Arbeitgeber des Großvaters.
09.– Originalbeschriftung der Fotovorlage: „Drei Konfirmanden – eine fröhliche Schaar.“ Das wahrscheinlich Ostern 1928 entstandene Bild zeigt
v.l. die beiden Schulfreunde Brandts Rudolf Wilken und August Kutz.
Schulfreund Wilken über sich und Willy Brandt
(„Stern“, Februar 1972): „Wir waren schon zusammen bei den Falken und später auch in der
SAJ. Wir haben uns nie verleugnet, weder als
Sozialdemokraten auf dem Gymnasium noch als
Gymnasiasten bei der Partei.“
10.– Willy Brandt, 1931.
TAFEL 2
Willy Brandt am Zaun stehend, Lübeck, ca. 1931
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TAFEL 3
01.– Hermann Müller, langjähriger Vorsitzender der
SPD und Reichskanzler seit 1928, als Redner auf
dem Sozialdemokratischen Parteitag 1929 in
Magdeburg. Die auf den Rücktritt der von Müller
geführten Reichsregierung (1930) folgenden Kabinette können sich nicht mehr auf klare Mehrheiten im Reichstag stützen und geraten in Abhängigkeit von den Notverordnungen des Reichspräsidenten.
02.– Julius Leber, Lübecker SPD-Reichstagsabgeordneter (hier bei einer Kundgebung nach der sog.
Machtergreifung 1933 und vor dem Volksgerichtshof 1944), ist der politische Mentor Willy Brandts.
Brandt spricht (1976) von seiner „widerspruchsvollen Beziehung zu diesem ungewöhnlichen Mann“.
„Einmal verdankte ich ihm entscheidende politische Impulse meiner Jugend. Ich habe von diesem Mann viel gelernt... Und zum anderen hatte
ich mich doch in jugendlich-radikaler Ungeduld
aufgelehnt. Auch in der Rückschau habe ich nichts
abzustreichen von einer Gesinnung, die – seiner
eigenen verwandt – einem unfruchtbaren Mittelmaß den Tribut verwehrte. Auch im – vor allem generationsbedingten – Widerspruch zu Leber habe
ich unentbehrliche Erfahrungen gewonnen. Vielleicht war dies die wichtigste: Er lehrte mich die
Notwendigkeit des Widerstandes.“
03.– Die junge Demokratie ist in Gefahr. Anfang der
30er Jahre radikalisieren sich die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland. Die extremistischen Kräfte gewinnen an Boden. Foto: Demonstranten werden von der Polizei vertrieben.
04.– Die Weltwirtschaftskrise wirkt sich neben den
USA vor allem in Deutschland aus. Die Arbeitslosenzahlen steigen in bis dahin nie gekannte
Höhen. Foto: Arbeitslose beim „Stempeln“.
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05.– Im Juli 1932 setzt Reichskanzler von Papen die
sozialdemokratisch geführte Preußen-Regierung
unter Otto Braun ab. Der von vielen Sozialdemokraten geforderte Generalstreik gegen diesen
Staatsstreich hat keine Aussicht auf Erfolg. Bild:
Polizeioberst Heimannsberg (SPD-Mitglied) wird
von Reichswehrsoldaten abgeführt.
06.– Eine Straße in Lübeck, 1931.
07.– Gesuch (Ausriß) Willy Brandts von 1931 um Zulassung zur Reifeprüfung am Johanneum, einem
Lübecker Gymnasium, das er erst seit 1928 besucht.
In dem Gesuch heißt es: „Einen großen Teil meiner Freizeit widmete ich der Mitarbeit in der
sozialistischen Jugendbewegung. Viel Freude und
viele ernste Erfahrungen gaben mir die Gemeinschaftsarbeit, die Fahrten in die Natur und besonders die mehrwöchigen Zeltlager in den Sommerferien (z.B. 1929 auf der Insel Namedy im
Rhein). Ich habe schon als kleiner Junge viel
gelesen, und auch jetzt bringen mir Bücher die
meiste Freude... Ich habe die Absicht, Journalist
zu werden. Wenn es möglich sein sollte, möchte
ich noch Deutsch und Geschichte studieren.“
08.– Willy Brandt als Abiturient mit seinen Klassenkameraden und Lehrern 1932 im Hof des Johanneums. *Der Hof, so wie er heute aussieht.
1972 schreibt der Bundeskanzler Willy Brandt:
„Dem Johanneum, auf dem ich vor 40 Jahren
mein Abitur machen konnte, gratuliere ich herzlich zu seinem 100jährigen Bestehen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch meinen Lehrern
danken. Gewiß war ich nicht das, was man einen
Musterschüler nennt. Um so mehr weiß ich heute zu schätzen, was die vier Jahre auf dem Johanneum für meine weitere Entwicklung bedeutet haben. Es hat sich für mich nur selten die
TAFEL 3
Möglichkeit ergeben, mit Klassenkameraden über
die Jahre von 1928 bis 1932 zu sprechen; unsere
Zahl ist auch sehr zusammengeschmolzen. Aber
ich bin doch bei eigener Rückschau über das
Maß an Toleranz erstaunt, das es damals an
unserer Schule gab. Dies entsprach ja durchaus
nicht der uns umgebenden gesellschaftlichen Realität.“ (aus: 1872-1972 Festschrift 100 Jahre Johanneum zu Lübeck).
09.– Schon früh schreibt Brandt Artikel für sozialdemokratische Zeitungen, so u.a. für den „Lübecker
Volksboten“ und die „Arbeiterjugend“. Als Kind
schließt er sich, vom Großvater beeinflußt, den
„Falken“ und dann der Sozialistischen Arbeiterjugend an. 1930 wird er Mitglied der SPD.
Im „Lübecker Volksboten“ läßt sich schon am
12.12.1928 ein Artikel Brandts nachweisen („Die
Roten Falken“).
Abitur am Gymnasium Johanneum zu Lübeck. Willy Brandt als Abiturient Herbert Frahm, 6. Schüler v.r., mit seiner Klasse 0 Ib und
den Lehrern, ca. 1932
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TAFEL 4
01.– Aufnahme, April 1932 in Lübeck. Der frischgebackene Abiturient liest das „Kampfsignal“, das
Reichsorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei
Deutschlands (SAP). Die SAP war 1931 von früheren SPD-Reichstagsabgeordneten und -mitgliedern und Angehörigen anderer linker Gruppierungen gegründet worden. Sie alle einte die
Unzufriedenheit mit dem Kurs der sozialdemokratischen Parteiführung. Obwohl sich die SAP
um die Schaffung einer „Einheitsfront“ bemüh0
te, wurde sie dennoch von den Kommunisten
heftig bekämpft. W. Brandt schließt sich 1932
der SAP an.
Naturgemäß bedeutet dies, daß es zwischen ihm
und Leber zu einer Entfremdung kommt. Den
Gedanken, bei dem „Lübecker Volksboten“ Redaktionsvolontär zu werden, muß er fallenlassen.
02.– Am Lübecker Krähenteich, 30er Jahre.
03.– Der Krähenteich, 30er Jahre.
04.– Gruppe von sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten (1929 ?); darunter: Paul Levi (X)
und die SAP-Gründer von 1931 Max Seydewitz
(XX) und Kurt Rosenfeld (XXX).
Brandt: „Wie viele in der sozialdemokratischen
Jugend war ich mit meinen Sympathien gewiß
bei jenen Abgeordneten, die gegen die Politik der
‚Tolerierung‘ (einer Rechtsregierung) opponierten. Die Opposition hatte nicht erst mit dem
Übergang der Kanzlerschaft von Hermann Müller zu Heinrich Brüning begonnen. Symbolhafte
Bedeutung gewann die Auseinandersetzung um
den Bau eines ersten Panzerkreuzers, nachdem
die Partei im Wahlkampf 1928 ‚Kinderspeisung
statt Panzerkreuzer‘ gefordert hatte... Im Herbst
1931 vermittelte sich jungen Leuten wie mir der
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Eindruck, als würden sich ansehnliche Gruppierungen in einem neuen Lager links von der SPD
zusammenfinden... Die Vertreter der Sozialistischen Jugend, die sich den SAP-Gründern anschlossen, ließen sich weder durch niedrige Mit0
gliederzahlen enttäuschen noch durch bekannte
Namen über Gebühr beeindrucken. Uns leuchtete das Aufbegehren gegen eine Politik ein, die wir
als kompromißlerisch-schwächlich empfanden.
Wir glaubten, einer ‚reinen‘ Lehre näher zu sein,
und wir hegten die Hoffnung, daß ein neuer
Versuch in der Arbeiterbewegung für unser Volk
gut sein würde.“
05.– Adolf Hitler am 30.1.1933. An diesem Tag macht
ihn der Reichspräsident von Hindenburg zum
Reichskanzler.
06.– Lübeck (Rathaus) zur Zeit der NS-Machtübernahme.
07.– Schupos und SA-Leute vor dem Untersuchungsgefängnis Marstall in Lübeck, in dem der von den
Lübeckern verehrte SPD-Reichstagsabgeordnete
Julius Leber in „Schutzhaft“ gehalten wird; Mai
1933.
Julius Leber schreibt zu Beginn der Nazizeit im
Gefängnis ein Manuskript „Die Todesursachen
der Sozialdemokratie“, „ein Spiegel“, so Brandt
1976, „der nicht nur ein düsteres Zeitbild, sondern chronische Schwächen und Anfälligkeiten
seiner und meiner Partei sichtbar macht“. Leber
habe die Bilanz gezogen: Wenn die Sozialdemokratie nicht fähig ist, die Sprache des Volkes zu
verstehen und zu sprechen, dann ist nicht nur ihr
eigenes Geschick, sondern auch das der deutschen Demokratie besiegelt.
TAFEL 4
08.– Der von den Nationalsozialisten angezettelte
Weltkrieg trifft die Heimatstadt Willy Brandts
schwer. Schon einer der ersten größeren Luftangriffe auf Deutschland zielt auf Lübeck (März
1942). Zwei brennende Lübecker Kirchen nach
diesem Angriff.
09.– Szene auf dem Lübecker Markt nach diesem
Luftangriff.
Willy Brandt liest das Reichsorgan
der Sozialistischen Arbeiterpartei
Deutschlands (SAP), „Kampfsignal“,
Lübeck, ca. 1932
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TAFEL 5
01.– Ein Unteroffizier beobachtet die beim Zusammenbruch des III. Reichs durch Lübeck ziehenden Flüchtlingstrecks, April/Mai 1945.
02.– Nach der deutschen Kapitulation gehört Lübeck
zur Britischen Besatzungszone. Hier: Razzia auf
dem Schwarzmarkt durch Besatzungssoldaten
und Lübecker Polizei.
03.– An der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik in unmittelbarer Nähe Lübecks, Februar
1960.
04.– Die Grenze an der Ostsee. Die unnatürliche Teilung, besonders seit 1961, beraubt Lübeck seines Hinterlandes.
05.– Der Bahnhof Lübeck. * Das Holstentor, dessen
Inschrift für Brandt eine besondere Bedeutung
hat (heutige Aufnahmen).
06.– Willy Brandt zu Besuch bei seiner Mutter und
deren Ehemann, Lübeck September 1965. Martha
Frahm hatte in der Vorkriegszeit den Maurer
und Sozialdemokraten Emil Kuhlmann geheiratet.
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07.– Willy Brandts Halbbruder Günter Kuhlmann
(hier: 1983 in seiner Lübecker Wohnung; Videoprint).
Günter Kuhlmann wurde 1928 geboren.
08.– 1972 erhält Willy Brandt die Ehrenbürgerwürde
seiner Geburtsstadt. Hier: Eintragung in das Goldene Buch der Hansestadt, 1967 (?).
Der Lübecker Bürgermeister im Zusammenhang
mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an
Willy Brandt und unter Anspielung auf Thomas
Mann ironisch: „Wir haben es uns in dieser Stadt
nie leicht gemacht, einen unserer Söhne zu ehren, insbesondere dann, wenn er uns in frühen
Jahren verlassen und es später in der Welt zu
Ansehen gebracht hat. Doch wir haben das Recht,
einsichtiger zu werden.“
09.– Brandt spricht zu Lübeckern, 80er Jahre.
TAFEL 6
Joseph Goebbels:
„Wir haben unsere politischen
Gegner zu Paaren getrieben.“
Deutschland 1933
unter der NS-Herrschaft:
01.– Razzia von Polizei und SA-Leuten gegen Antifaschisten.
02.– Politische Gegner werden verhaftet.
03.– „Appell“ im Konzentrationslager Oranienburg.
04.– Travemünde (heutige Aufnahme) und der Kutter
TRA.10. des Fischers Paul Stooß, mit dessen
Hilfe Willy Brandt Anfang April 1933 nach Dänemark flüchtet. Sein weiterer Exilweg führt ihn
0
nach Norwegen.
Auf die Frage „Was dachten Sie in diesem Augenblick in diesem Fischerboot?“, antwortete Brandt
einmal in einem schwedischen Fernsehinterview:
„Zunächst habe ich einfach gedacht, erwischen
die dich oder erwischen die dich nicht. Es war in
der Nacht, solche Fischerboote laufen ja ganz
früh am Morgen aus. Es muß in der Nacht gewesen sein, denn morgens waren wir schon in
Roedbyhavn (Dänemark). Dort war eine Zollkontrolle, ich war gut verstaut unter Tauwerk. War
ich zunächst mal froh, daß man mich nicht entdeckt hatte. Und sonst war doch eine gewisse
Neugier da. Was erwartet dich in diesem Skandinavien?“
05.– Zwei zeitgenössische Aufnahmen von Oslo.
06.– Die linke Norwegische Arbeiterpartei (NAP) ist
einer der bestimmenden Faktoren im politischen
Leben Norwegens. Hier: ein Demonstrationsfoto
aus den 30er Jahren.
Zum Emigrationsmilieu in Oslo sagt Brandt später: „Nicht sinnvoll waren manche der Diskussionen über die Schuldfrage der deutschen Linken. Sie wurden vielfach wie in einem luftleeren
Raum geführt und waren beherrscht von persönlichen Vorurteilen und dem – menschlich verständlichen, aber höchst unfruchtbaren – Bedürfnis, seine eigene Rolle zu rechtfertigen.“
07.– Zwei frühe Fotos: Willy Brandt in Norwegen.
Willy Brandt im Exil in Norwegen, ca. 1934
19
TAFEL 7
Exil in Norwegen
01.– Arbeitslose vor einem Osloer Arbeitsamt, 30er
Jahre. Norwegen leidet unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Antifaschistische Flüchtlinge
0
werden zwar aufgenommen, finden jedoch nur
schwer Arbeit.
02.– Plakat der Norwegischen Arbeiterpartei (norwegische Abkürzung: DNA).
03.– Kundgebung vor dem Gebäude des Osloer „Arbeiderbladet“, 1936. Das Gebäude war zugleich
Sitz des Parteivorstandes der NAP.
04.– Willy Brandt mit Kurt Jonas in Oslo, 1933. Jonas,
Schriftsetzer aus Berlin, war wie Brandt Mitglied
der deutschen SAP-Gruppe in Oslo.
05.– Willy Brandt, Mitte der 30er Jahre im norwegischen Exil.
Brandt zu Leo Lania: „Ich bemühte mich ernsthaft, meine Beziehungen mit Deutschland aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber sah ich es als
eine ebenso wichtige Aufgabe an, so schnell wie
möglich den Anschluß an das politische Leben
Norwegens zu finden. In meinem Fall bedeutete
das aktive Mitarbeit in der Arbeiterpartei, vor
allem ihrem Jugendverband. Ohne Kenntnis der
norwegischen Sprache ging das nicht. Ich konnte bereits Norwegisch lesen. Nach einigen Wochen konnte ich mich auch bereits ganz gut verständigen. Und schon ein paar Monate nach meiner Ankunft hielt ich auf einer Versammlung am
Sognefjord meine erste Rede in norwegischer
Sprache. Sie wurde mir bald so vertraut, als wäre sie meine Muttersprache.“
20
0
06.– Titelblatt der ersten norwegischen Broschüre
Brandts von 1933 („Warum hat Hitler in Deutschland gesiegt?“).
07.– Brandts erste Bleibe in Oslo.
08.– Brandt (X) 1933 in einem Sommerlager einer linken norwegischen Intellektuellengruppe in Minnesund. Gertrud Meyer (XX), die Freundin Brandts,
war ihm aus Deutschland nach Norwegen gefolgt. Sie betätigt sich ebenfalls in der Osloer
SAP-Gruppe. Die Aufnahme zeigt zudem Jacob
Walcher (XXX), einen führenden Kopf des SAPExils, der von Paris aus, dem Sitz der Auslandsleitung der SAP, Norwegen bereist.
Erstaunlich ist, daß auf dem norwegischen Originalfoto Gertrud Meyer als Gertrud Frahm ausgegeben wird. Paul Bromme, Mitemigrant in Oslo,
1973: „Willy hatte hier eine Freundin, die Trudel
Meyer. Dieses Mädchen, eine intelligente kaufmännische Angestellte, wurde von den Nazis
verhaftet, weil sie Funktionärin der SAP gewesen war. Man hat ihr aber nichts nachweisen
können. Dann hat sie ohne Schwierigkeiten einen Paß bekommen und folgte Brandt nach Norwegen. Dort schloß sie formell eine Paßehe mit
einem Studenten namens Gunnar Gaasland. Das
war nur in Norwegen möglich. Dadurch konnte
sie eine Arbeitserlaubnis und die norwegische
Staatsbürgerschaft bekommen. Trudel Meyer lebte aber mit Willy Brandt zusammen. Sie arbeitete
für den Professor und Psychoanalytiker Wilhelm
Reich, der früher Sekretär von Sigmund Freud
war. Trudel ging 1939 mit Reich rüber nach
Amerika, um ihm beim Aufbau einer Bibliothek
zu helfen. Sie konnte nicht mehr zurück, weil
inzwischen der Krieg ausgebrochen war und ein
Jahr später Norwegen okkupiert wurde. Brandt
hat sie erst nach dem Krieg wiedergesehen...“
TAFEL 7
Willy Brandt in einem Sommerlager einer linken norwegischen Intellektuellengruppe in Minnesund, ca. 1933
21
TAFEL 8
01.– Brief Willy Brandts vom Oktober 1935 an Edo
Fimmen (Amsterdam), den Generalsekretär der
Internationalen Transportarbeiter-Föderation
(ITF). E. Fimmen macht sich in diesen Jahren um
den deutschen Widerstand gegen Hitler und die
deutschen politischen Flüchtlinge im Ausland
verdient.
02.– Zwei Tarnschriften, die im Ausland hergestellt
und in Deutschland verbreitet werden. Ein unverdächtiger Titel („Cicero“ oder eine MercedesBenz-Werbung) soll die politische Botschaft tarnen. * Ein für Deutschland bestimmtes Flugblatt
der ITF. Die beiden antifaschistischen Organisationen ITF und SAP arbeiten eng zusammen.
03.– Titelseite von „Faschismus“ vom Oktober 1935,
einem von der ITF in mehreren Sprachen herausgegebenen Bulletin, das über die Verhältnisse in den faschistischen Ländern berichtet.
04.– Edo Fimmen auf einem ITF-Kongreß, 30er Jahre.
05.– Willy Brandt mit ausländischen Gastdelegierten
während eines Kongresses der norwegischen
Metallarbeiter, Mai 1935. Brandt, der allmählich
zum anerkannten Leiter der Osloer SAP-Zelle
wird, betätigt sich nicht nur als Journalist, sondern hilft auch als Dolmetscher aus.
06.– Zwei Aufnahmen, 30er Jahre: Brandt in einer
norwegischen Amateurfußballmannschaft. Links
sitzend vor Brandt Trygve Bratteli.
Bratteli, später Ministerpräsident Norwegens,
zum 60. Geburtstag Willy Brandts: „Im Jahre
1934 war ein Kongreß des Jugendverbandes der
Norwegischen Arbeiterpartei nach Oslo einberu-
22
fen worden. Auf diesem Kongreß sollte ich zum
Sekretär des Jugendverbands gewählt werden.
Doch vorher versuchte eine linksstehende Fraktion unter den Delegierten noch eine Kraftprobe.
Die Norwegische Arbeiterpartei und auch der
Jugendverband waren damals auf dem Weg vom
revolutionären Marxismus... hin zur Sozialdemokratie, zum Reformismus. Diese Entwicklung
paßte manchen nicht. Diese Linken verlangten
nun von dem Kongreß, daß Willy Brandt als
Redner auftreten sollte. Brandt hatte sich einer
linken Gruppierung, der Mot Dag (Dem Tag entgegen), angeschlossen. Doch Brandts Auftritt als
Redner wurde von der Mehrheit abgelehnt. Das
war eine Entscheidung gegen die Linken, nicht
gegen den Menschen Brandt. Die Entwicklung
im Hitler-Deutschland hatte in den Jahren danach einen starken Einfluß auf Brandt. Er trat
bald der Norwegischen Arbeiterpartei und der
Jugendbewegung bei. Als der Flüchtlingsstrom
aus Deutschland anschwoll, arbeitete er in den
extra gegründeten Hilfskomitees. Heute möchte
ich sagen, daß die gemäßigte nordische Sozialdemokratie einen sehr vorteilhaften Einfluß auf
Brandt ausgeübt hat.“
07.– Martin Tranmael (rechts), sozialdemokratischer
Redakteur und Gewerkschafter, im Gespräch mit
dem NAP-Sekretär Einar Gerhardsen. Tranmael,
der die Übernahme öffentlicher Ämter ablehnt,
ist bis zum II. Weltkrieg der „heimliche“ Vorsitzende von Det Norske Arbeiderparti. Brandt
lernt den NAP-Mentor näher kennen.
TAFEL 8
Amateurfußball, Norwegen: Willy Brandt (Mitte 2. Reihe) und der spätere norwegische Ministerpräsident Trygve Bratteli (links sitzend), ca. 1939
23
TAFEL 9
Der Faschismus auf dem
Vormarsch
01.– Der NS-Reichsminister für Volksaufklärung und
Propaganda Joseph Goebbels zusammen mit italienischen Jungfaschisten. Der Auftritt von Goebbels 1933 vor dem Völkerbund in Genf läßt Schlimmes befürchten: Deutschland tritt im Oktober
d.J. aus der „Société des Nations“ aus.
02.– Japan, in dem extremistische Nationalisten und
Militärs Einfluß auf den Tenno gewinnen, hatte
schon im März 1933 seinen Austritt erklärt. Hier:
Aufnahme des japanischen Kaisers (links) mit
einem Admiral, undatiert.
03.– Eine britische Einheit einer internationalen
Polizeitruppe, Saarbrücken 1934. *Nationalsozialistisches Plakat zur Saarabstimmung im Januar
1935. *Abstimmungsplakat der Status-quo-Befürworter. Die von demokratischen Kräften im
Saarland versuchte Aufklärung über den Charakter des NS-Regimes fruchtet nicht. Eine sehr
große Mehrheit der Saarländer entscheidet sich
für das III. Reich – eine herbe Enttäuschung auch
für die vor Hitler geflohenen Emigranten.
04.– Engelbert Dollfuß (Bildvordergrund links), österreichischer Bundeskanzler seit 1932, verkündet
am 1.5.1934 nach einem Gottesdienst (s. Foto)
die neue antidemokratische Verfassung Österreichs. Zuvor hatte Dollfuß das Parlament ausgeschaltet und den sozialdemokratischen Schutzbundaufstand niederschlagen lassen. Die SPÖ
befindet sich nun in einer ähnlichen Lage wie die
SPD 1933. * Benito Mussolini, der „Duce“, (hier
bei einer Rede) ist zunächst Protektor eines unabhängigen „Ständestaats“ Österreich.
24
05.– Im Gastland Brandts, Norwegen, gründet 1933
Vidkun Quisling (hier spätere Aufnahme) seine
faschistische Partei der Nationalen Sammlung
mit dem Ziel, „Norwegen vom Bolschewismus
frei zu halten“. Die Partei findet bei den Norwegern kaum Resonanz.
06.– Im März 1935 kann die Norwegische Arbeiterpartei die Regierung stellen. Ministerpräsident:
J. Nygaardsvold (s. Foto). Die NAP-Regierung bedeutet für die Aufenthaltsbedingungen Brandts
eine gewisse Erleichterung.
07.– Brandt schreibt Artikel für das sozialdemokratische „Arbeiderbladet“. Hier ein nicht gezeichneter Beitrag vom 3.11.1934 („Großprozeß gegen
die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands.
Eine Reihe ihrer führenden Mitglieder vor dem
Volksgerichtshof“).
08.– Artikel (Ausriß) Willy Brandts im SAP-Organ „die
neue front“, Paris März 1934. Titel: „Norwegen.
Der Kurs der Arbeiterpartei“.
Brandt in diesem Artikel: „Im Oktober vorigen
Jahres erzielte die Norwegische Arbeiterpartei
einen Wahlerfolg, der weit über die Grenzen
Skandinaviens hinaus Aufsehen erregte. Die NAP
erhielt 69 von den 150 Parlamentsmandaten. In
diesem Wahlsieg der NAP drückte sich die Unzufriedenheit aus, die breite Massen des Volkes bis
weit hinein in die Reihen der Bauern erfaßt hat
und die sich gegen das bestehende System, gegen Krisenelend und bürgerliche Quacksalberei
richtet. Der Wahlsieg legte der NAP eine große
Verantwortung auf, sowohl gegenüber der norwegischen Arbeiterklasse wie auch gegenüber
dem internationalen Proletariat, das besonders
aufmerksam auf die von den beiden Internationalen unabhängige NAP sah.“
TAFEL 9
Dieselbe Ausgabe von „die neue front“ berichtet
über eine internationale Konferenz revolutionärer Jugendorganisationen in Laren (Niederlande), auf der etwa 20 Ausländer (unter ihnen Willy
Brandt) verhaftet wurden, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigungen hatten. Brandt wurde damals (im Artikel nicht erwähnt) zwar freigelassen, vier SAP-Leute aber von der niederländischen Polizei den NS-Behörden in Deutschland
ausgeliefert.
Die Gemeente Laren konnte den Katalogautoren
einen sehr ausführlichen Bericht über diesen
Vorfall zur Verfügung stellen, jedoch war dieser
Bericht aus „zweiter Hand“. Die betreffenden Akten selbst scheinen dagegen verschwunden zu
sein. Auch eine entsprechende Anfrage an das
Niederländische Justizministerium führte zu keinem Erfolg.
25
TAFEL 10
SAP
01.– Willy Brandt in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Wahrscheinlich in Paris aufgenommen.
02.– Plakat der NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Darauf Flugblatt der Osloer SAP-Gruppe u.a.,
das an deutsche KdF-Touristen 1936 ff. verteilt
wird.
3.-16. SAP-Mitglieder im In- und Ausland:
03.– Georg Ledebour, der langjährige und hochangesehene SPD- bzw. USPD-Reichstagsabgeordnete,
1933 emigriert.
04.– Ernst Eckstein, der 1933 in einem KZ an den Folgen von Mißhandlungen umgekommene Rechtsanwalt aus Breslau.
05.– Walter Fabian, Redakteur aus Berlin, der Ende
1934 vor einer Verhaftung ins Ausland floh.
06.– Edith Baumann, die nachmalige Frau von Erich
Honecker, die 1934 „wegen Vorbereitung zum
Hochverrat“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt
wurde.
07.– Fritz Sternberg, ein marxistischer Wirtschaftstheoretiker, der 1933 ins Exil ging.
08.– Otto Brenner, der spätere Vorsitzende der IG Metall, der wegen illegaler Tätigkeit in Hannover zu
zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
09.– Paul Frölich, Journalist und Schriftsteller, der Ende
1933 nach seiner Entlassung aus dem KZ emigrierte.
10.– Joseph Lang, der in Ungarn geborene Buchhändler, der 1933 verhaftet wurde und 1934 ins Ausland entkommen konnte.
11.– Eberhard Brünen, der Dreher aus Duisburg, der
wegen Widerstandstätigkeit zu fünfzehn Jahren
Zuchthaus verurteilt wurde.
12.– August Enderle, 1933 emigriert, führend in der
Exil-SAP.
26
13.– Seine Frau, die Journalistin Irmgard Enderle, nach
vorübergehender Festnahme 1933 emigriert.
14.– Anna Siemsen, die schon in der Weimarer Republik aus politischen Gründen ihre Professur
verloren hatte und 1933 ins Exil ging.
15.– Rosi Wolfstein, Ehefrau von Paul Frölich, die Ende 1933 nach Entlassung aus dem KZ ins Ausland ging.
16.– Fritz Küster, von Beruf Bauingenieur und vor 1933
Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft,
1933 bis 1938 im KZ.
Anmerkung: Das NS-Regime verfolgte die Emigranten auch im Ausland. Walter Fabian, Fritz
Sternberg, Paul Frölich, August und Irmgard Enderle wurden „der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig“ erklärt.
17.– Brief von „Claire“ (Briefschreiber unbekannt) aus
Berlin an die Auslandszentrale der SAP in Paris,
September 1936.
Der Brief stammt aus dem in Oslo erhalten gebliebenen SAP-Bestand.
Willy Brandt (wahrscheinlich in Paris), ca. 1937
TAFEL 11
In Berlin 1936
01.– Willy Brandt in den 30er Jahren (Bildausschnitt).
Ende August 1936 – die Olympischen Spiele in
Berlin waren gerade beendet – geht Brandt mit
dem Paß des befreundeten norwegischen Studenten Gunnar Gaasland in die deutsche Reichshauptstadt. Der Auftrag der SAP-Auslandszentrale in Paris: Kontakte zu SAP-Widerstandsgruppen in Berlin und Umgebung aufzunehmen. Diese waren inzwischen durch Gestapo, Polizei und
Gerichte mehr als dezimiert worden.
Willy Brandt 1960: „Wie konnte man den Freunden in Deutschland helfen? Diese Frage beschäftigte die politische Emigration unentwegt; sie
bereitete auch mir manche schlaflose Nacht. Bis
zu einem gewissen Grad konnten wir das Ausland aufklären und für die Gefährten sprechen,
denen der Mund verschlossen war. Das war unsere simple Pflicht und Schuldigkeit. Das war
auch unsere patriotische Pflicht, denn Hitler war
der Totengräber unserer Nation. Wir hätten diese Pflicht sicherlich noch besser und wirksamer
erfüllen können, als wir es taten. Wir bemühten
uns, menschlich und politisch den Kontakt mit
der Heimat nicht abreißen zu lassen. Am besten
war es, wenn man sich traf und die Meinungen
austauschte, einander Mut zusprach. Ich habe
damals an einer Vielzahl solcher Gespräche teilgenommen.“
02.– In einer Pension (X) Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße wohnt er als norwegischer
Student.
03.– Blick auf den heutigen U-Bahnhofeingang Kurfürstendamm. Im Hintergrund das Café Kranzler,
das in etwa an der Stelle der Brandt-Pension
steht.
04.– Bahnsteig des U-Bahnhofs Kurfürstendamm.
05.– Lesesaal der Preußischen Staatsbibliothek (zeitgenössische Aufnahme), in dem Willy Brandt zur
Tarnung seinen Studien nachgeht.
06.– Innenhof und eine Außenansicht der Preußischen Staatsbibliothek.
07.– Blick aus einem Bus auf die Leipziger Straße,
zeitgenössische Aufnahme.
08.– Obwohl sich das NS-Regime in Berlin während
der Olympischen Spiele etwas zurücknimmt, hat
es seine innen- und außenpolitische Aggressivität nicht verloren. Im März 1936 bricht Deutschland den Locarno-Vertrag und läßt Truppen in
das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren.
Es bleibt bei verbalen Protesten des Auslands.
09.– Im Juli 1936 feiert die NSDAP die zehnte Wiederkehr ihres Reichsparteitages in Weimar mit bombastischem Aufwand.
27
TAFEL 12
01.– Fotos von Brandt während seines illegalen Aufenthalts in Berlin liegen naturgemäß nicht vor.
02.– Der Leipziger Platz in Berlin (undatierte Aufnahme).
03.– Das Kaufhaus Wertheim in der Leipziger Straße
(Foto von 1932) – Treffpunkt Brandts mit SAPGenossen.
04.– Fritz Erler (links), ursprünglich in der SPD, dann
im Widerstand bei der Berliner Gruppe „Neubeginnen“, sucht Kontakte zur SAP. Er wird 1939
wegen seiner Widerstandstätigkeit zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. *Max Diamant, zeitweise Leiter der Pariser SAP-Gruppe, hatte mit Brandt
vor seiner Abreise nach Berlin eine längere Unterredung, in der die Risiken des illegalen Aufenthalts in Deutschland zur Sprache kamen.
05.– Das Café Kranzler, Aufnahme von 1935, vermittelt nach außen das Bild eines sorglosen und
unbeschwerten Lebens.
06.– Der Kurfürstendamm, 1936.
07.– Blick auf die Friedrichstraße, 1936; rechts das
Café Moka Efti, in dem Brandt zufällig einen ihm
bekannten Sozialdemokraten aus Lübeck sieht.
Beide geben vor, sich nicht zu kennen.
Brandt beschreibt diese Szene in „Links und
frei“: „In den ersten Wochen des Berlin-Aufenthalts besuchte ich das ‚Moka Efti‘ an der Friedrichstraße. Dort saß ein bekannter Lübecker Sozialdemokrat, ein Lehrer, von dem ich vermutete, er
sei noch im Lager. Er, noch erstaunter als ich,
gab durch Blicke zu erkennen, daß ich nicht an
seinen Tisch kommen möge. Vielleicht fühlte er
sich beschattet? Später konnte ich ihn nicht mehr
fragen. Er ist 1937 umgekommen.“
08.– Brief (Ausriß) vom 29.11.1936 aus Berlin an die
Auslandszentrale der SAP in Paris. Die „Briefschreiberin Marianne“ ist zweifellos Willy Brandt.
28
Der Brief stammt aus dem Osloer SAP-Bestand.
Brandt: „Wir bedienten uns auch der ‚illegalen‘
Korrespondenz - mit Deckadressen, unsichtbaren Tinten, mehr oder weniger geschickten Verabredungen, durch die der eigentliche Sinn eines
Briefes dem Zensor verborgen blieb.“
09.– Carl von Ossietzky im KZ Esterwegen. Noch vor
seiner Berlinreise hatte sich Brandt in Norwegen
dafür eingesetzt, daß der mutige antifaschistische Journalist den Friedensnobelpreis erhält.
Die Ossietzky-Biographin Suhr schildert den Besuch des Vertreters des Internationalen Roten
Kreuzes, des Schweizer Diplomaten Carl Jakob
Burckhardt, im KZ Esterwegen. „Der Lagerkommandant Loritz versucht zunächst, eine Begegnung zwischen Burckhardt und Ossietzky zu verhindern: ‚Unmöglich, ausgeschlossen, ich weigere
mich.‘ – ‚Was ist das für eine verdammte Schweinerei, daß hier Befehle nicht durchgeführt werden! Sie kennen Ihren Befehl, ich sehe die Häftlinge, die ich zu sehen wünsche und spreche mit
ihnen, Sie wissen, um was es geht!‘ Der Kasernenhofton wirkt. Wenig später bringen zwei SSMänner Ossietzky, ein ‚zitterndes, totenblasses
Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien,
ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend
eingeschlagen, er schleppte ein gebrochenes,
schlecht ausgeheiltes Bein‘. Burckhardt tritt ihm
entgegen, gibt ihm die Hand und sagt ein paar
freundliche Worte, übermittelt Grüße. Ossietzky
antwortet lispelnd, unter Tränen: ‚Danke, sagen
Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald
vorüber, bald aus, das ist gut.‘“
10.– Brief (Ausriß) von Willy Brandt an die deutsche
nach Großbritannien emigrierte Journalistin Hilde
Walter, die zu den treibenden Kräften für die Verleihung des Preises an Carl von Ossietzky gehört.
TAFEL 13
Spanien
01.– Anläßlich eines mißglückten Attentats auf den
französischen Sozialisten Léon Blum versammelt sich überall in Frankreich, hier Paris, die
Linke zu machtvollen Kundgebungen gegen
Rechts. 1936 ist das Jahr der Volksfront. L. Blum
bildet eine Regierung, die von den Kommunisten
im Parlament – nach entsprechenden Signalen
aus Moskau – toleriert wird. Auch in der deutschen Emigration kommt es zu volksfrontähnlichen Vereinbarungen, an denen sich eine Reihe
von Mitgliedern der Exil-SPD, die SAP, die KP,
bürgerliche Intellektuelle u.a. beteiligen. Die Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen sollten vorläufig beigelegt und der gemeinsame Feind
gemeinsam bekämpft werden.
Brandt: „Anfang Februar 1936 wurde durch einen Aufruf, unterzeichnet mit 118 Namen, ein
‚Ausschuß zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront‘ ins Leben gerufen. Unter den Unterschriften vom Februar 1936 war auch die meine. Die
Freunde in Paris hatten dies so vorgeschlagen.
Neben je sechzehn Sozialdemokraten und Kommunisten sowie zehn SAP-Leuten hatten zahlreiche ‚unabhängige Persönlichkeiten‘ unterschrieben: unter ihnen – neben Heinrich Mann – die
Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig,
Ernst Toller, Ernst Bloch, Anna Siemsen. An der
Redaktion des Februar-Manifests war Heinrich
Mann selbst maßgeblich beteiligt. Hier wurde,
wie berichtet, gegen das ‚undeutsche System‘
der Willkür, der Gewalt, des Gewissenszwangs
und der persönlichen Bereicherung der Machthaber gewettert. Man unterstellte ‚eine tiefe und
einheitliche Sehnsucht nahezu aller Deutschen,
ausgenommen der direkten Nutznießer des Systems, nach dem Ende dieses Terrors und nach
Wiederherstellung der elementarsten Menschenrechte...‘ Wäre es nur so gewesen. Mein Name
stand auch unter dem Auruf – ‚Seid einig gegen
Hitler!‘ – vom Mai 1936, der nach der Rheinlandbesetzung vor Hitlers Kriegspolitik warnte. Breitscheid und Ulbricht unterzeichneten mit je fünf
Reichstagskollegen. Unter den Unterzeichnern
waren auch diesmal Lion Feuchtwanger, Georg
Bernhard, Ernst Toller. Ich hielt mich in jenen
Wochen in Paris auf. Kurz vor Weihnachten 1936
erschien, während ich in Berlin war, ein neuer
Aufruf, doch die Freunde in Paris durften über
meinen Namen verfügen. Für mich war dies eher
ein Schutz. Die Gestapo konnte auf solche Weise
irregeführt werden.“
0
02.– Willy Brandt, 1937. Er verläßt in diesen Jahren
des öfteren sein Gastland, um an Sitzungen der
Auslandszentrale und anderen SAP-Konferenzen in Europa teilzunehmen. Am Rande einer
solchen Konferenz wird ihm der Vorschlag gemacht, für einige Zeit nach Spanien zu gehen.
Hier tobt seit Mitte 1936 ein erbarmungsloser
Bürgerkrieg zwischen den Verteidigern der Republik und den Faschisten Francos, die von Deutschland und Italien massiv unterstützt werden. Der
Spanienaufenthalt Brandts dauert 1937 fünf Monate.
03.– Aufruf Brandts an die Deutsche Jugend in „Die
Spanische Revolution“, Mai 1937. Der Sozialistische Jugendverband Deutschlands (SJVD) ist die
Jugendorganisation der SAP.
04.– Republikanische Milizionärinnen hinter Barrikaden.
29
TAFEL 13
05.– Katalonisches Plakat, 1937.
06.– Eine Centuria der POUM rückt im Januar 1937
aus einer Kaserne in Barcelona aus. Ganz links
im Hintergrund der britische Schriftsteller George
Orwell (eigentlich Eric Blair), der später bei der
Verteidigung der Republik schwer verwundet
wird.
Orwell und Brandt sind sich in Spanien kurz
begegnet. Beide stehen der POUM nahe, der
„Arbeiterpartei der marxistischen Einheit“, lehnen jedoch deren revolutionären Übereifer ab.
Brandt: „Die POUM vertrat in extremer Form, in
gewisser Übereinstimmung mit den Anarchosyndikalisten und einem Teil der Sozialdemokraten,
30
die Auffassung, daß die Revolution den Vorrang
habe. Die Kommunisten, in gewisser Übereinstimmung mit den ‚bürgerlichen‘ Demokraten,
vertraten demgegenüber die These, daß es vor
allem um die Erfordernisse des Krieges ginge. Im
Bemühen um ein eigenes Urteil geriet ich mit den
Revolutionaristen in Konflikt, die mir weit über
das Ziel hinauszuschießen schienen...“. Orwell:
„Im großen und ganzen akzeptierte ich die kommunistische Ansicht, die man mit den Worten
zusammenfassen kann: Wir können nicht über
die Revolution sprechen, ehe wir nicht den Krieg
gewonnen haben.“
TAFEL 14
„Reichsfeinde“
01.– Der niederländische Sozialist und Autor Jef Last
und Willy Brandt bei einer Solidaritätsveranstaltung für das republikanische Spanien, 1937.
Brandt setzt sich im Rahmen des norwegischen
Spanienkomitees in Wort und Schrift gegen Franco ein.
02.– März 1939: Der Spanische Bürgerkrieg ist zu
Ende. Foto: Spanische republikanische Flüchtlinge an der Grenzstation zu Frankreich.
03.– Seite aus dem NS-Organ „Illustrierter Beobachter“ von 1933. Da das Regime der Emigranten
physisch nicht habhaft werden kann, entzieht es
ihnen die deutschen Pässe und macht sie so zu
Staatenlosen.
04.– Seite aus dem „Deutschen Reichsanzeiger und
Preußischen Staatsanzeiger“ von 1938. Brandt
wird – um im Nazi-Jargon zu bleiben – „als Volksverräter aus der deutschen Volksgemeinschaft
ausgestoßen“. Einige Zeit war der Deutschen
Gesandtschaft in Oslo die Identität von Herbert
Frahm und Willy Brandt verborgen geblieben.
Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit ist
eine „gängige“ Maßnahme der deutschen Behörden gegenüber Emigranten, denen man „reichsfeindliche Aktionen“ im Ausland nachweisen
kann. Willy Brandt, der Deutschland nur mit
einer Aktentasche verlassen hatte, die ein paar
Hemden, den ersten Band des „Kapital“ und 100
Reichsmark enthielt, ist jetzt staatenlos und hat
keine gültigen Papiere. Brandt: „Ich kann mich
nicht daran erinnern, daß mich diese Veränderung meines Status sonderlich beeindruckt hätte. Ausbürgern heißt entnazen, hatte Bert Brecht
gesagt. Die Ausbürgerung hatte, unter den gege-
benen Umständen, für mich keine praktische
Bedeutung. Von meinem deutschen Paß, der bis
zum Sommer 1936 gültig gewesen war, hatte ich
sowieso keinen Gebrauch mehr gemacht. Immerhin, ich war nun einer von den schließlich
38.766 Deutschen – zusätzlich zu all den deutschen Juden, die nicht mal mehr dieser Prozedur
unterworfen wurden –, die nach Naziwillen in
aller Form nicht mehr Deutsche sein sollten. Für
die Urheber dieser Praxis war das nicht eine
bloße Formalität. Sie wollten die ‚Treulosen‘ ächten.“
05.– Deutsche Soldaten beseitigen einen polnischen
Schlagbaum. NS-Deutschland überfällt am 1. September 1939 Polen. Der Krieg wird bald zum
Weltkrieg.
06.– Auch das neutrale Norwegen wird von Deutschland 1940 angegriffen und besetzt. Hier: deutsche Truppen auf dem Marsch durch eine norwegische Ortschaft. Das Foto der am Straßenrand stehenden Norweger spricht für sich.
Carlota Frahm, Brandts erste Ehefrau, beschreibt
den deutschen Einfall im „Stern“ (1973): „Willy
kam sehr spät heim an diesem Abend. Es war der
8. April 1940. Draußen in den Straßen hatte es
seit früh an Gerüchte gegeben, daß die Deutschen eine Invasion machen wollten. Ich hatte an
diesem Tag erfahren, daß ich ein Kind bekommen würde. Als Willy endlich da war – er hatte
auf einer Emigrantenversammlung gesprochen
– war er so müde, daß ich ihm die Neuigkeit nicht
gleich erzählen wollte. Zehn Minuten später gab
es Luftalarm. Ich erzählte ihm während des
Alarms, er würde Vater. Er war froh. Wir wollten
im Oslo-Fjord ein Sommerhaus für die nächsten
Monate nehmen und zur Arbeit immer in die
Stadt fahren. Um sechs Uhr am nächsten Morgen
31
TAFEL 14
rief ein deutscher Emigrant an: Schiffe mit deutschen Soldaten hätten festgemacht. Willy mußte
fliehen. Einen richtigen Paß hatte er nicht mehr,
die deutsche Staatsbürgerschaft war ihm zwei
Jahre zuvor aberkannt worden. Mitnehmen konnte er nichts.“
07.– Entwaffnung gefangengenommener norwegischer Soldaten.
0
Brandt versucht nach Schweden zu entkommen,
sein Fluchtweg wird jedoch durch deutsche Truppen abgeschnitten. Paul René Gauguin, ein Enkel
des berühmten Malers Paul Gauguin, ist zu der
Zeit norwegischer Soldat. Er kennt Brandt aus
Spanien. Gauguin 1973: „Unsere Truppe lag in
einem kleinen norwegischen Tal mit nur einem
Ausgang... Da kamen plötzlich mehrere Personen vorbei, einer von ihnen sprach mich an:
‚Ach, du bist auch da.‘ Es war Willy. Er war aus
Oslo nach hier geflüchtet. Ich sagte ihm: ‚Willy,
das ist gefährlich hier. Das Tal hat nur einen Ausgang. Wenn dich die Gestapo findet, dann bist du
32
dran.‘ So habe ich ihm vorgeschlagen: ‚Du kannst
meine Uniform haben, ich will weg. Ich spreche
mit meinem Fähnrich, daß du in unsere Truppe
kommst. Du kannst so gut Norwegisch, daß es
den Deutschen nicht auffällt.‘ Ich habe ihm dann
meine Jacke, eine Hose, Mütze, mein Gewehr
und den Gürtel mit Patronentasche und Bajonett
übergeben. Die Sachen paßten nicht richtig. Die
Hose war zu kurz und die Jacke zu weit. Unsere
Jacken waren auch nicht gesäumt, verglichen
mit Deutschen sahen wir aus wie eine Armee von
Lumpensoldaten. Wenig später kam die Kapitulation. Alle lieferten ihre Waffen ab. Willy jedenfalls hatte bis dahin mit seinem Gewehr keinen
Schuß abgefeuert.“
08.– Vidkun Quisling, dessen Name zum Synonym für
faschistische Kollaborateure wird, führt in Nor0
wegen eine Marionettenregierung der Deutschen.
Die Aufnahme zeigt ihn Oktober 1945 in einem
Osloer Gefängnis.
TAFEL 15
Schweden und Norwegen
01.– Empfang norwegischer Flüchtlinge in einem
Stockholmer Büro. Nicht nur die staatenlosen
Emigranten, unter ihnen W. Brandt, sondern
auch die Norweger selbst flüchten in Scharen
nach Schweden, um sich vor der deutschen Besatzungsmacht zu retten.
Im August 1940 war Brandt die Flucht aus Norwegen nach Schweden gelungen. Brandt („Erinnerungen“): „Ich war ein freier Mann, der zum
zweitenmal eine Heimat verloren hatte und zum
zweitenmal Exil suchte und es zum erstenmal
nicht mehr ausschloß, daß Hitler den Krieg gewinnen könne; ein Deutscher, der nach Norwegen geflohen, und ein Norweger, der nach Schweden entkommen war.“ Willy Brandt („Links und
frei“): „Stockholm war – viel mehr als Oslo – ein
Zufluchtsort für Flüchtlinge aus allen Ländern.
Die meisten kamen freilich in den Okkupationsjahren aus Norwegen herüber: 3.000 waren es
im Herbst 1941, mehr als 10.000 ein Jahr später.
Im Frühjahr 1945, als der Krieg zu Ende ging,
zählte man in Schweden mehr als 100.000 Flüchtlinge, davon die Hälfte aus Norwegen. Dänen,
Finnen, Balten stellten die anderen großen Kontingente. Fünf Prozent, nicht mehr als 5.000 Menschen, verzeichnete die Statistik (im Frühjahr
1945) als ‚deutschsprachig‘. Dazu gehörten die
deutschen Sozialisten unterschiedlicher Prägung,
ein halbes Tausend an der Zahl; ein volles, wenn
man die Österreicher und Sudetendeutschen dazurechnete. Ich nahm lebhaft Anteil an dem, was
meine deutschen Schicksalsgefährten politisch
beschäftigte, hielt mich jedoch von unfruchtba-
rer Emigrantengeschäftigkeit soweit wie möglich fern. Das normale skandinavische Leben
war nahezu mein eigenes geworden. Publizistisch beschäftigte ich mich während der Stockholmer Jahre vor allem mit den Problemen Norwegens, das jetzt so viel Leid ertragen mußte.“
02.– Norwegische Flüchtlinge.
03.– Eine Stockholmer Kartei dokumentiert den norwegischen Exodus.
04.– Schweden will auf keinen Fall in den Krieg hineingezogen werden und neutral bleiben. Die
demokratische Tradition des Landes gebietet es,
die in Bedrängnis geratenen Nachbarn und andere europäische Antifaschisten aufzunehmen
und zu beschützen. Andererseits sieht sich Schweden von Deutschland unter gewaltigen Druck gesetzt, so daß die politische Tätigkeit der aufgenommenen Flüchtlinge in der ersten Phase des
Weltkrieges erheblich eingeschränkt wird. Die
Pressionen der NS-Regierung werden nach dem
deutschen Überfall auf die Sowjetunion so stark,
daß das neutrale Schweden selbst deutschen Truppentransporten durch das Land (s. Fotos) zustimmen muß.
Willy Brandt: „Die schwedische Neutralitätspolitik - während des Krieges von einer AllparteienRegierung betrieben, freilich ohne Kommunisten, mit dem legendären sozialdemokratischen
Landesvater Per Albin Hansson an der Spitze - ist
oft und zuweilen hart kritisiert worden... Und
dennoch, wer wollte sich anmaßen und bestimmen, daß der Preis der Neutralität zu hoch
gewesen sei? Der Druck aus Berlin war stark,
sehr stark, und im nachhinein erscheint es mir
wie ein Wunder, daß ihm so wirksam standgehalten werden konnte.“
33
TAFEL 15
05.– In London haben Norweger eine Exilregierung
gebildet. Hier: eine Sitzung des norwegischen
Staatsrats mit dem König Haakon VII. und dem
Exilministerpräsidenten Nygaardsvold (NAP).
06.– Schon vor 1940 hatte der staatenlose Willy Brandt
seine norwegische Einbürgerung beantragt. Jetzt
0
in London entspricht die Exilregierung seinem
Antrag (vgl. Dokument links). Die Staatsbürgerurkunde wird ihm in Stockholm überreicht. * Im
Oktober 1945 – die vom NS-Regime verfügten Ausbürgerungen werden in Deutschland nicht automatisch zurückgenommen – bestätigt Brandt
nochmals seine norwegische Staatsangehörigkeit.
Willy Brandts Haltung gegenüber Norwegen und
Deutschland beschreibt der Exilforscher Einhart
Lorenz („Willy Brandt in Norwegen“) folgendermaßen: „Brandts Engagement galt auch dem
Volk, dessen Machthaber ihn ausgebürgert hatten – ein Volk, an dessen Widerstand gegen den
Faschismus er glaubte und dessen Gleichsetzung mit den faschistischen Machthabern er immer wieder zurückgewiesen hatte. Nun waren beide Völker in der gleichen Lage, hatten die gleichen Interessen. Die Verbundenheit mit dem
einen Volk und Land stand nicht im Widerspruch
mit dem Gefühl des inneren Verpflichtetseins zu
einem anderen Land und Volk.“
TAFEL 16
Nazideutschland
01.– Treffen des „Führers“ mit dem Staatschef von
Vichy-Frankreich, Herbst 1940. Hitler versucht
vergebens, Pétain für einen Kriegseintritt Frankreichs auf deutscher Seite zu gewinnen. „Mit Europa gegen England“ ist sein Traum, der aber von
den meisten Europäern nicht geteilt wird. 1941
– die Invasion in Großbritannien hat nicht stattgefunden – überfällt Nazideutschland die Sowjetunion. Es wird ein Angriffskrieg, dessen Grausamkeit alles bis daher in der Geschichte Bekannte übersteigt.
02.– Sowjetische Gefangene auf dem Weg zu einer
Sammelstelle.
03.– Später: deutsche Gefangene in Moskau.
34
04.– Russische Partisanen werden erhängt.
05.– In den deutschen Konzentrationslagern (hier:
Selektion in Auschwitz) werden unzählige Ausländer, aber auch Deutsche ermordet.
06.– Im Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie. Hier: Eisenhower und Montgomery an
der französischen Küste.
07.– Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der am 20.
Juli 1944 das Attentat auf Hitler verübt und noch
am selben Tag erschossen wird. Alle dem NS-Regime noch zur Verfügung stehenden Machtmittel
werden im Reich gegen politische Gegner bzw.
vermeintliche politische Gegner eingesetzt. Die
NS-Justiz wütet.
08.– Roland Freisler, einer der Blutrichter des Volksgerichtshofes. *Das Gebäude des Volksgerichtshofes (heutige Aufnahme).
TAFEL 17
„Die Kleine Internationale“
01.– Willy Brandt mit Frau Carlota und Tochter Ninja
anläßlich der 1. Mai-Feier 1944 in Stockholm.
Carlota, geb. Thorkildsen, hatte er 1939 in Norwegen kennengelernt. Sie war ihm nach Schweden gefolgt. Geburtsjahr der Tochter Ninja in
Norwegen: 1940. Die Ehe wurde 1941 geschlossen, war aber schon bald zerrüttet. Die offizielle
Scheidung erfolgte 1948.
Brandt, seit August 1940 in Schweden, betätigt
sich vor allem publizistisch. Eine von ihm mitgegründete Presseagentur beliefert Zeitungen
und einen kleinen Kreis von Interessenten mit
Artikeln über den norwegischen Widerstand.
02.– Zwei Fotos von der Maifeier 1944 in Stockholm.
03.– Im schwedischen Exil schließt Brandt Freundschaft mit dem sozialistischen österreichischen
Emigranten Bruno Kreisky. Sie machen mit ihren Familien gemeinsame Ausflüge.
Auf dem Foto von links: Bruno Kreisky, Vera
Kreisky, Willy Brandt, seine Frau Carlota und
Tochter Ninja. Der nachmalige österreichische
Bundeskanzler Kreisky, seit 1938 im Exil in
Schweden, über sich und Willy Brandt: „Wir sind
damals enge Freunde geworden – eine Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre noch verstärkt
hat.“ Und: Brandt war „der hervorragendste Exponent der deutschsprachigen politischen Emigration, weil er in die skandinavische Landschaft
paßte; norwegisch sprach er wie ein Norweger, so
daß er nicht nur von der Norwegischen Arbeiterpartei, sondern von den Norwegern überhaupt als
einer der ihren betrachtet wurde. So wurde Willy
Brandt fast zwangsläufig zur repräsentativsten
Figur der deutschsprachigen Emigration.“
Willy Brandt, Carlota Brandt, Ninja Brandt bei der 1. Mai-Feier,
Stockholm, 1.5.1944
04.– Willy Brandt spricht vor der „Kleinen Internationale“ (Stockholm, Mai 1943). Rechts: Maurycy
Karniol, Mitglied der polnischen Sozialisten (PPS)
und Vertreter der polnischen Exilregierung (London) für Skandinavien. Die Sozialistische Arbeiter-Internationale (SAI) zerbricht de facto während des II. Weltkrieges. Aber schon zu dieser
Zeit denkt man, vor allem die britische Labour
Party und viele im Londoner Exil lebende europäische Sozialisten, an einen Wiederaufbau dieser Internationale. Solche Gedanken werden auch
in der 1942 zum ersten Mal in Schweden zusammengetretenen „Internationalen Gruppe demokratischer Sozialisten“ (die „Kleine Internationale“ genannt) erörtert. In dieser Gruppe treffen
sich ca. 60 Mitglieder verschiedener sozialisti35
TAFEL 17
scher Parteien und Gruppen aus Skandinavien,
Österreich, Polen, Ungarn, der CSR, Frankreich
und Deutschland zu Diskussionen über europäische Nachkriegsprobleme.
Brandt in „Draußen“: „Während meiner Kriegsjahre im neutralen Schweden hat es mir Freude
bereitet, daß ich – ermuntert durch meine norwegischen Freunde – einen Internationalen Arbeitskreis zusammenbringen konnte, in dem Sozialdemokraten aus über einem Dutzend Länder
regelmäßig miteinander diskutierten. Dabei ging
es auch um praktische Fragen; die Diskussionen
blieben nicht Selbstzweck, sondern erleichterten die Orientierung in einer verwirrten Zeit.
Manches fand seinen Niederschlag in späteren
politischen Entscheidungen.“ Bruno Kreisky:
„Willy Brandt vertrat auf eine sehr einprägsame
Weise neue politische Ideen für die Zeit nach
dem Krieg. Zudem hatte er die Fähigkeit, die sehr
divergenten Strömungen dieses so divergenten
Kreises zusammenzufassen.“
05.– Das Stockholmer Haus des Schwedischen Gewerkschaftsbundes LO, in dem vielfach Treffen
der „Kleinen Internationale“ stattfinden (Nachkriegsaufnahme).
06.– Brandt (zweiter von links) bei einer internationalen Diskussion in Stockholm, Februar 1944. Es
0
spricht Edmond Demaitre (Frankreich).
0
TAFEL 18
01.– Von links: die deutschen Emigranten Willy Brandt,
Franz Lorenz und Otto Piehl vor dem Wasa-Schloß
im mittelschwedischen Örebro, 1944. In Schweden nähert sich Brandt den Positionen der ExilSPD. Willy Brandt später: „Die Bestrebungen der
Stockholmer SAP-Gruppe, in der Landesgruppe
deutscher Sozialdemokraten aufzugehen, förderte ich nach Kräften; der Übertritt wurde im
Herbst 1944 vollzogen. Seither war ich auf diese
Weise wieder Mitglied der SPD.“
02.– Aus der publizistischen Tätigkeit Brandts in Schweden und Norwegen: Artikelmanuskript (Ausriß)
von 1943; Umschlagseite der Brandt-Broschüre
„Der Zweite Weltkrieg“ (in Stockholm hrsg.) und
Titelblatt des zweiten Bandes seines „Krigen i
Norge“ (Oslo 1945).
03.– Zwei Aufnahmen von der bedingungslosen Kapitulation NS-Deutschlands in Reims, 7.5.1945.
0
36
Am 9.5. kapituliert die deutsche Wehrmacht in
Karlshorst auch vor den Streitkräften der SU.
04.– Bahnhofsszene in Stockholm in der Zeit nach der
deutschen Kapitulation. Norwegische Flüchtlinge kehren nach Norwegen zurück.
05.– Die Osloer feiern begeistert die Rückkehr des
norwegischen Königs Haakon VII. aus London.
06.– Willy Brandt ist im Mai 1945 unter denen, die mit
dem Zug nach Oslo zurückfahren können. Er arbeitet weiterhin als Journalist, obwohl sich Gedanken über seine berufliche Zukunft einstellen.
Der norwegische Ministerpräsident Einar Gerhardsen (hier: links neben Brandt auf einem Foto
von 1965), der 1941 verhaftet und 1942 nach
Deutschland deportiert worden war, empfiehlt
ihm, nach Deutschland zu gehen und die Norweger „über die deutschen Dinge auf dem laufenden zu halten“.
TAFEL 19
Rückkehr nach Deutschland
01.– Im Oktober 1945 wird vor einem Internationalen
Militärgerichtshof in Nürnberg Anklage gegen
22 Hauptkriegsverbrecher erhoben. Der Prozeß
dauert von November 1945 bis Oktober 1946.
Brandt berichtet zeitweise darüber für die skandinavische Presse. Fotos: Blick auf die Angeklagten und Pressekonferenz in Nürnberg.
In „Mein Weg nach Berlin“ schildert Brandt seine Eindrücke von seiner ersten Reise nach Deutschland (Oktober 1945): „Die Begegnung mit dem
zerbombten Deutschland war wie eine jener
schrecklichen Visionen, die einen manchmal zwischen Schlaf und Wachsein überfallen: realer als
jede Realität, und gleichzeitig nistet irgendwo in
einem Winkel des Gehirns die Überzeugung, man
träume ja bloß und gleich werde der gespenstische Traum sich in Nichts auflösen. Doch die
surrealistische Vision der zerstörten Städte, der
ausgebombten und ausgebrannten Häuser, Straße auf und Straße ab, der Trümmerfelder, der
Berge von Schutt und Unrat, zwischen denen die
Menschen gleich Geisterwesen dahinhuschten,
die erbarmungslose Kälte, das unsägliche Elend
– nein, diese Vision ließ sich nicht abschütteln,
sie wurde von Minute zu Minute mächtiger, da
war nichts neben und außer ihr – sie umspannte
Himmel und Erde. Natürlich war ich auf dieses
Bild vorbereitet, natürlich hatte ich viele Argumente parat, die schlüssig bewiesen, warum es
so und nicht anders sein konnte – die wunden
Nerven, das verkrampfte Herz ließen sich nicht
beruhigen.“
02.– Zwei Presseausweise Willy Brandts von 1945
und 1946.
03.– Die Odeonstraße in Hannover wird in den ersten
Nachkriegsjahren zum Zentrum der in den Westzonen und Westberlin wiederentstandenen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
04.– Kurt Schumacher, der SPD-Vorsitzende, im Kreis
seiner engeren Hannoveraner Mitarbeiter, 1946.
0
Das Foto der Führungsspitze der 1945 wiederentstandenen SPD (der Westzonen) zeigt von
links: Egon Franke (wegen „Hochverrat“ 2 1/2
Jahre Zuchthaus, dann Strafbataillon), Kurt Schumacher (über 10 Jahre Gefängnis und KZ), Erich
Ollenhauer (12 Jahre Exil), Fritz Heine (12 Jahre
Exil), Alfred Nau (wegen „Hochverrat“ 14 Monate Gefängnis).
05.– Schumacher in Stuttgart, 1946.
06.– Eines der ersten Plakate der Nachkriegs-SPD.
07.– Die SPD unter Kurt Schumacher widersetzt sich
mit aller Kraft der Vereinigung mit der KPD. Daß
Schumacher den Standpunkt der meisten SPDMitglieder vertritt, wird am Beispiel Westberlins
deutlich. Hier – und nicht im Ostsektor – kann eine
Abstimmung durchgeführt werden, deren Ergebnis sich eindeutig gegen die von den Sowjets forcierte Gründung der SED richtet. Fotos: zwei SPDGeschäftsstellen in Westberlin während der „Urabstimmung“, März 1946.
37
TAFEL 20+21
Die frühere Reichshauptstadt
01.–
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0
38
Willy Brandt wird Anfang 1947 Presseattaché an
der Norwegischen Militärmission in der Berliner
Uhlandstraße. Die Militärmission – eher eine norwegische Ersatzbotschaft – ist beim Alliierten
Kontrollrat akkreditiert. Die Stadt, in die Brandt
kommt, ist vom Krieg schwer gezeichnet und in
vier Sektoren aufgeteilt. Zwar sind inzwischen
zivile deutsche Verwaltungen aufgebaut, aber die
letztendlichen Entscheidungen werden von den
Besatzungsmächten getroffen. Die Ost-West-Konfrontation wirkt sich in Berlin besonders aus.
Stadtkarte von Berlin (1947) mit Markierung der
Besatzungszonen.
Die Berliner Bellevuestraße, 1946 (?).
Flüchtlinge in Berlin, 1945.
Notspeisung im ehemaligen „Haus Vaterland“ am
Potsdamer Platz, 1945.
Amerikanische Besatzungssoldaten im Tiergarten, um 1946.
Englische und sowjetische Besatzungssoldaten
an gleicher Stelle.
Berliner „Trümmerfrauen“, 1945.
Kartoffelzuteilung.
In der Nähe der Reichstagsruine blüht der Schwarzmarkt, den auch Razzien (s. Foto) nicht beseitigen können.
Zigaretten und Schnapseinheiten ersetzen lange
Zeit die Währung in Ost und West. Foto: Geldwechsler am Zoo nach der Währungsreform von
1948.
11.– SPD-Plakat zu den Kommunalwahlen 1946 in
Groß-Berlin. Die SPD erhält in diesem Oktober
fast 50% der Stimmen, obwohl die SED (ca. 20%)
in jeder Hinsicht von einer Besatzungsmacht
bevorzugt wird.
12.– Sozialdemokratisches Plakat von 1946.
13.– Werbung für ein Berliner SPD-Blatt.
14.– Der sozialdemokratische Parteivorsitzende Kurt
Schumacher im Oktober 1946 in Berlin, begleitet
von zwei Besatzungsoffizieren.
15.– Kurt Schumacher im Gespräch mit dem Berliner
SPD-Landesvorsitzenden Franz Neumann. Links
von Schumacher: Louise Schroeder, die spätere
faktische Oberbürgermeisterin (1947/1948) von
Groß-Berlin. Aufnahme von 1946.
16.– Schumacher im Berliner Poststadion, 1946.
17.– SPD-Parteibüro im Ostsektor Berlins, 1946. Die
SPD in der Sowjetischen Besatzungszone besteht
nicht mehr. Nach dem Besatzungsstatut für Berlin müssen die Sowjets die Existenz einer SPD in
ihrem Stadtsektor hinnehmen. Mit dem Mauerbau 1961 ändert sich auch dies.
18.– Im März 1947 feiert der „Telegraf“ sein einjähriges Bestehen. Dieses Berliner Blatt vertritt vehe0
ment die Schumacher-Positionen im Kampf gegen die SED; es kann auch die Bevölkerung in der
SBZ erreichen. Auf dem „Jubiläums“-Foto links
neben K. Schumacher Paul Löbe, der frühere
Reichstagspräsident.
TAFEL 22
Der deutsche Sozialdemokrat
01.– Die Norwegerin Rut Hansen, die Willy Brandt
nach Berlin begleitet. Sie arbeitet wie er anfangs
in der Norwegischen Militärmission. Er hat sie
schon in Skandinavien kennengelernt und wird
sie 1948 heiraten.
Rut Hansen, „die Arbeitertochter aus Hamar,
der ich viel verdanke“ (Brandt), ist in Stockholm
an der Norwegischen Botschaft und direkt nach
dem Krieg in Oslo bei einer Illustrierten tätig.
Brandt: „Uns verband, über den Alltag hinaus,
die Herkunft aus ‚der Bewegung‘ und die Abscheu vor jeder Art von Gewaltherrschaft. Rut
überwand rasch die Distanz zu dem ihr fremden
Land. Sie gewann Freunde und identifizierte
sich mit den deutschen Grundproblemen, die ja
auch jene Europas waren.“
02.– Der gebürtige Elbinger Erich Brost (links) und
der „Telegraf“-Verleger Arno Scholz. E. Brost,
der bis zu seiner Emigration 1936 Journalist und
SPD-Parlamentsmitglied in Danzig gewesen war,
hatte nach seiner Rückkehr aus dem Londoner
Exil 1947 die Funktion des Vertreters des SPDParteivorstandes (Hannover) in Berlin ausgeübt.
Willy Brandt übernimmt in den ersten Januartagen 1948 diese Funktion. Seine Entscheidung,
für immer in Deutschland zu bleiben, war schon
vorher gefallen. Am 1. Juli 1948 ist er „in aller
Form“ (Brandt) wieder deutscher Staatsangehöriger.
Die Monate in Berlin (ab Anfang 1947) hatten in
Brandt den Entschluß reifen lassen, „mich ganz
der politischen Arbeit in Deutschland zu widmen. Der schwierige Ort konnte mir dabei nur
recht sein. Die norwegischen Freunde legten mir
Rut Hansen, die Norwegerin und spätere Ehefrau von Willy Brandt,
ca. 1943
39
TAFEL 22
nichts in den Weg und zeigten großes Verständnis für meinen Entschluß. Die Aufgaben in Berlin
waren faszinierend. Ihre Bedeutung für die Zukunft Deutschlands und für den Frieden der Welt
war vorauszusehen. Es fiel mir nicht schwer,
mich in den Parteirahmen einzugewöhnen. Die
eigene Entwicklung hatte in vieler Hinsicht zu
ähnlichen Ergebnissen geführt, wie sie die SPD
nunmehr ihrer Politik zugrunde legte. Auf einigen Gebieten durfte man darauf vertrauen, daß
weitere Erfahrungen zu noch reiferen Ergebnissen führen würden. Die Impulse meiner radikalen Jugend waren nicht zerstört. Aber ihnen war
vieles hinzugewachsen. Jetzt hatte ich mir auch
die Fähigkeit erworben, über die führenden Männer der Weimarer Zeit nicht mehr leichtfertig zu
urteilen, sondern Friedrich Ebert und seine
Freunde gemäß ihrem geschichtlichen Rang zu
würdigen.“ (Brandt in „Draußen“).
03.– Brief (Ausriß) von Brost an den Parteivorstand in
Hannover, November 1947.
40
04.– Brief (Ausriß) von Brandt an den PV in Hannover, Januar 1948.
05.– Artikel Brandts über einen Gewerkschaftskongreß in der Britischen Zone („Arbeiderbladet“
vom 22.8.1946).
06.– Artikel (Ausriß) Brandts über deutsche Gewerkschaften („Sozialistische Tribüne“, Stockholm
Mai/Juni 1946).
07.– Willy Brandt auf dem Nürnberger SPD-Parteitag,
1947. Das Originalfoto ist umseitig etwas irreführend „ Die von der Wasserkante“ beschriftet.
Zwar stammt der ehemalige Volksbeauftragte
und Reichstagsabgeordnete Wilhelm Dittmann
(X) aus Schleswig-Holstein, der frühere Reichsarbeitsminister Rudolf Wissell (XX) jedoch ist
Berliner, war allerdings vor dem I. Weltkrieg Arbeitersekretär in Lübeck.
08.– Parteitagsdelegierte in Nürnberg, 1947. Am Tisch
im Vordergrund u.a. Franz Neumann (links) und
Willy Brandt. Brandt nimmt als Gast am Parteitag teil.
09.– Ein frühes Nachkriegsfoto Brandts (undatiert).
0
TAFEL 23
01.– Währungsumstellung in Ostberlin, Juni 1948.
02.– Währungsreform in Westberlin, Juni 1948.
03.– Die Währungsreform in Westdeutschland und
damit das Auseinanderfallen Deutschlands in
zwei Wirtschaftsgebiete wird von den Sowjets
als Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen angesehen und zum Anlaß genommen, ganz Berlin
in ihren Herrschaftsbereich zu zwingen. Ab Juni
1948 blockieren sie die Zufahrt nach Westberlin.
In dieser Situation schaffen die Westalliierten
über eine „Luftbrücke“ die lebensnotwendigen
Güter nach Berlin. Fotos: Blockierte Kohlenzüge
aus Westdeutschland in Helmstedt. *Durch Sowjets besetzte Schleusen im Britischen Sektor
Berlins, 1949.
04.– Ernst Reuter (Bildmitte) nimmt nach der Spaltung der Stadt, Dezember 1948, den Platz des Regierenden Bürgermeisters ein. Prof. Reuter (SPD)
war während der Nazizeit in der Türkei gewesen.
Brandt über sich und den gebürtigen SchleswigHolsteiner Reuter: „Er und ich waren – politisch
und persönlich – nahe beieinander, fast ein Herz
und eine Seele. Ich galt als ‚sein junger Mann‘
und war stolz darauf, daß er mir Sympathie entgegenbrachte und ich ihm Stütze sein konnte.“
Zwanzig Jahre nach dem Tod Ernst Reuters
schreibt Brandt in der „Berliner Stimme“: „Die
geschichtliche Situation fand in Ernst Reuter den
Mann der Stunde. Weltbürger und Patriot, demokratischer Sozialist und Europäer, Volkstribun und Staatsmann, Kommunalpolitiker und
‚Chef‘ der geteilten alten Hauptstadt, politischer
Erzieher und Freund der schönen Künste – eine
reiche, differenzierte Persönlichkeit, die niemand
Ernst Reuter und Willy Brandt auf dem SPD-Parteitag, BerlinNeukölln, 28.10.1951
05.–
06.–
07.–
08.–
unbeeinflußt ließ, der ihr intensiv begegnete.“
Und: „Ernst Reuter wurde, wie wir uns erinnern,
von den Kommunisten fast mit einem pathologischen Haß verfolgt.“
Die Berliner SPD protestiert in einer Massenveranstaltung im Juni 1948 gegen die Blockade. Auf
dem Foto in der Nähe des Redners Reuter Willy
Brandt. Reuter: „Freiheit ist Odem unseres Lebens.“
Eine Aufnahme aus anderer Perspektive bei gleicher Gelegenheit.
Ein „Rosinenbomber“ landet in Tempelhof.
Brandt und Reuter auf einer Parteiveranstaltung
in Berlin-Neukölln, undatiert.
41
TAFEL 24
01.– Im September 1948 beginnt der Parlamentarische Rat in Bonn seine Beratungen über ein
Grundgesetz, das voraussichtlich nur für die
westlichen Besatzungszonen Geltung haben wird.
Zwei Aufnahmen von den Beratungen in der
früheren Pädagogischen Akademie. Unten: Halbtotale. Oben: u.a. das kommunistische Ratsmitglied Max Reimann. Bei der Abstimmung über
das Grundgesetz im Mai 1949 votieren zwölf Abgeordnete dagegen (unter ihnen CSU- und KPDVertreter).
02.– In Westdeutschland wird die Demontage von
Industrieanlagen (hier: Bochumer Verein, 1949)
allmählich eingestellt – nicht zuletzt dank der
Proteste der Gewerkschaften und der SPD.
03.– Aufnahme der durch Luftangriffe zerstörten
Braunkohle-Benzin AG in Magdeburg, 1945. Die
Sowjets bauen – wirtschaftlich unsinnig – in
ihrem deutschen Herrschaftsbereich auch Industriebetriebe ab, die dann in der SU keine Verwendung mehr finden.
04.– Erich Ollenhauer, der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende, bei der erwähnten Berliner Veranstaltung vom Juni 1948. Im Hintergrund: Willy Brandt.
05.– Auf einer Veranstaltung des SPD-Landesverbandes Berlin, 1948. Zweiter von links: der Politiker
und Gelehrte Prof. Carlo Schmid, der sich nach
Kriegsende der SPD angeschlossen hat. Er wird
1960 Brandt als Kanzlerkandidaten vorschlagen.
06.– Brandt bei gleicher Gelegenheit u.a. zusammen
mit Alfred Nau, dem „Hauptkassierer“ (Nau über
Nau) der Gesamt-SPD.
07.– Eingang der Humboldt-Universität in Berlin,
1946. Erklärtes Ziel der SED: die „Erstürmung
der Festung Wissenschaft“.
08.– Eingang der Freien Universität in Westberlin,
0
1949 (?). Die FU wird 1948 gegründet, weil die
Universität im Ostsektor schon zu sehr unter
kommunistischen Einfluß geraten ist.
TAFEL 25
Der Bundestagsabgeordnete
01.– Plakat aus dem Wahlkampf zum Ersten Deutschen Bundestag, 1949.
02.– SPD-Wahlveranstaltung in Gelsenkirchen, Juli
1949.
03.– Treffen Kurt Schumachers und Carlo Schmids
mit Konrad Adenauer. Das Wahlergebnis legt
eigentlich eine Große Koalition nahe. Schumacher
und Adenauer lehnen diese jedoch ab.
42
04.– Mit der denkbar knappsten Mehrheit wählt der
Deutsche Bundestag Konrad Adenauer (CDU) zum
Bundeskanzler (15.9.1949). Auf dem Bild von
links: der sozialdemokratische Innenminister von
Nordrhein-Westfalen Walter Menzel, Konrad Adenauer und der SPD-Ministerpräsident von Hessen Christian Stock. 1949.
05.– Pressekonferenz in Berlin, 1950. Von links: Willy
Brandt, Franz Neumann, Kurt Schumacher, Arno
Scholz und die Schumacher-Mitarbeiterin Annemarie Renger. Brandt 1961 über Schumacher:
TAFEL 25
„Schumacher hat zweifellos klarer als die allermeisten die Gefahren gesehen, die in einer kommunistischen Einheitspartei lagen.“
06.– Willy Brandt zieht 1949 als Berliner Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Durch Vorbehalt der Militärgouverneure zum Grundgesetz
hat „Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten“. Abbildungen: Text (Ausriß) der ersten Rede
Brandts im Deutschen Bundestag (24.3.1950).
* Eintragung zu Brandt im Handbuch des Ersten
Deutschen Bundestages.
Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher hatte
dem Schleswig-Holsteiner Willy Brandt den Wahlkreis Pinneberg vorgeschlagen. Brandt lehnt ab.
„Das hätte bedeutet, meine Zelte in Berlin abzubrechen, und gerade das wollte ich nicht. Um so
lieber machte ich von der Möglichkeit Gebrauch,
durch die damalige Stadtverordnetenversammlung als einer der acht Berliner Abgeordneten in
den ersten Bundestag entsandt zu werden.“ 1949/
1950 wird Brandt in Berlin Kreisvorsitzender
der Wilmersdorfer SPD, erhält ein Mandat im
Abgeordnetenhaus und wird Chefredakteur der
Parteizeitung „Sozialdemokrat“, die dann in „Berliner Stadtblatt“ umbenannt wird. Brandt über
den Beginn seiner parlamentarischen Tätigkeit
in Bonn: „Im Bundestag befaßte ich mich mit
auswärtiger Politik und sah meine vorrangige
Aufgabe im Ausschuß ‚Berlin und gesamtdeutsche Fragen‘, ging es doch hier um die Übernahme der Bundesgesetze und damit um die Bindung Berlins an den Bund...“
07.– Vom SPD-Parteitag in Hamburg, Mai 1950. Die
Aufnahme zeigt sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete der Weimarer Republik. Vorne: Rudolf Wissell und Paul Löbe. Dahinter: Lore Agnes,
Otto Braun (MdR und Preußischer Ministerpräsident) und Carl Severing. Hinten im Gespräch:
Heinrich Ritzel und Fritz Henßler.
08.– Brandt als Berliner Delegierter auf dem Hamburger Parteitag (im Hintergrund).
Auf diesem Parteitag übt der „Reuter-Mann“ Brandt
subtile Kritik an der Politik des Gesamtparteivorstandes: „Das politische Problem, so, wie es sich
vielen von uns darstellt, besteht doch wohl darin,
zu verhindern, daß wir alle die Widerstandskräfte gegen eine demokratisch-sozialistische Lösung in diesem Lande gegen uns zusammenschweißen. Unsere Aufgabe muß doch wohl in
erster Linie darin bestehen, das gegnerische Lager so stark wie möglich zu differenzieren, uns
zu stärken und das Zusammenwirken mit anderen Kräften zu ermöglichen.“
09.– Willy Brandt mit (von links) Franz Neumann,
Erich Ollenhauer und Arno Scholz. Undatierte
Aufnahme, wahrscheinlich in Berlin.
43
TAFEL 26
Kalter und Heißer Krieg
01.– Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher
stirbt am 20.8.1952. Hunderttausende säumen
die Straßen, als sein Leichnam von Bonn nach
Hannover überführt wird. Eine große Menschenmenge erweist ihm auf dem Friedhof die letzte
Ehre. In ganz Deutschland trauern Millionen um
den Mann, der wegen seiner Überzeugung zehn
Jahre in Nazi-Gefängnissen und -Konzentrationslagern verbringen mußte.
02.– Im September 1952 tritt Erich Ollenhauer die
Nachfolge als Parteivorsitzender an. Auf dem
Bild: Ollenhauer mit Wilhelm Mellies, der sein
Stellvertreter wird.
Erich Ollenhauer hatte den Exilparteivorstand
der SPD ab 1933 nach Prag, Paris und London
begleitet. Nach 1945 gehörte er zu den ersten sozialdemokratischen Emigranten, die in das zerstörte und hungernde Deutschland zurückkehrten. Brandt 1982 über seinen Vorgänger im Parteivorsitz: „Mit seiner natürlichen Neigung zum
Ausgleich erwarb Ollenhauer große Verdienste
für den Zusammenhalt der sich neu formierenden Partei. Mancher, der sich durch den Parteiführer rauh behandelt fühlte, konnte sich beim
Stellvertreter aussprechen und wieder aufrichten lassen. Intern hatte Ollenhauer in Partei und
Fraktion einen erheblich regulierenden Einfluß
auf Schumacher. Der bescheidene, auf viele eher
farblos wirkende Stellvertreter – seine Ausstrahlungskraft blieb hinter seinen koordinierenden
44
03.–
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08.–
0
und vermittelnden Fähigkeiten zurück – überraschte im Bundestag 1949 als ein Parlamentarier mit großem politisch-taktischem Gespür.
Unser Verhältnis blieb zunächst leicht unterkühlt und verbesserte sich erst im Laufe der
Jahre.“
In der Bundesrepublik erheben sich Proteste
gegen den geplanten Wiederaufbau von Streitkräften und deren Einbindung in ein westliches
Verteidigungsbündnis. Die „Remilitarisierung“ –
so die Opposition – werde die Teilung Deutschlands zementieren. Aufnahme: Protestdemonstration in Bonn, 1953.
Remilitarisiert wird auch in der DDR oder Ostzone, wie es damals heißt. Hier: eine Einheit der
Volkspolizei in Halle, undatiert.
In den 50er und 60er Jahren wird Europa durch
den „Kalten Krieg“ geprägt. An anderen Ecken
der Welt führt die Ost-West-Konfrontation zu
„Heißen Kriegen“. Nach der Schlacht von DienBien-Phu (vgl. Foto) 1954 haben die Franzosen
ihr Kolonialreich in Indochina faktisch verloren.
In Korea prallen Ost und West aufeinander. Die
bewaffneten Auseinandersetzungen dauern von
1950 bis 1953. Beschriftung der Aufnahme (Korea 1950): „Auf der Flucht vor den Roten“.
5. März 1953: Stalin ist tot. Seine möglichen
„Thronfolger“ sammeln sich um seinen Sarg.
Auf dem XX. Parteitag der KPdSU deckt Chruschtschow 1956 einen Teil der Stalinschen Verbrechen auf. Seine Rede darf im östlichen Machtbereich nicht veröffentlicht werden.
TAFEL 27
17. Juni 1953
01.– Willy Brandt im Gedankenaustausch mit Herbert
Wehner, der ebenfalls im schwedischen Exil gewesen und ab 1949 Mitglied des SPD-Parteivorstandes war; 50er Jahre.
Wehner, ursprünglich KP-Funktionär, ist durch
seine schrecklichen Erfahrungen im jahrelangen Moskauer Exil geprägt. 1941 beordern ihn
die Komintern und die Exil-KP nach Schweden.
Dort wird er wegen „Spionage für eine fremde
Macht“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Bereits vor seiner Festnahme in Schweden war er
aus der KP ausgeschlossen worden. Er selbst bricht
mit dem Kommunismus. Als der SPD-Vorsitzende
Kurt Schumacher ihn im Nachkriegsdeutschland
zu Führungsaufgaben in der Partei berufen will,
warnt Wehner ihn: Man werde ihm, Wehner, die
Haut bei lebendigem Leibe abziehen. „Du wirst
das aushalten“, antwortet ihm Schumacher. Seit
1949 gehört er dem Deutschen Bundestag an.
02.– Brandt unterrichtet den SPD-Vorsitzenden Ollenhauer über die Lage in Berlin. Der Bonner Parteivorstand ist über die Entwicklung in der DDR
äußerst beunruhigt.
03.– Am 17. Juni 1953 greift der Volksaufstand von
Ostberlin auf viele Städte der DDR über. Bild:
russische Panzer am 17. Juni in Ostberlin.
04.– Zwei Aufnahmen vom Streik in Halle und Magdeburg.
05.– Die aufgebrachte Menge stürmt Geschäftsstellen
der SED. Kommunistisches Agitationsmaterial
und Parteiakten werden vernichtet.
06.– Die Sowjetunion setzt zur Sicherung der SEDHerrschaft ihre Truppen ein.
07.– Die SED-Spitze demonstriert im Januar 1954
wieder Stärke.
08.– Ernst Reuter spricht vor einer SPD-Versammlung in Berlin, August 1953. Am 29. Juni hatte
der SPD-Parteivorstand erklärt: „Die Freiheitsdemonstrationen und Streiks der Arbeiter in der
Sowjetischen Besatzungszone und Ostberlin haben in aller Welt erschütternd den Nachweis
erbracht, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit das dringendste Anliegen aller
Deutschen ist. Wir rufen die demokratischen
Kräfte der ganzen freien Welt auf, die von der
Rachejustiz Betroffenen unter ihren Schutz zu
nehmen und auf die Regierungen zu wirken,
damit nichts unversucht bleibt, um die Verfolgten zu retten.“ Und: „Wenn die sowjetische Besatzungsmacht und ihre Bevollmächtigten in
Deutschland wirklich die Entspannung der politischen Lage wollen, müssen sie aufhören, dieses
Pankower SED-System oder einen neu aufgeputzten Ersatz zum Instrument ihrer Politik zu
machen.“
Brandt nachträglich 1960: „Am 1. Juli 1953 hat
dann der Bundestag in Bonn beschlossen, den
17. Juni zum ‚Tag der deutschen Einheit‘ zu erklären – leider ist er für viele im deutschen Westen
zu nicht mehr als einem zusätzlichen Ausflugstag geworden. Ich habe damals im Bundestag
eine Rede gehalten, die von vielen als zu scharf
empfunden wurde. Aber mich leitete nichts anderes als das leidenschaftliche Bemühen, die
Landsleute in der Zone nicht allein zu lassen.
Zunächst stellte ich fest, daß der Volksaufstand
in Ostberlin und in der Zone in erster Linie das
Werk jener Arbeiterschaft gewesen sei, die man
keinesfalls als eine graue Masse ohne eigenen
45
TAFEL 27
liegen, auf eine höhere Ebene gehoben.‘“ Brandt
weiter im Bundestag: „Es gibt keine andere Lösung als die friedliche Lösung der deutschen
Frage. Es gibt keine andere Möglichkeit als die
von Verhandlungen über die deutsche Frage.
Wir fordern mehr Aktivität, mehr Zielklarheit,
mehr Entschlossenheit im Kampf um die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit.“
Gestaltungswillen betrachten dürfe: ‚Diese Arbeiter haben sich nicht nur als Mitkämpfer, sondern als Vorkämpfer an der Spitze des Ringens
um die Einheit in Freiheit bewährt. Sie haben,
wie in allen großen revolutionären Krisen, den
Kampf um ihre unmittelbaren wirtschaftlichen
und sozialen Forderungen mit den Interessen
der gesamten Nation verknüpft und den Kampf
um die Einheit, um unser zentrales nationales An-
TAFEL 28
01.– Willy Brandt und Helmut Schmidt auf dem Berliner SPD-Parteitag im Juli 1954. Brandt (40 J.)
ist 1954 Bundestagsabgeordneter, seit 1951 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Mitglied des Berliner SPD-Landesvorstandes. Seine
Kandidatur für den Gesamtvorstand der SPD
scheitert allerdings im Juli 1954 wie die von Fritz
Erler. Der Hamburger Helmut Schmidt (35 J.),
seit 1952 Verkehrsdezernent der Hansestadt,
war 1953 in den Bundestag gekommen.
02.– Parteitagsdelegierte am Grab Ernst Reuters in
Berlin-Zehlendorf, Juli 1954.
Willy Brandt hatte etwa ein Jahr zuvor auf Wunsch
der Witwe die Totenrede auf Reuter gehalten.
Damals sagte er: „Selbst zweifeltest du nie am
Sieg der Freiheit. Deshalb vermochtest du denen, die mit dir arbeiteten, der ganzen Bevölkerung, aber vor allem wieder den jungen Menschen, Hoffnung zu schenken und Zuversicht
einzuflößen. Man hat dich manchmal einen überschwenglichen Optimisten genannt. Was wäre
wohl aus diesem Berlin geworden ohne unbeug46
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0
samen Willen und ohne den Glauben, der Berge
zu versetzen vermag!“
Willy Brandt, Otto Suhr und Franz Neumann.
Suhr (SPD), Volkswirtschaftler von Beruf, wird
im Januar 1955 Regierender Bürgermeister von
Westberlin, im selben Jahr Brandt Präsident des
Berliner Abgeordnetenhauses. Neumann ist MdB
und zugleich SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus.
Brandt im Bundestag, Mai 1956.
In den 50er Jahren boomt die westdeutsche
Wirtschaft (hier: VW-Produktion). Die Regierungsparteien profitieren politisch davon.
In Andernach werden 1956 die ersten deutschen
Soldaten vereidigt. Besuch des Bundeskanzlers
in Andernach.
SPD-Plakat von 1954.
Übung der Nationalen Volksarmee (DDR), 1957.
Der ungarische Aufstand vom Oktober/November 1956 erschüttert die Welt. Imre Nagy (Foto),
einer der Führer des Volksaufstandes und im Oktober ungarischer Ministerpräsident, wird 1958
TAFEL 28
hingerichtet. In Berlin versammeln sich im Oktober Hunderttausende, um ihrem Protest gegen
die Sowjets Ausdruck zu verleihen. Brandt in
seinen „Erinnerungen“: „Die Redner, Franz Neumann für die SPD, Ernst Lemmer für die CDU,
wurden ausgepfiffen und niedergeschrien. Man
wollte Taten sehen. Aus allen Ecken des Platzes
prasselten die Zurufe: ‚Zum Brandenburger Tor‘,
‚Zur Sowjetbotschaft‘, ‚Russen raus‘. Ich weiß
nicht, wie ich an das Rednerpult kam, an dem ich
nicht vorgesehen war. Ich weiß nur noch, daß ich
vor Parolen warnte, die unserer Sache ebensowenig nutzten wie der der unglücklichen Ungarn. Um einen wilden Marsch in den Ostsektor
abzuwenden, forderte ich die Menge auf, mit mir
zum Steinplatz zu ziehen und sich am Denkmal
für die Opfer des Stalinismus zu versammeln.
Dort fand ich Worte, die der Situation einigermaßen gerecht wurden...“
Willy Brandt und Erich Ollenhauer, 5.2.1954
47
TAFEL 29
Der Regierende
Bürgermeister
01.– Willy Brandt 1956 mit den Labour-Parlamentariern Alfred Robens (X), Wilfred Fienburgh (XX)
und Richard Crossman (XXX) zu Besuch bei der
Ostberliner SPD.
Die „Berliner Stimme“, das SPD-Organ, schreibt
am 21.4.1956 über diese Aufnahme: „Sehr erfreut waren die Sozialdemokraten in den Kreisbüros der Kreise Friedrichshain, Lichtenberg
und Prenzlauer Berg, als die Labour-Abgeordneten Robens, Crossman und Fienburgh mit Willy
Brandt in den Sekretariaten unserer Partei auftauchten. Sie hatten damit die Gelegenheit, unseren englischen Freunden ihre Sorgen und Nöte
an Ort und Stelle vorzutragen, zumal die LabourAbgeordneten sich insbesondere über das politische Leben unserer Partei im Ostsektor interessierten. Es war selbstverständlich, daß die Frage
der Hilfe für unsere inhaftierten Genossen einen
großen Teil der Unterhaltung einnahm. Völlig erschüttert waren unsere Gäste über die Haltung
der östlichen Justizbehörden, als sie das Schreiben des Ostjustizministeriums vom 16. März 1956
auf das Gnadengesuch der Mutter unseres inhaftierten Genossen Gerhard Sperling lasen, der
nun seit Anfang 1949 in Haft ist und über die in
der Haft verstorbenen Sozialdemokraten. Sehr
interessiert zeigten sich die Labour-Abgeordneten auch darüber, als ihnen erklärt wurde, daß
unsere bestraften Freunde alle nach der Kontrollratsdirektive 38 abgeurteilt wurden und somit den darin enthaltenen Sühnemaßnahmen
nach der Abbüßung ihrer Strafe unterliegen. Die
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Kontrollratsdirektive 38 ist die Grundlage zur
Bestrafung wegen faschistischer Betätigung. Sozialdemokraten, die während der 12 Jahre des
Hitlerreiches gerade und sauber ihren Weg gegangen sind, werden heute von den östlichen
Behörden danach bestraft. Welch ein Hohn liegt
darin. Die Ostberliner Sozialdemokraten beauftragten die Delegation, die englischen Freunde
zu grüßen und waren dankbar, daß sie sich um
die Sorgen und Nöte der Partei im Ostsektor Berlins bemühten. Ihr größter Wunsch kam in den
Worten zum Ausdruck: Die Verantwortlichen
der Welt mögen die Einheit Deutschlands so
schnell wie möglich wieder herbeiführen.“
Im Oktober 1955 entscheiden sich die Saarländer gegen das von Konrad Adenauer empfohlene
Saarstatut. Am 1.1.1957 wird das Saarland deutsches Bundesland. Die Aufnahme (Bildmitte) zeigt
den saarländischen Ministerpräsidenten und Sonderstatut-Befürworter Johannes Hoffmann (Christliche Volkspartei) am Tag nach der Abstimmung.
CDU- bzw. CSU-Plakat aus den Bundestagswahlen
1957.
SPD-Plakat aus dieser Zeit.
Im August 1957 stirbt Otto Suhr. Sein Nachfolger
als Regierender Bürgermeister wird im Oktober
d.J. Willy Brandt. Brandt in „Mein Weg nach Berlin“: „In den folgenden Tagen [nach dem Tod Otto
Suhrs] waren es die Berliner, die ihren Willen
durchsetzten, mich an der Spitze der Stadt zu
sehen. Nach einigem Hin und Her wurde ich von
meinen Parteifreunden fast einstimmig nominiert, vom Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit gewählt. Das war eine schwere Last, die ich da
übernahm. Aber ich durfte mich darüber nicht
beklagen. Ich hätte mir die Bürde ja nicht aufladen
zu lassen brauchen.“
TAFEL 29
06.– Der „Regierende“ spricht im Abgeordnetenhaus
zum „Bund der Berliner“, 1958.
07.– Brandt gibt in seinem Schöneberger Amtszimmer der NBC ein Fernsehinterview, 1958.
08.– Rut Brandt, inzwischen Mutter von zwei Söhnen,
steht ihrem Mann vor 1957 bei der politischen
0
Tagesarbeit zur Seite.
Jetzt hilft sie ihm bei der Wahrnehmung repräsentativer Pflichten.
09.– Sozialdemokratisches Frauenplakat von 1959.
10.– SPD-Plakat von 1958 mit einer Warnung vor Atomrüstung.
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, vor dem Rathaus Schöneberg, 12.9.1958
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TAFEL 30
„Macht das Tor auf“
01.– Auf dem SPD-Parteitag in Hannover, November
1960, bestimmt die Partei den erfolgreichen weltgewandten Regierenden Bürgermeister zu ihrem Kanzlerkandidaten. Zwei Aufnahmen von
Hannover. Carlo Schmid dort, immer wieder von
starkem Beifall der Delegierten unterbrochen:
„Der Vormann der Mannschaft heißt Willy Brandt!
Gestatten Sie mir hier ein persönliches Wort. Ich,
der ältere, habe ihn, den jüngeren, den jungen,
vorgeschlagen, denn im sechsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gehören in die vorderen Reihen junge Menschen! Wir Älteren haben ihnen
den Raum zu schaffen, in dem sie wirken können; wir haben ihnen zu raten und ihnen unsere
Erfahrungen zuzuführen. Aber die zweite Hälfte
des Jahrhunderts wird durch Leute dargestellt
werden müssen, die in diesen Tagen unter 50
sind. Was mich betrifft, Willy, ich werde immer
bei dir stehen, in Treue und Freundschaft.“
02.– Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR steigt und
steigt. Die „Abstimmung mit den Füßen“ stellt
Berlin vor große Probleme. Zwei Aufnahmen:
Flüchtlinge lassen sich in Westberlin registrieren. * In den Westhafen geflüchtete DDR-Schleppkähne.
03.– Willy Brandt 1961 auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin. Auf dem Foto links neben ihm
Pastor Heinrich Albertz, Chef der Berliner Senatskanzlei.
04.– Brandt auf dem Weg zu einem Gottesdienst in
einer Ostberliner Kirche anläßlich der Eröffnung
der Gesamtdeutschen Synode, 1960. Rechts im
Bild: Ernst Lemmer (CDU), Bundesminister für
Gesamtdeutsche Fragen.
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05.– Bei einer Veranstaltung im Berliner Olympiastadion. Vorne rechts: Franz Amrehn (CDU), zu der
Zeit Berliner Bürgermeister.
06.– Die Aktion des Kuratoriums Unteilbares Deutschland „Macht das Tor auf“ wird durch Willy Brandt
weltbekannt. Brandt und Berlin, Berlin und
Brandt sind im Ausland und auch für sehr viele
im Inland fast identisch. Aufnahme: Der Regierende Bürgermeister verkauft BrandenburgerTor-Abzeichen auf dem Kurfürstendamm, 1959.
* Die Kerzen im Fenster (hier: Heiligabend 1959)
sollen an die noch in Unfreiheit lebenden Deutschen erinnern.
07.– Der Regierende Bürgermeister (links: der indische Ministerpräsident Nehru) in Neu Delhi, 1959.
Er ist der Botschafter der geteilten Stadt.
08.– Begeisterter Empfang in New York, 1959: Die
New Yorker feiern ihn mit einer Konfettiparade
(Ticker-tape-Parade).
Der international bekannte Regierende Bürgermeister steht für die Freiheit Westberlins.
09.– Berlins führender Mann bei seiner Ankunft in
Tokio, 1959. Im Reisegepäck: die Brandenburger-Tor-Plaketten.
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, vor dem Brandenburger Tor, 25.8.1960
TAFEL 31
Die Bedrohung Westberlins
01.– Litfaßsäule mit Plakaten zur Wahl des Westberliner Abgeordnetenhauses, Dezember 1958.
02.– Wähler, 1958.
03.– Rut Brandt an der Wahlurne. Die SPD geht aus
den Wahlen als eindeutiger Sieger hervor. Ein
überwältigender Vertrauensbeweis auch für Willy
Brandt.
Obwohl die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus
über die absolute Mehrheit verfügt, entschließt
sich Brandt, die bisherige Koalition mit der CDU
fortzusetzen. Die erneute Bedrohung Westberlins
durch die SU erfordert eine möglichst breite Basis für seine Regierung.
04.– In der Ära Brandt versucht Berlin, wirtschaftlich, sozial und kulturell an die Rolle anzuknüpfen, die die Reichshauptstadt in der Weimarer
Republik gespielt hat. Foto: Premierenkino bei
den Internationalen Filmfestspielen in Berlin.
05.– Willy Brandt mit dem amerikanischen Schauspieler Sidney Poitier, 1960.
06.– Mit Marlene Dietrich, 1960.
07.– In einer Berlin-Note (November 1958) schlägt Nikita Chruschtschow vor, Westberlin den Status
einer entmilitarisierten Freien Stadt zu geben.
Dieser Vorschlag – mehr ein Ultimatum – wird
einmütig von den Westmächten, der Bundesrepublik und den Westberlinern abgelehnt. Die SPD
sucht dennoch das Gespräch mit dem sowjetischen Staatschef. Bild: E. Ollenhauer trifft
Chruschtschow in der UdSSR-Botschaft in Ostberlin, 1959.
Die Unterredung wird von seiten Ollenhauers im
Interesse der deutschen Einheit bzw. Wiedervereinigung geführt. Fast gleichzeitg veröffent-
licht die SPD ihren „Deutschlandplan“ (Autoren
u.a. Fritz Erler, Helmut Schmidt, Gustav Heinemann, Herbert Wehner), in dem Schritte zur
militärischen Entspannung beschrieben werden
und der ein Stufenmodell für die Wiedervereinigung enthält. Die völlig unbewegliche Bonner
Regierung reagiert mit dem Vorwurf der „politischen Unzuverlässigkeit“ der Oppositionspartei.
Adenauer: „Mit der SPD in den Abgrund.“
Brandt zu dem SU-Ultimatum: „Woher Chruschtschow den Glauben nahm, die Berliner würden
massenhaft aus der [Freien] Stadt fliehen und
diese als faule Frucht der DDR zufallen, habe ich
nie erfahren... Die angekündigte Freie nannte
ich eine vogelfreie Stadt und war dafür, hart gegenzuhalten. Der Zustimmung der Berliner fühlte ich mich sicher.“
Willy Brandt und Herbert Wehner, ca. 1960
51
TAFEL 32
Die Mauer
01.– Sozialdemokratisches Wahlkampfplakat, 1961.
02.– Die Gestaltung des Bundestagswahlkampfes der
SPD von 1961 ist im Vergleich zu früher erheblich moderner geworden.
03.– Eine Schmutzflut von Verdächtigungen und Verleumdungen ergießt sich über den Spitzenkandidaten der SPD. CDU und CSU „arbeiten“ mit Andeutungen, derweil – angeblich parteiungebundene – Hintermänner und -organisationen
die eigentliche Dreckarbeit verrichten. Hier: Titelblatt einer besonders widerwärtigen Wahlkampfpostille des Passauer Verlegers Kapfinger.
04.– Bis in die 70er Jahre dauern die verleumderischen Attacken gegen Brandt an. Hier: ein Plakat
der sog. Aktion Widerstand, das eine Gleichsetzung der beiden „Vaterlandsverräter“ (so der Jargon der Rechten) Willy Brandt (in norwegischer
Uniform) und Walter Ulbricht (in sowjetischer
Uniform) suggerieren soll.
05.– Konrad Adenauer und Franz-Josef Strauß (CSU),
1961. Adenauer spielt im Wahlkampf auf die
uneheliche Herkunft und die Namensänderung
Brandts an. Er nennt ihn konsequent Herrn Frahm,
alias Brandt. Strauß andererseits mobilisiert die
dumpfen Ressentiments gegen die „feigen Emigranten“: „Eines wird man doch Herrn Brandt
fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“
52
06.– Am 11. August 1961 wird die Schlußphase des
Bundestagswahlkampfes durch das Deutschlandtreffen der SPD in Nürnberg eingeleitet (vgl. Foto). Vorne von links: Fritz Erler, Waldemar von
Knoeringen (Vorsitzender des SPD-LV Bayern
und im PV der SPD für Bildung und Kultur zuständig), Käte Strobl (Mitglied des Parteivorstandes), Willy Brandt, Carlo Schmid und Erich Ollenhauer. Das Deutschlandtreffen ist kaum zu Ende,
als die Nachricht von der Abriegelung Westberlins eintrifft. Die Welt ist erschüttert. Brandt
unterbricht seinen Wahlkampf und eilt nach
Berlin zurück.
07.– In den Augusttagen in Berlin: Sechs Aufnahmen
vom Bau der Mauer und von flüchtenden Ostberlinern.
08.– Berlins Regierender Bürgermeister am 13.8.1961
an einer von Volksarmisten errichteten Straßensperre.
09.– Verzweiflung und Wut der Westberliner sind
kaum zu beschreiben. Brandt gelingt es, einerseits der Empörung Ausdruck zu geben, andererseits die Massen von einem spontanen Marsch
auf Ostberlin abzuhalten. Foto: Brandt spricht
am 16.8.1961 auf einer Protestkundgebung vor
dem Schöneberger Rathaus. Über Rundfunk beschwört er die Westberliner: „Lassen Sie sich
nicht fortreißen, ergeben Sie sich nicht der Verzweiflung! Wir werden uns niemals mit der widernatürlichen Spaltung abfinden, auch wenn
die Welt voll Teufel wäre.“
TAFEL 33
01.– Konrad Adenauer, Kontrahent Brandts bei den
kommenden Wahlen, reagiert mit äußerster Zurückhaltung auf den Mauerbau. Er kann sich am
22.8.1961 dazu entschließen, seinen Wahlkampf
zu unterbrechen und sich in Berlin über die Lage
zu informieren. Auf dem Foto links neben Brandt
Egon Bahr, sein politischer Vertrauter und seit
1959 Leiter des Presse- und Informationsamtes
Westberlin.
02.– US-Präsident John F. Kennedy schickt seinen
Stellvertreter Lyndon B. Johnson nach Berlin. Er
trifft dort drei Tage vor Adenauer ein. Brandt
später: „Der Texaner stellte die West-Stadt für
anderthalb Tage auf den Kopf und stabilisierte
die Stimmung.“
Obwohl sich Brandt in dieser Krisenzeit als umsichtiger und besonnener politischer Führer erweist, geben die Deutschen bei den Septemberwahlen dem „Altbewährten“ den Vorzug. Die SPD
kann ihren Stimmenanteil steigern, aber es reicht
nicht zur Regierungsbildung.
03.– In einer regelmäßigen Sendung (1957-1966) „Wo
uns der Schuh drückt“ nimmt sich Brandt der
Sorgen und Nöte der Berliner Bevölkerung sowie
allgemeiner politischer Probleme an. Die Sendung ist sehr beliebt (Manuskriptauszug) und
wird fast ausschließlich über den RIAS ausgestrahlt. Fotos: RIAS-Gebäude und Brandt in einer vom RIAS übertragenen Diskussion mit Schülern.
04.– Vopo-Transparent (Videoprint) am Brandenburger Tor „Nicht frech werden, Herr Brandt, wir
sind gute Schützen.“ In einer RIAS-Sendung hatte Willy Brandt die Grenzsoldaten aufgefordert,
daneben zu schießen (vgl. Manuskriptauszug
unter 3).
05.– Von DDR-Grenzern erschossener Flüchtling wird
aus einem Berliner Hafen auf Ostseite geborgen,
August 1961.
06.– Der Regierende Bürgermeister auf einer spontanen Protestversammlung wegen eines blutigen
Zwischenfalls an der Mauer, August 1962.
07.– Wachablösung vor dem Gefängnis in Spandau,
die einzige gesamtdeutsche Verwaltung der Alliierten, die einigermaßen funktioniert. Sie erstreckt sich ab 1966 auf einen einzigen Häftling,
Rudolf Heß, den „Führerstellvertreter“, für dessen Freilassung sich Brandt später aus humanitären Gründen einsetzt.
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TAFEL 34
Kennedy
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Willy Brandt beim Richtfest einer Wohnsiedlung
in Berlin-Kreuzberg. Die Stadt unter Brandt
strengt sich an, der großen Wohnungsnot Herr
zu werden. Diese Wohnungsnot erklärt auch
zum Teil die architektonischen Sünden, die in
Westberlin begangen werden.
In Ostberlin fehlt es an Kapital und Baumaterialien, die verfallenden Häuser zu restaurieren
und genügend neue Wohnungen zu errichten.
In der Stalin-Allee, später Karl-Marx-Allee (vgl.
Aufnahme), entstehen „Arbeiterwohnungen der
Zukunft“. Diese kostspielige Bauweise wird jedoch zugunsten der Plattenbauten fallengelassen.
Robert und Ted Kennedy besuchen 1962 die
Stadt.
Robert Kennedy, Willy Brandt, Egon Bahr und
der Berliner Senator für Bundesangelegenheiten Klaus Schütz im Schöneberger Rathaus.
Im Juni 1963 ist es so weit: Der amerikanische
Präsident John F. Kennedy kommt nach Berlin.
Seine Fahrt durch die Stadt (vgl. Foto mit Willy
Brandt und Konrad Adenauer) wird zu einem
wahren Triumphzug. Brandt: „In der Geschichte Berlins war solch ehrlicher Jubel noch keinem Gast zuteil geworden.“
06.– Fahrt durch Berlin.
07.– Besichtigung der Mauer am Brandenburger Tor.
08.– Kennedy bei seiner berühmten Rede („Ich bin ein
Berliner“) vor dem Schöneberger Rathaus am
26.6.1963. Er schafft es, den Westberlinern ein
Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und stärkt den
Willen der Stadt zur Selbstbehauptung. Brandt
spricht davon, daß John F. Kennedy eine „ungewöhnliche Persönlichkeit mit einer ungewöhnlichen Ausstrahlung“ gewesen sei. Brandt in diesem Zusammenhang: „Schon bevor Kennedy
nach Deutschland aufbrach, hatte er – am 10.
Juni in Washington – seine Rede über die ‚Strategie des Friedens‘ gehalten. Ich wertete sie als
bedeutenden Versuch, das Verhältnis zwischen
Ost und West ohne Illusion zu verändern. Als Versuch, das Gleichgewicht des Schreckens zu ersetzen durch die friedliche Lösung von Problemen.“
09.– Menschenmassen vor dem Rathaus.
TAFEL 34
John F. Kennedy und Willy Brandt: Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten in Deutschland. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, begrüßt John F. Kennedy in Berlin, 26.6.1963
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TAFEL 35
Wandel durch Annäherung
01.– Erich Ollenhauer (rechts) besichtigt 1962 die
Trümmer des Gebäudes in der Berliner Lindenstraße, in der Weimarer Republik Sitz des SPDParteivorstandes und des sozialdemokratischen
Zentralorgans „Vorwärts“.
02.– Willy Brandt und Egon Bahr nach einer Fernsehsendung. Die Evangelische Akademie Tutzing erlebt im Juli 1963 die „Geburtsstunde“ der neuen
Ostpolitik. Brandt dazu: „Egon Bahr machte mit
seiner Tutzinger Rede Furore, die von ‚Wandel
durch Annäherung‘ handelte und in der er unsere
gemeinsamen Überlegungen in prägnanter Form
zusammenfaßte.“ „Meine eigene Rede vor der
Evangelischen Akademie Tutzing war nicht auf
außenpolitische Erwägungen beschränkt, sie
versuchte vielmehr eine kritische Gesamtwürdigung deutscher Politik. Dennoch lag mir an der
auswärtigen Politik und ihren Möglichkeiten besonders. Ich knüpfte an Kennedy an und wünschte
mir für den Westen: ‚Die gemeinsame Politik muß
darauf ausgehen, die Sowjetunion zu der Einsicht zu bringen, daß ein Wandel in ihrem eigenen Interesse liegt.‘“ Brandt in Tutzing: „Unsere
Alternative zur Mauer ist die Fähigkeit zu dieser
offenen und aktiven Auseinandersetzung und
unsere ernste Bereitschaft, unseren Teil dazu beizutragen, daß der Friede gesichert wird.“
Willy Brandt ist inzwischen seit 1958 Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Berlin. Er hat sich
gegen Franz Neumann durchgesetzt. Im selbem
Jahr wird er – nach mehreren Anläufen – Mitglied des sozialdemokratischen Gesamtvorstan-
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des. Ab 1962 ist er der Stellvertreter Erich Ollenhauers im Parteivorsitz. Seine Neuformulierung
einer deutschen Politik, die mit dem Schlagwort
„Wandel durch Annäherung“ nur unzulänglich
beschrieben ist, wird in seiner Partei nicht überall verstanden. In einer Rezension von Gunter
Hofmann: Willy Brandt. Porträt eines Aufklärers
aus Deutschland (Brandt: ...“ein nicht unkritisches, aber einfühlsames, weder einebnendes
noch überhöhendes Büchlein“) schreibt Brandt
1988: „Aus der Rolle der ersten Person werde ich
hinzufügen dürfen, daß ich es für einen Irrtum
halte, wenn Hofmann geneigt ist, mich erst nach
meiner Berliner Zeit als politisch eigenständig
gelten zu lassen: In Berlin seien Brandts politische Konturen ‚unscharf geblieben‘, als Regierender Bürgermeister habe er obendrein ‚sämtliche antikommunistischen Rituale und die dazugehörige Rhetorik‘ mitgemacht – woran wohl
etwas ist. Aber etwas mehr geschichtliche Einordnung könnte auch nicht schaden. Denn ich
gebe zu bedenken: Die Berliner hätten wenig von
einem Bürgermeister gehabt, der nicht fähig
und entschlossen gewesen wäre, sich seiner und
seiner Landsleute Haut zu wehren. Die Zeiten
standen damals auf alles mögliche, nur nicht auf
Glasnost. Aber Reuter, Brandt und ihre Freunde
haben sich auch nie mit der Zerreißung Europas
abgefunden; wir sind Europäer geblieben. Zusätzlich zu dem Lehrgeld, das ich nicht sinnlos
im Exil entrichtete, hat mich gerade die Berliner
Erfahrung befähigt, Ostpolitik im Übergang zu
den siebziger Jahren nicht nur zu begründen, sondern auch gegen erheblichen Widerstand durchzusetzen.“
TAFEL 35
03.– Eine Wagenkolonne mit Willy Brandt kehrt aus
Ostberlin zurück. Seit 13.8.1961 ist Ostberlin
gegenüber Westberlin hermetisch abgeschottet.
Westberliner können nicht einmal ihre engsten
Verwandten im Ostteil der Stadt besuchen. In
dieser Situation läßt Brandt über sog. Passierscheine verhandeln. Die Verhandlungen werden
von Bonner Regierungsseite mit Argwohn beobachtet, vermutet man doch hinter der ganzen
Wortakrobatik ein kleines Stückchen Anerkennung des DDR-Regimes. Brandt sind andere Dinge wichtiger: die menschlichen Erleichterungen.
4.+5.
06.–
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Im Dezember 1963 kann ein Passierscheinabkommen mit Ostberlin abgeschlossen werden.
Dieses Abkommen wird in der Folgezeit mehrfach verlängert. Westberliner Besuche in Ostberlin sind wieder möglich.
Passierscheinausgabe.
Passierscheinformulare.
Westberliner auf dem Weg in den Ostsektor.
Ein Wiedersehen.
Brandts politisches Ziel: die Mauer durchlässig
zu machen und letztlich ganz zum Einsturz zu
bringen.
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TAFEL 36
Der sozialdemokratische
Parteivorsitzende
01.– Der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther
King ist im September 1964 auf Einladung Willy
Brandts in Berlin. Beide nehmen an einer Gedenkfeier für den ermordeten amerikanischen
Präsidenten Kennedy teil.
Der Pfarrer und Friedensnobelpreisträger von
1964 wird 1968 von einem weißen Rassisten ermordet.
02.– Im Dezember 1963 stirbt der SPD-Vorsitzende
Erich Ollenhauer. Aufnahme: Der Trauerzug in
Bonn.
Brandt in einer Rede anläßlich der Beisetzung in
Bonn: „Die Kinder der großen Familie, die aus
der alten deutschen Arbeiterbewegung hervorgegangen sind, stehen an diesem offenen Grab.
Für uns alle ist Erich Ollenhauer viel zu früh abberufen worden. Aber er hat doch einen langen
Weg hinter sich gebracht. Entbehrung, Not und
Verfolgung hatte er kennen gelernt. Bittere Stunden mußte er außerhalb der Heimat erleben.
Zurückgekehrt, gab er alles für seine, für unsere
Partei. Er arbeitete für seine, für unsere Partei in
dem Bewußtsein, damit zugleich seinem, unserem Vaterland zu dienen. Erich Ollenhauer hatte
das schwere Erbe zu tragen, das auf seine Schultern kam durch Ferdinand Lassalle, August Bebel, Friedrich Ebert, Otto Wels und Kurt Schumacher. Er trug dieses Erbe mit einer bewundernswerten Kraft der inneren Ruhe. Und mit der ihm
eigenen Leidenschaft für das Maß. Ihn trug das
Feuer der Liebe zur Freiheit. Unter seiner Führung
gewann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das Gesicht, das der Zukunft zugewandt ist.“
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03.– Auf dem außerordentlichen SPD-Parteitag in Bad
Godesberg (Februar 1964) wird Willy Brandt mit
übergroßer Mehrheit zum dritten Nachkriegsvorsitzenden der SPD gewählt. Foto: Greta Wehner
umarmt Brandt.
04.– Die Vorgänger ab 1863 (oben von links): Ferdinand Lassalle, August Bebel, Friedrich Ebert,
Hugo Haase, Hermann Müller, Otto Wels, Hans
Vogel, Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer.
F. Lassalle (1825-1864) hatte 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet und war dessen Präsident gewesen. A. Bebel
(1840-1913) hatte die SPD seit den 70er Jahren
des vorigen Jahrhunderts bis zu seinem Tod faktisch geführt. Seine Nachfolger waren Friedrich
Ebert (1871-1925) und Hugo Haase (1863-1919).
In der Weimarer Republik wurde die Partei geführt von Hermann Müller (1876-1931) und Otto
Wels (1873-1939). Wels und Hans Vogel (18811945) leiteten die Exil-Partei – „mit dem Gesicht
nach Deutschland“, wie es einmal ein sozialdemokratischer Journalist ausgedrückt hat. Die Lebensdaten der beiden Nachkriegsvorsitzenden: Schumacher (1895-1952) und Ollenhauer (1901-1963).
05.– In den Bundestagswahlkampf von 1965 zieht
Brandt wiederum als Kanzlerkandidat der SPD.
Vier Aufnahmen aus dem Wahlkampf.
06.– Brandts Kontrahent: Die Symbolfigur des deutschen „Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard,
der seit 1963 Bundeskanzler ist. Linke Schriftsteller und Intellektuelle werden von ihm als
Pinscher bezeichnet. Brandt verliert die Wahl,
obwohl die SPD einen Stimmenanteil von 3,1%
hinzugewinnen kann. Der Wahlausgang ist für
Brandt eine tiefe politische und menschliche
Enttäuschung, nur langsam kann er sich aus
seiner Depression befreien.
TAFEL 36
Willy Brandt während der Maikundgebung auf dem Platz der Republik, Berlin, 1.5.1963
59
TAFEL 37
„Ich bin und bleibe Berliner“
01.– Eine leichte Wirtschaftsdepression in den Vereinigten Staaten (hier: historisches Foto von amerikanischen Arbeitslosen) hat Einfluß auf das
Wirtschaftsgeschehen in der Bundesrepublik.
Die Arbeitslosenzahlen nehmen zu, Prof. Erhard
verliert bei den an ständiges Wirtschaftswachstum gewöhnten Bundesrepublikanern an Popularität. Die FDP verläßt die Regierungskoalition.
SPD und CDU/CSU nehmen Koalitionsverhandlungen auf, an deren Ende im Dezember 1966
die Bildung der Großen Koalition steht.
02.– Zwei Aufnahmen von den Koalitionsverhandlungen.
In der Öffentlichkeit wird kolportiert, man habe
Brandt die Koalitionsentscheidung aufgezwungen. Er sagt dazu in „Begegnungen und Einsichten“ (1976): „Ich habe sie mitgetragen und vor
den entsprechenden Parteigremien vertreten.
Aber einige meiner besten Freunde – auch außerhalb der Partei – waren entsetzt. Für sie war
es ein schwacher Trost, daß ich nicht enthusiastisch war und daß gegenüber der FDP die Formen gewahrt wurden. [...] Nachdem wir uns mit
der CDU/CSU über die Regierungsbildung grundsätzlich geeinigt hatten, mußte ich mir über die
Art meiner eigenen Mitwirkung schlüssig werden. In den Vorgesprächen, die zunächst zwischen Wehner und Kiesinger, dann unter vier
Augen zwischen mir und dem Kanzlerkandidaten der Union geführt wurden, stand mein Vorschlag zur Erwägung, daß ich neben der Vizekanzlerschaft das Forschungsministerium über-
60
nehmen könne. Die Aufgabe, die manche Chance
einer Mitformung der Zukunft zu bieten schien,
hätte mich gereizt; sie hätte mir überdies für den
Parteivorsitz der SPD, der ja auch keine Halbtagsbeschäftigung ist, mehr Zeit gelassen als das Amt
des Außenministers. [...] Meine Kollegen freilich
bestanden darauf, daß ich dem Kabinett angehören müsse, und zwar als Außenminister und Vizekanzler. [...] Strauß wurde als Regierungsmitglied
nur widerwillig akzeptiert. Ich nahm die Bedenken gegen ihn ernst. Freilich kann bei der Bildung von Koalitionen die eine Partei in der Regel
die Personalvorschläge der anderen nicht blokkieren. Personelle Freiheit der Partner ist eine
stillschweigende Voraussetzung. [...] Im Dezember 1966 schrieb ich in einem Brief an die Mitglieder meiner Partei, ich wisse das Vertrauen all
jener zu schätzen, die uns ermuntert hätten, den
Versuch der Regierungsbildung unter sozialdemokratischer Führung zu machen. Sie sollten
sicher sein: nicht Mangel an Mut habe uns von
diesem Versuch abgehalten: ‚Ein kalkuliertes Risiko wäre zu rechtfertigen gewesen, aber ein Abenteuer durften wir weder unserer Partei noch unserem Volk zumuten.‘“
03.– Willy Brandt und Kurt Georg Kiesinger geben am
Abend des 26.11.1966 die Ergebnisse der Verhandlungen bekannt.
04.– Das Kabinett der Großen Koalition von CDU/CSU
und SPD mit Bundespräsident Heinrich Lübke.
Neben Bundeskanzler Kiesinger der Außenminister Willy Brandt. Der eigentliche Architekt der
Großen Koalition, Herbert Wehner, ist jetzt
Bundesminister für Gesamtdeutsche Angelegenheiten, Dezember 1966.
TAFEL 37
05.– Abgesehen von Sohn Peter zieht die Familie
Brandt von Berlin nach Bonn. „Ich bin und bleibe
Berliner“, mit diesen Worten verabschiedet sich
Brandt aus dem Schöneberger Rathaus. Hier:
eine Berliner Familienaufnahme von 1961. Links:
Peter (geb. 1948) und Lars (geb. 1951), Rut Brandt
hält den jüngsten Sohn Matthias (geb. 1961) im
Arm.
06.– Die Regierungsbeteiligung stellt die SPD vor eine
gewisse Zerreißprobe. Manche in der Partei wären lieber mit der FDP zusammengegangen, andere hätten ein Verbleiben in der Opposition vorgezogen. Einige Gesetzesvorhaben der neuen Koalition – so die Notstandsgesetzgebung – stoßen auf
erheblichen Widerspruch. An den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze (hier: Bonn,
Mai 1968) beteiligen sich viele SPD-Mitglieder
und Gewerkschafter.
07.– Brandt ist in der Lage, einige seiner außenpolitischen Vorstellungen (Öffnung nach Osten) behutsam in die Praxis umzusetzen. Der sowjetische Einmarsch in die Tschechoslowakei (hier:
Aufnahme aus Prag, August 1968) scheint allerdings den Kalten Kriegern recht zu geben.
08.– Trotz des Einsatzes von US-Truppen in Vietnam
können die Kommunisten des Nordens nicht
besiegt werden. Die Nachbarländer Vietnams
werden in den Krieg hineingezogen. Aufnahme:
laotische Flüchtlinge.
Willy und Rut Brandt mit den Söhnen Peter, Lars und Mathias,
15.10.1961
61
TAFEL 38
01.– Manuskript(teil) eines Brandt-Interviews mit der
„Welt am Sonntag“, Juni 1968.
02.– Die sog. Hallstein-Doktrin wird durchlöchert.
Brandt macht Peter Blachstein (früher SAP, jetzt
SPD; auf dem Foto zweiter von rechts) zum
Botschafter der Bundesrepublik in Belgrad. Die
Beziehungen zwischen der BRD und Jugoslawien waren abgebrochen worden, als Belgrad 1957
die DDR anerkannt hatte.
03.– Der französische Staatspräsident Charles de
Gaulle mit Kiesinger und Brandt in Paris, 1968.
04.– Nürnberger SPD-Parteitag, März 1968: Vor dem
Eingang haben sich Gegner der Großen Koalition
versammelt. Willy Brandt bahnt sich einen Weg
durch die erregte Menge.
05.– Die Opposition innerhalb der Partei wendet sich
scharf „gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam“. Aufnahme von 1968: Zweiter von links
Harry Ristock, der prominente linke Berliner Sozialdemokrat.
62
06.– Die linke Studentenbewegung und die außerparlamentarische Opposition, von einigen Medien
verständnislos mit Schmähungen überzogen,
erhält enormen Zulauf. Rudi Dutschke, einer der
APO-Führer, wird zur Haßfigur des rechten und
konservativen Lagers. Aufnahme links: Rudi
Dutschke in einer Diskussion mit Johannes Rau,
dem sozialdemokratischen Vorsitzenden der
Landtagsfraktion von NRW. Rechts: Dutschke in
der Bremer Stadthalle.
07.– Zwei Bilder von den Demonstrationen anläßlich
des Attentats auf Rudi Dutschke, Ostern 1968.
08.– Autoritäten der Antiautoritären: Martin Niemöller
(Zweiter von links).
09.– Ernst Bloch.
10.– Der Außenminister spricht im Bundestag, 1967.
11.– Der Republikaner Richard M. Nixon wird Anfang
1968 US-Präsident. Aufnahme: Nixon im Februar 1969 in Westberlin. Der Regierende Bürgermeister Schütz erläutert die Lage an der Mauer.
12.– Leonid Breschnew, der sowjetische KP-Chef, besucht Ostberlin zum 20. Jahrestag der DDR.
TAFEL 39
Der sozialdemokratische
Bundeskanzler
01.– Ein Stück „Machtwechsel“ (Heinemann) bahnt sich
an. In einer Halle des Messegeländes am Berliner Funkturm wartet man auf das Ergebnis der
Wahlen zum Bundespräsidenten. Zwei Aufnahmen vom März 1969.
02.– Der neue Bundespräsident Gustav Heinemann
(hier mit seiner Frau Hilda) ist Sozialdemokrat.
Bei seiner Kandidatur findet er die Unterstützung
der Freien Demokraten.
Der „Vorwärts“ (Nr. 11, 1969) ortet nach der Wahl
Heinemanns „schrille Unsicherheit“ in der CDU/
CSU und schreibt: „Die Unionspolitiker würden gut
daran tun, nicht auf die ‚Anti-Koalition‘ (wie einer
ihrer Freunde es nannte) der Ostpreußenhalle zu
starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wahr
ist freilich dieses: Heute ist keine rechnerisch mögliche Koalition zwischen demokratischen Parteien
politisch unmöglich. Wahr ist auch dieses: Die Freien Demokraten haben sich in einem neuen Lichte
gezeigt – und dies hat jedermann, einschließlich
der Sozialdemokraten, wahr-genommen.“
03.– Heinemann als Bundesinnenminister im Kabinett
Adenauer (Bildausschnitt), 1949. Der Mitgründer
der CDU verließ 1950 wegen der geplanten Wiederbewaffnung die Bundesregierung. Heinemann
zu Adenauer: „Das mache ich nicht mit.“ 1952
war er aus der CDU ausgetreten und hatte sich
fünf Jahre später der SPD angeschlossen.
04.– Im Bundestagswahlkampf 1969 findet Willy
Brandt die Unterstützung einer „Sozialdemokratischen Wählerinitiative“ (SWI), in der viele bekannte Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler,
Sportler u.a. mitarbeiten. Alle sehen in Brandt den
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Mann, der die von ihnen beklagte politische
Verkrustung der Bundesrepublik aufbrechen kann.
Brandts „Erinnerungen“: „Besonders gern denke ich daran, wie sich das geistige Deutschland
für das dreifache Bemühen um Friedenssicherung, lebendige Demokratie und gesellschaftliche Erneuerung engagierte. Eine besondere Rolle spielte – an der Spitze einer beträchtlichen
Zahl von Schriftstellern und bildenden Künstlern
– Günter Grass. Er hatte mich schon im Wahlkampf 1961 zu einer Reihe von Veranstaltungen
begleitet. Später begründete er eigene Wählerinitiativen und brachte vermutlich auch Stimmen,
jedenfalls aber Farbe ins politische Geschäft. Städtebauer, Theaterleute, Naturwissenschaftler, Pädagogen stellten ihren Rat zur Verfügung und meldeten sich öffentlich zu Wort. Grass selbst, Heinrich
Böll, Walter Jens, Max Frisch sprachen auf Parteitagen. [...] Von Grass stammt das Bild, daß die
Schnecke den Fortschritt symbolisiere. Das konnte
niemand von den Stühlen reißen und war doch
eine sehr willkommene reformistische Wegbegleitung.“
Brandt im Wahlkampf, Koblenz August 1969.
SPD-Plakat von 1969.
Brandt im Kreis der Münchner SWI. Von links: Sigi
Sommer, Irene Koss-Drechsel und Erich Kästner.
Brandt im Gespräch mit Dieter Gütt und Anneliese Friedmann.
In der Bonner SPD-“Baracke“, im Zimmer Willy
Brandts, werden am späten Abend des 28.9.1969
die Wahlergebnisse beraten. Auf dem Foto: Carlo Schmid, Helmut Schmidt, Herbert Wehner,
Hans-Jürgen Wischnewski, Alex Möller, Alfred
Nau, Heinz Kühn und Willy Brandt.
Brandt gibt vor der Presse bekannt, daß die SPD
eine Koalition mit der FDP eingehen will.
63
TAFEL 40
01.– „Mein Gott, was soll aus Deutschland werden...“,
läßt der Karikaturist Fritz Behrendt Konrad Adenauer mit Blick auf den neuen Bundeskanzler
aus dem Himmel fragen.
02.– Willy Brandt wird als Bundeskanzler vereidigt,
Oktober 1969.
03.– Das Brandt-Scheel-Kabinett beim Bundespräsidenten zum obligaten Treppenfoto.
04.– Regierungserklärung des Bundeskanzlers, Bonn
28.10.1969. Sie steht unter dem Motto „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Brandt beendet
seine Regierungserklärung mit folgenden Worten: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. Wir wollen ein
Volk der guten Nachbarn sein und werden, im
Innern und nach außen.“ Die CDU/CSU-Opposition hatte die Rede Brandts ständig durch Zurufe
und Proteste unterbrochen. Am Schluß vermerkt
das Bundestagsprotokoll: „Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. – Abg. Dr.
Barzel: Das ist ein starkes Stück, Herr Bundeskanzler! Ein starkes Stück! Unglaublich! Unerhört!“
Vorher hatte es in der Brandtschen Regierungserklärung geheißen: „Wir sind entschlossen, die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und
den Zusammenhalt der deutschen Nation zu
wahren, den Frieden zu erhalten und an einer
europäischen Friedensordnung mitzuarbeiten,
die Freiheitsrechte und den Wohlstand unseres
Volkes zu erweitern und unser Land so zu entwickeln, daß sein Rang in der Welt von morgen
anerkannt und gesichert sein wird.“
05.– Bundeskanzler Willy Brandt als Ehrengast bei
einer Veranstaltung im Berliner Olympiastadion
mit großer Begeisterung begrüßt, September 1970.
64
06.– Das Treffen von Erfurt: 19. März 1970. Vier Aufnahmen. Brandt erinnert sich an diesen „emotionsgeladenen“ Tag: „Die Anerkennung der
Tatsache, daß die DDR einen zweiten Staat auf
deutschem Boden darstellte, und die Bereitschaft,
über die Regelung praktischer Fragen zu verhandeln, gehörten zusammen.“ Der Bundeskanzler schlägt Willi Stoph, dem Vorsitzenden des
DDR-Ministerrats, Verhandlungen über Gewaltverzicht und Regelung praktischer Fragen vor.
Der Meinungsaustausch soll auch gleichberechtigte Beziehungen zum Gegenstand haben. Brandt
zu der Erfurter Begegnung mit dem DDR-Politiker: „Willi Stoph erwartete mich am Bahnhof,
von dem wir zum Hotel ‚Erfurter Hof‘ hinübergingen. Es hatte sich jene große Menge eingefunden, die ihrer Freude durch Zurufe Ausdruck
gab. Als ich mich zurückgezogen hatte, tönte es
in Sprechchören: ‚Willy Brandt ans Fenster!‘
Dem folgte ich nicht gleich, dann aber doch, um
mit der Gestik der Hände um Zurückhaltung zu
bitten. Ich war bewegt und ahnte, daß es ein Volk
mit mir war. Wie stark mußte das Gefühl der
Zusammengehörigkeit sein, das sich auf diese
Weise entlud! Aber es drängte sich auch die
Frage auf, ob hier nicht Hoffnungen aufbrachen,
die nicht – so rasch nicht – zu erfüllen waren.“
07.– Mai 1970: zwei Fotos vom SPD-Parteitag in Saarbrücken. Links: Brandt mit (v.l.) Helmut Schmidt,
Alfred Nau, Hans-Jürgen Wischnewski, der SPDBundesgeschäftsführer, Carlo Schmid, Annemarie Renger und Lauritz Lauritzen. Rechts: Der
Parteivorsitzende gibt in Saarbrücken ein Interview.
TAFEL 40
Willy Brandt beim Besuch der Grube Göttelborn im Saarland, 30.11.1960
65
TAFEL 41
Der Kniefall
01.– Am 21.5.1970 trifft sich Willy Brandt mit Willi
Stoph in Kassel, um den Erfurter Meinungsaustausch fortzusetzen. Drei Aufnahmen: Die Verhandlungsdelegationen. * Krawalle in der Stadt.
*Der Staatssekretär Conrad Ahlers vor der Presse über die Ergebnisse von Kassel.
02.– Der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß 1970
im Bundestag. Die Opposition läuft Sturm gegen
die Ostpolitik Brandts und der SPD/FDP. Sie sieht
das „Abendland“ in Gefahr.
03.– Im Juni 1970 beschließt der Bundestag, das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen.
04.– Brandt unterzeichnet in Moskau den deutschsowjetischen Vertrag über Gewaltverzicht und
Zusammenarbeit. Ein historischer Moment. Moskau, 12. August 1970.
05.– Unterzeichnung des Warschauer Vertrages über
die Grundlagen der Normalisierung der deutschpolnischen Beziehungen, Dezember 1970.
06.– Der Bundeskanzler auf dem Weg zum Mahnmal
im früheren Warschauer Ghetto, 7.12.1970.
* Willy Brandt kniet vor den Opfern des nationalsozialistischen Terrors. Ein Journalist schreibt:
„Dann kniet er, der das nicht nötig hat, für alle,
die es nötig haben, aber nicht knien – weil sie es
nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen
können.“
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Willy Brandt 20 Jahre später zu seinem Besuch
in Polen: „Es war eine ungewöhnliche Last, die
ich auf meinen Weg nach Warschau mitnahm.
Nirgends hatte das Volk, hatten die Menschen so
gelitten wie in Polen. Die maschinelle Vernichtung der polnischen Judenheit stellte eine Steigerung der Mordlust dar, die niemand für möglich
gehalten hatte. Wer nennt die Juden, auch aus
anderen Teilen Europas, die allein in Auschwitz
vernichtet worden sind? Auf dem Weg nach
Warschau lag die Erinnerung an sechs Millionen
Todesopfer. Lag die Erinnerung an den Todeskampf des Warschauer Ghettos, den ich von
meiner Stockholmer Warte verfolgt hatte und
von dem die gegen Hitler kriegführenden Regierungen kaum mehr Notiz nahmen als vom heroischen Aufstand der polnischen Hauptstadt einige Monate danach. [...] Ich hatte nichts geplant,
aber Schloß Wilanow, wo ich untergebracht war,
in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des
Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck
bringen zu müssen. Am Abgrund der deutschen
Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die
Sprache versagt.“
TAFEL 42
Augenmaß für Reformen
01.– Willy Brandt unter „aufmüpfigen“ Jungsozialisten in Bremen, Juso-Kongreß Dezember 1970.
*Wolfgang Roth mit Beatriz Allende, späteres Foto.
Die Aussagen der Jusos zum Charakter der Bundesrepublik und der SPD stehen zur Diskussion.
Auf dem Bremer Bundeskongreß weist Brandt
die Jungsozialisten darauf hin, daß das Tempo der
Reformen entscheidend von den wirtschaftlichen
Ressourcen abhänge, die freigemacht werden können. „Wenn wir nicht für wirtschaftliche Stabilität
und für finanzpolitische Solidarität sorgen, dann
wird man uns nicht folgen. Wir gehen schrittweise vor, weil die Komplexität und Vielfalt unserer
Gesellschaft uns keine andere Möglichkeit läßt.
Wer heute die Gesellschaft verändern will, der
muß an einzelnen Mißständen ansetzen, diese beseitigen und Neues schaffen. Und zwar Neues, das
besser ist.“ Die Jungsozialisten sollten dabei helfen, realistische Reformvorschläge zu entwickeln.
Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Willy Brandt: Parteitag der SPD in Bad Godesberg, 18.12.1971
67
TAFEL 42
02.– Brandt übergibt dem Präsidenten des Deutschen
Bundestages die „Materialien zum Bericht zur
Lage der Nation 1971“. *Übersichtskarte aus
den „Materialien“. *Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke (SPD). Brandt
läßt seine Berichte zur Lage der Nation (u.a. Vergleiche BRD/DDR) mit wissenschaftlicher Sorgfalt erarbeiten. Trotz verbesserter Beziehungen
zur DDR wird das Ziel der Wiedervereinigung
nicht aus den Augen verloren.
03.– Die Bauern protestieren 1971 wie zu Adenauers
und Erhards Zeiten gegen die Agrarpolitik der
Bundesregierung. Hier: Foto von einem Bauernprotest in Hamburg, 1963.
04.– Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt bei
Bundeswehrsoldaten. Im September 1971 wird
der Grundwehrdienst von 18 auf 15 Monate verkürzt.
05.– November 1971: Der Bundestag billigt gegen fast
alle Stimmen der Opposition das neue Betriebsverfassungsgesetz. Ausrisse aus „Metall“, der Zeitung der IG Metall. *Olaf Radke (SPD), der Arbeitsrechtler aus Hessen.
Willy Brandt selbst bezeichnet die Aussage, er
habe sich mehr für Außenpolitik als für Innenpolitik interessiert, als „eines der kaum auszurottenden Klischees jener Jahre“. Er habe als Kanzler den größten Teil seiner Zeit für innenpolitische Fragen aufgewendet.
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06.– Ostberlin und Bonn schließen im Dezember 1971
ein Abkommen über den Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin. Bild
hier: Egon Bahr (BRD) und Michael Kohl (DDR)
bei der Paraphierung eines Verkehrsvertrages
im Mai 1972.
In einer Entschließung des SPD-Parteirats und
-Vorstandes heißt es Anfang 1971: „Freiheitliche
Demokratie auf der einen, kommunistische Parteidiktatur auf der anderen Seite. Keine Friedenspolitik, keine außenpolitische Annäherung kann
diesen Gegensatz der Systeme beseitigen, keine
darf ihn übersehen: Der Friede, den wie erstreben, soll nicht nur allein das Leben schützen, er
muß unserem Volk das Recht sichern, die Formen seines politischen und gesellschaftlichen
Lebens auch weiterhin in Freiheit selbst zu bestimmen.“ [...] „Die Entwicklung innerhalb der
kommunistischen Parteien hat zwar zu neuen
Konflikten unter den kommunistischen Parteien
einzelner Länder geführt, aber ungeachtet aller
unterschiedlichen Entwicklungen ist ein Faktor
unverändert geblieben: die Intoleranz der kommunistischen Parteien gegenüber jenen, die nicht
einer Meinung mit ihnen sind, und der Anspruch
darauf, daß ihre eigene totalitäre Ideologie die
einzig gültige Sozialphilosophie sei. Wir leben in
einer Welt, die wir mit den Kommunisten teilen
müssen. Weil wir in Freiheit leben wollen, werden wir verhindern, daß uns die kommunistische Ideologie aufgezwungen wird.“
TAFEL 43
Friedensnobelpreis
01.– Im Oktober 1971 wird während einer Sitzung
des Bundestages bekanntgegeben, daß Willy
Brandt den Friedensnobelpreis erhält. Aufnahmen: Der Beifall im Bundestag *„Standing ovations“ * Oppositionsführer Barzel gratuliert.
2.-4. Die deutschen Vorgänger.
02.– Der Historiker und Politiker Ludwig Quidde (auf
dem Foto rechts). Als Emigrant 1940 von den
Nazis ausgebürgert (s. Liste).
03.– Der deutsche Außenminister Gustav Stresemann.
Hier vor dem Völkerbund in Genf.
04.– Der Journalist und Schriftsteller Carl von Ossietzky. Exponate: Von Ossietzky (X) vor dem Gefängnis in Berlin-Tegel, 1932. Schon in der Weimarer
Republik war er wegen „Landesverrats“ zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. *Titelkopf der Zeitschrift „Die Weltbühne“, deren Chefredakteur er
war. *Carl von Ossietzky (X) mit KZ-Mithäftlingen.
Nach dem Reichstagsbrand 1933 war er von den
Nationalsozialisten in ein KZ verbracht worden.
Den Friedensnobelpreis kann er nicht selbst entgegennehmen. Hitler verbietet 1936 „jedem Deutschen für alle Zeiten“ die Annahme des Preises.
Willy Brandt zu diesem deutschen Friedensnobelpreisträger: „Ich habe den Hamburger Carl
von Ossietzky nicht persönlich gekannt, doch
war mir, dem jungen Lübecker Linkssozialisten,
die ‚Weltbühne‘ ein Begriff. Die wurde von vielen
Sozialdemokraten für ‚zu negativ‘ gehalten, aber
gewiß hat die Geschichte deren Kampf gegen den
Militarismus und seine konspirativen Unternehmungen gerechtfertigt. Kaum eine andere Zeitung war bereit, die Skandale um die (illegale)
Schwarze Reichswehr, den Schutz der Fememör-
der, die getarnten Geheimrüstungen, auch die
verdeckte Zusammenarbeit mit der sowjetischen
Armee mit solcher Unerschrockenheit aufzudecken. Die ‚Weltbühne‘ kostete fünfzig Pfennig
– das war viel Geld für einen Arbeiterschüler. Ich
las sie mit Freunden in einer linken Kaffeestube
(wo man für fünfzehn Pfennig eine Tasse Kaffee
und ein Stück Kuchen bekam).“
05.– Die Urkunde von Oslo.
06.– Brandt nimmt den Friedensnobelpreis in Oslo
im Dezember 1971 entgegen.
Die Vorsitzende des Komitees zur Verleihung
des Friedensnobelpreises Aase Lionäs begründet im Oktober 1971 den Nobelpreis für Brandt
u.a. so: „In der ganzen Nachkriegszeit stellte das
politisch ungelöste Deutschlandproblem eine latente Gefahr für den Frieden dar. Viele gute
Kräfte haben sich in diesen Jahren eingesetzt in
dem Versuch, Entspannung in dieses gefährliche, internationale Spannungsfeld zu bringen.
Das Nobelkomitee des Norwegischen Storting
hat heute den Friedensnobelpreis für 1971 Bundeskanzler Willy Brandt zuerkannt. Das Nobelkomitee hat durch diese Wahl die Zweckbestimmung in Alfred Nobels Testament zu verwirklichen gesucht. Bundeskanzler Willy Brandt hat
als Chef der westdeutschen Regierung und im
Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer
Versöhnungspolitik zwischen den alten Feindländern ausgestreckt. Er hat im Geiste des guten
Willens einen hervorragenden Einsatz geleistet,
um Voraussetzungen für den Frieden in Europa
zu schaffen.“
07.– Die Dankesrede.
Im Norwegischen Fernsehen (8.12.1971) antwortet Brandt auf die Frage, ob der Nobelpreis
seine politische Position in der Bundesrepublik
69
TAFEL 43
gestärkt habe: „Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist
er eine starke Ermutigung, und viele haben - das
weiß ich nicht nur aus Gesprächen, sondern auch
aus Briefen, die ich erhalten habe – es so gefühlt,
daß dies eine Ermutigung nicht nur für den jetzigen Bundeskanzler, sondern auch für andere
war, die daran mitgearbeitet haben, einen gemeinsamen Nenner für deutsche Politik und Friedenspolitik zu finden; doch möchte ich das ungern zu einer Frage machen, die mit unserer inneren Diskussion zwischen Regierung und Opposition zu tun hat.“
Die Historikerin Barbara Marshall (Willy Brandt.
Eine politische Biographie, 1993): „Innenpolitisch wurde Brandts Stellung nun beinahe unangreifbar. Die politische Szene veränderte sich
gleichsam über Nacht. Hatte sich nach einer Zeit
der außenpolitischen Stagnation die Atmosphä-
70
re bereits nach dem Abschluß des Berliner VierMächte-Abkommens im September 1971 verbessert, so hielten jetzt nach der ‚Absegnung‘
durch den Nobel-Preis in einer Blitzumfrage 67
Prozent der Bundesbürger die Ostpolitik der Regierung für richtig. 55 Prozent meinten, daß sich
damit die Wahlchancen Brandts erhöht hätten.
Dies mag auch das Verhalten der Opposition
erklären, die sich nach Bekanntgabe der Ehrung
Brandts im Bundestag – im Gegensatz zur jubelnden Menge der Koalitionsabgeordneten – noch
nicht einmal von ihren Sitzen erheben mochte –
mit Ausnahme von Adenauers Pressesprecher
von Eckardt und des Bayern Höcherl, der später
auch privat an Brandts Feier teilnahm. Dagegen
ehrte die Öffentlichkeit Brandt mit einem Fackelzug vor seinem Haus am Bonner Venusberg.“
TAFEL 44
Das Mißtrauensvotum
01.– Im Januar 1972 verabschieden die Regierungschefs der Länder, unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt, Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremistischen Organisationen. Dieser sog. Radikalenerlaß wird
in den Ländern und im Bund unterschiedlich
gehandhabt. Brandt räumt später ein, die Umsetzung des Erlasses sei manchmal ein „Stück
absurdes Theater“ gewesen. Postkarte von K.
Staeck zu den „Berufsverboten“.
02.– Die Militanz, mit der die SED und andere kommunistische Parteien auftreten, trägt nicht gerade dazu bei, die Furcht vor den Kommunisten
in der Bundesrepublik abzuschwächen. Foto:
FDJ’ler in der DDR.
03.– Fahndung nach Mitgliedern der Baader-Meinhoff-Gruppe, 1972. Die terroristische Rote Armee
Fraktion (RAF) versucht, die Grundlagen der Bundesrepublik zu erschüttern.
Schon Ende der 60er Jahre begibt sich der größte Teil der APO auf den „Marsch durch die Institutionen“. Brandt 1972 in einem bis heute unveröffentlichten Interview: „Was die jungen Leute
angeht, so bin ich davon überzeugt, daß wir es
dort, von ganz wenigen Erscheinungen abgesehen, mit überhaupt nichts spezifisch Deutschem
zu tun haben. Sondern mit etwas, was überall in
zumal modernen Industriestaaten bei den Intellektuellen stattfindet. [...] Ich glaube, daß das für
viele außerdem nur ein Umweg ist, hin zum
Apolitischen, daß manche derer, die bei ‚Spartakus‘ sind, in wenigen Jahren schön unpolitische
Staatsanwälte, Rechtsanwälte und was weiß ich
sein werden.“ Eine zahlenmäßig kleine Organi-
sation – die RAF – will allerdings direkte Gewalt
anwenden und durch Terroranschläge die Bevölkerung davon überzeugen, daß sie in einem
kapitalistischen und faschistischen Unterdrückerstaat lebt. Der Staat soll zu Überreaktionen provoziert werden.
04.– Die sozialliberale Koalition kann sich von Anfang
an nur auf eine knappe Mehrheit stützen, die dazu noch im Laufe der Legislaturperiode zusammenschmilzt. Im April 1972 wagt die Bundestagsopposition den Generalangriff: Brandt soll gestürzt und Rainer Barzel (CDU) Bundeskanzler
werden. Fotos: Außenminister Walter Scheel (FDP)
verteidigt die Regierungspolitik im Bundestag.
*Noch vor Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erheben sich die Abgeordneten der Regierungsparteien von ihren Sitzen. Die Opposition
ist überrascht. * Das Mißtrauensvotum der CDU/
CSU am 27.4.1972 ist gescheitert. Jubelnde SPDAbgeordnete umringen ihren Kanzler. *Der Verlierer gratuliert Willy Brandt.
Vor der Abstimmung hatte Brandt im Bundestag
erklärt, der Beschluß der CDU/CSU-Fraktion, die
Regierung stürzen zu wollen, entspräche einer
Möglichkeit, die das Grundgesetz bietet, und „ist
sowohl machtpolitisch als auch psychologisch
nicht schwer zu verstehen. Wenn Sie mir zum
letzteren ein Urteil erlauben: dies ist der Versuch
einer Flucht nach vorn, heraus aus der Unverantwortlichkeit eines sterilen Nein zu Schicksalsfragen unseres Volkes, aber mit dem Risiko
des Hinein in eine Verantwortung, deren Bitterkeit Sie spüren würden. Denn Dr. Barzel und
seine Freunde würden in diese Verantwortung ja
nur gelangen, wenn ihnen das Ja von ein paar
Mitgliedern dieses Hohen Hauses zufallen sollte,
von denen man würde sagen können, sie hätten
71
TAFEL 44
ihre Gewissenhaftigkeit bis zur Unkenntlichkeit
strapaziert.“ Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt
am Tag nach der Abstimmung: Der Versuch von
Strauß und Barzel, mit Hilfe einiger Abgeordneter, denen plötzlich das Gewissen schlägt, die
Regierung Brandt/Scheel zu stürzen, ist mißlungen. Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann hat
sie hier gewirkt und verhindert, daß in diesem
Land wieder einmal politische Borniertheit den
Ton angibt. [...] Am wenigsten aber hat die Opposition in der Ostpolitik der Regierung entgegenzusetzen. CDU/CSU-Sprecher behaupten zum
tausendsten Male, daß die Verträge den Frieden
nicht sicherer machten und die Interessen des
deutschen Volkes nicht förderten. Fast zur gleichen Stunde endeten in Ost-Berlin erfolgreich
die Verhandlungen über einen Verkehrsvertrag.
Jetzt werden zum ersten Male auch Bundesbürger
in die DDR reisen können, die keine Verwandten
drüben haben, jetzt dürfen auch jüngere DDRBürger in dringenden Fällen in die Bundesrepublik kommen. Das ist alles noch unbefriedigend
und recht mühsam; aber nach zwanzig Jahren
Gerede geschieht jetzt endlich etwas, und vergleicht man den Fortschritt mit der Ausgangslage, eine ganze Menge. Eine Regierung Barzel
hätte das alles leichtfertigt aufs Spiel gesetzt, alle
Warnungen in den Wind geschlagen, wie das an-
72
dere CDU-Regierungen schon in den fünfziger
Jahren taten, und hätten in gewohnt arroganter
Manier von der Sowjetunion verlangt, daß sie
gefälligst weiter in Entspannung zu machen habe,
weil sie ja müsse: ‚wirkliche Entspannung‘, wie
der Chefaußenpolitiker der CDU, Schröder, das
nennt. Es ist beruhigend, zu wissen, daß er nicht
schon von heute an mit dieser Seifenblase jonglieren muß. Bundeskanzler Brandt ist nach der
Niederlage Barzels von seinen Freunden gefeiert
worden. Wir teilen diese Freude. Es wäre schrecklich gewesen, wenn dieser Mann, der Deutschland endgültig mit der ganzen Welt versöhnt und
dem deutschen Volk seinen guten Namen wiederbeschafft, hätte abtreten müssen, bevor er mit
seiner Arbeit zu Ende gekommen wäre.“
05.– Brandt spricht vor fast 100.000 Menschen in
Dortmund, Mai 1972.
06.– Bundespräsident Gustav Heinemann (Foto) löst
nach Absprache mit den Parteien den Bundestag
auf. Es kommt im November 1972 zu Neuwahlen.
Obwohl das Mißtrauensvotum der CDU/CSU gescheitert war, hatte sich in der Zeit danach ein
„parlamentarisches Patt (aber keine Staatskrise)“
(SPD-Jahrbuch 1970-1972) ergeben. Der Bundeskanzler hatte der Opposition Neuwahlen vorgeschlagen.
TAFEL 45
Ein Wahlsieg mit
Rekordzahlen
1.+2. SPD-Wahlkampf für Willy Brandt.
03.– Flugblatt 1972. Der Wahlkampf wird von der
CDU/CSU mit einer Schärfe geführt, wie sie die
Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte. Dubiose
Organisationen und frisch geschaffene „Arbeitskreise“ machen die Schmutzarbeit für die Opposition. Die allgemeine Stimmung ist dennoch
für Brandt.
04.– Ältere Mitbürgerin.
05.– Willy Brandt im Ruhrgebiet.
06.– Begeisterung für den Kanzler.
07.– Zuhörer in Ludwigshafen.
08.– Der strahlende Sieger mit seiner Ehefrau am späten Abend des 19. November 1972. Die Politik
der von Brandt geführten sozialliberalen Koalition war von den Wählern eindeutig bestätigt worden. Einige Fakten des Wahltags: Über 90% Wahlbeteiligung (Rekord), 45,8% für die SPD (Rekord),
60% der Jungwähler für die SPD (Rekord). Selbst
die FDP kann ihren Stimmenanteil auf 8,4% steigern, weil viele SPD-Wähler ihre Zweitstimme
dem Koalitionspartner gegeben haben.
09.– Willy Brandt dankt den Mitarbeitern des Parteivorstandes für ihren Einsatz im Wahlkampf 1972.
Ganz rechts der SPD-Bundesgeschäftsführer H.
Börner. Willy Brandt über den Bundesgeschäftsführer: „Mein Freund Holger Börner hatte aus dem
Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt:
Außerordentlicher Parteitag der SPD in Dortmund, 12.10.1972
Stand eine wirkliche Kampagne organisiert. Wir
hatten großartige Kundgebungen.“
Der SPD-Wahlkampf war ganz auf Willy Brandt
zugeschnitten gewesen. In der Kampagne konnte glaubhaft gemacht werden, daß die sozialliberale Koalition mit ihrer Ostpoltik die Bundesrepublik international aufgewertet hat. Ein Journalist muß später gestehen: „Es war zugleich eine
Versöhnung der Sozialdemokratie – aber auch des
‚anderen Deutschen‘ Willy Brandt – mit den konservativen Werten Nation, Heimat, Vaterland.“
73
TAFEL 46
Weltkaleidoskop 1969-1970
Willy Brandt vor der „Foreign Press Association“
am 3.3.1970 in London: „Wie Sie wissen, bemühen wir uns, auch nach Osten Gräben zwischen
den Staaten zuzuschütten. Ich fasse das als einen
wichtigen Dienst auf, den wir Europa leisten
können. Was an uns liegt, wird geschehen, damit
Deutschland von keiner Seite als ein Störenfried
bezeichnet werden kann. Die deutsche Außenpolitik ist konsequenter, unbefangener, wenn
Sie so wollen, in ihrer Friedenspolitik und Entspannungspolitik geworden.“
➞ Der erste Mensch betritt den Mond.
➞ Der führende Mann des Prager Frühlings Ale-
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74
xander Dubcek wird aus dem Präsidium der
tschechoslowakischen KP ausgeschlossen.
Ho Chi Minh stirbt.
Das Bundeskabinett unter Willy Brandt beschließt die Unterzeichnung des Kernwaffensperrvertrages.
Die Chinesen zünden eine Atombombe.
Der Biafrakrieg wird beendet.
Willy Brandt in Tunesien.
Historische Erinnerung: Die Deutschen in Nordafrika während des II. Weltkrieges.
Willy Brandt mit seinem politischen Vertrauten
Egon Bahr.
Regelmäßige Konsultationen mit Frankreich.
Brandt-Besuch in Großbritannien.
Schweres Erdbeben in Peru.
Olof Palme in Bonn.
Die Beatles (Plattencover) trennen sich.
Brasilien wird Fußballweltmeister.
Papst Paul VI. empfängt den Bundeskanzler im
Vatikan.
Tito in der Bundesrepublik.
TAFEL 47
Weltkaleidoskop 1970-1971
➞ In Griechenland herrscht der Diktator und
Juntachef Oberst Papadopoulos.
➞ Historische Erinnerung: Athen vor dem Ein-
Willy Brandt zum belgischen Königspaar am
29.4.1971 im Bundeskanzleramt: „Parallel zur
Fortentwicklung der westlichen Zusammenarbeit
stellt sich die große Aufgabe, einer gesamteuropäischen Friedensordnung durch eine konsequente Politik der Verständigung und des Ausgleichs
näher zu kommen. Wir in der Bundesrepublik
Deutschland haben bewiesen, daß wir dazu unseren Beitrag zu leisten bemüht sind. Dabei ist
uns bewußt, daß auch die Fragen, denen wir als
geteilte Nation gegenüberstehen, nur im Rahmen einer europäischen Friedensordnung gelöst
werden können. Belgien – als Schrittmacher einer
Politik der guten Nachbarschaft in Europa – ist
dafür zu danken, daß es uns in unseren Bemühungen ermutigt und stets unterstützt hat.“
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fall der Deutschen im II. Weltkrieg in Griechenland.
Kenneth Kaunda in der Bundeshauptstadt.
Salvador Allende, der neue Präsident von Chile.
Assad durch Putsch Staatschef von Syrien.
Unruhen in Polen.
Staatsbesuch aus Italien in der BeethovenStadt: Ministerpräsident Emilio Colombo und
Außenminister Aldo Moro.
Bei seiner Deutschlandreise interessiert sich
das belgische Königspaar auch für das neue
Radioteleskop Effelsberg.
Massendemonstration in Washington gegen
den Vietnamkrieg.
Walter Ulbricht tritt zurück.
US-Präsident Nixon, Außenminister Rogers und
der Bundeskanzler in Washington. In der UNO
ist die Bundesrepublik noch nicht vertreten.
Bürgerkriegsähnliche Unruhen in Nordirland.
75
TAFEL 48
Weltkaleidoskop 1971-1973
Willy Brandt zum Jahreswechsel 1971/1972 über
alle Rundfunk- und Fernsehanstalten: „Präsident
Nixon und ich haben in den letzten Tagen erneut
bekräftigt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika ist, aber auch, daß
die Bemühungen um ein besseres Verhältnis zu
den Staaten und den Völkern des Ostens, nicht
zuletzt der Sowjetunion, verstärkt werden sollen.
Diese Anstrengungen haben den Frieden sicherer gemacht und werden dies auch im kommenden Jahr tun.“
➞ Breschnew und Brandt auf der Krim.
➞ Historische Erinnerung: Russische Zwangsar-
➞
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76
beit unter den Augen der deutschen Besatzer
im II. Weltkrieg.
Kardinal Mindszenty darf Ungarn verlassen.
Staatsgast Indira Gandhi mit Willy Brandt im
Schloßgarten von Gymnich.
Krieg zwischen Indien und Pakistan.
Richard Nixon trifft Mao tse Tung.
Der Bundeskanzler und der Schah in Teheran.
Historische Erinnerungen: Nach der Verstaatlichung der Anglo-Iranischen Ölgesellschaft
war das Schicksal Mossadeghs und seiner Regierung besiegelt.
Brandt auf der NATO-Ministerratstagung am
Rhein.
Bobby Fisher wird gegen Boris Spasskij Schachweltmeister.
Der Terroranschlag gegen die israelische Olympiamannschaft in München erschüttert die Welt.
Die Europäische Gemeinschaft der Sechs wird
um Großbritannien, Irland und Dänemark vergrößert.
Harry S. Truman stirbt. Historische Erinnerung: Churchill, Truman und Stalin während
der Potsdamer Konferenz, 1945.
Das von den USA und Nordvietnam in Paris
unterzeichnete Abkommen sieht den Abzug
der amerikanischen Soldaten aus Vietnam vor.
Willy Brandt und Tito in Belgrad.
TAFEL 49
Weltkaleidoskop 1973-1974
➞ Willy Brandt als erster deutscher Regierungs➞
Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag am
26.1.1973 zum Schluß der Aussprache über seine
Regierungserklärung: „Gegen die bequeme Neigung zu Lebenslügen setzen wir unseren Willen
zur Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit. [...] Unser
Volk will ehrlich vor sich selbst und vor der Welt
sein. Nur so wird es die Schatten der Vergangenheit überwinden und in der Gegenwart bestehen
und eine friedliche Zukunft gewinnen. Dafür werden wir, das kann ich hier versprechen, ehrlich
arbeiten auf so breiter Basis wie jeweils möglich
und werden laufend Rechenschaft geben, damit
unser Volk mitverfolgen kann, wie wir unser
Programm auch diesmal Schritt für Schritt verwirklichen.“
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➞
➞
➞
chef in Israel.
Historische Erinnerung: Der jüdische Aufstand
in Warschau wurde von deutscher SS brutal
niedergeschlagen.
BRD-Außenminister Scheel und DDR-Außenminister Otto Winzer auf der KSZE-Konferenz in
Helsinki.
Ein politischer Freund bei Willy Brandt: der
niederländische Ministerpräsident Joop den
Uyl.
Unterredung mit dem äthiopischen Kaiser Haile
Selassie.
Putsch der Generäle gegen Allende; der chilenische Präsident wird ermordet.
Carl XVI. Gustaf von Schweden wird König.
Brandt und Edward Heath in Chequers.
Im Jom-Kippur-Krieg erleiden die Angreifer
eine verlustreiche Niederlage.
Die Ölproduktion in den arabischen Ländern
wird gedrosselt.
Unterzeichnung des Vertrages über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der CSSR und
der BRD.
Historische Erinnerung: Deutscher Einmarsch
in Prag.
Vereinbarung über die Errichtung Ständiger
Vertretungen von DDR und BRD in Bonn und
Ostberlin.
Die Revolution der Nelken in Portugal.
77
TAFEL 50
SPD und andere
01.– Bundespräsident Gustav Heinemann empfängt
die neue Brandt/Scheel-Regierung, Dezember
1972. Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 1973: „Die Menschen und die Regierenden in den beiden deutschen Staaten haben
den Umgang miteinander zu erfahren und zu lernen. Schwierigkeiten und Reibungen werden uns
nicht erspart bleiben. Wir wollen einen Zustand
erreichen, in dem nicht mehr geschossen wird.“
Und: „Die Qualität des Lebens ist zu einem zentralen Begriff unserer politischen Arbeit geworden.
Sie heißt für uns: Freiheit, auch Freiheit von
Angst und Not, Sicherheit auch durch menschliche Solidarität.“ Und: „Wir brauchen Menschen,
die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Wir wollen Bürger, nicht den Bourgeois.“
02.– Der SPD-Parteitag in Hannover, April 1973, steht
unter dem Motto „Ausbau der sozialen Demokratie in unserem Staat“. An das bisher beste Wahlergebnis in der Geschichte der SPD knüpfen sich
bei einigen geradezu chiliastische Hoffnungen.
Der Parteivorsitzende und Bundeskanzler fordert
Augenmaß bei der Verwirklichung sozialdemokratischer Ziele. Die lange Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie habe
bewiesen, daß eine Politik der schrittweisen Reformen zu Erfolgen führt. Er lehnt aber entschieden ab, „Sozialdemokraten und Sozialisten“ auseinander zu dividieren. Demokratischer Sozialismus sei die niemals abgeschlossene Aufgabe, Ungerechtigkeiten der bestehenden Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung abzubauen und zu überwinden und persönliche und politische Freiheits78
03.–
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rechte des einzelnen soziale Wirklichkeit werden zu lassen. In Richtung der „Systemüberwinder“ sagt er: Mitglied der SPD kann nicht sein,
wer in der Demokratie Gewalt als Mittel der Politik befürwortet und wer die repräsentative Demokratie bekämpft.
Die Mitgliederzahlen der SPD steigen in dieser
Zeit. Dem Parteivorsitzenden gelingt es sogar,
Teile der APO in die Sozialdemokratische Partei
zu integrieren.
Die Kontakte zu den Gewerkschaften werden
intensiviert. Hier: Historisches DGB-Plakat zum
1. Mai.
Willy Brandt und der Chef der IG Chemie, Papier
und Keramik Hermann Rappe (Foto aus späterer
Zeit). Im Gewerkschaftsrat der Partei hat Brandt
den Vorsitz.
Im September 1973 werden die Bundesrepublik
und die DDR in die UNO aufgenommen. Vor der
UNO in New York erklärt Brandt: „Mein Volk lebt
in zwei Staaten und hört doch nicht auf, sich als
eine Nation zu verstehen.“
Zwischen BRD und DDR werden neue Grenzübergänge eingerichtet.
Unterredung zwischen Richard Nixon und Willy
Brandt, September 1973.
1973 haben die Ostverträge und der GrundlagenVertrag mit der DDR alle parlamentarischen Hürden passiert. Ausdruck der verbesserten Beziehungen zum Osten ist der erste Besuch eines sowjetischen Partei- und Regierungschefs in der Bundesrepublik. Aufnahme: Rut und Willy Brandt mit
Leonid Breschnew in Bonn, Mai d.J.
Die Erbitterung der CDU/CSU-Opposition über
die neue Ostpolitik der Regierung Brandt ist noch
viele Jahre später in den „Erinnerungen“ (1989)
von Franz Josef Strauß spürbar. Der Freistaat
TAFEL 50
Bayern hatte nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrages mit der DDR (21.12.1972) beim
Bundesverfassungsgericht Klage erhoben. Strauß:
„Meine Initiative zu einer Klage gegen den Grundlagenvertrag erfolgte zu einer Zeit, in der die Gefahr wuchs, daß jede Politik, die unter dem Etikett Entspannung, Sicherheit, Frieden angeboten wurde, sich ungeprüft zum Zeitgeist erhob,
zum Mythos verklärte. Wer immer sich gegen
diese Politik zur Wehr setzte, geriet in das Räder-
werk der Verteufelungspropaganda, wurde zum
Feind der Entspannung, der Sicherheit und des
Friedens gestempelt. Es fehlte nur noch ein Schritt,
um als negative Symbolfigur feierlich zum Volksfeind ernannt zu werden.“
Hierzu bleibt anzumerken, daß sich die Bundestagsopposition von CDU und CSU ebenfalls jahrelang dem viel weiter gehenden KSZE-Prozeß
mit allen Kräften widersetzt hat.
T A F E L 51
Der Rücktritt
01.– 1973 und übergreifend nach 1974 muß die BrandtRegierung Gegenwind aus der Wirtschaft hinnehmen. Die Ölknappheit nach dem Nahostkonflikt
zwingt sie dazu, an drei Sonntagen im November
ein Fahrverbot für Autos zu erlassen. Zwei Aufnahmen.
02.– Schon 1973 hatten wilde Streiks u.a. in der Metallindustrie und der Bummelstreik der Fluglotsen
das Vertrauen – so Brandt selbst – in die sozialliberale Regierung erschüttert. Die Streiks im Öffentlichen Dienst (s. Fotos) Anfang 1974 führen
trotz veränderter weltwirtschaftlicher Bedingungen zu zweistelligen Lohn- und Gehaltserhöhungen. Brandt erwägt, durch seinen Rücktritt ein
Zeichen zu setzen.
03.– Die SPD-Parteiführung im Hof der alten „Baracke“, März 1974. Der sozialdemokratische Bun-
desgeschäftsführer Holger Börner im SPD-Jahrbuch 1973-1975: „Nachdem sich in dem mit aller
Anstrengung geführten Wahlkampf 1972 bereits
gezeigt hatte, daß die räumliche Enge des ErichOllenhauer-Hauses die Arbeit erheblich behindert, faßte der Parteivorstand auf Vorschlag des
Schatzmeisters Alfred Nau am 23. Juni 1973 in
Berlin den Beschluß, ein neues Parteihaus zu
bauen. Ich bin dem Schatzmeister für diese Entscheidung dankbar, weil damit die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter verbessert werden. Bei der Grundsteinlegung am 7. Juni 1974
betonte Willy Brandt mit einem Seitenhieb auf
das schräg gegenüber liegende Hochhaus der
CDU, der Neubau solle kein ‚Verwaltungskasten‘,
sondern ein offenes, dem Bürger nahes Parteihaus werden.“
04.– Eine der letzten Sitzungen im alten Erich-Ollenhauer-Haus, März 1974. Von links: Willy Brandt,
H. Börner, P. Schulz und Günter Guillaume; vorne:
Herbert Wehner. Guillaume, einer der Persönli79
TAFEL 51
chen Referenten Brandts im Bundeskanzleramt,
wird im April ’74 wegen Spionage für die DDR
verhaftet. Anhaltspunkte für einen Spionageverdacht gibt es schon seit geraumer Zeit.
05.– Guillaume nach einem Verhör bei der Bonner
Staatsanwaltschaft.
06.– Letzte Fahrt als Bundeskanzler nach Helgoland.
07.– Faksimile des Rücktrittschreibens des Bundeskanzlers an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann, 6. Mai 1974. Die Hintergründe des Rücktritts darzulegen, entzieht sich den Möglichkeiten einer Ausstellung.
Die persönlichen Empfindungen Willy Brandts
in der Rückschau: „Mußte ich zurücktreten? Nein,
zwingend war der Rücktritt nicht, auch wenn der
Schritt mir damals unausweichlich erschien. Ich
nahm die politische Verantwortung [für die Guillaume-Affäre] ernst, vielleicht zu wörtlich. Tatsächlich nahm ich viel mehr auf mich, als ich zu
verantworten hatte. Die Schwierigkeiten in und
mit der Regierung hatten seit Jahresbeginn ’73
zugenommen und meine Position, gewiß auch
mein Durchhaltevermögen geschwächt. Die Vermutung spricht dafür, daß ich mich vor einem
anderen Hintergrund weniger passiv verhalten
hätte. [...] Egon Bahr meinte: Es sei sinnlos gewesen, mich umstimmen zu wollen. Ich hätte mich
entweder definitiv vorentschieden oder nicht die
Kraft gehabt, den Konflikt auszutragen. Beides
80
ist richtig, und ich füge hinzu: In der physischen
und psychischen Verfassung späterer Jahre wäre
ich nicht zurückgetreten, sondern hätte da aufgeräumt, wo aufzuräumen war.“
08.– Spontane Sympathiekundgebungen überall in der
Bundesrepublik für Willy Brandt. Brandt bleibt
Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bringt am
8.5.1974 folgende Meldung vom Vortag: „Zehntausende von Menschen bekundeten am Dienstagnachmittag und -abend in Großstädten der Bundesrepublik ihre Sympathie für den zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt. Die größte
Kundgebung mit etwa 10.000 Teilnehmern fand
in der Bonner Innenstadt statt. [...] In anderen
Großstädten nahmen jeweils mehrere tausend
Menschen an den Kundgebungen teil, die von
SPD, Gewerkschaften, sozialdemokratischen Wählerinitiativen, Verfechtern der sozialliberalen Koalition und Jungsozialisten initiiert waren.“ Der
FAZ-Kommentator (in der selben Ausgabe) läßt
sich davon nicht beeindrucken: „Der Mann mit
dem großen Respekt in der Welt und mit dem
auch heute noch fortdauernden Ansehen in seinem Volk ist, um diese historische Wahrheit ist
auch mit Fackelzügen nicht herumzukommen,
politisch gescheitert. Niemand hat ihn hinterhältig gestürzt: er hat resigniert.“
TAFEL 52
„…auf der Zinne der Partei…“
01.– Helmut Schmidts Regierungserklärung im Deutschen Bundestag, 17.5.1974.Der stellvertretende SPD-Vorsitzende H. Schmidt ist der Nachfolger Brandts als Bundeskanzler.
02.– Willy Brandt gratuliert dem neuen Regierungschef.
Schmidt setzt das sozialliberale Bündnis fort.
Im Mai 1975 befragt der „Spiegel“ den „Reformpolitiker“ Willy Brandt nach seinem Verhältnis zu
dem „pragmatischen Macher und Koalitionskanzler“ Helmut Schmidt. Brandt: „Wir vertreten den
größten Teil dessen, was wir sagen, gemeinsam,
und der eine fügt dem das hinzu, was sich besonders aus seiner unmittelbaren Verantwortung als
Regierungschef ergibt. Der andere spricht auch
über sozialdemokratische Vorstellungen, die hier
und da, ohne daß sich daraus ein Gegensatz ergibt, ein wenig hinausführen über die notwendigen, und ich unterstreiche notwendigen, Vereinbarungen und Kompromisse. [...] Schmidt und
Brandt vertreten eine Politik, sprechen für eine
Partei. Wenn es dann noch potentielle Wähler
gibt, die der eine etwas stärker anspricht als der
andere, ist das ja kein Nachteil.“
Helmut Schmidt und Willy Brandt
81
TAFEL 52
03.– Der SPD-Vorsitzende auf einer der 15 Ortsvereinskonferenzen zwischen Mai und September 1974.
Diese innerparteilichen Begegnungen dienen dem
Gespräch mit denjenigen, die in der Partei die
Basisarbeit machen.
Bundesgeschäftsführer Börner bilanziert im SPDJahrbuch 1973-1975 diese Begegnungen: „Die Aufgabenteilung zwischen Parteivorsitz und Bundeskanzler hat sich bewährt, weil sie auf der Grundlage enger Zusammenarbeit mehr Möglichkeiten für
die Bewältigung der einzelnen Aufgaben bietet.
Willy Brandt kann seine Arbeitskraft seither ganz
der Partei widmen. Nach schmerzlichen Rückschlägen des Jahres 1974 hat die SPD durch große innerparteiliche Kraftanstrengung wieder Tritt gefaßt. [...] Diese Konferenzserie als konsequentes
Gespräch mit der Basis hat weder in der Geschichte der SPD noch in der Geschichte einer anderen
Partei eine Parallele. Es hat sich wieder einmal
gezeigt, daß die SPD die große aktive Mitgliederpartei ist. Hier wird nicht von oben ‚verordnet‘,
sondern wir pflegen die demokratische Willensbildung von unten nach oben.“
04.– In Gesprächen zwischen Brandt, Olof Palme und
Bruno Kreisky (hier im Taunus, Dezember 1973)
wird eine sozialdemokratische Theoriediskussion
geführt.
05.– „Briefe und Gespräche“, Titelblatt von 1975.
„Seit meinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers“, schreibt Brandt im Oktober 1974 an Kreisky
und Palme in einem dort veröffentlichten Brief,
„sind nun schon mehrere Monate vergangen. Ich
habe begonnen – auch durch eine Anzahl regionaler Konferenzen –, mich ganz auf die Parteiarbeit einzustellen. Es gibt eine gute Chance, daß
wir die Bereitschaft zur Einordnung steigern und
durch größere Geschlossenheit Terrain gewin82
nen können, das uns zeitweilig verlorengegangen war. Vor zwei Jahren konnten wir deutschen
Sozialdemokraten den größten Wahlsieg in der
Geschichte unserer Partei verbuchen. Seitdem
haben wir, was die Zustimmung der Wähler angeht, ernste Rückschläge hinnehmen müssen.
Wenn man den Ursachen nachgeht, wird man an
eigenen Fehlern und Schwächen nicht vorbeigehen können. Die innerparteiliche Diskussion ist
über gewisse Strecken aus dem Ruder gelaufen.
Der erfreuliche Zuwachs an neuen Mitgliedern
mußte mit dem Preis bezahlt werden, daß unsere
Partei zeitweilig an innerer Geschlossenheit einbüßte. Die Möglichkeiten der Reformpolitik, das
Ausmaß dessen, was eine Koalitionsregierung
unter sozialdemokratischer Führung bei Berücksichtigung massiver Widerstände einseitig interessenbezogener Gruppen im Laufe einer Legislaturperiode vom Tisch kriegen kann, wurden überschätzt. Überzogene Forderungen und wortradikale Überspitzungen haben zu den Vertrauenseinbrüchen beigetragen. Die entscheidende Rolle
spielten jedoch die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die seit Ende vorigen Jahres von außen
auf uns einwirkten und die uns einseitig angelastet wurden. [...] Ich gebe meiner eigenen Partei
den dringenden Rat, die klare Absage an jeden
Dogmatismus nicht rückgängig zu machen, dafür aber die Verständigung auf Grundwerte und
auf Grundforderungen um so wichtiger zu nehmen. Mit anderen Worten: neue Tatsachen nicht
zu übersehen, dabei aber die grundsätzliche Orientierung nie aus dem Auge zu verlieren. [...] Nun
machen wir in der Bundesrepublik die interessante Erfahrung, daß unser innenpolitischer Gegner, die CDU, die Grundwerte – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – auch entdeckt hat und für
TAFEL 52
sich in Anspruch nimmt. Dies ist nur ein Teil des
Versuchs, unser Vokabular zu besetzen und es in
schön klingende Leerformeln abzuwandeln.“
06.– Öffentliche Veranstaltung in Frankfurt a.M., 1976.
07.– Grundsteinlegung für das neue Erich-OllenhauerHaus, Juni 1974. Von rechts: Herbert Wehner, der
Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bundeskanzler Helmut Schmidt, Parteischatzmeister Alfred Nau und Willy Brandt.
Wenn man heute von der legendären Troika der
Sozialdemokratie spricht, sind Brandt, Schmidt
und Wehner gemeint. Unbestritten ist, daß sich
„die Altvorderen manchmal gefetzt“ haben, wie
es ein Zeitgenosse formuliert hat. Unbestritten ist
aber auch, daß die erfolgreiche Führungsmannschaft der SPD trotz interner Spannungen und
Konflikte nicht auseinander bricht. Über die Drei
sagt ein Wehner-Biograph: „Ihr gemeinsames
Interesse ist die Partei, in die sie gewissermaßen
hineingeboren sind [...] Der Erfolg der Partei ist
ihr persönlicher Erfolg, ihre Niederlagen sind
Niederlagen für die Partei.“ „Er war das Gegenteil eines Taktierers und auch das Gegenteil eines
ideologischen oder philosophischen Predigers.
Utopismus … war seine Sache nicht. Er war Rationalist, ein kritischer Denker, aber zugleich einer,
der zum Handeln bereit war, der bereit war zur
Macht im Staate. Ich denke, daß er in eine Reihe
ge-hört mit Kurt Schumacher, mit Ernst Reuter,
mit Fritz Erler, mit Herbert Wehner und mit
Willy Brandt.“ Die Rede ist hier von Julius Leber,
und das Zitat stammt von Helmut Schmidt (1991).
Er hätte sich selbst mit in diese Reihe einbeziehen können.
83
TAFEL 53
01.– Auf dem SPD-Parteitag in Mannheim, November
1975. Von links: Helmut Schmidt, Willy Brandt,
Herbert Wehner und NRW-Ministerpräsident und
stellvertretender Parteivorsitzender Heinz Kühn.
Ein außerparteilicher Beobachter findet, Brandt
habe die Mannheimer Tage „zu einer Harmoniedemonstration für den Kanzler“ gemacht. H. Schmidt
im Mai 1974 zu W. Brandt: „Du kannst die Partei
zusammenhalten, ich nicht.“
02.– Die „Jungen“ in Mannheim.
Etwa zehn Jahre später wird Brandt in einer ZDFBürgersendung in Berlin (eine Zeitung: „Heimspiel
für Willy“) auf die sog. Enkel-SPD angesprochen.
Er antwortet: „Ich habe selbst mal das Wort, etwas leichtsinnig das Wort von den Enkeln erfunden, als man mir sagen wollte, Ihr habt ja keinen
Nachwuchs. Da habe ich gesagt, guckt jetzt nicht
nur auf die paar, die zehn oder fünfzehn Jahre
jünger sind als ich, sondern guckt bitte auf die
Politiker, von Engholm angefangen in Schleswig-
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Holstein über Schröder in Niedersachsen und
Lafontaine im Saarland. Jetzt könnte man noch
eine Reihe anderer nennen, es gibt auch tüchtige
Frauen darunter. Dann habt Ihr die Enkel und
Enkelinnen, die werden das in den nächsten Jahren zu machen haben.“ (aus einer Mitschrift der
Fernsehsendung).
Brandt-Plakat von 1976.
Brandt-Foto, Ende der 70er Jahre.
Bundestagswahlkampf 1976: SPD-Anzeige „Weiter arbeiten am Modell Deutschland“.
SPD-Wahlwerbung mit dem Hinweis auf die „lange persönliche Verbundenheit“ von Brandt und
Schmidt.
SPD-Wahlparteitag, Juni 1976. In den Wahlen
vom Oktober gelingt es dem CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Helmut Kohl zwar, die Oppositionsfraktion zur stärksten im Bundestag zu machen,
die Mehrheit für die von Helmut Schmidt geführte Regierung ist dennoch gesichert.
Willy Brandt, Wanderung im
Teutoburger Wald, 17.7.1976
84
TAFEL 54
Sozialistische Internationale
01.– Bruno Kreisky und Willy Brandt im Mai 1976 in
Caracas (Venezuela). Hier tagen Vertreter europäischer und lateinamerikanischer sozialdemokratischer/sozialistischer Parteien im Rahmen der
Sozialistischen Internationale (SI). In diesem Jahr
wird Brandt Präsident der SI.
Schon im September 1972 hatte Willy Brandt in
einem Brief an Bruno Kreisky und Olof Palme
eine Verbesserung der Arbeit der Sozialistischen
Internationale angeregt: „Eigenes Programm und
eigene europäische Parteierfahrung dürfen uns
nicht daran hindern, mit solchen Parteien und Bewegungen in anderen Teilen der Welt in ein engeres Verhältnis zu kommen, die mit uns und mit
denen wir ein gutes Stück Weges gemeinsam gehen können und wollen; und solche gibt es in
beiden Teilen Amerikas, in Afrika, auch in Asien.
Hieraus würden sich praktische Folgerungen
ergeben. Wir müßten beispielsweise Konferenzen
veranstalten, auf denen sozialdemokratische Parteien aus aller Welt offen, frei und freundschaftlich darüber beraten würden, was sie meinen, miteinander tun zu können.“ Sowohl Kreisky wie
Palme und auch viele andere Sozialisten begrüßen
Brandts SI-Initiative. Palme: „Wir müssen vernünftige und unbürokratische Formen finden, um die
Internationale zu einem Forum für die Zusammenarbeit und die Diskussion mit Vertretern anderer
Erdteile zu machen. Wesentlich ist dabei nicht die
vollständige Übereinstimmung der reinen Lehre;
wesentlich ist vielmehr ein echtes Gefühl für internationale Solidarität.“ So ist es folgerichtig, daß
im Mai 1976 Vertreter europäischer sozialdemokratischer Parteien und lateinamerikanischer
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Parteien auf einer Konferenz in Caracas eine engere Zusammenarbeit im Rahmen der SI vereinbaren.
Die Internationale kann auf eine lange Tradition
zurückblicken. Hier: eine Tagung der sog. I. Internationale, der Internationalen Arbeiter-Association, in Basel 1869.
Für die I. Internationale, 1864 in London gegründet, ist „die erste Pflicht der Arbeiterklasse die
Eroberung der politischen Macht, Endzweck aber
die Vernichtung aller Klassenherrschaft und die
ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse“.
Der französische Sozialist und Kriegsgegner Jean
Jaurès auf einem Kongreß der Internationale in
Stuttgart, 1907.
Nach Auflösung der IAA beschließt ein internationaler Arbeiterkongreß, der 1889 in Paris am
100. Jahrestag des Sturmes auf die Bastille eröffnet wird, die Gründung einer II. Internationale.
Jean Jaurès und August Bebel sind die prominentesten Führer dieser Internationale.
Die Internationale wird nach dem I. Weltkrieg
erneuert. Hier: Beratungen in Berlin, 1923.
Auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in
Hamburg (Mai 1923) erhält die II. Internationale
den Namen Sozialistische Arbeiter-Internationale (SAI). Die SAI geht in dem vom NS-Regime
angezettelten Zweiten Weltkrieg unter.
Kurt Schumacher (Bildmitte) in Zürich 1947. Der
ehemalige KZ-Häftling kämpft um die Zulassung
der SPD zur internationalen Gemeinschaft sozialistischer/sozialdemokratischer Parteien.
Internationaler Sozialistischer Frauentag in Salzburg, 1950.
Internationale Kundgebung in der Frankfurter
Festhalle anläßlich der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale 1951.
85
TAFEL 54
„Elf Jahre nach dem faktischen Ende der SAI
nahm die Internationale nach den schweren
Prüfungen des II. Weltkriegs und den ersten
schwierigen Nachkriegsjahren in Frankfurt als
Sozialistische Internationale (SI) die Tradition in
neuer Form wieder auf.“ (Willy Brandt). Auf dem
Frankfurter Kongreß einigen sich 34 sozialdemokratische und sozialistische Parteien der Welt
auf eine Prinzipienerklärung der Sozialistischen
Internationale. Damit ist der Grundstein für eine
„Arbeitsgemeinschaft souveräner Parteien“ gelegt.
08.– 100-Jahrfeier der Internationale in Brüssel, 1964.
Junge Sozialisten auf dem Weg in die belgische
Hauptstadt.
09.– Brüsseler SI-Festzug, 1964.
TAFEL 55
Die SI und ihr Präsident
01.– Die Sozialistische Internationale – eine Collage
von Elie Elia, Gent 1982.
02.– Willy Brandt, der Chef der portugiesischen Sozialisten Mario Soares und Victor Raul Haya de
la Torre, einer der wenigen lateinamerikanischen
Politiker indianischer Herkunft, der viele Jahre
wegen seiner Überzeugung im Exil und in der
Illegalität hatte verbringen müssen. Venezuela
1976.
03.– Umschlagseiten der SI-Zeitschrift „Socialist Affairs“, Januar/Februar 1977. Der Genfer SI-Kongreß 1976 hatte Brandt zum Präsident der SI gemacht.
Willy Brandt: „Ich trat das Amt im Herbst 1976
mit einiger Freude an und dem festen Willen,
den Eurozentrismus einer Organisation zu überwinden, die traditionell den Namen ‚Sozialistische Internationale‘ trägt und deren Mythos im-
86
mer schon größer war als deren Macht.“ Und: „In
welchem Ausschuß, Komitee, Plenum auch immer mit Mehrheit Beschlüsse zu fassen, die für
die einzelnen Parteien bindend sein würden, stand
nirgendwo auf der Tagesordnung. Für eine sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft unabhängiger nationaler Parteien konnte und kann es
sich allein darum handeln, Erfahrungen auszutauschen und zu vergleichen, Meinungen zusammenzufassen und auf internationale, auch nationale Entscheidungsprozesse einzuwirken. Eine
Superpartei hatte und hat niemand im Sinn, eine
Weltexekutive schon gar nicht.“
04.– Felipe González, der Generalsekretär der spanischen Sozialisten, spricht in Genf. Die spanische
Opposition gegen Franco hatte erst nach dessen
Tod (1975) legal in Erscheinung treten können.
05.– In der Welt sind Abermillionen vom Hungertod
bedroht.
06.– Konflikte im Nahen Osten: Israelis und Palästinenser.
TAFEL 55
Willy Brandt und Kyosaku Sasaki, Vorsitzender der Dem. Soz. Partei Japans: Parteiführerkonferenz der SI in Tokio, 18.12.1978
07.– Bruno Kreisky und Willy Brandt treffen 1979 in
Wien den PLO-Führer Arafat. Alle drei unterstreichen die Notwendigkeit einer globalen Friedensregelung für den Nahen Osten auf der Grundlage
der UNO-Resolutionen.
08.– Der Präsident der Internationale auf der SI-Tagung in Estoril (Portugal), Oktober 1979.
09.– Begeisterter Empfang Willy Brandts in der Dominikanischen Republik, März 1980.
10.– Kinderarbeit in Kolumbien.
11.– Die unter Brandts Vorsitz gewachsene SI muß
sich immer wieder mit Militärdiktaturen befassen.
87
TAFEL 56
Willy Brandt, Johannes Rau: Treffen auf Schloß Wickrath, 3.9.1978
01.– Empfang des Vorsitzenden und der SI-Vizepräsidenten beim spanischen König, November
1980. Von links: Shimon Peres, der israelische
Oppositionsführer, Willy Brandt, Bruno Kreisky,
Juan Carlos und Felipe González.
02.– Der SI-Präsident Willy Brandt spricht 70 Jahre
später an der gleichen Stelle im Baseler Münster,
an der der Internationalist August Bebel 1912
seinen eindrucksvollen Friedensappell an die
Menschheit gerichtet hatte.
Bebel damals: „Ich hoffe, Sie [die Delegierten]
insbesondere werden die Bedeutung dieser Tagung einzuschätzen wissen und bedenken, daß,
während sich die bürgerliche Welt in geteilten Lagern, in Drei- und Vierbünden, gegenübersteht,
der Einbund der Arbeiter der Welt, die große allgemeine Internationale, sich rüstet, den Kampf
mit allen Feinden aufzunehmen.“ Und: „Ich freue
mich, daß gerade ich als Atheist den kirchlichen
Behörden Dank aussprechen kann, daß sie uns
gestern das prachtvolle Münster zur Verfügung
gestellt und uns mit Glockenläuten empfangen
88
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08.–
haben, als käme ein Großer der Erde, ein Bischof
oder ein Papst. Parteigenossen, dieses Zeichen
wirklich christlicher Toleranz ist leider in der
Christenheit nur ganz selten. Das Gegenteil ist
heute die allgemeine Anschauung in der Christenheit, und besonders uns gegenüber, die wir
als Feinde der Religion, der Ehe und der Familie
dargestellt werden, als die Umstürzler, die alles
durcheinanderwerfen wollen. Ich bin freilich der
Überzeugung, daß, wenn heute der christliche Heiland wiederkäme und diese vielen christlichen Gemeinden, diese Hunderte von Millionen zählt, die
sich heute Christen nennen, es aber nur dem Namen nach sind, daß er dann nicht in ihren Reihen,
sondern in unserem Heer stehen würde.“
Zwei Genossinnen, 1982 in Basel, die schon
1912 dabei waren.
Plakat: Corrida zu Ehren des SI-Kongresses im
portugiesischen Albufeira, 1983.
Brandt, ein brasilianischer Gewerkschafter und
Leonel Brizola von der Demokratischen Arbeiterpartei Brasiliens in Rio de Janeiro, 1984.
Willy Brandt: „Die Zusammenarbeit auf der Parteienebene hat mich in der Überzeugung bestärkt, daß
in der Lösung internationaler Fragen dem Regionalprinzip ein größeres Gewicht zukommen muß.“
Soziale Gegensätze in Brasilien.
In Stockholm 1989 wird Willy Brandt mit einer
imponierenden Mehrheit als SI-Präsident wiedergewählt. Auf dem Foto rechts von Brandt:
Ingvar Carlsson, der schwedische Ministerpräsident und sozialdemokratische Parteivorsitzende. Im Hintergrund: Michael Manley (Jamaika)
und Neil Kinnock (Großbritannien).
Bruno Kreisky und Willy Brandt in Stockholm.
Der österreichische Altbundeskanzler ist von
seiner Krankheit schwer gezeichnet.
TAFEL 57
01.– 1989 ff. stürzen die kommunistischen Regimes.
Auch da, wo die Kommunisten noch an der Macht
sind, sind sie nicht in der Lage, die sozialen und
wirtschaftlichen Krisen zu bewältigen (Aufnahme:
Albaner vor einer Bäckerei). Die Ost-West-Konfrontation wird abgelöst durch eine neue „Weltunordnung“ (Brandt).
Willy Brandt in Genf 1989: „Was wir heute erleben, ist nicht nur faszinierend und ermutigend,
es ist in gewisser Weise die größte Herausforderung für den demokratischen Sozialismus in diesem Teil der Welt nach dem II. Weltkrieg.“
02.– Plakat der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft aus den 80er Jahren.
1986 gibt der SI-Präsident zu bedenken, „daß
trotz der guten Entwicklung, die die SI in den zurückliegenden Jahren genommen hat, die Gefahr besteht, daß die Internationale in dem, was
sie leisten kann und was nicht, von außen nicht
selten auch überschätzt wird.“
03.– SI-Ratstagung in New York, Oktober 1990. Willy
Brandt sagt 1986: „Eine andere weltpolitische
Lage und neue globale Fragestellungen wie der
04.–
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Willy Brandt: 40. Jahrestag der Wiederbegründung der
Sozialistischen Internationale in Frankfurt/M., 25.6.1991
Nord-Süd-Konflikt, die weltweite Aufrüstung und
besonders die nukleare Rüstung, Probleme der
Weltwirtschaftsordnung, die immer drückender
und bedrohender werdende Situation der Menschenrechte erforderten von der SI ein erneuertes
politisches Angebot, wenn sie als politisch-moralische Kraft in der Welt ernst genommen werden
wollte. Als ich auf dem XIII. Kongreß der SI im
November 1976 in Genf zum Präsidenten gewählt wurde, habe ich das deutlich zu machen
versucht.“ Während der SI-Präsidentschaft Brandts
hat sich die vorher eurozentrisch ausgerichtete
Internationale in der Tat globalisiert. Das internationale Ansehen, das Willy Brandt genießt,
kommt der SI zugute.
Zur Erinnerung an die Wiedergründung der Sozialistischen Internationale in Frankfurt a.M.
1951 lädt die Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer
Feierstunde in der Paulskirche ein. Aufnahme
von 1991: Pressekonferenz. Brandt berichtet in
Frankfurt, es läge eine Liste vor „von inzwischen
50 und 60 Parteien, die zu uns kommen möchten... Die Internationale ist ein wichtiger Ort der
Begegnungen, des Austausches von Erfahrungen, des Bündelns von Anregungen für ein aufeinander abgestimmtes Verhalten.“
Frankfurter Veranstaltungsteilnehmer, 1991.
Im März 1992 tagt das SI-Präsidium in Madrid.
Madrid 1992. Von links: Luis Ayala, der SI-Generalsekretär, Brandt und Felipe González. Willy Brandt teilt dem Präsidium mit, daß er sein seit
1976 ausgeübtes Amt als SI-Präsident niederlegen will. Die Präsidiumsmitglieder würdigen die
einzigartige Rolle Brandts innerhalb der Internationale. Felipe González spricht für alle, als er
sagt: „Willy Brandt is a symbol of what we are –
he not only represents us, he symbolizes us.“
89
TAFEL 58
01.– Die Demonstrationen in der Bundesrepublik gegen die Kernenergie nehmen mehr und mehr
den Charakter eines Glaubenskrieges an. Hier:
Postkarte Klaus Staeck, 1977.
02.– 1977 wird der Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände Hanns Martin Schleyer entführt
und ermordet. Zwei Aufnahmen.
03.– Fotografen auf dem Hamburger SPD-Parteitag,
November 1977.
04.– Willy Brandt ist erschüttert, als er vom plötzlichen Tod Wilhelm Dröschers erfährt. Dröscher,
SPD-Schatzmeister, hatte noch am Vortag am
Hamburger Parteitag teilgenommen. * Gedenkminute für Wilhelm Dröscher.
05.– Brandt ist 1979 Spitzenkandidat bei der ersten
Direktwahl zum Europäischen Parlament. SPDFaltblatt. *Brandt, Katharina Focke und Bruno
Friedrich bei einer sozialdemokratischen Europa-Regionalkonferenz.
06.– 1878 hatte Bismarck das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ („Sozialistengesetz“) erwirkt. Die hier
wiedergegebene Darstellung spielt auf den CDU/
CSU-Wahlkampfslogan von 1976 an und zeigt
neben Bismarck andere Antisozialisten.
In einer Rede in der Frankfurter Paulskirche zur
100. Wiederkehr des „Antisozialistengesetzes“
(11.6.1978) kommt Brandt zu der Schlußfolgerung, daß es ohne eine starke Sozialdemokratie
heute keine annähernd solide deutsche Demokratie geben würde. „Das wird morgen nicht anders sein. Die deutschen Sozialdemokraten meinen nicht, die Geschichte und das gegenwärtige
Erscheinungsbild ihrer Partei seien frei von Irrtümern und Fehlern. Wir bilden uns nicht ein,
über den Stein der Weisen zu verfügen. Aber wir
sind stolz auf unsere Geschichte und auf den
90
Dienst an unserem Volk: Dies ist der Weg, der
von der kleinen belächelten Minderheit zur großen
fortschrittlichen Volkspartei führte. Vom rechtlosen Proletarier zum gleichberechtigten Staatsbürger. Vom begrenzten Männerwahlrecht zum
Wahlrecht für alle. Vom Obrigkeitsstaat zum Bürgerrecht auf Mitwirkung, auch auf Mitbestimmung. Den Weg zur Bürgerdemokratie freigeschaufelt und mitgestaltet zu haben, das rechtfertigt, mit gesundem Selbstbewußtsein zurückzublicken.“ Und in diesem Zusammenhang: „Die
Sozialdemokratische Partei, so sagte August Bebel, ist eine Partei, die in ständiger geistiger Mauserung begriffen ist. Ich hoffe, dies ist so und
bleibt so. Und weil wir um unsere Stärken, aber
auch um unsere Schwächen wissen, müssen wir
entschlossen sein, uns niemals mehr überrollen
zu lassen, sondern unseren Beitrag zu leisten,
um den geschichtlichen Prozeß selbst zu gestalten. Ich nehme das Wort Stolz noch einmal auf:
Es ist gut, sagen zu können, daß wir uns treu
geblieben sind – vom Widerstand gegen die Unfreiheit bis zur aktiven Sicherung von Bürgerfreiheit. Es ist auch gut zu wissen, daß die Demokratie in unserem Teil Europas ein gutes Stück
vorangekommen ist – und daß wir daran unseren nicht geringen Anteil haben. Die deutsche
Geschichte muß nicht noch einmal eine verhängnisvolle Wende nehmen. Aber von nichts kommt
nichts: Wir müssen uns denen entgegenstellen,
die geistigen Bürgerkrieg schüren. Wir müssen
uns nationalistischer Verirrung und Großmannssucht entgegenstemmen. Wir müssen unserem
Volk sagen, daß es sich durch ein Amalgam aus
Pessimismus und Wertverlust weder blenden
noch in die Irre führen lassen darf.“
TAFEL 59
Nord-Süd und die
Entwicklungspolitik
01.– Eine Brandt-Biographie von 1988: „Willy Brandts
Reisediplomatie, sein aufrichtiges und behutsames Bemühen um weltpolitische Zusammenarbeit bleibt nicht unbemerkt. 1977 fordert ihn
Weltbankpräsident Robert McNamara auf, den
Vorsitz einer Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen zu übernehmen.
Brandt, ausgelastet mit nicht eben geringen Verpflichtungen (neben Parteivorsitz und SI-Präsidentschaft hält er ein Bundestagsmandat und kandidiert auf Platz 1 der SPD-Liste zur ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments), sagt dennoch
zu.“ Foto: Die Independent Commission on International Development Issues , deutsch kurz NordSüd-Kommission, tagt unter dem Vorsitz Willy
Brandts, März 1979.
02.– Von einer ICIDI-Konferenz in Bamako (Republik
Mali).
03.– Willy Brandt in Saudiarabien, 1979. Die Beschreibung des Fotos nennt ihn „Chairman for NorthSouth dialogue“.
04.– Unter dem Vorsitz Brandts erarbeitet die NordSüd-Kommission den sog. Brandt-Bericht, der
1980 erscheint. Der Bericht zieht eine Bilanz der
Entwicklungspolitik und schlägt Wege zu einer
neuen internationalen Wirtschaftsordnung vor.
Titelseiten. *Brandt neben dem früheren britischen Premierminister Edward Heath, der Mitglied der Kommission ist.
Der Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission Brandt
schreibt im Vorwort zu „Das Überleben sichern“:
„Unser Bericht gründet sich auf das wohl einfachste gemeinsame Interesse: Daß die Menschheit
überleben will und – wie man hinzufügen könnte
– auch die moralische Pflicht zum Überleben hat.
Dies wirft nicht nur die klassischen Fragen nach
Krieg und Frieden auf, sondern schließt auch
ein, wie man den Hunger in der Welt besiegt, wie
man das Massenelend überwindet und die herausfordernden Ungleichheiten in den Lebensbedingungen zwischen Reichen und Armen.“ Und:
„Es ist eine Frage der Humanität, Hunger und
Elend auf dem Weg ins nächste Jahrhundert zu
besiegen und damit jene Futurologen zu widerlegen, die uns sagen, auch beim Übergang ins
21. Jahrhundert hätten wir uns mit der Not Hunderter von Millionen Menschen abzufinden, die zu
verhungern drohen oder an vermeidbaren Krankheiten leiden.“ Brandt später: „Das internationale
Echo auf den Brandt-Bericht und seine Empfehlungen war beträchtlich, der Niederschlag in praktischem Regierungshandeln eher bescheiden. 1980
wurde die europäische Öffentlichkeit Zeuge eines besonders lebhaften Interesses in Großbritannien, ähnlich in den Niederlanden; hingegen
kamen die deutsche wie die französische Regierung über süßsauren Lippendienst nicht hinaus.
In Venedig nahm der Weltwirtschaftsgipfel Notiz
von unseren Empfehlungen und versprach leichtsinnigerweise, ihnen im einzelnen nachzugehen. [...] Im Internationalen Währungsfonds und
in der Weltbank fanden unsere Vorschläge viel
Aufmerksamkeit, aber wenig Gegenliebe.“
05.– Eine Karikatur mit Anspielung auf die Schwierigkeiten, die SI zu lenken. Brandt in den Mund
gelegt: „Ich bin schon etwas gewohnt, aber dagegen ist die SPD ein Auto-Scooter.“
91
TAFEL 59
06.– Ende 1978 diagnostizieren die Ärzte bei Brandt
einen verschleppten Herzinfarkt. Die Arbeitsfülle hat ihren Preis. Aufnahme: Brandt in einem
Rehabilitationszentrum, Februar 1979.
07.– Nach einer dreimonatigen Pause von der Politik
ist Brandt wiederhergestellt.
08.– Der Widerstand im Iran gegen das Schah-Regime zwingt Resa Pahlevi im Januar 1979 zum
Verlassen des Landes. Schiitenführer Ayatollah
Khomeini (hier im französischen Exil) kehrt in
den Iran zurück.
TAFEL 60
01.– Zwei Fotos vom SPD-Parteitag in Berlin, Dezember 1979. Erörtert wird neben der Kernenergiefrage auch der von Helmut Schmidt initiierte sog.
NATO-Doppelbeschluß, der – vergröbert formuliert – eine Nachrüstung der NATO vorsieht, um
das militärische Gleichgewicht der Machtblöcke
aufrechtzuerhalten. In Berlin unterstützt der Parteivorsitzende – die angesagten Abrüstungsverhandlungen im Blick – trotz innerer Vorbehalte
und gegen eine Parteitagsopposition eine Entschließung, die den Schmidt-Kurs billigt. Brandt:
„Dies begeistert zu tun, würde mir schwer fallen.“
02.– Dezember 1979: Sowjetische Afghanistan-Invasion.
03.– Im April 1980 scheitert eine von US-Präsident
Jimmy Carter angeordnete Aktion zur Befreiung
der seit November 1979 in der US-Botschaft in
Teheran festgehaltenen amerikanischen Geiseln.
04.– Das Deutschlandtreffen der SPD in Dortmund im
September 1980 (2 Fotos) ist das bisher größte
Volksfest einer demokratischen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik.
05.– Am Abend nach den Bundestagswahlen vom
5.10.1980 im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus: Hin92
ter Außenminister Genscher und Bundeskanzler
Schmidt die Architekten der sozialliberalen Koalition Brandt und Scheel. Diese Koalition hatte sich
gegen den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Strauß
gut behaupten können.
Die Äußerungen Hans-Dietrich Genschers an diesem Abend werden von der Öffentlichkeit so gedeutet, daß die FDP auf jeden Fall an der sozialliberalen Koalition festhalten will. Ebenso wird
allerdings von der Öffentlichkeit bemerkt, daß
sich die Gegensätze zwischen Rechten und Linken in der FDP verschärfen.
In einer ersten Stellungnahme sagt Brandt: Der
Erfolg bei den Wahlen drücke sich vor allem darin aus, „daß eine eindeutige Mehrheit in unserem Land nicht Herrn Strauß, sondern Helmut
Schmidt als Bundeskanzler haben will“. Im Hinblick auf die kommenden Koalitionsverhandlungen fordert er FDP und SPD auf, ihr Konto nicht
zu überziehen.
06.– Im November 1980 gewinnt Ronald Reagan (Republikaner) die Präsidentschaftswahlen gegen den
glücklosen Jimmy Carter (Demokrat). Aufnahme
hier: Reagan mit dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker (CDU) und Bundes-
TAFEL 60
kanzler Helmut Schmidt bei Besichtigung der
Mauer in Berlin, Juni 1982.
07.– Vier Fotos vom Münchner SPD-Parteitag, April
1982. Unteres Foto: Parteitagsgast Marie Jahoda,
die 1938 aus Österreich emigriert war. Der „Erosionsprozeß“ (Brandt) der Regierungskoalition
hatte schon vor München begonnen. Die wirtschafts- und sozialpolitischen Gegensätze zwischen den beiden Regierungsparteien (Beschäfti-
gungsprogramm bei kletternden Arbeitslosenzahlen, Ergänzungsabgabe auf höhere Einkommen, Abbau ungerechtfertigter Steuerprivilegien,
„Sparpaket“ mit Kürzungen sozialer Leistungen
usw. usf.) werden unüberbrückbar. Die FDP nimmt
die Beschlüsse von München zum Anlaß, die Koalition zu verlassen. Helmut Schmidt zum Parteitag: „Die Partei darf nicht nur der Regierung, der
Koalitionsregierung, vorauseilen, sie muß es tun.“
TAFEL 61
In der Opposition
01.– Letzte Sitzung des SPD-Minderheitskabinetts im
Bundeskanzleramt, Ende September 1982. Auch
der Parteivorsitzende Brandt und SPD-Fraktionschef Wehner nehmen teil.
02.– Im März 1983 sind Bundestagswahlen anberaumt. Zum ersten Mal seit 1966 führt die SPD
den Wahlkampf als Oppositionspartei. Auf dem
Bild: Der Parteivorsitzende Brandt, der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel und der SPD-Bundesgeschäftsführer Peter
Glotz, Nachfolger von Egon Bahr seit 1981. Die
SPD unterliegt bei den Wahlen.
03.– Petra Kelly von den Grünen im Gespräch mit
Willy Brandt im neuen Bundestag, März 1983.
Neben der SPD hat sich eine weitere politische
Kraft etabliert.
04.– Die Kundgebung der Friedensbewegung in Bonn,
Oktober 1983. Zwei Aufnahmen. Brandt wendet
sich in Bonn gegen die Aufstellung weiterer
amerikanischer Raketen in der BRD. Er kann –
so Brandt selbst – „nicht die Zustimmung jenes
Teils erfahren, der nur Reden gegen Westmächte, NATO und Bundeswehr hören wollte. Da war
man bei mir an der falschen Adresse. Und insoweit konnte mich das Pfeifkonzert einer lautstarken Minderheit nicht stören. Auf jener großen
Bonner Kundgebung bestätigte ich: ‚Die Bundeswehr, als Armee im demokratischen Staat, hat
den Auftrag, den Frieden sichern zu helfen. Ihre
Angehörigen haben, wie wir anderen, ein vitales
Interesse daran, daß nicht der Vernichtung preisgegeben wird, was wir gemeinsam sichern wollen.‘ „
05.– Köln, November 1983: Sozialdemokratischer Parteitag. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Rede Willy Brandts lehnt der Sonderparteitag gegen nur sehr wenige Stimmen die Raketennachrüstung ab. Die allerdings ist schon im Gange.
93
TAFEL 62
01.– 1984 ist Willy Brandt zwanzig Jahre lang Parteivorsitzender der Sozialdemokraten. Es erscheint
eine Auswahl seiner Parteitagsreden, die den
Titel trägt „...auf der Zinne der Partei...“.
02.– Der sozialdemokratische Parteitag von Essen im
Mai 1984 (zwei Fotos) setzt sich mit den Auswirkungen der Wendepolitik auseinander. CDU/CSU
waren mit dem Anspruch in die Regierungsverantwortung getreten, eine „geistig-moralische
Wende“ herbeizuführen. Das Versprechen wird
nicht eingelöst. Die SPD fordert die ökonomische
und soziale Erneuerung der Wirtschaft mit dem
Ziel, „Arbeit für alle“ zu schaffen und den Sozialstaat durch Umbau gerechter, qualitativ besser
und sicherer zu machen. Der Parteivorsitzende
im SPD-Jahrbuch 1984/1985 zu Essen: „Erneuerung war ein Leitmotiv für unsere Bemühungen
auf dem Gebiet der Friedenspolitik. Auf dem Essener Parteitag hat die SPD ein Sicherheitskonzept
bestätigt, das die Idee der gemeinsamen Sicherheit an die Stelle alter Abschreckungskonzepte
stellt. Statt gegen den potentiellen Feind zu denken und zu planen, soll der Krieg mit ihm in einer
gemeinsamen Anstrengung verhütet werden. West
und Ost sind bei aller Unterschiedlichkeit ihrer
politischen und gesellschaftlichen Auffassungen
nicht zu Freunden, wohl aber zu Partnern geworden, wo es ums Überleben geht.“ Nachträglich,
weit über die Bonner „Wende“ hinaus bis 1989,
bleibt Brandt die Genugtuung, daß die von ihm
initiierte und von Schmidt weitergeführte „Ostpolitik“ von der Bundesregierung unter Helmut Kohl
im wesentlichen fortgesetzt wird. Der deutsche Begriff „Ostpolitik“ war schon vorher in einige Weltsprachen als vertrautes Wort eingegangen.
03.– Willy Brandt und Brigitte, geborene Seebacher.
1979 hat er sich von seiner Frau Rut getrennt und
94
1983 die aus Bremen stammende Historikerin
und SPD-Journalistin geheiratet.
04.– Der kommunistische Reformer Michail Gorbatschow, KPdSU-Generalsekretär seit 1985, sucht
u.a. den Rat des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen
Internationale. Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt trifft Gorbatschow zum ersten
Mal Willy Brandt in Moskau. Vgl. Bild.
05.– Am Abend nach der NRW-Wahl (12.5.1985) kommt
es zu einer scharfen, vom Fernsehen übertragenen
Kontroverse zwischen Willy Brandt und dem CDUBundeskanzler Helmut Kohl (Vgl. vier Videoprints).
Zitate aus dem Wortwechsel. „Kohl: Was die Außenpolitik betrifft, Herr Brandt, da muß ich sagen,
da sehe ich angesichts Ihrer Außenpolitik der
Bundestagswahlentscheidung 1987 mit größtem
Optimismus entgegen, denn diese Form dieses
primitiven Anti-Amerikanismus... Brandt: Quatsch.
Sie sollten sich schämen, Herr Bundeskanzler. Sie
sollten sich schämen. Kohl: Ach, hören Sie doch
auf. Wenn Sie jetzt laut werden, dann ist das nur
ein Beweis dafür, daß Sie ein schlechtes Gewissen
haben. Brandt: Ich kann das nicht durchgehen
lassen. Sie schaden unserem Volk durch diese
Lügen. Kohl: Aber Herr Brandt, was Sie alles in
Amerika vor ein paar Tagen gesagt haben, das
hat der Bundesrepublik geschadet. (Brandt: Nein)
Und nicht das, was ich hier dem deutschen
Publikum sage. (Brandt: Nein) Die Leute konnten
ja lesen, was Sie gesagt... Brandt: „Sie sagen den
Menschen die Unwahrheit, Herr Bundeskanzler,
ich laß’ das nicht durchgehen.“
06.– Willy Brandt und Ehefrau Brigitte in Ostberlin,
September 1985. Rechts: Staatsratsvorsitzender
und SED-Generalsekretär Erich Honecker. Zwei
Jahre hatte Brandt sich Zeit gelassen, der Einla-
TAFEL 62
Willy Brandt und Johannes Rau: SPD-Parteitag in Nürnberg, 26.8.1986
dung Honeckers zu folgen. In Gesprächen zwischen SPD und SED, an denen Brandt nicht direkt beteiligt ist, wird die Frage einer chemiewaffenfreien Zone und eines atomwaffenfreien
Korridors in Mitteleuropa erörtert. 1987 wird
dann ein gemeinsames Papier von SPD und SED
„Der Streit der Ideologien und die gemeinsame
Sicherheit“ verabschiedet, in dem es heißt: „Die
offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, ihre Erfolge und Mißerfolge, Vorzüge und
Nachteile, muß innerhalb jedes Systems möglich
sein.“ Die Opposition in der DDR begrüßt dieses
„Streitpapier“. Noch im September 1985 erklärt
das Präsidium der SPD: „Die grundsätzlichen
Unterschiede zwischen Sozialdemokraten und
Kommunisten bleiben bestehen. Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat bei seinem kürzlichen Besuch in der DDR erneut unterstrichen,
daß die grundlegenden Unterschiede Bedeutung
und Wirkung behalten, auch wenn gemeinsam
an einer europäischen Friedensordnung zu arbeiten ist.“ Brandt beschreibt in seinen „Erinnerungen“ auch andere bei seinem Ostberliner Besuch
bestätigte Erkenntnisse: „Die Formel vom ‚sozialistischen Staat deutscher Nation‘ blieb und bleibt
blutleer. Der Westen ist erfolgreich, seine Anziehungskraft ungebrochen, die Sprache trennt
nicht. Die Bürger haben mit denen der Bundesrepublik mehr gemeinsam, als unsere elektronischen Medien ihnen bieten.“
07.– Im Februar 1986 wird Willy Brandts Freund, der
sozialdemokratische Ministerpräsident Schwedens
Olof Palme, von einem Attentäter erschossen. Zwei
Fotos von den Trauerfeierlichkeiten.
Einige Stunden nach dem Attentat hatte Brandt
geschrieben: „In der Nacht zum Sonnabend erreichte mich die zunächst unfaßliche Nachricht,
daß Olof Palme umgebracht worden ist. Mein erster Wunsch ist, seiner Frau und seiner Familie,
den schwedischen Sozialdemokraten und dem
95
TAFEL 62
schwedischen Volk meine tief empfundene Anteilnahme zum Ausdruck bringen zu dürfen. Schweden hat einen Staatsmann von internationalem
Rang verloren. Die nach Frieden und Gerechtigkeit dürstende Welt ist ärmer geworden. [...] Ich
weiß nicht, wie die Lücke geschlossen werden
soll, die durch den gewaltsamen Tod Olof Palmes
gerissen wurde. Wohl aber weiß ich, daß wir ihn
am besten ehren, wenn wir weiterarbeiten an
dem, was Inhalt seines von so viel mitmenschlichem Engagement und so viel zukunftsweisendem
Ideenreichtum geprägten Lebens gewesen ist.“
TAFEL 63
Ehrenvorsitzender
01.– Das furchtbare Reaktorunglück im ukrainischen
Tschernobyl im April 1986 (2 Aufnahmen) zwingt
die Welt, erneut über die Verwendung von Atomenergie nachzudenken.
02.– Umschlagseite des SPD-Jahrbuchs 1986/87 mit
den Porträts der politischen Weggefährten Willy
Brandts.
03.– Willy Brandt auf einer Benefizveranstaltung für
Atomopfer im August 1986 auf der Loreley. Plakat.
Bei den Bundestagswahlen 1987 kann sich SPDSpitzenkandidat und NRW-Ministerpräsident Johannes Rau („Versöhnen statt Spalten“) nicht durchsetzen.
04.– Als es im Frühjahr 1987 gilt, den Posten eines
Parteisprechers neu zu besetzen, schlägt Willy
Brandt die parteilose, in Deutschland geborene
Griechin Margarita Mathiopoulos vor. M. Mathiopoulos (1993): „Als er mich im März 1987 fragte, ob
ich bereit sei, Pressesprecherin der SPD zu werden, war die Antwort für mich klar. Wie konnte ich
Brandt nein sagen! Für jeden jungen Menschen ist
es eine einmalige Chance, für eine historische
Persönlichkeit wie Willy Brandt arbeiten zu dür96
fen.“ Über den Personalvorschlag Brandts kommt
es in der Partei zu einem Streit, den Brandt zum
Anlaß nimmt, den Parteivorsitz niederzulegen.
Brandt: „Am 23. März teilte ich dem Parteivorstand mit: Ich gedächte, meinen Abschied zu nehmen, und bäte, den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dr. Hans-Jochen Vogel, zu meinem Nachfolger und Oskar Lafontaine – neben Johannes Rau
– als neuen Stellvertreter zu bestellen. Überrascht
war niemand. Ich fühlte mich in meinen Vorschlägen durch eine lange Aussprache bestätigt, die
ich am Wochenende mit jüngeren Parteiführern
gehabt hatte.“ Und: „Es gibt Schlimmeres, als einem anderen Platz zu machen, zumal wenn man
weiß, daß eine jüngere Führungsgruppe auf dem
Sprung steht und nachrücken wird. Und wenn
man auch noch eine programmatische Erneuerung hat anstoßen können.“ Von einer dauerhaften Entfremdung zwischen Brandt und der SPD ist
nicht die Rede. Der außerordentlichen SPD-Parteitag in Bonn im Juni 1987 (fünf Aufnahmen) bestimmt Hans-Jochen Vogel, den Vorsitzenden der
SPD-Bundestagsfraktion, zum Nachfolger Willy
Brandts. Brandt selbst wird einstimmig zum Ehrenvorsitzenden der Partei gewählt.
05.– Haitzinger-Karikatur von 1987. Text: „Also, Vogel, mit Parteiflügeln bist Du versorgt, jetzt flieg!“
TAFEL 64
Programmatik
01.– Veränderte historische Bedingungen erfordern
immer wieder, sozialdemokratische Themen und
Thesen neu zu durchdenken. Aufnahme: Eduard
Bernstein (links) und Karl Kautsky (Altersfoto),
die Hauptautoren des Erfurter SPD-Programms
von 1891. In „Links und frei“ erinnert sich Brandt,
anläßlich eines Internationalen Sozialistenkongresses in Hamburg 1923 („Ich war damals
mit der Kindergruppe unserer Lübecker Arbeiterturner in Hamburg“) „einen Blick von Männern
wie Karl Kautsky und Eduard Bernstein erhascht“
zu haben.
02.– Foto: Willy Brandt und Erich Ollenhauer auf dem
Godesberger Programm-Parteitag vom November 1959. In dem dort verabschiedeten Grundsatzprogramm vollzieht sich der Wandel der SPD
zu einer Volkspartei. Die „Kleine Geschichte der
SPD“ sagt dazu: „Das Bemerkenswerteste am Godesberger Programm war sein Verzicht auf jede
weltanschauliche und theoriegeschichtliche Festlegung. Es bekannte sich zu ‚Grundwerten‘ und
‚Grundforderungen‘, die auf unterschiedliche Weise religiös oder philosophisch begründet werden
konnten. Durch diese Offenheit wurden Barrieren abgebaut, die der deutschen Sozialdemokratie den Weg zur Gewinnung von Anhängern, insbesondere aus religiös gebundenen Kreisen, bis
dahin versperrt hatte.“ Brandt in Godesberg zu
dem SPD-Programm: „Es ist eine im ganzen und
im wesentlichen zeitgemäße Aussage, die es unseren Gegnern schwerer machen wird, sich mit
einem Zerrbild statt mit der Wirklichkeit der
deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen.“
03.– Blick auf die Parteitagsdelegierten, Godesberg
1959.
04.– Helmut Schmidt und Willy Brandt, 1973. Einen
wichtigen Beitrag zur sozialdemokratischen Programmatik nach Godesberg stellen die jahrelangen Arbeiten am sogenannten Orientierungsrahmen ’85 dar, an denen Helmut Schmidt teilnimmt.
05.– Der von einer Kommission unter Leitung von Peter von Oertzen, Horst Ehmke und Herbert Ehrenberg (vgl. Aufnahme, hinterer Tisch) vorgelegte
Entwurf wird mit einigen Änderungen auf dem
Mannheimer SPD-Parteitag 1975 fast einstimmig angenommen. Willy Brandt zu dem Orientierungsrahmen ’85: „Hier hat die größte Partei in
der Bundesrepublik den Versuch unternommen,
das Zwischenstück zwischen Tagespolitik und
Grundsatzprogramm zu schaffen und damit die
in das kommende Jahrzehnt hineinreichenden
Aufgaben zu beschreiben.“
06.– Titelblatt Orientierungsrahmen ’85.
07.– Vielen in der Welt ist in dieser Zeit Theorie und
Praxis der deutschen Sozialdemokratie Vorbild.
Hier: Titelblatt der chinesischen Übersetzung
von Brandts „Begegnungen und Einsichten“ von
1976.
08.– Fünf Fotos von der Klausurtagung in Irsee (Allgäu), Mai 1986. Auf dieser Tagung wird der
sogenannte Irseer Entwurf als Diskussionsgrundlage für ein neues SPD-Grundsatzprogramm fertiggestellt. Der SPD-Parteitag in Essen, Mai 1984,
hatte den Parteivorstand beauftragt, eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen, auf dem
Godesberger Programm basierenden Grundsatzprogramms einzusetzen. Willy Brandt ist der Vorsitzende dieser Kommission.
09.– Handschriftlicher Entwurf Brandts zu „Irsee“.
97
TAFEL 64
10.– Titelblatt des neuen Grundsatzprogramms, das
auf dem SPD-Parteitag in Berlin im Dezember
1989 angenommen wird. Die Aussagen über wirtschaftliches Wachstum, Arbeit und Staat unterscheiden sich von früheren Auffassungen.
11.– Auf dem Leipziger Parteitag, Februar 1990, gibt
sich die Ost-SPD ein Programm, das zugleich als
Regierungsprogramm dient. Motto: „Ja zur deutschen Einheit – eine Chance für Europa“. Willy
Brandt wird in Leipzig Ehrenvorsitzender der
SPD der DDR. Aufnahme: Brandt und Manfred
Stolpe, Leipzig 1990.
12.– September 1990: Auf dem Berliner SPD-Parteitag wird die Einheit zwischen SPD-West und
SPD-Ost hergestellt. Foto (Von links): Der SPDParteivorsitzende Hans-Jochen Vogel, der Ehrenvorsitzende Willy Brandt, das Mitglied des Parteivorstandes Wolfgang Thierse (noch DDR) und
der SPD-Kanzlerkandidat für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen Oskar Lafontaine.
Vorne: Das historische Dokument des „Manifests
98
zur Wiederherstellung der Einheit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“. Brandt in
Berlin: „Sozialdemokratische Tradition und nationale Selbstbestimmung sind geschichtlich nicht
voneinander zu trennen. Nichts ist dagegen der
Sozialdemokratie fremder als engstirniger Nationalismus. Für Selbstbestimmung, auch für unser
Volk, haben wir seit vielen Jahren – wem sage ich
es eigentlich hier in Reuters und meinem Berlin!
– hart gerungen; zunächst darum, daß Mauer und
Todesstreifen überwunden würden. Nun können wir uns freuen und wollen auch mit dafür
sorgen, daß der Stacheldraht auch aus dem Denken der Menschen verschwindet.“
Willy Brandt in Berlin 1990: „Der Kommunismus hat nicht nur seine eigenen ursprünglichen
Ideale zerstört. Es hat auch einen langen Schatten auf alles geworfen, was sozialistischen Namens oder Ursprungs war. Das wird nicht so
bleiben!“
TAFEL 65
Friedrich-Ebert-Stiftung
01.– Am 28. Februar 1925 stirbt der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert. Foto: Der
Leichenzug durch Berlin. In einem Aufruf im
März 1925 gibt der SPD-Parteivorstand bekannt,
er werde das Andenken F. Eberts durch eine Stiftung ehren, die im Sinne der Lebensarbeit des
Verstorbenen wirken soll. Die Friedrich-EbertStiftung will jungen, befähigten Menschen Beihilfen für einen Studiengang an staatlich anerkann-
ten Institutionen geben. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 wird die
Friedrich-Ebert-Stiftung verboten. Mit der Wiedergründung der Stiftung nach 1945 kommen
neben der Vergabe von Stipendien weitere Tätigkeitsbereiche hinzu: politische Bildungsarbeit,
Entwicklungshilfe, Forschung und Sammlung von
historischen Materialien.
02.– Willy Brandt ist mit Arbeit der Friedrich-EbertStiftung (nicht zuletzt mit der ihres Archivs) eng
verbunden und vertraut. Aufnahme: Der damalige Bundesaußenminister Brandt bei der Grund-
Holger Börner, Willy Brandt und Gertrud Lenz: Besuch im Willy-Brandt-Depositum im AdsD, 14.2.1991
99
T A F E L 65
03.–
04.–
05.–
06.–
100
steinlegung des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dezember 1967.
Brandt bei dieser Gelegenheit: „Wenn wir das
Archiv der sozialen Demokratie in die Obhut der
Friedrich-Ebert-Stiftung geben, so wissen wir, daß
diese bewährte Institution es nicht bei der bloßen Aufbewahrung des Materials bewenden lassen wird. Ihr Ziel wird es sein, die Quellen weiterhin, wo es nur möglich ist, zu sammeln, sie
sachgemäß zu archivieren, sie in wissenschaftlichen Arbeiten auszuwerten und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen in politische Bildungsarbeit – nicht nur in Deutschland, sondern
auch international, wie es einer seit Jahren erfolgreichen Arbeit entspricht.“
Brandts Bitte an die SPD-Parteigliederungen und
-Fraktionen, „das uns alle angehende Unternehmen des Archivs der sozialen Demokratie nachdrücklich zu fördern“.
Der Alt-Bundespräsident Gustav Heinemann (auf
dem Foto zusammen mit Prof. Helmut Gollwitzer
und dessen Ehefrau) besucht das Archiv der sozialen Demokratie der FES, in das er seine persönlichen und politischen Papiere gegeben hat.
August 1975.
Seit 1974 gibt es im Archiv der Stiftung ein Depositum Willy Brandt, das Brandt fortlaufend
erweitert. Foto: Brandt besichtigt 1991 sein vom
FES-Archiv betreutes, geordnetes und verzeichnetes Depositum. Dem Vorsitzenden der FriedrichEbert-Stiftung Holger Börner (links) spricht er
seinen Dank für die bisher am Bestand geleistete
Arbeit aus.
Im Juni 1969 wird das neue Bonner Gebäude der
Friedrich-Ebert-Stiftung eingeweiht. Drei Fotos
der Veranstaltung. Auf den Bildern sind u.a. fol-
gende Gäste zu erkennen: Militärbischof Kunst,
der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Österreichs Bruno Kreisky und der sowjetische Botschafter in Bonn Semjon Zarapkin.
07.– Der Bundeskanzler auf einer Veranstaltung der
FES zum 20. Todestag Kurt Schumachers. Links:
Martha Ollenhauer. Rechts: Annemarie Renger.
Brandt auf dieser FES-Veranstaltung: Es sei evident, „daß wir als Regierungspartei bei unserem
Ringen um den Frieden durchaus in der Tradition Kurt Schumachers stehen. Hier, im Archiv
der sozialen Demokratie der Friedrich-EbertStiftung, in dem diese Gedenkstunde stattfindet,
darf ich aus dem stenographischen Protokoll der
Internationalen Sozialistischen Konferenz vom
8. Juni 1947 in Zürich zitieren. Auf die Frage, ob
die Weigerung der SPD, mit den Kommunisten
zusammenzuarbeiten, gleichbedeutend sei mit
der Ablehnung einer Verständigungspolitik mit
Rußland, antwortete Kurt Schumacher damals:
Die kommunistischen Parteien beruhten auf besonderen intellektuellen und organisatorischen
Grundsätzen. Es seien Grundsätze des Totalitarismus. Dann fuhr er fort: ‚Aber ich hüte mich,
die kommunistische Partei eines Landes mit der
Realität der Sowjetunion gleichzusetzen. Die Sowjetunion ist ein Faktor, mit dem wir zu einem
Modus vivendi kommen müssen. Ich bin der Überzeugung – und diese Idee wird von der ganzen SPD
geteilt –, daß zwischen Rußland und Europa eine
Verständigung möglich ist. Was hingegen das
Zusammenwirken mit den Kommunisten betrifft,
so geben wir uns darüber keinen Illusionen hin.‘
Das gilt auch heute für die Sozialdemokratische
Partei Deutschlands.“
TAFEL 66
Friedrich-Ebert-Stiftung
01.– Bundeskanzler Willy Brandt bei der Grundsteinlegung einer FES-Heimvolkshochschule 1973.
Rechts hinter Brandt Jochen Steffen, der schleswig-holsteinische Sozialdemokrat.
02.– Willy Brandt und Willi Eichler, der Hauptautor
des Godesberger Programms und Vorstandsmitglied der FES, bei einer Veranstaltung zu Ehren
Friedrich Eberts, 1971.
03.– 1975 ist die Friedrich-Ebert-Stiftung 50 Jahre
alt. Auf dem Foto von links: Richard von Weizsäcker, Daniel Oduber (Staatspräsident von Costa
Rica), Alfred Nau, der Bundespräsident Walter
Scheel, Walter Hesselbach, Willy Brandt, Annemarie Renger, Heinz-Oskar Vetter und Ludwig
Rosenberg.
04.– Willy Brandt und der damalige FES-Geschäftsführer Günter Grunwald, 1974.
05.– Brandt vor der Ferdinand-Lassalle-Büste im Innenhof der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1984.
06.– Der SPD-Ehrenvorsitzende und der Bundespräsident bei der Eröffnung der August-Bebel-Ausstellung der FES in Berlin. Januar 1988.
07.– Die FES gibt Brandt Gelegenheit zu inoffiziellem
Gedankenaustausch. Hier im Gespräch mit Egon
Bahr und dem Europa-Experten des US-Außenministeriums Lawrence Eagleburger.
08.– 1991 gedenkt die Friedrich-Ebert-Stiftung des
Anfang 1945 hingerichteten sozialdemokratischen
Widerstandskämpfers Julius Leber. Die Veranstaltung findet in der Ostberliner Gethsemanekirche statt. Diese Kirche war eines der Zentren
des Widerstandes gegen das SED-Regime gewesen. Willy Brandt ehrt sein Vorbild aus Lübecker
Jugendtagen. Er mag wohl der einzige bei dieser
Veranstaltung gewesen sein, der Julius Leber persönlich gekannt hat.
Willy Brandt in der Gethsemanekirche: „Wer wollte im Jahr ’91 noch Neues beitragen, wo es um den
Kern dessen geht, was den deutschen Widerstand
gegen das deutsche Erzverhängnis dieses Jahrhunderts ausmachte? Über dessen geschichtlichen Rang nachzudenken, ist aktuell geblieben.
Und die Erinnerung an diejenigen wachzuhalten,
die, auf jede eigene Gefahr hin, dem Wagen des
europäischen Unheils in die Speichen greifen
wollten – das bleibt wichtig. Es bleibt wichtig
auch in einer Zeit, in der es die Folgen von Spaltung, Fremdherrschaft und erneuter ideologischer Anmaßung zu überwinden gilt. [...] Daß die
Friedrich-Ebert-Stiftung hierher einlud, hat seinen guten Sinn. Gewiß hätten wir uns auch in
Breisach oder Freiburg versammeln können, wohin Julius Leber – gegenüber der ursprünglichen
elsässischen Heimat – zur Schule ging. Oder, erst
recht, nach Lübeck, das er – nicht nur meiner Erinnerung, sondern auch Theodor Eschenburgs
Urteil zufolge – nach dem Ersten Weltkrieg demokratisieren half und für dessen Arbeiterschaft er zu
so etwas wie einem hoffnungspendenden Volksherzog geworden war. Doch hierher, in unsere
Hauptstadt, heißt mehr noch als an den Ort seiner zehnjährigen Zugehörigkeit zum Deutschen
Reichstag gehen. [...] Diese Gedenkstunde ist eine auch des Respekts vor den freiheitlichen Traditionen der deutschen Hauptstadt: mit all dem
Auf und Ab und wieder Auf zwischen März 1848
und November 1989, mit dem Reichstag als bedeutender Stätte demokratischer Erprobung in
den Jahrzehnten nach der Reichsgründung, mit
der Westberliner Selbstbehauptung nach dem Hitlerkrieg und dem Ostberliner Juni ’53 als vorab101
TAFEL 66
kündenden Signalen für Deutschland als ganzes.“
In ihrem Jahresbericht 1992 nimmt die FES
Abschied von Willy Brandt: „Willy Brandt war
der Friedrich-Ebert-Stiftung von Anbeginn an
aufs engste verbunden. Über Jahrzehnte hat er
unsere Arbeit für Frieden, Freiheit, soziale Demokratie, für internationale Verständigung und
Entwicklungszusammenarbeit entscheidend geprägt und vielfältig gefördert. Ohne ihn wäre die
Friedrich-Ebert-Stiftung nicht, was sie heute ist
– weder hier in Deutschland noch in der Welt.
Seine Vision einer gerechteren Welt wird die
Arbeit unserer Stiftung auch in Zukunft bestimmen. Wir werden in seinem Geiste weiterarbeiten.“
TAFEL 67
Die letzten Jahre
01.– Mai 1988: Die SPD, die älteste demokratische
Partei Deutschlands, kann auf eine 125jährige
Geschichte zurückblicken. Der SPD-Ehrenvorsitzende auf dem Festakt im Berliner Reichstag.
Brandt dort: „Wenn die deutschen Sozialdemokraten neu zu Papier bringen, wo es langgehen
soll, wird das historische Erbe gewiß nicht über
Bord gehen. Doch es kann sich auch nicht darum
handeln, das, was vorgestern gedacht und gestern für richtig gehalten wurde, auf das Heute
und Morgen einfach zu übertragen. An der Fähigkeit zum furchtlosen Nachdenken über das
eine – was Bestand hat – und über das andere –
was neu entwickelt werden muß – darf es nicht
mangeln. Unser Erbe handelt von wichtigen Abschnitten europäischer Freiheitskämpfe. In der
deutschen Geschichte der letzten 125 Jahre war
die Sozialdemokratie nicht nur Opfer, sondern in
wichtigen Teilen Mitgestalter – schon im Kaiser-
102
reich, dann in der Ersten Republik, erst recht in
den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Nicht nur im Bund, und im Bund auch als starke
Opposition. Wir stehen in einer großen humanistischen Tradition. Die handelt von Vernunft und
von Rücksichtnahme. [...] Sozialdemokraten vergeben sich nichts, sondern werden ihrem Auftrag gerecht, wenn sie – wo immer möglich – an
einem Konsens mitwirken, der ein gutes Stück
über die eigenen Grenzmarken hinausreicht. Die
Zukunftsentwürfe, die sich die weitreichende Veränderung des Gegenwärtigen zum Ziel setzen,
und die Realität des Tuns, das Politik genannt
wird, können nie voll zur Deckung gebracht werden. Der demokratische Staat hat das Haus für
solche zu sein, die unterschiedlich denken. [...]
Ich weiß, politisches wie alles menschliche Tun
bleibt unzulänglich. Auch die uns Nachfolgenden werden die Erfahrung des Seefahrers machen: Den Horizont werden wir nie erfahren,
wenn wir ihn als ein fixes Ziel, eine feststehende
Grenze mißverstehen.“
TAFEL 67
02.– Plakat. Mit einem Volksfest in Frankfurt a.M. feiert die Partei ihren Geburtstag.
03.– Ein Geburtstagsgeschenk aus Schleswig-Holstein:
Die SPD erringt in diesem Bundesland die absolute Mehrheit. Björn Engholm wird Ministerpräsident.
04.– Willy Brandt wird im Dezember 1988 75 Jahre
alt. Bundespräsident von Weizsäcker gibt aus diesem Anlaß im Januar 1989 einen Empfang, zu
dem prominente Politiker aus dem In- und Ausland geladen sind. Der Bundespräsident sagt in
der Villa Hammerschmidt zu Brandt: „In Ihrer
Person haben Sie die Spannung zwischen Macht
und Moral aufgehoben. Es gibt keine politische
Verantwortung ohne Macht. Moral ohne Macht
löst Probleme nicht. Sie wird zur Ideologie, sie
verurteilt, anstatt zu helfen. Macht ohne Moral
läuft sich tot, denn sie findet kein Vertrauen. Sie
haben Vertrauen gefunden und genutzt.“
05.– Helmut Schmidt und Willy Brandt werden zusammen 1989 für eine SPD-Anzeige im Europawahlkampf fotografiert.
06.– Das „Sozialdemokrat-Magazin“ übernimmt im
Juni 1989 den traditionsreichen Namen des „Vorwärts“, der kurz zuvor hatte eingestellt werden
müssen.
07.– Juni 1989: Brennende Schützenpanzer auf dem
Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Die
Forderungen nach Demokratie läßt das Regime
niederkartätschen. Eine ebenfalls in Bedrängnis geratene Regierung äußert von Ostberlin aus
Zustimmung.
08.– Leipzig im Oktober/November 1989. In gewaltigen Massendemonstrationen spricht sich die
DDR-Bevölkerung gegen das SED-Regime aus.
Die Kundgebungen verlaufen friedlich. Die vergreiste Staatsführung wagt unter den Augen der
Weltöffentlichkeit nicht, mit Gewalt gegen die
Opposition vorzugehen.
103
TAFEL 68
01.– Ab Sommer 1989 nimmt die politische Opposition in der DDR festere organisatorische Formen
an, vorerst noch geheim oder halblegal. Am 7. Oktober 1989 wird in einem Pfarrhaus in Schwante
in der Nähe Berlins die Sozialdemokratische
Partei in der DDR (SDP) gegründet. Das Vorbild
der SDP ist die westdeutsche Sozialdemokratie.
Vier Fotos aus einem in Schwante aufgenommenen Videofilm.
02.– Die anhaltenden Massenproteste in der DDR (hier:
Anfang November Berlin, Alexanderplatz) zwingen das von SED und Blockparteien getragene
Regime zu immer weiteren Zugeständnissen.
Auf einer Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 teilt SED-Politbüromitglied Günter
Schabowski (auf dem Foto beim Verlassen der
Tribüne) beiläufig mit, daß alle Grenzübergänge
zwischen DDR und BRD ab sofort geöffnet werden. Die „Mauer“ ist damit gefallen.
03.– 10. November 1989: Kundgebung auf dem JohnF.-Kennedy-Platz in Westberlin. Auf dem Bild
(von links): Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) u.a. In der Menge Ost- und
Westberliner einträchtig zusammen. Brandt vor
dem Schöneberger Rathaus: „Mein ganz herzlicher Gruß gilt den Berlinerinnen und Berlinern
in allen Teilen der Stadt und gleichermaßen den
Landsleuten überall in Deutschland.“ Und: „Dies
ist ein schöner Tag nach einem langen Weg.
Doch wir befinden uns erst an einer Zwischenstation. Wir sind noch nicht am Endes des Weges
angelangt. Es liegt noch eine Menge vor uns.“
Und: „Es wird jetzt viel davon abhängen, ob wir
uns – wir Deutsche, hüben und drüben – der geschichtlichen Situation gewachsen erweisen. Das
104
Zusammenrücken der Deutschen, darum geht es.“
„Die Freunde von der SDP“ habe er, berichtet
Brandt in seinen „Erinnerungen“, „gemeinsam
mit dem SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel
am Abend jenes 10. November besucht, an dem
wir den Fall der Mauer gefeiert hatten“.
04.– SPD-Plakat von 1989. Noch vor dem Schöneberger Rathaus (10.11.) hatte Brandt in bezug auf
die jüngste Entwicklung gesagt: „Ich bin dem
Herrgott dankbar dafür, daß ich dies miterleben
darf.“ Die von ihm gewollte Einheit Deutschlands
ist in greifbare Nähe gerückt. Die Ereignisse bestätigen ihm, dem Internationalisten und Patrioten, daß die von ihm seit den 60er Jahren verfolgte Politik richtig war. Mit der Legende von
den „vaterlandslosen Gesellen“ aus der Sozialdemokratie räumt er auf dem SPD-Parteitag von
1989 auf: „Wir können stolz sein, in der Tradition derer zu stehen, die sich schon dem großsprecherischen und säbelrasselnden Wilhelminismus
nicht beugten. Und was immer man der Weimarer Republik, der schwächlichen Republik, ankreiden mag, niemand kommt daran vorbei, daß
der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert Entscheidendes dazu beigetragen hat,
daß Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg
zusammengehalten wurde. Während der Nazidiktatur haben wir den Gedanken vom anderen,
europabewußten Deutschland nicht untergehen
lassen. Und niemand kann bestreiten, daß Kurt
Schumacher und Ernst Reuter und die anderen
– einige von uns sind ja noch dabei – nach dem
Zweiten Weltkrieg das ihnen Mögliche daransetzten, von Deutschland zu retten, was zu retten
war. So war die Formel. So war der Inhalt der
Aufgabe.“
TAFEL 68
05.– Willy Brandt im Gespräch mit dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow im Februar 1990.
Bei den ersten demokratischen Wahlen in der
DDR im März 1990 kann Modrows Partei, die
PDS, nur einen Stimmenanteil von ca. 16% erringen. Modrow tritt zurück; der DDR-Koalitionsregierung unter de Maizière gehört die SPD-Ost
einige Monate an.
Brandt hatte vor den DDR-Wahlen auf der Bonner Bundespressekonferenz erklärt: „Meines Erachtens war es nicht nötig, soviel Unsitten bundesdeutscher Wahlkämpfe in das wahlpolitisch
jungfräuliche DDR-Gelände zu exportieren. Ich
meine, es war zum Beispiel ganz und gar unzulässig, Wähler in der DDR damit einschüchtern
zu wollen, daß Hilfen des Bundes von ihrem
Wohlverhalten in der Wahlkabine abhängig sein
würden (‚ohne Kohl keine Kohle‘). Auch der
wiederholte Versuch, den Sozialdemokraten zu
unterstellen, sie befänden sich in der Nähe der
bisher regierenden Kommunisten (oder seien
von diesen unterwandert), mußte Bitterkeit hinterlassen. Dies besonders im Gedenken an Tausende von Parteifreunden, die von der damals
herrschenden Gewalt eingekerkert waren, und
Hunderte, die zu Tode gebracht wurden.“
06.– Juni 1990: Vier Monate nach seiner Befreiung
trifft der ANC-Führer Nelson Mandela im Bonner
SPD-Parteivorstand den sozialdemokratischen
Ehrenvorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationale Willy Brandt. Mandela
sagt über Brandt: „Einer meiner größten Helden.“ Die SI unter Brandt hat die Apartheidspolitik des weißen Südafrika stets bekämpft.
07.– 3. Oktober 1990, Tag der deutschen Einheit.
Willy Brandt in Berlin.
105
TAFEL 69
01.– Im November 1990 – vor Ausbruch des Golfkrieges – fliegt Willy Brandt nach Bagdad, um die im
Irak festgehaltenen Geiseln freizubekommen. In
zwei Gesprächsrunden mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein (vgl. Foto) gelingt es ihm,
Hussein die Ausreiseerlaubnis für 138 deutsche
und 55 weitere Geiseln aus elf Ländern abzuhandeln. Unter den Geiseln befinden sich insgesamt
40 als „lebende Schutzschilde“ mißbrauchte Personen und zahlreiche ältere Menschen und Kinder. Im „Spiegel“ (Nr. 7/1991) sieht Brandt in der
Bagdad-Reise nicht nur „eine notwendige mitmenschliche Bemühung um die Befreiung der
Geiseln“, sondern auch eine „Sondierung, um
herauszufinden, ob der Krieg hätte vermieden
werden können“. „Vielleicht habe ich dazu beigetragen, der dortigen Nummer eins klarzumachen: Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß Geiseln den Krieg verhindern.“
02.– Etwa 500 Angehörige bereiten den Freigelassenen auf dem Frankfurter Flughafen (9.11.1990)
einen großen Empfang. Immer wieder wird „Willy
– Willy“ gerufen.
03.– Aus den gesamtdeutschen Wahlen vom 2. Dezember 1990 kann die SPD (Spitzenkandidat:
Oskar Lafontaine) nur als zweitstärkste politische Kraft hervorgehen. Am 20.12. eröffnet Willy Brandt als Alterspräsident den im Reichstag
tagenden gesamtdeutschen Bundestag (vgl. Bild).
Brandt an historischer Stelle: „Meine Damen und
Herren, die Wahlen zum ersten gesamtdeutschen
Bundestag sind, was den Auftrag zur Regierungsbildung angeht, eindeutig. Gleichwohl lebt
die parlamentarische Demokratie vom Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, vom
Wettbewerb unterschiedlicher Angebote zur Lö-
106
sung von Problemen. Daß hier gestritten wird,
gehört zur freiheitlichen Ordnung. Meinungsstreit muß ja nicht Wahlkampf in Permanenz
bedeuten. Demokratie gedeiht nicht ohne jenen
Grundkonsens, der die verfassungsmäßigen
Grundfesten sichert. Das gegenseitige Wohlwollen mag gelegentlich strapaziert scheinen, die
staatspolitische Gleichwertigkeit hat außer Zweifel zu stehen. Unsere Auseinandersetzungen sollten sachlich den Bürgern zugewandt sein, die
wir zwar jeder für sich und mit seinen Gleichgesinnten, aber eben auch miteinander zu vertreten haben.“ Und an die Bevölkerung der ehemaligen DDR gerichtet: „Ich beschwöre unsere Landsleute: Möge das Gefühl, auf der falschen Seite der
Geschichte gestanden zu haben, sich nicht in
Mutlosigkeit oder gar Aggressivität entladen. Möge das Gefühl aufgehoben sein, daß niemand zu
spät kommt, wenn sich das Leben weitet. Die
rechtliche und möglichst gerechte Bereinigung
dessen, was das alte Herrschaftssystem hinterließ, muß, meine ich, zügig vorankommen. Das
heißt aus meiner Sicht und Erfahrung: Es ist so
deutlich wie irgend möglich zwischen denen zu
trennen, die sich so verhalten und so bereichert
haben, daß sie vor den Kadi gehören, und vielen
anderen, die politisch geirrt oder sich bloß durchgemogelt haben. Ihnen wird die Demokratie die
Chance des Mittuns und der Bewährung nicht
vorenthalten.“
04.– Zwei Aufnahmen vom SPD-Parteitag in Bremen,
Mai 1991. In Bremen wird Björn Engholm neuer
sozialdemokratischer Parteivorsitzender.
05.– SPD-Plakat von 1957. Der Bremer Parteitag führt
eine Debatte über den zukünftigen Sitz von Regierung und Parlament. Kein Zweifel, daß sich
TAFEL 69
der Ehrenvorsitzende Willy Brandt hier wie später im Bundestag für die „Hauptstadt im Wartestand“ einsetzt. Die Enttäuschung der Bonn-Befürworter nimmt er in Kauf. Der Parteitag selbst
ist in der Berlin-Frage geteilter Meinung.
06.– Die Regierenden Bürgermeister von Berlin (19671993) im Februar 1992 im Schöneberger Rathaus.
07.– Letztes Auftreten in der Öffentlichkeit. Willy Brandt
Anfang Mai 1992 bei Genossen in Luxemburg.
Wenig später muß er sich einer erneuten Operation unterziehen.
08.– An dem im September 1992 in Berlin stattfindenden Kongreß der Sozialistischen Internationale kann der Schwerkranke nicht mehr teilnehmen. Hans-Jochen Vogel verliest seinen
Abschiedsbrief: „Liebe Freunde, muß ich sagen,
wie gern ich gerade dieser Tage unter Euch gewesen wäre? Es sollte nicht sein und so grüße ich
Euch auf diesem Wege.“
Willy Brandt: SPD-Parteitag
in Bremen (28.- 31.5.1991),
28.5.1991
107
TAFEL 70
8. Oktober 1992
01.– Willy Brandt stirbt am 8. Oktober 1992 in seinem
Haus in Unkel in der Nähe Bonns. Aufnahme:
spontane Trauerkundgebung vor dem ErichOlllenhauer-Haus in Bonn.
02.– Trauerkundgebung in Berlin.
Eine Pressemeldung: „Viele tausend Menschen
haben am vergangenen Wochenende in Berlin
und anderen Städten Deutschlands in Trauerdemonstrationen vom Ehrenvorsitzenden der
SPD und Altbundeskanzler Willy Brandt Abschied genommen. Am Vorabend des offiziellen
Staatsaktes im Deutschen Reichstag versammelten sich die Sozialdemokraten in der bis zum
letzten Platz gefüllten Eissporthalle in BerlinWedding.“ Björn Engholm sagte dort, daß Brandt
nicht mehr da sei, sei unvorstellbar. Und: „Willy,
Du wirst uns fehlen.“
3.+4. Der Sarg im Schöneberger Rathaus. Berliner
nehmen Abschied.
05.– Der Staatsakt im Reichstag, 17. Oktober 1992.
An der Trauerfeier im Reichstag nahmen 1.600
108
Gäste aus dem In- und Ausland (darunter zahlreiche Regierungschefs) teil. Richard von Weizsäcker sagte: „Das Leben eines Großen hat sich
vollendet.“ Er erinnerte daran, wie Brandt in den
50er Jahren von den Konservativen wegen seiner unehelichen Geburt und seines Exils „auf
schamlose Weise geschmäht“ wurde. Dies habe
tiefe Narben zurückgelassen. Helmut Kohl: „Brandt
wollte, daß die Deutschen an die guten Traditionen ihrer Geschichte anknüpfen, ohne die schlimmen Kapitel aus ihrer Erinnerung zu tilgen.“
Felipe Gonzàlez: „Jetzt, wo Du mich nicht mehr
hören kannst, möchte ich Dir sagen: Lebwohl,
Freund Willy.“
06.– Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, Frau
Brigitte Brandt, und nächste Angehörige (unter
ihnen die Brandt-Kinder Ninja, Peter, Lars und
Matthias) folgen dem Sarg aus dem Reichstag.
7.+8. Auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof in Berlin,
17.10.1992.
Erhard Eppler über den Sozialdemokraten und
deutschen Europäer Willy Brandt: „Willy Brandt
war kein Kirchenchrist. Aber es spricht einiges
dafür, daß er nicht ohne Neugier gestorben ist.“
Videoturm
109
VIDEOTURM
Der Besucher hat in der Ausstellung die Möglichkeit, am „Videoturm“ eine Reihe von Filmsequenzen unterschiedlicher Länge anzuwählen und zu
betrachten. Ursprünglich hatte das Archiv der
sozialen Demokratie in Erwägung gezogen, einige der Filme über Willy Brandt vorzuführen. Die
meisten liegen als Videos im AdsD vor. Bei näherer Überlegung erwiesen diese sich jedoch für
die Ausstellung als nicht brauchbar. Damit ist
kein Urteil über deren Qualität gefällt: Sie sind
schlicht zu lang. Stattdessen werden im wesentlichen Ausschnitte aus zeitgenössischen Filmen,
Wochenschauen usw. gezeigt, die in Zusammenhang mit Brandts Leben stehen, den Reiz des Unmittelbaren haben und den Betrachter nicht mit
dem feststehenden Urteil einer Filmbiographie
konfrontieren. Die Recherchen nach dem filmischen Ausgangsmaterial in in- und ausländischen Archiven erwiesen sich als schwierig und
zeitaufwendig, führten aber Dank der Mithilfe
der jeweiligen Filmarchivare zum Erfolg.
Die auf eine Bildplatte übertragenen Filmausschnitte werden im folgenden beschrieben. Die
Anwählziffern und die Länge des Ausschnitts in
Minuten und Sekunden sind angegeben.
110
10
(1‘10“, stumm):
„Wo ist Coletti?“ (Ausschnitte).
Als Willy Brandt geboren wurde (18.12.1913),
lief in den Kinos im Raum Lübeck der Film „Wo
ist Coletti?“, wie dem Anzeigenteil des „Lübecker
Volksboten“ zu entnehmen ist. Der 1912 entstandene Streifen (Regisseur Max Mack, Hauptdarsteller Hans Junkermann), eine der belanglosen
Verwechslungskomödien, die damals sehr beliebt waren, schildert, wie es dem aufgrund einer
Wette gesuchten Coletti (Junkermann) gelingt,
sich den „Nachstellungen“ der Berliner Bevölkerung zu entziehen. Der Streifen ist filmhistorisch
nur wegen seiner ungewöhnlichen Außenaufnahmen interessant.
11
(4‘21“):
Lübecker Impressionen.
Gezeigt werden Aufnahmen aus dem heutigen
Lübeck (u.a. das Geburtshaus von Willy Brandt,
sein Gymnasium – das Johanneum, das Holstentor), das Lübeck am Tag nach dem RAF-Angriff
vom März 1942 (Deutsche Wochenschau) und
Luftkämpfe im Raum Lübeck, die 1945 von der
RAF gefilmt wurden und die das Londoner Imperial War Museum dem AdsD zur Verfügung gestellt hat.
Die Bilder sind unterlegt mit Passagen einer
Rede Thomas Manns vom April 1942. Im Herbst
1940 war die British Broadcasting Corporation
(BBC) an den im US-Exil lebenden Schriftsteller
mit dem Wunsch herangetreten, „ich möchte
über ihren Sender in regelmäßigen Abständen
an meine Landsleute kurze Ansprachen richten,
in denen ich die Kriegsereignisse kommentieren
und eine Einwirkung auf das deutsche Publikum
VIDEOTURM
im Sinne meiner oft geäußerten Überzeugungen
versuchen sollte“ (Thomas Mann).
Die hier wiedergegebenen Passagen der MannRede aus dem Deutschen Rundfunkarchiv (Frankfurt a. M.) lauten:
„Deutsche Hörer! Zum ersten Mal jährt sich der
Tag der Zerstörung von Coventry durch Görings
Flieger, – einer der schauderhaftesten Leistungen, mit denen Hitler-Deutschland die Welt belehrte, was der totale Krieg ist und wie man sich
in ihm aufführt. [...]
Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm
gestattete, niemals zu zahlen zu haben? Es hat
kaum zu zahlen begonnen – über dem Kanal und
in Rußland. Auch was die Royal Air Force in Köln,
Düsseldorf, Essen, Hamburg und andern Städten bis heute zuwege gebracht hat, ist nur ein
Anfang. Hitler prahlt, sein Reich sei bereit zu
einem zehn-, ja zwanzigjährigen Kriege. Ich nehme an, daß ihr Deutsche euch euer Teil dabei
denkt – zum Beispiel, daß in Deutschland nach
einem Bruchteil dieser Zeit kein Stein mehr auf
dem andern wäre. Beim jüngsten britischen Raid
über Hitlerland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt.
Die Angriffe galten dem Hafen, den kriegsindustriellen Anlagen, aber es hat Brände gegeben in
der Stadt, und lieb ist es mir nicht, zu denken,
daß die Marienkirche, das herrliche RenaissanceRathaus oder das Haus der Schiffer-Gesellschaft
sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke
an Coventry – und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß. [...]
Sogar könnte es sein, daß mein Sinn für Gerechtigkeit durch dies Bombardement noch auf eine
besondere Probe gestellt wäre. Schwedische Blätter melden, und amerikanische fragen mich danach aus, daß das Haus meiner Großeltern, das
sogenannte Buddenbrook-Haus in der Mengstraße, bei dem Raid zerstört sein soll. Ich weiß
nicht, ob die Nachricht wahr ist. Für viele draußen ist durch meinen Jugendroman der Name
Lübecks nun einmal mit dem Gedanken an dies
Haus verbunden, und leicht kommt es ihnen in
den Sinn, wenn Bomben auf Lübeck fallen. An
Ort und Stelle freilich heißt es schon längst nicht
mehr das ‚Buddenbrook-Haus‘. Die Nazis, verärgert darüber, daß immer die Fremden noch danach fragten, hatten es umgetauft in ‚Wullenweber-Haus‘. Das dumme Gesindel weiß nicht einmal, daß ein Haus, das den Stempel des achtzehnten Jahrhunderts an seinem Rokoko-Giebel
trägt, nicht gut mit dem verwegenen Bürgermeister des sechzehnten etwas zu tun haben kann. [...]
Das alte Bürgerhaus, von dem man nun sagt, daß
es in Trümmern liege, war mir ein Symbol der
Überlieferung, aus der ich wirkte. Aber solche
Trümmer schrecken nicht denjenigen, der nicht
nur aus der Sympathie für die Vergangenheit,
sondern auch aus der für die Zukunft lebt. Der
Untergang eines Zeitalters braucht nicht der Untergang dessen zu sein, der in ihm wurzelt und
der ihm entwuchs, indem er es schilderte. HitlerDeutschland hat weder Tradition noch Zukunft.
Es kann nur zerstören, und Zerstörung wird es
erleiden. Möge aus seinem Fall ein Deutschland
erstehen, das gedenken und hoffen kann, dem
Liebe gegeben ist rückwärts zum Gewesenen
und vorwärts in die Zukunft der Menschheit hinaus. So wird es, statt tödlichen Hasses, die
Liebe der Völker gewinnen.“
111
VIDEOTURM
in Deutschland gehen können. Aber dort hätte
ich nicht bleiben können, wäre eingesperrt worden und gerade in der ersten Zeit der Naziherrschaft sind ja auch lokal, örtlich schlimme Dinge
vorgekommen. Also bin ich weg mit dem Fischerboot über die Ostsee nach Dänemark, von dort
nach Oslo, wo ich avisiert war.
Aber wenn man mal alle Einzelheiten beiseite
läßt, dann muß ich wirklich rückschauend sagen, ich kann nicht erkennen, daß es eine nationale Pflicht gegeben hätte, sich einsperren und
totschlagen zu lassen oder auch ohne totschlagen. Ich habe großen Respekt vor dem Lebenslauf anderer, aber ich erkenne nicht, daß es eine
nationale Pflicht war, für Hitler in den Krieg zu
ziehen. Ich weiß, wieviele dies tun mußten und
wieviele es auch nicht nur aus Pflicht, sondern
auch auf Grund ihrer damaligen Überzeugung
getan haben oder weil sie meinten, dies sei national nicht anders möglich. Ich verlange nichts
anderes als Respekt vor demjenigen, der sagt, es
war nicht weniger ehrenhaft, gegen Hitler als für
ihn ein Risiko einzugehen, um es vorsichtig zu
formulieren.“
Der O-Ton Brandt ist einer ZDF-Sendung („Zeugen des Jahrhunderts“) vom 13.12.1988 entnommen. Der Interviewer Horst Schättle hatte Brandt
gefragt, ob Brandt nicht immer wieder vorgeworfen würde, er hätte mit seiner Emigration den
„leichteren Weg gewählt“.
Übrigens: Einige in Lübeck haben Thomas Mann
diese Rede nicht „verziehen“. Als 1955 die Bürgerschaft von Lübeck beschloß, dem Nobelpreisträger für Literatur Mann das Ehrenbürgerrecht zu
verleihen, verließ die CDU den Sitzungssaal.
12
112
(2‘05“):
Die Flucht nach der Machtergreifung –
die Flucht nach Norwegen.
Gezeigt werden folgende Szenen: der Abend des
30. Januar 1933 in Berlin; Paul Stooß, der Fischer, der Willy Brandt nach Dänemark brachte;
Oslo – Straßenszenen; Rede Hitlers vor SA-Leuten; begeisterte Deutsche jubeln dem „Führer“
zu.
Die Bilder sind unterlegt mit nachstehenden
Worten Willy Brandts:
„Also, das ist zunächst mal objektiv falsch, mit
dem leichteren Weg, wenn man weiß, wieviele es
wie schwer draußen gehabt haben. Ich habe es
nicht so schwer gehabt wie andere, aber viele haben den Rand der Verzweiflung, draußen in Frankreich schlimmer als anderswo, erreicht in anderen
Teilen der Welt. Diese Vorstellung, die da rausgingen ins Exil oder die Emigranten, wie es dann
hieß, die hätten an den Fleischtöpfen gesessen,
während anderswo gehungert wurde, die ist objektiv falsch. Also ich bin damals weggegangen,
aus einer Mischung von zwei Dingen. Das eine
war, daß die illegale, wie man sagt, die geheime
Leitung meiner Gruppe in Berlin sagte, wir brauchen jemand, der nach Oslo geht. Das Rausschleusen eines anderen, an dem ich beteiligt war, das
hatte nicht geklappt.
Also bekam ich einen Bescheid, Du gehst da hin,
und ich hätte zu dem Zeitpunkt in Lübeck nicht
bleiben können. Ich hätte vielleicht woanders hin
13
(4‘56“):
Emigration.
Aufnahmen aus den 30er Jahren (u.a. aus Filmen verschiedenen Ursprungs) von Emigranten: Max Hölz, Clara Zetkin und Wilhelm Florin
(alle drei KP) in Rußland; Thomas Mann in Prag;
VIDEOTURM
Albert Einstein; Max Reinhardt; Richard Tauber; Erich Ollenhauer (SPD) in der CSR; Sitz des
Exil-Parteivorstandes der SPD in Prag; Flüchtlingshilfe in Prag; Shanghai; New York. Den Abschluß dieser Sequenzen bilden Aufnahmen von
deutschen sozialdemokratischen Emigranten in
London (1945) und einem Kriegsgefangenenlager in der Nähe Londons (1945), in dem die Engländer erlaubten, daß junge deutsche Soldaten
mit Deutschen zusammentreffen konnten, die
vor Hitler geflüchtet waren.
Unterlegt sind die Bilder mit Passagen aus einer
Rede von Joseph Goebbels (aus dem Deutschen
Rundfunkarchiv) vom 16.6.1933.
Wortlaut: „Am 30. Januar dieses Jahres ist diese
Revolution ausgebrochen. Nur die, die neben der
Zeit lebten, sahen in ihr etwas Unerwartetes. Wir
aber, wir Nationalsozialisten, haben sie kommen gesehen. Nicht nur das, – wir haben diese
Revolution planmäßig vorbereitet! Wir haben
ihr die geistigen Grundlagen gegeben. Wie verliehen ihr den heißen revolutionären Atem und
den durchschlagenden, wunderbar aktivistischen
Elan. In einem siegreichen Ansturm ohnegleichen in der Geschichte haben wir das November-System zur Strecke gebracht, haben wir die
Ketten abgeschüttelt, die ein fluchwürdiges Regime, das aus der Kapitulation vom November
1918 hervorgegangen war, über Deutschlands
Schultern gelegt hatte. Seit dem 30. Januar nun
hat die nationalsozialistische Bewegung in unverminderter Angriffslust eine Machtposition nach
der anderen genommen. Sie hat ihre politischen
Gegner zu Paaren getrieben. [...]
Trotzdem haben sie nichts getan. Und zwar
deshalb, weil sie nichts tuen wollten, weil sie zu
feige waren, weil sie vor den großen Entschei-
dungen auswichen, weil sie die Zeit nicht verstanden, weil sie, obschon das Volk sie in die Sessel der Macht hineingehoben hatte, das Volk im
Stich ließen und aus dem Elend und dem Jammer und der Not nur eine Berechtigung für ihr
eigenes parasitäres Prasserdasein schöpften.
Darum –, darum hat das deutsche Volk sie mit
Recht aus der Macht herausgefegt.
Und ich glaube, wohl niemals in der ganzen Weltgeschichte hat es eine Usurpatorenschicht gegeben, die so feige und so jämmerlich der Notwendigkeit ihrer eigenen Existenz ausgewichen wäre.
Wir haben sie niemals für tapfer gehalten. Aber
daß sie so jämmerliche Feiglinge und Zwerge
waren, das haben selbst wir nicht für möglich
gehalten! Sie hoben ihre Bankdepots ab und
verdufteten dann in die Schweiz. Von dort aus
ziehen sie jetzt die Zweite Internationale auf. Sie
wollen den deutschen Arbeiter beglücken. Sie
wollen das deutsche Volk vom Terror befreien.
Sie wollen, daß der Marxismus wieder zur Herrschaft komme, um das nachzuholen, was er in
den vergangenen vierzehn Jahren versäumt hat.
Aber sie irren sich.
Die Herren laufen hinter der Zeit her! Sie haben
die Zeichen der Zeit nicht verstanden! Ihre Uhr
ist abgelaufen! Nur schade, daß sie sich unserem
Zugriff entziehen konnten. Nur schade, daß sie
jetzt vom Ausland her dem deutschen Volke und
der deutschen Nation Schwierigkeiten bereiten
können.“
14
(5‘54“, stumm):
Norwegen in den 30er und 40er Jahren.
Szenen: Demonstrationen der demokratischen
norwegischen Arbeiterbewegung; Martin Tranmael; Ministerpräsident Johan Nygaardsvold und
113
VIDEOTURM
seine Koalitionsregierung; Ausperrung und Arbeitslose; deutsche Truppen in Norwegen, April
1940; militärischer Widerstand der Norweger;
der deutsche „Statthalter“ Terboven; der Statthalter des Statthalters – Quisling; Haakon VII. und
der norwegische Staatsrat im Londoner Exil;
Flucht aus Norwegen nach Schweden.
15
114
(9‘51“):
Bavaria-Tonwoche vom Januar 1937 mit einem
Rückblick auf das Jahr 1936: Das Reich und die
Welt aus NS-Sicht.
Inhalt u.a.: Die Erfolge des „Neuen Deutschland“
– Luftfahrt, Reichsbahn, Kraft durch Freude,
Autobahnen. Hitler in dieser Wochenschau: „Die
Straßen werden nicht zerstört wie die früheren...“ Massenveranstaltungen in Deutschland.
Der Wochenschausprecher: „An den großen Feiertagen gab das deutsche Volk wiederum ein Bild
eindrucksvoller Volksgemeinschaft, deren heimtückische Feinde im Auslande einen der Unseren
ermordeten.“ Der Krieg der Italiener in Abessinien endete, so der Sprecher, „siegreich mit der
Unterwerfung der äthiopischen Stämme“. Die
Wochenschau sieht „flammende Begeisterung
für den Duce“. Abkommen mit Japan „gegen das
Treiben der kommunistischen Internationale“;
Olympiade; deutsche Rheinlandbesetzung. Der
Sprecher: „die Waffenträger der Nation, die von
nun ab das ganze Deutsche Reich beschützen...“
Parteitag „der Ehre“ in Nürnberg. Hermann Göring: „Wir sind nun einmal in einer Festung, da
heißt es, Alles und das Letzte einzusetzen...“
16
(4‘52“):
Spanischer Bürgerkrieg 1936 ff.
Inhalt: Francisco Franco und seine putschenden
Militärs; Demonstrationen einerseits für die demokratische Republik, andererseits für die Faschisten; Kundgebungen im republikanischen
Barcelona; Ansprache Francos; Kämpfe an der
Front; Luftangriff auf Madrid; republikanische
Flüchtlinge an der spanisch-französischen Grenze
im März 1939.
Die Sequenzen sind teilweise unterlegt mit Äußerungen Willy Brandts über den Spanischen Bürgerkrieg (aus dem Film von Heinrich Breloer
„Kampfname: Willy Brandt“).
Zitiert wurde Brandt so: „Ich hab mir das näher
angeguckt; an der Front vor Saragossa gibt es ein
Städtchen, das heißt Huesca. Der Zufall will, daß
was ich dort erlebt habe, daß das auch von Orwell in seinem Katalonien-Buch beschrieben worden ist. Dieser grotesk anmutende Kampf um
eine Anhöhe, auf der sich die Ruinen eines Irrenhauses befinden. Mal die eine, mal die andere
Seite erobert diese Anhöhe, auf der nichts mehr
ist. Aber die eine, heute würde man sagen, strategische Bedeutung hatte oder haben könnte.
Man hat sonst einiges mitgekriegt, und ich habe
natürlich mitgekriegt, wie unter damaligen Verhältnissen Luftangriffe aussahen. Habe mir übrigens angewöhnt, nicht in einen Unterstand zu
gehen, in einen Schutzraum zu gehen, weil ich
mal miterlebt habe, wie genau eben die, die reingegangen waren, kaputt gegangen sind und nicht
die, die draußen geblieben waren. [...]
Also, ich habe gesprochen von diesem Haß, der
sich entwickelt hatte, der ja auch der ganzen
Auseinandersetzung zugrunde lag, und obwohl
in diesem Gefecht bei Huesca, von dem ich sprach,
VIDEOTURM
überwiegend eine internationale Einheit war, waren halt Spanier auch da. Die Spanier ließen es
sich nicht entgehen, einen uniformierten, jetzt
im Sinne von Militäruniform, einen uniformierten Priester sich vorzunehmen, um ihm mit dem
Bajonett den Bauch aufzuschlitzen. Habe viele
Grausamkeiten auf beiden Seiten gesehen. Ich
habe einen meiner Freunde aus der Jugendbewegung am Tag danach im Lazarett gesehen, der
ist nicht durchgekommen.“
17
(2‘11“, stumm):
1. Mai 1944 in Stockholm.
Inhalt: eine Demonstration anläßlich des Arbeiterfeiertages mit erst jetzt entdeckten BrandtAufnahmen. Diese Aufnahmen werden am Schluß
verlangsamt wiederholt.
Das Kurzprotokoll einer Recherche: Der Ehrgeiz
der Ausstellungsmacher zielte von Anfang an
darauf hin, ein möglichst frühes Filmdokument
von Willy Brandt aus der Zeit vor 1945 zu entdekken. Unsere entsprechenden Anfragen an norwegische und schwedische Archive wurden alle
negativ beantwortet. Da bot sich uns ein anderer
Weg der Recherche an: Den Ausstellungsmachern
lag ein Foto vor, das Willy Brandt mit seiner Frau
Carlota und der gemeinsamen Tochter Ninja
während einer Mai-Demonstration 1944 in Stockholm zeigte (vgl. Tafel 17.1). Unsere Frage an das
schwedische Archiv lautete jetzt, ob es von dieser Mai-Kundgebung Filmaufnahmen gäbe. Diese gab in der Tat. Als wir sie in Bonn betrachteten, machten wir eine Entdeckung – die BrandtAufnahmen (vgl. oben und die Filmprints). Diese
seltenen Aufnahmen können jetzt zum ersten
Mal einer größeren deutschen Öffentlichkeit vorgeführt werden.
18
(1‘16“):
„Wo uns der Schuh drückt“.
Rede (Auszug) Willy Brandts vom 6.10.1957. Zu
18, 19 und 20 vgl. Tafel 33.3.
Die Reden lagen im RIAS-Archiv nur als Tonaufzeichnungen vor. Sie wurden nachträglich von
den Ausstellungsmachern durch Filmausschnitte
illustriert.
Redeauszug: „Und nun zum Schluß noch ein persönliches Wort: In unseren künftigen Gesprächen,
meine lieben Hörerinnen und Hörer, werde ich
mich bemühen, auf die an mich gelangten Briefe
mit Wünschen, Anregungen, Beschwerden und
Kritik einzugehen. Heute ist es mir ein Bedürfnis,
den vielen mir persönlich Unbekannten aus allen
Teilen Deutschlands, die mir zur Übernahme meines neuen Amtes ihr Vertrauen und ihre Wünsche
in so freundschaftlicher Weise zum Ausdruck
gebracht haben, zu danken.
Dieses mir entgegengebrachte Vertrauen, das in
den Briefen zum Ausdruck kommt, wird mir ein
weiterer Ansporn sein, zu versuchen, die ausgedrückten Hoffnungen zu rechtfertigen. Ich will
keine großen Worte machen, ich will an die Arbeit gehen und hoffen, durch die Tat zu zeigen,
daß einiges von dem, was gesagt, gewünscht und
ausgedrückt ist, sich in Zukunft als richtig erweisen wird. Auf Wiederhören in 14 Tagen.“
Filmaufnahmen: Berliner Straßenszenen, 50er
Jahre; Wahl Brandts zum Regierenden Bürgermeister, 1957.
19
(3‘29“):
„Wo uns der Schuh drückt“.
Rede (Auszug) Willy Brandts vom 11.1.1959.
Brandt: „Die Beratungsstelle im Rathaus Schöneberg wird nicht nur von vielen Besuchern direkt
115
VIDEOTURM
aufgesucht – im Jahre 1958 waren es 3.458 Besucher – sondern sie bearbeitet auch die Briefe,
die mit Sorgen, Klagen, Wünschen und Anregungen an den Regierenden Bürgermeister gerichtet
werden, darunter auch alle Briefe, die auf diese
Sendung Bezug nehmen. Daß die Briefe von der
Beratungsstelle bearbeitet werden, heißt jedoch
keinesfalls – wie ich ausdrücklich betonen möchte –, daß ich sie nicht auch zu sehen bekomme.
Aber Sie werden verstehen können, daß es mir
unmöglich ist, alle Schreiben selbst zu beantworten, wenn ich Ihnen mitteile, daß im vergangenen Jahr nicht weniger als 16.096 Briefe von
dieser Beratungsstelle registriert worden sind;
unter ihnen befanden sich 3.797 Schreiben, die
sich auf die Sendereihe ‚Wo uns der Schuh drückt‘
beziehen. Gegenüber dem Jahre 1957 ist eine
Steigerung des Briefeinganges um etwa 25 Prozent festzustellen.
Sie werden nun vielleicht fragen, meine Hörerinnen und Hörer, was in den Briefen steht. Auch da
kann ich Ihnen einiges aus der Statistik verraten:
An erster Stelle stehen nach wie vor ‚Wohnungsangelegenheiten‘, die den Inhalt von fast 3.000
Briefen bilden. Ungeachtet dessen, daß wir mehr
als 20.000 Wohnungen im vergangenen Jahr
gebaut haben, ist die Wohnungsnot in unserer
Stadt noch immer groß.
Es wird das Bemühen auch des künftigen Senats
sein, diesen Engpaß zu sprengen und vielen unserer Mitbürger aus allen Schichten der Bevölkerung in der kommenden Zeit zu einer eigenen
Wohnung zu verhelfen. An zweiter Stelle stehen
in diesem Jahr – mit einer beträchtlichen Steigerung gegenüber dem Vorjahr – ‚Rentenangelegenheiten‘. Das Anwachsen der Zahl solcher Briefe
auf nicht weniger als 1.148 ist nicht zuletzt auf
116
die etwas sehr komplizierte Rentengesetzgebung
zurückzuführen. Ich glaube, es wird Aufgabe der
zuständigen Stellen sein müssen, auf diesem Gebiet wenigstens ‚aufklärend‘ zu wirken.
‚Arbeitsgesuche und Bewerbungen‘ sind die dritte
große Kategorie, in die die eingehenden Briefe
von der Beratungsstelle eingeteilt werden. Wir
haben über 1.000 solcher Schreiben bekommen.
Aber ich darf Ihnen hier sagen, daß sie bei weitem nicht alle für den Antragsteller ‚positiv‘ beantwortet werden konnten, denn – und das muß
ich wiederum nachdrücklich feststellen – die Arbeitsvermittlung wird in erster Linie über das
Landesarbeitsamt durchgeführt, und daran kann
auch der Regierende Bürgermeister nichts ändern.
Es ist verständlich, daß der größte Teil der Briefe,
nämlich über 10.000, aus Westberlin kommen;
dennoch sind die Zahlen der Briefe aus anderen
Gebieten beträchtlich. Es kamen über 1.400 Briefe
aus der Bundesrepublik, fast 1.000 aus dem Osten,
Hunderte aus dem westlichen Ausland. Und dabei
kommen zu jeder Kategorie noch Hunderte hinzu, die bei meiner Kanzlei direkt eingegangen
und in dieser Statistik nicht miterfaßt worden
sind.
Vor mir liegt der Brief einer arbeitslosen Hörerin, die sich dafür bedankt, daß ich vor kurzem
in dieser Sendung die vielen älteren Arbeitslosen,
die schon lange keinen Erwerb gefunden haben,
vor dem Vorwurf, ‚arbeitsscheu‘ zu sein, in Schutz
genommen habe. Diese Dame schreibt sehr richtig, daß viele Arbeitslose beispielsweise schon
dadurch, daß sie als ehrenamtliche Helfer Flüchtlinge, Heimkehrer und alte Leute betreuen,
nachdrücklich beweisen, daß sie die Arbeit gewiß
nicht scheuen. Ich weiß, daß sich solche ehrenamt-
VIDEOTURM
lichen Helfer aus vielen Kreisen unserer Mitbürger zur Verfügung stellen, und ihnen allen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank
aussprechen.
Damit muß ich es heute genug sein lassen. Auf
Wiederhören!“
Filmaufnahmen: die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 1958; Bautätigkeit in Berlin; Flüchtlinge
aus der DDR in Westberlin.
20
(12‘38“):
„Wo uns der Schuh drückt“.
Rede (fast vollständig) Willy Brandts vom 3.9.1961.
Brandt: „Meine lieben Hörerinnen und Hörer!
Vor drei Wochen hat die Regierung der Sowjetunion Ulbricht grünes Licht gegeben für die brutale Zerreißung unserer Stadt Berlin. Inzwischen
ist klar geworden, daß die politische Großoffensive der Sowjets, die mit dem Spannen von Stacheldraht am Brandenburger Tor begann, sich
sehr viel weiter gehende Ziele gesteckt hat. Zunächst will die Sowjetunion ihren Machtbereich
festigen. In dem Riesengebiet vom Potsdamer Platz
bis Wladiwostok gab es eine offene Stelle: Berlin.
Und das Ergebnis war, daß die Menschen dem
Ulbrichtschen ‚Paradies‘ den Rücken kehrten.
Die Koexistenz, das Nebeneinander auf engstem
Raum in Berlin, ist zu Ungunsten der kommunistischen Seite ausgegangen. Sie mußte eine doppelte
Mauer errichten lassen. Sie mußte das friedliche
Nebeneinander brutal zerstören, um den Strom
der Flüchtlinge zu stoppen. Darin liegt eine Niederlage der Kommunisten, die sich erst in weiterer Zukunft auswirken wird. Sie wird heute überdeckt von dem Anschlag, der auf das deutsche Volk
überhaupt unternommen wird. Aber es geht noch
weiter.
Die Sowjetunion hat einseitig mit der Wiederaufnahme von Atomversuchen begonnen. Sie hat
alle Warnungen für die sich daraus ergebenden
Gefahren für das Leben und die Gesundheit der
Menschen in den Wind geschlagen. Sie hat eine
Politik der atomaren Erpressung begonnen, wie
es Präsident Kennedy genannt hat.
Nach diesen drei Wochen ist klar geworden, daß
der Zusammenhalt und die Festigkeit der westlichen Welt schlechthin auf eine harte Probe gestellt werden. Das sollte uns in Berlin die Gewißheit geben, daß wir – wie schon so oft in der
Vergangenheit – nur der Ort sind, an dem dieses
Ringen besonders deutlich, besonders sichtbar
und besonders spürbar wird. Es geht nicht allein
um den Versuch, den Außenposten der freien
Welt zu liquidieren, es geht um die Bewährung
der freien Welt, von der wir ein Teil sind.
Berlin ist voll eingeschlossen in die Garantien
des Westens. Der Bundespräsident erklärte mit
vollem Recht in der Sitzung, die wir mit ihm
hatten im Rathaus Schöneberg, daß die Bundesrepublik, aber auch der gesamte Westen, sich die
Aufgabe Berlins gar nicht leisten können. Wir
können hier in West-Berlin sicher sein, daß dieser Standpunkt in Ost und West absolut klar ist.
Er wird sich auch in vollem Umfang bei den
Verhandlungen niederschlagen.
Es ist charakteristisch, daß die kommunistischen Machthaber in Ostberlin in diesen Tagen
versuchen, die Menschen im freien Teil unserer
Stadt zusätzlich mit einem Nervenkrieg zu belasten. Sie haben sich dabei zum Teil groteske
Dinge ausgedacht. Sie schrecken selbst nicht vor
Lügen zurück, die man innerhalb von Minuten
als Lügen erkennen kann. Sie wollen die Moral
der West-Berliner zerbrechen, und sie benutzen
117
VIDEOTURM
dazu das Zwischenstadium bis zu den Verhandlungen. Sie haben dazu nicht mehr sehr viel Zeit
und versuchen, sie entsprechend zu nutzen.
Der Angriff auf die Moral der West-Berliner wird
zerbrechen, wie immer in der Vergangenheit. Die
Kommunisten drüben haben unsere Ankündigungen so ernst genommen, wie sie ernst genommen werden müssen. Wir werden nämlich Berlin zu der Stadt machen, in der sich der deutsche
Anspruch auf die Herstellung unserer Einheit
auch nach außen dokumentiert. Wir werden unsere industrielle Kapazität ausweiten. Wir werden
ein Zentrum für Erziehung, Wissenschaft und
Forschung schaffen, und dabei wird es über einen Punkt keinerlei Meinungsverschiedenheiten
geben: Die deutsche Hauptstadt und die Selbstbehauptung der Deutschen sind größere Ziele,
als daß man dabei um einige zusätzliche Mittel in
den öffentlichen Haushalten feilschen kann.
Im Senat von Berlin werden mit Hochdruck die
entsprechenden Programme vorbereitet. Berlin
wird die Stadt werden, in der sich das deutsche
Vertrauen in die Zukunft manifestiert. Das erwarten auch unsere Landsleute, die in das Gefängnis Ulbrichts eingesperrt sind.
Meine Hörerinnen und Hörer, in der sowjetisch
besetzten Zone spielen sich Ungeheuerlichkeiten ab. Die sogenannte Deutsche Demokratische
Republik hat sich nach langen Verhandlungen
mit Moskau bereiterklärt, ihre Wirtschaft auf
eine enge Gemeinschaft mit der Sowjetunion
umzustellen. Man ist dabei, die Produktion auf
sowjetische Rohstoffe und Materialien einzurichten. Das gleiche gilt für Produktionsverfahren.
Das gleiche gilt für sowjetische Importwünsche
und sowjetischen Bedarf. Es geht sogar so weit,
daß die deutschen Industrienormen an die so118
wjetischen Ost-Normen angepaßt werden sollen.
Mit anderen Worten: Ulbricht ist dabei, Mitteldeutschland zu einer sowjetischen Industrieprovinz zu machen. Am 29. August gab es im
‚Neuen Deutschland‘ eine Schlagzeile. Sie hieß:
‚Wir haben Ordnung an der Grenze, jetzt schaffen wir Ordnung im Dorf.‘ Man hat den Menschen die Abstimmung mit den Füßen unmöglich gemacht, und nun setzt der Terror ein. Deportationen haben begonnen, und wir müssen
befürchten, daß sie noch schlimmere Formen
annehmen werden. Arbeitsverpflichtungen unter unwürdigsten Umständen werden auf dem
Verwaltungswege vorgenommen. Es wird innerhalb des Ulbricht’schen Konzentrationslagers in
Kürze Arbeitslager geben, jedenfalls sind solche
geplant.
Die Zone hatte, gemessen an anderen Ländern
des Ostblocks, immer noch einen relativ annehmbaren Lebensstandard, trotz der großen Unterschiede zu uns. Doch jetzt soll damit rücksichtslos Schluß gemacht werden. Die Lebenshaltung
soll eingeebnet werden. Dazu ist man bereit,
stalinistischen Terror anzuwenden.
Neue Verbrechen an der Menschlichkeit sind
begangen worden, und weitere Verbrechen werden vorbereitet. Die Welt muß sich darum kümmern. Das haben auch die Vertreter einer Reihe
von nichtgebundenen Staaten erkannt, die sich
in Belgrad zusammengefunden haben. Premierminister Nehru hat sich mit Nachdruck für die
Freiheit der Zufahrtswege eingesetzt, und Präsident Nasser hat erklärt, daß die Mauer weg muß.
Wir können nur tausendmal ja dazu sagen. Nicht
einmal, weil rechts und links der Mauer Deutsche wohnen, sondern weil rechts und links der
Mauer Menschen leben und weil die Moral der
VIDEOTURM
Welt angebrochen wird, wenn sie eine solche
Verhöhnung und Verletzung der Moral und der
Menschlichkeit hinnimmt.
Meine Hörerinnen und Hörer, wir werden nicht
müde werden, die Anklage zu erheben, bis wir
Erfolg haben. Noch niemals sind die Bäume einer Diktatur in den Himmel gewachsen.
Es paßt nur in das Bild der infamen Rücksichtslosigkeit, daß man Dr. Scharf, dem Präses der
Evangelischen Kirche in Deutschland, zunächst
einen Passierschein ausstellte und ihn dann nicht
mehr in den Ostsektor zurückkehren ließ. Soweit
ist man gegangen, zu erklären, daß die Evangelische Kirche eine illegale Organisation und eine
nicht friedliebende Organisation sei. Das ist bodenlos, das ist aber auch eine Warnung. Eine
Warnung, die wir allen Völkern zurufen müssen.
Wenn die Kirche zu einer nicht friedliebenden
Organisation erklärt wird, dann gibt es nichts
mehr, was die Willkür nicht ebenfalls zu einer
nicht friedliebenden Organisation erklären kann.
Wir erinnern uns sehr genau, welche Forderungen man an ein ‚Freies friedliebendes Berlin‘,
eine freie Stadt sowjetischer Prägung gestellt
hat. Hier dürfe es nur friedliebende Menschen
und friedliebende Organisationen geben. Diese
Erklärung gegenüber der Evangelischen Kirche
bedeutet, daß jedermann, der kein Knecht sein
will, daß jede Organisation ohne Quislinge und
jede Institution, die nicht unter das Joch will,
also jeder, der nicht kommunistisch sein will, als
nicht friedliebend erklärt werden kann und damit die Existenzberechtigung in Berlin abgesprochen bekommt.
Ich erkläre hier: Das wird niemals geschehen.
Der Anschlag auf die Einheit der Evangelischen
Kirche in Deutschland und die dabei gegebene
Begründung – ebenso wie entsprechende Drohungen nach anderer Seite – müssen der Welt
zeigen, daß mit der freien Stadt sowjetischer
Prägung die Eingemeindung in das Terrorregime
gemeint ist. Dazu gibt es nur ein klares und unveränderliches Nein.
Wir werden von Berlin aus die Welt aufklären
über das, was hier geschehen ist, und über die
Verbrechen, die an unseren Landsleuten begangen werden. Der Senat hat ein großangelegtes Programm eingeleitet zu diesem Zweck. Wir werden
den Sklavenhaltern nicht gestatten, sich hinter
schönen Worten zu verbergen.
Und noch eins, meine Hörerinnen und Hörer: es
sind feststellbare Einzelverbrechen begangen worden. Ich denke hier an den vielerörterten Mord an
einem wehrlosen Flüchtling. Wir suchen den Mörder. Wir haben sein Bild. Ich appelliere nochmals an die Vopos und die Mitglieder der Streitkräfte, die drüben stehen: Denkt daran, daß ihr
zuerst Deutsche seid. Glaubt nicht denen, die
ihre eigenen Landsleute bedrücken. Laßt Euch
nicht zu Lumpen machen. Schießt nicht, oder
wenn Ihr schießen müßt, dann schießt daneben.“
Filmaufnahmen: Mauerbau in den Wochen nach
dem 13. August 1961; Vopos und DDR-Grenzer;
amerikanische und französische Soldaten; Berlin heute an der ehemaligen Mauer; Ost-Transparente: „Wer uns angreift, wird vernichtet“ und
„Nicht frech werden, Herr Brandt, wir sind gute
Schützen“; Demonstrationszüge zum Schöneberger Rathaus und Kundgebung vor dem Rathaus (1961); Berlin-Schöneberg an gleicher Stelle heute.
119
VIDEOTURM
21
(2‘11“):
Neue Deutsche Wochenschau von 1955
(Ausschnitte):
Paul Löbes 80. Geburtstag.
Zeitkolorit: Fußball-Länderspiel zwischen Italien und Deutschland in Rom.
22
(1‘12“):
Ukerevy der Norsk Film A/S von 1956
(Ausschnitt aus einer norwegischen Wochenschau):
Brandt zu Besuch in Norwegen.
23
(0‘47“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Oktober 1957
(Ausschnitte):
Brandt wird Regierender Bürgermeister von
Westberlin.
Zeitkolorit: Regierungskrise in San Marino.
24
(1‘30“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Mai 1958
(Ausschnitte):
Brandt spricht zum 1. Mai vor dem Schöneberger Rathaus.
Zeitkolorit: Der 1. Mai in Moskau.
Brandt: „Frieden, Fortschritt, Freiheit – so lautet
die heutige Parole. Laßt uns dabei nicht vergessen, daß das Wort Freiheit ganz groß geschrieben wird. Laßt uns miteinander und füreinander
einstehen, dann wird es wieder ein einheitliches
Berlin sein, als Hauptstadt eines aus widernatürlicher Zerklüftung befreiten Deutschland.“
120
25
(3‘41“):
UfA-Wochenschau vom Juli 1958
(Ausschnitte):
Brandt eröffnet die Berliner Filmfestspiele.
Zeitkolorit: Rückblick auf Filmgeschichte.
26
(2‘00“):
UfA-Wochenschau vom Dezember 1958
(Ausschnitte):
Die Aktion „Macht das Tor auf“ mit Willy Brandt.
Zeitkolorit: Die Situation an der Zonengrenze/
Niedersachsen.
27
(1‘48“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Februar 1959
(Ausschnitte):
Konfettiparade für Willy Brandt auf dem New
Yorker Broadway.
Zeitkolorit: Modenschau in Deutschland.
Der Wochenschausprecher zu New York: „Hey
Willy, riefen die New Yorker und überschütteten
Willy Brandt mit gewaltigen Konfettimengen.
Berlins Regierender Bürgermeister ist sozusagen über Nacht in der Neuen Welt populär und zu
einem Begriff geworden. Und zweifellos gilt die
Sympathie zugleich dem freien Teil der deutschen
Hauptstadt.“
28
(2‘15“):
UfA-Wochenschau vom Mai 1959
(Ausschnitte):
Brandt zur Berliner Bevölkerung.
Zeitkolorit: Maifeier in Ostberlin.
Willy Brandt: „Meine lieben Berlinerinnen und
Berliner, mein herzlicher Gruß gilt Ihnen allen,
die Sie an diesem Maientag hierhergekommen
sind, aus freiem Willen in selbstgewählter Diszi-
VIDEOTURM
plin, nicht unter einem Kommando, wie es von
der anderen Seite des Brandenburger Tores zu
uns herüberschallt. Der Tag wird kommen, an
dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der
Grenze liegt. An jener Grenzlinie, die mitten durch
unsere Familien geht, die das Volk zerreißt, die
unser Berlin aufspaltet.
Bis jener Tag kommt, bitten wir, rufen wir, fordern wir: Macht das Tor auf! Macht Schluß mit
der widernatürlichen Spaltung!“
29
1‘05“):
Der Augenzeuge (DEFA) von 1959
(Ausschnitt):
Landsmannschaftstreffen in Westberlin. Beispiel
für gehässige DDR-Berichterstattung.
Der DEFA-Sprecher: „Und auch der Regierende
fehlte nicht, wo es galt, bei der Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges mitzumischen. Name bürgt
für Qualität. Und man möchte doch zu gern die
Welt in Flammen setzen.“
30
(0‘38“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Juli 1959
(Ausschnitt):
Gedenkfeier für die Opfer des 20. Juli 1944.
31
(3‘12“):
Ukerevy der Norsk Film A/S von 1959
(Ausschnitt aus einer norwegischen Wochenschau):
Der Regierende Bürgermeister von Westberlin in
Oslo.
32
(0‘57“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Februar 1960
(Ausschnitt)
Die Grüne Woche in Berlin.
33
(1‘01“):
UfA-Wochenschau vom Mai 1960
(Ausschnitt):
Willy Brandt in Westberlin: „Wir warnen die Gauleiter drüben: Überspannt den Bogen nicht! Recht
und Gerechtigkeit haben sich noch niemals auf
die Dauer unterdrücken lassen.“
34
(1‘12“):
Neue Deutsche Wochenschau vom Juni 1960
(Ausschnitt):
Brandt erinnert an den 17. Juni 1953: „Heute
und morgen geht es in Deutschland um Berlin.
Heute und morgen geht es um das, was wir aus
dem freien Teil Deutschlands machen. Aber es
geht auch immer um den anderen Teil Deutschlands und um unseren Beitrag zur Sicherung des
Friedens der Welt.“
35
(7‘40“):
UfA-Wochenschau vom August 1961
(Ausschnitt):
Der Eiserne Vorhang teilt Berlin und Deutschland. Der amerikanische Vizepräsident Johnson
in der ehemaligen Reichshauptstadt.
36
(1‘15“):
Der Augenzeuge (DEFA) vom August 1962
(Ausschnitt):
Zum Jahrestag des Mauerbaus: „Der Westberliner Frontstadtchef Brandt hat am Abend des
ersten Krawalltages den Rowdies seine Sympathie ausgesprochen, mußte dann aber Polizei
gegen den Mob einsetzen, weil sich die Randalierenden gegen die Westberliner Bevölkerung und
die Amerikaner wandten. Hier wurde mit dem
Feuer gespielt.“
121
VIDEOTURM
37
(2‘02“):
Neue Deutsche Wochenschau von 1963
(Ausschnitt):
Wahlen in Berlin.
Brandt: „Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17. Februar [1963] geht es um eine
erneute, eindeutige Abrechnung mit der kommunistischen Einheitspartei, die ja in Westberlin
zugelassen ist und für ihre Kandidaten werben
darf.“
38
(5‘14“):
Kennedy in Westberlin 1963
(Ausschnitte aus einer Produktion, deren Herkunft nicht ermittelt werden konnte).
39
(2‘23“):
Ausschnitte aus einer UfA-Produktion 1969:
Vor der sozialliberalen Koalitionsbildung.
40
(1‘14“):
Ausschnitte aus einer UfA-Produktion
(„Dabei-Politik“):
1969: Brandt ist Kanzler. „Wir stehen nicht am
Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“
41
(1‘49“):
Ausschnitte aus einer Auftragsproduktion von
1970:
Brandt in Erfurt am 19. März.
42
(1‘07“):
Ausschnitte aus dem „Deutschlandspiegel“
(Cine-Centrum-Produktion) von 1970:
Brandt in Warschau – Der Kniefall.
122
43
(1‘41“):
Brandt auf dem SPD-Parteitag in Essen,
Juni 1980.
„Wie ist der Frieden noch zu retten? Wir wissen
es alle: Es brennt fast rund um den Erdball. Vielerorts flackern die Krisenfeuer. Jedes einzelne
hätte in früheren Jahrzehnten gereicht, einen
großen Krieg zu entfesseln. Und auch wir tun uns
schwer, denn diese Brände lassen sich nicht mit
der Feuerpatsche ausschlagen. Regionale Rivalitäten verbinden sich mit Gegensätzen zwischen Ost
und West, und diese wiederum vermengen sich mit
den Folgen des krassen Nord-Süd-Gefälles.
Die tief gestörten Beziehungen zwischen den Weltmächten lassen sich nicht gesundbeten. Aber verschüttete Wege wieder gangbar zu machen, daran
müssen und wollen wir mithelfen. Unsere wirklichen Interessen, die verlangen auch, daß wir
aus dem Westen besser als bisher versuchen, jene zu begreifen, die traditionell anders denken
und empfinden als wir – ob Schwarz oder Gelb,
ob Moslem oder Hindu.“
44
(3‘33“):
Aus dem Rechenschaftsbericht Brandts auf dem
Münchner SPD-Parteitag, April 1982.
„Verehrte Anwesende! Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Unser Parteitag fällt in eine schwere Zeit. Was von außen auf uns einwirkt, wird
durch eigene Unzulänglichkeiten ergänzt. Das
Tal, durch das wir gehen, ist tiefer und unfreundlicher als andere, durch die wir in den anderthalb Jahrzehnten hindurch mußten.
Dieser Parteitag wird daran gemessen werden,
ob er Kräfte freisetzt, die für den Aufbruch nach
vorn gefordert sind. Darum sollten wir uns nicht
lange bei Oberflächlichkeiten aufhalten: Krisen
VIDEOTURM
kann man hochjubeln oder überwinden helfen.
Aussprechen, was ist, kann nicht bedeuten, daß
wir uns die falschen Themen aufzwingen lassen
oder gar gegnerische Kampfparolen transportieren. Es muß bedeuten, dieses ‚Aussprechen, was
ist‘, daß wir sagen, was Sache ist. Der Blick auf
die eigene Geschichte kann uns dabei helfen,
hierzu die Kraft zu finden.
Ehrlich gesagt, liebe Freunde, mir hängt der Mißbrauch des Wortes Krise gelegentlich zum Hals
heraus. Es gibt bei uns Deutschen die Neigung,
sich in Krisengefühl zu baden. Seien wir ehrlich,
das Leben, unser aller Leben, ist eine Kette von
Krisen, gewiß auch von Ängsten. Die Lebenskrisen früherer Zeiten haben sich begrenzen lassen, und unsere Politik hat damit zu tun. Aber es
bleibt wichtig, professionellen Krisenschwätzern,
Profiteuren des Zerfalls, Ausbeutern apokalyptischer Ängste nicht das Feld zu überlassen. Ich
sage dies, weil wir uns nicht weit vom Amtssitz
des CSU-Vorsitzenden befinden.
Liebe Freunde, im Ausland wie im Inland wird
unser Parteitag diesmal mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Nicht nur durch spaltenlange
Kommentare, auch durch uns begleitende Kundgebungen haben wir sehen können, wie viele –
biblisch würde man sagen: Gerechte und Ungerechte – es für wichtig halten, uns zu beeinflussen.
Ich stelle hier nur ganz schlicht fest: Der Parteitag der SPD ist souverän. Er wird sich ganz allein
nach dem entscheiden, was die hier versammelten Delegierten für richtig halten.“
45
(1‘38“):
Brandt auf dem sozialdemokratischen Wahlparteitag, Dortmund Januar 1983.
„Die SPD, unsere SPD, hat in diesem Jahr 120
Jahre auf dem Buckel, und sie ist noch immer für
Überraschungen gut. Viele hat es in der Tat überrascht, daß wir uns im letzten Herbst nicht verhedderten, sondern daß wir rasch neuen Mut
gefaßt und neue Kraft geschöpft haben. Jene
fanden sich widerlegt, die uns für den Fall, daß
uns im Bund die Regierung entglitte, lauter Deprimierendes voraussagten. Wir würden in Bedeutungslosigkeit versinken, hieß es in extremen
Voraussagen; die Chance, wieder an die Regierung zu kommen, hätten wir erst im nächsten
Jahrzehnt oder in einer Generation; böse Streitereien – so argwöhnte oder hofft man – würden
womöglich in Spaltung enden.
Hoffnungen im Lager der Gegner, Befürchtungen im eigenen Lager wurden Gott sei Dank nicht
bestätigt. Ich kann nicht erwarten, daß sich die
Gegner freuen, widerlegt worden zu sein. Ich
gehe davon aus, daß alle Sozialdemokraten dem,
was sie seit dem Herbst geleistet und bewirkt
haben, noch einiges hinzufügen.“
46
(1‘44“):
Brandt auf dem SPD-Parteitag in Köln, November 1983.
„Zu den Ritualen einer gewissen Art von deutschen Rechten gehört es im übrigen zu empfehlen, die SPD möge wieder so werden, wie sie
früher gewesen sei.
Die liberal kostümierten Deutschnationalen in
einer bedeutenden Frankfurter Redaktion haben sich bei dem Gesellschaftsspiel, daß ich jetzt
erwähne, besonders hervorgetan. Das Verdächtige, liebe Freunde, an einer solchen Empfehlung ist freilich, daß die, wenn Ihr so wollt, alte
SPD von den alten Konservativen noch schärfer
bekämpft wurde, als es uns heute widerfährt.
Die falschen Freunde, die ich im Visier habe,
wünschen sich eine SPD, die ohne Biß und ohne
123
VIDEOTURM
Ich denke an die vielen, die mir im Laufe der langen Jahre mit Rat und Tat zur Seite standen. Miteinander, miteinander haben wir einiges auf den
Weg gebracht. Mögen andere neu anschieben
und weiter voranbringen. Die Zeiten des mündigen Bürgers sind nicht vorbei. Jedenfalls kommen sie wieder.“
grundsätzliche Verankerung in Daueropposition
vor sich hin macht. Damit können wir nicht dienen, vielmehr ist dazu zu sagen: Eine SPD nach
dem Geschmack ihrer Gegner wäre überflüssig.
Wenn sie uns lobten, müßten wir uns fragen, was
wir falsch gemacht haben.“
47
48
124
(1‘53“):
Nürnberger Parteitag, August 1986. Willy Brandt
stimmt das Abschlußlied an:
„1. Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ und die
alten Lieder singen, und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muß gelingen: Mit uns zieht
die neue Zeit, mit uns zieht die neue Zeit.
2. Einer Woche Hammerschlag, einer Woche
Häuserquadern zittern noch in unsern Adern.
Aber keiner wagt zu hadern: Herrlich lacht der
Sonnentag, herrlich lacht der Sonnentag.“
(2‘02“):
Willy Brandt tritt als Parteivorsitzender zurück.
SPD-Parteitag, Bonn Juni 1987.
Redeauszug: „Wir haben vielmehr dafür gearbeitet, daß aus Millionen geschundener Proletarier
und unmündiger Frauen selbstbewußte Staatsbürger werden konnten.
Ich bin heute an dieses Rednerpult getreten,
nicht um zu klagen, sondern um zu danken. Und
natürlich nicht nur für das, was mich bewegend
hier zu Beginn gesagt wurde, auch nicht für die
Freundlichkeit, nein, wenn ich es recht empfinde, Herzlichkeit, mit der mich die Delegierten in
ihrer großen Mehrheit empfangen haben. Ich
weiß, was ich der Bewegung schuldig bin, in die
ich als kleiner Junge hineinwuchs. Und manches
davon ist lebendig geblieben in der Partei, an
deren Spitze ich nun als Kanzlerkandidat seit
1960, als Vorsitzender seit 1964 stehen durfte.
49
(1‘04“):
Interview in RTL-Luxemburg (Auszug), Mai 1992.
Letztes Auftreten Willy Brandts im Fernsehen.
Letztes Interview.
Letzte Frage.
Letzte Antwort.
Interviewer: „Letzte Frage, Herr Brandt. Wenn
man Sie jetzt fragen würde, welcher in der langjährigen politischen Karriere von Willy Brandt
der wichtigste Augenblick gewesen ist, welcher
Augenblick wäre das?“
Brandt: „Ach, das ist eine schwierige Frage, wenn
man so lange im Geschäft ist wie ich. Ich habe natürlich lange gemeint, das Wichtigste, was ich erleben konnte, war das Ende der Diktatur in meinem
eigenen Land, das Ende des schrecklichen II. Weltkrieges und die Chance, neu anfangen zu können.
Mittlerweile sind natürlich die aktuelleren Bilder
vor Augen, die Tatsache, daß die Teilung meines
Landes überwunden wurde, daß neue Möglichkeiten demokratischer Entfaltung sich östlich von
uns doch ergeben haben und damit auch neue
Chancen der Zusammenarbeit; aber, das sind so
die beiden, die beiden Haupteinschnitte, der eine hängt mit dem Jahr 1945 zusammen und der
andere mit dem Jahr 1989.“
50
(2‘07“):
Nach dem 8. Oktober 1992.
WEITERE EXPONATE
Weitere Exponate der
Willy-Brandt-Ausstellung:
➞ Zwei Litfaßsäulen mit Brandt-Plakaten.
➞ Veröffentlichungen von und über Willy Brandt
➞ eine kleine Auswahl.
➞ Die deutsche und internationale Presse über
den Tod von Willy Brandt.
Es gibt in der Welt wohl keine einzige Tageszeitung, die nicht über den Tod und die Beisetzung Willy Brandts berichtet hätte. Die
Absicht der Ausstellungsmacher war, repräsentativ für jeden Kontinent einige Originalzeitungen mit diesen Berichten vorzulegen. Dies
scheiterte daran, daß die meisten angeschriebenen Zeitungen nur noch über ihre Archivexemplare verfügten.
Die jetzt zustandegekommene Auswahl muß
unter dieser einschränkenden Bemerkung gesehen werden.
125
QUELLEN
Quellennachweise
Alle hier im folgenden nicht aufgeführten Exponate stammen aus den Beständen des Archivs
der sozialen Demokratie und der Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung. Bei einigen wenigen
Fotos konnten die Urheber bzw. Rechteinhaber
nicht ermittelt werden.
1.5
1.6
1.7
1.8
1.10
2.7
2.8
3.7
3.8
4.3
4.7
4.8
4.9
5.1
126
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck (1 Foto).
Kirchenkreis Lübeck der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Archiv).
Mecklenburgisches Landeshauptarchiv, Schwerin.
Elisabeth Armbrust, Hamburg.
Mecklenburgisches Landeshauptarchiv, Schwerin.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Archiv der Hansestadt Lübeck.
Gymnasium Johanneum zu Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck (1 Foto).
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der
Hansestadt Lübeck.
5.3
dpa.
5.4
„Lübecker Nachrichten“.
5.6
Jupp Darchinger, Bonn.
5.7
Aus dem Breloer-Film „Kampfname: Willy Brandt“.
5.8
„Lübecker Nachrichten“.
5.9
„Lübecker Nachrichten“.
7.5
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
7.6
Einhart Lorenz, Oslo.
7.7
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
7.8
Entnommen: Trond Hegna, Min Versjon, Oslo
1983.
8.5
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
8.6
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo
(1 Foto).
8.7
Entnommen: Trond Hegna, Min Versjon, Oslo
1983.
9.6
Entnommen: Reidar Hirsti, Gubben, Oslo 1982.
10.17 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
11.1 Einhart Lorenz, Oslo.
11.2 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
11.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
11.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
12.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
12.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
12.6 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
12.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
12.8 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
12.10 Internationales Institut für Sozialgeschichte,
Amsterdam.
14.1 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo.
15.1 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
15.2 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
15.3 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
15.4 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
15.5 Entnommen: Reidar Hirsti, Gubben, Oslo 1982.
5.2
QUELLEN
15.6
17.2
17.3
17.4
17.5
17.6
18.4
18.6
20/21.1
20/21.2
20/21.3
20/21.4
20/21.5
20/21.6
20/21.7
20/21.8
20/21.9
20/21.10
20/21.15
20/21.16
20/21.17
20/21.18
22.9
23.1
23.4
24.1
24.7
24.8
25.8
25.9
Durch Vermittlung des Norwegischen Botschafters in Bonn, Per M. Olberg, aus dem
Riksarkivet, Oslo.
Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien.
Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
dpa.
Landesarchiv Berlin.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Hehmke-Winterer, Düsseldorf (1 Foto).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“.
26.2
26.3
26.5
26.6
26.7
26.8
27.7
27.8
28.1
28.4
28.6
28.8
28.9
29.2
29.6
29.8
30.1
30.2
30.3
30.4
30.5
30.6
30.8
30.9
31.1
31.2
31.3
31.4
31.5
31.6
31.7
32.2
32.4
32.5
32.7
32.8
32.9
Jupp Darchinger, Bonn.
AP.
dpa.
UP-Acme.
Keystone.
Keystone.
dpa.
dpa.
Helmut Blazejewski, Berlin.
dpa.
dpa.
dpa.
dpa.
AP.
Foto-Klebbe-Berlin.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
„Debatte“, Bonn (1 Foto).
AP (1 Foto).
dpa.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Franz-Neumann-Archiv, Berlin.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
AP.
AP.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Jupp Darchinger, Bonn.
dpa.
dpa.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv) (4 Fotos).
dpa.
AP (1 Foto).
127
QUELLEN
33.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv) (2 Fotos).
33.4 Videoprint aus Filmmaterial der Landesbildstelle Berlin (Landesfilm- und Tonarchiv).
33.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
33.6 AP.
33.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
34.1 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
34.2 dpa.
34.3 Rudolf W. Kipp Film, Hamburg.
34.4 Pressebild Schubert, Berlin.
34.5 dpa.
34.9 dpa (1 Foto).
35.2 Winfried Esch, Berlin.
35.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
35.4 dpa.
35.7 dpa.
35.8 AP.
36.1 AP.
36.2 AP.
36.3 dpa.
36.5 Stadt Dortmund, Presseamt (Bildstelle).
36.6 fpa.
37.1 AP.
37.2 dpa.
37.3 dpa.
37.4 Jupp Darchinger, Bonn.
37.5 dpa.
37.6 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Bundesbildstelle), Bonn. Im folgenden BPA
genannt.
37.7 dpa.
37.8 AP.
38.2 Jupp Darchinger, Bonn.
38.3 AP.
38.4 dpa.
38.5 dpa.
38.6 dpa (1 Foto).
128
dpa.
Manfred Tripp.
dpa.
dpa.
BPA, Bonn (1 Foto); Gerd Schulthess, St. Ingbert
(1 Foto).
39.2 dpa.
39.5 dpa.
39.7 dpa.
39.8 dpa.
39.9 Jupp Darchinger, Bonn.
39.10 dpa.
40.1 Fritz Behrendt, Amstelveen.
40.2 dpa.
40.3 BPA, Bonn.
40.4 Jupp Darchinger, Bonn.
40.5 dpa.
40.6 BPA, Bonn (1 Foto); dpa (1 Foto).
40.7 Jupp Darchinger, Bonn.
41.1 dpa (1 Foto); Sven Simon, Essen (1 Foto).
41.2 dpa.
41.4 Sven Simon, Essen (1 Foto); dpa (1 Foto).
41.5 BPA, Bonn.
41.6 BPA, Bonn.
42.1 Jupp Darchinger, Bonn (1 Foto); dpa (1 Foto).
42.2 dpa.
42.3 dpa.
42.5 fpa.
42.6 dpa.
43.1 BPA, Bonn.
43.6 BPA, Bonn.
43.7 BPA, Bonn.
44.1 Klaus Staeck, Heidelberg.
44.4 dpa (1 Foto); AP (1 Foto); „Bild“, Hamburg
(1 Foto).
44.5 dpa.
44.6 Jupp Darchinger, Bonn.
38.7
38.9
38.10
38.12
39.1
QUELLEN
45.4
45.5
45.6
45.7
45.8
45.9
46
47
48
49
50.1
50.5
50.6
50.8
51.1
51.2
51.3
51.4
51.5
51.6
51.8
52.1
52.2
Sven Simon, Essen.
Jupp Darchinger, Bonn.
Sven Simon, Essen.
Jupp Darchinger, Bonn.
„Stern“, Hamburg (Foto von Herbert Peterhofen).
Jupp Darchinger, Bonn.
dpa; dpa; Keystone; Jupp Darchinger, Bonn;
dpa; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; dpa; dpa;
dpa; AP; dpa; UPI; AP; dpa.
dpa; Willy Pragher - Interphot; Jupp Darchinger,
Bonn; dpa; dpa; dpa; BPA, Bonn; BPA, Bonn;
dpa; Sven Simon, Essen; UPI; dpa; BPA, Bonn;
dpa; dpa; AP; AP.
BPA, Bonn; dpa; dpa; dpa; BPA, Bonn;
dpa; dpa; BPA, Bonn; AP; AP; BPA, Bonn;
BPA, Bonn; dpa; UPI; Keystone; BPA, Bonn;
Sven Simon, Essen; Sven Simon, Essen;
Sven Simon, Essen.
dpa; dpa; Sven Simon, Essen; Sven Simon,
Essen; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; dpa;
Sven Simon, Essen; AP; Jupp Darchinger, Bonn;
dpa; dpa; dpa; Volkhart Müller, Madrid;
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
BPA, Bonn.
dpa.
Sven Simon, Essen (1 Foto); Manfred Vollmer,
Essen (1 Foto).
dpa.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
„Stern“, Hamburg (Foto von Volker Hinz).
BPA, Bonn.
AP.
BPA, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
dpa.
Hermann Wygoda, Frankfurt a.M.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Das Plakat mit den verschiedenen Namenszügen (u.a. von Willy Brandt) wurde von
Siegbert Heid (FES) zur Verfügung gestellt.
53.4 Paul Glaser, Berlin.
53.7 Jupp Darchinger, Bonn.
54.6 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm.
54.8 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent.
54.9 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent.
55.1 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent.
55.4 SI, London.
55.5 dpa.
55.6 dpa (1 Foto).
55.7 SI, London.
55.11 Werek Pressebildagentur, Bonn.
56.2 AP.
56.3 AP.
56.6 Werek Pressebildagentur, Bonn (1 Foto);
Norbert Nordmann, Bonn (1 Foto).
56.7 SI, London.
56.8 SI, London.
57.3 SI, London.
57.6 SI, London.
57.7 SI, London.
58.1 Klaus Staeck, Heidelberg.
58.2 dpa.
58.3 Jupp Darchinger, Bonn.
58.4 AP (1 Foto); Jupp Darchinger, Bonn (1 Foto).
58.5 Jupp Darchinger, Bonn.
52.3
52.4
52.6
52.7
53.1
53.2
53.3
129
QUELLEN
58.6
59.1
59.3
59.4
59.5
59.6
59.7
59.8
60.1
60.4
60.5
60.6
60.7
61.1
61.2
61.3
61.4
62.1
62.3
62.4
62.5
62.6
62.7
63.1
63.4
63.5
64.2
130
Klaus Staeck, Heidelberg.
Jupp Darchinger, Bonn.
AP.
BPA, Bonn.
Jupp Wolter, Lohmar.
dpa.
Paul Glaser, Berlin.
Sven Simon, Essen.
BPA, Bonn (1 Foto); Landesbildstelle Berlin
(Bildarchiv) (1 Foto).
Entnommen: SPD-Jahrbuch 1979 - 1981.
Videoprints aus einer Fernsehsendung vom
5.10.1980.
AP.
Jupp Darchinger, Bonn.
Poly-Press, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Werek Pressebildagentur, Bonn.
dpa.
Das Foto auf dem Buchumschlag ist von
Klaus-Peter Siebahn, Bonn.
Vario-Press, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Videoprints aus einer Fernsehsendung vom
12.5.1985.
Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“.
AB Reportagebild, Stockholm.
dpa.
Jupp Darchinger, Bonn (2 Fotos);
Poly-Press, Bonn (1 Foto); BPA, Bonn (2 Fotos).
Horst Haitzinger, München.
dpa.
64.3
64.4
64.5
64.11
64.12
65.2
65.6
65.7
66.2
66.3
66.4
66.6
66.7
66.8
67.1
67.3
67.4
67.5
67.8
68.2
68.3
68.5
68.6
68.7
69.2
69.3
69.6
69.7
70.1
70.6
Jupp Darchinger, Bonn.
dpa.
Jupp Darchinger, Bonn.
Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“.
Sven Simon, Essen.
Jupp Darchinger, Bonn.
Foto-Blau, Bonn.
Foto-Blau, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Jupp Darchinger, Bonn.
Foto-Blau, Bonn.
Paul Glaser, Berlin.
Jupp Darchinger, Bonn.
Paul Glaser, Berlin.
Rolf Braun, Bonn.
Vario-Press, Bonn.
Sven Simon, Essen.
Photo-Report, Bonn.
dpa.
Patrick Piel, Hamburg.
Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv).
Sepp Spiegl, Bonn.
Sven Simon, Essen.
Monika Schulz-Fieguth, Potsdam.
dpa.
dpa (1 Foto).
Pressefoto Mrotzkowski, Berlin.
Entnommen: „Cahier Socialiste“ 5
(Auf dem Weg zu einer neuen Architektur
Europas. Willy Brandt), Luxemburg 1992.
Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“.
BPA, Bonn.
QUELLEN
Quellennachweise
Ausstellungsvideos
Eigene Aufnahmen des AdsD bleiben in dieser
Aufstellung unberücksichtigt.
21
22
23
24
25
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Deutsches Institut für Filmkunde, Wiesbaden.
Deutsche Wochenschau vom April 1942;
Imperial War Museum, London.
Ton: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M.
Div. Filmzitate; Norsk Filminstitutt, Oslo.
Ton: ZDF-Sendung „Zeugen des Jahrhunderts“
vom 13.12.1988.
Div. Filmzitate; Bundesarchiv (Filmarchiv),
Berlin; Narodni Filmovy Archiv, Prag;
Imperial War Museum, London.
Ton: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M.
Norsk Filminstitutt, Oslo; Arbeiderbevegelsens
Arkiv og Bibliotek, Oslo.
Bundesarchiv (Filmarchiv), Berlin.
Atanor, Madrid.
Ton: teilweise aus dem Film von Heinrich Breloer
„Kampfname: Willy Brandt“ von 1984.
Archiv der Sveriges Television, Stockholm.
Ton: RIAS-Archiv, Berlin.
Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin
(Landesfilm- und Tonarchiv).
Ton: RIAS-Archiv, Berlin.
Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin
(Landesfilm- und Tonarchiv).
Ton: RIAS-Archiv, Berlin.
Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin
(Landesfilm- und Tonarchiv).
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Deutsche Wochenschau GmbH
Hamburg.
Norsk Filminstitutt, Oslo.
Deutsche Wochenschau GmbH
Hamburg.
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Hamburg.
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Norsk Filminstitutt, Oslo.
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(Filmarchiv),
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QUELLEN
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Deutsche Wochenschau GmbH (Filmarchiv),
Hamburg.
Deutsche Wochenschau GmbH (Filmarchiv),
Hamburg.
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Hamburg.
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Compagnie Luxembourgeoise de Télédiffusion
S.A. / Radiotélévision de Luxembourg.
Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands, Bonn (teilweise).
ISBN 3-89892-428-9

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