FES Titel WB 2005 - Friedrich-Ebert
Transcrição
FES Titel WB 2005 - Friedrich-Ebert
Willy Brandt Ein politisches Leben 1913-1992 Werner Krause / Mario Bungert / Michael Oberstadt / Bernd Raschke / Hartwig Schlaberg / Wolfgang Stärcke Willy Brandt Ein politisches Leben 1913-1992 Katalog zu einer Ausstellung des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit einem Vorwort von Anke Fuchs 1 ISBN 3 –89892 – 333–9 Herausgeber: Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 D-53170 Bonn Tel. (02 28) 88 3-0 Gestaltung der Ausstellung: Walter Kreutzberg (Alfter) und Desirée Gensrich Gestaltung des Kataloges: Pellens Kommunikationsdesign GmbH, Bonn Druck: Toennes Druck + Medien GmbH, Erkrath Gedruckt auf 100 g Recystar (100% Altpapier, matt oberflächengeleimt) Printed in Germany 2004 2 Inhalt Vorwort von Anke Fuchs ................................................................................................................................. 5 Einleitung ........................................................................................................................................................ 6 Beschreibung der Ausstellungstafeln u.a. Lübeck ............................................................................................................................................................. 9 Deutschland 1933 unter der NS-Herrschaft .................................................................................................. 19 Exil in Norwegen ........................................................................................................................................... 20 Der Faschismus auf dem Vormarsch ............................................................................................................ 24 SAP ................................................................................................................................................................ 26 In Berlin 1936 ............................................................................................................................................... 27 Spanien ......................................................................................................................................................... 29 „Reichsfeinde“ ............................................................................................................................................... 31 Schweden und Norwegen .............................................................................................................................. 33 „Die Kleine Internationale“ ........................................................................................................................... 35 Rückkehr nach Deutschland .......................................................................................................................... 37 Der deutsche Sozialdemokrat ........................................................................................................................ 39 Der Bundestagsabgeordnete ......................................................................................................................... 42 17. Juni 1953 ................................................................................................................................................ 45 Der Regierende Bürgermeister ...................................................................................................................... 48 Die Mauer ...................................................................................................................................................... 52 „Wandel durch Annäherung“ ........................................................................................................................ 56 Der sozialdemokratische Parteivorsitzende .................................................................................................. 58 Bundeskanzler ............................................................................................................................................... 63 Friedensnobelpreis ........................................................................................................................................ 69 Wahlsieg mit Rekordzahlen ........................................................................................................................... 73 Rücktritt ........................................................................................................................................................ 79 „…auf der Zinne der Partei“ ......................................................................................................................... 81 Sozialistische Internationale ......................................................................................................................... 85 Die Nord-Süd-Kommission ............................................................................................................................ 91 3 In der Opposition .......................................................................................................................................... 93 Der Ehrenvorsitzende .................................................................................................................................. 96 Programmatik .............................................................................................................................................. 97 Friedrich-Ebert-Stiftung ............................................................................................................................... 99 Die letzten Jahre ........................................................................................................................................102 Beschreibung der Ausstellungsvideos ........................................................................................................ 109 Weitere Exponate .......................................................................................................................................125 Quellennachweise .......................................................................................................................................126 4 Vorwort A Am 18. Dezember 1993 wäre Willy Brandt 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß versucht die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dieser Ausstellung, Persönlichkeit, politisches Wirken und historische Bedeutung Willy Brandts einer breiteren Öffentlichkeit – vor allem auch der jüngeren Generation – nahezubringen. In der Darstellung seines Lebensweges lassen sich wie bei kaum einem anderen Politiker die wichtigsten Entwicklungen in Politik und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts nachzeichnen. Er ist durch die Sozialdemokratische Partei geworden, was er war. Zugleich hat er seinerseits das Gesicht dieser Partei in der Nachkriegszeit entscheidend geprägt. Willy Brandt sah sich in der Tradition der alten Arbeiterbewegung August Bebels. Aber er hat darüber hinaus in vielfältiger Hinsicht durch neue politische Ansätze – wie ein neues Fortschrittsdenken, ökologische Grundüberzeugungen und das Wagnis von mehr Demokratie – Politik und Programmatik seiner Partei entscheidend weiterentwickelt und für Zukunftsfragen geöffnet. In seiner „neuen Ostpolitik“ hat er die Versöhnung mit den Staaten des Ostens in Gang gesetzt. Er hat dadurch neues Vertrauen in die Friedfertigkeit der Bundesrepublik bei den Völkern in Ost und West geschaffen. Dies hat der deutschen Politik neue Bewegungsmöglichkeiten eröffnet und Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, die schließlich zum Umbruch im Osten führten. Willy Brandt war ein überzeugter Internationalist. Als Präsident der Sozialistischen Internationale hat er entscheidende Anstöße für die Ausweitung dieser Institution über Europa hinaus in alle Erdteile gegeben. Der Nord-Süd-Dialog ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Zugleich war er ein deutscher Patriot. Er empfand es als Vollendung seines politischen Lebenswerks, als Deutschland vereinigt wurde. Seine Worte „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ bleiben unvergessen. Willy Brandt war Mitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er fühlte sich über eine lange Wegstrecke unserer Arbeit eng verbunden. Die Stiftung konnte ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Ich hoffe, daß wir mit dieser Ausstellung viele Menschen erreichen können. Deshalb soll sie nach der Eröffnung in Bonn zunächst in Berlin und dann in weiteren Städten gezeigt werden. Die Ausstellung ist zugleich ein Beispiel für die historische Arbeit unserer Stiftung und des von Willy Brandt Ende 1967 begründeten Archivs der sozialen Demokratie. Bonn, im Dezember 2004 Anke Fuchs 5 Einleitung N Nach dem Tod Willy Brandts (18. Dezember 1913 bis 8. Oktober 1992) erklärte die SPD: „Willy Brandt war die letzte große Gründergestalt der zweiten deutschen Demokratie. Verfolgt, verfemt, geächtet von einem Regime der Unmenschlichkeit, hat er die Geschichte seines Volkes durchlitten. Ohne Ressentiments, ohne Bitterkeit und ohne Haß. Er hat statt dessen aus der Erfahrung der Unmenschlichkeit, der Unfreiheit und der Ungerechtigkeit den neuen deutschen Staat mit demokratischer und sozialer Leidenschaft mitgestaltet. Einer, der sein Land immer geliebt hat, ohne es über andere Vaterländer zu erheben, ein Patriot im besten Sinne des Wortes.“ Und im weiteren: „Er war der erste sozialdemokratische Kanzler, der seine Partei nach schmerzvollen Jahren der Opposition zur Regierungsfähigkeit brachte. Er war über 23 Jahre Vorsitzender der traditionsreichsten und größten deutschen Partei. Er war 16 Jahre lang Präsident der Sozialistischen Internationale, ein Repräsentant einer freiheitlichen Sozialdemokratie, einer, der die traditionsreiche deutsche Arbeiterbewegung mit den liberalen und aufgeklärten Schichten des Bürgertums versöhnte. Einer, der mit einem Charisma wie wohl kein anderer in dieser Republik alte und vor allem auch junge Menschen in seinen Bann zu ziehen vermochte, einer, der menschlich war und blieb, auch in persönlich schweren Stunden.“ Rudolf Augstein ist der Überzeugung, daß seit Konrad Adenauers Tod kein Deutscher seine Landsleute mit seinem Sterben so tief bewegt habe wie Willy Brandt: „Er war einer der ganz Großen im Land, gehörte in die 6 Reihe der Wallensteins, Fridericus, Freiherr vom Stein, Bismarck, Bebel, Schumacher, Adenauer, Wehner.“ Selbst die politischen Gegner von einst zollten Brandt „über Parteigrenzen hinaus“ großen Respekt. Seine Verdienste um Deutschland und den Frieden in der Welt sichern ihm einen Platz in der Geschichte. Diese Ausstellung soll den Internationalisten und Patrioten Willy Brandt ehren – ohne daß ständig mit dem pädagogischen Zeigefinger auf seine politischen Leistungen hingewiesen wird. Die Ausstellung versteht sich vielmehr schlicht als eine Bildgeschichte, die einen anschaulichen Zugang zur Person Brandts ermöglichen soll. Eine Ausstellung verfügt nicht über die Mittel einer biographischen Darstellung bzw. einer wissenschaftlichen Einzeluntersuchung. Dies ist eine Binsenwahrheit, die von den meisten akzeptiert, aber deren Tragweite oft nicht bedacht wird: Eine Bildgeschichte kann nicht mit feinen Nuancierungen erzählt werden. Sie ist notgedrungen holzschnittartig; vieles muß weggelassen werden, was „eigentlich“ auch wesentlich ist. Vieles läßt sich nicht bebildern. Eine Reihe von Aspekten der politischen Tätigkeit Willy Brandts mußte aus den dargelegten Gründen unberücksichtigt bleiben. Auch werden sich viele Mitarbeiter, Weggefährten und Freunde Brandts in dieser Bildgeschichte vermissen – nicht, weil die Ausstellungsmacher der Ansicht waren, sie hätten keine Bedeutung für Brandt gehabt, sondern weil dem Umfang einer Ausstellung enge Grenzen gesetzt sind, wenn sie nicht die Besucher überfordern soll. Mit dieser Bemerkung bitten wir die Betroffenen um Nachsicht und Verständnis. Bei den Texten zu den Exponaten haben sich die Ausstellungsmacher bewußt zurückgenommen, um die Besucher nicht mit ihrem eigenen Urteil, sondern – wo immer es möglich war – mit den Worten Brandts zu konfrontieren. „Er war einer von uns“, hatte ein norwegischer Widerstandskämpfer auf einer Berliner Trauerkundgebung für Willy Brandt am Vorabend des Staatsakts zu Recht gesagt. Aber auch andere „Vereinnahmungen“ sind zu beobachten: Sie bestehen darin, Widersprüche zwischen dem Patrioten und dem Internationalisten Brandt zu konstruieren oder gar einen Bruch des langjährigen SPD-Vorsitzenden mit seiner Partei zu suggerieren. Bei den Recherchen zu dieser Ausstellung hat sich gezeigt, daß solche Formen der Vereinnahmung geradezu grotesk sind. Obwohl das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung auf seine reichen Bestände zur Geschichte der Arbeiterbewegung und Willy Brandts zurückgreifen konnte, wäre die Ausstellung ohne die freundliche Mithilfe anderer Archive und Personen so nicht denkbar gewesen. Ein Blick auf die Quellennachweise wird den Besucher bzw. Leser davon überzeugen. Nicht allen kann an dieser Stelle gedankt werden. Besonderer Dank allerdings gebührt: Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv, Landesfilm- und Tonarchiv), „Berliner Stimme“ (Konrad Beck), AugustBebel-Institut, Berlin, Franz-Neumann-Archiv, Berlin (Helga Ernst), RIAS, Berlin (Manfred Rexin), Presseund Informationsamt der Bundesregierung (Bundes- bildstelle), Bonn, Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M. (Walter Roller), Elisabeth Armbrust, Hamburg, Deutsche Wochenschau GmbH, Filmarchiv, Hamburg (Wilfried Wedde), Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, Archiv der Hansestadt Lübeck, Gymnasium Johanneum zu Lübeck, Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo, Einhart Lorenz, Oslo, Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm, Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien. Dank gebührt ferner allen in- und ausländischen Zeitungen, die uns Originalausgaben mit Berichten über den Tod Willy Brandts zur Verfügung gestellt haben. Wir danken zudem Hans Schaufler (AdsD), der an dem Zustandekommen der beiden Bildplatten wesentlich beteiligt war, und Isabella Magee, die uns bei der schriftlichen Übertragung von Fernseh- und Tonbandinterviews Willy Brandts und bei den Schreibarbeiten zu diesem Katalog sehr behilflich war. Unser herzlicher Dank gilt last but not least Walter Kreutzberg und Desirée Gensrich, die die graphische Gestaltung der Ausstellung übernommen haben. Werner Krause (Archiv der sozialen Demokratie) Mario Bungert (AdsD) Michael Oberstadt (AdsD) Bernd Raschke (AdsD) Hartwig Schlaberg (AdsD) Wolfgang Stärcke (AdsD 7 Die Tafeln 8 TAFEL 1 Lübeck 01.– August Bebel (hier am Dessauer Bahnhof, 1903), der große Parteiführer der deutschen Sozialdemokratie, stirbt in dem Jahr, in dem Willy Brandt geboren wird. In einem Artikel zum 140. Geburtstag von August Bebel (1980) schrieb Willy Brandt: „Bürgerliche und Adlige, alle, die in der Sozialdemokratie die Ausgeburt des Teufels sahen und allzuoft deutscher Großmannssucht verfielen, hatten ihren Wilhelm über dem Familiensofa hängen. Die anderen aber, für die im jungen Reich kein Platz war, die derselbe Wilhelm eine Rotte von Menschen nannte, nicht wert, den Namen Deutsche zu tragen, für sie und ihre Familien war August Bebel das Sinnbild der Hoffnung. Der Hoffnung, daß es einmal anders werde; daß die Not ein Ende habe; daß Schluß sei mit wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Knechtschaft.“ 02.– Das Holstentor (hier eine Aufnahme aus der Zeit vor dem I. Weltkrieg) ist ein Wahrzeichen der Stadt Lübeck. In der Freien und Hansestadt herrscht ein etwas liberalerer Geist als in vielen Ländern des Deutschen Reichs, dessen Einfluß letztlich jedoch bestimmend bleibt (Foto: Bismarck-Denkmal unweit des Lübecker Bahnhofs). Das Lübecker Holstentor trägt die berühmte Inschrift: „Concordia domi, foris pax“ (Eintracht im Innern, Friede nach außen). Auf diesen Spruch bezieht sich Willy Brandt immer wieder. Die Inschrift sei aber für das Lübeck seiner Jugend keine Zustandsbeschreibung gewesen. Lübeck kam ihm „ein wenig eng vor“. 03.– Historische Hansekogge im Lübecker Hafen (Foto aus den 30er Jahren). 04.– Das Geburtshaus W. Brandts in der Meierstraße (heutige Aufnahme, Bildmitte). Das Haus wird im II. Weltkrieg halb zerstört. Die Meierstraße liegt in einem typischen Arbeiterviertel Lübecks. 05.– Ausriß aus dem „Lübecker Volksboten“ vom 18. 12.1913, dem Tag der Geburt von Willy Brandt. Foto einer Verkaufsstelle des Konsumvereins für Lübeck und Umgegend. Brandts Mutter, Martha Frahm, arbeitet einige Zeit in diesem Konsumverein. Brandt am Tag der Beerdigung seiner Mutter (8.8.1969): „Meine Mutter war eine sehr einfache, gradlinige und pflichterfüllte Frau, mit festem Willen und frohem Herz. Sie hat mir Anstand, Pflichtbewußtsein und Nächstenliebe mit auf den Weg gegeben. So taten und tun es unzählige Mütter jeden Tag. Ich ehre die vielen, wenn ich von der einen spreche.“ 06.– Auszug aus dem Taufregister der St. LorenzKirche (vgl. Foto). Willy Brandt ist als Herbert Ernst Karl Frahm geboren und getauft worden. Der junge Herbert Frahm wählt 1933 das Pseudonym und den politischen Kampfnamen „Willy Brandt“, um den Verfolgungen durch die nationalsozialistischen Machthaber zu entgehen. Er bleibt bei diesem Namen, den er ab 1949 auch „offiziell“ führen darf. Im weiteren Verlauf der Ausstellung wird – obwohl historisch nicht ganz korrekt – der Einfachheit halber ausschließlich der Name Willy Brandt verwandt. Diese Namensänderung und seine uneheliche Herkunft liefern später politischen Gegnern bis in die 60er und 70er Jahre hinein Anlaß zu bösartigen Verleum- 9 TAFEL 1 dungen und Diffamierungen, über die die Geschichte inzwischen hinweggegangen ist. Herbert Frahm hatte sich nach Absprache mit seinen engsten Freunden der linkssozialistischen Gruppe „Willy Brandt“ genannt. Brandt im November 1960: „In einer gesteuerten Flüsterpropaganda wird daran herumgeheimnist, daß ich nicht als Willy Brandt geboren wurde und wohl etwas zu verbergen habe. Nun, es stimmt, daß ich ‚erst‘ seit 28 Jahren Willy Brandt heiße. Ich habe daraus keinen Hehl gemacht. Ich habe meinen Namen beibehalten, weil ich mich ausdrücklich 0 zu dem bekennen wollte, was ich getan, gesagt und geschrieben habe, seit ich erwachsen bin. Als Journalist und Schriftsteller habe ich mir in allen diesen Jahren meinen Namen erworben und ich wollte davor nicht weglaufen. Ich habe nichts zu verbergen. Mit meinem Geburtsnamen und dem Namen meiner damals unverheirateten Mutter verband mich, als ich nach Deutschland zurückkehrte, wenig mehr als die Erinnerung an eine nicht ganz leichte Kindheit. Das mag vielen ungewöhnlich erscheinen und ist es wohl auch. Aber niemand hat das Recht, mir meine Ehre streitig zu machen.“ 07.– Der junge Willy Brandt mit seiner Mutter (Bildausschnitt) bei einer Veranstaltung der Lübecker Arbeiterbewegung. *Der Großvater Ludwig Frahm, ursprünglich im Mecklenburgischen beheimatet, zieht zu Jahrhundertbeginn nach Lübeck, wo er unter anderem bei den Dräger-Werken arbeitet. Er ersetzt dem kleinen Willy den Vater. *Mecklenburgische Landarbeiterfamilie vor dem I. Weltkrieg. Brandt teilt Leo Lania („Mein Weg nach Berlin“) über Ludwig Frahm mit: „An den Großvater schloß er sich enger an; dieser war ein einfacher, 10 gewissenhafter Mann und ein guter Erzähler. Die Mutter sah er ein- oder zweimal in der Woche; im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten versuchte sie, den Jungen ein bißchen zu verwöhnen.“ Und: „Sozialismus war dem Großvater mehr als ein politisches Programm, es war ihm eine Art Religion.“ Ludwig Frahm (geb. 1875) nimmt sich 1934, krank und verzweifelt, das Leben. 08.– Der leibliche Vater Willy Brandts, John Möller aus Hamburg. Hier (um 1925) mit seiner Frau Helene und deren Sohn Heinz. Brandt erfährt den Namen seines Vaters erst in der Nachkriegszeit. J. Möller ist in der Weimarer Republik Lehrer und nach 1933 Buchhalter. – Aufnahme (Bildausschnitt) J. Möllers aus der Zeit nach 1945. Brandt in seinen „Erinnerungen“: „Über meinen Vater sprachen weder Mutter noch Großvater, bei dem ich aufwuchs; daß ich nicht fragte, verstand sich von selbst. Und da er so offenkundig nichts von mir wissen wollte, hielt ich es auch später nicht für angezeigt, die väterliche Spur zu verfolgen.“ Ein Vetter schrieb Willy Brandt 1961, daß John Möller (1887-1958) im Ersten Weltkrieg eine Verwundung erlitten habe und dadurch „sei sein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt gewesen. Ein Hinweis, der mich womöglich milde stimmen sollte gegenüber meinem Vater.“ 09.– Zwei Kindheitsfotos von Willy Brandt. 10.– 1918 – Brandt ist noch keine fünf Jahre alt – zerbricht das Deutsche Kaiserreich. In allen deutschen Reichsländern wird die Republik ausgerufen. Hier: der Umsturz in der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin. TAFEL 1 Willy Brandt als Kleinkind in Matrosenanzug auf einem Stuhl stehend, ca. 1915 11 TAFEL 2 Holstentor: Eintracht im Innern, Friede nach außen. Keine Zustandsbeschreibung, sondern Aufforderung. 01.– Dezember 1918 in Berlin: Philipp Scheidemann (SPD), Friedrich Ebert (SPD) und Hugo Haase (USPD) im Gespräch. Alle drei sind Mitglieder des Rats der Volksbeauftragten, der provisorischen Reichsregierung. 02.– Zwei berühmte Söhne der Stadt Lübeck: die Schriftsteller Thomas Mann (X) und Heinrich Mann (XX). Hier (1929) während einer Tagung der Akademie der Künste in Berlin. Brandt in „Links und frei“ über den Autor der „Buddenbrooks“: „Thomas Mann legte für seine Kreise einen Teil der Wirklichkeit bloß, als er über seine Vater- und meine Mutterstadt schrieb, dort sei ‚ein altertümlich-neurotischer Hintergrund‘ spürbar gewesen. Das bezog sich auf das Milieu der ‚feinen Leute‘... Aber auch wenn man zu den gar nicht für fein gehaltenen Leuten gehörte, konnte man schon als Schuljunge die Nähe zwischen weltweiten Geschäften und mittelstädtischer Enge spüren.“ 12 03.– Rechts: das sog. Buddenbrook-Haus, das Stammhaus eines Lübecker Patriziergeschlechts. Links: das Gewerkschaftshaus in Lübeck (1925). 04.– Willy Brandt als Schulanfänger. *Seine Volksschule, wie sie heute aussieht. 05.– Willy Brandt, 1925. 06.– W. Brandt (X) und seine Mutter (XX), 1926, im Kreise Lübecker Naturfreunde, einer sozialdemokratischen Umfeldorganisation. Brandt betrachtet sich in dieser Zeit als „norddeutschen Arbeiterjungen, der in die sozialistische Bewegung hineingeboren wurde. Ein Aufstiegsschüler, der sich auf ein anderes Berufsleben als das seiner Familie oder seiner sozialen Umgebung vorbereitete.“ 7.+8. Die Dräger-Werke in Lübeck, viele Jahre Arbeitgeber des Großvaters. 09.– Originalbeschriftung der Fotovorlage: „Drei Konfirmanden – eine fröhliche Schaar.“ Das wahrscheinlich Ostern 1928 entstandene Bild zeigt v.l. die beiden Schulfreunde Brandts Rudolf Wilken und August Kutz. Schulfreund Wilken über sich und Willy Brandt („Stern“, Februar 1972): „Wir waren schon zusammen bei den Falken und später auch in der SAJ. Wir haben uns nie verleugnet, weder als Sozialdemokraten auf dem Gymnasium noch als Gymnasiasten bei der Partei.“ 10.– Willy Brandt, 1931. TAFEL 2 Willy Brandt am Zaun stehend, Lübeck, ca. 1931 13 TAFEL 3 01.– Hermann Müller, langjähriger Vorsitzender der SPD und Reichskanzler seit 1928, als Redner auf dem Sozialdemokratischen Parteitag 1929 in Magdeburg. Die auf den Rücktritt der von Müller geführten Reichsregierung (1930) folgenden Kabinette können sich nicht mehr auf klare Mehrheiten im Reichstag stützen und geraten in Abhängigkeit von den Notverordnungen des Reichspräsidenten. 02.– Julius Leber, Lübecker SPD-Reichstagsabgeordneter (hier bei einer Kundgebung nach der sog. Machtergreifung 1933 und vor dem Volksgerichtshof 1944), ist der politische Mentor Willy Brandts. Brandt spricht (1976) von seiner „widerspruchsvollen Beziehung zu diesem ungewöhnlichen Mann“. „Einmal verdankte ich ihm entscheidende politische Impulse meiner Jugend. Ich habe von diesem Mann viel gelernt... Und zum anderen hatte ich mich doch in jugendlich-radikaler Ungeduld aufgelehnt. Auch in der Rückschau habe ich nichts abzustreichen von einer Gesinnung, die – seiner eigenen verwandt – einem unfruchtbaren Mittelmaß den Tribut verwehrte. Auch im – vor allem generationsbedingten – Widerspruch zu Leber habe ich unentbehrliche Erfahrungen gewonnen. Vielleicht war dies die wichtigste: Er lehrte mich die Notwendigkeit des Widerstandes.“ 03.– Die junge Demokratie ist in Gefahr. Anfang der 30er Jahre radikalisieren sich die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland. Die extremistischen Kräfte gewinnen an Boden. Foto: Demonstranten werden von der Polizei vertrieben. 04.– Die Weltwirtschaftskrise wirkt sich neben den USA vor allem in Deutschland aus. Die Arbeitslosenzahlen steigen in bis dahin nie gekannte Höhen. Foto: Arbeitslose beim „Stempeln“. 14 05.– Im Juli 1932 setzt Reichskanzler von Papen die sozialdemokratisch geführte Preußen-Regierung unter Otto Braun ab. Der von vielen Sozialdemokraten geforderte Generalstreik gegen diesen Staatsstreich hat keine Aussicht auf Erfolg. Bild: Polizeioberst Heimannsberg (SPD-Mitglied) wird von Reichswehrsoldaten abgeführt. 06.– Eine Straße in Lübeck, 1931. 07.– Gesuch (Ausriß) Willy Brandts von 1931 um Zulassung zur Reifeprüfung am Johanneum, einem Lübecker Gymnasium, das er erst seit 1928 besucht. In dem Gesuch heißt es: „Einen großen Teil meiner Freizeit widmete ich der Mitarbeit in der sozialistischen Jugendbewegung. Viel Freude und viele ernste Erfahrungen gaben mir die Gemeinschaftsarbeit, die Fahrten in die Natur und besonders die mehrwöchigen Zeltlager in den Sommerferien (z.B. 1929 auf der Insel Namedy im Rhein). Ich habe schon als kleiner Junge viel gelesen, und auch jetzt bringen mir Bücher die meiste Freude... Ich habe die Absicht, Journalist zu werden. Wenn es möglich sein sollte, möchte ich noch Deutsch und Geschichte studieren.“ 08.– Willy Brandt als Abiturient mit seinen Klassenkameraden und Lehrern 1932 im Hof des Johanneums. *Der Hof, so wie er heute aussieht. 1972 schreibt der Bundeskanzler Willy Brandt: „Dem Johanneum, auf dem ich vor 40 Jahren mein Abitur machen konnte, gratuliere ich herzlich zu seinem 100jährigen Bestehen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch meinen Lehrern danken. Gewiß war ich nicht das, was man einen Musterschüler nennt. Um so mehr weiß ich heute zu schätzen, was die vier Jahre auf dem Johanneum für meine weitere Entwicklung bedeutet haben. Es hat sich für mich nur selten die TAFEL 3 Möglichkeit ergeben, mit Klassenkameraden über die Jahre von 1928 bis 1932 zu sprechen; unsere Zahl ist auch sehr zusammengeschmolzen. Aber ich bin doch bei eigener Rückschau über das Maß an Toleranz erstaunt, das es damals an unserer Schule gab. Dies entsprach ja durchaus nicht der uns umgebenden gesellschaftlichen Realität.“ (aus: 1872-1972 Festschrift 100 Jahre Johanneum zu Lübeck). 09.– Schon früh schreibt Brandt Artikel für sozialdemokratische Zeitungen, so u.a. für den „Lübecker Volksboten“ und die „Arbeiterjugend“. Als Kind schließt er sich, vom Großvater beeinflußt, den „Falken“ und dann der Sozialistischen Arbeiterjugend an. 1930 wird er Mitglied der SPD. Im „Lübecker Volksboten“ läßt sich schon am 12.12.1928 ein Artikel Brandts nachweisen („Die Roten Falken“). Abitur am Gymnasium Johanneum zu Lübeck. Willy Brandt als Abiturient Herbert Frahm, 6. Schüler v.r., mit seiner Klasse 0 Ib und den Lehrern, ca. 1932 15 TAFEL 4 01.– Aufnahme, April 1932 in Lübeck. Der frischgebackene Abiturient liest das „Kampfsignal“, das Reichsorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Die SAP war 1931 von früheren SPD-Reichstagsabgeordneten und -mitgliedern und Angehörigen anderer linker Gruppierungen gegründet worden. Sie alle einte die Unzufriedenheit mit dem Kurs der sozialdemokratischen Parteiführung. Obwohl sich die SAP um die Schaffung einer „Einheitsfront“ bemüh0 te, wurde sie dennoch von den Kommunisten heftig bekämpft. W. Brandt schließt sich 1932 der SAP an. Naturgemäß bedeutet dies, daß es zwischen ihm und Leber zu einer Entfremdung kommt. Den Gedanken, bei dem „Lübecker Volksboten“ Redaktionsvolontär zu werden, muß er fallenlassen. 02.– Am Lübecker Krähenteich, 30er Jahre. 03.– Der Krähenteich, 30er Jahre. 04.– Gruppe von sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten (1929 ?); darunter: Paul Levi (X) und die SAP-Gründer von 1931 Max Seydewitz (XX) und Kurt Rosenfeld (XXX). Brandt: „Wie viele in der sozialdemokratischen Jugend war ich mit meinen Sympathien gewiß bei jenen Abgeordneten, die gegen die Politik der ‚Tolerierung‘ (einer Rechtsregierung) opponierten. Die Opposition hatte nicht erst mit dem Übergang der Kanzlerschaft von Hermann Müller zu Heinrich Brüning begonnen. Symbolhafte Bedeutung gewann die Auseinandersetzung um den Bau eines ersten Panzerkreuzers, nachdem die Partei im Wahlkampf 1928 ‚Kinderspeisung statt Panzerkreuzer‘ gefordert hatte... Im Herbst 1931 vermittelte sich jungen Leuten wie mir der 16 Eindruck, als würden sich ansehnliche Gruppierungen in einem neuen Lager links von der SPD zusammenfinden... Die Vertreter der Sozialistischen Jugend, die sich den SAP-Gründern anschlossen, ließen sich weder durch niedrige Mit0 gliederzahlen enttäuschen noch durch bekannte Namen über Gebühr beeindrucken. Uns leuchtete das Aufbegehren gegen eine Politik ein, die wir als kompromißlerisch-schwächlich empfanden. Wir glaubten, einer ‚reinen‘ Lehre näher zu sein, und wir hegten die Hoffnung, daß ein neuer Versuch in der Arbeiterbewegung für unser Volk gut sein würde.“ 05.– Adolf Hitler am 30.1.1933. An diesem Tag macht ihn der Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler. 06.– Lübeck (Rathaus) zur Zeit der NS-Machtübernahme. 07.– Schupos und SA-Leute vor dem Untersuchungsgefängnis Marstall in Lübeck, in dem der von den Lübeckern verehrte SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber in „Schutzhaft“ gehalten wird; Mai 1933. Julius Leber schreibt zu Beginn der Nazizeit im Gefängnis ein Manuskript „Die Todesursachen der Sozialdemokratie“, „ein Spiegel“, so Brandt 1976, „der nicht nur ein düsteres Zeitbild, sondern chronische Schwächen und Anfälligkeiten seiner und meiner Partei sichtbar macht“. Leber habe die Bilanz gezogen: Wenn die Sozialdemokratie nicht fähig ist, die Sprache des Volkes zu verstehen und zu sprechen, dann ist nicht nur ihr eigenes Geschick, sondern auch das der deutschen Demokratie besiegelt. TAFEL 4 08.– Der von den Nationalsozialisten angezettelte Weltkrieg trifft die Heimatstadt Willy Brandts schwer. Schon einer der ersten größeren Luftangriffe auf Deutschland zielt auf Lübeck (März 1942). Zwei brennende Lübecker Kirchen nach diesem Angriff. 09.– Szene auf dem Lübecker Markt nach diesem Luftangriff. Willy Brandt liest das Reichsorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), „Kampfsignal“, Lübeck, ca. 1932 17 TAFEL 5 01.– Ein Unteroffizier beobachtet die beim Zusammenbruch des III. Reichs durch Lübeck ziehenden Flüchtlingstrecks, April/Mai 1945. 02.– Nach der deutschen Kapitulation gehört Lübeck zur Britischen Besatzungszone. Hier: Razzia auf dem Schwarzmarkt durch Besatzungssoldaten und Lübecker Polizei. 03.– An der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik in unmittelbarer Nähe Lübecks, Februar 1960. 04.– Die Grenze an der Ostsee. Die unnatürliche Teilung, besonders seit 1961, beraubt Lübeck seines Hinterlandes. 05.– Der Bahnhof Lübeck. * Das Holstentor, dessen Inschrift für Brandt eine besondere Bedeutung hat (heutige Aufnahmen). 06.– Willy Brandt zu Besuch bei seiner Mutter und deren Ehemann, Lübeck September 1965. Martha Frahm hatte in der Vorkriegszeit den Maurer und Sozialdemokraten Emil Kuhlmann geheiratet. 18 07.– Willy Brandts Halbbruder Günter Kuhlmann (hier: 1983 in seiner Lübecker Wohnung; Videoprint). Günter Kuhlmann wurde 1928 geboren. 08.– 1972 erhält Willy Brandt die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt. Hier: Eintragung in das Goldene Buch der Hansestadt, 1967 (?). Der Lübecker Bürgermeister im Zusammenhang mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Willy Brandt und unter Anspielung auf Thomas Mann ironisch: „Wir haben es uns in dieser Stadt nie leicht gemacht, einen unserer Söhne zu ehren, insbesondere dann, wenn er uns in frühen Jahren verlassen und es später in der Welt zu Ansehen gebracht hat. Doch wir haben das Recht, einsichtiger zu werden.“ 09.– Brandt spricht zu Lübeckern, 80er Jahre. TAFEL 6 Joseph Goebbels: „Wir haben unsere politischen Gegner zu Paaren getrieben.“ Deutschland 1933 unter der NS-Herrschaft: 01.– Razzia von Polizei und SA-Leuten gegen Antifaschisten. 02.– Politische Gegner werden verhaftet. 03.– „Appell“ im Konzentrationslager Oranienburg. 04.– Travemünde (heutige Aufnahme) und der Kutter TRA.10. des Fischers Paul Stooß, mit dessen Hilfe Willy Brandt Anfang April 1933 nach Dänemark flüchtet. Sein weiterer Exilweg führt ihn 0 nach Norwegen. Auf die Frage „Was dachten Sie in diesem Augenblick in diesem Fischerboot?“, antwortete Brandt einmal in einem schwedischen Fernsehinterview: „Zunächst habe ich einfach gedacht, erwischen die dich oder erwischen die dich nicht. Es war in der Nacht, solche Fischerboote laufen ja ganz früh am Morgen aus. Es muß in der Nacht gewesen sein, denn morgens waren wir schon in Roedbyhavn (Dänemark). Dort war eine Zollkontrolle, ich war gut verstaut unter Tauwerk. War ich zunächst mal froh, daß man mich nicht entdeckt hatte. Und sonst war doch eine gewisse Neugier da. Was erwartet dich in diesem Skandinavien?“ 05.– Zwei zeitgenössische Aufnahmen von Oslo. 06.– Die linke Norwegische Arbeiterpartei (NAP) ist einer der bestimmenden Faktoren im politischen Leben Norwegens. Hier: ein Demonstrationsfoto aus den 30er Jahren. Zum Emigrationsmilieu in Oslo sagt Brandt später: „Nicht sinnvoll waren manche der Diskussionen über die Schuldfrage der deutschen Linken. Sie wurden vielfach wie in einem luftleeren Raum geführt und waren beherrscht von persönlichen Vorurteilen und dem – menschlich verständlichen, aber höchst unfruchtbaren – Bedürfnis, seine eigene Rolle zu rechtfertigen.“ 07.– Zwei frühe Fotos: Willy Brandt in Norwegen. Willy Brandt im Exil in Norwegen, ca. 1934 19 TAFEL 7 Exil in Norwegen 01.– Arbeitslose vor einem Osloer Arbeitsamt, 30er Jahre. Norwegen leidet unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Antifaschistische Flüchtlinge 0 werden zwar aufgenommen, finden jedoch nur schwer Arbeit. 02.– Plakat der Norwegischen Arbeiterpartei (norwegische Abkürzung: DNA). 03.– Kundgebung vor dem Gebäude des Osloer „Arbeiderbladet“, 1936. Das Gebäude war zugleich Sitz des Parteivorstandes der NAP. 04.– Willy Brandt mit Kurt Jonas in Oslo, 1933. Jonas, Schriftsetzer aus Berlin, war wie Brandt Mitglied der deutschen SAP-Gruppe in Oslo. 05.– Willy Brandt, Mitte der 30er Jahre im norwegischen Exil. Brandt zu Leo Lania: „Ich bemühte mich ernsthaft, meine Beziehungen mit Deutschland aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber sah ich es als eine ebenso wichtige Aufgabe an, so schnell wie möglich den Anschluß an das politische Leben Norwegens zu finden. In meinem Fall bedeutete das aktive Mitarbeit in der Arbeiterpartei, vor allem ihrem Jugendverband. Ohne Kenntnis der norwegischen Sprache ging das nicht. Ich konnte bereits Norwegisch lesen. Nach einigen Wochen konnte ich mich auch bereits ganz gut verständigen. Und schon ein paar Monate nach meiner Ankunft hielt ich auf einer Versammlung am Sognefjord meine erste Rede in norwegischer Sprache. Sie wurde mir bald so vertraut, als wäre sie meine Muttersprache.“ 20 0 06.– Titelblatt der ersten norwegischen Broschüre Brandts von 1933 („Warum hat Hitler in Deutschland gesiegt?“). 07.– Brandts erste Bleibe in Oslo. 08.– Brandt (X) 1933 in einem Sommerlager einer linken norwegischen Intellektuellengruppe in Minnesund. Gertrud Meyer (XX), die Freundin Brandts, war ihm aus Deutschland nach Norwegen gefolgt. Sie betätigt sich ebenfalls in der Osloer SAP-Gruppe. Die Aufnahme zeigt zudem Jacob Walcher (XXX), einen führenden Kopf des SAPExils, der von Paris aus, dem Sitz der Auslandsleitung der SAP, Norwegen bereist. Erstaunlich ist, daß auf dem norwegischen Originalfoto Gertrud Meyer als Gertrud Frahm ausgegeben wird. Paul Bromme, Mitemigrant in Oslo, 1973: „Willy hatte hier eine Freundin, die Trudel Meyer. Dieses Mädchen, eine intelligente kaufmännische Angestellte, wurde von den Nazis verhaftet, weil sie Funktionärin der SAP gewesen war. Man hat ihr aber nichts nachweisen können. Dann hat sie ohne Schwierigkeiten einen Paß bekommen und folgte Brandt nach Norwegen. Dort schloß sie formell eine Paßehe mit einem Studenten namens Gunnar Gaasland. Das war nur in Norwegen möglich. Dadurch konnte sie eine Arbeitserlaubnis und die norwegische Staatsbürgerschaft bekommen. Trudel Meyer lebte aber mit Willy Brandt zusammen. Sie arbeitete für den Professor und Psychoanalytiker Wilhelm Reich, der früher Sekretär von Sigmund Freud war. Trudel ging 1939 mit Reich rüber nach Amerika, um ihm beim Aufbau einer Bibliothek zu helfen. Sie konnte nicht mehr zurück, weil inzwischen der Krieg ausgebrochen war und ein Jahr später Norwegen okkupiert wurde. Brandt hat sie erst nach dem Krieg wiedergesehen...“ TAFEL 7 Willy Brandt in einem Sommerlager einer linken norwegischen Intellektuellengruppe in Minnesund, ca. 1933 21 TAFEL 8 01.– Brief Willy Brandts vom Oktober 1935 an Edo Fimmen (Amsterdam), den Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF). E. Fimmen macht sich in diesen Jahren um den deutschen Widerstand gegen Hitler und die deutschen politischen Flüchtlinge im Ausland verdient. 02.– Zwei Tarnschriften, die im Ausland hergestellt und in Deutschland verbreitet werden. Ein unverdächtiger Titel („Cicero“ oder eine MercedesBenz-Werbung) soll die politische Botschaft tarnen. * Ein für Deutschland bestimmtes Flugblatt der ITF. Die beiden antifaschistischen Organisationen ITF und SAP arbeiten eng zusammen. 03.– Titelseite von „Faschismus“ vom Oktober 1935, einem von der ITF in mehreren Sprachen herausgegebenen Bulletin, das über die Verhältnisse in den faschistischen Ländern berichtet. 04.– Edo Fimmen auf einem ITF-Kongreß, 30er Jahre. 05.– Willy Brandt mit ausländischen Gastdelegierten während eines Kongresses der norwegischen Metallarbeiter, Mai 1935. Brandt, der allmählich zum anerkannten Leiter der Osloer SAP-Zelle wird, betätigt sich nicht nur als Journalist, sondern hilft auch als Dolmetscher aus. 06.– Zwei Aufnahmen, 30er Jahre: Brandt in einer norwegischen Amateurfußballmannschaft. Links sitzend vor Brandt Trygve Bratteli. Bratteli, später Ministerpräsident Norwegens, zum 60. Geburtstag Willy Brandts: „Im Jahre 1934 war ein Kongreß des Jugendverbandes der Norwegischen Arbeiterpartei nach Oslo einberu- 22 fen worden. Auf diesem Kongreß sollte ich zum Sekretär des Jugendverbands gewählt werden. Doch vorher versuchte eine linksstehende Fraktion unter den Delegierten noch eine Kraftprobe. Die Norwegische Arbeiterpartei und auch der Jugendverband waren damals auf dem Weg vom revolutionären Marxismus... hin zur Sozialdemokratie, zum Reformismus. Diese Entwicklung paßte manchen nicht. Diese Linken verlangten nun von dem Kongreß, daß Willy Brandt als Redner auftreten sollte. Brandt hatte sich einer linken Gruppierung, der Mot Dag (Dem Tag entgegen), angeschlossen. Doch Brandts Auftritt als Redner wurde von der Mehrheit abgelehnt. Das war eine Entscheidung gegen die Linken, nicht gegen den Menschen Brandt. Die Entwicklung im Hitler-Deutschland hatte in den Jahren danach einen starken Einfluß auf Brandt. Er trat bald der Norwegischen Arbeiterpartei und der Jugendbewegung bei. Als der Flüchtlingsstrom aus Deutschland anschwoll, arbeitete er in den extra gegründeten Hilfskomitees. Heute möchte ich sagen, daß die gemäßigte nordische Sozialdemokratie einen sehr vorteilhaften Einfluß auf Brandt ausgeübt hat.“ 07.– Martin Tranmael (rechts), sozialdemokratischer Redakteur und Gewerkschafter, im Gespräch mit dem NAP-Sekretär Einar Gerhardsen. Tranmael, der die Übernahme öffentlicher Ämter ablehnt, ist bis zum II. Weltkrieg der „heimliche“ Vorsitzende von Det Norske Arbeiderparti. Brandt lernt den NAP-Mentor näher kennen. TAFEL 8 Amateurfußball, Norwegen: Willy Brandt (Mitte 2. Reihe) und der spätere norwegische Ministerpräsident Trygve Bratteli (links sitzend), ca. 1939 23 TAFEL 9 Der Faschismus auf dem Vormarsch 01.– Der NS-Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels zusammen mit italienischen Jungfaschisten. Der Auftritt von Goebbels 1933 vor dem Völkerbund in Genf läßt Schlimmes befürchten: Deutschland tritt im Oktober d.J. aus der „Société des Nations“ aus. 02.– Japan, in dem extremistische Nationalisten und Militärs Einfluß auf den Tenno gewinnen, hatte schon im März 1933 seinen Austritt erklärt. Hier: Aufnahme des japanischen Kaisers (links) mit einem Admiral, undatiert. 03.– Eine britische Einheit einer internationalen Polizeitruppe, Saarbrücken 1934. *Nationalsozialistisches Plakat zur Saarabstimmung im Januar 1935. *Abstimmungsplakat der Status-quo-Befürworter. Die von demokratischen Kräften im Saarland versuchte Aufklärung über den Charakter des NS-Regimes fruchtet nicht. Eine sehr große Mehrheit der Saarländer entscheidet sich für das III. Reich – eine herbe Enttäuschung auch für die vor Hitler geflohenen Emigranten. 04.– Engelbert Dollfuß (Bildvordergrund links), österreichischer Bundeskanzler seit 1932, verkündet am 1.5.1934 nach einem Gottesdienst (s. Foto) die neue antidemokratische Verfassung Österreichs. Zuvor hatte Dollfuß das Parlament ausgeschaltet und den sozialdemokratischen Schutzbundaufstand niederschlagen lassen. Die SPÖ befindet sich nun in einer ähnlichen Lage wie die SPD 1933. * Benito Mussolini, der „Duce“, (hier bei einer Rede) ist zunächst Protektor eines unabhängigen „Ständestaats“ Österreich. 24 05.– Im Gastland Brandts, Norwegen, gründet 1933 Vidkun Quisling (hier spätere Aufnahme) seine faschistische Partei der Nationalen Sammlung mit dem Ziel, „Norwegen vom Bolschewismus frei zu halten“. Die Partei findet bei den Norwegern kaum Resonanz. 06.– Im März 1935 kann die Norwegische Arbeiterpartei die Regierung stellen. Ministerpräsident: J. Nygaardsvold (s. Foto). Die NAP-Regierung bedeutet für die Aufenthaltsbedingungen Brandts eine gewisse Erleichterung. 07.– Brandt schreibt Artikel für das sozialdemokratische „Arbeiderbladet“. Hier ein nicht gezeichneter Beitrag vom 3.11.1934 („Großprozeß gegen die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands. Eine Reihe ihrer führenden Mitglieder vor dem Volksgerichtshof“). 08.– Artikel (Ausriß) Willy Brandts im SAP-Organ „die neue front“, Paris März 1934. Titel: „Norwegen. Der Kurs der Arbeiterpartei“. Brandt in diesem Artikel: „Im Oktober vorigen Jahres erzielte die Norwegische Arbeiterpartei einen Wahlerfolg, der weit über die Grenzen Skandinaviens hinaus Aufsehen erregte. Die NAP erhielt 69 von den 150 Parlamentsmandaten. In diesem Wahlsieg der NAP drückte sich die Unzufriedenheit aus, die breite Massen des Volkes bis weit hinein in die Reihen der Bauern erfaßt hat und die sich gegen das bestehende System, gegen Krisenelend und bürgerliche Quacksalberei richtet. Der Wahlsieg legte der NAP eine große Verantwortung auf, sowohl gegenüber der norwegischen Arbeiterklasse wie auch gegenüber dem internationalen Proletariat, das besonders aufmerksam auf die von den beiden Internationalen unabhängige NAP sah.“ TAFEL 9 Dieselbe Ausgabe von „die neue front“ berichtet über eine internationale Konferenz revolutionärer Jugendorganisationen in Laren (Niederlande), auf der etwa 20 Ausländer (unter ihnen Willy Brandt) verhaftet wurden, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigungen hatten. Brandt wurde damals (im Artikel nicht erwähnt) zwar freigelassen, vier SAP-Leute aber von der niederländischen Polizei den NS-Behörden in Deutschland ausgeliefert. Die Gemeente Laren konnte den Katalogautoren einen sehr ausführlichen Bericht über diesen Vorfall zur Verfügung stellen, jedoch war dieser Bericht aus „zweiter Hand“. Die betreffenden Akten selbst scheinen dagegen verschwunden zu sein. Auch eine entsprechende Anfrage an das Niederländische Justizministerium führte zu keinem Erfolg. 25 TAFEL 10 SAP 01.– Willy Brandt in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Wahrscheinlich in Paris aufgenommen. 02.– Plakat der NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Darauf Flugblatt der Osloer SAP-Gruppe u.a., das an deutsche KdF-Touristen 1936 ff. verteilt wird. 3.-16. SAP-Mitglieder im In- und Ausland: 03.– Georg Ledebour, der langjährige und hochangesehene SPD- bzw. USPD-Reichstagsabgeordnete, 1933 emigriert. 04.– Ernst Eckstein, der 1933 in einem KZ an den Folgen von Mißhandlungen umgekommene Rechtsanwalt aus Breslau. 05.– Walter Fabian, Redakteur aus Berlin, der Ende 1934 vor einer Verhaftung ins Ausland floh. 06.– Edith Baumann, die nachmalige Frau von Erich Honecker, die 1934 „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 07.– Fritz Sternberg, ein marxistischer Wirtschaftstheoretiker, der 1933 ins Exil ging. 08.– Otto Brenner, der spätere Vorsitzende der IG Metall, der wegen illegaler Tätigkeit in Hannover zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 09.– Paul Frölich, Journalist und Schriftsteller, der Ende 1933 nach seiner Entlassung aus dem KZ emigrierte. 10.– Joseph Lang, der in Ungarn geborene Buchhändler, der 1933 verhaftet wurde und 1934 ins Ausland entkommen konnte. 11.– Eberhard Brünen, der Dreher aus Duisburg, der wegen Widerstandstätigkeit zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. 12.– August Enderle, 1933 emigriert, führend in der Exil-SAP. 26 13.– Seine Frau, die Journalistin Irmgard Enderle, nach vorübergehender Festnahme 1933 emigriert. 14.– Anna Siemsen, die schon in der Weimarer Republik aus politischen Gründen ihre Professur verloren hatte und 1933 ins Exil ging. 15.– Rosi Wolfstein, Ehefrau von Paul Frölich, die Ende 1933 nach Entlassung aus dem KZ ins Ausland ging. 16.– Fritz Küster, von Beruf Bauingenieur und vor 1933 Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft, 1933 bis 1938 im KZ. Anmerkung: Das NS-Regime verfolgte die Emigranten auch im Ausland. Walter Fabian, Fritz Sternberg, Paul Frölich, August und Irmgard Enderle wurden „der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig“ erklärt. 17.– Brief von „Claire“ (Briefschreiber unbekannt) aus Berlin an die Auslandszentrale der SAP in Paris, September 1936. Der Brief stammt aus dem in Oslo erhalten gebliebenen SAP-Bestand. Willy Brandt (wahrscheinlich in Paris), ca. 1937 TAFEL 11 In Berlin 1936 01.– Willy Brandt in den 30er Jahren (Bildausschnitt). Ende August 1936 – die Olympischen Spiele in Berlin waren gerade beendet – geht Brandt mit dem Paß des befreundeten norwegischen Studenten Gunnar Gaasland in die deutsche Reichshauptstadt. Der Auftrag der SAP-Auslandszentrale in Paris: Kontakte zu SAP-Widerstandsgruppen in Berlin und Umgebung aufzunehmen. Diese waren inzwischen durch Gestapo, Polizei und Gerichte mehr als dezimiert worden. Willy Brandt 1960: „Wie konnte man den Freunden in Deutschland helfen? Diese Frage beschäftigte die politische Emigration unentwegt; sie bereitete auch mir manche schlaflose Nacht. Bis zu einem gewissen Grad konnten wir das Ausland aufklären und für die Gefährten sprechen, denen der Mund verschlossen war. Das war unsere simple Pflicht und Schuldigkeit. Das war auch unsere patriotische Pflicht, denn Hitler war der Totengräber unserer Nation. Wir hätten diese Pflicht sicherlich noch besser und wirksamer erfüllen können, als wir es taten. Wir bemühten uns, menschlich und politisch den Kontakt mit der Heimat nicht abreißen zu lassen. Am besten war es, wenn man sich traf und die Meinungen austauschte, einander Mut zusprach. Ich habe damals an einer Vielzahl solcher Gespräche teilgenommen.“ 02.– In einer Pension (X) Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße wohnt er als norwegischer Student. 03.– Blick auf den heutigen U-Bahnhofeingang Kurfürstendamm. Im Hintergrund das Café Kranzler, das in etwa an der Stelle der Brandt-Pension steht. 04.– Bahnsteig des U-Bahnhofs Kurfürstendamm. 05.– Lesesaal der Preußischen Staatsbibliothek (zeitgenössische Aufnahme), in dem Willy Brandt zur Tarnung seinen Studien nachgeht. 06.– Innenhof und eine Außenansicht der Preußischen Staatsbibliothek. 07.– Blick aus einem Bus auf die Leipziger Straße, zeitgenössische Aufnahme. 08.– Obwohl sich das NS-Regime in Berlin während der Olympischen Spiele etwas zurücknimmt, hat es seine innen- und außenpolitische Aggressivität nicht verloren. Im März 1936 bricht Deutschland den Locarno-Vertrag und läßt Truppen in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren. Es bleibt bei verbalen Protesten des Auslands. 09.– Im Juli 1936 feiert die NSDAP die zehnte Wiederkehr ihres Reichsparteitages in Weimar mit bombastischem Aufwand. 27 TAFEL 12 01.– Fotos von Brandt während seines illegalen Aufenthalts in Berlin liegen naturgemäß nicht vor. 02.– Der Leipziger Platz in Berlin (undatierte Aufnahme). 03.– Das Kaufhaus Wertheim in der Leipziger Straße (Foto von 1932) – Treffpunkt Brandts mit SAPGenossen. 04.– Fritz Erler (links), ursprünglich in der SPD, dann im Widerstand bei der Berliner Gruppe „Neubeginnen“, sucht Kontakte zur SAP. Er wird 1939 wegen seiner Widerstandstätigkeit zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. *Max Diamant, zeitweise Leiter der Pariser SAP-Gruppe, hatte mit Brandt vor seiner Abreise nach Berlin eine längere Unterredung, in der die Risiken des illegalen Aufenthalts in Deutschland zur Sprache kamen. 05.– Das Café Kranzler, Aufnahme von 1935, vermittelt nach außen das Bild eines sorglosen und unbeschwerten Lebens. 06.– Der Kurfürstendamm, 1936. 07.– Blick auf die Friedrichstraße, 1936; rechts das Café Moka Efti, in dem Brandt zufällig einen ihm bekannten Sozialdemokraten aus Lübeck sieht. Beide geben vor, sich nicht zu kennen. Brandt beschreibt diese Szene in „Links und frei“: „In den ersten Wochen des Berlin-Aufenthalts besuchte ich das ‚Moka Efti‘ an der Friedrichstraße. Dort saß ein bekannter Lübecker Sozialdemokrat, ein Lehrer, von dem ich vermutete, er sei noch im Lager. Er, noch erstaunter als ich, gab durch Blicke zu erkennen, daß ich nicht an seinen Tisch kommen möge. Vielleicht fühlte er sich beschattet? Später konnte ich ihn nicht mehr fragen. Er ist 1937 umgekommen.“ 08.– Brief (Ausriß) vom 29.11.1936 aus Berlin an die Auslandszentrale der SAP in Paris. Die „Briefschreiberin Marianne“ ist zweifellos Willy Brandt. 28 Der Brief stammt aus dem Osloer SAP-Bestand. Brandt: „Wir bedienten uns auch der ‚illegalen‘ Korrespondenz - mit Deckadressen, unsichtbaren Tinten, mehr oder weniger geschickten Verabredungen, durch die der eigentliche Sinn eines Briefes dem Zensor verborgen blieb.“ 09.– Carl von Ossietzky im KZ Esterwegen. Noch vor seiner Berlinreise hatte sich Brandt in Norwegen dafür eingesetzt, daß der mutige antifaschistische Journalist den Friedensnobelpreis erhält. Die Ossietzky-Biographin Suhr schildert den Besuch des Vertreters des Internationalen Roten Kreuzes, des Schweizer Diplomaten Carl Jakob Burckhardt, im KZ Esterwegen. „Der Lagerkommandant Loritz versucht zunächst, eine Begegnung zwischen Burckhardt und Ossietzky zu verhindern: ‚Unmöglich, ausgeschlossen, ich weigere mich.‘ – ‚Was ist das für eine verdammte Schweinerei, daß hier Befehle nicht durchgeführt werden! Sie kennen Ihren Befehl, ich sehe die Häftlinge, die ich zu sehen wünsche und spreche mit ihnen, Sie wissen, um was es geht!‘ Der Kasernenhofton wirkt. Wenig später bringen zwei SSMänner Ossietzky, ein ‚zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen, er schleppte ein gebrochenes, schlecht ausgeheiltes Bein‘. Burckhardt tritt ihm entgegen, gibt ihm die Hand und sagt ein paar freundliche Worte, übermittelt Grüße. Ossietzky antwortet lispelnd, unter Tränen: ‚Danke, sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, das ist gut.‘“ 10.– Brief (Ausriß) von Willy Brandt an die deutsche nach Großbritannien emigrierte Journalistin Hilde Walter, die zu den treibenden Kräften für die Verleihung des Preises an Carl von Ossietzky gehört. TAFEL 13 Spanien 01.– Anläßlich eines mißglückten Attentats auf den französischen Sozialisten Léon Blum versammelt sich überall in Frankreich, hier Paris, die Linke zu machtvollen Kundgebungen gegen Rechts. 1936 ist das Jahr der Volksfront. L. Blum bildet eine Regierung, die von den Kommunisten im Parlament – nach entsprechenden Signalen aus Moskau – toleriert wird. Auch in der deutschen Emigration kommt es zu volksfrontähnlichen Vereinbarungen, an denen sich eine Reihe von Mitgliedern der Exil-SPD, die SAP, die KP, bürgerliche Intellektuelle u.a. beteiligen. Die Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen sollten vorläufig beigelegt und der gemeinsame Feind gemeinsam bekämpft werden. Brandt: „Anfang Februar 1936 wurde durch einen Aufruf, unterzeichnet mit 118 Namen, ein ‚Ausschuß zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront‘ ins Leben gerufen. Unter den Unterschriften vom Februar 1936 war auch die meine. Die Freunde in Paris hatten dies so vorgeschlagen. Neben je sechzehn Sozialdemokraten und Kommunisten sowie zehn SAP-Leuten hatten zahlreiche ‚unabhängige Persönlichkeiten‘ unterschrieben: unter ihnen – neben Heinrich Mann – die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Ernst Toller, Ernst Bloch, Anna Siemsen. An der Redaktion des Februar-Manifests war Heinrich Mann selbst maßgeblich beteiligt. Hier wurde, wie berichtet, gegen das ‚undeutsche System‘ der Willkür, der Gewalt, des Gewissenszwangs und der persönlichen Bereicherung der Machthaber gewettert. Man unterstellte ‚eine tiefe und einheitliche Sehnsucht nahezu aller Deutschen, ausgenommen der direkten Nutznießer des Systems, nach dem Ende dieses Terrors und nach Wiederherstellung der elementarsten Menschenrechte...‘ Wäre es nur so gewesen. Mein Name stand auch unter dem Auruf – ‚Seid einig gegen Hitler!‘ – vom Mai 1936, der nach der Rheinlandbesetzung vor Hitlers Kriegspolitik warnte. Breitscheid und Ulbricht unterzeichneten mit je fünf Reichstagskollegen. Unter den Unterzeichnern waren auch diesmal Lion Feuchtwanger, Georg Bernhard, Ernst Toller. Ich hielt mich in jenen Wochen in Paris auf. Kurz vor Weihnachten 1936 erschien, während ich in Berlin war, ein neuer Aufruf, doch die Freunde in Paris durften über meinen Namen verfügen. Für mich war dies eher ein Schutz. Die Gestapo konnte auf solche Weise irregeführt werden.“ 0 02.– Willy Brandt, 1937. Er verläßt in diesen Jahren des öfteren sein Gastland, um an Sitzungen der Auslandszentrale und anderen SAP-Konferenzen in Europa teilzunehmen. Am Rande einer solchen Konferenz wird ihm der Vorschlag gemacht, für einige Zeit nach Spanien zu gehen. Hier tobt seit Mitte 1936 ein erbarmungsloser Bürgerkrieg zwischen den Verteidigern der Republik und den Faschisten Francos, die von Deutschland und Italien massiv unterstützt werden. Der Spanienaufenthalt Brandts dauert 1937 fünf Monate. 03.– Aufruf Brandts an die Deutsche Jugend in „Die Spanische Revolution“, Mai 1937. Der Sozialistische Jugendverband Deutschlands (SJVD) ist die Jugendorganisation der SAP. 04.– Republikanische Milizionärinnen hinter Barrikaden. 29 TAFEL 13 05.– Katalonisches Plakat, 1937. 06.– Eine Centuria der POUM rückt im Januar 1937 aus einer Kaserne in Barcelona aus. Ganz links im Hintergrund der britische Schriftsteller George Orwell (eigentlich Eric Blair), der später bei der Verteidigung der Republik schwer verwundet wird. Orwell und Brandt sind sich in Spanien kurz begegnet. Beide stehen der POUM nahe, der „Arbeiterpartei der marxistischen Einheit“, lehnen jedoch deren revolutionären Übereifer ab. Brandt: „Die POUM vertrat in extremer Form, in gewisser Übereinstimmung mit den Anarchosyndikalisten und einem Teil der Sozialdemokraten, 30 die Auffassung, daß die Revolution den Vorrang habe. Die Kommunisten, in gewisser Übereinstimmung mit den ‚bürgerlichen‘ Demokraten, vertraten demgegenüber die These, daß es vor allem um die Erfordernisse des Krieges ginge. Im Bemühen um ein eigenes Urteil geriet ich mit den Revolutionaristen in Konflikt, die mir weit über das Ziel hinauszuschießen schienen...“. Orwell: „Im großen und ganzen akzeptierte ich die kommunistische Ansicht, die man mit den Worten zusammenfassen kann: Wir können nicht über die Revolution sprechen, ehe wir nicht den Krieg gewonnen haben.“ TAFEL 14 „Reichsfeinde“ 01.– Der niederländische Sozialist und Autor Jef Last und Willy Brandt bei einer Solidaritätsveranstaltung für das republikanische Spanien, 1937. Brandt setzt sich im Rahmen des norwegischen Spanienkomitees in Wort und Schrift gegen Franco ein. 02.– März 1939: Der Spanische Bürgerkrieg ist zu Ende. Foto: Spanische republikanische Flüchtlinge an der Grenzstation zu Frankreich. 03.– Seite aus dem NS-Organ „Illustrierter Beobachter“ von 1933. Da das Regime der Emigranten physisch nicht habhaft werden kann, entzieht es ihnen die deutschen Pässe und macht sie so zu Staatenlosen. 04.– Seite aus dem „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger“ von 1938. Brandt wird – um im Nazi-Jargon zu bleiben – „als Volksverräter aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgestoßen“. Einige Zeit war der Deutschen Gesandtschaft in Oslo die Identität von Herbert Frahm und Willy Brandt verborgen geblieben. Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit ist eine „gängige“ Maßnahme der deutschen Behörden gegenüber Emigranten, denen man „reichsfeindliche Aktionen“ im Ausland nachweisen kann. Willy Brandt, der Deutschland nur mit einer Aktentasche verlassen hatte, die ein paar Hemden, den ersten Band des „Kapital“ und 100 Reichsmark enthielt, ist jetzt staatenlos und hat keine gültigen Papiere. Brandt: „Ich kann mich nicht daran erinnern, daß mich diese Veränderung meines Status sonderlich beeindruckt hätte. Ausbürgern heißt entnazen, hatte Bert Brecht gesagt. Die Ausbürgerung hatte, unter den gege- benen Umständen, für mich keine praktische Bedeutung. Von meinem deutschen Paß, der bis zum Sommer 1936 gültig gewesen war, hatte ich sowieso keinen Gebrauch mehr gemacht. Immerhin, ich war nun einer von den schließlich 38.766 Deutschen – zusätzlich zu all den deutschen Juden, die nicht mal mehr dieser Prozedur unterworfen wurden –, die nach Naziwillen in aller Form nicht mehr Deutsche sein sollten. Für die Urheber dieser Praxis war das nicht eine bloße Formalität. Sie wollten die ‚Treulosen‘ ächten.“ 05.– Deutsche Soldaten beseitigen einen polnischen Schlagbaum. NS-Deutschland überfällt am 1. September 1939 Polen. Der Krieg wird bald zum Weltkrieg. 06.– Auch das neutrale Norwegen wird von Deutschland 1940 angegriffen und besetzt. Hier: deutsche Truppen auf dem Marsch durch eine norwegische Ortschaft. Das Foto der am Straßenrand stehenden Norweger spricht für sich. Carlota Frahm, Brandts erste Ehefrau, beschreibt den deutschen Einfall im „Stern“ (1973): „Willy kam sehr spät heim an diesem Abend. Es war der 8. April 1940. Draußen in den Straßen hatte es seit früh an Gerüchte gegeben, daß die Deutschen eine Invasion machen wollten. Ich hatte an diesem Tag erfahren, daß ich ein Kind bekommen würde. Als Willy endlich da war – er hatte auf einer Emigrantenversammlung gesprochen – war er so müde, daß ich ihm die Neuigkeit nicht gleich erzählen wollte. Zehn Minuten später gab es Luftalarm. Ich erzählte ihm während des Alarms, er würde Vater. Er war froh. Wir wollten im Oslo-Fjord ein Sommerhaus für die nächsten Monate nehmen und zur Arbeit immer in die Stadt fahren. Um sechs Uhr am nächsten Morgen 31 TAFEL 14 rief ein deutscher Emigrant an: Schiffe mit deutschen Soldaten hätten festgemacht. Willy mußte fliehen. Einen richtigen Paß hatte er nicht mehr, die deutsche Staatsbürgerschaft war ihm zwei Jahre zuvor aberkannt worden. Mitnehmen konnte er nichts.“ 07.– Entwaffnung gefangengenommener norwegischer Soldaten. 0 Brandt versucht nach Schweden zu entkommen, sein Fluchtweg wird jedoch durch deutsche Truppen abgeschnitten. Paul René Gauguin, ein Enkel des berühmten Malers Paul Gauguin, ist zu der Zeit norwegischer Soldat. Er kennt Brandt aus Spanien. Gauguin 1973: „Unsere Truppe lag in einem kleinen norwegischen Tal mit nur einem Ausgang... Da kamen plötzlich mehrere Personen vorbei, einer von ihnen sprach mich an: ‚Ach, du bist auch da.‘ Es war Willy. Er war aus Oslo nach hier geflüchtet. Ich sagte ihm: ‚Willy, das ist gefährlich hier. Das Tal hat nur einen Ausgang. Wenn dich die Gestapo findet, dann bist du 32 dran.‘ So habe ich ihm vorgeschlagen: ‚Du kannst meine Uniform haben, ich will weg. Ich spreche mit meinem Fähnrich, daß du in unsere Truppe kommst. Du kannst so gut Norwegisch, daß es den Deutschen nicht auffällt.‘ Ich habe ihm dann meine Jacke, eine Hose, Mütze, mein Gewehr und den Gürtel mit Patronentasche und Bajonett übergeben. Die Sachen paßten nicht richtig. Die Hose war zu kurz und die Jacke zu weit. Unsere Jacken waren auch nicht gesäumt, verglichen mit Deutschen sahen wir aus wie eine Armee von Lumpensoldaten. Wenig später kam die Kapitulation. Alle lieferten ihre Waffen ab. Willy jedenfalls hatte bis dahin mit seinem Gewehr keinen Schuß abgefeuert.“ 08.– Vidkun Quisling, dessen Name zum Synonym für faschistische Kollaborateure wird, führt in Nor0 wegen eine Marionettenregierung der Deutschen. Die Aufnahme zeigt ihn Oktober 1945 in einem Osloer Gefängnis. TAFEL 15 Schweden und Norwegen 01.– Empfang norwegischer Flüchtlinge in einem Stockholmer Büro. Nicht nur die staatenlosen Emigranten, unter ihnen W. Brandt, sondern auch die Norweger selbst flüchten in Scharen nach Schweden, um sich vor der deutschen Besatzungsmacht zu retten. Im August 1940 war Brandt die Flucht aus Norwegen nach Schweden gelungen. Brandt („Erinnerungen“): „Ich war ein freier Mann, der zum zweitenmal eine Heimat verloren hatte und zum zweitenmal Exil suchte und es zum erstenmal nicht mehr ausschloß, daß Hitler den Krieg gewinnen könne; ein Deutscher, der nach Norwegen geflohen, und ein Norweger, der nach Schweden entkommen war.“ Willy Brandt („Links und frei“): „Stockholm war – viel mehr als Oslo – ein Zufluchtsort für Flüchtlinge aus allen Ländern. Die meisten kamen freilich in den Okkupationsjahren aus Norwegen herüber: 3.000 waren es im Herbst 1941, mehr als 10.000 ein Jahr später. Im Frühjahr 1945, als der Krieg zu Ende ging, zählte man in Schweden mehr als 100.000 Flüchtlinge, davon die Hälfte aus Norwegen. Dänen, Finnen, Balten stellten die anderen großen Kontingente. Fünf Prozent, nicht mehr als 5.000 Menschen, verzeichnete die Statistik (im Frühjahr 1945) als ‚deutschsprachig‘. Dazu gehörten die deutschen Sozialisten unterschiedlicher Prägung, ein halbes Tausend an der Zahl; ein volles, wenn man die Österreicher und Sudetendeutschen dazurechnete. Ich nahm lebhaft Anteil an dem, was meine deutschen Schicksalsgefährten politisch beschäftigte, hielt mich jedoch von unfruchtba- rer Emigrantengeschäftigkeit soweit wie möglich fern. Das normale skandinavische Leben war nahezu mein eigenes geworden. Publizistisch beschäftigte ich mich während der Stockholmer Jahre vor allem mit den Problemen Norwegens, das jetzt so viel Leid ertragen mußte.“ 02.– Norwegische Flüchtlinge. 03.– Eine Stockholmer Kartei dokumentiert den norwegischen Exodus. 04.– Schweden will auf keinen Fall in den Krieg hineingezogen werden und neutral bleiben. Die demokratische Tradition des Landes gebietet es, die in Bedrängnis geratenen Nachbarn und andere europäische Antifaschisten aufzunehmen und zu beschützen. Andererseits sieht sich Schweden von Deutschland unter gewaltigen Druck gesetzt, so daß die politische Tätigkeit der aufgenommenen Flüchtlinge in der ersten Phase des Weltkrieges erheblich eingeschränkt wird. Die Pressionen der NS-Regierung werden nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion so stark, daß das neutrale Schweden selbst deutschen Truppentransporten durch das Land (s. Fotos) zustimmen muß. Willy Brandt: „Die schwedische Neutralitätspolitik - während des Krieges von einer AllparteienRegierung betrieben, freilich ohne Kommunisten, mit dem legendären sozialdemokratischen Landesvater Per Albin Hansson an der Spitze - ist oft und zuweilen hart kritisiert worden... Und dennoch, wer wollte sich anmaßen und bestimmen, daß der Preis der Neutralität zu hoch gewesen sei? Der Druck aus Berlin war stark, sehr stark, und im nachhinein erscheint es mir wie ein Wunder, daß ihm so wirksam standgehalten werden konnte.“ 33 TAFEL 15 05.– In London haben Norweger eine Exilregierung gebildet. Hier: eine Sitzung des norwegischen Staatsrats mit dem König Haakon VII. und dem Exilministerpräsidenten Nygaardsvold (NAP). 06.– Schon vor 1940 hatte der staatenlose Willy Brandt seine norwegische Einbürgerung beantragt. Jetzt 0 in London entspricht die Exilregierung seinem Antrag (vgl. Dokument links). Die Staatsbürgerurkunde wird ihm in Stockholm überreicht. * Im Oktober 1945 – die vom NS-Regime verfügten Ausbürgerungen werden in Deutschland nicht automatisch zurückgenommen – bestätigt Brandt nochmals seine norwegische Staatsangehörigkeit. Willy Brandts Haltung gegenüber Norwegen und Deutschland beschreibt der Exilforscher Einhart Lorenz („Willy Brandt in Norwegen“) folgendermaßen: „Brandts Engagement galt auch dem Volk, dessen Machthaber ihn ausgebürgert hatten – ein Volk, an dessen Widerstand gegen den Faschismus er glaubte und dessen Gleichsetzung mit den faschistischen Machthabern er immer wieder zurückgewiesen hatte. Nun waren beide Völker in der gleichen Lage, hatten die gleichen Interessen. Die Verbundenheit mit dem einen Volk und Land stand nicht im Widerspruch mit dem Gefühl des inneren Verpflichtetseins zu einem anderen Land und Volk.“ TAFEL 16 Nazideutschland 01.– Treffen des „Führers“ mit dem Staatschef von Vichy-Frankreich, Herbst 1940. Hitler versucht vergebens, Pétain für einen Kriegseintritt Frankreichs auf deutscher Seite zu gewinnen. „Mit Europa gegen England“ ist sein Traum, der aber von den meisten Europäern nicht geteilt wird. 1941 – die Invasion in Großbritannien hat nicht stattgefunden – überfällt Nazideutschland die Sowjetunion. Es wird ein Angriffskrieg, dessen Grausamkeit alles bis daher in der Geschichte Bekannte übersteigt. 02.– Sowjetische Gefangene auf dem Weg zu einer Sammelstelle. 03.– Später: deutsche Gefangene in Moskau. 34 04.– Russische Partisanen werden erhängt. 05.– In den deutschen Konzentrationslagern (hier: Selektion in Auschwitz) werden unzählige Ausländer, aber auch Deutsche ermordet. 06.– Im Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie. Hier: Eisenhower und Montgomery an der französischen Küste. 07.– Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler verübt und noch am selben Tag erschossen wird. Alle dem NS-Regime noch zur Verfügung stehenden Machtmittel werden im Reich gegen politische Gegner bzw. vermeintliche politische Gegner eingesetzt. Die NS-Justiz wütet. 08.– Roland Freisler, einer der Blutrichter des Volksgerichtshofes. *Das Gebäude des Volksgerichtshofes (heutige Aufnahme). TAFEL 17 „Die Kleine Internationale“ 01.– Willy Brandt mit Frau Carlota und Tochter Ninja anläßlich der 1. Mai-Feier 1944 in Stockholm. Carlota, geb. Thorkildsen, hatte er 1939 in Norwegen kennengelernt. Sie war ihm nach Schweden gefolgt. Geburtsjahr der Tochter Ninja in Norwegen: 1940. Die Ehe wurde 1941 geschlossen, war aber schon bald zerrüttet. Die offizielle Scheidung erfolgte 1948. Brandt, seit August 1940 in Schweden, betätigt sich vor allem publizistisch. Eine von ihm mitgegründete Presseagentur beliefert Zeitungen und einen kleinen Kreis von Interessenten mit Artikeln über den norwegischen Widerstand. 02.– Zwei Fotos von der Maifeier 1944 in Stockholm. 03.– Im schwedischen Exil schließt Brandt Freundschaft mit dem sozialistischen österreichischen Emigranten Bruno Kreisky. Sie machen mit ihren Familien gemeinsame Ausflüge. Auf dem Foto von links: Bruno Kreisky, Vera Kreisky, Willy Brandt, seine Frau Carlota und Tochter Ninja. Der nachmalige österreichische Bundeskanzler Kreisky, seit 1938 im Exil in Schweden, über sich und Willy Brandt: „Wir sind damals enge Freunde geworden – eine Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre noch verstärkt hat.“ Und: Brandt war „der hervorragendste Exponent der deutschsprachigen politischen Emigration, weil er in die skandinavische Landschaft paßte; norwegisch sprach er wie ein Norweger, so daß er nicht nur von der Norwegischen Arbeiterpartei, sondern von den Norwegern überhaupt als einer der ihren betrachtet wurde. So wurde Willy Brandt fast zwangsläufig zur repräsentativsten Figur der deutschsprachigen Emigration.“ Willy Brandt, Carlota Brandt, Ninja Brandt bei der 1. Mai-Feier, Stockholm, 1.5.1944 04.– Willy Brandt spricht vor der „Kleinen Internationale“ (Stockholm, Mai 1943). Rechts: Maurycy Karniol, Mitglied der polnischen Sozialisten (PPS) und Vertreter der polnischen Exilregierung (London) für Skandinavien. Die Sozialistische Arbeiter-Internationale (SAI) zerbricht de facto während des II. Weltkrieges. Aber schon zu dieser Zeit denkt man, vor allem die britische Labour Party und viele im Londoner Exil lebende europäische Sozialisten, an einen Wiederaufbau dieser Internationale. Solche Gedanken werden auch in der 1942 zum ersten Mal in Schweden zusammengetretenen „Internationalen Gruppe demokratischer Sozialisten“ (die „Kleine Internationale“ genannt) erörtert. In dieser Gruppe treffen sich ca. 60 Mitglieder verschiedener sozialisti35 TAFEL 17 scher Parteien und Gruppen aus Skandinavien, Österreich, Polen, Ungarn, der CSR, Frankreich und Deutschland zu Diskussionen über europäische Nachkriegsprobleme. Brandt in „Draußen“: „Während meiner Kriegsjahre im neutralen Schweden hat es mir Freude bereitet, daß ich – ermuntert durch meine norwegischen Freunde – einen Internationalen Arbeitskreis zusammenbringen konnte, in dem Sozialdemokraten aus über einem Dutzend Länder regelmäßig miteinander diskutierten. Dabei ging es auch um praktische Fragen; die Diskussionen blieben nicht Selbstzweck, sondern erleichterten die Orientierung in einer verwirrten Zeit. Manches fand seinen Niederschlag in späteren politischen Entscheidungen.“ Bruno Kreisky: „Willy Brandt vertrat auf eine sehr einprägsame Weise neue politische Ideen für die Zeit nach dem Krieg. Zudem hatte er die Fähigkeit, die sehr divergenten Strömungen dieses so divergenten Kreises zusammenzufassen.“ 05.– Das Stockholmer Haus des Schwedischen Gewerkschaftsbundes LO, in dem vielfach Treffen der „Kleinen Internationale“ stattfinden (Nachkriegsaufnahme). 06.– Brandt (zweiter von links) bei einer internationalen Diskussion in Stockholm, Februar 1944. Es 0 spricht Edmond Demaitre (Frankreich). 0 TAFEL 18 01.– Von links: die deutschen Emigranten Willy Brandt, Franz Lorenz und Otto Piehl vor dem Wasa-Schloß im mittelschwedischen Örebro, 1944. In Schweden nähert sich Brandt den Positionen der ExilSPD. Willy Brandt später: „Die Bestrebungen der Stockholmer SAP-Gruppe, in der Landesgruppe deutscher Sozialdemokraten aufzugehen, förderte ich nach Kräften; der Übertritt wurde im Herbst 1944 vollzogen. Seither war ich auf diese Weise wieder Mitglied der SPD.“ 02.– Aus der publizistischen Tätigkeit Brandts in Schweden und Norwegen: Artikelmanuskript (Ausriß) von 1943; Umschlagseite der Brandt-Broschüre „Der Zweite Weltkrieg“ (in Stockholm hrsg.) und Titelblatt des zweiten Bandes seines „Krigen i Norge“ (Oslo 1945). 03.– Zwei Aufnahmen von der bedingungslosen Kapitulation NS-Deutschlands in Reims, 7.5.1945. 0 36 Am 9.5. kapituliert die deutsche Wehrmacht in Karlshorst auch vor den Streitkräften der SU. 04.– Bahnhofsszene in Stockholm in der Zeit nach der deutschen Kapitulation. Norwegische Flüchtlinge kehren nach Norwegen zurück. 05.– Die Osloer feiern begeistert die Rückkehr des norwegischen Königs Haakon VII. aus London. 06.– Willy Brandt ist im Mai 1945 unter denen, die mit dem Zug nach Oslo zurückfahren können. Er arbeitet weiterhin als Journalist, obwohl sich Gedanken über seine berufliche Zukunft einstellen. Der norwegische Ministerpräsident Einar Gerhardsen (hier: links neben Brandt auf einem Foto von 1965), der 1941 verhaftet und 1942 nach Deutschland deportiert worden war, empfiehlt ihm, nach Deutschland zu gehen und die Norweger „über die deutschen Dinge auf dem laufenden zu halten“. TAFEL 19 Rückkehr nach Deutschland 01.– Im Oktober 1945 wird vor einem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg Anklage gegen 22 Hauptkriegsverbrecher erhoben. Der Prozeß dauert von November 1945 bis Oktober 1946. Brandt berichtet zeitweise darüber für die skandinavische Presse. Fotos: Blick auf die Angeklagten und Pressekonferenz in Nürnberg. In „Mein Weg nach Berlin“ schildert Brandt seine Eindrücke von seiner ersten Reise nach Deutschland (Oktober 1945): „Die Begegnung mit dem zerbombten Deutschland war wie eine jener schrecklichen Visionen, die einen manchmal zwischen Schlaf und Wachsein überfallen: realer als jede Realität, und gleichzeitig nistet irgendwo in einem Winkel des Gehirns die Überzeugung, man träume ja bloß und gleich werde der gespenstische Traum sich in Nichts auflösen. Doch die surrealistische Vision der zerstörten Städte, der ausgebombten und ausgebrannten Häuser, Straße auf und Straße ab, der Trümmerfelder, der Berge von Schutt und Unrat, zwischen denen die Menschen gleich Geisterwesen dahinhuschten, die erbarmungslose Kälte, das unsägliche Elend – nein, diese Vision ließ sich nicht abschütteln, sie wurde von Minute zu Minute mächtiger, da war nichts neben und außer ihr – sie umspannte Himmel und Erde. Natürlich war ich auf dieses Bild vorbereitet, natürlich hatte ich viele Argumente parat, die schlüssig bewiesen, warum es so und nicht anders sein konnte – die wunden Nerven, das verkrampfte Herz ließen sich nicht beruhigen.“ 02.– Zwei Presseausweise Willy Brandts von 1945 und 1946. 03.– Die Odeonstraße in Hannover wird in den ersten Nachkriegsjahren zum Zentrum der in den Westzonen und Westberlin wiederentstandenen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 04.– Kurt Schumacher, der SPD-Vorsitzende, im Kreis seiner engeren Hannoveraner Mitarbeiter, 1946. 0 Das Foto der Führungsspitze der 1945 wiederentstandenen SPD (der Westzonen) zeigt von links: Egon Franke (wegen „Hochverrat“ 2 1/2 Jahre Zuchthaus, dann Strafbataillon), Kurt Schumacher (über 10 Jahre Gefängnis und KZ), Erich Ollenhauer (12 Jahre Exil), Fritz Heine (12 Jahre Exil), Alfred Nau (wegen „Hochverrat“ 14 Monate Gefängnis). 05.– Schumacher in Stuttgart, 1946. 06.– Eines der ersten Plakate der Nachkriegs-SPD. 07.– Die SPD unter Kurt Schumacher widersetzt sich mit aller Kraft der Vereinigung mit der KPD. Daß Schumacher den Standpunkt der meisten SPDMitglieder vertritt, wird am Beispiel Westberlins deutlich. Hier – und nicht im Ostsektor – kann eine Abstimmung durchgeführt werden, deren Ergebnis sich eindeutig gegen die von den Sowjets forcierte Gründung der SED richtet. Fotos: zwei SPDGeschäftsstellen in Westberlin während der „Urabstimmung“, März 1946. 37 TAFEL 20+21 Die frühere Reichshauptstadt 01.– 02.– 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– 08.– 09.– 10.– 0 38 Willy Brandt wird Anfang 1947 Presseattaché an der Norwegischen Militärmission in der Berliner Uhlandstraße. Die Militärmission – eher eine norwegische Ersatzbotschaft – ist beim Alliierten Kontrollrat akkreditiert. Die Stadt, in die Brandt kommt, ist vom Krieg schwer gezeichnet und in vier Sektoren aufgeteilt. Zwar sind inzwischen zivile deutsche Verwaltungen aufgebaut, aber die letztendlichen Entscheidungen werden von den Besatzungsmächten getroffen. Die Ost-West-Konfrontation wirkt sich in Berlin besonders aus. Stadtkarte von Berlin (1947) mit Markierung der Besatzungszonen. Die Berliner Bellevuestraße, 1946 (?). Flüchtlinge in Berlin, 1945. Notspeisung im ehemaligen „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz, 1945. Amerikanische Besatzungssoldaten im Tiergarten, um 1946. Englische und sowjetische Besatzungssoldaten an gleicher Stelle. Berliner „Trümmerfrauen“, 1945. Kartoffelzuteilung. In der Nähe der Reichstagsruine blüht der Schwarzmarkt, den auch Razzien (s. Foto) nicht beseitigen können. Zigaretten und Schnapseinheiten ersetzen lange Zeit die Währung in Ost und West. Foto: Geldwechsler am Zoo nach der Währungsreform von 1948. 11.– SPD-Plakat zu den Kommunalwahlen 1946 in Groß-Berlin. Die SPD erhält in diesem Oktober fast 50% der Stimmen, obwohl die SED (ca. 20%) in jeder Hinsicht von einer Besatzungsmacht bevorzugt wird. 12.– Sozialdemokratisches Plakat von 1946. 13.– Werbung für ein Berliner SPD-Blatt. 14.– Der sozialdemokratische Parteivorsitzende Kurt Schumacher im Oktober 1946 in Berlin, begleitet von zwei Besatzungsoffizieren. 15.– Kurt Schumacher im Gespräch mit dem Berliner SPD-Landesvorsitzenden Franz Neumann. Links von Schumacher: Louise Schroeder, die spätere faktische Oberbürgermeisterin (1947/1948) von Groß-Berlin. Aufnahme von 1946. 16.– Schumacher im Berliner Poststadion, 1946. 17.– SPD-Parteibüro im Ostsektor Berlins, 1946. Die SPD in der Sowjetischen Besatzungszone besteht nicht mehr. Nach dem Besatzungsstatut für Berlin müssen die Sowjets die Existenz einer SPD in ihrem Stadtsektor hinnehmen. Mit dem Mauerbau 1961 ändert sich auch dies. 18.– Im März 1947 feiert der „Telegraf“ sein einjähriges Bestehen. Dieses Berliner Blatt vertritt vehe0 ment die Schumacher-Positionen im Kampf gegen die SED; es kann auch die Bevölkerung in der SBZ erreichen. Auf dem „Jubiläums“-Foto links neben K. Schumacher Paul Löbe, der frühere Reichstagspräsident. TAFEL 22 Der deutsche Sozialdemokrat 01.– Die Norwegerin Rut Hansen, die Willy Brandt nach Berlin begleitet. Sie arbeitet wie er anfangs in der Norwegischen Militärmission. Er hat sie schon in Skandinavien kennengelernt und wird sie 1948 heiraten. Rut Hansen, „die Arbeitertochter aus Hamar, der ich viel verdanke“ (Brandt), ist in Stockholm an der Norwegischen Botschaft und direkt nach dem Krieg in Oslo bei einer Illustrierten tätig. Brandt: „Uns verband, über den Alltag hinaus, die Herkunft aus ‚der Bewegung‘ und die Abscheu vor jeder Art von Gewaltherrschaft. Rut überwand rasch die Distanz zu dem ihr fremden Land. Sie gewann Freunde und identifizierte sich mit den deutschen Grundproblemen, die ja auch jene Europas waren.“ 02.– Der gebürtige Elbinger Erich Brost (links) und der „Telegraf“-Verleger Arno Scholz. E. Brost, der bis zu seiner Emigration 1936 Journalist und SPD-Parlamentsmitglied in Danzig gewesen war, hatte nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil 1947 die Funktion des Vertreters des SPDParteivorstandes (Hannover) in Berlin ausgeübt. Willy Brandt übernimmt in den ersten Januartagen 1948 diese Funktion. Seine Entscheidung, für immer in Deutschland zu bleiben, war schon vorher gefallen. Am 1. Juli 1948 ist er „in aller Form“ (Brandt) wieder deutscher Staatsangehöriger. Die Monate in Berlin (ab Anfang 1947) hatten in Brandt den Entschluß reifen lassen, „mich ganz der politischen Arbeit in Deutschland zu widmen. Der schwierige Ort konnte mir dabei nur recht sein. Die norwegischen Freunde legten mir Rut Hansen, die Norwegerin und spätere Ehefrau von Willy Brandt, ca. 1943 39 TAFEL 22 nichts in den Weg und zeigten großes Verständnis für meinen Entschluß. Die Aufgaben in Berlin waren faszinierend. Ihre Bedeutung für die Zukunft Deutschlands und für den Frieden der Welt war vorauszusehen. Es fiel mir nicht schwer, mich in den Parteirahmen einzugewöhnen. Die eigene Entwicklung hatte in vieler Hinsicht zu ähnlichen Ergebnissen geführt, wie sie die SPD nunmehr ihrer Politik zugrunde legte. Auf einigen Gebieten durfte man darauf vertrauen, daß weitere Erfahrungen zu noch reiferen Ergebnissen führen würden. Die Impulse meiner radikalen Jugend waren nicht zerstört. Aber ihnen war vieles hinzugewachsen. Jetzt hatte ich mir auch die Fähigkeit erworben, über die führenden Männer der Weimarer Zeit nicht mehr leichtfertig zu urteilen, sondern Friedrich Ebert und seine Freunde gemäß ihrem geschichtlichen Rang zu würdigen.“ (Brandt in „Draußen“). 03.– Brief (Ausriß) von Brost an den Parteivorstand in Hannover, November 1947. 40 04.– Brief (Ausriß) von Brandt an den PV in Hannover, Januar 1948. 05.– Artikel Brandts über einen Gewerkschaftskongreß in der Britischen Zone („Arbeiderbladet“ vom 22.8.1946). 06.– Artikel (Ausriß) Brandts über deutsche Gewerkschaften („Sozialistische Tribüne“, Stockholm Mai/Juni 1946). 07.– Willy Brandt auf dem Nürnberger SPD-Parteitag, 1947. Das Originalfoto ist umseitig etwas irreführend „ Die von der Wasserkante“ beschriftet. Zwar stammt der ehemalige Volksbeauftragte und Reichstagsabgeordnete Wilhelm Dittmann (X) aus Schleswig-Holstein, der frühere Reichsarbeitsminister Rudolf Wissell (XX) jedoch ist Berliner, war allerdings vor dem I. Weltkrieg Arbeitersekretär in Lübeck. 08.– Parteitagsdelegierte in Nürnberg, 1947. Am Tisch im Vordergrund u.a. Franz Neumann (links) und Willy Brandt. Brandt nimmt als Gast am Parteitag teil. 09.– Ein frühes Nachkriegsfoto Brandts (undatiert). 0 TAFEL 23 01.– Währungsumstellung in Ostberlin, Juni 1948. 02.– Währungsreform in Westberlin, Juni 1948. 03.– Die Währungsreform in Westdeutschland und damit das Auseinanderfallen Deutschlands in zwei Wirtschaftsgebiete wird von den Sowjets als Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen angesehen und zum Anlaß genommen, ganz Berlin in ihren Herrschaftsbereich zu zwingen. Ab Juni 1948 blockieren sie die Zufahrt nach Westberlin. In dieser Situation schaffen die Westalliierten über eine „Luftbrücke“ die lebensnotwendigen Güter nach Berlin. Fotos: Blockierte Kohlenzüge aus Westdeutschland in Helmstedt. *Durch Sowjets besetzte Schleusen im Britischen Sektor Berlins, 1949. 04.– Ernst Reuter (Bildmitte) nimmt nach der Spaltung der Stadt, Dezember 1948, den Platz des Regierenden Bürgermeisters ein. Prof. Reuter (SPD) war während der Nazizeit in der Türkei gewesen. Brandt über sich und den gebürtigen SchleswigHolsteiner Reuter: „Er und ich waren – politisch und persönlich – nahe beieinander, fast ein Herz und eine Seele. Ich galt als ‚sein junger Mann‘ und war stolz darauf, daß er mir Sympathie entgegenbrachte und ich ihm Stütze sein konnte.“ Zwanzig Jahre nach dem Tod Ernst Reuters schreibt Brandt in der „Berliner Stimme“: „Die geschichtliche Situation fand in Ernst Reuter den Mann der Stunde. Weltbürger und Patriot, demokratischer Sozialist und Europäer, Volkstribun und Staatsmann, Kommunalpolitiker und ‚Chef‘ der geteilten alten Hauptstadt, politischer Erzieher und Freund der schönen Künste – eine reiche, differenzierte Persönlichkeit, die niemand Ernst Reuter und Willy Brandt auf dem SPD-Parteitag, BerlinNeukölln, 28.10.1951 05.– 06.– 07.– 08.– unbeeinflußt ließ, der ihr intensiv begegnete.“ Und: „Ernst Reuter wurde, wie wir uns erinnern, von den Kommunisten fast mit einem pathologischen Haß verfolgt.“ Die Berliner SPD protestiert in einer Massenveranstaltung im Juni 1948 gegen die Blockade. Auf dem Foto in der Nähe des Redners Reuter Willy Brandt. Reuter: „Freiheit ist Odem unseres Lebens.“ Eine Aufnahme aus anderer Perspektive bei gleicher Gelegenheit. Ein „Rosinenbomber“ landet in Tempelhof. Brandt und Reuter auf einer Parteiveranstaltung in Berlin-Neukölln, undatiert. 41 TAFEL 24 01.– Im September 1948 beginnt der Parlamentarische Rat in Bonn seine Beratungen über ein Grundgesetz, das voraussichtlich nur für die westlichen Besatzungszonen Geltung haben wird. Zwei Aufnahmen von den Beratungen in der früheren Pädagogischen Akademie. Unten: Halbtotale. Oben: u.a. das kommunistische Ratsmitglied Max Reimann. Bei der Abstimmung über das Grundgesetz im Mai 1949 votieren zwölf Abgeordnete dagegen (unter ihnen CSU- und KPDVertreter). 02.– In Westdeutschland wird die Demontage von Industrieanlagen (hier: Bochumer Verein, 1949) allmählich eingestellt – nicht zuletzt dank der Proteste der Gewerkschaften und der SPD. 03.– Aufnahme der durch Luftangriffe zerstörten Braunkohle-Benzin AG in Magdeburg, 1945. Die Sowjets bauen – wirtschaftlich unsinnig – in ihrem deutschen Herrschaftsbereich auch Industriebetriebe ab, die dann in der SU keine Verwendung mehr finden. 04.– Erich Ollenhauer, der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende, bei der erwähnten Berliner Veranstaltung vom Juni 1948. Im Hintergrund: Willy Brandt. 05.– Auf einer Veranstaltung des SPD-Landesverbandes Berlin, 1948. Zweiter von links: der Politiker und Gelehrte Prof. Carlo Schmid, der sich nach Kriegsende der SPD angeschlossen hat. Er wird 1960 Brandt als Kanzlerkandidaten vorschlagen. 06.– Brandt bei gleicher Gelegenheit u.a. zusammen mit Alfred Nau, dem „Hauptkassierer“ (Nau über Nau) der Gesamt-SPD. 07.– Eingang der Humboldt-Universität in Berlin, 1946. Erklärtes Ziel der SED: die „Erstürmung der Festung Wissenschaft“. 08.– Eingang der Freien Universität in Westberlin, 0 1949 (?). Die FU wird 1948 gegründet, weil die Universität im Ostsektor schon zu sehr unter kommunistischen Einfluß geraten ist. TAFEL 25 Der Bundestagsabgeordnete 01.– Plakat aus dem Wahlkampf zum Ersten Deutschen Bundestag, 1949. 02.– SPD-Wahlveranstaltung in Gelsenkirchen, Juli 1949. 03.– Treffen Kurt Schumachers und Carlo Schmids mit Konrad Adenauer. Das Wahlergebnis legt eigentlich eine Große Koalition nahe. Schumacher und Adenauer lehnen diese jedoch ab. 42 04.– Mit der denkbar knappsten Mehrheit wählt der Deutsche Bundestag Konrad Adenauer (CDU) zum Bundeskanzler (15.9.1949). Auf dem Bild von links: der sozialdemokratische Innenminister von Nordrhein-Westfalen Walter Menzel, Konrad Adenauer und der SPD-Ministerpräsident von Hessen Christian Stock. 1949. 05.– Pressekonferenz in Berlin, 1950. Von links: Willy Brandt, Franz Neumann, Kurt Schumacher, Arno Scholz und die Schumacher-Mitarbeiterin Annemarie Renger. Brandt 1961 über Schumacher: TAFEL 25 „Schumacher hat zweifellos klarer als die allermeisten die Gefahren gesehen, die in einer kommunistischen Einheitspartei lagen.“ 06.– Willy Brandt zieht 1949 als Berliner Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Durch Vorbehalt der Militärgouverneure zum Grundgesetz hat „Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten“. Abbildungen: Text (Ausriß) der ersten Rede Brandts im Deutschen Bundestag (24.3.1950). * Eintragung zu Brandt im Handbuch des Ersten Deutschen Bundestages. Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher hatte dem Schleswig-Holsteiner Willy Brandt den Wahlkreis Pinneberg vorgeschlagen. Brandt lehnt ab. „Das hätte bedeutet, meine Zelte in Berlin abzubrechen, und gerade das wollte ich nicht. Um so lieber machte ich von der Möglichkeit Gebrauch, durch die damalige Stadtverordnetenversammlung als einer der acht Berliner Abgeordneten in den ersten Bundestag entsandt zu werden.“ 1949/ 1950 wird Brandt in Berlin Kreisvorsitzender der Wilmersdorfer SPD, erhält ein Mandat im Abgeordnetenhaus und wird Chefredakteur der Parteizeitung „Sozialdemokrat“, die dann in „Berliner Stadtblatt“ umbenannt wird. Brandt über den Beginn seiner parlamentarischen Tätigkeit in Bonn: „Im Bundestag befaßte ich mich mit auswärtiger Politik und sah meine vorrangige Aufgabe im Ausschuß ‚Berlin und gesamtdeutsche Fragen‘, ging es doch hier um die Übernahme der Bundesgesetze und damit um die Bindung Berlins an den Bund...“ 07.– Vom SPD-Parteitag in Hamburg, Mai 1950. Die Aufnahme zeigt sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete der Weimarer Republik. Vorne: Rudolf Wissell und Paul Löbe. Dahinter: Lore Agnes, Otto Braun (MdR und Preußischer Ministerpräsident) und Carl Severing. Hinten im Gespräch: Heinrich Ritzel und Fritz Henßler. 08.– Brandt als Berliner Delegierter auf dem Hamburger Parteitag (im Hintergrund). Auf diesem Parteitag übt der „Reuter-Mann“ Brandt subtile Kritik an der Politik des Gesamtparteivorstandes: „Das politische Problem, so, wie es sich vielen von uns darstellt, besteht doch wohl darin, zu verhindern, daß wir alle die Widerstandskräfte gegen eine demokratisch-sozialistische Lösung in diesem Lande gegen uns zusammenschweißen. Unsere Aufgabe muß doch wohl in erster Linie darin bestehen, das gegnerische Lager so stark wie möglich zu differenzieren, uns zu stärken und das Zusammenwirken mit anderen Kräften zu ermöglichen.“ 09.– Willy Brandt mit (von links) Franz Neumann, Erich Ollenhauer und Arno Scholz. Undatierte Aufnahme, wahrscheinlich in Berlin. 43 TAFEL 26 Kalter und Heißer Krieg 01.– Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher stirbt am 20.8.1952. Hunderttausende säumen die Straßen, als sein Leichnam von Bonn nach Hannover überführt wird. Eine große Menschenmenge erweist ihm auf dem Friedhof die letzte Ehre. In ganz Deutschland trauern Millionen um den Mann, der wegen seiner Überzeugung zehn Jahre in Nazi-Gefängnissen und -Konzentrationslagern verbringen mußte. 02.– Im September 1952 tritt Erich Ollenhauer die Nachfolge als Parteivorsitzender an. Auf dem Bild: Ollenhauer mit Wilhelm Mellies, der sein Stellvertreter wird. Erich Ollenhauer hatte den Exilparteivorstand der SPD ab 1933 nach Prag, Paris und London begleitet. Nach 1945 gehörte er zu den ersten sozialdemokratischen Emigranten, die in das zerstörte und hungernde Deutschland zurückkehrten. Brandt 1982 über seinen Vorgänger im Parteivorsitz: „Mit seiner natürlichen Neigung zum Ausgleich erwarb Ollenhauer große Verdienste für den Zusammenhalt der sich neu formierenden Partei. Mancher, der sich durch den Parteiführer rauh behandelt fühlte, konnte sich beim Stellvertreter aussprechen und wieder aufrichten lassen. Intern hatte Ollenhauer in Partei und Fraktion einen erheblich regulierenden Einfluß auf Schumacher. Der bescheidene, auf viele eher farblos wirkende Stellvertreter – seine Ausstrahlungskraft blieb hinter seinen koordinierenden 44 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– 08.– 0 und vermittelnden Fähigkeiten zurück – überraschte im Bundestag 1949 als ein Parlamentarier mit großem politisch-taktischem Gespür. Unser Verhältnis blieb zunächst leicht unterkühlt und verbesserte sich erst im Laufe der Jahre.“ In der Bundesrepublik erheben sich Proteste gegen den geplanten Wiederaufbau von Streitkräften und deren Einbindung in ein westliches Verteidigungsbündnis. Die „Remilitarisierung“ – so die Opposition – werde die Teilung Deutschlands zementieren. Aufnahme: Protestdemonstration in Bonn, 1953. Remilitarisiert wird auch in der DDR oder Ostzone, wie es damals heißt. Hier: eine Einheit der Volkspolizei in Halle, undatiert. In den 50er und 60er Jahren wird Europa durch den „Kalten Krieg“ geprägt. An anderen Ecken der Welt führt die Ost-West-Konfrontation zu „Heißen Kriegen“. Nach der Schlacht von DienBien-Phu (vgl. Foto) 1954 haben die Franzosen ihr Kolonialreich in Indochina faktisch verloren. In Korea prallen Ost und West aufeinander. Die bewaffneten Auseinandersetzungen dauern von 1950 bis 1953. Beschriftung der Aufnahme (Korea 1950): „Auf der Flucht vor den Roten“. 5. März 1953: Stalin ist tot. Seine möglichen „Thronfolger“ sammeln sich um seinen Sarg. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU deckt Chruschtschow 1956 einen Teil der Stalinschen Verbrechen auf. Seine Rede darf im östlichen Machtbereich nicht veröffentlicht werden. TAFEL 27 17. Juni 1953 01.– Willy Brandt im Gedankenaustausch mit Herbert Wehner, der ebenfalls im schwedischen Exil gewesen und ab 1949 Mitglied des SPD-Parteivorstandes war; 50er Jahre. Wehner, ursprünglich KP-Funktionär, ist durch seine schrecklichen Erfahrungen im jahrelangen Moskauer Exil geprägt. 1941 beordern ihn die Komintern und die Exil-KP nach Schweden. Dort wird er wegen „Spionage für eine fremde Macht“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Bereits vor seiner Festnahme in Schweden war er aus der KP ausgeschlossen worden. Er selbst bricht mit dem Kommunismus. Als der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ihn im Nachkriegsdeutschland zu Führungsaufgaben in der Partei berufen will, warnt Wehner ihn: Man werde ihm, Wehner, die Haut bei lebendigem Leibe abziehen. „Du wirst das aushalten“, antwortet ihm Schumacher. Seit 1949 gehört er dem Deutschen Bundestag an. 02.– Brandt unterrichtet den SPD-Vorsitzenden Ollenhauer über die Lage in Berlin. Der Bonner Parteivorstand ist über die Entwicklung in der DDR äußerst beunruhigt. 03.– Am 17. Juni 1953 greift der Volksaufstand von Ostberlin auf viele Städte der DDR über. Bild: russische Panzer am 17. Juni in Ostberlin. 04.– Zwei Aufnahmen vom Streik in Halle und Magdeburg. 05.– Die aufgebrachte Menge stürmt Geschäftsstellen der SED. Kommunistisches Agitationsmaterial und Parteiakten werden vernichtet. 06.– Die Sowjetunion setzt zur Sicherung der SEDHerrschaft ihre Truppen ein. 07.– Die SED-Spitze demonstriert im Januar 1954 wieder Stärke. 08.– Ernst Reuter spricht vor einer SPD-Versammlung in Berlin, August 1953. Am 29. Juni hatte der SPD-Parteivorstand erklärt: „Die Freiheitsdemonstrationen und Streiks der Arbeiter in der Sowjetischen Besatzungszone und Ostberlin haben in aller Welt erschütternd den Nachweis erbracht, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit das dringendste Anliegen aller Deutschen ist. Wir rufen die demokratischen Kräfte der ganzen freien Welt auf, die von der Rachejustiz Betroffenen unter ihren Schutz zu nehmen und auf die Regierungen zu wirken, damit nichts unversucht bleibt, um die Verfolgten zu retten.“ Und: „Wenn die sowjetische Besatzungsmacht und ihre Bevollmächtigten in Deutschland wirklich die Entspannung der politischen Lage wollen, müssen sie aufhören, dieses Pankower SED-System oder einen neu aufgeputzten Ersatz zum Instrument ihrer Politik zu machen.“ Brandt nachträglich 1960: „Am 1. Juli 1953 hat dann der Bundestag in Bonn beschlossen, den 17. Juni zum ‚Tag der deutschen Einheit‘ zu erklären – leider ist er für viele im deutschen Westen zu nicht mehr als einem zusätzlichen Ausflugstag geworden. Ich habe damals im Bundestag eine Rede gehalten, die von vielen als zu scharf empfunden wurde. Aber mich leitete nichts anderes als das leidenschaftliche Bemühen, die Landsleute in der Zone nicht allein zu lassen. Zunächst stellte ich fest, daß der Volksaufstand in Ostberlin und in der Zone in erster Linie das Werk jener Arbeiterschaft gewesen sei, die man keinesfalls als eine graue Masse ohne eigenen 45 TAFEL 27 liegen, auf eine höhere Ebene gehoben.‘“ Brandt weiter im Bundestag: „Es gibt keine andere Lösung als die friedliche Lösung der deutschen Frage. Es gibt keine andere Möglichkeit als die von Verhandlungen über die deutsche Frage. Wir fordern mehr Aktivität, mehr Zielklarheit, mehr Entschlossenheit im Kampf um die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit.“ Gestaltungswillen betrachten dürfe: ‚Diese Arbeiter haben sich nicht nur als Mitkämpfer, sondern als Vorkämpfer an der Spitze des Ringens um die Einheit in Freiheit bewährt. Sie haben, wie in allen großen revolutionären Krisen, den Kampf um ihre unmittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Forderungen mit den Interessen der gesamten Nation verknüpft und den Kampf um die Einheit, um unser zentrales nationales An- TAFEL 28 01.– Willy Brandt und Helmut Schmidt auf dem Berliner SPD-Parteitag im Juli 1954. Brandt (40 J.) ist 1954 Bundestagsabgeordneter, seit 1951 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Mitglied des Berliner SPD-Landesvorstandes. Seine Kandidatur für den Gesamtvorstand der SPD scheitert allerdings im Juli 1954 wie die von Fritz Erler. Der Hamburger Helmut Schmidt (35 J.), seit 1952 Verkehrsdezernent der Hansestadt, war 1953 in den Bundestag gekommen. 02.– Parteitagsdelegierte am Grab Ernst Reuters in Berlin-Zehlendorf, Juli 1954. Willy Brandt hatte etwa ein Jahr zuvor auf Wunsch der Witwe die Totenrede auf Reuter gehalten. Damals sagte er: „Selbst zweifeltest du nie am Sieg der Freiheit. Deshalb vermochtest du denen, die mit dir arbeiteten, der ganzen Bevölkerung, aber vor allem wieder den jungen Menschen, Hoffnung zu schenken und Zuversicht einzuflößen. Man hat dich manchmal einen überschwenglichen Optimisten genannt. Was wäre wohl aus diesem Berlin geworden ohne unbeug46 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– 08.– 09.– 0 samen Willen und ohne den Glauben, der Berge zu versetzen vermag!“ Willy Brandt, Otto Suhr und Franz Neumann. Suhr (SPD), Volkswirtschaftler von Beruf, wird im Januar 1955 Regierender Bürgermeister von Westberlin, im selben Jahr Brandt Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. Neumann ist MdB und zugleich SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Brandt im Bundestag, Mai 1956. In den 50er Jahren boomt die westdeutsche Wirtschaft (hier: VW-Produktion). Die Regierungsparteien profitieren politisch davon. In Andernach werden 1956 die ersten deutschen Soldaten vereidigt. Besuch des Bundeskanzlers in Andernach. SPD-Plakat von 1954. Übung der Nationalen Volksarmee (DDR), 1957. Der ungarische Aufstand vom Oktober/November 1956 erschüttert die Welt. Imre Nagy (Foto), einer der Führer des Volksaufstandes und im Oktober ungarischer Ministerpräsident, wird 1958 TAFEL 28 hingerichtet. In Berlin versammeln sich im Oktober Hunderttausende, um ihrem Protest gegen die Sowjets Ausdruck zu verleihen. Brandt in seinen „Erinnerungen“: „Die Redner, Franz Neumann für die SPD, Ernst Lemmer für die CDU, wurden ausgepfiffen und niedergeschrien. Man wollte Taten sehen. Aus allen Ecken des Platzes prasselten die Zurufe: ‚Zum Brandenburger Tor‘, ‚Zur Sowjetbotschaft‘, ‚Russen raus‘. Ich weiß nicht, wie ich an das Rednerpult kam, an dem ich nicht vorgesehen war. Ich weiß nur noch, daß ich vor Parolen warnte, die unserer Sache ebensowenig nutzten wie der der unglücklichen Ungarn. Um einen wilden Marsch in den Ostsektor abzuwenden, forderte ich die Menge auf, mit mir zum Steinplatz zu ziehen und sich am Denkmal für die Opfer des Stalinismus zu versammeln. Dort fand ich Worte, die der Situation einigermaßen gerecht wurden...“ Willy Brandt und Erich Ollenhauer, 5.2.1954 47 TAFEL 29 Der Regierende Bürgermeister 01.– Willy Brandt 1956 mit den Labour-Parlamentariern Alfred Robens (X), Wilfred Fienburgh (XX) und Richard Crossman (XXX) zu Besuch bei der Ostberliner SPD. Die „Berliner Stimme“, das SPD-Organ, schreibt am 21.4.1956 über diese Aufnahme: „Sehr erfreut waren die Sozialdemokraten in den Kreisbüros der Kreise Friedrichshain, Lichtenberg und Prenzlauer Berg, als die Labour-Abgeordneten Robens, Crossman und Fienburgh mit Willy Brandt in den Sekretariaten unserer Partei auftauchten. Sie hatten damit die Gelegenheit, unseren englischen Freunden ihre Sorgen und Nöte an Ort und Stelle vorzutragen, zumal die LabourAbgeordneten sich insbesondere über das politische Leben unserer Partei im Ostsektor interessierten. Es war selbstverständlich, daß die Frage der Hilfe für unsere inhaftierten Genossen einen großen Teil der Unterhaltung einnahm. Völlig erschüttert waren unsere Gäste über die Haltung der östlichen Justizbehörden, als sie das Schreiben des Ostjustizministeriums vom 16. März 1956 auf das Gnadengesuch der Mutter unseres inhaftierten Genossen Gerhard Sperling lasen, der nun seit Anfang 1949 in Haft ist und über die in der Haft verstorbenen Sozialdemokraten. Sehr interessiert zeigten sich die Labour-Abgeordneten auch darüber, als ihnen erklärt wurde, daß unsere bestraften Freunde alle nach der Kontrollratsdirektive 38 abgeurteilt wurden und somit den darin enthaltenen Sühnemaßnahmen nach der Abbüßung ihrer Strafe unterliegen. Die 48 02.– 03.– 04.– 05.– Kontrollratsdirektive 38 ist die Grundlage zur Bestrafung wegen faschistischer Betätigung. Sozialdemokraten, die während der 12 Jahre des Hitlerreiches gerade und sauber ihren Weg gegangen sind, werden heute von den östlichen Behörden danach bestraft. Welch ein Hohn liegt darin. Die Ostberliner Sozialdemokraten beauftragten die Delegation, die englischen Freunde zu grüßen und waren dankbar, daß sie sich um die Sorgen und Nöte der Partei im Ostsektor Berlins bemühten. Ihr größter Wunsch kam in den Worten zum Ausdruck: Die Verantwortlichen der Welt mögen die Einheit Deutschlands so schnell wie möglich wieder herbeiführen.“ Im Oktober 1955 entscheiden sich die Saarländer gegen das von Konrad Adenauer empfohlene Saarstatut. Am 1.1.1957 wird das Saarland deutsches Bundesland. Die Aufnahme (Bildmitte) zeigt den saarländischen Ministerpräsidenten und Sonderstatut-Befürworter Johannes Hoffmann (Christliche Volkspartei) am Tag nach der Abstimmung. CDU- bzw. CSU-Plakat aus den Bundestagswahlen 1957. SPD-Plakat aus dieser Zeit. Im August 1957 stirbt Otto Suhr. Sein Nachfolger als Regierender Bürgermeister wird im Oktober d.J. Willy Brandt. Brandt in „Mein Weg nach Berlin“: „In den folgenden Tagen [nach dem Tod Otto Suhrs] waren es die Berliner, die ihren Willen durchsetzten, mich an der Spitze der Stadt zu sehen. Nach einigem Hin und Her wurde ich von meinen Parteifreunden fast einstimmig nominiert, vom Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit gewählt. Das war eine schwere Last, die ich da übernahm. Aber ich durfte mich darüber nicht beklagen. Ich hätte mir die Bürde ja nicht aufladen zu lassen brauchen.“ TAFEL 29 06.– Der „Regierende“ spricht im Abgeordnetenhaus zum „Bund der Berliner“, 1958. 07.– Brandt gibt in seinem Schöneberger Amtszimmer der NBC ein Fernsehinterview, 1958. 08.– Rut Brandt, inzwischen Mutter von zwei Söhnen, steht ihrem Mann vor 1957 bei der politischen 0 Tagesarbeit zur Seite. Jetzt hilft sie ihm bei der Wahrnehmung repräsentativer Pflichten. 09.– Sozialdemokratisches Frauenplakat von 1959. 10.– SPD-Plakat von 1958 mit einer Warnung vor Atomrüstung. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, vor dem Rathaus Schöneberg, 12.9.1958 49 TAFEL 30 „Macht das Tor auf“ 01.– Auf dem SPD-Parteitag in Hannover, November 1960, bestimmt die Partei den erfolgreichen weltgewandten Regierenden Bürgermeister zu ihrem Kanzlerkandidaten. Zwei Aufnahmen von Hannover. Carlo Schmid dort, immer wieder von starkem Beifall der Delegierten unterbrochen: „Der Vormann der Mannschaft heißt Willy Brandt! Gestatten Sie mir hier ein persönliches Wort. Ich, der ältere, habe ihn, den jüngeren, den jungen, vorgeschlagen, denn im sechsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gehören in die vorderen Reihen junge Menschen! Wir Älteren haben ihnen den Raum zu schaffen, in dem sie wirken können; wir haben ihnen zu raten und ihnen unsere Erfahrungen zuzuführen. Aber die zweite Hälfte des Jahrhunderts wird durch Leute dargestellt werden müssen, die in diesen Tagen unter 50 sind. Was mich betrifft, Willy, ich werde immer bei dir stehen, in Treue und Freundschaft.“ 02.– Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR steigt und steigt. Die „Abstimmung mit den Füßen“ stellt Berlin vor große Probleme. Zwei Aufnahmen: Flüchtlinge lassen sich in Westberlin registrieren. * In den Westhafen geflüchtete DDR-Schleppkähne. 03.– Willy Brandt 1961 auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin. Auf dem Foto links neben ihm Pastor Heinrich Albertz, Chef der Berliner Senatskanzlei. 04.– Brandt auf dem Weg zu einem Gottesdienst in einer Ostberliner Kirche anläßlich der Eröffnung der Gesamtdeutschen Synode, 1960. Rechts im Bild: Ernst Lemmer (CDU), Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen. 50 05.– Bei einer Veranstaltung im Berliner Olympiastadion. Vorne rechts: Franz Amrehn (CDU), zu der Zeit Berliner Bürgermeister. 06.– Die Aktion des Kuratoriums Unteilbares Deutschland „Macht das Tor auf“ wird durch Willy Brandt weltbekannt. Brandt und Berlin, Berlin und Brandt sind im Ausland und auch für sehr viele im Inland fast identisch. Aufnahme: Der Regierende Bürgermeister verkauft BrandenburgerTor-Abzeichen auf dem Kurfürstendamm, 1959. * Die Kerzen im Fenster (hier: Heiligabend 1959) sollen an die noch in Unfreiheit lebenden Deutschen erinnern. 07.– Der Regierende Bürgermeister (links: der indische Ministerpräsident Nehru) in Neu Delhi, 1959. Er ist der Botschafter der geteilten Stadt. 08.– Begeisterter Empfang in New York, 1959: Die New Yorker feiern ihn mit einer Konfettiparade (Ticker-tape-Parade). Der international bekannte Regierende Bürgermeister steht für die Freiheit Westberlins. 09.– Berlins führender Mann bei seiner Ankunft in Tokio, 1959. Im Reisegepäck: die Brandenburger-Tor-Plaketten. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, vor dem Brandenburger Tor, 25.8.1960 TAFEL 31 Die Bedrohung Westberlins 01.– Litfaßsäule mit Plakaten zur Wahl des Westberliner Abgeordnetenhauses, Dezember 1958. 02.– Wähler, 1958. 03.– Rut Brandt an der Wahlurne. Die SPD geht aus den Wahlen als eindeutiger Sieger hervor. Ein überwältigender Vertrauensbeweis auch für Willy Brandt. Obwohl die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus über die absolute Mehrheit verfügt, entschließt sich Brandt, die bisherige Koalition mit der CDU fortzusetzen. Die erneute Bedrohung Westberlins durch die SU erfordert eine möglichst breite Basis für seine Regierung. 04.– In der Ära Brandt versucht Berlin, wirtschaftlich, sozial und kulturell an die Rolle anzuknüpfen, die die Reichshauptstadt in der Weimarer Republik gespielt hat. Foto: Premierenkino bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin. 05.– Willy Brandt mit dem amerikanischen Schauspieler Sidney Poitier, 1960. 06.– Mit Marlene Dietrich, 1960. 07.– In einer Berlin-Note (November 1958) schlägt Nikita Chruschtschow vor, Westberlin den Status einer entmilitarisierten Freien Stadt zu geben. Dieser Vorschlag – mehr ein Ultimatum – wird einmütig von den Westmächten, der Bundesrepublik und den Westberlinern abgelehnt. Die SPD sucht dennoch das Gespräch mit dem sowjetischen Staatschef. Bild: E. Ollenhauer trifft Chruschtschow in der UdSSR-Botschaft in Ostberlin, 1959. Die Unterredung wird von seiten Ollenhauers im Interesse der deutschen Einheit bzw. Wiedervereinigung geführt. Fast gleichzeitg veröffent- licht die SPD ihren „Deutschlandplan“ (Autoren u.a. Fritz Erler, Helmut Schmidt, Gustav Heinemann, Herbert Wehner), in dem Schritte zur militärischen Entspannung beschrieben werden und der ein Stufenmodell für die Wiedervereinigung enthält. Die völlig unbewegliche Bonner Regierung reagiert mit dem Vorwurf der „politischen Unzuverlässigkeit“ der Oppositionspartei. Adenauer: „Mit der SPD in den Abgrund.“ Brandt zu dem SU-Ultimatum: „Woher Chruschtschow den Glauben nahm, die Berliner würden massenhaft aus der [Freien] Stadt fliehen und diese als faule Frucht der DDR zufallen, habe ich nie erfahren... Die angekündigte Freie nannte ich eine vogelfreie Stadt und war dafür, hart gegenzuhalten. Der Zustimmung der Berliner fühlte ich mich sicher.“ Willy Brandt und Herbert Wehner, ca. 1960 51 TAFEL 32 Die Mauer 01.– Sozialdemokratisches Wahlkampfplakat, 1961. 02.– Die Gestaltung des Bundestagswahlkampfes der SPD von 1961 ist im Vergleich zu früher erheblich moderner geworden. 03.– Eine Schmutzflut von Verdächtigungen und Verleumdungen ergießt sich über den Spitzenkandidaten der SPD. CDU und CSU „arbeiten“ mit Andeutungen, derweil – angeblich parteiungebundene – Hintermänner und -organisationen die eigentliche Dreckarbeit verrichten. Hier: Titelblatt einer besonders widerwärtigen Wahlkampfpostille des Passauer Verlegers Kapfinger. 04.– Bis in die 70er Jahre dauern die verleumderischen Attacken gegen Brandt an. Hier: ein Plakat der sog. Aktion Widerstand, das eine Gleichsetzung der beiden „Vaterlandsverräter“ (so der Jargon der Rechten) Willy Brandt (in norwegischer Uniform) und Walter Ulbricht (in sowjetischer Uniform) suggerieren soll. 05.– Konrad Adenauer und Franz-Josef Strauß (CSU), 1961. Adenauer spielt im Wahlkampf auf die uneheliche Herkunft und die Namensänderung Brandts an. Er nennt ihn konsequent Herrn Frahm, alias Brandt. Strauß andererseits mobilisiert die dumpfen Ressentiments gegen die „feigen Emigranten“: „Eines wird man doch Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“ 52 06.– Am 11. August 1961 wird die Schlußphase des Bundestagswahlkampfes durch das Deutschlandtreffen der SPD in Nürnberg eingeleitet (vgl. Foto). Vorne von links: Fritz Erler, Waldemar von Knoeringen (Vorsitzender des SPD-LV Bayern und im PV der SPD für Bildung und Kultur zuständig), Käte Strobl (Mitglied des Parteivorstandes), Willy Brandt, Carlo Schmid und Erich Ollenhauer. Das Deutschlandtreffen ist kaum zu Ende, als die Nachricht von der Abriegelung Westberlins eintrifft. Die Welt ist erschüttert. Brandt unterbricht seinen Wahlkampf und eilt nach Berlin zurück. 07.– In den Augusttagen in Berlin: Sechs Aufnahmen vom Bau der Mauer und von flüchtenden Ostberlinern. 08.– Berlins Regierender Bürgermeister am 13.8.1961 an einer von Volksarmisten errichteten Straßensperre. 09.– Verzweiflung und Wut der Westberliner sind kaum zu beschreiben. Brandt gelingt es, einerseits der Empörung Ausdruck zu geben, andererseits die Massen von einem spontanen Marsch auf Ostberlin abzuhalten. Foto: Brandt spricht am 16.8.1961 auf einer Protestkundgebung vor dem Schöneberger Rathaus. Über Rundfunk beschwört er die Westberliner: „Lassen Sie sich nicht fortreißen, ergeben Sie sich nicht der Verzweiflung! Wir werden uns niemals mit der widernatürlichen Spaltung abfinden, auch wenn die Welt voll Teufel wäre.“ TAFEL 33 01.– Konrad Adenauer, Kontrahent Brandts bei den kommenden Wahlen, reagiert mit äußerster Zurückhaltung auf den Mauerbau. Er kann sich am 22.8.1961 dazu entschließen, seinen Wahlkampf zu unterbrechen und sich in Berlin über die Lage zu informieren. Auf dem Foto links neben Brandt Egon Bahr, sein politischer Vertrauter und seit 1959 Leiter des Presse- und Informationsamtes Westberlin. 02.– US-Präsident John F. Kennedy schickt seinen Stellvertreter Lyndon B. Johnson nach Berlin. Er trifft dort drei Tage vor Adenauer ein. Brandt später: „Der Texaner stellte die West-Stadt für anderthalb Tage auf den Kopf und stabilisierte die Stimmung.“ Obwohl sich Brandt in dieser Krisenzeit als umsichtiger und besonnener politischer Führer erweist, geben die Deutschen bei den Septemberwahlen dem „Altbewährten“ den Vorzug. Die SPD kann ihren Stimmenanteil steigern, aber es reicht nicht zur Regierungsbildung. 03.– In einer regelmäßigen Sendung (1957-1966) „Wo uns der Schuh drückt“ nimmt sich Brandt der Sorgen und Nöte der Berliner Bevölkerung sowie allgemeiner politischer Probleme an. Die Sendung ist sehr beliebt (Manuskriptauszug) und wird fast ausschließlich über den RIAS ausgestrahlt. Fotos: RIAS-Gebäude und Brandt in einer vom RIAS übertragenen Diskussion mit Schülern. 04.– Vopo-Transparent (Videoprint) am Brandenburger Tor „Nicht frech werden, Herr Brandt, wir sind gute Schützen.“ In einer RIAS-Sendung hatte Willy Brandt die Grenzsoldaten aufgefordert, daneben zu schießen (vgl. Manuskriptauszug unter 3). 05.– Von DDR-Grenzern erschossener Flüchtling wird aus einem Berliner Hafen auf Ostseite geborgen, August 1961. 06.– Der Regierende Bürgermeister auf einer spontanen Protestversammlung wegen eines blutigen Zwischenfalls an der Mauer, August 1962. 07.– Wachablösung vor dem Gefängnis in Spandau, die einzige gesamtdeutsche Verwaltung der Alliierten, die einigermaßen funktioniert. Sie erstreckt sich ab 1966 auf einen einzigen Häftling, Rudolf Heß, den „Führerstellvertreter“, für dessen Freilassung sich Brandt später aus humanitären Gründen einsetzt. 53 TAFEL 34 Kennedy 01.– 02.– 03.– 04.– 05.– 54 Willy Brandt beim Richtfest einer Wohnsiedlung in Berlin-Kreuzberg. Die Stadt unter Brandt strengt sich an, der großen Wohnungsnot Herr zu werden. Diese Wohnungsnot erklärt auch zum Teil die architektonischen Sünden, die in Westberlin begangen werden. In Ostberlin fehlt es an Kapital und Baumaterialien, die verfallenden Häuser zu restaurieren und genügend neue Wohnungen zu errichten. In der Stalin-Allee, später Karl-Marx-Allee (vgl. Aufnahme), entstehen „Arbeiterwohnungen der Zukunft“. Diese kostspielige Bauweise wird jedoch zugunsten der Plattenbauten fallengelassen. Robert und Ted Kennedy besuchen 1962 die Stadt. Robert Kennedy, Willy Brandt, Egon Bahr und der Berliner Senator für Bundesangelegenheiten Klaus Schütz im Schöneberger Rathaus. Im Juni 1963 ist es so weit: Der amerikanische Präsident John F. Kennedy kommt nach Berlin. Seine Fahrt durch die Stadt (vgl. Foto mit Willy Brandt und Konrad Adenauer) wird zu einem wahren Triumphzug. Brandt: „In der Geschichte Berlins war solch ehrlicher Jubel noch keinem Gast zuteil geworden.“ 06.– Fahrt durch Berlin. 07.– Besichtigung der Mauer am Brandenburger Tor. 08.– Kennedy bei seiner berühmten Rede („Ich bin ein Berliner“) vor dem Schöneberger Rathaus am 26.6.1963. Er schafft es, den Westberlinern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und stärkt den Willen der Stadt zur Selbstbehauptung. Brandt spricht davon, daß John F. Kennedy eine „ungewöhnliche Persönlichkeit mit einer ungewöhnlichen Ausstrahlung“ gewesen sei. Brandt in diesem Zusammenhang: „Schon bevor Kennedy nach Deutschland aufbrach, hatte er – am 10. Juni in Washington – seine Rede über die ‚Strategie des Friedens‘ gehalten. Ich wertete sie als bedeutenden Versuch, das Verhältnis zwischen Ost und West ohne Illusion zu verändern. Als Versuch, das Gleichgewicht des Schreckens zu ersetzen durch die friedliche Lösung von Problemen.“ 09.– Menschenmassen vor dem Rathaus. TAFEL 34 John F. Kennedy und Willy Brandt: Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten in Deutschland. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister, begrüßt John F. Kennedy in Berlin, 26.6.1963 55 TAFEL 35 Wandel durch Annäherung 01.– Erich Ollenhauer (rechts) besichtigt 1962 die Trümmer des Gebäudes in der Berliner Lindenstraße, in der Weimarer Republik Sitz des SPDParteivorstandes und des sozialdemokratischen Zentralorgans „Vorwärts“. 02.– Willy Brandt und Egon Bahr nach einer Fernsehsendung. Die Evangelische Akademie Tutzing erlebt im Juli 1963 die „Geburtsstunde“ der neuen Ostpolitik. Brandt dazu: „Egon Bahr machte mit seiner Tutzinger Rede Furore, die von ‚Wandel durch Annäherung‘ handelte und in der er unsere gemeinsamen Überlegungen in prägnanter Form zusammenfaßte.“ „Meine eigene Rede vor der Evangelischen Akademie Tutzing war nicht auf außenpolitische Erwägungen beschränkt, sie versuchte vielmehr eine kritische Gesamtwürdigung deutscher Politik. Dennoch lag mir an der auswärtigen Politik und ihren Möglichkeiten besonders. Ich knüpfte an Kennedy an und wünschte mir für den Westen: ‚Die gemeinsame Politik muß darauf ausgehen, die Sowjetunion zu der Einsicht zu bringen, daß ein Wandel in ihrem eigenen Interesse liegt.‘“ Brandt in Tutzing: „Unsere Alternative zur Mauer ist die Fähigkeit zu dieser offenen und aktiven Auseinandersetzung und unsere ernste Bereitschaft, unseren Teil dazu beizutragen, daß der Friede gesichert wird.“ Willy Brandt ist inzwischen seit 1958 Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Berlin. Er hat sich gegen Franz Neumann durchgesetzt. Im selbem Jahr wird er – nach mehreren Anläufen – Mitglied des sozialdemokratischen Gesamtvorstan- 56 des. Ab 1962 ist er der Stellvertreter Erich Ollenhauers im Parteivorsitz. Seine Neuformulierung einer deutschen Politik, die mit dem Schlagwort „Wandel durch Annäherung“ nur unzulänglich beschrieben ist, wird in seiner Partei nicht überall verstanden. In einer Rezension von Gunter Hofmann: Willy Brandt. Porträt eines Aufklärers aus Deutschland (Brandt: ...“ein nicht unkritisches, aber einfühlsames, weder einebnendes noch überhöhendes Büchlein“) schreibt Brandt 1988: „Aus der Rolle der ersten Person werde ich hinzufügen dürfen, daß ich es für einen Irrtum halte, wenn Hofmann geneigt ist, mich erst nach meiner Berliner Zeit als politisch eigenständig gelten zu lassen: In Berlin seien Brandts politische Konturen ‚unscharf geblieben‘, als Regierender Bürgermeister habe er obendrein ‚sämtliche antikommunistischen Rituale und die dazugehörige Rhetorik‘ mitgemacht – woran wohl etwas ist. Aber etwas mehr geschichtliche Einordnung könnte auch nicht schaden. Denn ich gebe zu bedenken: Die Berliner hätten wenig von einem Bürgermeister gehabt, der nicht fähig und entschlossen gewesen wäre, sich seiner und seiner Landsleute Haut zu wehren. Die Zeiten standen damals auf alles mögliche, nur nicht auf Glasnost. Aber Reuter, Brandt und ihre Freunde haben sich auch nie mit der Zerreißung Europas abgefunden; wir sind Europäer geblieben. Zusätzlich zu dem Lehrgeld, das ich nicht sinnlos im Exil entrichtete, hat mich gerade die Berliner Erfahrung befähigt, Ostpolitik im Übergang zu den siebziger Jahren nicht nur zu begründen, sondern auch gegen erheblichen Widerstand durchzusetzen.“ TAFEL 35 03.– Eine Wagenkolonne mit Willy Brandt kehrt aus Ostberlin zurück. Seit 13.8.1961 ist Ostberlin gegenüber Westberlin hermetisch abgeschottet. Westberliner können nicht einmal ihre engsten Verwandten im Ostteil der Stadt besuchen. In dieser Situation läßt Brandt über sog. Passierscheine verhandeln. Die Verhandlungen werden von Bonner Regierungsseite mit Argwohn beobachtet, vermutet man doch hinter der ganzen Wortakrobatik ein kleines Stückchen Anerkennung des DDR-Regimes. Brandt sind andere Dinge wichtiger: die menschlichen Erleichterungen. 4.+5. 06.– 07.– 08.– 09.– Im Dezember 1963 kann ein Passierscheinabkommen mit Ostberlin abgeschlossen werden. Dieses Abkommen wird in der Folgezeit mehrfach verlängert. Westberliner Besuche in Ostberlin sind wieder möglich. Passierscheinausgabe. Passierscheinformulare. Westberliner auf dem Weg in den Ostsektor. Ein Wiedersehen. Brandts politisches Ziel: die Mauer durchlässig zu machen und letztlich ganz zum Einsturz zu bringen. 57 TAFEL 36 Der sozialdemokratische Parteivorsitzende 01.– Der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King ist im September 1964 auf Einladung Willy Brandts in Berlin. Beide nehmen an einer Gedenkfeier für den ermordeten amerikanischen Präsidenten Kennedy teil. Der Pfarrer und Friedensnobelpreisträger von 1964 wird 1968 von einem weißen Rassisten ermordet. 02.– Im Dezember 1963 stirbt der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer. Aufnahme: Der Trauerzug in Bonn. Brandt in einer Rede anläßlich der Beisetzung in Bonn: „Die Kinder der großen Familie, die aus der alten deutschen Arbeiterbewegung hervorgegangen sind, stehen an diesem offenen Grab. Für uns alle ist Erich Ollenhauer viel zu früh abberufen worden. Aber er hat doch einen langen Weg hinter sich gebracht. Entbehrung, Not und Verfolgung hatte er kennen gelernt. Bittere Stunden mußte er außerhalb der Heimat erleben. Zurückgekehrt, gab er alles für seine, für unsere Partei. Er arbeitete für seine, für unsere Partei in dem Bewußtsein, damit zugleich seinem, unserem Vaterland zu dienen. Erich Ollenhauer hatte das schwere Erbe zu tragen, das auf seine Schultern kam durch Ferdinand Lassalle, August Bebel, Friedrich Ebert, Otto Wels und Kurt Schumacher. Er trug dieses Erbe mit einer bewundernswerten Kraft der inneren Ruhe. Und mit der ihm eigenen Leidenschaft für das Maß. Ihn trug das Feuer der Liebe zur Freiheit. Unter seiner Führung gewann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das Gesicht, das der Zukunft zugewandt ist.“ 58 03.– Auf dem außerordentlichen SPD-Parteitag in Bad Godesberg (Februar 1964) wird Willy Brandt mit übergroßer Mehrheit zum dritten Nachkriegsvorsitzenden der SPD gewählt. Foto: Greta Wehner umarmt Brandt. 04.– Die Vorgänger ab 1863 (oben von links): Ferdinand Lassalle, August Bebel, Friedrich Ebert, Hugo Haase, Hermann Müller, Otto Wels, Hans Vogel, Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer. F. Lassalle (1825-1864) hatte 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet und war dessen Präsident gewesen. A. Bebel (1840-1913) hatte die SPD seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu seinem Tod faktisch geführt. Seine Nachfolger waren Friedrich Ebert (1871-1925) und Hugo Haase (1863-1919). In der Weimarer Republik wurde die Partei geführt von Hermann Müller (1876-1931) und Otto Wels (1873-1939). Wels und Hans Vogel (18811945) leiteten die Exil-Partei – „mit dem Gesicht nach Deutschland“, wie es einmal ein sozialdemokratischer Journalist ausgedrückt hat. Die Lebensdaten der beiden Nachkriegsvorsitzenden: Schumacher (1895-1952) und Ollenhauer (1901-1963). 05.– In den Bundestagswahlkampf von 1965 zieht Brandt wiederum als Kanzlerkandidat der SPD. Vier Aufnahmen aus dem Wahlkampf. 06.– Brandts Kontrahent: Die Symbolfigur des deutschen „Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard, der seit 1963 Bundeskanzler ist. Linke Schriftsteller und Intellektuelle werden von ihm als Pinscher bezeichnet. Brandt verliert die Wahl, obwohl die SPD einen Stimmenanteil von 3,1% hinzugewinnen kann. Der Wahlausgang ist für Brandt eine tiefe politische und menschliche Enttäuschung, nur langsam kann er sich aus seiner Depression befreien. TAFEL 36 Willy Brandt während der Maikundgebung auf dem Platz der Republik, Berlin, 1.5.1963 59 TAFEL 37 „Ich bin und bleibe Berliner“ 01.– Eine leichte Wirtschaftsdepression in den Vereinigten Staaten (hier: historisches Foto von amerikanischen Arbeitslosen) hat Einfluß auf das Wirtschaftsgeschehen in der Bundesrepublik. Die Arbeitslosenzahlen nehmen zu, Prof. Erhard verliert bei den an ständiges Wirtschaftswachstum gewöhnten Bundesrepublikanern an Popularität. Die FDP verläßt die Regierungskoalition. SPD und CDU/CSU nehmen Koalitionsverhandlungen auf, an deren Ende im Dezember 1966 die Bildung der Großen Koalition steht. 02.– Zwei Aufnahmen von den Koalitionsverhandlungen. In der Öffentlichkeit wird kolportiert, man habe Brandt die Koalitionsentscheidung aufgezwungen. Er sagt dazu in „Begegnungen und Einsichten“ (1976): „Ich habe sie mitgetragen und vor den entsprechenden Parteigremien vertreten. Aber einige meiner besten Freunde – auch außerhalb der Partei – waren entsetzt. Für sie war es ein schwacher Trost, daß ich nicht enthusiastisch war und daß gegenüber der FDP die Formen gewahrt wurden. [...] Nachdem wir uns mit der CDU/CSU über die Regierungsbildung grundsätzlich geeinigt hatten, mußte ich mir über die Art meiner eigenen Mitwirkung schlüssig werden. In den Vorgesprächen, die zunächst zwischen Wehner und Kiesinger, dann unter vier Augen zwischen mir und dem Kanzlerkandidaten der Union geführt wurden, stand mein Vorschlag zur Erwägung, daß ich neben der Vizekanzlerschaft das Forschungsministerium über- 60 nehmen könne. Die Aufgabe, die manche Chance einer Mitformung der Zukunft zu bieten schien, hätte mich gereizt; sie hätte mir überdies für den Parteivorsitz der SPD, der ja auch keine Halbtagsbeschäftigung ist, mehr Zeit gelassen als das Amt des Außenministers. [...] Meine Kollegen freilich bestanden darauf, daß ich dem Kabinett angehören müsse, und zwar als Außenminister und Vizekanzler. [...] Strauß wurde als Regierungsmitglied nur widerwillig akzeptiert. Ich nahm die Bedenken gegen ihn ernst. Freilich kann bei der Bildung von Koalitionen die eine Partei in der Regel die Personalvorschläge der anderen nicht blokkieren. Personelle Freiheit der Partner ist eine stillschweigende Voraussetzung. [...] Im Dezember 1966 schrieb ich in einem Brief an die Mitglieder meiner Partei, ich wisse das Vertrauen all jener zu schätzen, die uns ermuntert hätten, den Versuch der Regierungsbildung unter sozialdemokratischer Führung zu machen. Sie sollten sicher sein: nicht Mangel an Mut habe uns von diesem Versuch abgehalten: ‚Ein kalkuliertes Risiko wäre zu rechtfertigen gewesen, aber ein Abenteuer durften wir weder unserer Partei noch unserem Volk zumuten.‘“ 03.– Willy Brandt und Kurt Georg Kiesinger geben am Abend des 26.11.1966 die Ergebnisse der Verhandlungen bekannt. 04.– Das Kabinett der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD mit Bundespräsident Heinrich Lübke. Neben Bundeskanzler Kiesinger der Außenminister Willy Brandt. Der eigentliche Architekt der Großen Koalition, Herbert Wehner, ist jetzt Bundesminister für Gesamtdeutsche Angelegenheiten, Dezember 1966. TAFEL 37 05.– Abgesehen von Sohn Peter zieht die Familie Brandt von Berlin nach Bonn. „Ich bin und bleibe Berliner“, mit diesen Worten verabschiedet sich Brandt aus dem Schöneberger Rathaus. Hier: eine Berliner Familienaufnahme von 1961. Links: Peter (geb. 1948) und Lars (geb. 1951), Rut Brandt hält den jüngsten Sohn Matthias (geb. 1961) im Arm. 06.– Die Regierungsbeteiligung stellt die SPD vor eine gewisse Zerreißprobe. Manche in der Partei wären lieber mit der FDP zusammengegangen, andere hätten ein Verbleiben in der Opposition vorgezogen. Einige Gesetzesvorhaben der neuen Koalition – so die Notstandsgesetzgebung – stoßen auf erheblichen Widerspruch. An den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze (hier: Bonn, Mai 1968) beteiligen sich viele SPD-Mitglieder und Gewerkschafter. 07.– Brandt ist in der Lage, einige seiner außenpolitischen Vorstellungen (Öffnung nach Osten) behutsam in die Praxis umzusetzen. Der sowjetische Einmarsch in die Tschechoslowakei (hier: Aufnahme aus Prag, August 1968) scheint allerdings den Kalten Kriegern recht zu geben. 08.– Trotz des Einsatzes von US-Truppen in Vietnam können die Kommunisten des Nordens nicht besiegt werden. Die Nachbarländer Vietnams werden in den Krieg hineingezogen. Aufnahme: laotische Flüchtlinge. Willy und Rut Brandt mit den Söhnen Peter, Lars und Mathias, 15.10.1961 61 TAFEL 38 01.– Manuskript(teil) eines Brandt-Interviews mit der „Welt am Sonntag“, Juni 1968. 02.– Die sog. Hallstein-Doktrin wird durchlöchert. Brandt macht Peter Blachstein (früher SAP, jetzt SPD; auf dem Foto zweiter von rechts) zum Botschafter der Bundesrepublik in Belgrad. Die Beziehungen zwischen der BRD und Jugoslawien waren abgebrochen worden, als Belgrad 1957 die DDR anerkannt hatte. 03.– Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit Kiesinger und Brandt in Paris, 1968. 04.– Nürnberger SPD-Parteitag, März 1968: Vor dem Eingang haben sich Gegner der Großen Koalition versammelt. Willy Brandt bahnt sich einen Weg durch die erregte Menge. 05.– Die Opposition innerhalb der Partei wendet sich scharf „gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam“. Aufnahme von 1968: Zweiter von links Harry Ristock, der prominente linke Berliner Sozialdemokrat. 62 06.– Die linke Studentenbewegung und die außerparlamentarische Opposition, von einigen Medien verständnislos mit Schmähungen überzogen, erhält enormen Zulauf. Rudi Dutschke, einer der APO-Führer, wird zur Haßfigur des rechten und konservativen Lagers. Aufnahme links: Rudi Dutschke in einer Diskussion mit Johannes Rau, dem sozialdemokratischen Vorsitzenden der Landtagsfraktion von NRW. Rechts: Dutschke in der Bremer Stadthalle. 07.– Zwei Bilder von den Demonstrationen anläßlich des Attentats auf Rudi Dutschke, Ostern 1968. 08.– Autoritäten der Antiautoritären: Martin Niemöller (Zweiter von links). 09.– Ernst Bloch. 10.– Der Außenminister spricht im Bundestag, 1967. 11.– Der Republikaner Richard M. Nixon wird Anfang 1968 US-Präsident. Aufnahme: Nixon im Februar 1969 in Westberlin. Der Regierende Bürgermeister Schütz erläutert die Lage an der Mauer. 12.– Leonid Breschnew, der sowjetische KP-Chef, besucht Ostberlin zum 20. Jahrestag der DDR. TAFEL 39 Der sozialdemokratische Bundeskanzler 01.– Ein Stück „Machtwechsel“ (Heinemann) bahnt sich an. In einer Halle des Messegeländes am Berliner Funkturm wartet man auf das Ergebnis der Wahlen zum Bundespräsidenten. Zwei Aufnahmen vom März 1969. 02.– Der neue Bundespräsident Gustav Heinemann (hier mit seiner Frau Hilda) ist Sozialdemokrat. Bei seiner Kandidatur findet er die Unterstützung der Freien Demokraten. Der „Vorwärts“ (Nr. 11, 1969) ortet nach der Wahl Heinemanns „schrille Unsicherheit“ in der CDU/ CSU und schreibt: „Die Unionspolitiker würden gut daran tun, nicht auf die ‚Anti-Koalition‘ (wie einer ihrer Freunde es nannte) der Ostpreußenhalle zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wahr ist freilich dieses: Heute ist keine rechnerisch mögliche Koalition zwischen demokratischen Parteien politisch unmöglich. Wahr ist auch dieses: Die Freien Demokraten haben sich in einem neuen Lichte gezeigt – und dies hat jedermann, einschließlich der Sozialdemokraten, wahr-genommen.“ 03.– Heinemann als Bundesinnenminister im Kabinett Adenauer (Bildausschnitt), 1949. Der Mitgründer der CDU verließ 1950 wegen der geplanten Wiederbewaffnung die Bundesregierung. Heinemann zu Adenauer: „Das mache ich nicht mit.“ 1952 war er aus der CDU ausgetreten und hatte sich fünf Jahre später der SPD angeschlossen. 04.– Im Bundestagswahlkampf 1969 findet Willy Brandt die Unterstützung einer „Sozialdemokratischen Wählerinitiative“ (SWI), in der viele bekannte Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Sportler u.a. mitarbeiten. Alle sehen in Brandt den 05.– 06.– 07.– 08.– 09.– 10.– Mann, der die von ihnen beklagte politische Verkrustung der Bundesrepublik aufbrechen kann. Brandts „Erinnerungen“: „Besonders gern denke ich daran, wie sich das geistige Deutschland für das dreifache Bemühen um Friedenssicherung, lebendige Demokratie und gesellschaftliche Erneuerung engagierte. Eine besondere Rolle spielte – an der Spitze einer beträchtlichen Zahl von Schriftstellern und bildenden Künstlern – Günter Grass. Er hatte mich schon im Wahlkampf 1961 zu einer Reihe von Veranstaltungen begleitet. Später begründete er eigene Wählerinitiativen und brachte vermutlich auch Stimmen, jedenfalls aber Farbe ins politische Geschäft. Städtebauer, Theaterleute, Naturwissenschaftler, Pädagogen stellten ihren Rat zur Verfügung und meldeten sich öffentlich zu Wort. Grass selbst, Heinrich Böll, Walter Jens, Max Frisch sprachen auf Parteitagen. [...] Von Grass stammt das Bild, daß die Schnecke den Fortschritt symbolisiere. Das konnte niemand von den Stühlen reißen und war doch eine sehr willkommene reformistische Wegbegleitung.“ Brandt im Wahlkampf, Koblenz August 1969. SPD-Plakat von 1969. Brandt im Kreis der Münchner SWI. Von links: Sigi Sommer, Irene Koss-Drechsel und Erich Kästner. Brandt im Gespräch mit Dieter Gütt und Anneliese Friedmann. In der Bonner SPD-“Baracke“, im Zimmer Willy Brandts, werden am späten Abend des 28.9.1969 die Wahlergebnisse beraten. Auf dem Foto: Carlo Schmid, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Hans-Jürgen Wischnewski, Alex Möller, Alfred Nau, Heinz Kühn und Willy Brandt. Brandt gibt vor der Presse bekannt, daß die SPD eine Koalition mit der FDP eingehen will. 63 TAFEL 40 01.– „Mein Gott, was soll aus Deutschland werden...“, läßt der Karikaturist Fritz Behrendt Konrad Adenauer mit Blick auf den neuen Bundeskanzler aus dem Himmel fragen. 02.– Willy Brandt wird als Bundeskanzler vereidigt, Oktober 1969. 03.– Das Brandt-Scheel-Kabinett beim Bundespräsidenten zum obligaten Treppenfoto. 04.– Regierungserklärung des Bundeskanzlers, Bonn 28.10.1969. Sie steht unter dem Motto „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Brandt beendet seine Regierungserklärung mit folgenden Worten: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen.“ Die CDU/CSU-Opposition hatte die Rede Brandts ständig durch Zurufe und Proteste unterbrochen. Am Schluß vermerkt das Bundestagsprotokoll: „Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. – Abg. Dr. Barzel: Das ist ein starkes Stück, Herr Bundeskanzler! Ein starkes Stück! Unglaublich! Unerhört!“ Vorher hatte es in der Brandtschen Regierungserklärung geheißen: „Wir sind entschlossen, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und den Zusammenhalt der deutschen Nation zu wahren, den Frieden zu erhalten und an einer europäischen Friedensordnung mitzuarbeiten, die Freiheitsrechte und den Wohlstand unseres Volkes zu erweitern und unser Land so zu entwickeln, daß sein Rang in der Welt von morgen anerkannt und gesichert sein wird.“ 05.– Bundeskanzler Willy Brandt als Ehrengast bei einer Veranstaltung im Berliner Olympiastadion mit großer Begeisterung begrüßt, September 1970. 64 06.– Das Treffen von Erfurt: 19. März 1970. Vier Aufnahmen. Brandt erinnert sich an diesen „emotionsgeladenen“ Tag: „Die Anerkennung der Tatsache, daß die DDR einen zweiten Staat auf deutschem Boden darstellte, und die Bereitschaft, über die Regelung praktischer Fragen zu verhandeln, gehörten zusammen.“ Der Bundeskanzler schlägt Willi Stoph, dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrats, Verhandlungen über Gewaltverzicht und Regelung praktischer Fragen vor. Der Meinungsaustausch soll auch gleichberechtigte Beziehungen zum Gegenstand haben. Brandt zu der Erfurter Begegnung mit dem DDR-Politiker: „Willi Stoph erwartete mich am Bahnhof, von dem wir zum Hotel ‚Erfurter Hof‘ hinübergingen. Es hatte sich jene große Menge eingefunden, die ihrer Freude durch Zurufe Ausdruck gab. Als ich mich zurückgezogen hatte, tönte es in Sprechchören: ‚Willy Brandt ans Fenster!‘ Dem folgte ich nicht gleich, dann aber doch, um mit der Gestik der Hände um Zurückhaltung zu bitten. Ich war bewegt und ahnte, daß es ein Volk mit mir war. Wie stark mußte das Gefühl der Zusammengehörigkeit sein, das sich auf diese Weise entlud! Aber es drängte sich auch die Frage auf, ob hier nicht Hoffnungen aufbrachen, die nicht – so rasch nicht – zu erfüllen waren.“ 07.– Mai 1970: zwei Fotos vom SPD-Parteitag in Saarbrücken. Links: Brandt mit (v.l.) Helmut Schmidt, Alfred Nau, Hans-Jürgen Wischnewski, der SPDBundesgeschäftsführer, Carlo Schmid, Annemarie Renger und Lauritz Lauritzen. Rechts: Der Parteivorsitzende gibt in Saarbrücken ein Interview. TAFEL 40 Willy Brandt beim Besuch der Grube Göttelborn im Saarland, 30.11.1960 65 TAFEL 41 Der Kniefall 01.– Am 21.5.1970 trifft sich Willy Brandt mit Willi Stoph in Kassel, um den Erfurter Meinungsaustausch fortzusetzen. Drei Aufnahmen: Die Verhandlungsdelegationen. * Krawalle in der Stadt. *Der Staatssekretär Conrad Ahlers vor der Presse über die Ergebnisse von Kassel. 02.– Der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß 1970 im Bundestag. Die Opposition läuft Sturm gegen die Ostpolitik Brandts und der SPD/FDP. Sie sieht das „Abendland“ in Gefahr. 03.– Im Juni 1970 beschließt der Bundestag, das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herabzusetzen. 04.– Brandt unterzeichnet in Moskau den deutschsowjetischen Vertrag über Gewaltverzicht und Zusammenarbeit. Ein historischer Moment. Moskau, 12. August 1970. 05.– Unterzeichnung des Warschauer Vertrages über die Grundlagen der Normalisierung der deutschpolnischen Beziehungen, Dezember 1970. 06.– Der Bundeskanzler auf dem Weg zum Mahnmal im früheren Warschauer Ghetto, 7.12.1970. * Willy Brandt kniet vor den Opfern des nationalsozialistischen Terrors. Ein Journalist schreibt: „Dann kniet er, der das nicht nötig hat, für alle, die es nötig haben, aber nicht knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können.“ 66 Willy Brandt 20 Jahre später zu seinem Besuch in Polen: „Es war eine ungewöhnliche Last, die ich auf meinen Weg nach Warschau mitnahm. Nirgends hatte das Volk, hatten die Menschen so gelitten wie in Polen. Die maschinelle Vernichtung der polnischen Judenheit stellte eine Steigerung der Mordlust dar, die niemand für möglich gehalten hatte. Wer nennt die Juden, auch aus anderen Teilen Europas, die allein in Auschwitz vernichtet worden sind? Auf dem Weg nach Warschau lag die Erinnerung an sechs Millionen Todesopfer. Lag die Erinnerung an den Todeskampf des Warschauer Ghettos, den ich von meiner Stockholmer Warte verfolgt hatte und von dem die gegen Hitler kriegführenden Regierungen kaum mehr Notiz nahmen als vom heroischen Aufstand der polnischen Hauptstadt einige Monate danach. [...] Ich hatte nichts geplant, aber Schloß Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen. Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ TAFEL 42 Augenmaß für Reformen 01.– Willy Brandt unter „aufmüpfigen“ Jungsozialisten in Bremen, Juso-Kongreß Dezember 1970. *Wolfgang Roth mit Beatriz Allende, späteres Foto. Die Aussagen der Jusos zum Charakter der Bundesrepublik und der SPD stehen zur Diskussion. Auf dem Bremer Bundeskongreß weist Brandt die Jungsozialisten darauf hin, daß das Tempo der Reformen entscheidend von den wirtschaftlichen Ressourcen abhänge, die freigemacht werden können. „Wenn wir nicht für wirtschaftliche Stabilität und für finanzpolitische Solidarität sorgen, dann wird man uns nicht folgen. Wir gehen schrittweise vor, weil die Komplexität und Vielfalt unserer Gesellschaft uns keine andere Möglichkeit läßt. Wer heute die Gesellschaft verändern will, der muß an einzelnen Mißständen ansetzen, diese beseitigen und Neues schaffen. Und zwar Neues, das besser ist.“ Die Jungsozialisten sollten dabei helfen, realistische Reformvorschläge zu entwickeln. Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Willy Brandt: Parteitag der SPD in Bad Godesberg, 18.12.1971 67 TAFEL 42 02.– Brandt übergibt dem Präsidenten des Deutschen Bundestages die „Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1971“. *Übersichtskarte aus den „Materialien“. *Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke (SPD). Brandt läßt seine Berichte zur Lage der Nation (u.a. Vergleiche BRD/DDR) mit wissenschaftlicher Sorgfalt erarbeiten. Trotz verbesserter Beziehungen zur DDR wird das Ziel der Wiedervereinigung nicht aus den Augen verloren. 03.– Die Bauern protestieren 1971 wie zu Adenauers und Erhards Zeiten gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Hier: Foto von einem Bauernprotest in Hamburg, 1963. 04.– Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt bei Bundeswehrsoldaten. Im September 1971 wird der Grundwehrdienst von 18 auf 15 Monate verkürzt. 05.– November 1971: Der Bundestag billigt gegen fast alle Stimmen der Opposition das neue Betriebsverfassungsgesetz. Ausrisse aus „Metall“, der Zeitung der IG Metall. *Olaf Radke (SPD), der Arbeitsrechtler aus Hessen. Willy Brandt selbst bezeichnet die Aussage, er habe sich mehr für Außenpolitik als für Innenpolitik interessiert, als „eines der kaum auszurottenden Klischees jener Jahre“. Er habe als Kanzler den größten Teil seiner Zeit für innenpolitische Fragen aufgewendet. 68 06.– Ostberlin und Bonn schließen im Dezember 1971 ein Abkommen über den Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin. Bild hier: Egon Bahr (BRD) und Michael Kohl (DDR) bei der Paraphierung eines Verkehrsvertrages im Mai 1972. In einer Entschließung des SPD-Parteirats und -Vorstandes heißt es Anfang 1971: „Freiheitliche Demokratie auf der einen, kommunistische Parteidiktatur auf der anderen Seite. Keine Friedenspolitik, keine außenpolitische Annäherung kann diesen Gegensatz der Systeme beseitigen, keine darf ihn übersehen: Der Friede, den wie erstreben, soll nicht nur allein das Leben schützen, er muß unserem Volk das Recht sichern, die Formen seines politischen und gesellschaftlichen Lebens auch weiterhin in Freiheit selbst zu bestimmen.“ [...] „Die Entwicklung innerhalb der kommunistischen Parteien hat zwar zu neuen Konflikten unter den kommunistischen Parteien einzelner Länder geführt, aber ungeachtet aller unterschiedlichen Entwicklungen ist ein Faktor unverändert geblieben: die Intoleranz der kommunistischen Parteien gegenüber jenen, die nicht einer Meinung mit ihnen sind, und der Anspruch darauf, daß ihre eigene totalitäre Ideologie die einzig gültige Sozialphilosophie sei. Wir leben in einer Welt, die wir mit den Kommunisten teilen müssen. Weil wir in Freiheit leben wollen, werden wir verhindern, daß uns die kommunistische Ideologie aufgezwungen wird.“ TAFEL 43 Friedensnobelpreis 01.– Im Oktober 1971 wird während einer Sitzung des Bundestages bekanntgegeben, daß Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhält. Aufnahmen: Der Beifall im Bundestag *„Standing ovations“ * Oppositionsführer Barzel gratuliert. 2.-4. Die deutschen Vorgänger. 02.– Der Historiker und Politiker Ludwig Quidde (auf dem Foto rechts). Als Emigrant 1940 von den Nazis ausgebürgert (s. Liste). 03.– Der deutsche Außenminister Gustav Stresemann. Hier vor dem Völkerbund in Genf. 04.– Der Journalist und Schriftsteller Carl von Ossietzky. Exponate: Von Ossietzky (X) vor dem Gefängnis in Berlin-Tegel, 1932. Schon in der Weimarer Republik war er wegen „Landesverrats“ zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. *Titelkopf der Zeitschrift „Die Weltbühne“, deren Chefredakteur er war. *Carl von Ossietzky (X) mit KZ-Mithäftlingen. Nach dem Reichstagsbrand 1933 war er von den Nationalsozialisten in ein KZ verbracht worden. Den Friedensnobelpreis kann er nicht selbst entgegennehmen. Hitler verbietet 1936 „jedem Deutschen für alle Zeiten“ die Annahme des Preises. Willy Brandt zu diesem deutschen Friedensnobelpreisträger: „Ich habe den Hamburger Carl von Ossietzky nicht persönlich gekannt, doch war mir, dem jungen Lübecker Linkssozialisten, die ‚Weltbühne‘ ein Begriff. Die wurde von vielen Sozialdemokraten für ‚zu negativ‘ gehalten, aber gewiß hat die Geschichte deren Kampf gegen den Militarismus und seine konspirativen Unternehmungen gerechtfertigt. Kaum eine andere Zeitung war bereit, die Skandale um die (illegale) Schwarze Reichswehr, den Schutz der Fememör- der, die getarnten Geheimrüstungen, auch die verdeckte Zusammenarbeit mit der sowjetischen Armee mit solcher Unerschrockenheit aufzudecken. Die ‚Weltbühne‘ kostete fünfzig Pfennig – das war viel Geld für einen Arbeiterschüler. Ich las sie mit Freunden in einer linken Kaffeestube (wo man für fünfzehn Pfennig eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen bekam).“ 05.– Die Urkunde von Oslo. 06.– Brandt nimmt den Friedensnobelpreis in Oslo im Dezember 1971 entgegen. Die Vorsitzende des Komitees zur Verleihung des Friedensnobelpreises Aase Lionäs begründet im Oktober 1971 den Nobelpreis für Brandt u.a. so: „In der ganzen Nachkriegszeit stellte das politisch ungelöste Deutschlandproblem eine latente Gefahr für den Frieden dar. Viele gute Kräfte haben sich in diesen Jahren eingesetzt in dem Versuch, Entspannung in dieses gefährliche, internationale Spannungsfeld zu bringen. Das Nobelkomitee des Norwegischen Storting hat heute den Friedensnobelpreis für 1971 Bundeskanzler Willy Brandt zuerkannt. Das Nobelkomitee hat durch diese Wahl die Zweckbestimmung in Alfred Nobels Testament zu verwirklichen gesucht. Bundeskanzler Willy Brandt hat als Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen den alten Feindländern ausgestreckt. Er hat im Geiste des guten Willens einen hervorragenden Einsatz geleistet, um Voraussetzungen für den Frieden in Europa zu schaffen.“ 07.– Die Dankesrede. Im Norwegischen Fernsehen (8.12.1971) antwortet Brandt auf die Frage, ob der Nobelpreis seine politische Position in der Bundesrepublik 69 TAFEL 43 gestärkt habe: „Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist er eine starke Ermutigung, und viele haben - das weiß ich nicht nur aus Gesprächen, sondern auch aus Briefen, die ich erhalten habe – es so gefühlt, daß dies eine Ermutigung nicht nur für den jetzigen Bundeskanzler, sondern auch für andere war, die daran mitgearbeitet haben, einen gemeinsamen Nenner für deutsche Politik und Friedenspolitik zu finden; doch möchte ich das ungern zu einer Frage machen, die mit unserer inneren Diskussion zwischen Regierung und Opposition zu tun hat.“ Die Historikerin Barbara Marshall (Willy Brandt. Eine politische Biographie, 1993): „Innenpolitisch wurde Brandts Stellung nun beinahe unangreifbar. Die politische Szene veränderte sich gleichsam über Nacht. Hatte sich nach einer Zeit der außenpolitischen Stagnation die Atmosphä- 70 re bereits nach dem Abschluß des Berliner VierMächte-Abkommens im September 1971 verbessert, so hielten jetzt nach der ‚Absegnung‘ durch den Nobel-Preis in einer Blitzumfrage 67 Prozent der Bundesbürger die Ostpolitik der Regierung für richtig. 55 Prozent meinten, daß sich damit die Wahlchancen Brandts erhöht hätten. Dies mag auch das Verhalten der Opposition erklären, die sich nach Bekanntgabe der Ehrung Brandts im Bundestag – im Gegensatz zur jubelnden Menge der Koalitionsabgeordneten – noch nicht einmal von ihren Sitzen erheben mochte – mit Ausnahme von Adenauers Pressesprecher von Eckardt und des Bayern Höcherl, der später auch privat an Brandts Feier teilnahm. Dagegen ehrte die Öffentlichkeit Brandt mit einem Fackelzug vor seinem Haus am Bonner Venusberg.“ TAFEL 44 Das Mißtrauensvotum 01.– Im Januar 1972 verabschieden die Regierungschefs der Länder, unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt, Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremistischen Organisationen. Dieser sog. Radikalenerlaß wird in den Ländern und im Bund unterschiedlich gehandhabt. Brandt räumt später ein, die Umsetzung des Erlasses sei manchmal ein „Stück absurdes Theater“ gewesen. Postkarte von K. Staeck zu den „Berufsverboten“. 02.– Die Militanz, mit der die SED und andere kommunistische Parteien auftreten, trägt nicht gerade dazu bei, die Furcht vor den Kommunisten in der Bundesrepublik abzuschwächen. Foto: FDJ’ler in der DDR. 03.– Fahndung nach Mitgliedern der Baader-Meinhoff-Gruppe, 1972. Die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) versucht, die Grundlagen der Bundesrepublik zu erschüttern. Schon Ende der 60er Jahre begibt sich der größte Teil der APO auf den „Marsch durch die Institutionen“. Brandt 1972 in einem bis heute unveröffentlichten Interview: „Was die jungen Leute angeht, so bin ich davon überzeugt, daß wir es dort, von ganz wenigen Erscheinungen abgesehen, mit überhaupt nichts spezifisch Deutschem zu tun haben. Sondern mit etwas, was überall in zumal modernen Industriestaaten bei den Intellektuellen stattfindet. [...] Ich glaube, daß das für viele außerdem nur ein Umweg ist, hin zum Apolitischen, daß manche derer, die bei ‚Spartakus‘ sind, in wenigen Jahren schön unpolitische Staatsanwälte, Rechtsanwälte und was weiß ich sein werden.“ Eine zahlenmäßig kleine Organi- sation – die RAF – will allerdings direkte Gewalt anwenden und durch Terroranschläge die Bevölkerung davon überzeugen, daß sie in einem kapitalistischen und faschistischen Unterdrückerstaat lebt. Der Staat soll zu Überreaktionen provoziert werden. 04.– Die sozialliberale Koalition kann sich von Anfang an nur auf eine knappe Mehrheit stützen, die dazu noch im Laufe der Legislaturperiode zusammenschmilzt. Im April 1972 wagt die Bundestagsopposition den Generalangriff: Brandt soll gestürzt und Rainer Barzel (CDU) Bundeskanzler werden. Fotos: Außenminister Walter Scheel (FDP) verteidigt die Regierungspolitik im Bundestag. *Noch vor Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses erheben sich die Abgeordneten der Regierungsparteien von ihren Sitzen. Die Opposition ist überrascht. * Das Mißtrauensvotum der CDU/ CSU am 27.4.1972 ist gescheitert. Jubelnde SPDAbgeordnete umringen ihren Kanzler. *Der Verlierer gratuliert Willy Brandt. Vor der Abstimmung hatte Brandt im Bundestag erklärt, der Beschluß der CDU/CSU-Fraktion, die Regierung stürzen zu wollen, entspräche einer Möglichkeit, die das Grundgesetz bietet, und „ist sowohl machtpolitisch als auch psychologisch nicht schwer zu verstehen. Wenn Sie mir zum letzteren ein Urteil erlauben: dies ist der Versuch einer Flucht nach vorn, heraus aus der Unverantwortlichkeit eines sterilen Nein zu Schicksalsfragen unseres Volkes, aber mit dem Risiko des Hinein in eine Verantwortung, deren Bitterkeit Sie spüren würden. Denn Dr. Barzel und seine Freunde würden in diese Verantwortung ja nur gelangen, wenn ihnen das Ja von ein paar Mitgliedern dieses Hohen Hauses zufallen sollte, von denen man würde sagen können, sie hätten 71 TAFEL 44 ihre Gewissenhaftigkeit bis zur Unkenntlichkeit strapaziert.“ Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt am Tag nach der Abstimmung: Der Versuch von Strauß und Barzel, mit Hilfe einiger Abgeordneter, denen plötzlich das Gewissen schlägt, die Regierung Brandt/Scheel zu stürzen, ist mißlungen. Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann hat sie hier gewirkt und verhindert, daß in diesem Land wieder einmal politische Borniertheit den Ton angibt. [...] Am wenigsten aber hat die Opposition in der Ostpolitik der Regierung entgegenzusetzen. CDU/CSU-Sprecher behaupten zum tausendsten Male, daß die Verträge den Frieden nicht sicherer machten und die Interessen des deutschen Volkes nicht förderten. Fast zur gleichen Stunde endeten in Ost-Berlin erfolgreich die Verhandlungen über einen Verkehrsvertrag. Jetzt werden zum ersten Male auch Bundesbürger in die DDR reisen können, die keine Verwandten drüben haben, jetzt dürfen auch jüngere DDRBürger in dringenden Fällen in die Bundesrepublik kommen. Das ist alles noch unbefriedigend und recht mühsam; aber nach zwanzig Jahren Gerede geschieht jetzt endlich etwas, und vergleicht man den Fortschritt mit der Ausgangslage, eine ganze Menge. Eine Regierung Barzel hätte das alles leichtfertigt aufs Spiel gesetzt, alle Warnungen in den Wind geschlagen, wie das an- 72 dere CDU-Regierungen schon in den fünfziger Jahren taten, und hätten in gewohnt arroganter Manier von der Sowjetunion verlangt, daß sie gefälligst weiter in Entspannung zu machen habe, weil sie ja müsse: ‚wirkliche Entspannung‘, wie der Chefaußenpolitiker der CDU, Schröder, das nennt. Es ist beruhigend, zu wissen, daß er nicht schon von heute an mit dieser Seifenblase jonglieren muß. Bundeskanzler Brandt ist nach der Niederlage Barzels von seinen Freunden gefeiert worden. Wir teilen diese Freude. Es wäre schrecklich gewesen, wenn dieser Mann, der Deutschland endgültig mit der ganzen Welt versöhnt und dem deutschen Volk seinen guten Namen wiederbeschafft, hätte abtreten müssen, bevor er mit seiner Arbeit zu Ende gekommen wäre.“ 05.– Brandt spricht vor fast 100.000 Menschen in Dortmund, Mai 1972. 06.– Bundespräsident Gustav Heinemann (Foto) löst nach Absprache mit den Parteien den Bundestag auf. Es kommt im November 1972 zu Neuwahlen. Obwohl das Mißtrauensvotum der CDU/CSU gescheitert war, hatte sich in der Zeit danach ein „parlamentarisches Patt (aber keine Staatskrise)“ (SPD-Jahrbuch 1970-1972) ergeben. Der Bundeskanzler hatte der Opposition Neuwahlen vorgeschlagen. TAFEL 45 Ein Wahlsieg mit Rekordzahlen 1.+2. SPD-Wahlkampf für Willy Brandt. 03.– Flugblatt 1972. Der Wahlkampf wird von der CDU/CSU mit einer Schärfe geführt, wie sie die Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte. Dubiose Organisationen und frisch geschaffene „Arbeitskreise“ machen die Schmutzarbeit für die Opposition. Die allgemeine Stimmung ist dennoch für Brandt. 04.– Ältere Mitbürgerin. 05.– Willy Brandt im Ruhrgebiet. 06.– Begeisterung für den Kanzler. 07.– Zuhörer in Ludwigshafen. 08.– Der strahlende Sieger mit seiner Ehefrau am späten Abend des 19. November 1972. Die Politik der von Brandt geführten sozialliberalen Koalition war von den Wählern eindeutig bestätigt worden. Einige Fakten des Wahltags: Über 90% Wahlbeteiligung (Rekord), 45,8% für die SPD (Rekord), 60% der Jungwähler für die SPD (Rekord). Selbst die FDP kann ihren Stimmenanteil auf 8,4% steigern, weil viele SPD-Wähler ihre Zweitstimme dem Koalitionspartner gegeben haben. 09.– Willy Brandt dankt den Mitarbeitern des Parteivorstandes für ihren Einsatz im Wahlkampf 1972. Ganz rechts der SPD-Bundesgeschäftsführer H. Börner. Willy Brandt über den Bundesgeschäftsführer: „Mein Freund Holger Börner hatte aus dem Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt: Außerordentlicher Parteitag der SPD in Dortmund, 12.10.1972 Stand eine wirkliche Kampagne organisiert. Wir hatten großartige Kundgebungen.“ Der SPD-Wahlkampf war ganz auf Willy Brandt zugeschnitten gewesen. In der Kampagne konnte glaubhaft gemacht werden, daß die sozialliberale Koalition mit ihrer Ostpoltik die Bundesrepublik international aufgewertet hat. Ein Journalist muß später gestehen: „Es war zugleich eine Versöhnung der Sozialdemokratie – aber auch des ‚anderen Deutschen‘ Willy Brandt – mit den konservativen Werten Nation, Heimat, Vaterland.“ 73 TAFEL 46 Weltkaleidoskop 1969-1970 Willy Brandt vor der „Foreign Press Association“ am 3.3.1970 in London: „Wie Sie wissen, bemühen wir uns, auch nach Osten Gräben zwischen den Staaten zuzuschütten. Ich fasse das als einen wichtigen Dienst auf, den wir Europa leisten können. Was an uns liegt, wird geschehen, damit Deutschland von keiner Seite als ein Störenfried bezeichnet werden kann. Die deutsche Außenpolitik ist konsequenter, unbefangener, wenn Sie so wollen, in ihrer Friedenspolitik und Entspannungspolitik geworden.“ ➞ Der erste Mensch betritt den Mond. ➞ Der führende Mann des Prager Frühlings Ale- ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ 74 xander Dubcek wird aus dem Präsidium der tschechoslowakischen KP ausgeschlossen. Ho Chi Minh stirbt. Das Bundeskabinett unter Willy Brandt beschließt die Unterzeichnung des Kernwaffensperrvertrages. Die Chinesen zünden eine Atombombe. Der Biafrakrieg wird beendet. Willy Brandt in Tunesien. Historische Erinnerung: Die Deutschen in Nordafrika während des II. Weltkrieges. Willy Brandt mit seinem politischen Vertrauten Egon Bahr. Regelmäßige Konsultationen mit Frankreich. Brandt-Besuch in Großbritannien. Schweres Erdbeben in Peru. Olof Palme in Bonn. Die Beatles (Plattencover) trennen sich. Brasilien wird Fußballweltmeister. Papst Paul VI. empfängt den Bundeskanzler im Vatikan. Tito in der Bundesrepublik. TAFEL 47 Weltkaleidoskop 1970-1971 ➞ In Griechenland herrscht der Diktator und Juntachef Oberst Papadopoulos. ➞ Historische Erinnerung: Athen vor dem Ein- Willy Brandt zum belgischen Königspaar am 29.4.1971 im Bundeskanzleramt: „Parallel zur Fortentwicklung der westlichen Zusammenarbeit stellt sich die große Aufgabe, einer gesamteuropäischen Friedensordnung durch eine konsequente Politik der Verständigung und des Ausgleichs näher zu kommen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben bewiesen, daß wir dazu unseren Beitrag zu leisten bemüht sind. Dabei ist uns bewußt, daß auch die Fragen, denen wir als geteilte Nation gegenüberstehen, nur im Rahmen einer europäischen Friedensordnung gelöst werden können. Belgien – als Schrittmacher einer Politik der guten Nachbarschaft in Europa – ist dafür zu danken, daß es uns in unseren Bemühungen ermutigt und stets unterstützt hat.“ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ fall der Deutschen im II. Weltkrieg in Griechenland. Kenneth Kaunda in der Bundeshauptstadt. Salvador Allende, der neue Präsident von Chile. Assad durch Putsch Staatschef von Syrien. Unruhen in Polen. Staatsbesuch aus Italien in der BeethovenStadt: Ministerpräsident Emilio Colombo und Außenminister Aldo Moro. Bei seiner Deutschlandreise interessiert sich das belgische Königspaar auch für das neue Radioteleskop Effelsberg. Massendemonstration in Washington gegen den Vietnamkrieg. Walter Ulbricht tritt zurück. US-Präsident Nixon, Außenminister Rogers und der Bundeskanzler in Washington. In der UNO ist die Bundesrepublik noch nicht vertreten. Bürgerkriegsähnliche Unruhen in Nordirland. 75 TAFEL 48 Weltkaleidoskop 1971-1973 Willy Brandt zum Jahreswechsel 1971/1972 über alle Rundfunk- und Fernsehanstalten: „Präsident Nixon und ich haben in den letzten Tagen erneut bekräftigt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika ist, aber auch, daß die Bemühungen um ein besseres Verhältnis zu den Staaten und den Völkern des Ostens, nicht zuletzt der Sowjetunion, verstärkt werden sollen. Diese Anstrengungen haben den Frieden sicherer gemacht und werden dies auch im kommenden Jahr tun.“ ➞ Breschnew und Brandt auf der Krim. ➞ Historische Erinnerung: Russische Zwangsar- ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ 76 beit unter den Augen der deutschen Besatzer im II. Weltkrieg. Kardinal Mindszenty darf Ungarn verlassen. Staatsgast Indira Gandhi mit Willy Brandt im Schloßgarten von Gymnich. Krieg zwischen Indien und Pakistan. Richard Nixon trifft Mao tse Tung. Der Bundeskanzler und der Schah in Teheran. Historische Erinnerungen: Nach der Verstaatlichung der Anglo-Iranischen Ölgesellschaft war das Schicksal Mossadeghs und seiner Regierung besiegelt. Brandt auf der NATO-Ministerratstagung am Rhein. Bobby Fisher wird gegen Boris Spasskij Schachweltmeister. Der Terroranschlag gegen die israelische Olympiamannschaft in München erschüttert die Welt. Die Europäische Gemeinschaft der Sechs wird um Großbritannien, Irland und Dänemark vergrößert. Harry S. Truman stirbt. Historische Erinnerung: Churchill, Truman und Stalin während der Potsdamer Konferenz, 1945. Das von den USA und Nordvietnam in Paris unterzeichnete Abkommen sieht den Abzug der amerikanischen Soldaten aus Vietnam vor. Willy Brandt und Tito in Belgrad. TAFEL 49 Weltkaleidoskop 1973-1974 ➞ Willy Brandt als erster deutscher Regierungs➞ Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag am 26.1.1973 zum Schluß der Aussprache über seine Regierungserklärung: „Gegen die bequeme Neigung zu Lebenslügen setzen wir unseren Willen zur Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit. [...] Unser Volk will ehrlich vor sich selbst und vor der Welt sein. Nur so wird es die Schatten der Vergangenheit überwinden und in der Gegenwart bestehen und eine friedliche Zukunft gewinnen. Dafür werden wir, das kann ich hier versprechen, ehrlich arbeiten auf so breiter Basis wie jeweils möglich und werden laufend Rechenschaft geben, damit unser Volk mitverfolgen kann, wie wir unser Programm auch diesmal Schritt für Schritt verwirklichen.“ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ ➞ chef in Israel. Historische Erinnerung: Der jüdische Aufstand in Warschau wurde von deutscher SS brutal niedergeschlagen. BRD-Außenminister Scheel und DDR-Außenminister Otto Winzer auf der KSZE-Konferenz in Helsinki. Ein politischer Freund bei Willy Brandt: der niederländische Ministerpräsident Joop den Uyl. Unterredung mit dem äthiopischen Kaiser Haile Selassie. Putsch der Generäle gegen Allende; der chilenische Präsident wird ermordet. Carl XVI. Gustaf von Schweden wird König. Brandt und Edward Heath in Chequers. Im Jom-Kippur-Krieg erleiden die Angreifer eine verlustreiche Niederlage. Die Ölproduktion in den arabischen Ländern wird gedrosselt. Unterzeichnung des Vertrages über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der CSSR und der BRD. Historische Erinnerung: Deutscher Einmarsch in Prag. Vereinbarung über die Errichtung Ständiger Vertretungen von DDR und BRD in Bonn und Ostberlin. Die Revolution der Nelken in Portugal. 77 TAFEL 50 SPD und andere 01.– Bundespräsident Gustav Heinemann empfängt die neue Brandt/Scheel-Regierung, Dezember 1972. Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 1973: „Die Menschen und die Regierenden in den beiden deutschen Staaten haben den Umgang miteinander zu erfahren und zu lernen. Schwierigkeiten und Reibungen werden uns nicht erspart bleiben. Wir wollen einen Zustand erreichen, in dem nicht mehr geschossen wird.“ Und: „Die Qualität des Lebens ist zu einem zentralen Begriff unserer politischen Arbeit geworden. Sie heißt für uns: Freiheit, auch Freiheit von Angst und Not, Sicherheit auch durch menschliche Solidarität.“ Und: „Wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken, mitentscheiden und mitverantworten. Wir wollen Bürger, nicht den Bourgeois.“ 02.– Der SPD-Parteitag in Hannover, April 1973, steht unter dem Motto „Ausbau der sozialen Demokratie in unserem Staat“. An das bisher beste Wahlergebnis in der Geschichte der SPD knüpfen sich bei einigen geradezu chiliastische Hoffnungen. Der Parteivorsitzende und Bundeskanzler fordert Augenmaß bei der Verwirklichung sozialdemokratischer Ziele. Die lange Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie habe bewiesen, daß eine Politik der schrittweisen Reformen zu Erfolgen führt. Er lehnt aber entschieden ab, „Sozialdemokraten und Sozialisten“ auseinander zu dividieren. Demokratischer Sozialismus sei die niemals abgeschlossene Aufgabe, Ungerechtigkeiten der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung abzubauen und zu überwinden und persönliche und politische Freiheits78 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– 08.– 09.– rechte des einzelnen soziale Wirklichkeit werden zu lassen. In Richtung der „Systemüberwinder“ sagt er: Mitglied der SPD kann nicht sein, wer in der Demokratie Gewalt als Mittel der Politik befürwortet und wer die repräsentative Demokratie bekämpft. Die Mitgliederzahlen der SPD steigen in dieser Zeit. Dem Parteivorsitzenden gelingt es sogar, Teile der APO in die Sozialdemokratische Partei zu integrieren. Die Kontakte zu den Gewerkschaften werden intensiviert. Hier: Historisches DGB-Plakat zum 1. Mai. Willy Brandt und der Chef der IG Chemie, Papier und Keramik Hermann Rappe (Foto aus späterer Zeit). Im Gewerkschaftsrat der Partei hat Brandt den Vorsitz. Im September 1973 werden die Bundesrepublik und die DDR in die UNO aufgenommen. Vor der UNO in New York erklärt Brandt: „Mein Volk lebt in zwei Staaten und hört doch nicht auf, sich als eine Nation zu verstehen.“ Zwischen BRD und DDR werden neue Grenzübergänge eingerichtet. Unterredung zwischen Richard Nixon und Willy Brandt, September 1973. 1973 haben die Ostverträge und der GrundlagenVertrag mit der DDR alle parlamentarischen Hürden passiert. Ausdruck der verbesserten Beziehungen zum Osten ist der erste Besuch eines sowjetischen Partei- und Regierungschefs in der Bundesrepublik. Aufnahme: Rut und Willy Brandt mit Leonid Breschnew in Bonn, Mai d.J. Die Erbitterung der CDU/CSU-Opposition über die neue Ostpolitik der Regierung Brandt ist noch viele Jahre später in den „Erinnerungen“ (1989) von Franz Josef Strauß spürbar. Der Freistaat TAFEL 50 Bayern hatte nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrages mit der DDR (21.12.1972) beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben. Strauß: „Meine Initiative zu einer Klage gegen den Grundlagenvertrag erfolgte zu einer Zeit, in der die Gefahr wuchs, daß jede Politik, die unter dem Etikett Entspannung, Sicherheit, Frieden angeboten wurde, sich ungeprüft zum Zeitgeist erhob, zum Mythos verklärte. Wer immer sich gegen diese Politik zur Wehr setzte, geriet in das Räder- werk der Verteufelungspropaganda, wurde zum Feind der Entspannung, der Sicherheit und des Friedens gestempelt. Es fehlte nur noch ein Schritt, um als negative Symbolfigur feierlich zum Volksfeind ernannt zu werden.“ Hierzu bleibt anzumerken, daß sich die Bundestagsopposition von CDU und CSU ebenfalls jahrelang dem viel weiter gehenden KSZE-Prozeß mit allen Kräften widersetzt hat. T A F E L 51 Der Rücktritt 01.– 1973 und übergreifend nach 1974 muß die BrandtRegierung Gegenwind aus der Wirtschaft hinnehmen. Die Ölknappheit nach dem Nahostkonflikt zwingt sie dazu, an drei Sonntagen im November ein Fahrverbot für Autos zu erlassen. Zwei Aufnahmen. 02.– Schon 1973 hatten wilde Streiks u.a. in der Metallindustrie und der Bummelstreik der Fluglotsen das Vertrauen – so Brandt selbst – in die sozialliberale Regierung erschüttert. Die Streiks im Öffentlichen Dienst (s. Fotos) Anfang 1974 führen trotz veränderter weltwirtschaftlicher Bedingungen zu zweistelligen Lohn- und Gehaltserhöhungen. Brandt erwägt, durch seinen Rücktritt ein Zeichen zu setzen. 03.– Die SPD-Parteiführung im Hof der alten „Baracke“, März 1974. Der sozialdemokratische Bun- desgeschäftsführer Holger Börner im SPD-Jahrbuch 1973-1975: „Nachdem sich in dem mit aller Anstrengung geführten Wahlkampf 1972 bereits gezeigt hatte, daß die räumliche Enge des ErichOllenhauer-Hauses die Arbeit erheblich behindert, faßte der Parteivorstand auf Vorschlag des Schatzmeisters Alfred Nau am 23. Juni 1973 in Berlin den Beschluß, ein neues Parteihaus zu bauen. Ich bin dem Schatzmeister für diese Entscheidung dankbar, weil damit die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter verbessert werden. Bei der Grundsteinlegung am 7. Juni 1974 betonte Willy Brandt mit einem Seitenhieb auf das schräg gegenüber liegende Hochhaus der CDU, der Neubau solle kein ‚Verwaltungskasten‘, sondern ein offenes, dem Bürger nahes Parteihaus werden.“ 04.– Eine der letzten Sitzungen im alten Erich-Ollenhauer-Haus, März 1974. Von links: Willy Brandt, H. Börner, P. Schulz und Günter Guillaume; vorne: Herbert Wehner. Guillaume, einer der Persönli79 TAFEL 51 chen Referenten Brandts im Bundeskanzleramt, wird im April ’74 wegen Spionage für die DDR verhaftet. Anhaltspunkte für einen Spionageverdacht gibt es schon seit geraumer Zeit. 05.– Guillaume nach einem Verhör bei der Bonner Staatsanwaltschaft. 06.– Letzte Fahrt als Bundeskanzler nach Helgoland. 07.– Faksimile des Rücktrittschreibens des Bundeskanzlers an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann, 6. Mai 1974. Die Hintergründe des Rücktritts darzulegen, entzieht sich den Möglichkeiten einer Ausstellung. Die persönlichen Empfindungen Willy Brandts in der Rückschau: „Mußte ich zurücktreten? Nein, zwingend war der Rücktritt nicht, auch wenn der Schritt mir damals unausweichlich erschien. Ich nahm die politische Verantwortung [für die Guillaume-Affäre] ernst, vielleicht zu wörtlich. Tatsächlich nahm ich viel mehr auf mich, als ich zu verantworten hatte. Die Schwierigkeiten in und mit der Regierung hatten seit Jahresbeginn ’73 zugenommen und meine Position, gewiß auch mein Durchhaltevermögen geschwächt. Die Vermutung spricht dafür, daß ich mich vor einem anderen Hintergrund weniger passiv verhalten hätte. [...] Egon Bahr meinte: Es sei sinnlos gewesen, mich umstimmen zu wollen. Ich hätte mich entweder definitiv vorentschieden oder nicht die Kraft gehabt, den Konflikt auszutragen. Beides 80 ist richtig, und ich füge hinzu: In der physischen und psychischen Verfassung späterer Jahre wäre ich nicht zurückgetreten, sondern hätte da aufgeräumt, wo aufzuräumen war.“ 08.– Spontane Sympathiekundgebungen überall in der Bundesrepublik für Willy Brandt. Brandt bleibt Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bringt am 8.5.1974 folgende Meldung vom Vortag: „Zehntausende von Menschen bekundeten am Dienstagnachmittag und -abend in Großstädten der Bundesrepublik ihre Sympathie für den zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt. Die größte Kundgebung mit etwa 10.000 Teilnehmern fand in der Bonner Innenstadt statt. [...] In anderen Großstädten nahmen jeweils mehrere tausend Menschen an den Kundgebungen teil, die von SPD, Gewerkschaften, sozialdemokratischen Wählerinitiativen, Verfechtern der sozialliberalen Koalition und Jungsozialisten initiiert waren.“ Der FAZ-Kommentator (in der selben Ausgabe) läßt sich davon nicht beeindrucken: „Der Mann mit dem großen Respekt in der Welt und mit dem auch heute noch fortdauernden Ansehen in seinem Volk ist, um diese historische Wahrheit ist auch mit Fackelzügen nicht herumzukommen, politisch gescheitert. Niemand hat ihn hinterhältig gestürzt: er hat resigniert.“ TAFEL 52 „…auf der Zinne der Partei…“ 01.– Helmut Schmidts Regierungserklärung im Deutschen Bundestag, 17.5.1974.Der stellvertretende SPD-Vorsitzende H. Schmidt ist der Nachfolger Brandts als Bundeskanzler. 02.– Willy Brandt gratuliert dem neuen Regierungschef. Schmidt setzt das sozialliberale Bündnis fort. Im Mai 1975 befragt der „Spiegel“ den „Reformpolitiker“ Willy Brandt nach seinem Verhältnis zu dem „pragmatischen Macher und Koalitionskanzler“ Helmut Schmidt. Brandt: „Wir vertreten den größten Teil dessen, was wir sagen, gemeinsam, und der eine fügt dem das hinzu, was sich besonders aus seiner unmittelbaren Verantwortung als Regierungschef ergibt. Der andere spricht auch über sozialdemokratische Vorstellungen, die hier und da, ohne daß sich daraus ein Gegensatz ergibt, ein wenig hinausführen über die notwendigen, und ich unterstreiche notwendigen, Vereinbarungen und Kompromisse. [...] Schmidt und Brandt vertreten eine Politik, sprechen für eine Partei. Wenn es dann noch potentielle Wähler gibt, die der eine etwas stärker anspricht als der andere, ist das ja kein Nachteil.“ Helmut Schmidt und Willy Brandt 81 TAFEL 52 03.– Der SPD-Vorsitzende auf einer der 15 Ortsvereinskonferenzen zwischen Mai und September 1974. Diese innerparteilichen Begegnungen dienen dem Gespräch mit denjenigen, die in der Partei die Basisarbeit machen. Bundesgeschäftsführer Börner bilanziert im SPDJahrbuch 1973-1975 diese Begegnungen: „Die Aufgabenteilung zwischen Parteivorsitz und Bundeskanzler hat sich bewährt, weil sie auf der Grundlage enger Zusammenarbeit mehr Möglichkeiten für die Bewältigung der einzelnen Aufgaben bietet. Willy Brandt kann seine Arbeitskraft seither ganz der Partei widmen. Nach schmerzlichen Rückschlägen des Jahres 1974 hat die SPD durch große innerparteiliche Kraftanstrengung wieder Tritt gefaßt. [...] Diese Konferenzserie als konsequentes Gespräch mit der Basis hat weder in der Geschichte der SPD noch in der Geschichte einer anderen Partei eine Parallele. Es hat sich wieder einmal gezeigt, daß die SPD die große aktive Mitgliederpartei ist. Hier wird nicht von oben ‚verordnet‘, sondern wir pflegen die demokratische Willensbildung von unten nach oben.“ 04.– In Gesprächen zwischen Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky (hier im Taunus, Dezember 1973) wird eine sozialdemokratische Theoriediskussion geführt. 05.– „Briefe und Gespräche“, Titelblatt von 1975. „Seit meinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers“, schreibt Brandt im Oktober 1974 an Kreisky und Palme in einem dort veröffentlichten Brief, „sind nun schon mehrere Monate vergangen. Ich habe begonnen – auch durch eine Anzahl regionaler Konferenzen –, mich ganz auf die Parteiarbeit einzustellen. Es gibt eine gute Chance, daß wir die Bereitschaft zur Einordnung steigern und durch größere Geschlossenheit Terrain gewin82 nen können, das uns zeitweilig verlorengegangen war. Vor zwei Jahren konnten wir deutschen Sozialdemokraten den größten Wahlsieg in der Geschichte unserer Partei verbuchen. Seitdem haben wir, was die Zustimmung der Wähler angeht, ernste Rückschläge hinnehmen müssen. Wenn man den Ursachen nachgeht, wird man an eigenen Fehlern und Schwächen nicht vorbeigehen können. Die innerparteiliche Diskussion ist über gewisse Strecken aus dem Ruder gelaufen. Der erfreuliche Zuwachs an neuen Mitgliedern mußte mit dem Preis bezahlt werden, daß unsere Partei zeitweilig an innerer Geschlossenheit einbüßte. Die Möglichkeiten der Reformpolitik, das Ausmaß dessen, was eine Koalitionsregierung unter sozialdemokratischer Führung bei Berücksichtigung massiver Widerstände einseitig interessenbezogener Gruppen im Laufe einer Legislaturperiode vom Tisch kriegen kann, wurden überschätzt. Überzogene Forderungen und wortradikale Überspitzungen haben zu den Vertrauenseinbrüchen beigetragen. Die entscheidende Rolle spielten jedoch die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die seit Ende vorigen Jahres von außen auf uns einwirkten und die uns einseitig angelastet wurden. [...] Ich gebe meiner eigenen Partei den dringenden Rat, die klare Absage an jeden Dogmatismus nicht rückgängig zu machen, dafür aber die Verständigung auf Grundwerte und auf Grundforderungen um so wichtiger zu nehmen. Mit anderen Worten: neue Tatsachen nicht zu übersehen, dabei aber die grundsätzliche Orientierung nie aus dem Auge zu verlieren. [...] Nun machen wir in der Bundesrepublik die interessante Erfahrung, daß unser innenpolitischer Gegner, die CDU, die Grundwerte – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – auch entdeckt hat und für TAFEL 52 sich in Anspruch nimmt. Dies ist nur ein Teil des Versuchs, unser Vokabular zu besetzen und es in schön klingende Leerformeln abzuwandeln.“ 06.– Öffentliche Veranstaltung in Frankfurt a.M., 1976. 07.– Grundsteinlegung für das neue Erich-OllenhauerHaus, Juni 1974. Von rechts: Herbert Wehner, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bundeskanzler Helmut Schmidt, Parteischatzmeister Alfred Nau und Willy Brandt. Wenn man heute von der legendären Troika der Sozialdemokratie spricht, sind Brandt, Schmidt und Wehner gemeint. Unbestritten ist, daß sich „die Altvorderen manchmal gefetzt“ haben, wie es ein Zeitgenosse formuliert hat. Unbestritten ist aber auch, daß die erfolgreiche Führungsmannschaft der SPD trotz interner Spannungen und Konflikte nicht auseinander bricht. Über die Drei sagt ein Wehner-Biograph: „Ihr gemeinsames Interesse ist die Partei, in die sie gewissermaßen hineingeboren sind [...] Der Erfolg der Partei ist ihr persönlicher Erfolg, ihre Niederlagen sind Niederlagen für die Partei.“ „Er war das Gegenteil eines Taktierers und auch das Gegenteil eines ideologischen oder philosophischen Predigers. Utopismus … war seine Sache nicht. Er war Rationalist, ein kritischer Denker, aber zugleich einer, der zum Handeln bereit war, der bereit war zur Macht im Staate. Ich denke, daß er in eine Reihe ge-hört mit Kurt Schumacher, mit Ernst Reuter, mit Fritz Erler, mit Herbert Wehner und mit Willy Brandt.“ Die Rede ist hier von Julius Leber, und das Zitat stammt von Helmut Schmidt (1991). Er hätte sich selbst mit in diese Reihe einbeziehen können. 83 TAFEL 53 01.– Auf dem SPD-Parteitag in Mannheim, November 1975. Von links: Helmut Schmidt, Willy Brandt, Herbert Wehner und NRW-Ministerpräsident und stellvertretender Parteivorsitzender Heinz Kühn. Ein außerparteilicher Beobachter findet, Brandt habe die Mannheimer Tage „zu einer Harmoniedemonstration für den Kanzler“ gemacht. H. Schmidt im Mai 1974 zu W. Brandt: „Du kannst die Partei zusammenhalten, ich nicht.“ 02.– Die „Jungen“ in Mannheim. Etwa zehn Jahre später wird Brandt in einer ZDFBürgersendung in Berlin (eine Zeitung: „Heimspiel für Willy“) auf die sog. Enkel-SPD angesprochen. Er antwortet: „Ich habe selbst mal das Wort, etwas leichtsinnig das Wort von den Enkeln erfunden, als man mir sagen wollte, Ihr habt ja keinen Nachwuchs. Da habe ich gesagt, guckt jetzt nicht nur auf die paar, die zehn oder fünfzehn Jahre jünger sind als ich, sondern guckt bitte auf die Politiker, von Engholm angefangen in Schleswig- 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– Holstein über Schröder in Niedersachsen und Lafontaine im Saarland. Jetzt könnte man noch eine Reihe anderer nennen, es gibt auch tüchtige Frauen darunter. Dann habt Ihr die Enkel und Enkelinnen, die werden das in den nächsten Jahren zu machen haben.“ (aus einer Mitschrift der Fernsehsendung). Brandt-Plakat von 1976. Brandt-Foto, Ende der 70er Jahre. Bundestagswahlkampf 1976: SPD-Anzeige „Weiter arbeiten am Modell Deutschland“. SPD-Wahlwerbung mit dem Hinweis auf die „lange persönliche Verbundenheit“ von Brandt und Schmidt. SPD-Wahlparteitag, Juni 1976. In den Wahlen vom Oktober gelingt es dem CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Helmut Kohl zwar, die Oppositionsfraktion zur stärksten im Bundestag zu machen, die Mehrheit für die von Helmut Schmidt geführte Regierung ist dennoch gesichert. Willy Brandt, Wanderung im Teutoburger Wald, 17.7.1976 84 TAFEL 54 Sozialistische Internationale 01.– Bruno Kreisky und Willy Brandt im Mai 1976 in Caracas (Venezuela). Hier tagen Vertreter europäischer und lateinamerikanischer sozialdemokratischer/sozialistischer Parteien im Rahmen der Sozialistischen Internationale (SI). In diesem Jahr wird Brandt Präsident der SI. Schon im September 1972 hatte Willy Brandt in einem Brief an Bruno Kreisky und Olof Palme eine Verbesserung der Arbeit der Sozialistischen Internationale angeregt: „Eigenes Programm und eigene europäische Parteierfahrung dürfen uns nicht daran hindern, mit solchen Parteien und Bewegungen in anderen Teilen der Welt in ein engeres Verhältnis zu kommen, die mit uns und mit denen wir ein gutes Stück Weges gemeinsam gehen können und wollen; und solche gibt es in beiden Teilen Amerikas, in Afrika, auch in Asien. Hieraus würden sich praktische Folgerungen ergeben. Wir müßten beispielsweise Konferenzen veranstalten, auf denen sozialdemokratische Parteien aus aller Welt offen, frei und freundschaftlich darüber beraten würden, was sie meinen, miteinander tun zu können.“ Sowohl Kreisky wie Palme und auch viele andere Sozialisten begrüßen Brandts SI-Initiative. Palme: „Wir müssen vernünftige und unbürokratische Formen finden, um die Internationale zu einem Forum für die Zusammenarbeit und die Diskussion mit Vertretern anderer Erdteile zu machen. Wesentlich ist dabei nicht die vollständige Übereinstimmung der reinen Lehre; wesentlich ist vielmehr ein echtes Gefühl für internationale Solidarität.“ So ist es folgerichtig, daß im Mai 1976 Vertreter europäischer sozialdemokratischer Parteien und lateinamerikanischer 02.– 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– Parteien auf einer Konferenz in Caracas eine engere Zusammenarbeit im Rahmen der SI vereinbaren. Die Internationale kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Hier: eine Tagung der sog. I. Internationale, der Internationalen Arbeiter-Association, in Basel 1869. Für die I. Internationale, 1864 in London gegründet, ist „die erste Pflicht der Arbeiterklasse die Eroberung der politischen Macht, Endzweck aber die Vernichtung aller Klassenherrschaft und die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse“. Der französische Sozialist und Kriegsgegner Jean Jaurès auf einem Kongreß der Internationale in Stuttgart, 1907. Nach Auflösung der IAA beschließt ein internationaler Arbeiterkongreß, der 1889 in Paris am 100. Jahrestag des Sturmes auf die Bastille eröffnet wird, die Gründung einer II. Internationale. Jean Jaurès und August Bebel sind die prominentesten Führer dieser Internationale. Die Internationale wird nach dem I. Weltkrieg erneuert. Hier: Beratungen in Berlin, 1923. Auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Hamburg (Mai 1923) erhält die II. Internationale den Namen Sozialistische Arbeiter-Internationale (SAI). Die SAI geht in dem vom NS-Regime angezettelten Zweiten Weltkrieg unter. Kurt Schumacher (Bildmitte) in Zürich 1947. Der ehemalige KZ-Häftling kämpft um die Zulassung der SPD zur internationalen Gemeinschaft sozialistischer/sozialdemokratischer Parteien. Internationaler Sozialistischer Frauentag in Salzburg, 1950. Internationale Kundgebung in der Frankfurter Festhalle anläßlich der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale 1951. 85 TAFEL 54 „Elf Jahre nach dem faktischen Ende der SAI nahm die Internationale nach den schweren Prüfungen des II. Weltkriegs und den ersten schwierigen Nachkriegsjahren in Frankfurt als Sozialistische Internationale (SI) die Tradition in neuer Form wieder auf.“ (Willy Brandt). Auf dem Frankfurter Kongreß einigen sich 34 sozialdemokratische und sozialistische Parteien der Welt auf eine Prinzipienerklärung der Sozialistischen Internationale. Damit ist der Grundstein für eine „Arbeitsgemeinschaft souveräner Parteien“ gelegt. 08.– 100-Jahrfeier der Internationale in Brüssel, 1964. Junge Sozialisten auf dem Weg in die belgische Hauptstadt. 09.– Brüsseler SI-Festzug, 1964. TAFEL 55 Die SI und ihr Präsident 01.– Die Sozialistische Internationale – eine Collage von Elie Elia, Gent 1982. 02.– Willy Brandt, der Chef der portugiesischen Sozialisten Mario Soares und Victor Raul Haya de la Torre, einer der wenigen lateinamerikanischen Politiker indianischer Herkunft, der viele Jahre wegen seiner Überzeugung im Exil und in der Illegalität hatte verbringen müssen. Venezuela 1976. 03.– Umschlagseiten der SI-Zeitschrift „Socialist Affairs“, Januar/Februar 1977. Der Genfer SI-Kongreß 1976 hatte Brandt zum Präsident der SI gemacht. Willy Brandt: „Ich trat das Amt im Herbst 1976 mit einiger Freude an und dem festen Willen, den Eurozentrismus einer Organisation zu überwinden, die traditionell den Namen ‚Sozialistische Internationale‘ trägt und deren Mythos im- 86 mer schon größer war als deren Macht.“ Und: „In welchem Ausschuß, Komitee, Plenum auch immer mit Mehrheit Beschlüsse zu fassen, die für die einzelnen Parteien bindend sein würden, stand nirgendwo auf der Tagesordnung. Für eine sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft unabhängiger nationaler Parteien konnte und kann es sich allein darum handeln, Erfahrungen auszutauschen und zu vergleichen, Meinungen zusammenzufassen und auf internationale, auch nationale Entscheidungsprozesse einzuwirken. Eine Superpartei hatte und hat niemand im Sinn, eine Weltexekutive schon gar nicht.“ 04.– Felipe González, der Generalsekretär der spanischen Sozialisten, spricht in Genf. Die spanische Opposition gegen Franco hatte erst nach dessen Tod (1975) legal in Erscheinung treten können. 05.– In der Welt sind Abermillionen vom Hungertod bedroht. 06.– Konflikte im Nahen Osten: Israelis und Palästinenser. TAFEL 55 Willy Brandt und Kyosaku Sasaki, Vorsitzender der Dem. Soz. Partei Japans: Parteiführerkonferenz der SI in Tokio, 18.12.1978 07.– Bruno Kreisky und Willy Brandt treffen 1979 in Wien den PLO-Führer Arafat. Alle drei unterstreichen die Notwendigkeit einer globalen Friedensregelung für den Nahen Osten auf der Grundlage der UNO-Resolutionen. 08.– Der Präsident der Internationale auf der SI-Tagung in Estoril (Portugal), Oktober 1979. 09.– Begeisterter Empfang Willy Brandts in der Dominikanischen Republik, März 1980. 10.– Kinderarbeit in Kolumbien. 11.– Die unter Brandts Vorsitz gewachsene SI muß sich immer wieder mit Militärdiktaturen befassen. 87 TAFEL 56 Willy Brandt, Johannes Rau: Treffen auf Schloß Wickrath, 3.9.1978 01.– Empfang des Vorsitzenden und der SI-Vizepräsidenten beim spanischen König, November 1980. Von links: Shimon Peres, der israelische Oppositionsführer, Willy Brandt, Bruno Kreisky, Juan Carlos und Felipe González. 02.– Der SI-Präsident Willy Brandt spricht 70 Jahre später an der gleichen Stelle im Baseler Münster, an der der Internationalist August Bebel 1912 seinen eindrucksvollen Friedensappell an die Menschheit gerichtet hatte. Bebel damals: „Ich hoffe, Sie [die Delegierten] insbesondere werden die Bedeutung dieser Tagung einzuschätzen wissen und bedenken, daß, während sich die bürgerliche Welt in geteilten Lagern, in Drei- und Vierbünden, gegenübersteht, der Einbund der Arbeiter der Welt, die große allgemeine Internationale, sich rüstet, den Kampf mit allen Feinden aufzunehmen.“ Und: „Ich freue mich, daß gerade ich als Atheist den kirchlichen Behörden Dank aussprechen kann, daß sie uns gestern das prachtvolle Münster zur Verfügung gestellt und uns mit Glockenläuten empfangen 88 03.– 04.– 05.– 06.– 07.– 08.– haben, als käme ein Großer der Erde, ein Bischof oder ein Papst. Parteigenossen, dieses Zeichen wirklich christlicher Toleranz ist leider in der Christenheit nur ganz selten. Das Gegenteil ist heute die allgemeine Anschauung in der Christenheit, und besonders uns gegenüber, die wir als Feinde der Religion, der Ehe und der Familie dargestellt werden, als die Umstürzler, die alles durcheinanderwerfen wollen. Ich bin freilich der Überzeugung, daß, wenn heute der christliche Heiland wiederkäme und diese vielen christlichen Gemeinden, diese Hunderte von Millionen zählt, die sich heute Christen nennen, es aber nur dem Namen nach sind, daß er dann nicht in ihren Reihen, sondern in unserem Heer stehen würde.“ Zwei Genossinnen, 1982 in Basel, die schon 1912 dabei waren. Plakat: Corrida zu Ehren des SI-Kongresses im portugiesischen Albufeira, 1983. Brandt, ein brasilianischer Gewerkschafter und Leonel Brizola von der Demokratischen Arbeiterpartei Brasiliens in Rio de Janeiro, 1984. Willy Brandt: „Die Zusammenarbeit auf der Parteienebene hat mich in der Überzeugung bestärkt, daß in der Lösung internationaler Fragen dem Regionalprinzip ein größeres Gewicht zukommen muß.“ Soziale Gegensätze in Brasilien. In Stockholm 1989 wird Willy Brandt mit einer imponierenden Mehrheit als SI-Präsident wiedergewählt. Auf dem Foto rechts von Brandt: Ingvar Carlsson, der schwedische Ministerpräsident und sozialdemokratische Parteivorsitzende. Im Hintergrund: Michael Manley (Jamaika) und Neil Kinnock (Großbritannien). Bruno Kreisky und Willy Brandt in Stockholm. Der österreichische Altbundeskanzler ist von seiner Krankheit schwer gezeichnet. TAFEL 57 01.– 1989 ff. stürzen die kommunistischen Regimes. Auch da, wo die Kommunisten noch an der Macht sind, sind sie nicht in der Lage, die sozialen und wirtschaftlichen Krisen zu bewältigen (Aufnahme: Albaner vor einer Bäckerei). Die Ost-West-Konfrontation wird abgelöst durch eine neue „Weltunordnung“ (Brandt). Willy Brandt in Genf 1989: „Was wir heute erleben, ist nicht nur faszinierend und ermutigend, es ist in gewisser Weise die größte Herausforderung für den demokratischen Sozialismus in diesem Teil der Welt nach dem II. Weltkrieg.“ 02.– Plakat der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft aus den 80er Jahren. 1986 gibt der SI-Präsident zu bedenken, „daß trotz der guten Entwicklung, die die SI in den zurückliegenden Jahren genommen hat, die Gefahr besteht, daß die Internationale in dem, was sie leisten kann und was nicht, von außen nicht selten auch überschätzt wird.“ 03.– SI-Ratstagung in New York, Oktober 1990. Willy Brandt sagt 1986: „Eine andere weltpolitische Lage und neue globale Fragestellungen wie der 04.– 05.– 06.– 07.– Willy Brandt: 40. Jahrestag der Wiederbegründung der Sozialistischen Internationale in Frankfurt/M., 25.6.1991 Nord-Süd-Konflikt, die weltweite Aufrüstung und besonders die nukleare Rüstung, Probleme der Weltwirtschaftsordnung, die immer drückender und bedrohender werdende Situation der Menschenrechte erforderten von der SI ein erneuertes politisches Angebot, wenn sie als politisch-moralische Kraft in der Welt ernst genommen werden wollte. Als ich auf dem XIII. Kongreß der SI im November 1976 in Genf zum Präsidenten gewählt wurde, habe ich das deutlich zu machen versucht.“ Während der SI-Präsidentschaft Brandts hat sich die vorher eurozentrisch ausgerichtete Internationale in der Tat globalisiert. Das internationale Ansehen, das Willy Brandt genießt, kommt der SI zugute. Zur Erinnerung an die Wiedergründung der Sozialistischen Internationale in Frankfurt a.M. 1951 lädt die Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Feierstunde in der Paulskirche ein. Aufnahme von 1991: Pressekonferenz. Brandt berichtet in Frankfurt, es läge eine Liste vor „von inzwischen 50 und 60 Parteien, die zu uns kommen möchten... Die Internationale ist ein wichtiger Ort der Begegnungen, des Austausches von Erfahrungen, des Bündelns von Anregungen für ein aufeinander abgestimmtes Verhalten.“ Frankfurter Veranstaltungsteilnehmer, 1991. Im März 1992 tagt das SI-Präsidium in Madrid. Madrid 1992. Von links: Luis Ayala, der SI-Generalsekretär, Brandt und Felipe González. Willy Brandt teilt dem Präsidium mit, daß er sein seit 1976 ausgeübtes Amt als SI-Präsident niederlegen will. Die Präsidiumsmitglieder würdigen die einzigartige Rolle Brandts innerhalb der Internationale. Felipe González spricht für alle, als er sagt: „Willy Brandt is a symbol of what we are – he not only represents us, he symbolizes us.“ 89 TAFEL 58 01.– Die Demonstrationen in der Bundesrepublik gegen die Kernenergie nehmen mehr und mehr den Charakter eines Glaubenskrieges an. Hier: Postkarte Klaus Staeck, 1977. 02.– 1977 wird der Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet. Zwei Aufnahmen. 03.– Fotografen auf dem Hamburger SPD-Parteitag, November 1977. 04.– Willy Brandt ist erschüttert, als er vom plötzlichen Tod Wilhelm Dröschers erfährt. Dröscher, SPD-Schatzmeister, hatte noch am Vortag am Hamburger Parteitag teilgenommen. * Gedenkminute für Wilhelm Dröscher. 05.– Brandt ist 1979 Spitzenkandidat bei der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament. SPDFaltblatt. *Brandt, Katharina Focke und Bruno Friedrich bei einer sozialdemokratischen Europa-Regionalkonferenz. 06.– 1878 hatte Bismarck das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ („Sozialistengesetz“) erwirkt. Die hier wiedergegebene Darstellung spielt auf den CDU/ CSU-Wahlkampfslogan von 1976 an und zeigt neben Bismarck andere Antisozialisten. In einer Rede in der Frankfurter Paulskirche zur 100. Wiederkehr des „Antisozialistengesetzes“ (11.6.1978) kommt Brandt zu der Schlußfolgerung, daß es ohne eine starke Sozialdemokratie heute keine annähernd solide deutsche Demokratie geben würde. „Das wird morgen nicht anders sein. Die deutschen Sozialdemokraten meinen nicht, die Geschichte und das gegenwärtige Erscheinungsbild ihrer Partei seien frei von Irrtümern und Fehlern. Wir bilden uns nicht ein, über den Stein der Weisen zu verfügen. Aber wir sind stolz auf unsere Geschichte und auf den 90 Dienst an unserem Volk: Dies ist der Weg, der von der kleinen belächelten Minderheit zur großen fortschrittlichen Volkspartei führte. Vom rechtlosen Proletarier zum gleichberechtigten Staatsbürger. Vom begrenzten Männerwahlrecht zum Wahlrecht für alle. Vom Obrigkeitsstaat zum Bürgerrecht auf Mitwirkung, auch auf Mitbestimmung. Den Weg zur Bürgerdemokratie freigeschaufelt und mitgestaltet zu haben, das rechtfertigt, mit gesundem Selbstbewußtsein zurückzublicken.“ Und in diesem Zusammenhang: „Die Sozialdemokratische Partei, so sagte August Bebel, ist eine Partei, die in ständiger geistiger Mauserung begriffen ist. Ich hoffe, dies ist so und bleibt so. Und weil wir um unsere Stärken, aber auch um unsere Schwächen wissen, müssen wir entschlossen sein, uns niemals mehr überrollen zu lassen, sondern unseren Beitrag zu leisten, um den geschichtlichen Prozeß selbst zu gestalten. Ich nehme das Wort Stolz noch einmal auf: Es ist gut, sagen zu können, daß wir uns treu geblieben sind – vom Widerstand gegen die Unfreiheit bis zur aktiven Sicherung von Bürgerfreiheit. Es ist auch gut zu wissen, daß die Demokratie in unserem Teil Europas ein gutes Stück vorangekommen ist – und daß wir daran unseren nicht geringen Anteil haben. Die deutsche Geschichte muß nicht noch einmal eine verhängnisvolle Wende nehmen. Aber von nichts kommt nichts: Wir müssen uns denen entgegenstellen, die geistigen Bürgerkrieg schüren. Wir müssen uns nationalistischer Verirrung und Großmannssucht entgegenstemmen. Wir müssen unserem Volk sagen, daß es sich durch ein Amalgam aus Pessimismus und Wertverlust weder blenden noch in die Irre führen lassen darf.“ TAFEL 59 Nord-Süd und die Entwicklungspolitik 01.– Eine Brandt-Biographie von 1988: „Willy Brandts Reisediplomatie, sein aufrichtiges und behutsames Bemühen um weltpolitische Zusammenarbeit bleibt nicht unbemerkt. 1977 fordert ihn Weltbankpräsident Robert McNamara auf, den Vorsitz einer Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen zu übernehmen. Brandt, ausgelastet mit nicht eben geringen Verpflichtungen (neben Parteivorsitz und SI-Präsidentschaft hält er ein Bundestagsmandat und kandidiert auf Platz 1 der SPD-Liste zur ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments), sagt dennoch zu.“ Foto: Die Independent Commission on International Development Issues , deutsch kurz NordSüd-Kommission, tagt unter dem Vorsitz Willy Brandts, März 1979. 02.– Von einer ICIDI-Konferenz in Bamako (Republik Mali). 03.– Willy Brandt in Saudiarabien, 1979. Die Beschreibung des Fotos nennt ihn „Chairman for NorthSouth dialogue“. 04.– Unter dem Vorsitz Brandts erarbeitet die NordSüd-Kommission den sog. Brandt-Bericht, der 1980 erscheint. Der Bericht zieht eine Bilanz der Entwicklungspolitik und schlägt Wege zu einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung vor. Titelseiten. *Brandt neben dem früheren britischen Premierminister Edward Heath, der Mitglied der Kommission ist. Der Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission Brandt schreibt im Vorwort zu „Das Überleben sichern“: „Unser Bericht gründet sich auf das wohl einfachste gemeinsame Interesse: Daß die Menschheit überleben will und – wie man hinzufügen könnte – auch die moralische Pflicht zum Überleben hat. Dies wirft nicht nur die klassischen Fragen nach Krieg und Frieden auf, sondern schließt auch ein, wie man den Hunger in der Welt besiegt, wie man das Massenelend überwindet und die herausfordernden Ungleichheiten in den Lebensbedingungen zwischen Reichen und Armen.“ Und: „Es ist eine Frage der Humanität, Hunger und Elend auf dem Weg ins nächste Jahrhundert zu besiegen und damit jene Futurologen zu widerlegen, die uns sagen, auch beim Übergang ins 21. Jahrhundert hätten wir uns mit der Not Hunderter von Millionen Menschen abzufinden, die zu verhungern drohen oder an vermeidbaren Krankheiten leiden.“ Brandt später: „Das internationale Echo auf den Brandt-Bericht und seine Empfehlungen war beträchtlich, der Niederschlag in praktischem Regierungshandeln eher bescheiden. 1980 wurde die europäische Öffentlichkeit Zeuge eines besonders lebhaften Interesses in Großbritannien, ähnlich in den Niederlanden; hingegen kamen die deutsche wie die französische Regierung über süßsauren Lippendienst nicht hinaus. In Venedig nahm der Weltwirtschaftsgipfel Notiz von unseren Empfehlungen und versprach leichtsinnigerweise, ihnen im einzelnen nachzugehen. [...] Im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank fanden unsere Vorschläge viel Aufmerksamkeit, aber wenig Gegenliebe.“ 05.– Eine Karikatur mit Anspielung auf die Schwierigkeiten, die SI zu lenken. Brandt in den Mund gelegt: „Ich bin schon etwas gewohnt, aber dagegen ist die SPD ein Auto-Scooter.“ 91 TAFEL 59 06.– Ende 1978 diagnostizieren die Ärzte bei Brandt einen verschleppten Herzinfarkt. Die Arbeitsfülle hat ihren Preis. Aufnahme: Brandt in einem Rehabilitationszentrum, Februar 1979. 07.– Nach einer dreimonatigen Pause von der Politik ist Brandt wiederhergestellt. 08.– Der Widerstand im Iran gegen das Schah-Regime zwingt Resa Pahlevi im Januar 1979 zum Verlassen des Landes. Schiitenführer Ayatollah Khomeini (hier im französischen Exil) kehrt in den Iran zurück. TAFEL 60 01.– Zwei Fotos vom SPD-Parteitag in Berlin, Dezember 1979. Erörtert wird neben der Kernenergiefrage auch der von Helmut Schmidt initiierte sog. NATO-Doppelbeschluß, der – vergröbert formuliert – eine Nachrüstung der NATO vorsieht, um das militärische Gleichgewicht der Machtblöcke aufrechtzuerhalten. In Berlin unterstützt der Parteivorsitzende – die angesagten Abrüstungsverhandlungen im Blick – trotz innerer Vorbehalte und gegen eine Parteitagsopposition eine Entschließung, die den Schmidt-Kurs billigt. Brandt: „Dies begeistert zu tun, würde mir schwer fallen.“ 02.– Dezember 1979: Sowjetische Afghanistan-Invasion. 03.– Im April 1980 scheitert eine von US-Präsident Jimmy Carter angeordnete Aktion zur Befreiung der seit November 1979 in der US-Botschaft in Teheran festgehaltenen amerikanischen Geiseln. 04.– Das Deutschlandtreffen der SPD in Dortmund im September 1980 (2 Fotos) ist das bisher größte Volksfest einer demokratischen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik. 05.– Am Abend nach den Bundestagswahlen vom 5.10.1980 im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus: Hin92 ter Außenminister Genscher und Bundeskanzler Schmidt die Architekten der sozialliberalen Koalition Brandt und Scheel. Diese Koalition hatte sich gegen den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Strauß gut behaupten können. Die Äußerungen Hans-Dietrich Genschers an diesem Abend werden von der Öffentlichkeit so gedeutet, daß die FDP auf jeden Fall an der sozialliberalen Koalition festhalten will. Ebenso wird allerdings von der Öffentlichkeit bemerkt, daß sich die Gegensätze zwischen Rechten und Linken in der FDP verschärfen. In einer ersten Stellungnahme sagt Brandt: Der Erfolg bei den Wahlen drücke sich vor allem darin aus, „daß eine eindeutige Mehrheit in unserem Land nicht Herrn Strauß, sondern Helmut Schmidt als Bundeskanzler haben will“. Im Hinblick auf die kommenden Koalitionsverhandlungen fordert er FDP und SPD auf, ihr Konto nicht zu überziehen. 06.– Im November 1980 gewinnt Ronald Reagan (Republikaner) die Präsidentschaftswahlen gegen den glücklosen Jimmy Carter (Demokrat). Aufnahme hier: Reagan mit dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker (CDU) und Bundes- TAFEL 60 kanzler Helmut Schmidt bei Besichtigung der Mauer in Berlin, Juni 1982. 07.– Vier Fotos vom Münchner SPD-Parteitag, April 1982. Unteres Foto: Parteitagsgast Marie Jahoda, die 1938 aus Österreich emigriert war. Der „Erosionsprozeß“ (Brandt) der Regierungskoalition hatte schon vor München begonnen. Die wirtschafts- und sozialpolitischen Gegensätze zwischen den beiden Regierungsparteien (Beschäfti- gungsprogramm bei kletternden Arbeitslosenzahlen, Ergänzungsabgabe auf höhere Einkommen, Abbau ungerechtfertigter Steuerprivilegien, „Sparpaket“ mit Kürzungen sozialer Leistungen usw. usf.) werden unüberbrückbar. Die FDP nimmt die Beschlüsse von München zum Anlaß, die Koalition zu verlassen. Helmut Schmidt zum Parteitag: „Die Partei darf nicht nur der Regierung, der Koalitionsregierung, vorauseilen, sie muß es tun.“ TAFEL 61 In der Opposition 01.– Letzte Sitzung des SPD-Minderheitskabinetts im Bundeskanzleramt, Ende September 1982. Auch der Parteivorsitzende Brandt und SPD-Fraktionschef Wehner nehmen teil. 02.– Im März 1983 sind Bundestagswahlen anberaumt. Zum ersten Mal seit 1966 führt die SPD den Wahlkampf als Oppositionspartei. Auf dem Bild: Der Parteivorsitzende Brandt, der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel und der SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, Nachfolger von Egon Bahr seit 1981. Die SPD unterliegt bei den Wahlen. 03.– Petra Kelly von den Grünen im Gespräch mit Willy Brandt im neuen Bundestag, März 1983. Neben der SPD hat sich eine weitere politische Kraft etabliert. 04.– Die Kundgebung der Friedensbewegung in Bonn, Oktober 1983. Zwei Aufnahmen. Brandt wendet sich in Bonn gegen die Aufstellung weiterer amerikanischer Raketen in der BRD. Er kann – so Brandt selbst – „nicht die Zustimmung jenes Teils erfahren, der nur Reden gegen Westmächte, NATO und Bundeswehr hören wollte. Da war man bei mir an der falschen Adresse. Und insoweit konnte mich das Pfeifkonzert einer lautstarken Minderheit nicht stören. Auf jener großen Bonner Kundgebung bestätigte ich: ‚Die Bundeswehr, als Armee im demokratischen Staat, hat den Auftrag, den Frieden sichern zu helfen. Ihre Angehörigen haben, wie wir anderen, ein vitales Interesse daran, daß nicht der Vernichtung preisgegeben wird, was wir gemeinsam sichern wollen.‘ „ 05.– Köln, November 1983: Sozialdemokratischer Parteitag. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Rede Willy Brandts lehnt der Sonderparteitag gegen nur sehr wenige Stimmen die Raketennachrüstung ab. Die allerdings ist schon im Gange. 93 TAFEL 62 01.– 1984 ist Willy Brandt zwanzig Jahre lang Parteivorsitzender der Sozialdemokraten. Es erscheint eine Auswahl seiner Parteitagsreden, die den Titel trägt „...auf der Zinne der Partei...“. 02.– Der sozialdemokratische Parteitag von Essen im Mai 1984 (zwei Fotos) setzt sich mit den Auswirkungen der Wendepolitik auseinander. CDU/CSU waren mit dem Anspruch in die Regierungsverantwortung getreten, eine „geistig-moralische Wende“ herbeizuführen. Das Versprechen wird nicht eingelöst. Die SPD fordert die ökonomische und soziale Erneuerung der Wirtschaft mit dem Ziel, „Arbeit für alle“ zu schaffen und den Sozialstaat durch Umbau gerechter, qualitativ besser und sicherer zu machen. Der Parteivorsitzende im SPD-Jahrbuch 1984/1985 zu Essen: „Erneuerung war ein Leitmotiv für unsere Bemühungen auf dem Gebiet der Friedenspolitik. Auf dem Essener Parteitag hat die SPD ein Sicherheitskonzept bestätigt, das die Idee der gemeinsamen Sicherheit an die Stelle alter Abschreckungskonzepte stellt. Statt gegen den potentiellen Feind zu denken und zu planen, soll der Krieg mit ihm in einer gemeinsamen Anstrengung verhütet werden. West und Ost sind bei aller Unterschiedlichkeit ihrer politischen und gesellschaftlichen Auffassungen nicht zu Freunden, wohl aber zu Partnern geworden, wo es ums Überleben geht.“ Nachträglich, weit über die Bonner „Wende“ hinaus bis 1989, bleibt Brandt die Genugtuung, daß die von ihm initiierte und von Schmidt weitergeführte „Ostpolitik“ von der Bundesregierung unter Helmut Kohl im wesentlichen fortgesetzt wird. Der deutsche Begriff „Ostpolitik“ war schon vorher in einige Weltsprachen als vertrautes Wort eingegangen. 03.– Willy Brandt und Brigitte, geborene Seebacher. 1979 hat er sich von seiner Frau Rut getrennt und 94 1983 die aus Bremen stammende Historikerin und SPD-Journalistin geheiratet. 04.– Der kommunistische Reformer Michail Gorbatschow, KPdSU-Generalsekretär seit 1985, sucht u.a. den Rat des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationale. Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt trifft Gorbatschow zum ersten Mal Willy Brandt in Moskau. Vgl. Bild. 05.– Am Abend nach der NRW-Wahl (12.5.1985) kommt es zu einer scharfen, vom Fernsehen übertragenen Kontroverse zwischen Willy Brandt und dem CDUBundeskanzler Helmut Kohl (Vgl. vier Videoprints). Zitate aus dem Wortwechsel. „Kohl: Was die Außenpolitik betrifft, Herr Brandt, da muß ich sagen, da sehe ich angesichts Ihrer Außenpolitik der Bundestagswahlentscheidung 1987 mit größtem Optimismus entgegen, denn diese Form dieses primitiven Anti-Amerikanismus... Brandt: Quatsch. Sie sollten sich schämen, Herr Bundeskanzler. Sie sollten sich schämen. Kohl: Ach, hören Sie doch auf. Wenn Sie jetzt laut werden, dann ist das nur ein Beweis dafür, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben. Brandt: Ich kann das nicht durchgehen lassen. Sie schaden unserem Volk durch diese Lügen. Kohl: Aber Herr Brandt, was Sie alles in Amerika vor ein paar Tagen gesagt haben, das hat der Bundesrepublik geschadet. (Brandt: Nein) Und nicht das, was ich hier dem deutschen Publikum sage. (Brandt: Nein) Die Leute konnten ja lesen, was Sie gesagt... Brandt: „Sie sagen den Menschen die Unwahrheit, Herr Bundeskanzler, ich laß’ das nicht durchgehen.“ 06.– Willy Brandt und Ehefrau Brigitte in Ostberlin, September 1985. Rechts: Staatsratsvorsitzender und SED-Generalsekretär Erich Honecker. Zwei Jahre hatte Brandt sich Zeit gelassen, der Einla- TAFEL 62 Willy Brandt und Johannes Rau: SPD-Parteitag in Nürnberg, 26.8.1986 dung Honeckers zu folgen. In Gesprächen zwischen SPD und SED, an denen Brandt nicht direkt beteiligt ist, wird die Frage einer chemiewaffenfreien Zone und eines atomwaffenfreien Korridors in Mitteleuropa erörtert. 1987 wird dann ein gemeinsames Papier von SPD und SED „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ verabschiedet, in dem es heißt: „Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, ihre Erfolge und Mißerfolge, Vorzüge und Nachteile, muß innerhalb jedes Systems möglich sein.“ Die Opposition in der DDR begrüßt dieses „Streitpapier“. Noch im September 1985 erklärt das Präsidium der SPD: „Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten bleiben bestehen. Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat bei seinem kürzlichen Besuch in der DDR erneut unterstrichen, daß die grundlegenden Unterschiede Bedeutung und Wirkung behalten, auch wenn gemeinsam an einer europäischen Friedensordnung zu arbeiten ist.“ Brandt beschreibt in seinen „Erinnerungen“ auch andere bei seinem Ostberliner Besuch bestätigte Erkenntnisse: „Die Formel vom ‚sozialistischen Staat deutscher Nation‘ blieb und bleibt blutleer. Der Westen ist erfolgreich, seine Anziehungskraft ungebrochen, die Sprache trennt nicht. Die Bürger haben mit denen der Bundesrepublik mehr gemeinsam, als unsere elektronischen Medien ihnen bieten.“ 07.– Im Februar 1986 wird Willy Brandts Freund, der sozialdemokratische Ministerpräsident Schwedens Olof Palme, von einem Attentäter erschossen. Zwei Fotos von den Trauerfeierlichkeiten. Einige Stunden nach dem Attentat hatte Brandt geschrieben: „In der Nacht zum Sonnabend erreichte mich die zunächst unfaßliche Nachricht, daß Olof Palme umgebracht worden ist. Mein erster Wunsch ist, seiner Frau und seiner Familie, den schwedischen Sozialdemokraten und dem 95 TAFEL 62 schwedischen Volk meine tief empfundene Anteilnahme zum Ausdruck bringen zu dürfen. Schweden hat einen Staatsmann von internationalem Rang verloren. Die nach Frieden und Gerechtigkeit dürstende Welt ist ärmer geworden. [...] Ich weiß nicht, wie die Lücke geschlossen werden soll, die durch den gewaltsamen Tod Olof Palmes gerissen wurde. Wohl aber weiß ich, daß wir ihn am besten ehren, wenn wir weiterarbeiten an dem, was Inhalt seines von so viel mitmenschlichem Engagement und so viel zukunftsweisendem Ideenreichtum geprägten Lebens gewesen ist.“ TAFEL 63 Ehrenvorsitzender 01.– Das furchtbare Reaktorunglück im ukrainischen Tschernobyl im April 1986 (2 Aufnahmen) zwingt die Welt, erneut über die Verwendung von Atomenergie nachzudenken. 02.– Umschlagseite des SPD-Jahrbuchs 1986/87 mit den Porträts der politischen Weggefährten Willy Brandts. 03.– Willy Brandt auf einer Benefizveranstaltung für Atomopfer im August 1986 auf der Loreley. Plakat. Bei den Bundestagswahlen 1987 kann sich SPDSpitzenkandidat und NRW-Ministerpräsident Johannes Rau („Versöhnen statt Spalten“) nicht durchsetzen. 04.– Als es im Frühjahr 1987 gilt, den Posten eines Parteisprechers neu zu besetzen, schlägt Willy Brandt die parteilose, in Deutschland geborene Griechin Margarita Mathiopoulos vor. M. Mathiopoulos (1993): „Als er mich im März 1987 fragte, ob ich bereit sei, Pressesprecherin der SPD zu werden, war die Antwort für mich klar. Wie konnte ich Brandt nein sagen! Für jeden jungen Menschen ist es eine einmalige Chance, für eine historische Persönlichkeit wie Willy Brandt arbeiten zu dür96 fen.“ Über den Personalvorschlag Brandts kommt es in der Partei zu einem Streit, den Brandt zum Anlaß nimmt, den Parteivorsitz niederzulegen. Brandt: „Am 23. März teilte ich dem Parteivorstand mit: Ich gedächte, meinen Abschied zu nehmen, und bäte, den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dr. Hans-Jochen Vogel, zu meinem Nachfolger und Oskar Lafontaine – neben Johannes Rau – als neuen Stellvertreter zu bestellen. Überrascht war niemand. Ich fühlte mich in meinen Vorschlägen durch eine lange Aussprache bestätigt, die ich am Wochenende mit jüngeren Parteiführern gehabt hatte.“ Und: „Es gibt Schlimmeres, als einem anderen Platz zu machen, zumal wenn man weiß, daß eine jüngere Führungsgruppe auf dem Sprung steht und nachrücken wird. Und wenn man auch noch eine programmatische Erneuerung hat anstoßen können.“ Von einer dauerhaften Entfremdung zwischen Brandt und der SPD ist nicht die Rede. Der außerordentlichen SPD-Parteitag in Bonn im Juni 1987 (fünf Aufnahmen) bestimmt Hans-Jochen Vogel, den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, zum Nachfolger Willy Brandts. Brandt selbst wird einstimmig zum Ehrenvorsitzenden der Partei gewählt. 05.– Haitzinger-Karikatur von 1987. Text: „Also, Vogel, mit Parteiflügeln bist Du versorgt, jetzt flieg!“ TAFEL 64 Programmatik 01.– Veränderte historische Bedingungen erfordern immer wieder, sozialdemokratische Themen und Thesen neu zu durchdenken. Aufnahme: Eduard Bernstein (links) und Karl Kautsky (Altersfoto), die Hauptautoren des Erfurter SPD-Programms von 1891. In „Links und frei“ erinnert sich Brandt, anläßlich eines Internationalen Sozialistenkongresses in Hamburg 1923 („Ich war damals mit der Kindergruppe unserer Lübecker Arbeiterturner in Hamburg“) „einen Blick von Männern wie Karl Kautsky und Eduard Bernstein erhascht“ zu haben. 02.– Foto: Willy Brandt und Erich Ollenhauer auf dem Godesberger Programm-Parteitag vom November 1959. In dem dort verabschiedeten Grundsatzprogramm vollzieht sich der Wandel der SPD zu einer Volkspartei. Die „Kleine Geschichte der SPD“ sagt dazu: „Das Bemerkenswerteste am Godesberger Programm war sein Verzicht auf jede weltanschauliche und theoriegeschichtliche Festlegung. Es bekannte sich zu ‚Grundwerten‘ und ‚Grundforderungen‘, die auf unterschiedliche Weise religiös oder philosophisch begründet werden konnten. Durch diese Offenheit wurden Barrieren abgebaut, die der deutschen Sozialdemokratie den Weg zur Gewinnung von Anhängern, insbesondere aus religiös gebundenen Kreisen, bis dahin versperrt hatte.“ Brandt in Godesberg zu dem SPD-Programm: „Es ist eine im ganzen und im wesentlichen zeitgemäße Aussage, die es unseren Gegnern schwerer machen wird, sich mit einem Zerrbild statt mit der Wirklichkeit der deutschen Sozialdemokratie auseinanderzusetzen.“ 03.– Blick auf die Parteitagsdelegierten, Godesberg 1959. 04.– Helmut Schmidt und Willy Brandt, 1973. Einen wichtigen Beitrag zur sozialdemokratischen Programmatik nach Godesberg stellen die jahrelangen Arbeiten am sogenannten Orientierungsrahmen ’85 dar, an denen Helmut Schmidt teilnimmt. 05.– Der von einer Kommission unter Leitung von Peter von Oertzen, Horst Ehmke und Herbert Ehrenberg (vgl. Aufnahme, hinterer Tisch) vorgelegte Entwurf wird mit einigen Änderungen auf dem Mannheimer SPD-Parteitag 1975 fast einstimmig angenommen. Willy Brandt zu dem Orientierungsrahmen ’85: „Hier hat die größte Partei in der Bundesrepublik den Versuch unternommen, das Zwischenstück zwischen Tagespolitik und Grundsatzprogramm zu schaffen und damit die in das kommende Jahrzehnt hineinreichenden Aufgaben zu beschreiben.“ 06.– Titelblatt Orientierungsrahmen ’85. 07.– Vielen in der Welt ist in dieser Zeit Theorie und Praxis der deutschen Sozialdemokratie Vorbild. Hier: Titelblatt der chinesischen Übersetzung von Brandts „Begegnungen und Einsichten“ von 1976. 08.– Fünf Fotos von der Klausurtagung in Irsee (Allgäu), Mai 1986. Auf dieser Tagung wird der sogenannte Irseer Entwurf als Diskussionsgrundlage für ein neues SPD-Grundsatzprogramm fertiggestellt. Der SPD-Parteitag in Essen, Mai 1984, hatte den Parteivorstand beauftragt, eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen, auf dem Godesberger Programm basierenden Grundsatzprogramms einzusetzen. Willy Brandt ist der Vorsitzende dieser Kommission. 09.– Handschriftlicher Entwurf Brandts zu „Irsee“. 97 TAFEL 64 10.– Titelblatt des neuen Grundsatzprogramms, das auf dem SPD-Parteitag in Berlin im Dezember 1989 angenommen wird. Die Aussagen über wirtschaftliches Wachstum, Arbeit und Staat unterscheiden sich von früheren Auffassungen. 11.– Auf dem Leipziger Parteitag, Februar 1990, gibt sich die Ost-SPD ein Programm, das zugleich als Regierungsprogramm dient. Motto: „Ja zur deutschen Einheit – eine Chance für Europa“. Willy Brandt wird in Leipzig Ehrenvorsitzender der SPD der DDR. Aufnahme: Brandt und Manfred Stolpe, Leipzig 1990. 12.– September 1990: Auf dem Berliner SPD-Parteitag wird die Einheit zwischen SPD-West und SPD-Ost hergestellt. Foto (Von links): Der SPDParteivorsitzende Hans-Jochen Vogel, der Ehrenvorsitzende Willy Brandt, das Mitglied des Parteivorstandes Wolfgang Thierse (noch DDR) und der SPD-Kanzlerkandidat für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen Oskar Lafontaine. Vorne: Das historische Dokument des „Manifests 98 zur Wiederherstellung der Einheit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“. Brandt in Berlin: „Sozialdemokratische Tradition und nationale Selbstbestimmung sind geschichtlich nicht voneinander zu trennen. Nichts ist dagegen der Sozialdemokratie fremder als engstirniger Nationalismus. Für Selbstbestimmung, auch für unser Volk, haben wir seit vielen Jahren – wem sage ich es eigentlich hier in Reuters und meinem Berlin! – hart gerungen; zunächst darum, daß Mauer und Todesstreifen überwunden würden. Nun können wir uns freuen und wollen auch mit dafür sorgen, daß der Stacheldraht auch aus dem Denken der Menschen verschwindet.“ Willy Brandt in Berlin 1990: „Der Kommunismus hat nicht nur seine eigenen ursprünglichen Ideale zerstört. Es hat auch einen langen Schatten auf alles geworfen, was sozialistischen Namens oder Ursprungs war. Das wird nicht so bleiben!“ TAFEL 65 Friedrich-Ebert-Stiftung 01.– Am 28. Februar 1925 stirbt der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert. Foto: Der Leichenzug durch Berlin. In einem Aufruf im März 1925 gibt der SPD-Parteivorstand bekannt, er werde das Andenken F. Eberts durch eine Stiftung ehren, die im Sinne der Lebensarbeit des Verstorbenen wirken soll. Die Friedrich-EbertStiftung will jungen, befähigten Menschen Beihilfen für einen Studiengang an staatlich anerkann- ten Institutionen geben. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 wird die Friedrich-Ebert-Stiftung verboten. Mit der Wiedergründung der Stiftung nach 1945 kommen neben der Vergabe von Stipendien weitere Tätigkeitsbereiche hinzu: politische Bildungsarbeit, Entwicklungshilfe, Forschung und Sammlung von historischen Materialien. 02.– Willy Brandt ist mit Arbeit der Friedrich-EbertStiftung (nicht zuletzt mit der ihres Archivs) eng verbunden und vertraut. Aufnahme: Der damalige Bundesaußenminister Brandt bei der Grund- Holger Börner, Willy Brandt und Gertrud Lenz: Besuch im Willy-Brandt-Depositum im AdsD, 14.2.1991 99 T A F E L 65 03.– 04.– 05.– 06.– 100 steinlegung des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dezember 1967. Brandt bei dieser Gelegenheit: „Wenn wir das Archiv der sozialen Demokratie in die Obhut der Friedrich-Ebert-Stiftung geben, so wissen wir, daß diese bewährte Institution es nicht bei der bloßen Aufbewahrung des Materials bewenden lassen wird. Ihr Ziel wird es sein, die Quellen weiterhin, wo es nur möglich ist, zu sammeln, sie sachgemäß zu archivieren, sie in wissenschaftlichen Arbeiten auszuwerten und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen in politische Bildungsarbeit – nicht nur in Deutschland, sondern auch international, wie es einer seit Jahren erfolgreichen Arbeit entspricht.“ Brandts Bitte an die SPD-Parteigliederungen und -Fraktionen, „das uns alle angehende Unternehmen des Archivs der sozialen Demokratie nachdrücklich zu fördern“. Der Alt-Bundespräsident Gustav Heinemann (auf dem Foto zusammen mit Prof. Helmut Gollwitzer und dessen Ehefrau) besucht das Archiv der sozialen Demokratie der FES, in das er seine persönlichen und politischen Papiere gegeben hat. August 1975. Seit 1974 gibt es im Archiv der Stiftung ein Depositum Willy Brandt, das Brandt fortlaufend erweitert. Foto: Brandt besichtigt 1991 sein vom FES-Archiv betreutes, geordnetes und verzeichnetes Depositum. Dem Vorsitzenden der FriedrichEbert-Stiftung Holger Börner (links) spricht er seinen Dank für die bisher am Bestand geleistete Arbeit aus. Im Juni 1969 wird das neue Bonner Gebäude der Friedrich-Ebert-Stiftung eingeweiht. Drei Fotos der Veranstaltung. Auf den Bildern sind u.a. fol- gende Gäste zu erkennen: Militärbischof Kunst, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Österreichs Bruno Kreisky und der sowjetische Botschafter in Bonn Semjon Zarapkin. 07.– Der Bundeskanzler auf einer Veranstaltung der FES zum 20. Todestag Kurt Schumachers. Links: Martha Ollenhauer. Rechts: Annemarie Renger. Brandt auf dieser FES-Veranstaltung: Es sei evident, „daß wir als Regierungspartei bei unserem Ringen um den Frieden durchaus in der Tradition Kurt Schumachers stehen. Hier, im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-EbertStiftung, in dem diese Gedenkstunde stattfindet, darf ich aus dem stenographischen Protokoll der Internationalen Sozialistischen Konferenz vom 8. Juni 1947 in Zürich zitieren. Auf die Frage, ob die Weigerung der SPD, mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten, gleichbedeutend sei mit der Ablehnung einer Verständigungspolitik mit Rußland, antwortete Kurt Schumacher damals: Die kommunistischen Parteien beruhten auf besonderen intellektuellen und organisatorischen Grundsätzen. Es seien Grundsätze des Totalitarismus. Dann fuhr er fort: ‚Aber ich hüte mich, die kommunistische Partei eines Landes mit der Realität der Sowjetunion gleichzusetzen. Die Sowjetunion ist ein Faktor, mit dem wir zu einem Modus vivendi kommen müssen. Ich bin der Überzeugung – und diese Idee wird von der ganzen SPD geteilt –, daß zwischen Rußland und Europa eine Verständigung möglich ist. Was hingegen das Zusammenwirken mit den Kommunisten betrifft, so geben wir uns darüber keinen Illusionen hin.‘ Das gilt auch heute für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.“ TAFEL 66 Friedrich-Ebert-Stiftung 01.– Bundeskanzler Willy Brandt bei der Grundsteinlegung einer FES-Heimvolkshochschule 1973. Rechts hinter Brandt Jochen Steffen, der schleswig-holsteinische Sozialdemokrat. 02.– Willy Brandt und Willi Eichler, der Hauptautor des Godesberger Programms und Vorstandsmitglied der FES, bei einer Veranstaltung zu Ehren Friedrich Eberts, 1971. 03.– 1975 ist die Friedrich-Ebert-Stiftung 50 Jahre alt. Auf dem Foto von links: Richard von Weizsäcker, Daniel Oduber (Staatspräsident von Costa Rica), Alfred Nau, der Bundespräsident Walter Scheel, Walter Hesselbach, Willy Brandt, Annemarie Renger, Heinz-Oskar Vetter und Ludwig Rosenberg. 04.– Willy Brandt und der damalige FES-Geschäftsführer Günter Grunwald, 1974. 05.– Brandt vor der Ferdinand-Lassalle-Büste im Innenhof der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1984. 06.– Der SPD-Ehrenvorsitzende und der Bundespräsident bei der Eröffnung der August-Bebel-Ausstellung der FES in Berlin. Januar 1988. 07.– Die FES gibt Brandt Gelegenheit zu inoffiziellem Gedankenaustausch. Hier im Gespräch mit Egon Bahr und dem Europa-Experten des US-Außenministeriums Lawrence Eagleburger. 08.– 1991 gedenkt die Friedrich-Ebert-Stiftung des Anfang 1945 hingerichteten sozialdemokratischen Widerstandskämpfers Julius Leber. Die Veranstaltung findet in der Ostberliner Gethsemanekirche statt. Diese Kirche war eines der Zentren des Widerstandes gegen das SED-Regime gewesen. Willy Brandt ehrt sein Vorbild aus Lübecker Jugendtagen. Er mag wohl der einzige bei dieser Veranstaltung gewesen sein, der Julius Leber persönlich gekannt hat. Willy Brandt in der Gethsemanekirche: „Wer wollte im Jahr ’91 noch Neues beitragen, wo es um den Kern dessen geht, was den deutschen Widerstand gegen das deutsche Erzverhängnis dieses Jahrhunderts ausmachte? Über dessen geschichtlichen Rang nachzudenken, ist aktuell geblieben. Und die Erinnerung an diejenigen wachzuhalten, die, auf jede eigene Gefahr hin, dem Wagen des europäischen Unheils in die Speichen greifen wollten – das bleibt wichtig. Es bleibt wichtig auch in einer Zeit, in der es die Folgen von Spaltung, Fremdherrschaft und erneuter ideologischer Anmaßung zu überwinden gilt. [...] Daß die Friedrich-Ebert-Stiftung hierher einlud, hat seinen guten Sinn. Gewiß hätten wir uns auch in Breisach oder Freiburg versammeln können, wohin Julius Leber – gegenüber der ursprünglichen elsässischen Heimat – zur Schule ging. Oder, erst recht, nach Lübeck, das er – nicht nur meiner Erinnerung, sondern auch Theodor Eschenburgs Urteil zufolge – nach dem Ersten Weltkrieg demokratisieren half und für dessen Arbeiterschaft er zu so etwas wie einem hoffnungspendenden Volksherzog geworden war. Doch hierher, in unsere Hauptstadt, heißt mehr noch als an den Ort seiner zehnjährigen Zugehörigkeit zum Deutschen Reichstag gehen. [...] Diese Gedenkstunde ist eine auch des Respekts vor den freiheitlichen Traditionen der deutschen Hauptstadt: mit all dem Auf und Ab und wieder Auf zwischen März 1848 und November 1989, mit dem Reichstag als bedeutender Stätte demokratischer Erprobung in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung, mit der Westberliner Selbstbehauptung nach dem Hitlerkrieg und dem Ostberliner Juni ’53 als vorab101 TAFEL 66 kündenden Signalen für Deutschland als ganzes.“ In ihrem Jahresbericht 1992 nimmt die FES Abschied von Willy Brandt: „Willy Brandt war der Friedrich-Ebert-Stiftung von Anbeginn an aufs engste verbunden. Über Jahrzehnte hat er unsere Arbeit für Frieden, Freiheit, soziale Demokratie, für internationale Verständigung und Entwicklungszusammenarbeit entscheidend geprägt und vielfältig gefördert. Ohne ihn wäre die Friedrich-Ebert-Stiftung nicht, was sie heute ist – weder hier in Deutschland noch in der Welt. Seine Vision einer gerechteren Welt wird die Arbeit unserer Stiftung auch in Zukunft bestimmen. Wir werden in seinem Geiste weiterarbeiten.“ TAFEL 67 Die letzten Jahre 01.– Mai 1988: Die SPD, die älteste demokratische Partei Deutschlands, kann auf eine 125jährige Geschichte zurückblicken. Der SPD-Ehrenvorsitzende auf dem Festakt im Berliner Reichstag. Brandt dort: „Wenn die deutschen Sozialdemokraten neu zu Papier bringen, wo es langgehen soll, wird das historische Erbe gewiß nicht über Bord gehen. Doch es kann sich auch nicht darum handeln, das, was vorgestern gedacht und gestern für richtig gehalten wurde, auf das Heute und Morgen einfach zu übertragen. An der Fähigkeit zum furchtlosen Nachdenken über das eine – was Bestand hat – und über das andere – was neu entwickelt werden muß – darf es nicht mangeln. Unser Erbe handelt von wichtigen Abschnitten europäischer Freiheitskämpfe. In der deutschen Geschichte der letzten 125 Jahre war die Sozialdemokratie nicht nur Opfer, sondern in wichtigen Teilen Mitgestalter – schon im Kaiser- 102 reich, dann in der Ersten Republik, erst recht in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht nur im Bund, und im Bund auch als starke Opposition. Wir stehen in einer großen humanistischen Tradition. Die handelt von Vernunft und von Rücksichtnahme. [...] Sozialdemokraten vergeben sich nichts, sondern werden ihrem Auftrag gerecht, wenn sie – wo immer möglich – an einem Konsens mitwirken, der ein gutes Stück über die eigenen Grenzmarken hinausreicht. Die Zukunftsentwürfe, die sich die weitreichende Veränderung des Gegenwärtigen zum Ziel setzen, und die Realität des Tuns, das Politik genannt wird, können nie voll zur Deckung gebracht werden. Der demokratische Staat hat das Haus für solche zu sein, die unterschiedlich denken. [...] Ich weiß, politisches wie alles menschliche Tun bleibt unzulänglich. Auch die uns Nachfolgenden werden die Erfahrung des Seefahrers machen: Den Horizont werden wir nie erfahren, wenn wir ihn als ein fixes Ziel, eine feststehende Grenze mißverstehen.“ TAFEL 67 02.– Plakat. Mit einem Volksfest in Frankfurt a.M. feiert die Partei ihren Geburtstag. 03.– Ein Geburtstagsgeschenk aus Schleswig-Holstein: Die SPD erringt in diesem Bundesland die absolute Mehrheit. Björn Engholm wird Ministerpräsident. 04.– Willy Brandt wird im Dezember 1988 75 Jahre alt. Bundespräsident von Weizsäcker gibt aus diesem Anlaß im Januar 1989 einen Empfang, zu dem prominente Politiker aus dem In- und Ausland geladen sind. Der Bundespräsident sagt in der Villa Hammerschmidt zu Brandt: „In Ihrer Person haben Sie die Spannung zwischen Macht und Moral aufgehoben. Es gibt keine politische Verantwortung ohne Macht. Moral ohne Macht löst Probleme nicht. Sie wird zur Ideologie, sie verurteilt, anstatt zu helfen. Macht ohne Moral läuft sich tot, denn sie findet kein Vertrauen. Sie haben Vertrauen gefunden und genutzt.“ 05.– Helmut Schmidt und Willy Brandt werden zusammen 1989 für eine SPD-Anzeige im Europawahlkampf fotografiert. 06.– Das „Sozialdemokrat-Magazin“ übernimmt im Juni 1989 den traditionsreichen Namen des „Vorwärts“, der kurz zuvor hatte eingestellt werden müssen. 07.– Juni 1989: Brennende Schützenpanzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Die Forderungen nach Demokratie läßt das Regime niederkartätschen. Eine ebenfalls in Bedrängnis geratene Regierung äußert von Ostberlin aus Zustimmung. 08.– Leipzig im Oktober/November 1989. In gewaltigen Massendemonstrationen spricht sich die DDR-Bevölkerung gegen das SED-Regime aus. Die Kundgebungen verlaufen friedlich. Die vergreiste Staatsführung wagt unter den Augen der Weltöffentlichkeit nicht, mit Gewalt gegen die Opposition vorzugehen. 103 TAFEL 68 01.– Ab Sommer 1989 nimmt die politische Opposition in der DDR festere organisatorische Formen an, vorerst noch geheim oder halblegal. Am 7. Oktober 1989 wird in einem Pfarrhaus in Schwante in der Nähe Berlins die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP) gegründet. Das Vorbild der SDP ist die westdeutsche Sozialdemokratie. Vier Fotos aus einem in Schwante aufgenommenen Videofilm. 02.– Die anhaltenden Massenproteste in der DDR (hier: Anfang November Berlin, Alexanderplatz) zwingen das von SED und Blockparteien getragene Regime zu immer weiteren Zugeständnissen. Auf einer Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 teilt SED-Politbüromitglied Günter Schabowski (auf dem Foto beim Verlassen der Tribüne) beiläufig mit, daß alle Grenzübergänge zwischen DDR und BRD ab sofort geöffnet werden. Die „Mauer“ ist damit gefallen. 03.– 10. November 1989: Kundgebung auf dem JohnF.-Kennedy-Platz in Westberlin. Auf dem Bild (von links): Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) u.a. In der Menge Ost- und Westberliner einträchtig zusammen. Brandt vor dem Schöneberger Rathaus: „Mein ganz herzlicher Gruß gilt den Berlinerinnen und Berlinern in allen Teilen der Stadt und gleichermaßen den Landsleuten überall in Deutschland.“ Und: „Dies ist ein schöner Tag nach einem langen Weg. Doch wir befinden uns erst an einer Zwischenstation. Wir sind noch nicht am Endes des Weges angelangt. Es liegt noch eine Menge vor uns.“ Und: „Es wird jetzt viel davon abhängen, ob wir uns – wir Deutsche, hüben und drüben – der geschichtlichen Situation gewachsen erweisen. Das 104 Zusammenrücken der Deutschen, darum geht es.“ „Die Freunde von der SDP“ habe er, berichtet Brandt in seinen „Erinnerungen“, „gemeinsam mit dem SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel am Abend jenes 10. November besucht, an dem wir den Fall der Mauer gefeiert hatten“. 04.– SPD-Plakat von 1989. Noch vor dem Schöneberger Rathaus (10.11.) hatte Brandt in bezug auf die jüngste Entwicklung gesagt: „Ich bin dem Herrgott dankbar dafür, daß ich dies miterleben darf.“ Die von ihm gewollte Einheit Deutschlands ist in greifbare Nähe gerückt. Die Ereignisse bestätigen ihm, dem Internationalisten und Patrioten, daß die von ihm seit den 60er Jahren verfolgte Politik richtig war. Mit der Legende von den „vaterlandslosen Gesellen“ aus der Sozialdemokratie räumt er auf dem SPD-Parteitag von 1989 auf: „Wir können stolz sein, in der Tradition derer zu stehen, die sich schon dem großsprecherischen und säbelrasselnden Wilhelminismus nicht beugten. Und was immer man der Weimarer Republik, der schwächlichen Republik, ankreiden mag, niemand kommt daran vorbei, daß der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert Entscheidendes dazu beigetragen hat, daß Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zusammengehalten wurde. Während der Nazidiktatur haben wir den Gedanken vom anderen, europabewußten Deutschland nicht untergehen lassen. Und niemand kann bestreiten, daß Kurt Schumacher und Ernst Reuter und die anderen – einige von uns sind ja noch dabei – nach dem Zweiten Weltkrieg das ihnen Mögliche daransetzten, von Deutschland zu retten, was zu retten war. So war die Formel. So war der Inhalt der Aufgabe.“ TAFEL 68 05.– Willy Brandt im Gespräch mit dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow im Februar 1990. Bei den ersten demokratischen Wahlen in der DDR im März 1990 kann Modrows Partei, die PDS, nur einen Stimmenanteil von ca. 16% erringen. Modrow tritt zurück; der DDR-Koalitionsregierung unter de Maizière gehört die SPD-Ost einige Monate an. Brandt hatte vor den DDR-Wahlen auf der Bonner Bundespressekonferenz erklärt: „Meines Erachtens war es nicht nötig, soviel Unsitten bundesdeutscher Wahlkämpfe in das wahlpolitisch jungfräuliche DDR-Gelände zu exportieren. Ich meine, es war zum Beispiel ganz und gar unzulässig, Wähler in der DDR damit einschüchtern zu wollen, daß Hilfen des Bundes von ihrem Wohlverhalten in der Wahlkabine abhängig sein würden (‚ohne Kohl keine Kohle‘). Auch der wiederholte Versuch, den Sozialdemokraten zu unterstellen, sie befänden sich in der Nähe der bisher regierenden Kommunisten (oder seien von diesen unterwandert), mußte Bitterkeit hinterlassen. Dies besonders im Gedenken an Tausende von Parteifreunden, die von der damals herrschenden Gewalt eingekerkert waren, und Hunderte, die zu Tode gebracht wurden.“ 06.– Juni 1990: Vier Monate nach seiner Befreiung trifft der ANC-Führer Nelson Mandela im Bonner SPD-Parteivorstand den sozialdemokratischen Ehrenvorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationale Willy Brandt. Mandela sagt über Brandt: „Einer meiner größten Helden.“ Die SI unter Brandt hat die Apartheidspolitik des weißen Südafrika stets bekämpft. 07.– 3. Oktober 1990, Tag der deutschen Einheit. Willy Brandt in Berlin. 105 TAFEL 69 01.– Im November 1990 – vor Ausbruch des Golfkrieges – fliegt Willy Brandt nach Bagdad, um die im Irak festgehaltenen Geiseln freizubekommen. In zwei Gesprächsrunden mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein (vgl. Foto) gelingt es ihm, Hussein die Ausreiseerlaubnis für 138 deutsche und 55 weitere Geiseln aus elf Ländern abzuhandeln. Unter den Geiseln befinden sich insgesamt 40 als „lebende Schutzschilde“ mißbrauchte Personen und zahlreiche ältere Menschen und Kinder. Im „Spiegel“ (Nr. 7/1991) sieht Brandt in der Bagdad-Reise nicht nur „eine notwendige mitmenschliche Bemühung um die Befreiung der Geiseln“, sondern auch eine „Sondierung, um herauszufinden, ob der Krieg hätte vermieden werden können“. „Vielleicht habe ich dazu beigetragen, der dortigen Nummer eins klarzumachen: Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß Geiseln den Krieg verhindern.“ 02.– Etwa 500 Angehörige bereiten den Freigelassenen auf dem Frankfurter Flughafen (9.11.1990) einen großen Empfang. Immer wieder wird „Willy – Willy“ gerufen. 03.– Aus den gesamtdeutschen Wahlen vom 2. Dezember 1990 kann die SPD (Spitzenkandidat: Oskar Lafontaine) nur als zweitstärkste politische Kraft hervorgehen. Am 20.12. eröffnet Willy Brandt als Alterspräsident den im Reichstag tagenden gesamtdeutschen Bundestag (vgl. Bild). Brandt an historischer Stelle: „Meine Damen und Herren, die Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag sind, was den Auftrag zur Regierungsbildung angeht, eindeutig. Gleichwohl lebt die parlamentarische Demokratie vom Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, vom Wettbewerb unterschiedlicher Angebote zur Lö- 106 sung von Problemen. Daß hier gestritten wird, gehört zur freiheitlichen Ordnung. Meinungsstreit muß ja nicht Wahlkampf in Permanenz bedeuten. Demokratie gedeiht nicht ohne jenen Grundkonsens, der die verfassungsmäßigen Grundfesten sichert. Das gegenseitige Wohlwollen mag gelegentlich strapaziert scheinen, die staatspolitische Gleichwertigkeit hat außer Zweifel zu stehen. Unsere Auseinandersetzungen sollten sachlich den Bürgern zugewandt sein, die wir zwar jeder für sich und mit seinen Gleichgesinnten, aber eben auch miteinander zu vertreten haben.“ Und an die Bevölkerung der ehemaligen DDR gerichtet: „Ich beschwöre unsere Landsleute: Möge das Gefühl, auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben, sich nicht in Mutlosigkeit oder gar Aggressivität entladen. Möge das Gefühl aufgehoben sein, daß niemand zu spät kommt, wenn sich das Leben weitet. Die rechtliche und möglichst gerechte Bereinigung dessen, was das alte Herrschaftssystem hinterließ, muß, meine ich, zügig vorankommen. Das heißt aus meiner Sicht und Erfahrung: Es ist so deutlich wie irgend möglich zwischen denen zu trennen, die sich so verhalten und so bereichert haben, daß sie vor den Kadi gehören, und vielen anderen, die politisch geirrt oder sich bloß durchgemogelt haben. Ihnen wird die Demokratie die Chance des Mittuns und der Bewährung nicht vorenthalten.“ 04.– Zwei Aufnahmen vom SPD-Parteitag in Bremen, Mai 1991. In Bremen wird Björn Engholm neuer sozialdemokratischer Parteivorsitzender. 05.– SPD-Plakat von 1957. Der Bremer Parteitag führt eine Debatte über den zukünftigen Sitz von Regierung und Parlament. Kein Zweifel, daß sich TAFEL 69 der Ehrenvorsitzende Willy Brandt hier wie später im Bundestag für die „Hauptstadt im Wartestand“ einsetzt. Die Enttäuschung der Bonn-Befürworter nimmt er in Kauf. Der Parteitag selbst ist in der Berlin-Frage geteilter Meinung. 06.– Die Regierenden Bürgermeister von Berlin (19671993) im Februar 1992 im Schöneberger Rathaus. 07.– Letztes Auftreten in der Öffentlichkeit. Willy Brandt Anfang Mai 1992 bei Genossen in Luxemburg. Wenig später muß er sich einer erneuten Operation unterziehen. 08.– An dem im September 1992 in Berlin stattfindenden Kongreß der Sozialistischen Internationale kann der Schwerkranke nicht mehr teilnehmen. Hans-Jochen Vogel verliest seinen Abschiedsbrief: „Liebe Freunde, muß ich sagen, wie gern ich gerade dieser Tage unter Euch gewesen wäre? Es sollte nicht sein und so grüße ich Euch auf diesem Wege.“ Willy Brandt: SPD-Parteitag in Bremen (28.- 31.5.1991), 28.5.1991 107 TAFEL 70 8. Oktober 1992 01.– Willy Brandt stirbt am 8. Oktober 1992 in seinem Haus in Unkel in der Nähe Bonns. Aufnahme: spontane Trauerkundgebung vor dem ErichOlllenhauer-Haus in Bonn. 02.– Trauerkundgebung in Berlin. Eine Pressemeldung: „Viele tausend Menschen haben am vergangenen Wochenende in Berlin und anderen Städten Deutschlands in Trauerdemonstrationen vom Ehrenvorsitzenden der SPD und Altbundeskanzler Willy Brandt Abschied genommen. Am Vorabend des offiziellen Staatsaktes im Deutschen Reichstag versammelten sich die Sozialdemokraten in der bis zum letzten Platz gefüllten Eissporthalle in BerlinWedding.“ Björn Engholm sagte dort, daß Brandt nicht mehr da sei, sei unvorstellbar. Und: „Willy, Du wirst uns fehlen.“ 3.+4. Der Sarg im Schöneberger Rathaus. Berliner nehmen Abschied. 05.– Der Staatsakt im Reichstag, 17. Oktober 1992. An der Trauerfeier im Reichstag nahmen 1.600 108 Gäste aus dem In- und Ausland (darunter zahlreiche Regierungschefs) teil. Richard von Weizsäcker sagte: „Das Leben eines Großen hat sich vollendet.“ Er erinnerte daran, wie Brandt in den 50er Jahren von den Konservativen wegen seiner unehelichen Geburt und seines Exils „auf schamlose Weise geschmäht“ wurde. Dies habe tiefe Narben zurückgelassen. Helmut Kohl: „Brandt wollte, daß die Deutschen an die guten Traditionen ihrer Geschichte anknüpfen, ohne die schlimmen Kapitel aus ihrer Erinnerung zu tilgen.“ Felipe Gonzàlez: „Jetzt, wo Du mich nicht mehr hören kannst, möchte ich Dir sagen: Lebwohl, Freund Willy.“ 06.– Der Bundespräsident, der Bundeskanzler, Frau Brigitte Brandt, und nächste Angehörige (unter ihnen die Brandt-Kinder Ninja, Peter, Lars und Matthias) folgen dem Sarg aus dem Reichstag. 7.+8. Auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof in Berlin, 17.10.1992. Erhard Eppler über den Sozialdemokraten und deutschen Europäer Willy Brandt: „Willy Brandt war kein Kirchenchrist. Aber es spricht einiges dafür, daß er nicht ohne Neugier gestorben ist.“ Videoturm 109 VIDEOTURM Der Besucher hat in der Ausstellung die Möglichkeit, am „Videoturm“ eine Reihe von Filmsequenzen unterschiedlicher Länge anzuwählen und zu betrachten. Ursprünglich hatte das Archiv der sozialen Demokratie in Erwägung gezogen, einige der Filme über Willy Brandt vorzuführen. Die meisten liegen als Videos im AdsD vor. Bei näherer Überlegung erwiesen diese sich jedoch für die Ausstellung als nicht brauchbar. Damit ist kein Urteil über deren Qualität gefällt: Sie sind schlicht zu lang. Stattdessen werden im wesentlichen Ausschnitte aus zeitgenössischen Filmen, Wochenschauen usw. gezeigt, die in Zusammenhang mit Brandts Leben stehen, den Reiz des Unmittelbaren haben und den Betrachter nicht mit dem feststehenden Urteil einer Filmbiographie konfrontieren. Die Recherchen nach dem filmischen Ausgangsmaterial in in- und ausländischen Archiven erwiesen sich als schwierig und zeitaufwendig, führten aber Dank der Mithilfe der jeweiligen Filmarchivare zum Erfolg. Die auf eine Bildplatte übertragenen Filmausschnitte werden im folgenden beschrieben. Die Anwählziffern und die Länge des Ausschnitts in Minuten und Sekunden sind angegeben. 110 10 (1‘10“, stumm): „Wo ist Coletti?“ (Ausschnitte). Als Willy Brandt geboren wurde (18.12.1913), lief in den Kinos im Raum Lübeck der Film „Wo ist Coletti?“, wie dem Anzeigenteil des „Lübecker Volksboten“ zu entnehmen ist. Der 1912 entstandene Streifen (Regisseur Max Mack, Hauptdarsteller Hans Junkermann), eine der belanglosen Verwechslungskomödien, die damals sehr beliebt waren, schildert, wie es dem aufgrund einer Wette gesuchten Coletti (Junkermann) gelingt, sich den „Nachstellungen“ der Berliner Bevölkerung zu entziehen. Der Streifen ist filmhistorisch nur wegen seiner ungewöhnlichen Außenaufnahmen interessant. 11 (4‘21“): Lübecker Impressionen. Gezeigt werden Aufnahmen aus dem heutigen Lübeck (u.a. das Geburtshaus von Willy Brandt, sein Gymnasium – das Johanneum, das Holstentor), das Lübeck am Tag nach dem RAF-Angriff vom März 1942 (Deutsche Wochenschau) und Luftkämpfe im Raum Lübeck, die 1945 von der RAF gefilmt wurden und die das Londoner Imperial War Museum dem AdsD zur Verfügung gestellt hat. Die Bilder sind unterlegt mit Passagen einer Rede Thomas Manns vom April 1942. Im Herbst 1940 war die British Broadcasting Corporation (BBC) an den im US-Exil lebenden Schriftsteller mit dem Wunsch herangetreten, „ich möchte über ihren Sender in regelmäßigen Abständen an meine Landsleute kurze Ansprachen richten, in denen ich die Kriegsereignisse kommentieren und eine Einwirkung auf das deutsche Publikum VIDEOTURM im Sinne meiner oft geäußerten Überzeugungen versuchen sollte“ (Thomas Mann). Die hier wiedergegebenen Passagen der MannRede aus dem Deutschen Rundfunkarchiv (Frankfurt a. M.) lauten: „Deutsche Hörer! Zum ersten Mal jährt sich der Tag der Zerstörung von Coventry durch Görings Flieger, – einer der schauderhaftesten Leistungen, mit denen Hitler-Deutschland die Welt belehrte, was der totale Krieg ist und wie man sich in ihm aufführt. [...] Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestattete, niemals zu zahlen zu haben? Es hat kaum zu zahlen begonnen – über dem Kanal und in Rußland. Auch was die Royal Air Force in Köln, Düsseldorf, Essen, Hamburg und andern Städten bis heute zuwege gebracht hat, ist nur ein Anfang. Hitler prahlt, sein Reich sei bereit zu einem zehn-, ja zwanzigjährigen Kriege. Ich nehme an, daß ihr Deutsche euch euer Teil dabei denkt – zum Beispiel, daß in Deutschland nach einem Bruchteil dieser Zeit kein Stein mehr auf dem andern wäre. Beim jüngsten britischen Raid über Hitlerland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt. Die Angriffe galten dem Hafen, den kriegsindustriellen Anlagen, aber es hat Brände gegeben in der Stadt, und lieb ist es mir nicht, zu denken, daß die Marienkirche, das herrliche RenaissanceRathaus oder das Haus der Schiffer-Gesellschaft sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke an Coventry – und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß. [...] Sogar könnte es sein, daß mein Sinn für Gerechtigkeit durch dies Bombardement noch auf eine besondere Probe gestellt wäre. Schwedische Blätter melden, und amerikanische fragen mich danach aus, daß das Haus meiner Großeltern, das sogenannte Buddenbrook-Haus in der Mengstraße, bei dem Raid zerstört sein soll. Ich weiß nicht, ob die Nachricht wahr ist. Für viele draußen ist durch meinen Jugendroman der Name Lübecks nun einmal mit dem Gedanken an dies Haus verbunden, und leicht kommt es ihnen in den Sinn, wenn Bomben auf Lübeck fallen. An Ort und Stelle freilich heißt es schon längst nicht mehr das ‚Buddenbrook-Haus‘. Die Nazis, verärgert darüber, daß immer die Fremden noch danach fragten, hatten es umgetauft in ‚Wullenweber-Haus‘. Das dumme Gesindel weiß nicht einmal, daß ein Haus, das den Stempel des achtzehnten Jahrhunderts an seinem Rokoko-Giebel trägt, nicht gut mit dem verwegenen Bürgermeister des sechzehnten etwas zu tun haben kann. [...] Das alte Bürgerhaus, von dem man nun sagt, daß es in Trümmern liege, war mir ein Symbol der Überlieferung, aus der ich wirkte. Aber solche Trümmer schrecken nicht denjenigen, der nicht nur aus der Sympathie für die Vergangenheit, sondern auch aus der für die Zukunft lebt. Der Untergang eines Zeitalters braucht nicht der Untergang dessen zu sein, der in ihm wurzelt und der ihm entwuchs, indem er es schilderte. HitlerDeutschland hat weder Tradition noch Zukunft. Es kann nur zerstören, und Zerstörung wird es erleiden. Möge aus seinem Fall ein Deutschland erstehen, das gedenken und hoffen kann, dem Liebe gegeben ist rückwärts zum Gewesenen und vorwärts in die Zukunft der Menschheit hinaus. So wird es, statt tödlichen Hasses, die Liebe der Völker gewinnen.“ 111 VIDEOTURM in Deutschland gehen können. Aber dort hätte ich nicht bleiben können, wäre eingesperrt worden und gerade in der ersten Zeit der Naziherrschaft sind ja auch lokal, örtlich schlimme Dinge vorgekommen. Also bin ich weg mit dem Fischerboot über die Ostsee nach Dänemark, von dort nach Oslo, wo ich avisiert war. Aber wenn man mal alle Einzelheiten beiseite läßt, dann muß ich wirklich rückschauend sagen, ich kann nicht erkennen, daß es eine nationale Pflicht gegeben hätte, sich einsperren und totschlagen zu lassen oder auch ohne totschlagen. Ich habe großen Respekt vor dem Lebenslauf anderer, aber ich erkenne nicht, daß es eine nationale Pflicht war, für Hitler in den Krieg zu ziehen. Ich weiß, wieviele dies tun mußten und wieviele es auch nicht nur aus Pflicht, sondern auch auf Grund ihrer damaligen Überzeugung getan haben oder weil sie meinten, dies sei national nicht anders möglich. Ich verlange nichts anderes als Respekt vor demjenigen, der sagt, es war nicht weniger ehrenhaft, gegen Hitler als für ihn ein Risiko einzugehen, um es vorsichtig zu formulieren.“ Der O-Ton Brandt ist einer ZDF-Sendung („Zeugen des Jahrhunderts“) vom 13.12.1988 entnommen. Der Interviewer Horst Schättle hatte Brandt gefragt, ob Brandt nicht immer wieder vorgeworfen würde, er hätte mit seiner Emigration den „leichteren Weg gewählt“. Übrigens: Einige in Lübeck haben Thomas Mann diese Rede nicht „verziehen“. Als 1955 die Bürgerschaft von Lübeck beschloß, dem Nobelpreisträger für Literatur Mann das Ehrenbürgerrecht zu verleihen, verließ die CDU den Sitzungssaal. 12 112 (2‘05“): Die Flucht nach der Machtergreifung – die Flucht nach Norwegen. Gezeigt werden folgende Szenen: der Abend des 30. Januar 1933 in Berlin; Paul Stooß, der Fischer, der Willy Brandt nach Dänemark brachte; Oslo – Straßenszenen; Rede Hitlers vor SA-Leuten; begeisterte Deutsche jubeln dem „Führer“ zu. Die Bilder sind unterlegt mit nachstehenden Worten Willy Brandts: „Also, das ist zunächst mal objektiv falsch, mit dem leichteren Weg, wenn man weiß, wieviele es wie schwer draußen gehabt haben. Ich habe es nicht so schwer gehabt wie andere, aber viele haben den Rand der Verzweiflung, draußen in Frankreich schlimmer als anderswo, erreicht in anderen Teilen der Welt. Diese Vorstellung, die da rausgingen ins Exil oder die Emigranten, wie es dann hieß, die hätten an den Fleischtöpfen gesessen, während anderswo gehungert wurde, die ist objektiv falsch. Also ich bin damals weggegangen, aus einer Mischung von zwei Dingen. Das eine war, daß die illegale, wie man sagt, die geheime Leitung meiner Gruppe in Berlin sagte, wir brauchen jemand, der nach Oslo geht. Das Rausschleusen eines anderen, an dem ich beteiligt war, das hatte nicht geklappt. Also bekam ich einen Bescheid, Du gehst da hin, und ich hätte zu dem Zeitpunkt in Lübeck nicht bleiben können. Ich hätte vielleicht woanders hin 13 (4‘56“): Emigration. Aufnahmen aus den 30er Jahren (u.a. aus Filmen verschiedenen Ursprungs) von Emigranten: Max Hölz, Clara Zetkin und Wilhelm Florin (alle drei KP) in Rußland; Thomas Mann in Prag; VIDEOTURM Albert Einstein; Max Reinhardt; Richard Tauber; Erich Ollenhauer (SPD) in der CSR; Sitz des Exil-Parteivorstandes der SPD in Prag; Flüchtlingshilfe in Prag; Shanghai; New York. Den Abschluß dieser Sequenzen bilden Aufnahmen von deutschen sozialdemokratischen Emigranten in London (1945) und einem Kriegsgefangenenlager in der Nähe Londons (1945), in dem die Engländer erlaubten, daß junge deutsche Soldaten mit Deutschen zusammentreffen konnten, die vor Hitler geflüchtet waren. Unterlegt sind die Bilder mit Passagen aus einer Rede von Joseph Goebbels (aus dem Deutschen Rundfunkarchiv) vom 16.6.1933. Wortlaut: „Am 30. Januar dieses Jahres ist diese Revolution ausgebrochen. Nur die, die neben der Zeit lebten, sahen in ihr etwas Unerwartetes. Wir aber, wir Nationalsozialisten, haben sie kommen gesehen. Nicht nur das, – wir haben diese Revolution planmäßig vorbereitet! Wir haben ihr die geistigen Grundlagen gegeben. Wie verliehen ihr den heißen revolutionären Atem und den durchschlagenden, wunderbar aktivistischen Elan. In einem siegreichen Ansturm ohnegleichen in der Geschichte haben wir das November-System zur Strecke gebracht, haben wir die Ketten abgeschüttelt, die ein fluchwürdiges Regime, das aus der Kapitulation vom November 1918 hervorgegangen war, über Deutschlands Schultern gelegt hatte. Seit dem 30. Januar nun hat die nationalsozialistische Bewegung in unverminderter Angriffslust eine Machtposition nach der anderen genommen. Sie hat ihre politischen Gegner zu Paaren getrieben. [...] Trotzdem haben sie nichts getan. Und zwar deshalb, weil sie nichts tuen wollten, weil sie zu feige waren, weil sie vor den großen Entschei- dungen auswichen, weil sie die Zeit nicht verstanden, weil sie, obschon das Volk sie in die Sessel der Macht hineingehoben hatte, das Volk im Stich ließen und aus dem Elend und dem Jammer und der Not nur eine Berechtigung für ihr eigenes parasitäres Prasserdasein schöpften. Darum –, darum hat das deutsche Volk sie mit Recht aus der Macht herausgefegt. Und ich glaube, wohl niemals in der ganzen Weltgeschichte hat es eine Usurpatorenschicht gegeben, die so feige und so jämmerlich der Notwendigkeit ihrer eigenen Existenz ausgewichen wäre. Wir haben sie niemals für tapfer gehalten. Aber daß sie so jämmerliche Feiglinge und Zwerge waren, das haben selbst wir nicht für möglich gehalten! Sie hoben ihre Bankdepots ab und verdufteten dann in die Schweiz. Von dort aus ziehen sie jetzt die Zweite Internationale auf. Sie wollen den deutschen Arbeiter beglücken. Sie wollen das deutsche Volk vom Terror befreien. Sie wollen, daß der Marxismus wieder zur Herrschaft komme, um das nachzuholen, was er in den vergangenen vierzehn Jahren versäumt hat. Aber sie irren sich. Die Herren laufen hinter der Zeit her! Sie haben die Zeichen der Zeit nicht verstanden! Ihre Uhr ist abgelaufen! Nur schade, daß sie sich unserem Zugriff entziehen konnten. Nur schade, daß sie jetzt vom Ausland her dem deutschen Volke und der deutschen Nation Schwierigkeiten bereiten können.“ 14 (5‘54“, stumm): Norwegen in den 30er und 40er Jahren. Szenen: Demonstrationen der demokratischen norwegischen Arbeiterbewegung; Martin Tranmael; Ministerpräsident Johan Nygaardsvold und 113 VIDEOTURM seine Koalitionsregierung; Ausperrung und Arbeitslose; deutsche Truppen in Norwegen, April 1940; militärischer Widerstand der Norweger; der deutsche „Statthalter“ Terboven; der Statthalter des Statthalters – Quisling; Haakon VII. und der norwegische Staatsrat im Londoner Exil; Flucht aus Norwegen nach Schweden. 15 114 (9‘51“): Bavaria-Tonwoche vom Januar 1937 mit einem Rückblick auf das Jahr 1936: Das Reich und die Welt aus NS-Sicht. Inhalt u.a.: Die Erfolge des „Neuen Deutschland“ – Luftfahrt, Reichsbahn, Kraft durch Freude, Autobahnen. Hitler in dieser Wochenschau: „Die Straßen werden nicht zerstört wie die früheren...“ Massenveranstaltungen in Deutschland. Der Wochenschausprecher: „An den großen Feiertagen gab das deutsche Volk wiederum ein Bild eindrucksvoller Volksgemeinschaft, deren heimtückische Feinde im Auslande einen der Unseren ermordeten.“ Der Krieg der Italiener in Abessinien endete, so der Sprecher, „siegreich mit der Unterwerfung der äthiopischen Stämme“. Die Wochenschau sieht „flammende Begeisterung für den Duce“. Abkommen mit Japan „gegen das Treiben der kommunistischen Internationale“; Olympiade; deutsche Rheinlandbesetzung. Der Sprecher: „die Waffenträger der Nation, die von nun ab das ganze Deutsche Reich beschützen...“ Parteitag „der Ehre“ in Nürnberg. Hermann Göring: „Wir sind nun einmal in einer Festung, da heißt es, Alles und das Letzte einzusetzen...“ 16 (4‘52“): Spanischer Bürgerkrieg 1936 ff. Inhalt: Francisco Franco und seine putschenden Militärs; Demonstrationen einerseits für die demokratische Republik, andererseits für die Faschisten; Kundgebungen im republikanischen Barcelona; Ansprache Francos; Kämpfe an der Front; Luftangriff auf Madrid; republikanische Flüchtlinge an der spanisch-französischen Grenze im März 1939. Die Sequenzen sind teilweise unterlegt mit Äußerungen Willy Brandts über den Spanischen Bürgerkrieg (aus dem Film von Heinrich Breloer „Kampfname: Willy Brandt“). Zitiert wurde Brandt so: „Ich hab mir das näher angeguckt; an der Front vor Saragossa gibt es ein Städtchen, das heißt Huesca. Der Zufall will, daß was ich dort erlebt habe, daß das auch von Orwell in seinem Katalonien-Buch beschrieben worden ist. Dieser grotesk anmutende Kampf um eine Anhöhe, auf der sich die Ruinen eines Irrenhauses befinden. Mal die eine, mal die andere Seite erobert diese Anhöhe, auf der nichts mehr ist. Aber die eine, heute würde man sagen, strategische Bedeutung hatte oder haben könnte. Man hat sonst einiges mitgekriegt, und ich habe natürlich mitgekriegt, wie unter damaligen Verhältnissen Luftangriffe aussahen. Habe mir übrigens angewöhnt, nicht in einen Unterstand zu gehen, in einen Schutzraum zu gehen, weil ich mal miterlebt habe, wie genau eben die, die reingegangen waren, kaputt gegangen sind und nicht die, die draußen geblieben waren. [...] Also, ich habe gesprochen von diesem Haß, der sich entwickelt hatte, der ja auch der ganzen Auseinandersetzung zugrunde lag, und obwohl in diesem Gefecht bei Huesca, von dem ich sprach, VIDEOTURM überwiegend eine internationale Einheit war, waren halt Spanier auch da. Die Spanier ließen es sich nicht entgehen, einen uniformierten, jetzt im Sinne von Militäruniform, einen uniformierten Priester sich vorzunehmen, um ihm mit dem Bajonett den Bauch aufzuschlitzen. Habe viele Grausamkeiten auf beiden Seiten gesehen. Ich habe einen meiner Freunde aus der Jugendbewegung am Tag danach im Lazarett gesehen, der ist nicht durchgekommen.“ 17 (2‘11“, stumm): 1. Mai 1944 in Stockholm. Inhalt: eine Demonstration anläßlich des Arbeiterfeiertages mit erst jetzt entdeckten BrandtAufnahmen. Diese Aufnahmen werden am Schluß verlangsamt wiederholt. Das Kurzprotokoll einer Recherche: Der Ehrgeiz der Ausstellungsmacher zielte von Anfang an darauf hin, ein möglichst frühes Filmdokument von Willy Brandt aus der Zeit vor 1945 zu entdekken. Unsere entsprechenden Anfragen an norwegische und schwedische Archive wurden alle negativ beantwortet. Da bot sich uns ein anderer Weg der Recherche an: Den Ausstellungsmachern lag ein Foto vor, das Willy Brandt mit seiner Frau Carlota und der gemeinsamen Tochter Ninja während einer Mai-Demonstration 1944 in Stockholm zeigte (vgl. Tafel 17.1). Unsere Frage an das schwedische Archiv lautete jetzt, ob es von dieser Mai-Kundgebung Filmaufnahmen gäbe. Diese gab in der Tat. Als wir sie in Bonn betrachteten, machten wir eine Entdeckung – die BrandtAufnahmen (vgl. oben und die Filmprints). Diese seltenen Aufnahmen können jetzt zum ersten Mal einer größeren deutschen Öffentlichkeit vorgeführt werden. 18 (1‘16“): „Wo uns der Schuh drückt“. Rede (Auszug) Willy Brandts vom 6.10.1957. Zu 18, 19 und 20 vgl. Tafel 33.3. Die Reden lagen im RIAS-Archiv nur als Tonaufzeichnungen vor. Sie wurden nachträglich von den Ausstellungsmachern durch Filmausschnitte illustriert. Redeauszug: „Und nun zum Schluß noch ein persönliches Wort: In unseren künftigen Gesprächen, meine lieben Hörerinnen und Hörer, werde ich mich bemühen, auf die an mich gelangten Briefe mit Wünschen, Anregungen, Beschwerden und Kritik einzugehen. Heute ist es mir ein Bedürfnis, den vielen mir persönlich Unbekannten aus allen Teilen Deutschlands, die mir zur Übernahme meines neuen Amtes ihr Vertrauen und ihre Wünsche in so freundschaftlicher Weise zum Ausdruck gebracht haben, zu danken. Dieses mir entgegengebrachte Vertrauen, das in den Briefen zum Ausdruck kommt, wird mir ein weiterer Ansporn sein, zu versuchen, die ausgedrückten Hoffnungen zu rechtfertigen. Ich will keine großen Worte machen, ich will an die Arbeit gehen und hoffen, durch die Tat zu zeigen, daß einiges von dem, was gesagt, gewünscht und ausgedrückt ist, sich in Zukunft als richtig erweisen wird. Auf Wiederhören in 14 Tagen.“ Filmaufnahmen: Berliner Straßenszenen, 50er Jahre; Wahl Brandts zum Regierenden Bürgermeister, 1957. 19 (3‘29“): „Wo uns der Schuh drückt“. Rede (Auszug) Willy Brandts vom 11.1.1959. Brandt: „Die Beratungsstelle im Rathaus Schöneberg wird nicht nur von vielen Besuchern direkt 115 VIDEOTURM aufgesucht – im Jahre 1958 waren es 3.458 Besucher – sondern sie bearbeitet auch die Briefe, die mit Sorgen, Klagen, Wünschen und Anregungen an den Regierenden Bürgermeister gerichtet werden, darunter auch alle Briefe, die auf diese Sendung Bezug nehmen. Daß die Briefe von der Beratungsstelle bearbeitet werden, heißt jedoch keinesfalls – wie ich ausdrücklich betonen möchte –, daß ich sie nicht auch zu sehen bekomme. Aber Sie werden verstehen können, daß es mir unmöglich ist, alle Schreiben selbst zu beantworten, wenn ich Ihnen mitteile, daß im vergangenen Jahr nicht weniger als 16.096 Briefe von dieser Beratungsstelle registriert worden sind; unter ihnen befanden sich 3.797 Schreiben, die sich auf die Sendereihe ‚Wo uns der Schuh drückt‘ beziehen. Gegenüber dem Jahre 1957 ist eine Steigerung des Briefeinganges um etwa 25 Prozent festzustellen. Sie werden nun vielleicht fragen, meine Hörerinnen und Hörer, was in den Briefen steht. Auch da kann ich Ihnen einiges aus der Statistik verraten: An erster Stelle stehen nach wie vor ‚Wohnungsangelegenheiten‘, die den Inhalt von fast 3.000 Briefen bilden. Ungeachtet dessen, daß wir mehr als 20.000 Wohnungen im vergangenen Jahr gebaut haben, ist die Wohnungsnot in unserer Stadt noch immer groß. Es wird das Bemühen auch des künftigen Senats sein, diesen Engpaß zu sprengen und vielen unserer Mitbürger aus allen Schichten der Bevölkerung in der kommenden Zeit zu einer eigenen Wohnung zu verhelfen. An zweiter Stelle stehen in diesem Jahr – mit einer beträchtlichen Steigerung gegenüber dem Vorjahr – ‚Rentenangelegenheiten‘. Das Anwachsen der Zahl solcher Briefe auf nicht weniger als 1.148 ist nicht zuletzt auf 116 die etwas sehr komplizierte Rentengesetzgebung zurückzuführen. Ich glaube, es wird Aufgabe der zuständigen Stellen sein müssen, auf diesem Gebiet wenigstens ‚aufklärend‘ zu wirken. ‚Arbeitsgesuche und Bewerbungen‘ sind die dritte große Kategorie, in die die eingehenden Briefe von der Beratungsstelle eingeteilt werden. Wir haben über 1.000 solcher Schreiben bekommen. Aber ich darf Ihnen hier sagen, daß sie bei weitem nicht alle für den Antragsteller ‚positiv‘ beantwortet werden konnten, denn – und das muß ich wiederum nachdrücklich feststellen – die Arbeitsvermittlung wird in erster Linie über das Landesarbeitsamt durchgeführt, und daran kann auch der Regierende Bürgermeister nichts ändern. Es ist verständlich, daß der größte Teil der Briefe, nämlich über 10.000, aus Westberlin kommen; dennoch sind die Zahlen der Briefe aus anderen Gebieten beträchtlich. Es kamen über 1.400 Briefe aus der Bundesrepublik, fast 1.000 aus dem Osten, Hunderte aus dem westlichen Ausland. Und dabei kommen zu jeder Kategorie noch Hunderte hinzu, die bei meiner Kanzlei direkt eingegangen und in dieser Statistik nicht miterfaßt worden sind. Vor mir liegt der Brief einer arbeitslosen Hörerin, die sich dafür bedankt, daß ich vor kurzem in dieser Sendung die vielen älteren Arbeitslosen, die schon lange keinen Erwerb gefunden haben, vor dem Vorwurf, ‚arbeitsscheu‘ zu sein, in Schutz genommen habe. Diese Dame schreibt sehr richtig, daß viele Arbeitslose beispielsweise schon dadurch, daß sie als ehrenamtliche Helfer Flüchtlinge, Heimkehrer und alte Leute betreuen, nachdrücklich beweisen, daß sie die Arbeit gewiß nicht scheuen. Ich weiß, daß sich solche ehrenamt- VIDEOTURM lichen Helfer aus vielen Kreisen unserer Mitbürger zur Verfügung stellen, und ihnen allen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Damit muß ich es heute genug sein lassen. Auf Wiederhören!“ Filmaufnahmen: die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 1958; Bautätigkeit in Berlin; Flüchtlinge aus der DDR in Westberlin. 20 (12‘38“): „Wo uns der Schuh drückt“. Rede (fast vollständig) Willy Brandts vom 3.9.1961. Brandt: „Meine lieben Hörerinnen und Hörer! Vor drei Wochen hat die Regierung der Sowjetunion Ulbricht grünes Licht gegeben für die brutale Zerreißung unserer Stadt Berlin. Inzwischen ist klar geworden, daß die politische Großoffensive der Sowjets, die mit dem Spannen von Stacheldraht am Brandenburger Tor begann, sich sehr viel weiter gehende Ziele gesteckt hat. Zunächst will die Sowjetunion ihren Machtbereich festigen. In dem Riesengebiet vom Potsdamer Platz bis Wladiwostok gab es eine offene Stelle: Berlin. Und das Ergebnis war, daß die Menschen dem Ulbrichtschen ‚Paradies‘ den Rücken kehrten. Die Koexistenz, das Nebeneinander auf engstem Raum in Berlin, ist zu Ungunsten der kommunistischen Seite ausgegangen. Sie mußte eine doppelte Mauer errichten lassen. Sie mußte das friedliche Nebeneinander brutal zerstören, um den Strom der Flüchtlinge zu stoppen. Darin liegt eine Niederlage der Kommunisten, die sich erst in weiterer Zukunft auswirken wird. Sie wird heute überdeckt von dem Anschlag, der auf das deutsche Volk überhaupt unternommen wird. Aber es geht noch weiter. Die Sowjetunion hat einseitig mit der Wiederaufnahme von Atomversuchen begonnen. Sie hat alle Warnungen für die sich daraus ergebenden Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Menschen in den Wind geschlagen. Sie hat eine Politik der atomaren Erpressung begonnen, wie es Präsident Kennedy genannt hat. Nach diesen drei Wochen ist klar geworden, daß der Zusammenhalt und die Festigkeit der westlichen Welt schlechthin auf eine harte Probe gestellt werden. Das sollte uns in Berlin die Gewißheit geben, daß wir – wie schon so oft in der Vergangenheit – nur der Ort sind, an dem dieses Ringen besonders deutlich, besonders sichtbar und besonders spürbar wird. Es geht nicht allein um den Versuch, den Außenposten der freien Welt zu liquidieren, es geht um die Bewährung der freien Welt, von der wir ein Teil sind. Berlin ist voll eingeschlossen in die Garantien des Westens. Der Bundespräsident erklärte mit vollem Recht in der Sitzung, die wir mit ihm hatten im Rathaus Schöneberg, daß die Bundesrepublik, aber auch der gesamte Westen, sich die Aufgabe Berlins gar nicht leisten können. Wir können hier in West-Berlin sicher sein, daß dieser Standpunkt in Ost und West absolut klar ist. Er wird sich auch in vollem Umfang bei den Verhandlungen niederschlagen. Es ist charakteristisch, daß die kommunistischen Machthaber in Ostberlin in diesen Tagen versuchen, die Menschen im freien Teil unserer Stadt zusätzlich mit einem Nervenkrieg zu belasten. Sie haben sich dabei zum Teil groteske Dinge ausgedacht. Sie schrecken selbst nicht vor Lügen zurück, die man innerhalb von Minuten als Lügen erkennen kann. Sie wollen die Moral der West-Berliner zerbrechen, und sie benutzen 117 VIDEOTURM dazu das Zwischenstadium bis zu den Verhandlungen. Sie haben dazu nicht mehr sehr viel Zeit und versuchen, sie entsprechend zu nutzen. Der Angriff auf die Moral der West-Berliner wird zerbrechen, wie immer in der Vergangenheit. Die Kommunisten drüben haben unsere Ankündigungen so ernst genommen, wie sie ernst genommen werden müssen. Wir werden nämlich Berlin zu der Stadt machen, in der sich der deutsche Anspruch auf die Herstellung unserer Einheit auch nach außen dokumentiert. Wir werden unsere industrielle Kapazität ausweiten. Wir werden ein Zentrum für Erziehung, Wissenschaft und Forschung schaffen, und dabei wird es über einen Punkt keinerlei Meinungsverschiedenheiten geben: Die deutsche Hauptstadt und die Selbstbehauptung der Deutschen sind größere Ziele, als daß man dabei um einige zusätzliche Mittel in den öffentlichen Haushalten feilschen kann. Im Senat von Berlin werden mit Hochdruck die entsprechenden Programme vorbereitet. Berlin wird die Stadt werden, in der sich das deutsche Vertrauen in die Zukunft manifestiert. Das erwarten auch unsere Landsleute, die in das Gefängnis Ulbrichts eingesperrt sind. Meine Hörerinnen und Hörer, in der sowjetisch besetzten Zone spielen sich Ungeheuerlichkeiten ab. Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik hat sich nach langen Verhandlungen mit Moskau bereiterklärt, ihre Wirtschaft auf eine enge Gemeinschaft mit der Sowjetunion umzustellen. Man ist dabei, die Produktion auf sowjetische Rohstoffe und Materialien einzurichten. Das gleiche gilt für Produktionsverfahren. Das gleiche gilt für sowjetische Importwünsche und sowjetischen Bedarf. Es geht sogar so weit, daß die deutschen Industrienormen an die so118 wjetischen Ost-Normen angepaßt werden sollen. Mit anderen Worten: Ulbricht ist dabei, Mitteldeutschland zu einer sowjetischen Industrieprovinz zu machen. Am 29. August gab es im ‚Neuen Deutschland‘ eine Schlagzeile. Sie hieß: ‚Wir haben Ordnung an der Grenze, jetzt schaffen wir Ordnung im Dorf.‘ Man hat den Menschen die Abstimmung mit den Füßen unmöglich gemacht, und nun setzt der Terror ein. Deportationen haben begonnen, und wir müssen befürchten, daß sie noch schlimmere Formen annehmen werden. Arbeitsverpflichtungen unter unwürdigsten Umständen werden auf dem Verwaltungswege vorgenommen. Es wird innerhalb des Ulbricht’schen Konzentrationslagers in Kürze Arbeitslager geben, jedenfalls sind solche geplant. Die Zone hatte, gemessen an anderen Ländern des Ostblocks, immer noch einen relativ annehmbaren Lebensstandard, trotz der großen Unterschiede zu uns. Doch jetzt soll damit rücksichtslos Schluß gemacht werden. Die Lebenshaltung soll eingeebnet werden. Dazu ist man bereit, stalinistischen Terror anzuwenden. Neue Verbrechen an der Menschlichkeit sind begangen worden, und weitere Verbrechen werden vorbereitet. Die Welt muß sich darum kümmern. Das haben auch die Vertreter einer Reihe von nichtgebundenen Staaten erkannt, die sich in Belgrad zusammengefunden haben. Premierminister Nehru hat sich mit Nachdruck für die Freiheit der Zufahrtswege eingesetzt, und Präsident Nasser hat erklärt, daß die Mauer weg muß. Wir können nur tausendmal ja dazu sagen. Nicht einmal, weil rechts und links der Mauer Deutsche wohnen, sondern weil rechts und links der Mauer Menschen leben und weil die Moral der VIDEOTURM Welt angebrochen wird, wenn sie eine solche Verhöhnung und Verletzung der Moral und der Menschlichkeit hinnimmt. Meine Hörerinnen und Hörer, wir werden nicht müde werden, die Anklage zu erheben, bis wir Erfolg haben. Noch niemals sind die Bäume einer Diktatur in den Himmel gewachsen. Es paßt nur in das Bild der infamen Rücksichtslosigkeit, daß man Dr. Scharf, dem Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, zunächst einen Passierschein ausstellte und ihn dann nicht mehr in den Ostsektor zurückkehren ließ. Soweit ist man gegangen, zu erklären, daß die Evangelische Kirche eine illegale Organisation und eine nicht friedliebende Organisation sei. Das ist bodenlos, das ist aber auch eine Warnung. Eine Warnung, die wir allen Völkern zurufen müssen. Wenn die Kirche zu einer nicht friedliebenden Organisation erklärt wird, dann gibt es nichts mehr, was die Willkür nicht ebenfalls zu einer nicht friedliebenden Organisation erklären kann. Wir erinnern uns sehr genau, welche Forderungen man an ein ‚Freies friedliebendes Berlin‘, eine freie Stadt sowjetischer Prägung gestellt hat. Hier dürfe es nur friedliebende Menschen und friedliebende Organisationen geben. Diese Erklärung gegenüber der Evangelischen Kirche bedeutet, daß jedermann, der kein Knecht sein will, daß jede Organisation ohne Quislinge und jede Institution, die nicht unter das Joch will, also jeder, der nicht kommunistisch sein will, als nicht friedliebend erklärt werden kann und damit die Existenzberechtigung in Berlin abgesprochen bekommt. Ich erkläre hier: Das wird niemals geschehen. Der Anschlag auf die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland und die dabei gegebene Begründung – ebenso wie entsprechende Drohungen nach anderer Seite – müssen der Welt zeigen, daß mit der freien Stadt sowjetischer Prägung die Eingemeindung in das Terrorregime gemeint ist. Dazu gibt es nur ein klares und unveränderliches Nein. Wir werden von Berlin aus die Welt aufklären über das, was hier geschehen ist, und über die Verbrechen, die an unseren Landsleuten begangen werden. Der Senat hat ein großangelegtes Programm eingeleitet zu diesem Zweck. Wir werden den Sklavenhaltern nicht gestatten, sich hinter schönen Worten zu verbergen. Und noch eins, meine Hörerinnen und Hörer: es sind feststellbare Einzelverbrechen begangen worden. Ich denke hier an den vielerörterten Mord an einem wehrlosen Flüchtling. Wir suchen den Mörder. Wir haben sein Bild. Ich appelliere nochmals an die Vopos und die Mitglieder der Streitkräfte, die drüben stehen: Denkt daran, daß ihr zuerst Deutsche seid. Glaubt nicht denen, die ihre eigenen Landsleute bedrücken. Laßt Euch nicht zu Lumpen machen. Schießt nicht, oder wenn Ihr schießen müßt, dann schießt daneben.“ Filmaufnahmen: Mauerbau in den Wochen nach dem 13. August 1961; Vopos und DDR-Grenzer; amerikanische und französische Soldaten; Berlin heute an der ehemaligen Mauer; Ost-Transparente: „Wer uns angreift, wird vernichtet“ und „Nicht frech werden, Herr Brandt, wir sind gute Schützen“; Demonstrationszüge zum Schöneberger Rathaus und Kundgebung vor dem Rathaus (1961); Berlin-Schöneberg an gleicher Stelle heute. 119 VIDEOTURM 21 (2‘11“): Neue Deutsche Wochenschau von 1955 (Ausschnitte): Paul Löbes 80. Geburtstag. Zeitkolorit: Fußball-Länderspiel zwischen Italien und Deutschland in Rom. 22 (1‘12“): Ukerevy der Norsk Film A/S von 1956 (Ausschnitt aus einer norwegischen Wochenschau): Brandt zu Besuch in Norwegen. 23 (0‘47“): Neue Deutsche Wochenschau vom Oktober 1957 (Ausschnitte): Brandt wird Regierender Bürgermeister von Westberlin. Zeitkolorit: Regierungskrise in San Marino. 24 (1‘30“): Neue Deutsche Wochenschau vom Mai 1958 (Ausschnitte): Brandt spricht zum 1. Mai vor dem Schöneberger Rathaus. Zeitkolorit: Der 1. Mai in Moskau. Brandt: „Frieden, Fortschritt, Freiheit – so lautet die heutige Parole. Laßt uns dabei nicht vergessen, daß das Wort Freiheit ganz groß geschrieben wird. Laßt uns miteinander und füreinander einstehen, dann wird es wieder ein einheitliches Berlin sein, als Hauptstadt eines aus widernatürlicher Zerklüftung befreiten Deutschland.“ 120 25 (3‘41“): UfA-Wochenschau vom Juli 1958 (Ausschnitte): Brandt eröffnet die Berliner Filmfestspiele. Zeitkolorit: Rückblick auf Filmgeschichte. 26 (2‘00“): UfA-Wochenschau vom Dezember 1958 (Ausschnitte): Die Aktion „Macht das Tor auf“ mit Willy Brandt. Zeitkolorit: Die Situation an der Zonengrenze/ Niedersachsen. 27 (1‘48“): Neue Deutsche Wochenschau vom Februar 1959 (Ausschnitte): Konfettiparade für Willy Brandt auf dem New Yorker Broadway. Zeitkolorit: Modenschau in Deutschland. Der Wochenschausprecher zu New York: „Hey Willy, riefen die New Yorker und überschütteten Willy Brandt mit gewaltigen Konfettimengen. Berlins Regierender Bürgermeister ist sozusagen über Nacht in der Neuen Welt populär und zu einem Begriff geworden. Und zweifellos gilt die Sympathie zugleich dem freien Teil der deutschen Hauptstadt.“ 28 (2‘15“): UfA-Wochenschau vom Mai 1959 (Ausschnitte): Brandt zur Berliner Bevölkerung. Zeitkolorit: Maifeier in Ostberlin. Willy Brandt: „Meine lieben Berlinerinnen und Berliner, mein herzlicher Gruß gilt Ihnen allen, die Sie an diesem Maientag hierhergekommen sind, aus freiem Willen in selbstgewählter Diszi- VIDEOTURM plin, nicht unter einem Kommando, wie es von der anderen Seite des Brandenburger Tores zu uns herüberschallt. Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt. An jener Grenzlinie, die mitten durch unsere Familien geht, die das Volk zerreißt, die unser Berlin aufspaltet. Bis jener Tag kommt, bitten wir, rufen wir, fordern wir: Macht das Tor auf! Macht Schluß mit der widernatürlichen Spaltung!“ 29 1‘05“): Der Augenzeuge (DEFA) von 1959 (Ausschnitt): Landsmannschaftstreffen in Westberlin. Beispiel für gehässige DDR-Berichterstattung. Der DEFA-Sprecher: „Und auch der Regierende fehlte nicht, wo es galt, bei der Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges mitzumischen. Name bürgt für Qualität. Und man möchte doch zu gern die Welt in Flammen setzen.“ 30 (0‘38“): Neue Deutsche Wochenschau vom Juli 1959 (Ausschnitt): Gedenkfeier für die Opfer des 20. Juli 1944. 31 (3‘12“): Ukerevy der Norsk Film A/S von 1959 (Ausschnitt aus einer norwegischen Wochenschau): Der Regierende Bürgermeister von Westberlin in Oslo. 32 (0‘57“): Neue Deutsche Wochenschau vom Februar 1960 (Ausschnitt) Die Grüne Woche in Berlin. 33 (1‘01“): UfA-Wochenschau vom Mai 1960 (Ausschnitt): Willy Brandt in Westberlin: „Wir warnen die Gauleiter drüben: Überspannt den Bogen nicht! Recht und Gerechtigkeit haben sich noch niemals auf die Dauer unterdrücken lassen.“ 34 (1‘12“): Neue Deutsche Wochenschau vom Juni 1960 (Ausschnitt): Brandt erinnert an den 17. Juni 1953: „Heute und morgen geht es in Deutschland um Berlin. Heute und morgen geht es um das, was wir aus dem freien Teil Deutschlands machen. Aber es geht auch immer um den anderen Teil Deutschlands und um unseren Beitrag zur Sicherung des Friedens der Welt.“ 35 (7‘40“): UfA-Wochenschau vom August 1961 (Ausschnitt): Der Eiserne Vorhang teilt Berlin und Deutschland. Der amerikanische Vizepräsident Johnson in der ehemaligen Reichshauptstadt. 36 (1‘15“): Der Augenzeuge (DEFA) vom August 1962 (Ausschnitt): Zum Jahrestag des Mauerbaus: „Der Westberliner Frontstadtchef Brandt hat am Abend des ersten Krawalltages den Rowdies seine Sympathie ausgesprochen, mußte dann aber Polizei gegen den Mob einsetzen, weil sich die Randalierenden gegen die Westberliner Bevölkerung und die Amerikaner wandten. Hier wurde mit dem Feuer gespielt.“ 121 VIDEOTURM 37 (2‘02“): Neue Deutsche Wochenschau von 1963 (Ausschnitt): Wahlen in Berlin. Brandt: „Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17. Februar [1963] geht es um eine erneute, eindeutige Abrechnung mit der kommunistischen Einheitspartei, die ja in Westberlin zugelassen ist und für ihre Kandidaten werben darf.“ 38 (5‘14“): Kennedy in Westberlin 1963 (Ausschnitte aus einer Produktion, deren Herkunft nicht ermittelt werden konnte). 39 (2‘23“): Ausschnitte aus einer UfA-Produktion 1969: Vor der sozialliberalen Koalitionsbildung. 40 (1‘14“): Ausschnitte aus einer UfA-Produktion („Dabei-Politik“): 1969: Brandt ist Kanzler. „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“ 41 (1‘49“): Ausschnitte aus einer Auftragsproduktion von 1970: Brandt in Erfurt am 19. März. 42 (1‘07“): Ausschnitte aus dem „Deutschlandspiegel“ (Cine-Centrum-Produktion) von 1970: Brandt in Warschau – Der Kniefall. 122 43 (1‘41“): Brandt auf dem SPD-Parteitag in Essen, Juni 1980. „Wie ist der Frieden noch zu retten? Wir wissen es alle: Es brennt fast rund um den Erdball. Vielerorts flackern die Krisenfeuer. Jedes einzelne hätte in früheren Jahrzehnten gereicht, einen großen Krieg zu entfesseln. Und auch wir tun uns schwer, denn diese Brände lassen sich nicht mit der Feuerpatsche ausschlagen. Regionale Rivalitäten verbinden sich mit Gegensätzen zwischen Ost und West, und diese wiederum vermengen sich mit den Folgen des krassen Nord-Süd-Gefälles. Die tief gestörten Beziehungen zwischen den Weltmächten lassen sich nicht gesundbeten. Aber verschüttete Wege wieder gangbar zu machen, daran müssen und wollen wir mithelfen. Unsere wirklichen Interessen, die verlangen auch, daß wir aus dem Westen besser als bisher versuchen, jene zu begreifen, die traditionell anders denken und empfinden als wir – ob Schwarz oder Gelb, ob Moslem oder Hindu.“ 44 (3‘33“): Aus dem Rechenschaftsbericht Brandts auf dem Münchner SPD-Parteitag, April 1982. „Verehrte Anwesende! Liebe Genossinnen! Liebe Genossen! Unser Parteitag fällt in eine schwere Zeit. Was von außen auf uns einwirkt, wird durch eigene Unzulänglichkeiten ergänzt. Das Tal, durch das wir gehen, ist tiefer und unfreundlicher als andere, durch die wir in den anderthalb Jahrzehnten hindurch mußten. Dieser Parteitag wird daran gemessen werden, ob er Kräfte freisetzt, die für den Aufbruch nach vorn gefordert sind. Darum sollten wir uns nicht lange bei Oberflächlichkeiten aufhalten: Krisen VIDEOTURM kann man hochjubeln oder überwinden helfen. Aussprechen, was ist, kann nicht bedeuten, daß wir uns die falschen Themen aufzwingen lassen oder gar gegnerische Kampfparolen transportieren. Es muß bedeuten, dieses ‚Aussprechen, was ist‘, daß wir sagen, was Sache ist. Der Blick auf die eigene Geschichte kann uns dabei helfen, hierzu die Kraft zu finden. Ehrlich gesagt, liebe Freunde, mir hängt der Mißbrauch des Wortes Krise gelegentlich zum Hals heraus. Es gibt bei uns Deutschen die Neigung, sich in Krisengefühl zu baden. Seien wir ehrlich, das Leben, unser aller Leben, ist eine Kette von Krisen, gewiß auch von Ängsten. Die Lebenskrisen früherer Zeiten haben sich begrenzen lassen, und unsere Politik hat damit zu tun. Aber es bleibt wichtig, professionellen Krisenschwätzern, Profiteuren des Zerfalls, Ausbeutern apokalyptischer Ängste nicht das Feld zu überlassen. Ich sage dies, weil wir uns nicht weit vom Amtssitz des CSU-Vorsitzenden befinden. Liebe Freunde, im Ausland wie im Inland wird unser Parteitag diesmal mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Nicht nur durch spaltenlange Kommentare, auch durch uns begleitende Kundgebungen haben wir sehen können, wie viele – biblisch würde man sagen: Gerechte und Ungerechte – es für wichtig halten, uns zu beeinflussen. Ich stelle hier nur ganz schlicht fest: Der Parteitag der SPD ist souverän. Er wird sich ganz allein nach dem entscheiden, was die hier versammelten Delegierten für richtig halten.“ 45 (1‘38“): Brandt auf dem sozialdemokratischen Wahlparteitag, Dortmund Januar 1983. „Die SPD, unsere SPD, hat in diesem Jahr 120 Jahre auf dem Buckel, und sie ist noch immer für Überraschungen gut. Viele hat es in der Tat überrascht, daß wir uns im letzten Herbst nicht verhedderten, sondern daß wir rasch neuen Mut gefaßt und neue Kraft geschöpft haben. Jene fanden sich widerlegt, die uns für den Fall, daß uns im Bund die Regierung entglitte, lauter Deprimierendes voraussagten. Wir würden in Bedeutungslosigkeit versinken, hieß es in extremen Voraussagen; die Chance, wieder an die Regierung zu kommen, hätten wir erst im nächsten Jahrzehnt oder in einer Generation; böse Streitereien – so argwöhnte oder hofft man – würden womöglich in Spaltung enden. Hoffnungen im Lager der Gegner, Befürchtungen im eigenen Lager wurden Gott sei Dank nicht bestätigt. Ich kann nicht erwarten, daß sich die Gegner freuen, widerlegt worden zu sein. Ich gehe davon aus, daß alle Sozialdemokraten dem, was sie seit dem Herbst geleistet und bewirkt haben, noch einiges hinzufügen.“ 46 (1‘44“): Brandt auf dem SPD-Parteitag in Köln, November 1983. „Zu den Ritualen einer gewissen Art von deutschen Rechten gehört es im übrigen zu empfehlen, die SPD möge wieder so werden, wie sie früher gewesen sei. Die liberal kostümierten Deutschnationalen in einer bedeutenden Frankfurter Redaktion haben sich bei dem Gesellschaftsspiel, daß ich jetzt erwähne, besonders hervorgetan. Das Verdächtige, liebe Freunde, an einer solchen Empfehlung ist freilich, daß die, wenn Ihr so wollt, alte SPD von den alten Konservativen noch schärfer bekämpft wurde, als es uns heute widerfährt. Die falschen Freunde, die ich im Visier habe, wünschen sich eine SPD, die ohne Biß und ohne 123 VIDEOTURM Ich denke an die vielen, die mir im Laufe der langen Jahre mit Rat und Tat zur Seite standen. Miteinander, miteinander haben wir einiges auf den Weg gebracht. Mögen andere neu anschieben und weiter voranbringen. Die Zeiten des mündigen Bürgers sind nicht vorbei. Jedenfalls kommen sie wieder.“ grundsätzliche Verankerung in Daueropposition vor sich hin macht. Damit können wir nicht dienen, vielmehr ist dazu zu sagen: Eine SPD nach dem Geschmack ihrer Gegner wäre überflüssig. Wenn sie uns lobten, müßten wir uns fragen, was wir falsch gemacht haben.“ 47 48 124 (1‘53“): Nürnberger Parteitag, August 1986. Willy Brandt stimmt das Abschlußlied an: „1. Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ und die alten Lieder singen, und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muß gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit, mit uns zieht die neue Zeit. 2. Einer Woche Hammerschlag, einer Woche Häuserquadern zittern noch in unsern Adern. Aber keiner wagt zu hadern: Herrlich lacht der Sonnentag, herrlich lacht der Sonnentag.“ (2‘02“): Willy Brandt tritt als Parteivorsitzender zurück. SPD-Parteitag, Bonn Juni 1987. Redeauszug: „Wir haben vielmehr dafür gearbeitet, daß aus Millionen geschundener Proletarier und unmündiger Frauen selbstbewußte Staatsbürger werden konnten. Ich bin heute an dieses Rednerpult getreten, nicht um zu klagen, sondern um zu danken. Und natürlich nicht nur für das, was mich bewegend hier zu Beginn gesagt wurde, auch nicht für die Freundlichkeit, nein, wenn ich es recht empfinde, Herzlichkeit, mit der mich die Delegierten in ihrer großen Mehrheit empfangen haben. Ich weiß, was ich der Bewegung schuldig bin, in die ich als kleiner Junge hineinwuchs. Und manches davon ist lebendig geblieben in der Partei, an deren Spitze ich nun als Kanzlerkandidat seit 1960, als Vorsitzender seit 1964 stehen durfte. 49 (1‘04“): Interview in RTL-Luxemburg (Auszug), Mai 1992. Letztes Auftreten Willy Brandts im Fernsehen. Letztes Interview. Letzte Frage. Letzte Antwort. Interviewer: „Letzte Frage, Herr Brandt. Wenn man Sie jetzt fragen würde, welcher in der langjährigen politischen Karriere von Willy Brandt der wichtigste Augenblick gewesen ist, welcher Augenblick wäre das?“ Brandt: „Ach, das ist eine schwierige Frage, wenn man so lange im Geschäft ist wie ich. Ich habe natürlich lange gemeint, das Wichtigste, was ich erleben konnte, war das Ende der Diktatur in meinem eigenen Land, das Ende des schrecklichen II. Weltkrieges und die Chance, neu anfangen zu können. Mittlerweile sind natürlich die aktuelleren Bilder vor Augen, die Tatsache, daß die Teilung meines Landes überwunden wurde, daß neue Möglichkeiten demokratischer Entfaltung sich östlich von uns doch ergeben haben und damit auch neue Chancen der Zusammenarbeit; aber, das sind so die beiden, die beiden Haupteinschnitte, der eine hängt mit dem Jahr 1945 zusammen und der andere mit dem Jahr 1989.“ 50 (2‘07“): Nach dem 8. Oktober 1992. WEITERE EXPONATE Weitere Exponate der Willy-Brandt-Ausstellung: ➞ Zwei Litfaßsäulen mit Brandt-Plakaten. ➞ Veröffentlichungen von und über Willy Brandt ➞ eine kleine Auswahl. ➞ Die deutsche und internationale Presse über den Tod von Willy Brandt. Es gibt in der Welt wohl keine einzige Tageszeitung, die nicht über den Tod und die Beisetzung Willy Brandts berichtet hätte. Die Absicht der Ausstellungsmacher war, repräsentativ für jeden Kontinent einige Originalzeitungen mit diesen Berichten vorzulegen. Dies scheiterte daran, daß die meisten angeschriebenen Zeitungen nur noch über ihre Archivexemplare verfügten. Die jetzt zustandegekommene Auswahl muß unter dieser einschränkenden Bemerkung gesehen werden. 125 QUELLEN Quellennachweise Alle hier im folgenden nicht aufgeführten Exponate stammen aus den Beständen des Archivs der sozialen Demokratie und der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bei einigen wenigen Fotos konnten die Urheber bzw. Rechteinhaber nicht ermittelt werden. 1.5 1.6 1.7 1.8 1.10 2.7 2.8 3.7 3.8 4.3 4.7 4.8 4.9 5.1 126 Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck (1 Foto). Kirchenkreis Lübeck der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Archiv). Mecklenburgisches Landeshauptarchiv, Schwerin. Elisabeth Armbrust, Hamburg. Mecklenburgisches Landeshauptarchiv, Schwerin. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Archiv der Hansestadt Lübeck. Gymnasium Johanneum zu Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck (1 Foto). Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck. 5.3 dpa. 5.4 „Lübecker Nachrichten“. 5.6 Jupp Darchinger, Bonn. 5.7 Aus dem Breloer-Film „Kampfname: Willy Brandt“. 5.8 „Lübecker Nachrichten“. 5.9 „Lübecker Nachrichten“. 7.5 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 7.6 Einhart Lorenz, Oslo. 7.7 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 7.8 Entnommen: Trond Hegna, Min Versjon, Oslo 1983. 8.5 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 8.6 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo (1 Foto). 8.7 Entnommen: Trond Hegna, Min Versjon, Oslo 1983. 9.6 Entnommen: Reidar Hirsti, Gubben, Oslo 1982. 10.17 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 11.1 Einhart Lorenz, Oslo. 11.2 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 11.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 11.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 12.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 12.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 12.6 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 12.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 12.8 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 12.10 Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam. 14.1 Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. 15.1 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. 15.2 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. 15.3 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. 15.4 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. 15.5 Entnommen: Reidar Hirsti, Gubben, Oslo 1982. 5.2 QUELLEN 15.6 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6 18.4 18.6 20/21.1 20/21.2 20/21.3 20/21.4 20/21.5 20/21.6 20/21.7 20/21.8 20/21.9 20/21.10 20/21.15 20/21.16 20/21.17 20/21.18 22.9 23.1 23.4 24.1 24.7 24.8 25.8 25.9 Durch Vermittlung des Norwegischen Botschafters in Bonn, Per M. Olberg, aus dem Riksarkivet, Oslo. Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien. Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. dpa. Landesarchiv Berlin. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Hehmke-Winterer, Düsseldorf (1 Foto). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“. 26.2 26.3 26.5 26.6 26.7 26.8 27.7 27.8 28.1 28.4 28.6 28.8 28.9 29.2 29.6 29.8 30.1 30.2 30.3 30.4 30.5 30.6 30.8 30.9 31.1 31.2 31.3 31.4 31.5 31.6 31.7 32.2 32.4 32.5 32.7 32.8 32.9 Jupp Darchinger, Bonn. AP. dpa. UP-Acme. Keystone. Keystone. dpa. dpa. Helmut Blazejewski, Berlin. dpa. dpa. dpa. dpa. AP. Foto-Klebbe-Berlin. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). „Debatte“, Bonn (1 Foto). AP (1 Foto). dpa. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Franz-Neumann-Archiv, Berlin. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). AP. AP. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Jupp Darchinger, Bonn. dpa. dpa. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv) (4 Fotos). dpa. AP (1 Foto). 127 QUELLEN 33.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv) (2 Fotos). 33.4 Videoprint aus Filmmaterial der Landesbildstelle Berlin (Landesfilm- und Tonarchiv). 33.5 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 33.6 AP. 33.7 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 34.1 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 34.2 dpa. 34.3 Rudolf W. Kipp Film, Hamburg. 34.4 Pressebild Schubert, Berlin. 34.5 dpa. 34.9 dpa (1 Foto). 35.2 Winfried Esch, Berlin. 35.3 Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). 35.4 dpa. 35.7 dpa. 35.8 AP. 36.1 AP. 36.2 AP. 36.3 dpa. 36.5 Stadt Dortmund, Presseamt (Bildstelle). 36.6 fpa. 37.1 AP. 37.2 dpa. 37.3 dpa. 37.4 Jupp Darchinger, Bonn. 37.5 dpa. 37.6 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Bundesbildstelle), Bonn. Im folgenden BPA genannt. 37.7 dpa. 37.8 AP. 38.2 Jupp Darchinger, Bonn. 38.3 AP. 38.4 dpa. 38.5 dpa. 38.6 dpa (1 Foto). 128 dpa. Manfred Tripp. dpa. dpa. BPA, Bonn (1 Foto); Gerd Schulthess, St. Ingbert (1 Foto). 39.2 dpa. 39.5 dpa. 39.7 dpa. 39.8 dpa. 39.9 Jupp Darchinger, Bonn. 39.10 dpa. 40.1 Fritz Behrendt, Amstelveen. 40.2 dpa. 40.3 BPA, Bonn. 40.4 Jupp Darchinger, Bonn. 40.5 dpa. 40.6 BPA, Bonn (1 Foto); dpa (1 Foto). 40.7 Jupp Darchinger, Bonn. 41.1 dpa (1 Foto); Sven Simon, Essen (1 Foto). 41.2 dpa. 41.4 Sven Simon, Essen (1 Foto); dpa (1 Foto). 41.5 BPA, Bonn. 41.6 BPA, Bonn. 42.1 Jupp Darchinger, Bonn (1 Foto); dpa (1 Foto). 42.2 dpa. 42.3 dpa. 42.5 fpa. 42.6 dpa. 43.1 BPA, Bonn. 43.6 BPA, Bonn. 43.7 BPA, Bonn. 44.1 Klaus Staeck, Heidelberg. 44.4 dpa (1 Foto); AP (1 Foto); „Bild“, Hamburg (1 Foto). 44.5 dpa. 44.6 Jupp Darchinger, Bonn. 38.7 38.9 38.10 38.12 39.1 QUELLEN 45.4 45.5 45.6 45.7 45.8 45.9 46 47 48 49 50.1 50.5 50.6 50.8 51.1 51.2 51.3 51.4 51.5 51.6 51.8 52.1 52.2 Sven Simon, Essen. Jupp Darchinger, Bonn. Sven Simon, Essen. Jupp Darchinger, Bonn. „Stern“, Hamburg (Foto von Herbert Peterhofen). Jupp Darchinger, Bonn. dpa; dpa; Keystone; Jupp Darchinger, Bonn; dpa; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; dpa; dpa; dpa; AP; dpa; UPI; AP; dpa. dpa; Willy Pragher - Interphot; Jupp Darchinger, Bonn; dpa; dpa; dpa; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; Sven Simon, Essen; UPI; dpa; BPA, Bonn; dpa; dpa; AP; AP. BPA, Bonn; dpa; dpa; dpa; BPA, Bonn; dpa; dpa; BPA, Bonn; AP; AP; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; UPI; Keystone; BPA, Bonn; Sven Simon, Essen; Sven Simon, Essen; Sven Simon, Essen. dpa; dpa; Sven Simon, Essen; Sven Simon, Essen; BPA, Bonn; BPA, Bonn; dpa; dpa; Sven Simon, Essen; AP; Jupp Darchinger, Bonn; dpa; dpa; dpa; Volkhart Müller, Madrid; Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. BPA, Bonn. dpa. Sven Simon, Essen (1 Foto); Manfred Vollmer, Essen (1 Foto). dpa. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. „Stern“, Hamburg (Foto von Volker Hinz). BPA, Bonn. AP. BPA, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. dpa. Hermann Wygoda, Frankfurt a.M. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Das Plakat mit den verschiedenen Namenszügen (u.a. von Willy Brandt) wurde von Siegbert Heid (FES) zur Verfügung gestellt. 53.4 Paul Glaser, Berlin. 53.7 Jupp Darchinger, Bonn. 54.6 Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm. 54.8 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent. 54.9 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent. 55.1 Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging, Gent. 55.4 SI, London. 55.5 dpa. 55.6 dpa (1 Foto). 55.7 SI, London. 55.11 Werek Pressebildagentur, Bonn. 56.2 AP. 56.3 AP. 56.6 Werek Pressebildagentur, Bonn (1 Foto); Norbert Nordmann, Bonn (1 Foto). 56.7 SI, London. 56.8 SI, London. 57.3 SI, London. 57.6 SI, London. 57.7 SI, London. 58.1 Klaus Staeck, Heidelberg. 58.2 dpa. 58.3 Jupp Darchinger, Bonn. 58.4 AP (1 Foto); Jupp Darchinger, Bonn (1 Foto). 58.5 Jupp Darchinger, Bonn. 52.3 52.4 52.6 52.7 53.1 53.2 53.3 129 QUELLEN 58.6 59.1 59.3 59.4 59.5 59.6 59.7 59.8 60.1 60.4 60.5 60.6 60.7 61.1 61.2 61.3 61.4 62.1 62.3 62.4 62.5 62.6 62.7 63.1 63.4 63.5 64.2 130 Klaus Staeck, Heidelberg. Jupp Darchinger, Bonn. AP. BPA, Bonn. Jupp Wolter, Lohmar. dpa. Paul Glaser, Berlin. Sven Simon, Essen. BPA, Bonn (1 Foto); Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv) (1 Foto). Entnommen: SPD-Jahrbuch 1979 - 1981. Videoprints aus einer Fernsehsendung vom 5.10.1980. AP. Jupp Darchinger, Bonn. Poly-Press, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Werek Pressebildagentur, Bonn. dpa. Das Foto auf dem Buchumschlag ist von Klaus-Peter Siebahn, Bonn. Vario-Press, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Videoprints aus einer Fernsehsendung vom 12.5.1985. Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“. AB Reportagebild, Stockholm. dpa. Jupp Darchinger, Bonn (2 Fotos); Poly-Press, Bonn (1 Foto); BPA, Bonn (2 Fotos). Horst Haitzinger, München. dpa. 64.3 64.4 64.5 64.11 64.12 65.2 65.6 65.7 66.2 66.3 66.4 66.6 66.7 66.8 67.1 67.3 67.4 67.5 67.8 68.2 68.3 68.5 68.6 68.7 69.2 69.3 69.6 69.7 70.1 70.6 Jupp Darchinger, Bonn. dpa. Jupp Darchinger, Bonn. Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“. Sven Simon, Essen. Jupp Darchinger, Bonn. Foto-Blau, Bonn. Foto-Blau, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Jupp Darchinger, Bonn. Foto-Blau, Bonn. Paul Glaser, Berlin. Jupp Darchinger, Bonn. Paul Glaser, Berlin. Rolf Braun, Bonn. Vario-Press, Bonn. Sven Simon, Essen. Photo-Report, Bonn. dpa. Patrick Piel, Hamburg. Landesbildstelle Berlin (Bildarchiv). Sepp Spiegl, Bonn. Sven Simon, Essen. Monika Schulz-Fieguth, Potsdam. dpa. dpa (1 Foto). Pressefoto Mrotzkowski, Berlin. Entnommen: „Cahier Socialiste“ 5 (Auf dem Weg zu einer neuen Architektur Europas. Willy Brandt), Luxemburg 1992. Redaktionsarchiv der „Berliner Stimme“. BPA, Bonn. QUELLEN Quellennachweise Ausstellungsvideos Eigene Aufnahmen des AdsD bleiben in dieser Aufstellung unberücksichtigt. 21 22 23 24 25 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Deutsches Institut für Filmkunde, Wiesbaden. Deutsche Wochenschau vom April 1942; Imperial War Museum, London. Ton: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M. Div. Filmzitate; Norsk Filminstitutt, Oslo. Ton: ZDF-Sendung „Zeugen des Jahrhunderts“ vom 13.12.1988. Div. Filmzitate; Bundesarchiv (Filmarchiv), Berlin; Narodni Filmovy Archiv, Prag; Imperial War Museum, London. Ton: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt a.M. Norsk Filminstitutt, Oslo; Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo. Bundesarchiv (Filmarchiv), Berlin. Atanor, Madrid. Ton: teilweise aus dem Film von Heinrich Breloer „Kampfname: Willy Brandt“ von 1984. Archiv der Sveriges Television, Stockholm. Ton: RIAS-Archiv, Berlin. Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin (Landesfilm- und Tonarchiv). Ton: RIAS-Archiv, Berlin. Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin (Landesfilm- und Tonarchiv). Ton: RIAS-Archiv, Berlin. Filmaufnahmen: Landesbildstelle Berlin (Landesfilm- und Tonarchiv). 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Norsk Filminstitutt, Oslo. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Norsk Filminstitutt, Oslo. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH Hamburg. (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), (Filmarchiv), 131 QUELLEN 40 41 42 132 Deutsche Wochenschau GmbH (Filmarchiv), Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH (Filmarchiv), Hamburg. Deutsche Wochenschau GmbH (Filmarchiv), Hamburg. 49 50 Compagnie Luxembourgeoise de Télédiffusion S.A. / Radiotélévision de Luxembourg. Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Bonn (teilweise). ISBN 3-89892-428-9