Die Kleinen kommen! - Kita-Server Rheinland
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Die Kleinen kommen! Zweijährige im Kindergarten 12345 Eine Orientierung zur Integration Zweijähriger in den Kindergarten „Mit zwei dabei! Die Integration zweijähriger Kinder in den Kindergarten“ 2 Liebe Erzieherinnen, liebe Erzieher, mit dem Landesprogramm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ hat das Land Rheinland-Pfalz einen klaren Schwerpunkt im Kindertagesstättenbereich gesetzt. Wir wollen mit diesem umfassenden Konzept dazu beitragen, dass Kinder noch besser und früher gefördert werden, auch um soziale Benachteiligungen abzubauen. Das Landesprogramm enthält viele Punkte, die mit Herausforderungen einhergehen; damit möchten wir Sie nicht alleine lassen, sondern Sie tatkräftig unterstützen. Einen wichtigen Punkt aus dem Landesprogramm stellt die Aufnahme von Zweijährigen in Kindergartengruppen dar. Ab dem Jahr 2010 wird es in Rheinland-Pfalz den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz geben, wenn die Eltern dies wollen. Die Aufnahme von Zweijährigen in Kindergartengruppen bringt Veränderungen mit sich, die auch Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit haben. So wird es im pädagogischen Alltag verstärkt erforderlich sein, Kindern die Möglichkeit zu geben, sowohl von Kindern anderer Altersgruppen zu lernen als auch mit Kindern gleichen Entwicklungsstandes zusammenzukommen. Darüber hinaus müssen entwicklungspsychologische Besonderheiten von zweijährigen Kindern berücksichtigt werden. Die Aufnahme von Zweijährigen stellt auch das Thema eines der Pflichtmodule im Fortbildungszertifikat des Landes dar. Die hier vorliegende Veröffentlichung soll Sie bei der Aufnahme von Zweijährigen zusätzlich unterstützen. Dr. Susanne Viernickel und Dr. Petra Völkel greifen in dieser Broschüre nicht nur Entwicklungsthemen und die Gestaltung des pädagogischen Alltags auf, sondern geben auch Hilfestellungen bei strukturellen Fragen wie Gruppenformen und Altersstrukturen oder der Gestaltung von Spielbereichen. Durch ganz konkrete Beispiele aus dem Alltag von Erzieherinnen und Erziehern wird die Praxisorientierung der Broschüre zusätzlich untermauert. Ich bin mir sicher, dass Sie in dieser Broschüre viele gute Anregungen für die Arbeit mit Zweijährigen in Kindergartengruppen finden, und wünsche Ihnen bei der Umsetzung viel Erfolg. Doris Ahnen 3 Inhalt 4 1. Wenn Zweijährige in den Kindergarten kommen 6 2. Entwicklung und Bildung in den ersten Lebensjahren 12 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen 16 3.1 Der Aufbau sicherer (Bindungs-)beziehungen 17 3.2 Das Erlangen von Autonomie und Kontrolle 19 3.3 Die Sprache erlernen 22 3.4 Das Welterkennen um Symbol und Vorstellung erweitern 25 3.5 Der Eintritt in die soziale Kinderwelt 28 4. Den pädagogischen Alltag gestalten 32 4.1 Ein guter Start: Aufnahme und Eingewöhnung 33 4.2 Beziehungsvolle Pflege und Körperkontakt 35 4.3 Der Weg zur Windelfreiheit 36 4.4 Zum Umgang mit Wutanfällen und „Trotzverhalten“ 38 4.5 Sprachförderung und Kommunikation 41 4.6 Kontakte und Beziehungen unter Kindern fördern 43 4.7 Neugierde, Sinneserfahrungen und Bewegungsfreude unterstützen 46 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern 50 5.1 Angepasstes Zeitmanagement 51 5.2 Gruppenformen und Altersstrukturen 53 5.3 Räume, Spielbereiche, Materialien 56 5.4 Entwicklungs- und Bildungsthemen beobachten und dokumentieren 57 5.5 Zusammenarbeit mit Eltern 60 6. Fazit: Die Aufnahme von Zweijährigen als Teamaufgabe 64 5 1. Wenn Zweijährige in den Kindergarten kommen… Zweijährige Kinder können laufen und und Weise, wie sich Zweijährige die klettern, sie können sich sprachlich Welt erschließen, häufig von der, wie verständlich machen, sie hören zu dies zum Beispiel Vierjährige tun. Die und befolgen Anweisungen, sie bauen Aufnahme von Zweijährigen in den und basteln, malen und singen, Kindergarten ist deshalb mit einer toben und springen und wollen gern Reihe von Herausforderungen an die mit ihresgleichen spielen. Zweijäh- pädagogischen Fachkräfte verbun- rige sind neugierig darauf, was die den. gegenständliche und soziale Welt 6 ihnen zu bieten hat und sie wollen Wenn Zweijährige in den Kindergar- sie erkunden. Insofern unterscheiden ten kommen, haben sie eine Reihe sie sich nicht von älteren Kindern. von Entwicklungsaufgaben zu bewäl- Allerdings unterscheidet sich die Art tigen, die sich von den Entwicklungs- aufgaben älterer Kinder unterschei- einzuplanen, an denen die Eltern den und bei denen sie stärker als beteiligt sind. Forschungsergebnis- ältere Kinder auf die Unterstützung se zeigen uns, dass jüngere Kinder durch Erwachsene angewiesen sind. durchaus dazu in der Lage sind, neben Zu diesen Entwicklungsaufgaben ge- ihren Eltern weitere Bezugspersonen hören der Aufbau einer sicheren und zu akzeptieren. Wenn eine genügend tragfähigen Beziehung zu ihrer Erzie- lange Eingewöhnungszeit möglich ist herin/ihrem Erzieher, das Erlangen und die besonderen Bedürfnisse nach von Autonomie und Kontrolle, das Körperkontakt und individualisierter Erlernen der Sprache, das Verständ- Zuwendung (z.B. in Pflegesituationen) nis und der Gebrauch von Symbol berücksichtigt werden, baut sich eine und Vorstellung sowie sich in der sichere und tragfähige Beziehung sozialen Kinderwelt zurechtzufinden zur Erzieherin/zum Erzieher auf. Auf und Spielpartnerschaften mit anderen dieser Basis wirken die vielen SinKindern aufzubauen. neseindrücke, Spielanregungen und Spielpartner(innen) im Kindergarten Zur Bewältigung ihrer spezifischen entwicklungsstimulierend und förder- Entwicklungsaufgaben brauchen lich. Dabei bleiben jedoch auch bei Zweijährige besondere Unterstützung einer Ganztagsbetreuung immer die und Förderung durch die Erzieherin/ Eltern die wichtigsten Bezugspersonen den Erzieher. Um den pädagogischen für das Kind. Alltag in der Kindertageseinrichtung auch für die Zweijährigen entwick- Um dem Bedürfnis der Zweijährigen lungsfördernd zu gestalten, gibt diese nach Autonomie und Kontrolle (es Broschüre Anregungen und Empfeh- selbst tun wollen und können) gerecht lungen. zu werden, ist gerade die Gestaltung von Pflegesituationen (Wickeln, Essen, Der Aufbau sicherer Bindungsbe- Anziehen), die Haltung zum „Windeltra- ziehungen erfordert es, Eingewöh- gen“ und der Umgang mit „trotzigen“ nungszeiten für die jüngeren Kinder Kindern von hoher Bedeutung. Insbe7 1. Wenn Zweijährige in den Kindergarten kommen... sondere Pflegesituationen bieten der schen Interessen und Bedürfnisse Erzieherin/dem Erzieher die Gelegen- der jüngeren Kinder angemessen heit, sich einzelnen Kindern intensiv eingehen zu können, braucht es bei zuzuwenden. Sie lassen sich lustvoll der Integration von Zweijährigen in gestalten und können dazu genutzt den Kindergarten häufig eine Verän- werden, die Kinder in ihrer Sprach- derung eingespielter Strukturen im und Kommunikationsentwicklung zu Gruppenalltag. Dabei kommt eine sol- unterstützen sowie ihre Fähigkeit des che Veränderung häufig nicht nur den Welterkennens um Symbole und Vor- jüngeren, sondern auch den älteren stellungen zu erweitern. Eine Pflegesi- Kindern einer Gruppe zugute. tuation ist deshalb kein „Zeitfresser“, sondern eine wichtige und anspruchs- Die Broschüre gibt Anregungen und volle pädagogische Fachaufgabe. Hinweise dazu, wie die zeitliche Planung des Tagesablaufes angepasst Die sprachliche und geistige Ent- werden könnte, welche Überle- wicklung von Kindern wird jedoch gungen hilfreich für eine sinnvolle nicht nur im Zusammensein mit Gruppenzusammensetzung sind, Erwachsenen gefördert, sondern welche Raumgestaltung und welche ganz entscheidend auch im Spiel mit Spielmaterialien besonders anregend anderen Kindern. Allerdings fällt es wirken, warum die Entwicklungs- und den Kleinen nicht immer leicht, sich Bildungsthemen der Kinder beobach- miteinander zu verständigen, ein ge- tet und dokumentiert werden sollten meinsames Spiel anzufangen und es und was es bei der Zusammenarbeit über einen gewissen Zeitraum auch mit den Eltern zu beachten gilt. aufrechtzuerhalten. Hilfreich hierbei sind eine überlegte Raumgestaltung Die nächste Seite verdeutlicht, welche und vielfältiges Spielmaterial, das die Themen in dieser Broschüre behan- jüngeren Kinder dazu anregt, Spiel- delt werden und wie diese Themen partnerschaften einzugehen. zueinander in Beziehung stehen. Um auf die entwicklungsspezifi8 9 2345 Entwicklungsthemen der Kinder Gestaltung des pädagogischen Alltags Aufbau sicherer Bindungsbeziehungen Aufnahme und Eingewöhnung Aufbau sicherer Bindungsbeziehungen Erlangen von Autonomie und Kontrolle Beziehungsvolle Pflege Sprache erlernen Erlangen von Autonomie und Kontrolle Windelfreiheit Erlangen von Autonomie und Kontrolle Umgang mit „Trotz“ Sprache erlernen Welterkennen um Symbole/Vorstellungen erweitern Sprachförderung Welterkennen um Symbole/Vorstellungen erweitern Eintritt in die soziale Kinderwelt Sprache erlernen Welterkennen um Symbole/Vorstellungen erweitern Eintritt in die soziale Kinderwelt 10 Beziehungen unter Kindern fördern Neugierde, Sinneswahrnehmung, Bewegungsfreude unterstützen Erweiterung des Handlungsspielraums Gruppenformen und Altersstrukturen Zusammenarbeit mit Eltern Angepasstes Zeitmanagement Angepasstes Zeitmanagement Angepasstes Zeitmanagement Räume, Spielbereiche, Materialien Entwicklungs- und Bildungsthemen beobachten und dokumentieren Gruppenformen und Altersstrukturen Räume, Spielbereiche, Materialien Entwicklungs- und Bildungsthemen beobachten und dokumentieren Räume, Spielbereiche, Materialien Entwicklungs- und Bildungsthemen beobachten und dokumentieren 11 2. Entwicklung und Bildung in den ersten Lebensjahren 12 Sieht man sich einschlägige Beobach- nicht, dass Entwicklungsfortschritte in tungs-Checklisten für den Kindergar- diesen Bereichen immer und insbe- tenbereich oder Entwicklungstests sondere im Säuglings- und frühen für die ersten Lebensjahre an, fällt Kindesalter hochgradig miteinander auf, dass Merkmale der kindlichen vernetzt und wechselseitig vonein- Entwicklung meist in verschiedene ander abhängig sind. Entwicklung Bereiche organisiert sind, z.B. in die verläuft ganzheitlich. Ein einjähriges Bereiche Körpermotorik, Hand- und Kind, das sich erstmalig am Sofa Fingermotorik, Sprachentwicklung, in den Stand hochzieht, hat einen kognitive Entwicklung oder soziale wichtigen Meilenstein in seiner moto- und emotionale Kompetenz. Die- rischen Entwicklung bewältigt; damit se Trennung ist aus analytischen verbunden sind gleichwohl noch Gründen sinnvoll; sie zeigt jedoch vielfältige weitere Entwicklungsanstö- ße. Es kann nun die Welt aus einer emotionale Bewertungen ganz neuen Perspektive betrachten; und motorische Reaktionen. es muss sein Gleichgewichtsgefühl Ein weiteres Beispiel aus in dieser neuartigen Position austa- dem ersten Lebensjahr rieren; und es fühlt sich durch diese eines Kindes: Beim Greifen neu erworbene Kompetenz und ihre koordiniert der Säugling begeisterte Würdigung durch seine bereits im Alter von wenigen Mona- Eltern in seinem Tun bestätigt und ten seine visuelle Wahrnehmung mit baut Selbstvertrauen und ein Gefühl der Körpermotorik. Dabei helfen ihm der Selbstwirksamkeit auf. Informationen aus dem System der Bei all diesen Lernprozessen spielt Körperwahrnehmung, über das er die Wahrnehmung eine wesentli- die Stellung seiner Gelenke und den che Rolle, denn durch sie tritt das Spannungszustand seiner Muskeln Kind mit sich und seiner Umwelt in wahrnehmen und beeinflussen kann, Kontakt. Auch hier finden wir das und der Tastsinn, durch den sich Prinzip der Ganzheitlichkeit vor. Die Oberflächenstrukturen, Formen und verschiedenen Wahrnehmungskanäle Temperaturen erschließen. Und es und -organe liefern unterschiedliche, sind weitere Prozesse beteiligt: Hat einander ergänzende Informationen. das Kind Erfolg bei seinen Bemühun- Die Sinnesempfindungen werden zum gen, ist dies mit positiven Emotionen Gehirn weitergeleitet, mit Gedächt- verbunden, die somit Belohnungscha- nisinhalten verglichen und anhand rakter haben. Kommt eine erwach- bereits gemachter Erfahrungen sene Bezugsperson dazu, die das bewertet. Um die Sinnesinforma- Kind in seinen Handlungen bestätigt tionen nutzen zu können, müssen und diese sprachlich kommentiert, sie organisiert und integriert, das verbindet sich das eigene aktive Tun heißt vom Gehirn in bedeutungs- mit dieser positiven Kommunikati- volle Formen und Beziehungen ons- und Beziehungserfahrung. Jede überführt werden. Eng gekoppelt an Situation hält für ein Kleinkind also diese Wahrnehmungsvorgänge sind Erfahrungsmöglichkeiten bereit, die 13 2. Entwicklung und Bildung in den ersten Lebensjahren in vielgestaltiger, kreativer Form als für sich erstmalig und dann wieder- „Rohmaterial“ für Verarbeitungs- und holend mit immer neuen Facetten Bildungsprozesse herangezogen erobern. Gleiches gilt für die Begriffs- werden. bildung und die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen, die sich ebenfalls Ein weiteres Entwicklungsprinzip nicht ohne sinnliches Be-Greifen und besteht darin, dass die komplexen Be-Handeln vollziehen können. Für Leistungen, zu denen Kinder im Ver- ein solch aktives Zugehen auf die lauf ihrer Entwicklung fähig werden, Umwelt bedarf es auch emotiona- wie logisches und problemlösendes ler Voraussetzungen, nämlich der Denken, die Anwendung grammatika- gefühlsmäßig verankerten Zuversicht, lischer Regeln oder der Schriftsprach- in irritierenden und angstauslösenden erwerb, auf basalen Erfahrungen in Situationen eine Person zur emoti- den ersten Lebensjahren aufbauen. onalen Rückversicherung und Hilfe In dieser Zeit ist Erkenntnis und verfügbar zu haben. Wissensaufbau noch unmittelbar an 14 aktives Handeln, an Wahrnehmung Ein solches Verständnis von früh- und Motorik gebunden. Der Entwick- kindlichen Entwicklungsprozessen lungspsychologe Jean Piaget spricht birgt unmittelbare praktische Konse- deshalb für die ersten eineinhalb quenzen. Werden frühe Entwicklung Lebensjahre von der senso-moto- und Bildung als aktive, ganzheitliche, rischen Phase (sensuell = auf den komplexe und stark leiblich ge- Sinnen beruhend, Motorik = willkürli- bundene Prozesse verstanden, ist che Bewegungsabläufe des Körpers) die isolierte, einseitige Förderung in der kindlichen Entwicklung. Das einzelner Entwicklungsfunktionen Kind muss selbst aktiv sein können wenig sinnvoll. Wichtig ist dagegen und durch sein Handeln, den Einsatz die bewusste Bereitstellung von Er- aller Sinne und körperlicher Empfin- fahrungsmöglichkeiten, die alle Sinne dungen in Interaktion mit der Umwelt ansprechen: Räume so zu gestalten, treten. Dadurch kann es die Umwelt dass dem Bewegungs- und Hand- lungsdrang der Kleinkinder entspro- es keine „magische Grenze“ geben chen werden kann, die sprachliche kann, ab der Kinder vom Besuch Begleitung von Aktivitäten sowie ein einer Tageseinrichtung profitieren. emotional zugewandter, achtungs- Vielmehr muss gefragt werden, wie voller Umgang mit den Kindern, der die sozialen Beziehungen und die häufige Körperkontakte einschließt. pädagogische Umwelt beschaffen Werden frühe Erfahrungen als sein sollten, damit Kinder je nach bedeutsam für später erfolgende ihren spezifischen Entwicklungsbe- Bildungsprozesse erkannt, erwächst dürfnissen und -themen diejenigen daraus, dass pädagogische Fachkräf- Bedingungen vorfinden, die ihnen te eine hohe Verantwortung für die ermöglichen, sich der Welt aktiv und Entwicklung der ihnen anvertrauten interessiert zuzuwenden. Kinder – egal welchen Alters – tragen. Gleichzeitig wird deutlich, dass 15 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen Wer Bildungs- und Lernprozesse von Für die Zweijährigen gehören zu Kindern verstehen und unterstützen den besonders bedeutsamen möchte, sollte wissen, welche Entwicklungsthemen der Aufbau Entwicklungsphasen Kinder in einem sicherer Beziehungen, das Erlangen bestimmten Alter durchleben und von Autonomie und Kontrolle, das welche Anforderungen ihnen in Erlernen der Sprache, das Erweitern den jeweiligen Phasen abverlangt des Welterkennens um Symbol und werden. In der Psychologie spricht Vorstellung sowie der Eintritt in die man auch von zeitlich eingrenzbaren soziale Kinderwelt. Das meiste, was Entwicklungsaufgaben oder zweijährige Kinder tun, ist von diesen Entwicklungsthemen. Dem liegt Entwicklungsthemen beeinflusst die Annahme zugrunde, dass und dient dazu, die anstehenden es innerhalb der Lebensspanne Entwicklungsaufgaben zu bearbeiten Zeiträume gibt, die für bestimmte und Schritt für Schritt zu bewältigen. Lernprozesse besonders geeignet oder bedeutsam sind. 16 3.1 Der Aufbau sicherer Ohne sichere Basis kann ich (Bindungs-)beziehungen nicht fröhlich und aktiv sein! Alle Kleinkinder zeigen in Situationen Unter Bindung versteht man die von Unsicherheit, Missbehagen besondere und enge emotionale oder Gefahr so genanntes Beziehung eines Kindes zu seinen Bindungsverhalten. Sie hören auf, Eltern oder zu den Personen, die ihre Umwelt zu erkunden, oder tun es ständig betreuen. Der Aufbau dies nur noch oberflächlich und einer solchen Bindung ist genetisch unkonzentriert. Die meisten Kinder vorprogrammiert, das heißt, alle werden in solchen Situationen nach Kinder zeigen von Geburt an die ihrer Bezugsperson suchen, sie Bereitschaft zum Bindungsaufbau. herbeirufen oder zu weinen beginnen. Wenn sie damit beginnen, die Kommt die Bindungsperson dann Welt zu erkunden, benutzen sie und nimmt das Kind in den Arm, ihre Bindungspersonen als sichere dann schmiegt es sich eng an und Basis, zu der sie zurückkehren, beruhigt sich in der Regel in wenigen wenn irgendetwas sie ängstigt Augenblicken. Das Kind tankt oder wenn sie sich unsicher fühlen. sozusagen Sicherheit. Sobald sich Bis auf wenige Ausnahmen, die das Kind beruhigt hat, wendet es sich aus längerer Trennung, häufig wieder seiner Umwelt zu und beginnt wechselnden Bezugspersonen erneut, diese lebhaft und interessiert oder einer andauernden zu erkunden. emotionalen Nichtverfügbarkeit der Bindungsperson resultieren, Wie ihr mit mir umgeht, prägt entwickeln alle Kinder ab dem mein Selbstwertgefühl! sechsten Lebensmonat bis ins dritte Die Qualität der individuellen Lebensjahr eine Bindung an einige Bindungsbeziehung des Kindes wenige Bezugspersonen. zu seiner Bezugsperson ist abhängig von der Erfahrung von Zuverlässigkeit, Einfühlsamkeit, 17 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen Kontinuität und liebevoller die von Zuversicht und Vertrauen Zuwendung. Durch prompte, gekennzeichnet ist. Macht ein angemessene und einfühlsame Kleinkind dagegen die Erfahrung, Reaktionen der Bezugsperson dass seine Signale nicht oder nur auf ihr Bindungsverhalten lernen sehr unregelmäßig von seinen Kinder, dass ihre Äußerungen Bezugspersonen wahrgenommen verstanden werden und dass auf ihre und die ausgedrückten Bedürfnisse Bedürfnisse in der Regel innerhalb nicht befriedigt werden, entwickelt es kurzer Zeit und auf vorhersagbare eine Erwartungshaltung gegenüber Weise eingegangen wird. Im anderen Menschen, die durch weiteren Lebenslauf entwickelt das Unsicherheit gekennzeichnet ist. Kind so eine Erwartungshaltung Diese Kinder lernen, dass von ihnen gegenüber anderen Menschen, erwartet wird, mehr oder weniger alleine zurechtzukommen. Sie Begriffsklärung wenden sich nicht selbstverständlich Bindung ist das „gefühlsmäßige Band“, das zwischen dem Kind und seinen engsten Bezugspersonen im Laufe der ersten Lebensmonate entsteht. an ihre Bezugsperson, wenn sie Die Fähigkeit zum Aufbau von Bindungsbeziehungen ist in den Erbanlagen verankert, ebenso wie der Wunsch, die Umwelt zu erkunden (explorieren). sich unsicher fühlen, holen sich keinen Trost und spielen scheinbar unbeeindruckt weiter. Bindungspersonen dienen dem Kind als so genannte „sichere Basis“ bei der Erkundung der Umwelt. Ich brauche Begleitung beim In unvertrauten Situationen wird beim Kind das Bindungssystem aktiviert, in sicheren Situationen zeigt das Kind Explorationsverhalten. Die Bindungsperson in der Nähe zu Übergang in eine „fremde“ Welt! wissen, ist für Kleinkinder besonders Alle Kinder haben Bindungspersonen, die Qualität der Bindungsbeziehung ist jedoch unterschiedlich. wichtig, wenn sie mit Unbekanntem Die Qualität der Bindungsbeziehung hängt mit der Art und Weise zusammen, in der die Bindungsperson und das Kind in den ersten Lebensmonaten miteinander umgegangen sind. heit, Müdigkeit, Hunger oder Angst Ein wesentlicher Faktor für die Qualität der Bindungsbeziehung ist die Feinfühligkeit, mit der sie auf Signale des Kindes reagiert. 18 konfrontiert werden oder Unsichergerade das Stimmungsbild dominieren. Typisch für die meisten Zweijährigen ist, dass sie in unvertrauten Situationen durchaus damit begin- 3.2 Das Erlangen von Autonomie nen, ihre Umwelt zu erkunden; im und Kontrolle Verlauf ihres Spiels kehren sie jedoch immer wieder zur Bezugsperson Das Erlangen von Autonomie und zurück, um sich ihrer Anwesenheit Kontrolle – über den eigenen zu versichern. Ist die Bezugsperson Körper, über Gegenstände, über die nicht verfügbar, brechen sie ihr soziale Umwelt – ist ein zentrales Spiel ab, beginnen zu weinen und Entwicklungsthema der Zweijährigen. lassen sich von Fremden nur schwer Das Kind befindet sich dabei in dauerhaft trösten. Auch Zweijährige, einem emotionalen Wechselbad. Es die scheinbar unbeeindruckt weiter- bewältigt viele Schritte, es bemerkt spielen, wenn sie ihre Bezugsperson jeden Tag und jede Stunde, dass in unvertrauten Situationen nicht es imstande ist, Effekte auf seine finden können, zeigen einen hormo- Umwelt auszuüben. Es ist berauscht nell messbaren Stressanstieg. Dies von seinen eigenen Möglichkeiten weist darauf hin, dass auch bei ihnen und Kräften. Gleichzeitig gibt das Bindungssystem aktiviert ist, es ständig Rückschläge und und führt dazu, dass diese Kinder Widerstände. Es fällt beim schnellen eher ziellos und unkonzentriert mit Laufen hin oder das Rutschauto Dingen und Personen ihrer Umge- fährt nicht dorthin, wo es hinfahren bung umgehen. So unbeeindruckt, soll; es wiederholt ständig seine wie sie scheinen, sind sie nämlich in Wünsche: „Ich auch mal schaukeln!“, Wirklichkeit nicht. Fazit: Alle Kinder aber niemand hört zu; die Hose brauchen einen sanften Übergang in lässt sich einfach nicht hochziehen, den Kindergarten – eine Eingewöh- der Schuh rutscht nicht auf den Fuß, nungszeit. die zwei Bücher und der Ball lassen sich einfach nicht gleichzeitig tragen; und jetzt sitzt Nina auf meinem Lieblingsstuhl und geht nicht runter, obwohl ich „mein Stuhl“ sage und 19 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen kräftig drängle. Das Bewusstsein Lebensjahres können die meisten der Eigenständigkeit und eines Kinder frei und relativ sicher laufen, autonomen ICHs ist vorhanden und obwohl sie auch noch während des doch ständig bedroht: wenn das gesamten dritten Lebensjahres daran Kind nicht an ein Spielzeug im Regal feilen, ihre Bewegungsrichtung und heranreicht, ein Spielkamerad sagt: ihr Bewegungstempo schnell und „Du bist aber gar kein Mädchen“ oder willkürlich ändern zu können. Das die Erzieherin/der Erzieher das Brot Bewegungsrepertoire wird gerne schmiert, obwohl man es selber tun und regelmäßig erprobt und dadurch wollte. Mit anderen Worten: Kinder gefestigt, z.B. durch Rennen, Klettern, Schaukeln, Wippen, Balancieren etc. Begriffsklärung Kinder können im dritten Lebensjahr Neben dem Bedürfnis nach Verbundenheit haben Zweijährige auch zunehmend das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. in Kauerstellung spielen, sie lernen, Autonomie heißt „Unabhängigkeit“; es bezeichnet den Wunsch des Kindes, „auf eigenen Füßen“ zu stehen. hinabzusteigen, und sie springen Kontrolle bezeichnet den Wunsch des Kindes, das Ergebnis seines Handelns planen bzw. vorhersagen zu können. Treppen frei hoch- und am Geländer im Schlusssprung z.B. von der untersten Treppenstufe. Sie lieben es, mit Fahrzeugen im Flur oder im zweiten und dritten Lebensjahr Hof umherzufahren. Gleichzeitig stehen in fast allem, was sie tun, vor müssen sie sich mit Erwachsenen einer unglaublichen Auswahl von auseinander setzen, die wollen, dass Möglichkeiten. Gleichzeitig sehen sie beim Über-die-Straße-Gehen an sie sich immer wieder den Grenzen der Hand bleiben, oder die ihnen gegenüber, die in ihren eigenen nicht erlauben, auf dem Spielplatz die Fähigkeiten, den Widrigkeiten der „ganz hohe Rutsche“ auszuprobieren. Umwelt und der Macht und Stärke der Erwachsenen liegen. Mir gelingen meine Vorhaben! Auch die feinmotorischen Fähigkeiten 20 Ich gehe, wohin ich will! des Kindes werden zunehmend In der zweiten Hälfte des zweiten komplexer. Vieles gelingt jetzt: das Umblättern der Seiten im Bilderbuch, andere dazu veranlassen, etwas zu das Ineinanderstecken von zwei tun. Wir können uns wahrscheinlich Gegenständen, das Aufreihen von nur schwer vorstellen, welch mächtige großen Perlen. Türme werden neuartige Form der Kontrolle dies aus mehreren Bausteinen gebaut, für ein Kind bedeutet! Und dies und sich Essen selber auftun vor allem über andere Personen und einschenken klappt auch. und interessanterweise gerade in Diese Fähigkeiten haben viel mit der Interaktion mit den ihm weit Eigenständigkeit und Kontrolle zu überlegenen Erwachsenen. Umso tun. Manchmal wollen die Perlen enttäuschender muss es ein, wenn allerdings absolut nicht auf den Faden – was nicht ausbleibt – keiner gehen und beim Einschenken des zuhören mag und niemand reagiert. Saftes geht immer so viel daneben, dass wohlmeinende Erwachsene dem Ich weiß, wer ich bin, und habe Kind Kanne und Glas aus der Hand einen eigenen Willen! nehmen, um es für das Kind zu tun. Alle Erfahrungen, die ein Kind tagtäglich macht, helfen ihm, Wissen über Andere tun, was ich sage! die Eigenart und Einmaligkeit des Irgendwann im Verlauf der zweiten eigenen Wesens zu sammeln und zu Hälfte des zweiten Lebensjahres organisieren. Nach und nach formt ist eine für den Spracherwerb sich dies zu der Gewissheit, von ande- „magische Grenze“ erreicht. Wenn ren getrennt zu sein und eine stabile, das Kind etwa 50 Wörter spricht, dauerhafte Identität zu besitzen. Ab kommt es in Folge zu einer wahren dem Alter von ca. 15 Monaten er- Wortschatzexplosion, d.h., es kennt sich das Kind selbst im Spiegel lernt nun sehr schnell neue Wörter oder auf Fotos und Videos. Mit dieser hinzu. Sprache wird verfügbar, um Entdeckung begreift es, dass Abbil- Beobachtungen, Wünsche und der von ihm nicht identisch sind mit Gedanken auszudrücken; das Kind ihm selbst. Gleichzeitig kann es sich kann sich seiner Umwelt mitteilen und sozusagen „von außen“ betrachten. 21 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen Das Kind erlebt sich nun nicht nur 3.3 Die Sprache erlernen als Subjekt, sondern auch als Objekt. Diese Erkenntnis führt wenig später Was die sprachliche Entwicklung dazu, dass es sich selbst mit dem angeht, sind die Zweijährigen Wort „ich“ bezeichnet. Weiterhin ist es vor unglaublich komplexe 22 nun in der Lage, Personen miteinan- Herausforderungen gestellt. Neben der zu vergleichen und sich selbst der Wortschatzerweiterung und dem einer bestimmten Personengruppe Erwerb von Regeln zur Wort- und zuzuordnen (Kind/Mädchen/Junge). Satzbildung beschäftigen sie sich vor Es entwickelt Identität. Auch der Akt allem mit dem Erwerb von Wort- und des Nein-sagens ist eine Errungen- Satzbedeutungen. Mit dem Aufbau schaft mit weit reichenden Konse- des Wortschatzes lernt ein Kind, dass quenzen und ein Indikator für eine jedes Ding einen Namen hat, und neu erreichte Stufe der Identität. Mit vor allem, dass das gesprochene dem „nein“ sagt das Kind: „Ich habe Wort als Zeichen oder Ersatz für einen Willen“ und gleichzeitig „Ich bin dieses Ding genutzt werden kann. nicht du“. Im Kindergarten macht es Dabei muss das Kind die korrekte allerdings auch immer wieder die Er- Bedeutung eines Wortes aus der fahrung, dass es wie alle anderen be- großen Anzahl prinzipiell möglicher handelt wird, dass es anscheinend in Bedeutungen herausfiltern. Wenn ein der Kindergruppe nichts Besonderes Kind eine Katze sieht, die mit einem ist. Zweijährige, die gerade erst die Wollknäuel spielt, woher weiß es, Einzigartigkeit ihrer eigenen Person dass das Wort „Katze“ sich nicht auf entdeckt haben, brauchen deshalb die Wolle, die Handlung des Spielens, Erwachsene, die ihnen helfen, ihre den Schwanz, die Schnurrhaare eigenen Bedürfnisse und Wünsche oder die Farbe des Katzenfells auszudrücken, sie mit denen anderer bezieht? Neben offensichtlich Menschen zu vergleichen und dabei angeborenen Lernmechanismen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede die in experimentellen Studien festzustellen. nachgewiesen wurden, spielt natürlich das sprachliche Vorbild und junger Mann mit bunt gefärbtem die Benennung durch Erwachsene Haar einsteigt, wendet sich das Kind und andere Kinder eine große Rolle. verwundert an die Erzieherin/den Erzieher „Eh da?“ („Was ist das?“). Die Ich will wissen, was das ist! Antwort der Erzieherin/des Erziehers: Kleinkinder sind begeisterte Wörtersammler. Besonders nützlich Meilensteine der Sprachentwicklung dafür ist die Frage „Was ist das?“, die Gegen Ende des ersten Lebensjahres spricht das Kind sein erstes Wort. etwa ab dem Alter von 18 Monaten mehrmals täglich gestellt wird. Erhalten sie Antwort, genügt ihnen oft ein einziges augenfälliges Beispiel, um die neuen Wörter dauerhaft zu verinnerlichen. Man spricht hier vom „fast mapping“. Kein Wunder, dass das Kind am Ende des zweiten Lebensjahres bereits über etwa 200 Wörter verfügt. Danach lernt es täglich etwa neun neue In der Mitte des zweiten Lebensjahres verfügt das Kind über etwa 50 Wörter. Am Ende des zweiten Lebensjahres verfügt das Kind bereits über etwa 200 Wörter. Der Beginn der produktiven Grammatik wird dann angesetzt, wenn das Kind erstmals Wortkombinationen bildet, also Zweiund Dreiwortsätze. Dieser Entwicklungsschritt beginnt ebenfalls mit etwa 18 Monaten. Mit etwa vier Jahren beherrschen Kinder die hauptsächlichen Satzkonstruktionen ihrer Muttersprache. Den Abschluss ihrer grammatischen Kompetenz erreichen Kinder mit etwa acht Jahren. Wörter hinzu. Ungefähr im gleichen „Das ist ein Punk“, führt dazu, dass Alter, in dem das „fast mapping“ das kleine Mädchen nun Personen einsetzt, beginnen sich Kinder auch in drei Kategorien unterteilt: „Mann“, mit dem kognitiven Problem des „Frau“ und „Punk“ (zum Beispiel auch Klassifizierens zu beschäftigen und für eine Frau mittleren Alters mit rot Zuordnungen vorzunehmen. Hierzu gefärbtem Haar). ein Beispiel: Eine Kindergartengruppe macht einen Ausflug mit dem Bus. Ich begreife, dass die Sprache Ein fast zweijähriges Mädchen Regeln hat! benennt die einsteigenden Personen Der Beginn der produktiven mit „Mann“ oder „Frau“. Als ein Grammatik wird dann angesetzt, 23 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen wenn das Kind erstmals älter werden und kompliziertere Wortkombinationen, also Zwei- Sätze bilden, wird deutlich, dass und Dreiwortsätze bildet. Dieser sie schon einige grammatikalische Entwicklungsschritt beginnt ebenfalls Regeln verinnerlicht haben, diese etwa mit 18 Monaten. In diesen aber in recht eigensinniger Art und kurzen Sätzen wird deutlich, dass Weise anwenden. Besonders deutlich die Kinder erkennen, dass Sprache wird das z.B. bei der Pluralbildung. bestimmten grammatikalischen So wie es Autos gibt, gibt es dann Regeln folgt. Auch wenn Zweijährige vielleicht auch Apfels, und so wie es in ihren Zwei- und Dreiwortsätzen Kühe gibt, gibt es eben auch Hünde. alles Unwichtige weglassen, Bei manchen Kindern ist es auch verstehen sie, dass nur bestimmte ganz anders mit dem Erlernen der Wortstellungen möglich sind, um Laute, Wörter und Sätze. Sie erfassen eine Absicht auszudrücken, etwas als erstes die Intonationsmuster festzustellen oder einen Wunsch zu der Sprache und ahmen diese äußern. Wenn sie ausdrücken wollen: Muster nach. Das klingt dann, als „Ich möchte Milch haben“, dann würden sie fließend „wie in einer sagen sie: „Milch haben“ und nicht fremden Sprache“ sprechen. Oft „haben Milch“. Wenn sie mitteilen sind in diesen Sprachfluss einzelne möchten: „Der Ball ist weg“, dann erkennbare Wörter eingebettet. Mit sagen sie: „Ball weg“ und nicht „weg der Zeit wird aus dem Geplapper Ball“. Ebenso verwenden Zweijährige dann verständliche Sprache. Daran bestimmte Wortstellungen, um wird deutlich, dass auch normale unterschiedliche Bedeutungen Sprachentwicklung individuell sehr auszudrücken. Wenn sie den Wunsch unterschiedlich sein kann. äußern möchten: „Können wir zur Oma gehen?“, dann fragen sie: „Oma gehen?“, wenn sie jedoch feststellen, „Wir gehen jetzt zur Oma“, dann heißt es: „gehen Oma“. Wenn Kinder 24 Ich verstehe und kann mich nur in Kommunikationssituationen, sprachlich verständlich machen! im Austausch mit Erwachsenen und Mit dem Erwerb von Wortbe- anderen Kindern erworben und deutungen geht auch die zweite gefestigt werden. große Aufgabe einher, nämlich sicher im sprachlichen Handeln zu 3.4 Das Welterkennen um werden. Dies wird pragmatische Symbol und Vorstellung Kompetenz genannt und umfasst erweitern kurz gesagt die Verständigungsfähigkeit; das Wissen, in welchem Im zweiten Lebensjahr beginnt sozialen Kontext, in welcher etwas, das das Kind auch im dritten Weise und mit welcher Erwartung Lebensjahr noch immens beschäftigt: welchem Gesprächspartner etwas die Fähigkeit, sich Menschen, Dinge, zu sagen (oder unter Umständen Situationen und Ereignisse vorstellen auch zu verschweigen) ist. In zu können, und zwar losgelöst von der Kommunikation mit anderen der aktuellen Anschauung und Menschen wären wir ohne diese Wahrnehmung im Hier und Jetzt. Fähigkeit auch mit einem noch so Der Fachausdruck hierfür lautet großen Wortschatz und perfekten „Repräsentationsfähigkeit“. grammatikalischen Kenntnissen Dies hat Auswirkungen auf mehrere hilflos. Und es liegt auf der Hand: Entwicklungsdimensionen. Zum einen Pragmatische Kompetenz kann gelingt es dem Kind nun zunehmend, 25 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen mit abstrakten Begriffen umzugehen in sein Spiel Elemente einfügt, die – denn Begriffe werden aus Wörtern Vorstellungskraft erfordern. Kurz gebildet, und Wörter sind nichts nach dem ersten Lebensjahr kann weiter als Zeichen bzw. Symbole für man schon die ersten Anzeichen etwas anderes. Der Begriff „Obst“ dafür beobachten: die Kinder tun so, steht beispielsweise für eine ganze als würden sie sich schlafen legen, Reihe von Dingen: für Äpfel, Birnen, oder sie nutzen Gegenstände – wie Bananen usw. Auch im Spiel des einen Kamm oder eine Tasse – Kindes wirkt sich die Entwicklung der symbolisch („kämmen“ sich, Repräsentationsfähigkeit gerade im „trinken“). Dies gelingt ihnen, weil sie zweiten und dritten Lebensjahr aus. sich das „Kämmen“ und „Trinken“ vorstellen können, ohne es direkt Begriffsklärung vor Augen zu haben. Etwas später Bereits im zweiten Lebensjahr kann das Kind zwischen der realen und der vorgestellten Welt unterscheiden. werden auch Puppen oder Teddys Es erwirbt die Fähigkeit, Dinge durch Symbole zu ersetzen bzw. zu repräsentieren. Das Kind kann zum Beispiel von einem „Ball“ reden, ohne einen Ball zu sehen. Es hört oder benutzt ein Wort (Symbol) und kann sich den Gegenstand dabei gedanklich vorstellen. die genutzt werden, können dem Besonders deutlich wird diese Fähigkeit beim Symbolspiel oder Tu-als-ob-Spiel. vom Baum kann zum Löffel werden, 26 mit einbezogen. Die Gegenstände, repräsentierten Objekt immer unähnlicher werden. Ein Stück Borke kurz danach zu einem Schiffchen Was passiert? Erstens tritt neben oder zu einem Vogel und noch das reine Funktionsspiel, also das später wieder zu einer Pistole. Im Spielen mit dem eigenen Körper Land der Phantasie herrscht völlige und das Hantieren bzw. Explorieren Freiheit. Mit dieser neuen kognitiven mit Objekten, eine zweite Spielform, Errungenschaft kann das Kind weiter die zur wichtigsten Spielform der damit beginnen, Spielabläufe zu nächsten Lebensjahre werden wird: „planen“, also bestimmte Schritte das Symbol-, Tu-als-ob- oder oder Elemente des Spiels im Denken Phantasiespiel. Diese Spielform vorwegzunehmen, um sie dann wird so bezeichnet, weil das Kind handelnd umzusetzen. Die anderen haben auch eine in irgendeiner Weise zu einigen, Welt im Kopf! Kompromisse zu schließen oder Im Kontakt und in der Kommuni- etwas ganz Neues auszuprobieren. kation mit Erwachsenen und anderen Zweijährige haben mit dem, was Kindern erweitert sich die eigene in der Entwicklungspsychologie Welt des Kindes zunehmend um die als „Perspektivenübernahme“ Welt der anderen, deren Wünsche, bezeichnet wird, durchaus noch ihre Bedürfnisse, Ziele und Gefühle das Schwierigkeiten und so manches Kind wahrzunehmen und zu erkennen läuft schief in der Kommunikation, lernt. Um mit einem anderen Kind insbesondere mit gleichaltrigen spielen zu können, muss man Spielpartnern. Einiges klappt aber zum Beispiel verstehen, dass der schon und jede soziale Spielsituation Spielpartner nicht notwendigerweise trägt zum Erwerb dieser wichtigen die gleichen Ideen und Vorstellungen Fähigkeit bei. im Kopf hat wie man selbst. „Eisan spielen?“ könnte für den anderen Ich kann planen, bevor ich bedeuten, die Schienen der handle! Legoeisenbahn zusammenzustecken Mit der zunehmenden Fähigkeit, oder mit tutenden Geräuschen durch sich an Vergangenes zu erinnern den Garten zu laufen. Um gemeinsam und Zukünftiges geistig vorwegzu spielen, ist es also notwendig, zunehmen, also zu planen, eröffnen eigene Ideen so zu vermitteln, dass sich für Zweijährige unzählige der andere sie auch verstehen Handlungsmöglichkeiten und kann. Dazu sind Überlegungen Anknüpfungspunkte. Das Kind notwendig, was der andere wohl kann sich nun vorstellen, mit den denken mag. Dann muss man auch Bausteinen zu spielen wie am noch zuhören und versuchen zu Tag zuvor, es erwartet aufgeregt, verstehen, was der Spielpartner seine Erzieherin/seinen Erzieher meint, wenn er selbst Ideen äußert. zu treffen, wenn es morgens in Schließlich ist es notwendig, sich die Einrichtung kommt, und es 27 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen freut sich schon auf das Eis zum Handlungsabläufen des Alltags bzw. Nachtisch, das die Erzieherin/der von mehr oder weniger routinierten Erzieher angekündigt hat. Umso Ereignissen. Im kindlichen Gehirn ist größer kann die Enttäuschung dann also Wissen darüber gespeichert, was allerdings auch ausfallen, wenn die z.B. alles zu einer Geburtstagsfeier erwarteten Dinge nicht eintreffen. gehört. Dieses Wissen wird im Manche Zweijährige reagieren hier mit Phantasiespiel abgerufen und heftigen Trotzanfällen, weil sie noch dient quasi als „Vorlage“ für die nicht verstehen können, dass das, einzelnen kindlichen Handlungen. Im was sie erwarten, manchmal nicht Phantasiespiel übt und festigt das eintrifft. Kind also seine geistigen Fähigkeiten, aber ohne jeden Druck von außen Im Spiel erschaffe ich die Welt und mit der Möglichkeit, die Dauer nach meinen Vorstellungen! und Intensität des Spiels selbst Zunehmend spielen die Kinder zu regulieren, sowie der Freiheit, auch aufeinander abgestimmte bei Schwierigkeiten, Gewöhnung Handlungsfolgen nach: Die Puppe oder Langeweile sich etwas Neues wird zum Beispiel erst gefüttert, dann auszudenken oder auch ganz gewickelt, danach im Arm gewiegt aufzuhören. Zum Phantasiespiel und schließlich ins Bett zum Schlafen gehört somit auch eine unerhört gelegt. Schon mit ca. zwei Jahren ist hohe Flexibilität und Kreativität. die Komplexität des Symbolspiels erstaunlich, und zwar insbesondere 3.5 Der Eintritt in die soziale dann, wenn Alltagssituationen Kinderwelt nachgespielt werden. Heute 28 nimmt man an, dass die Kinder Sich in der sozialen Welt der dabei Wissen nutzen, das in Form Gleichaltrigen zurechtzufinden und von so genannten „Skripten“ (Spiel-)Beziehungen zu anderen organisiert ist. Dies sind miteinander Kindern aufzubauen, ist eine weitere verbundene Repräsentationen von Entwicklungsaufgabe. Sie nimmt im Rahmen früher Gruppenbetreuung, Wunsch, im Kontakt etwas über insbesondere für erstgeborene sich selbst, die Konsequenzen des Kinder und für Einzelkinder, einen eigenen Handelns, den Spielpartner hohen Stellenwert ein. Aber es ist und die Beziehung zueinander eine Beobachtung, die sich immer herauszufinden. Sozialer Austausch in wieder bestätigt: Andere Kinder diesem Alter kann als eine Spielwiese werden – spätestens mit Beginn des für Experimente mit sozialem dritten Lebensjahres, meist aber, Handeln angesehen werden. sobald die Kinder in der Gruppe mit anderen zusammentreffen – immer Mit anderen Kindern kann interessanter. Warum? Darauf gibt es ich gemeinsam spielen und mehr als eine Antwort. kooperieren lernen! Dabei ist es für Zweijährige gar Ich bin dir ähnlich und doch nicht so einfach und schon für sich anders! genommen ein weites Lernfeld, Faszinierend ist für die Zweijährigen ein gemeinsames Spiel in Gang zu sicherlich die Tatsache, dass die bringen. Denn vergegenwärtigen anderen Kinder einem selbst sehr wir uns nur kurz, was eigentlich ähnlich und dennoch verschieden dazu gehört: Die Kinder müssen sind. Gerade deshalb lohnt es sich, zunächst die Aufmerksamkeit des im Kontakt mit ihnen herauszufinden, Partners erlangen. Dann müssen sie wer und wie man selbst ist. Die Antwort erhält man durch die Meilensteine der sozialen Entwicklung Reaktionen der anderen Kinder auf Im Alter von etwa einem Jahr erhöht sich das Interesse des Kindes am Zusammensein mit anderen Kindern deutlich. die eigenen Aktionen, durch Spielund Kontaktangebote. Man kann sagen, dass Interaktionen zwischen Kindern in diesem Alter genau so stark durch das „Spielthema“ selbst motiviert sind wie durch den Die Anfänge des gemeinsamen Symbolspiels kann man bei Kindern im Alter von 18 Monaten beobachten. Ab dem Alter von zwei Jahren gewinnen gleichaltrige Kinder immer mehr Bedeutung für den Erwerb sozialer Fähigkeiten. Durch das Zusammensein mit Gleichaltrigen wird die Fähigkeit zur Kooperation erworben. 29 3. Entwicklungsthemen der Zweijährigen ihre Absicht in angemessener Form die Gardinen jagen, abwechselnd kommunizieren. Danach gilt es, merkwürdige Laute ausstoßen dem Rhythmus von Aktion und und sich dabei imitieren, genau Reaktion zu folgen, das Spiel bzw. die herausfinden wollen, ob die Kugel Interaktion also in Gang zu halten, in der Kugelbahn wirklich jedes und schließlich müssen die Kinder mit Mal nach unten rollt – diese und Störungen, Unterbrechungen oder unzählige andere Motive führen Kinder Missverständnissen umgehen. Anders zueinander. Obwohl es manchmal als im Austausch mit Erwachsenen im Gruppenalltag so scheinen mag, steht kein kompetenterer Partner sind Streitigkeiten und Besitzkonflikte zur Verfügung, der missverständliche auch für Zweijährige bei weitem nicht Signale richtig deuten und die häufigsten Interaktionsinhalte. Störungen ausgleichen könnte. Vielmehr geht es oft um die parallele So sind die Kinder aufgefordert, Nutzung von Spielmaterial – z.B. bei eigene Fähigkeiten auszubilden, um einfachen Bau- und Puzzlespielen, mit Interaktionen weiterzuführen und Fahrzeugen –, um das gegenseitige eigene Spielideen gemeinsam mit Imitieren bei den oben beschriebenen einem anderen Kind zu verfolgen. ersten Tu-als-ob-Spielen und um aufregende und lustige Aktionen, wie 30 Wir haben Spaß miteinander! z.B. beim spielerischen Raufen oder Ein weiterer wichtiger Grund wenn sich die Kinder gegenseitig für das Interesse an anderen bei waghalsigen Vorhaben zusehen Kindern liegt ganz einfach in der bzw. nachahmen. Die dazugehörigen Ähnlichkeit der Spielvorhaben. positiven Emotionen genießen die Kinder teilen miteinander den Kinder sehr. Zur echten Kooperation, Spaß an Interaktionsformen und bei der Aufgaben verteilt werden und kleinen Spielen, auf die Erwachsene alle über einen längeren Zeitraum oft ein wenig verständnislos oder nach einer übergeordneten Spielidee genervt reagieren. Sich gegenseitig handeln, sind die Zweijährigen noch zwanzigmal um den Tisch oder hinter kaum fähig. Aber gerade in Gruppen, in denen auch ältere Kinder sind, zwischen älteren Kindern, konnten wachsen sie durch die Teilhabe an auch bereits regelmäßig in Kleinkind- deren Rollenspielen fast wie von Interaktionen beobachtet werden, selbst dort hinein. z.B. sich gegenseitig helfen, Intimität suchen bzw. sich von anderen Wir mögen einander und Kindern abgrenzen, Loyalität und werden Freunde! Gleichartigkeit demonstrieren und Schließlich wissen wir heute, dass Besitz mit dem Partner teilen. schon Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr über ihre Spielkontakte individualisierte Beziehungen aufbauen. Sie zeigen Vorlieben für bestimmte andere Kinder, und mit diesen bevorzugten Spielpartnern kommt es zu – insgesamt gesehen – freundlicherem, längerem und komplexerem Austausch. Einige Merkmale, die typisch sind für Freundschaften 31 4. Den pädagogischen Alltag gestalten 32 Aus den dargestellten Entwicklungs- lien entsprechend ihrer Entwicklung aufgaben der Zweijährigen ergeben eigenständig zu nutzen sowie Aktivi- sich wichtige Konsequenzen für das täten, Angebote und Spielpartner frei pädagogische Handeln im Alltag der zu wählen und mitzugestalten. Dies Kindertageseinrichtung. Allgemein ermöglicht den Kindern die aktive kann man sagen – und dies gilt für Aneignung der Welt, das neugierige die pädagogische Arbeit mit Zweijäh- Forschen und Entdecken ebenso wie rigen ebenso wie für die Arbeit mit äl- das Übernehmen von Verantwortung teren Kindern –, dass der Innenraum für sich selbst und für die Gemein- und das Außengelände, die materielle schaft. Ebenso allgemein gesagt Ausstattung und die Zeitstrukturen sollten Erzieherinnen und Erzieher in der Kindertageseinrichtung so die zentralen Entwicklungsthemen gestaltet sein sollten, dass sie eine der Kinder durch die Gestaltung ihrer anregungsreiche Entwicklungsumwelt Interaktionen mit den Kindern beglei- bieten. Alle Kinder sollten die Mög- ten. Dazu gehören ein achtungsvoller lichkeit haben, Räume und Materia- Umgang mit den Kindern, der auf Wertschätzung und Interesse beruht, Felix schaut ihr lange nach. Dabei und die Bereitschaft, sich auf einen hält er ein Auto in der Hand, spielt Dialog mit den Kindern einzulassen, aber nicht mehr damit. Als Jonas ihre Fragen und Antworten ernst zu nach dem Auto in Felix Hand greift, nehmen und zu beantworten und fängt er laut an zu weinen und selbst gezielte Impulse zu setzen. verlangt heftig nach seiner Mutter. Der Erzieherin gelingt es nicht, Felix 4.1 Ein guter Start: Aufnahme zu trösten. Als seine Mutter nach und Eingewöhnung einer halben Stunde wieder in den Gruppenraum kommt, läuft Felix Felix ist vor drei Wochen zwei Jahre sofort und sichtlich erleichtert zu ihr alt geworden. Heute verbringt er den und weicht ihr nicht mehr von der ersten Tag zusammen mit seiner Seite, als sie sich noch kurz mit der Mutter im Kindergarten. Die beiden Erzieherin unterhält. werden freundlich von der Erzieherin begrüßt und den anderen Kindern Nadja ist ebenfalls zwei Jahre alt vorgestellt. Zuerst wirkt Felix etwas und auch sie verbringt gemeinsam schüchtern und bleibt nahe bei sei- mit ihrer Mutter den ersten Tag im ner Mutter. Bald aber beginnt er sich Kindergarten. Nadja wirkt überhaupt für die Autos zu interessieren, mit nicht schüchtern. Kaum ist sie im denen Jonas spielt. Als seine Mutter Gruppenraum, da läuft sie auch und die Erzieherin ihn ermuntern, schon in die Puppenecke und spielt setzt er sich zu Jonas auf den Boden mit dem dort vorhandenen Töpfen, und beginnt ebenfalls mit den Autos Tassen und Tellern. Ihre Mutter zu hantieren. Manchmal zeigt er beachtet sie fast gar nicht mehr. eines der Autos seiner Mutter. Felix Auch Nadjas Mutter verabschiedet wirkt nun so, als ob er sich wohl sich daraufhin; ihre Tochter scheint fühlt. Deshalb verabschiedet sich davon gar keine Notiz zu nehmen. seine Mutter von ihm und verlässt Kurz darauf verlässt Nadja jedoch die für kurze Zeit den Kindergarten. Puppenecke und holt sich den Ted33 4. Den pädagogischen Alltag gestalten dy, den sie von zu Hause mitgebracht dann wieder in die Puppenecke, hat. Mit dem Teddy im Arm geht sie wo sie erneut sehr lebhaft mit dem zum Regal, holt sich ein Puzzle her- Puppengeschirr hantiert. aus, versucht es zusammenzusetzen, gibt aber schnell wieder auf. Danach Kinder verhalten sich unterschiedlich, betrachtet sie kurz ein Bilderbuch wenn sie sich das erste Mal allein in und geht dann an den Tisch, an dem einer fremden Umgebung aufhalten. die Erzieherin mit mehreren Kindern Für alle Zweijährigen stellt die Tren- schneidet und klebt. Der Aufforde- nung von den primären Bindungs- rung der Erzieherin, mitzumachen, personen (nach wie vor meistens die kommt Nadja jedoch nicht nach. Als Mutter) jedoch einen Stressfaktor ihre Mutter eine halbe Stunde später dar. Das Kind versteht nicht, warum wieder in den Kindergarten kommt, diese geht, und kann nicht einschät- lächelt Nadja ihr kurz zu und geht zen, ob und wann sie wiederkommt. Ihm ist die Sicherheitsbasis abhanden Empfehlungen für die pädagogische Arbeit gekommen. Ein abrupter, unbeglei- Erarbeiten Sie für Ihre Einrichtung ein verbindliches Eingewöhnungskonzept. teter Eintritt in den Kindergarten Stellen Sie sicher, dass Zweijährige genügend lange von ihrer vertrauten Bezugsperson begleitet werden. Verunsicherung und hemmt das Kind, Gestalten Sie die Eingewöhnungszeit so, dass jedes neu hinzukommende Kind und seine Eltern zur Eingewöhnung „ihre“ Bezugserzieherin/„ihren“ Bezugserzieher zur Seite gestellt bekommen. Beenden Sie die Eingewöhnung erst, wenn sich das neue Kind sicher und dauerhaft von Ihnen trösten lässt. führt deshalb zu starker emotionaler seine Umgebung offen und neugierig zu erkunden. Weil das Kind nach seiner „sicheren Basis“ sucht, ist sein Bindungssystem permanent aktiviert und das Interesse an der Umwelt tritt in den Hintergrund. Daraus folgt, dass der Übergang Literaturhinweis: in den Kindergarten insbesondere Laewen, H.-J., Andres B. & Hédervári, É. (2003): Die ersten Tage – ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege, Weinheim: Beltz bei Zweijährigen überlegt und sanft 34 gestaltet werden muss. Ziel ist es, die Erzieherin/den Erzieher zu einer neu- en Bezugsperson oder Sicherheits- das Kind im Kindergarten sicher und basis in dieser Umgebung werden andauernd von der Erzieherin/dem zu lassen. Zweijährige sollten also Erzieher trösten lässt. genügend lange von „ihrer“ vertrauten Bezugspersonen begleitet und 4.2 Beziehungsvolle Pflege und parallel von „ihrer“ Erzieherin/„ihrem“ Körperkontakt Erzieher eingewöhnt werden. Am besten hat sich ein individuelles Bezugs- Es riecht etwas streng im personensystem bewährt. Jedes neu Gruppenraum und die Erzieherin hinzukommende Kind bekommt zur ahnt, dass Sabrina dringend eine Eingewöhnung „seine“ Bezugsperson neue Windel braucht. Sie ruft das zur Seite gestellt, die nun – zumin- knapp zweijährige Mädchen mit den dest bis das Kind voll integriert ist Worten: „Sabrina komm, eine neue – seine vorrangige Ansprechpartne- Windel machen.“ Sofort eilt Sabrina rin und Kontaktperson ist. Langsam, herbei, lächelt die Erzieherin an und aber sicher gewinnt sie als Trostspen- scheint in freudiger Erwartung zu derin und Spielpartnerin immer mehr sein. Gemeinsam gehen die beiden an Bedeutung, während die Elternanwesenheit im Kindergarten immer Empfehlungen für die pädagogische Arbeit unnötiger wird. Die Zeit des Getrennt- Nehmen Sie sich Zeit, wenn Sie ein Kind wickeln oder es beim Essen unterstützen. seins von der Familie wird dann nicht nur ertragen, sondern mit Spiel- und Erkundungsverhalten ausgefüllt. Das setzt aber voraus, dass Elternteil Erlauben Sie dem Kind, sich möglichst aktiv an den Pflegesituationen zu beteiligen. Begleiten Sie das, was während der Pflegesituation passiert, sprachlich. und Erzieherin/Erzieher sich viel Zeit für ein neu einzugewöhnendes Kind nehmen müssen, denn die Eingewöh- Literaturhinweis: nung kann mehrere Wochen in An- Tietze, W. & Viernickel, S. (Hrsg.) (2002): Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog, Weinheim: Beltz spruch nehmen. Die Eingewöhnung gilt als abgeschlossen, wenn sich 35 4. Den pädagogischen Alltag gestalten zum Wickeltisch. Dort steht eine und intensive Interaktionen zwischen kleine Trittleiter und Sabrina klettert Kind und Erzieherin/Erzieher. Sie sind behände hinauf. Die Erzieherin deshalb durchaus kein lästiges Muss, lobt sie für ihre Geschicklichkeit. sondern ein besonderes und individu- Mit Hilfe der Erzieherin zieht elles pädagogisches Angebot. Sabrina sich Sabrina ihre Hose aus. Die wird von der Erzieherin/dem Erzie- Erzieherin kommentiert: „Erst das her in ihrer Autonomieentwicklung linke Bein, dann das rechte Bein.“ unterstützt und bekommt gleichzeitig Sabrina ahmt nach: „Linte Bein, gezielte Anregungen für ihre Sprach- reste Bein.“ Danach darf Sabrina entwicklung. Darüber hinaus gelingt allein die Verschlüsse der Windel es der Erzieherin/dem Erzieher in der öffnen. Die Erzieherin nimmt ein Wickelsituation ihre/seine emotionale Feuchttuch und reinigt den Po. Beziehung zu Sabrina in positiver Sabrina bekommt ebenfalls ein Weise auszubauen. Tuch und auch etwas Creme, die sie munter auf ihrem Bauch verteilt. Die 4.3 Der Weg zur Windelfreiheit Erzieherin bemerkt lächelnd: „Jetzt 36 ist die Creme auf dem kleinen Bauch Viele Zweijährige brauchen noch eine gelandet“. Sabrina imitiert „Ceme a Windel, wenn sie in den Kindergarten Bauch“. Dann wird die neue Windel kommen. Lukas zum Beispiel, der ge- umgebunden. Auch hierbei darf rade erst zwei Jahre alt geworden ist, Sabrina helfen und wieder begleitet trägt noch den ganzen Tag eine Win- die Erzieherin alle Handlungen del und die Erzieherin/der Erzieher sprachlich. Zum Schluss darf Sabrina muss ihn darauf aufmerksam machen, noch mit einer Bürste ihre „Haare wenn es an der Zeit ist, die Windel zu fein machen“ und die Erzieherin wechseln. Die fast dreijährige Sophie streicht ihr zärtlich über den Kopf. dagegen läuft schon die meiste Zeit Gerade Pflegesituationen wie das des Tages ohne Windel. Nur wenn sie Wickeln und bei noch jüngeren Kin- ihren Darm entleeren muss, besteht dern das Füttern erlauben ungestörte sie auf einer Windel. Sie zieht sich dann in eine ruhige Ecke zurück und zulegen, und persönliche Kränkungen verrichtet ihr Geschäft. Danach muss oder Herabsetzungen von Kindern, die Windel sofort wieder abgenom- die ihre Windel brauchen oder denen men werden. Die praktisch gleichalt- ein Malheur passiert, sind gänzlich rige Dilek hingegen merkt tagsüber unangemessen. Erinnern wir uns: fast immer, wenn es Zeit ist, auf die Zweijährige sind stark mit dem The- Toilette zu gehen. Nur manchmal, ma Kontrolle beschäftigt, und gerade wenn sie gerade ganz intensiv spielt, passiert ihr ein Malheur. Nachts benö- Empfehlungen für die pädagogische Arbeit tigen alle drei Kinder natürlich noch Bedrängen Sie die Zweijährigen nicht, die Windel abzulegen. eine Windel. Ermuntern Sie die Kinder, die Toilette spielerisch zu nutzen. Über viele Generationen hinweg galt Vertrauen Sie darauf, dass die Kinder selbst sauber werden möchten und dies auch zeigen, wenn sie soweit sind. Erzieherinnen/Erziehern und Eltern der Zeitpunkt des erfolgreichen „Sauberkeitstrainings“ – heute etwas Literaturhinweis: humaner „Sauberkeitserziehung“ ge- Largo, R. H. (1999): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, München: Piper nannt – als Maßstab für die Qualität ihrer Erziehung. Die Sauberkeitserziehung nahm häufig einen erheblichen Platz da für die Jüngsten!? Theorie und Praxis der Sozialpädagogik TPS, Heft 2/2006, Seelze-Velber: Kallmeyer Teil der täglichen Beschäftigung mit dem Kind ein und dauerte oft viele die Kontrolle über Blase und Darm ist Monate, mitunter sogar Jahre. Heute etwas sehr Persönliches und Intimes. weiß man jedoch, dass der Weg in Hier reagieren sie entsprechend die Windelfreiheit viel weniger im sensibel – manchmal bis hin zur Mittelpunkt stehen muss und dabei demonstrativen Verweigerung – auf in sehr viel kürzerer Zeit zum Erfolg zu starke Einflussversuche von Seiten führt, wenn er auf Initiative des Kin- der Erwachsenen. des erfolgt. Zweijährige sollten daher nicht bedrängt werden, die Windel ab37 4. Den pädagogischen Alltag gestalten Lukas ist deshalb auch mit Windel 4.4 Zum Umgang mit Wutanfällen schon „ein großer Junge“ und Jenny und „Trotzverhalten“ kann sehr wohl aufpassen, auch wenn sie das zwischendurch mal Die zweijährige Marlena sitzt am Tisch vergisst. Ermunterung ist jedoch und beschäftigt sich intensiv damit, durchaus von Nutzen. Lukas findet es einige kleine bunte Papierschnipsel vielleicht spannend, an der Toilette auf ein großes weißes Blatt zu zu spielen, sich darauf zu setzen, kleben. Drei Schnipsel kleben schon Toilettenpapier abzureißen und zu auf dem Blatt. Mühevoll tunkt sie spülen. Dies mag sein erster Schritt einen weiteren Schnipsel in die in die Windelfreiheit sein. Sophie hilft Kleisterschüssel und drückt ihn dann es unter Umständen, wenn der Teddy auf das Papier, aber immer wenn gemeinsam mit ihr auf dem Topf sie den Schnipsel loslässt, klebt er sitzt, und Dilek geht gern darauf ein, an ihren Fingern und nicht auf dem wenn sie gelegentlich an den Gang Papier. Marlena unternimmt einen zur Toilette erinnert wird. Insgesamt weiteren Versuch mit mehr Kleister, jedoch ist es sicher hilfreich, wenn dann noch einen und noch einen. Erzieherinnen/Erzieher ein gewisses Immer wieder passiert das Gleiche: Maß an Vertrauen besitzen, dass die der Schnipsel bleibt an ihren Fingern Kinder selbst sauber werden wollen kleben. Plötzlich fegt Marlena das Blatt und dies auch anzeigen, wenn es für Papier vom Tisch, beinahe fällt auch sie an der Zeit ist. noch die Kleisterschüssel herunter. Wütend wirft sie sich auf den Boden, heult laut auf und strampelt unkontrolliert mit Armen und Beinen. Als der Erzieher zu Marlena eilt, kommt er gar nicht an das Kind heran. Alle Versuche, Marlena in den Arm zu nehmen und zu trösten, scheitern. Stattdessen muss der 38 Erzieher aufpassen, dass er durch In einem solchen Fall wird der Marlenas Strampeln und Winden Erzieherin/dem Erzieher nicht viel nicht selbst Blessuren davonträgt. mehr zu tun bleiben, als den Zorn, Auch viele andere Kinder sind die Wut und den Ärger des Kindes inzwischen aufmerksam geworden eine Weile auszuhalten. Dabei ist es und stehen erstaunt um die am sicherlich hilfreich, wenn die anderen Boden liegende Marlena herum. Kinder von Marlena abgelenkt werden. Diese erlebt nämlich gerade Was ist hier zu tun? Zunächst sollte ein persönliches Versagen und sich die Erzieherin/der Erzieher dabei lässt man sich nicht gerne darüber im Klaren sein, dass sich zuschauen. Hat sich das Kind etwas der Wutanfall von Marlena aufgrund beruhigt, kann die Erzieherin/der einer Kompetenz erklären lässt, die Erzieher auf es zugehen, seinen das Kind gerade neu erworben hat. Kummer verbalisieren und ihm Marlena hat sich nämlich schon vor der Klebeaktion vorstellen können, Empfehlungen für die pädagogische Arbeit dass ein buntes Schnipselbild Bedenken Sie, dass sich Wutanfälle und Trotzverhalten damit erklären lassen, dass die Zweijährigen wichtige Schritte in ihrer Identitätsentwicklung vollziehen und neue Kompetenzen erwerben, nämlich die eigenen Handlungen als Ursachen für Ergebnisse zu verstehen und sich diese Ergebnisse ihrer Aktivitäten vorstellen zu können. entstehen soll, und sie hat eine Idee entwickelt, wie ihr dieses Bild gelingen könnte. Daher ist sie an der Handlung emotional beteiligt und motivational stark engagiert. Nun merkt sie aber, dass das, was sie sich vorgestellt und vorgenommen hat, in der Wirklichkeit nicht Versuchen Sie den Zorn, die Wut und den Ärger des Kindes eine Weile auszuhalten. Verbalisieren Sie den Kummer des Kindes und zeigen Sie ihm Handlungsalternativen auf, wenn es sich etwas beruhigt hat. funktioniert. Zweijährigen steht jedoch noch kein alternativer Literaturhinweis: Handlungsplan zur Verfügung: Largo, R. H. (1999): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, München: Piper es kommt sozusagen zu einem „Systemzusammenbruch“. 39 4. Den pädagogischen Alltag gestalten Handlungsalternativen aufzeigen. Im Reaktion aus der großen Lücke, die Fall von Marlena hilft es vielleicht, zwischen dem klafft, was Zweijährige wenn die bunten Schnipsel etwas so gerne alleine entscheiden und größer sind, so dass nur die Mitte mit ausführen würden, und dem, was sie Kleber bestrichen werden muss. Dazu aktuell können oder was ihnen von bietet sich ein Pinsel an, damit die den Erwachsenen zugestanden wird. Finger vom Kleber verschont bleiben. Die gefühlte Ohnmächtigkeit bedroht das gerade entstehende Bild von sich 40 Häufig sind es auch Entscheidungen selbst als autonomes ICH. Hierauf der Erzieherin/des Erziehers, die erfolgt die heftige Reaktion. Zweijährige so zur Verzweiflung Erzieherinnen/Erzieher sollten bringen, dass sie nicht mehr ein noch daher im Kontakt mit Zweijährigen aus wissen. „Alleine!“, verlangt Timo, darauf achten, ihnen möglichst viel ergreift die große Kanne und will Autonomie zuzugestehen. Konkret Tee in seinen Becher gießen. „Oh je, heißt das zum Beispiel, dass die Timo, das geht bestimmt nicht gut. Erzieherin/der Erzieher nicht Die Kanne ist noch viel zu groß für unaufgefordert und ohne Ankündigung dich, ich helfe dir!“, so die freundliche etwas für das Kind oder mit dem Reaktion der Erzieherin/des Kind tut (ihm die Mütze aufsetzen, Erziehers. „Neeeiiin – Timo alleinää!“ es von der Schaukel herunterheben). Timo presst die Kanne an seine Wann immer möglich, sollte die Brust. Nur mit einiger Mühe kann Erzieherin/der Erzieher Alternativen die Erzieherin/der Erzieher Timo anbieten (zum Beispiel eine weniger die Kanne entwinden, Tee schwappt volle Teekanne). Das Setzen von auf den Boden. Die Situation endet Grenzen sollte gut überdacht (welche in Geschrei und Tränen und es Grenzen sind wirklich notwendig) dauert lange, bis Timo sich wieder und in einfachen Worten begründet beruhigt. Was wir hier erleben und werden. Wenn die Situation bereits was landläufig als „Bockigkeit“ eskaliert ist, hilft nur Souveränität oder „Trotz“ bezeichnet wird, ist die und Ruhe bewahren. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass alle Zweijährigen macht dabei laute Motorengeräusche. zumindest leichte Anzeichen von Dieses Verhalten von Marius ist in einer Bockigkeit und Trotz zeigen, aber Vorlesesituation sehr störend. Hatice die Häufigkeit von Trotzreaktionen, hingegen liebt es, wenn die Erzieherin die Heftigkeit von Wutanfällen und vorliest. Hochkonzentriert hört sie zu, die Dauer des „Trotzalters“ können hat aber mindestens bei jedem zweiten individuell sehr unterschiedlich sein. Satz eine Anmerkung zu machen oder stellt eine Frage. Während die 4.5 Sprachförderung und anderen Kinder daran interessiert Kommunikation sind, zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht, möchte Hatice verharren Marius und Hatice sind zwei Jahre und eingehend über einen bestimmten alt und seit einem Vierteljahr Aspekt der Geschichte reden. in der Kindertageseinrichtung. Auch Hatices Geplapper stört die Beide scheinen gut in die Gruppe integriert zu sein. Es gibt jedoch Empfehlungen für die pädagogische Arbeit einen gravierenden Unterschied Schaffen Sie Situationen, in denen eine intensive Kommunikation verbunden ist mit der Nähe zur Erzieherin/zum Erzieher. zwischen den beiden, der sich insbesondere bemerkbar macht, wenn die Erzieherin den Kindern der Gruppe ein Bilderbuch vorliest. Nehmen Sie sich Zeit, auch den Zweijährigen zuzuhören, ihnen zu antworten und ihnen Fragen zu stellen. Begleiten Sie im Kontakt mit Zweijährigen viele Ihrer eigenen Tätigkeiten und die Handlungen der Kinder sprachlich. Marius wirkt in solchen Situationen eher unkonzentriert. Er blickt verträumt in die Gegend und schon Literaturhinweis: nach kurzer Zeit beginnt er, sich Gopnik, A., Kuhl, P. & Meltzoff, A. (2005): Forschergeist in Windeln. Wie ihr Kind die Welt begreift, München: Piper mit dem Spielzeug, das neben ihm liegt, zu beschäftigen. Manchmal steht er einfach mittendrin auf und holt sich ein kleines Auto, das er Jamper, K., Best, P., Guadatiello, A., Holler, D. & Zehnbauer, A. (2005): Schlüsselkompetenz Sprache. Sprachliche Bildung und Förderung im Kindergarten. Konzepte, Projekte, Maßnahmen, Weimar auf dem Boden herumschiebt, und 41 4. Den pädagogischen Alltag gestalten Vorlesesituation. Die Erzieherin nimmt sein, Sprache als Kernkompetenz sich daher vor, einmal nur mit jeweils anzuregen, zu unterstützen und einem ihrer beiden Zweijährigen ein zu fördern. Dies ist ein Punkt, der Bilderbuch anzuschauen. in der Praxis leider manchmal in den Hintergrund gerät, und zwar 42 In einer solchen dialogischen ironischerweise gerade weil die Bilderbuchbetrachtung ist eine jüngeren Kinder erst lernen, sich intensive sprachliche Kommunikation sprachlich zu verständigen. Ihre Sätze mit der Erzieherin/dem Erzieher sind unvollständig, sie kommen in den verbunden mit Nähe und unpassendsten Momenten, um etwas Körperkontakt. Die sprachliche zu sagen oder zu fragen, oder sie Zuwendung der Erzieherin/des fragen um der Frage willen, so dass Erziehers ist geprägt durch eine man meint, sie bräuchten vielleicht komplexere und variationsreichere gar keine Antwort. Dem ist jedoch Sprache. Eine Vielzahl von Dingen nicht so. Gerade weil die Kinder in und Ereignissen kann angesprochen einem umwälzenden Lernprozess werden und die Kinder können stecken und die Welt der Sprache selbst erzählen, was ihnen zu den gerade entdecken, ist es unbedingt Bildern und den Erzählungen der nötig, dass sich Erwachsene Zeit Erzieherin/des Erziehers einfällt. Dies nehmen, um zuzuhören, um zu kommt sowohl Lukas als auch Hatice antworten und um Fragen zu stellen. entgegen. Beide Kinder genießen Erwachsene sind das Sprachvorbild die ungeteilte Aufmerksamkeit der der Kinder und können Sprache Erzieherin/des Erziehers, was dazu als etwas Wunderbares erscheinen führt, dass Lukas der Geschichte lassen: ob durch Bilderbücher, konzentriert folgt und Hatices durch Fotos an den Wänden, Erzählfreude in keiner Weise als über die erzählt wird, durch rege störend erlebt wird. Gespräche bei den Mahlzeiten und Bei der Betreuung von Zweijährigen Zweiergespräche beim Wickeln, durch in Gruppen sollte es ein Ziel Singen oder Fingerspiele. 4.6 Kontakte und Beziehungen die Entstehung von Spielpartner- unter Kindern fördern schaften ist solch ein Material hervorragend geeignet. Ein großer In alterserweiterten Gruppen Verpackungskarton erfordert, im ist es wichtig, zu überlegen, Gegensatz zu kleinformatigem wie Erzieherinnen/Erzieher die Spielzeug, eine gemeinsame Spielbeziehungen zwischen den Anstrengung, wenn er bewegt Kindern ihrer Gruppe systematisch werden soll. Zudem regt er dazu unterstützen können. Das geht an, sich den Explorationsideen einmal über eine überlegte anderer Kinder anzuschließen und Raumgestaltung. Wenn Kinder diese weiterzuentwickeln. In einen nur mitten im Zimmer bauen großen, stabilen Karton kann man können, wird es oft „einstürzende zum Beispiel hineinkrabbeln und Neubauten“ geben und damit herausschauen, man kann sich einhergehend Tränen und Streit. darin oder dahinter verstecken, Wenn es dagegen kleine Ecken gibt, man kann hinaufklettern und wo Kinder zu zweit zurückgezogen herunterspringen. Diese Art des und ruhig spielen können, ist gemeinsamen Spiels bietet zahlreiche dies für die Zweijährigen, die mit Kommunikationsanlässe, weil größeren Spielgruppen überfordert Verständigung darüber hergestellt sind, günstig. werden muss, wie weitergespielt werden soll. Die Verfügbarkeit von vielfältigem Sehr unterstützend wirkt auch eine Spielmaterial ist ein zweiter reiche Ausstattung mit Rollenspiel- wichtiger Punkt. Gerade bei und Verkleidungsutensilien, natürlich Kleinkindern sind große und einschließlich Spiegel. Wie auf Seite von ihrer Beschaffenheit her 25/26 dargestellt, werden Spiele einfache Materialien, wie stabile mit symbolischem Inhalt bei Kindern Verpackungskartons, wahre im dritten Lebensjahr zunehmend Spielförderer. Insbesondere für komplexer und vielfältiger. 43 In altersgemischten Gruppen Empfehlungen für die pädagogische Arbeit sind die Kleinen in der Regel sehr Richten Sie Rückzugsecken ein, wo die Zweijährigen zu zweit ungestört spielen können, ohne dass sie isoliert sind. interessiert an den Symbol- und Stellen Sie große und einfache Materialien zur Verfügung. das Spielverhalten der älteren Sorgen Sie für eine reiche Ausstattung an Rollenspiel- und Verkleidungsutensilien. Kinder nach. Die Erzieherin/der Achten Sie darauf, dass die Zweijährigen ihre Spielideen mit gleichaltrigen Spielpartnern verwirklichen können. Rollenspielen der Älteren und ahmen Erzieher sollte allerdings darauf achten, dass die jüngeren Kinder Ermöglichen Sie den Zweijährigen ihr Bedürfnis nach Geselligkeit, ohne sie zu überfordern. nicht nur in untergeordneten Reagieren Sie bei Konflikten feinfühlig, aber greifen Sie im Falle von Eskalationen klärend ein. Kinder teilnehmen, sondern Rollen am Symbolspiel der älteren auch mit Gleichaltrigen eigene Spielideen entwickeln können. Laura Literaturhinweis: beispielsweise ist ganz hingerissen Heimlich, U. (2004): Spiel als Entwicklung – Entwicklung als Spiel. In: TPS: Wie Kinder sich entwickeln – Basiswissen für Erzieherinnen, Heft 9/10. S. 52ff. vom Mutter-Vater-Kind-Spiel der Viernickel, S. (2002): Die soziale Kinderwelt der Zweijährigen. Frühe Kindheit (2), S. 15–20 älteren Kinder. Diese lassen sie auch mitspielen, allerdings meist nur in der Rolle des Hundes der Familie. Als solcher wird Laura an der Leine geführt und hat die Befehle Anregungen zur Ausstattung auszuführen, die Herrchen oder Hängematten, Schaukeln und Wippen, die von mehreren Kindern gleichzeitig genutzt werden können. Frauchen ihr erteilen. Entwickelt Dreiräder, auf denen zwei Kinder Platz finden. tobenden Hund, dann darf sie Bollerwagen, in den sich ein Kind hineinsetzen und den ein anderes Kind ziehen kann. nicht mehr mitmachen. Die Älteren Bälle zum hin- und herrollen. Große Kartons oder Körbe, in denen ein Kind sich verstecken kann und das andere dann suchen können (auch zum KuckuckSpiel geeignet). sie eigene Ideen und spielt den lassen sich von Laura nicht in ihr komplexes Rollenspiel hineinreden und Laura ist auch damit überfordert, die gespielten Szenen der älteren Kinder wirklich zu durchschauen. 44 Mit der gleichaltrigen Emily kann Laura dagegen wunderbar ihre eigenen Vorstellungen von Hunden verwirklichen. Emily macht es nichts aus, dass der Hund einem Ball hinterherjagt, obwohl ihm doch gerade der Futternapf vollgefüllt vor die Nase gestellt wurde, und es stört sie auch nicht, dass der Hund ein Kuscheltier mit ins Körbchen nimmt, obwohl sie natürlich weiß, dass echte Hunde so etwas nicht tun. Ebenso faszinierend wie das Rollenspiel empfinden Zweijährige häufig das Regelspiel der älteren Kinder. Kaum haben sich einige ältere Kinder und die Erzieherin/ stören. Dürfen sie sich allerdings der Erzieher zusammengefunden, mit einem eigenen Würfel und ein um miteinander „Mensch ärgere paar zusätzlichen Figuren mit an den dich nicht“ zu spielen, schon Tisch setzen, dann haben die Kleinen kommen die Kleinen an und Freude daran, mit einbezogen zu sein wollen auch mitmachen. Hier sollte und können sich ungestört und auch man allerdings bedenken, dass nicht störend eigene Spielhandlungen Zweijährige noch nicht dazu in der ausdenken. Sehr beliebt ist es bei Lage sind, Regelspiele wirklich Zweijährigen, die Mensch-ärgere-dich- zu verstehen. Mit der Rolle eines nicht-Figuren auf die Fingerkuppen zu gleichberechtigten Mitspielers wären setzen. sie daher überfordert und würden Zur Unterstützung des sozialen Spiels das Spiel der älteren Kinder nur in der Gruppe gehört sicherlich 45 4. Den pädagogischen Alltag gestalten auch ein angemessener Umgang vorsichtig, sondern besitzergreifend: mit den Konflikten, die die Kinder Er rennt einmal diagonal durch untereinander haben. Sie gehören die Halle, dann fängt er an, sich zum Spiel untrennbar dazu und im Kreis zu drehen und schließlich sie bieten den Kindern wichtige läuft er laut und fröhlich rufend Lernanlässe. Hier feinfühlig zu kreuz und quer durch die Halle. Als beobachten, Aushandlungsprozesse die Erzieherin einen Parcours aus wohl zuzulassen, aber im Falle kleinen und großen Kästen und von Eskalation und Überforderung Bänken aufbaut, die zum Teil schräg bereitzustehen, sind ebenfalls an der Sprossenwand hängen, wichtige Grundlagen dafür, dass das beginnt Pjotr mit Begeisterung Zusammenleben in einer Gruppe für zu klettern, zu kriechen und zu die Kleinen zu einer die Entwicklung rutschen. Dabei achtet er darauf, was fördernden Erfahrung werden kann. die anderen Kinder tun, lässt sich zur Nachahmung anregen und wird auch 4.7 Neugierde, selbst nachgeahmt. Auf diese Weise Sinneserfahrungen und erobert sich Pjotr den großen Raum. Bewegungsfreude unterstützen Dabei macht er neben vielfältigen Bewegungserfahrungen auch Der zweieinhalbjährige Pjotr besucht Erfahrungen im Zusammenspiel mit den Kindergarten schon eine Weile. anderen Kindern. Heute geht er das erste Mal mit der 46 Erzieherin und der Kindergruppe Gerade sehr junge Kinder sind in die Turnhalle der benachbarten Sinnes- und Bewegungswesen. Grundschule. Pjotr weiß nicht, was Sie erkunden die Welt, indem sie ihn erwartet. Er war noch niemals handelnd mit ihr umgehen. Durch in einer Turnhalle. Als sich die Tür das Klettern und Kriechen, Rutschen öffnet, bleibt er zunächst mit großen und Rennen lernen sie nicht nur sich Augen am Eingang stehen. Dann virtuos zu bewegen, sondern sie macht er sich auf den Weg, nicht entwickeln auch ihr Denken und ihre Sprache weiter. Was „rein“ und „raus“, „darauf“ und „darunter“, „daneben“ Empfehlungen für die pädagogische Arbeit und „dahinter“ bedeutet, lernen die Stellen Sie im Innen- und Außenbereich Ihrer Einrichtung Bewegungsräume zur Verfügung, in denen sich Kinder in unterschiedlicher Art und in unterschiedlichem Tempo bewegen können. Kleinen unter anderem dadurch, dass sie es sinnlich erfahren, indem sie „auf“ die Sprossenwand klettern und sich „hinter“ dem Kasten verstecken. Die Bedeutung von „quer durch den Achten Sie in Ihrer Einrichtung auf Räume, die die Kinder aufgrund ihrer aktuellen Themen und Interessen selbst gestalten und umgestalten können. Raum“ erfassen Zweijährige, wenn sie die Diagonale laufen. Ebenso spielt Literaturhinweis: die Bewegung im Zusammensein mit Beek v.d., A., Buck, M. & Rufenach, A. (2001): Kinderräume bilden. Ein Ideenbuch für Raumgestaltung in Kitas, Neuwied anderen Kindern eine große Rolle. Kleine Kinder lernen mit anderen zu kooperieren, indem sie beispielsweise gemeinsam einen schweren Kasten von einer Ecke des Raumes in die Pikler, E. (2001): Lasst mir Zeit. Die selbständige Bewegungsentwicklung des Kindes bis zum freien Gehen. Zusammengestellt und überarbeitet von Anna Tardos, München Van Dieken, C. (2005). So geht’s mit Krippenkindern. Kindergarten Heute. spot, Freiburg: Herder andere transportieren. erleben. Auch in den Räumen der Für die geistige, soziale und Kindertageseinrichtung müssen körperliche Entwicklung ist es Möglichkeiten geschaffen werden, ungemein wichtig, entsprechende sich auf schiefen Ebenen und Bewegungsräume zur Verfügung gestuften Podesten zu bewegen, zu stellen, in denen sich Kinder zwischen schnellen und langsamen schnell und langsam, ausschweifend Bewegungen immer wieder zu und vorsichtig bewegen können. wechseln, zu springen, zu schaukeln Nicht nur die Turnhalle der oder im Rhythmus von Musik die benachbarten Grundschule, die Bewegungen zu koordinieren. In gelegentlich besucht wird, sollte der Regel wissen Erzieherinnen/ den Kindern daher Gelegenheit Erzieher um die Bedeutung der bieten, sich als Bewegungswesen zu Bewegung für Kinder, schränken 47 4. Den pädagogischen Alltag gestalten sie aber dennoch manchmal in es natürlich in der Verantwortung ihren Bewegungsmöglichkeiten ein, des Erwachsenen bleibt, in potenziell damit keine Unfälle passieren und gefährdenden Situationen jederzeit die Kinder sich nicht verletzen. Hier eingreifen zu können. sollte sehr sorgfältig abgewogen werden, wie groß die Unfallgefahr Vielseitig und fantasievoll gestaltete wirklich ist, denn zu viel Vorsicht Räume regen nicht nur die auf Seiten der Erwachsenen kann Bewegungsfreude der Kinder an, die Bewegungs- und damit auch die sondern fordern auch ihre Neugierde Bildungsmöglichkeiten der Kinder und ihre Sinneserfahrungen erheblich reduzieren. Besser als heraus. Kinder brauchen keine von die voreingenommene Haltung Erwachsenen vorbestimmte und „Die Kleinen sind noch viel zu perfektionierte Räume, sondern ungeschickt und müssen deshalb Räume, die Gestaltungsmöglichkeiten vor Gefahren bewahrt werden“ ist zulassen. So kann zum Beispiel die es, genau zu beobachten, was sich Eingangshalle zum Indianerdorf mit die Kinder alleine zutrauen und was Zelt werden und das Treppenhaus sie tatsächlich bewältigen – wobei wird zur Burg, auf der die Kinder als Ritter nach Feinden Ausschau halten. Anregungen zur Ausstattung Auf diese Weise lernen Kinder, dass Interessante bewegliche Gegenstände wie Tiere und Autos zum Hinterherziehen und Vor-sich-her-Schieben. ihre Umwelt veränderbar ist, dass sie Bälle in verschiedenen Größen und unterschiedlicher Beschaffenheit, z.B. Plüsch-, Schaumstoff- oder Noppenbälle. dass sie die Welt durch ihren Einfluss Hocker in verschiedenen Größen. Große und kleine Kuschelkörbe zum Hinein- und Hinausklettern. Kriechtunnel, kleine Zelte. Schaukelpferde. Sand- und Matschtische für den Innenraum. Gebrauchsgegenstände aus Haushalt und Küche. 48 selber auf sie einwirken können und prägen können. 49 234 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern 50 Neben der vorher beschriebenen Dabei darf allerdings nicht vergessen Unterstützung und Herausforderung werden, dass auch die älteren der Zweijährigen mit ihren Kinder der Gruppe weiterhin das besonderen Entwicklungsthemen Recht haben, sich zu entfalten und kommen Sie in der Regel bei der in ihrer Entwicklung unterstützt Aufnahme jüngerer Kinder in eine und gefordert zu werden. Bei der alterserweiterte Gruppe bald an Aufnahme jüngerer Kinder in den einen Punkt, eingespielte Strukturen Kindergarten geht es unter anderem des Gruppenalltags beziehungsweise darum, das Zeitmanagement im die Organisation des Tagesablaufes Tagesablauf zu verändern, sich verändern zu wollen, um den Gedanken über eine anregende Wünschen und Bedürfnissen der Gruppenzusammensetzung zu jüngeren Kinder gerecht zu werden. machen, Spielbereiche anders zu organisieren und anregendes 5.1 Angepasstes Spielmaterial für alle Altersstufen Zeitmanagement bereitzustellen. Wenn alle Kinder in Bezug auf Zeitabläufe, Spielbereiche Zweijährige, die alles „alleine“ tun und Spielmaterialien unter einen wollen, werden manchmal als Hut gebracht werden sollen, sehr störend im Tagesablauf einer gelingt das Zusammenleben in Kindertageseinrichtung erlebt. Emily, der altersgemischten Gruppe in die gerade zwei Jahre alt geworden der Regel nicht. Stattdessen muss ist, will sich zum Beispiel das Essen neben den Gemeinsamkeiten auch alleine aufschöpfen. Weil sie dabei beachtet werden, welche individuellen noch etwas umständlich zu Werke Interessen, Bedürfnisse und Wünsche geht, dauert das meist ziemlich die Kinder in unterschiedlichem lange und die anderen Kinder warten Alter haben. Ebenso gilt es zu schon ungeduldig auf das Essen bedenken, dass für die Beobachtung und die Getränke. Der zweijährige und Dokumentation der Markus besteht darauf, sich den Entwicklungs- und Bildungsthemen Reißverschluss seines Anoraks der jüngeren Kinder zum Teil selbst zuzumachen und auch an andere Beobachtungsverfahren den Schnürsenkeln seiner Schuhe eingesetzt werden müssen als bei versucht er sich. Ungeduldig stehen den älteren Kindern. Auch bei der die anderen Kinder der Gruppe Zusammenarbeit mit den Eltern der daneben und warten darauf, dass jüngeren Kinder müssen teilweise er endlich fertig wird, damit sie andere Schwerpunkte gesetzt gemeinsam in den Garten gehen werden. können. Einige der älteren Mädchen wollen Markus helfen, was dieser aber empört zurückweist. In manchen Situationen, in denen die Zweijährigen selbstständig 51 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern handeln wollen, reicht es oft schon, Brot selbst zu schmieren oder einen die materiellen oder räumlichen Apfel zu schneiden. Bedingungen etwas zu verändern. Andere Situationen beinhalten für Beim Essen können zum Beispiel die Erzieherin/den Erzieher eine mehrere Schüsseln auf den Tisch echte Herausforderung. Um das gestellt werden, so dass die älteren Autonomiebedürfnis der jungen Kinder sich zügig bedienen können Kinder zu unterstützen, wird und die jüngeren ungestört genügend sie/er ihr/sein Zeitmanagement Zeit haben, um auszuprobieren, überdenken und genügend Zeit was sie schon alles selbst können. einplanen müssen, damit auch die Es könnte ein „offenes Frühstück“ Kleinsten selbstständig etwas tun eingeführt werden, bei dem die und vor allem auch zu Ende bringen älteren Kinder sich in kleinen können. Manchmal ist es für die Gruppen zusammenfinden, um jüngeren Kinder in der Gruppe aus entwicklungspsychologischer Literaturhinweis: Sicht einfach wichtiger, sich selbst Tietze, W. & Viernickel, S. (Hrsg.) (2002): Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog, Weinheim: Beltz anzuziehen, als im Garten frische Luft Weber, C. (Hrsg.) (2004). Spielen und Lernen mit 0–3-Jährigen, Weinheim: Beltz zu tanken. Andererseits kann von den älteren Kindern auch nicht ständig erwartet werden, dass sie Rücksicht auf die jüngeren nehmen. Um 52 miteinander zu frühstücken und sich den verschiedenen Interessen der anderen Aktivitäten zuzuwenden, Kinder gerecht zu werden, bedarf es wenn sie das Frühstück beendet Absprachen unter den Kolleg(inn)en haben. Die jüngeren Kinder im Team: frühstücken demgegenüber • Welche Erzieherin/welcher gemeinsam mit der Erzieherin/ Erzieher ist schon im Garten und dem Erzieher an einem Tisch und kann auf ältere Kinder, die schon haben dadurch genügend Zeit, erste hinuntergehen dürfen, achten? Versuche zu unternehmen, sich ein Für die jüngeren Kinder braucht es Geduld auf Seiten der Erwachsenen: erleichtern wiederkehrende Elemente • Welche Erzieherin/welcher Erzieher im Tagesablauf, wie Begrüßung hält es aus, einem Zweijährigen und Verabschiedung, Mahlzeiten, zwanzig Minuten dabei zuzuschau- Ruhepausen und bestimmte Rituale, en, wie er versucht, seine Schuhe den Tag vorhersehbar zu machen und zu binden? helfen ihnen, Situationen als vertraut Den älteren Kindern muss erklärt erleben zu können und sich sicher zu werden, warum ihre Hilfsbereitschaft fühlen. Neben diesen Routinen muss manchmal nicht gefragt ist: die Gestaltung des Alltags aber auch • Welche Erzieherin/welcher Erzieher der Vielfalt und den unterschiedlichen kann die Hilfsbereitschaft der Bedürfnissen der Kinder gerecht älteren Kinder anerkennen und werden. Die Erzieherin/der Erzieher ihnen erklären, dass die Kleinen muss in der Planung des alltäglichen dennoch alles alleine machen zeitlichen Ablaufs also in sehr hohem wollen? Maße flexibel sein. Jedes Kind muss die Chance haben, den eigenen Insgesamt muss die Erzieherin/der Rhythmus von Ruhe und Aktivität, Erzieher bei der Gestaltung des Schlafen und Wachsein, Essen und Tagesablaufes auf die individuellen Spielen zu finden. Ein gelungener Bedürfnisse der einzelnen Kinder Tagesablauf zeichnet sich durch eine eingehen. Dies betrifft durchaus Balance zwischen fester Struktur und nicht nur die Bedürfnisse der Zwei- Flexibilität aus. jährigen, denn es gibt auch ältere Kinder, die z.B. beim Essen oder 5.2 Gruppenformen und beim Anziehen einfach langsamer Altersstrukturen sind als ihre Altersgenossen. Eine höhere Flexibilität erlaubt es auch Wenn Zweijährige in den diesen älteren Kindern, sich bei Kindergarten aufgenommen manchen Aktivitäten mehr Zeit zu werden, gibt es einiges hinsichtlich lassen. Für die jüngeren Kinder der Gruppenformen und der 53 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern Altersstruktur in den Gruppen zu Früh- und Spätdiensten zu achten. bedenken. Um sich sicher und Die Abschnitte der Tagesrhythmen geborgen zu fühlen, brauchen die könnten mit immer denselben jüngeren Kinder Kontinuität und Fachkräften verbunden sein. Verlässlichkeit in der Beziehung Kontinuität heißt für die jüngeren zur Erzieherin/zum Erzieher und Kinder auch Kontinuität in den im Kontakt mit anderen Kindern. Beziehungen und Kontakten zu Eine solche Kontinuität ist auf drei den anderen Kindern. Deshalb ist Ebenen anzustreben: Erstens geht es wichtig, im Falle von Engpässen es bei der Eingewöhnung gerade bei Gruppenaufteilungen darauf jüngerer Kinder darum, dass zu achten, dass die Zweijährigen diese die Möglichkeit haben, eine unbedingt mit beliebten Spiel- vertrauensvolle Beziehung zunächst partnern zusammenbleiben. zu einer Erzieherin/einem Erzieher aufzubauen. Diese Erzieherin/dieser Eine Bezugserzieherin/einen Bezugs- Erzieher macht die neu eingewöhnten erzieher brauchen die Zweijährigen Kinder dann nach und nach mit auch, um altersangemessene den anderen Erzieherinnen und Anregungen im Bereich ihrer sprach- Erziehern vertraut. Deshalb ist lichen, sozialen und emotionalen organisatorisch zu klären, welche Entwicklung und beim Erwerb von Erzieherin/welcher Erzieher die Autonomie und Kontrolle zu erfahren. Bezugserzieherin/der Bezugserzieher Gleichaltrige Spielpartner benötigen für die neuen Zweijährigen werden zweijährige Kinder insbesondere, und die Eingewöhnung von Anfang um sich in ihrem Spiel zu entfalten bis Ende begleiten kann. Der und damit auch in ihrer sozialen zweite Aspekt ist die Kontinuität Entwicklung voranzuschreiten. im täglichen Tagesgeschehen. Es 54 sollten stets vertraute Personen für Vor diesem Hintergrund ist es eher ein Kind zuständig sein. Darauf ist ungünstig, wenn eine Einrichtung, besonders bei der Einteilung von die sich für Zweijährige öffnet, nur eine einzige altersgemischte ihrer Stammgruppe, besuchen aber Gruppe einrichtet. Bei einem solchen im Verlauf des Vor- und Nachmittags Konzept finden die Kleinen nur je nach Interesse verschiedene wenige gleichaltrige Spielpartner Funktionsräume. Die Kleinen bleiben vor und auch das kontinuierliche am Vormittag mit ihrer Erzieherin/ Zusammensein mit einer vertrauten ihrem Erzieher in ihrem Gruppenraum Erzieherin/einem vertrauten Erzieher und besuchen am Nachmittag kann nicht immer gesichert werden. gemeinsam mit ihrer Erzieherin/ihrem Außerdem ist bei einer solchen Erzieher einen der Funktionsräume. Lösung nicht auszuschließen, dass Die Kleinen erleben so eine Kontinuität die Erzieherin/der Erzieher mit ihren/ hinsichtlich der Bezugspersonen und seinen Fragen zu den Zweijährigen ihnen stehen genügend gleichaltrige im Team relativ isoliert bleibt und Spielpartner zur Verfügung. Gleich- die Öffnung nach unten nicht als zeitig können die Zweijährigen auf Team, sondern als Spezialaufgabe betrachtet wird. Günstiger ist es dagegen, wenn eine Einrichtung mit einem halboffenen Literaturhinweis: Riemann, I. & Wüstenberg, W. (2004): Die Kindergartengruppe für Kinder ab einem Jahr öffnen? Eine empirische Studie, Frankfurt a.M.: Fachhochschulverlag Konzept arbeitet. Dabei sind diese Weise langsam in das halboffene alle Kinder der Einrichtung einer Konzept hineinwachsen. Stammgruppe zugeordnet. Für die Kleinsten besteht eine solche Eine andere Möglichkeit besteht Stammgruppe oder auch Nestgruppe darin, die Kinder in zwei alters- aus Kindern mit einem ähnlichen übergreifenden Gruppen zu Entwicklungsstand, was in diesem organisieren. Die Räume dieser Alter häufig gleichaltrige Kinder sind, Gruppen sollten dicht nebeneinander und mindestens zwei Erzieherinnen/ liegen, so dass die Funktionsbereiche Erzieher. Die Kindergartenkinder auf beide Räume verteilt sind und treffen sich morgens und mittags in von beiden Gruppen genutzt werden 55 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern können. Die Kleinen haben durch Gerade bei der Aufnahme von die enge Kooperation der beiden Zweijährigen mit ihrem hohen Gruppen genügend gleichaltrige motorischen Aktivitätslevel sollte Spielpartner. Jeweils eine der das Raumangebot in den Fokus Gruppenerzieherinnen/einer der der Aufmerksamkeit rücken. Die Gruppenerzieher ist speziell für Raumgestaltung beeinflusst auch, wie die jüngeren Kinder zuständig. Am aktiv und konzentriert Kinder spielen. Nachmittag werden beide Gruppen Die gemeinsame Erziehung und zusammengelegt und eine der Bildung von zwei- bis sechsjährigen Bezugserzieherinnen/einer der Kindern erfordert Räume, in denen Bezugserzieher ist anwesend. die Kinder vielfältige Möglichkeiten Dadurch wird die Kontinuität der haben, zu spielen, zu forschen und Bezugspersonen gewährleistet. zu experimentieren, zu gestalten, zu konstruieren und sich zu bewegen. 5.3 Räume, Spielbereiche, Innerhalb der Räume benötigen Materialien die Kinder „leere“ Flächen nicht nur aufgrund ihrer Bewegungslust, 56 Die Räume, ihre Größe und sondern auch, um auf dem Boden Ausgestaltung beeinflussen das zu spielen. Gleichzeitig benötigen pädagogische Geschehen in der sowohl die Kleinen als auch die Gruppe. Von der Raumgröße und den Älteren „geschützte Zonen“, in sonstigen zur Verfügung stehenden denen sie ohne Störung ihren Räumlichkeiten hängt direkt ab, wie Bewegungsabläufen nachgehen, viel Platz zum Spielen, Gestalten, für sich zum Spiel zurückziehen oder Bewegung und Ruhe vorhanden ist. konzentriert und komplex spielen Die Bedürfnisse der Zweijährigen können. Ein zusätzlicher Schlafraum sind andere und müssen zusätzlich oder zumindest ein Raum, in dem zur integriert werden. Dazu braucht Schlafenszeit der Zweijährigen keine es häufig mehr Raum als für eine anderen Aktivitäten stattfinden, ist altershomogene Kindergartengruppe. notwendig, weil die jüngeren Kinder andere Ruhebedürfnisse haben als die älteren Kinder. Literaturhinweis: Zu Beginn der Integration von Weber, C. (Hrsg.) (2004). Spielen und Lernen mit 0–3-Jährigen, Weinheim: Beltz Zweijährigen in Kindergartengruppen ist häufig zu beobachten, dass das Bewegungsspielzeug wie Spielzeug- und Materialangebot Bobbycars, Nachziehspielzeug für die Kleinen nicht ausreichend etc. Spiegel und vielfältige Rollen- und ihrem Entwicklungsstand und spielrequisiten gehören ebenfalls zur ihren Bedürfnissen nicht immer Grundausstattung. angemessen ist. Je jünger ein Kind ist, desto wichtiger sind regelmäßige 5.4 Entwicklungs- und elementare Erfahrungen mit Sand Bildungsthemen beobachten und Wasser. Sie müssen auch und dokumentieren drinnen ermöglicht werden durch den Einbezug der Waschräume In den Bildungs- und Erziehungs- oder zumindest die Anschaffung empfehlungen für Kindertagesstätten von Sand- und Matschtischen. in Rheinland-Pfalz und im Gebrauchsgegenstände aus Kindertagesstättengesetz wird der Haushalt und Küche, Behälter, regelmäßigen Beobachtung und Gefäße und Verpackungsmaterial Dokumentation der kindlichen sowie Naturmaterialien haben sich Lern- und Entwicklungsgeschichte als anregende Materialien für alle große Bedeutung beigemessen. Ziel Kinder, besonders aber für die dabei ist es, den Bildungsprozess unter Dreijährigen bewährt. Bücher, jedes einzelnen Kindes individuell Puzzles, Bausteine – alles sollte zu begleiten, zu unterstützen und daraufhin überprüft werden, ob zu fördern. Bei der Beobachtung es diese Spielangebote auch in und Dokumentation geht es für die einer Form gibt, die für Zweijährige Erzieherinnen/die Erzieher zum angemessen ist. Gleiches gilt für einen darum, herauszufinden, mit 57 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern welchen Themen sich das Kind Erfahrungsangebote zu machen, gerade beschäftigt und wie es mit helfen gezielte Beobachtungsfragen. diesen Themen umgeht. Vor dem Die meisten eher offenen Beobach- Hintergrund dieses Wissens sollen tungsverfahren, bei denen die dann Bildungsangebote erarbeitet Interessen, Vorlieben und Themen werden. Denn nur von solchen der Kinder identifiziert werden pädagogischen Angeboten, die auf können, eignen sich in der Regel den Themen der Kinder aufbauen, auch für jüngere Kinder. Zu nennen ist auch ein Entwicklungsfortschritt wären hier zu erwarten. Zum anderen soll die • die an der belgischen Beobachtung und Dokumentation Universität Leuven entwickelte auch dazu dienen, wahrzunehmen, „Engagiertheitsskala“, in welchen Bildungsbereichen • die im „10-Stufen-Projekt-Bildung“ das Kind besondere Stärken und verwendeten Beobachtungsbögen Ressourcen aufweist. Das Wissen zu den „Themen der Kinder“, um die Stärken des Kindes soll • die im DJI-Projekt „Bildungs- und dazu genutzt werden, ihm auch in Lerngeschichten als Instrument zur jenen Bereichen Bildungsangebote Konkretisierung und Umsetzung zu eröffnen, für die es sich weniger des Bildungsauftrags im interessiert. Um auf der Grundlage Elementarbereich“ eingesetzten des Entwicklungsstandes und Beobachtungsbögen oder des Bildungsinteresses eines • die von der Arbeitsgruppe Kindes individuell angemessene „Professionalisierung frühkind- pädagogische Bildungs- und licher Bildung“ herausgegebenen „Arbeitshilfen zur professionellen Literaturhinweis: Bildungsarbeit in Kindertages- Viernickel, S. & Völkel, P. (2005): Beobachten und Dokumentieren im pädagogischen Alltag, Freiburg: Herder einrichtungen nach der Bildungs- Bensel, J. & Haug-Schnabel, G. (2005). Kinder beobachten und ihre Entwicklung dokumentieren. Kindergarten Heute spezial, Freiburg: Herder 58 vereinbarung NRW“. Ein Verfahren, das sich speziell mit der Entwicklung jüngerer Kinder befasst, ist Kuno Bellers Kind besser zu verstehen und Entwicklungstabelle, die von ihm gezielte, auf sein individuelles Prof. E. K. Beller in ihrer ersten Entwicklungsprofil zugeschnittene Fassung bereits in den 1980er- pädagogische Anregungen geben Jahren veröffentlicht wurde. Die zu können. Deshalb werden Entwicklungstabelle dient dazu, die Ergebnisse auch nicht mit den Entwicklungsstand eines durchschnittlichen Altersnormen Kindes in acht verschiedenen verglichen. Es geht vielmehr um Entwicklungsbereichen einzu- eine aufmerksame, interessierte schätzen. Dabei handelt es sich Wahrnehmung des einzelnen um die Bereiche Körperpflege, Kindes, das sich dadurch beachtet Umgebungsbewusstsein, und wertgeschätzt fühlt. Nach sozio-emotionale Entwicklung, Kuno und Simone Beller, den Spieltätigkeit, Sprache, Kognition, Herausgebern der aktuellen Auflage Grob- und Feinmotorik. Aus dem der Entwicklungstabelle, entwickelt Entwicklungsstand in den einzelnen sich daraus ein gegenseitiges Bereichen ergibt sich für jedes Kind Interesse zwischen Erzieherin/ ein Entwicklungsprofil, das seine Erzieher und Kind, was als optimale individuellen Stärken und Schwächen Voraussetzung für Bildungsprozesse im Sinne einer mehr oder weniger und die Entwicklung von Lernfreude fortgeschrittenen Entwicklung auf- angesehen wird. weist. Dabei ist es normal, wenn sich ein Kind in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich schnell entwickelt, also zum Beispiel in seiner feinmotorischen Kompetenz weiter ist als im Bereich des Umgebungsbewusstseins. Die Ergebnisse sollen der Erzieherin/dem Erzieher helfen, das beobachtete 59 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern 5.5 Zusammenarbeit Gerade Eltern von jüngeren Kindern mit Eltern trennen sich oft schwer von ihren Kindern und haben das Gefühl, keine In den Bildungs- und „gute Mutter“, kein „guter Vater“ Erziehungsempfehlungen für zu sein, wenn sie ihr Kind schon so Kindertagesstätten in Rheinland- früh in einen Kindergarten geben. Pfalz wird eine Erziehungs- und Ebenso tritt nicht selten die Angst Bildungspartnerschaft mit den auf, das Kind könnte die Erzieherin/ Eltern der Kinder angestrebt. Für den Erzieher nach einiger Zeit mehr die Eltern der jüngeren Kinder ist lieben als seine Eltern oder mehr hierbei zunächst die Phase der Vertrauen zu ihr/ihm entwickeln. Eingewöhnung von besonderer Diese Ängste und Sorgen sollten Bedeutung. Gemeinsam muss mit den Eltern genommen werden. den Eltern geklärt werden, wie Denn auch wenn das Kind schon in jungen Jahren eine Kindertagesstätte Literaturhinweis: besucht, bleiben die Eltern die Platz da für die Jüngsten!? Theorie und Praxis der Sozialpädagogik TPS, Heft 2/2006, Seelze-Velber: Kallmeyer wichtigsten Bezugspersonen, mit Stürmer, G. (2005): Neue Elternarbeit. Kindergarten Heute. Basiswissen Kita, Freiburg: Herder seine Zeit verbringt. Wenn die 60 denen es nach wie vor am liebsten Eltern allerdings nicht anwesend wichtig die Begleitung durch eine sind, brauchen insbesondere die vertraute Bezugsperson gerade für jüngeren Kinder andere Personen, das jüngere Kind ist, wenn es eine bei denen sie sich vertraut und neue Umgebung kennen lernen und sicher fühlen. Gerade ein gut sich darin wohl fühlen soll. Wichtig in ausgearbeitetes und durchgeführtes organisatorischer Sicht ist hier auch Eingewöhnungskonzept hilft nicht nur der Hinweis für die Eltern, dass sich den Kindern, sondern stärkt auch den eine solche Eingewöhnung durchaus Eltern den Rücken und gibt ihnen die über mehrere Wochen erstrecken Sicherheit, dass sie das Richtige tun, kann. wenn sie ihr Kind für einen Teil des Tages in einer Kindertageseinrichtung nerschaft mit den Eltern der jüngeren betreuen lassen. Kinder ist die Dokumentation der Wenn die Kleinen im Beisein der Aktivitäten der Kinder während des Eltern behutsam eingewöhnt werden, Tages. Als Erzieherin/Erzieher sollte dann bietet die Kindertageseinrich- man zunächst davon ausgehen, dass tung, in der das Kind regelmäßig es Eltern interessiert, was ihr Kind einen Teil des Tages verbringt, in den Stunden, in denen sie nicht Entwicklungsanregungen, die das mit ihm zusammen waren, getan Kind so in der Familie nicht erfahren hat. Fragen diese Eltern jedoch ihr kann. Kindertagesstätten verfügen in Zweijähriges: „Na, was hast du heute der Regel sowohl im Innen- als auch im Kindergarten gemacht?“, dann im Außenbereich über großzügigere bekommen sie nur allzu häufig als Spielflächen als eine Wohnung oder Antwort: „Gespielt.“ Das ist für die auch ein Einfamilienhaus. Das Spiel- Eltern nicht sehr erhellend. Sie sind material ist von größerer Vielfalt, als also mehr oder weniger auf das an- man es im Kinderzimmer vorfindet. gewiesen, was ihnen die Erzieherin/ Manches Bedürfnis nach Autonomie, der Erzieher erzählt, wenn sie etwas wie zum Beispiel die selbstständige über den Tag ihres Kindes erfahren Nutzung der Toilette, lässt sich in wollen. Hier sind zum einen natürlich der Kindertageseinrichtung leichter die so genannten Tür- und Angelge- verwirklichen. Dort gibt es nämlich spräche hilfreich, die Erzieherinnen/ Kindertoiletten und Waschbecken Erzieher und Eltern beim Bringen auf Kinderhöhe. Gleichaltrige Spiel- und Abholen des Kindes führen oder partner lassen sich im Kindergarten die sich am Rande von Eltern- und regelmäßig und verlässlich treffen, Gruppenabenden ergeben. Unterstüt- und zwar ohne den Organisationsauf- zend ist es jedoch auch, wenn es in wand, den Eltern betreiben müssen, der Einrichtung immer mal wieder um ihre Kinder zu verabreden. Fotodokumentationen von Aktivitäten Ein weiterer wichtiger Aspekt für der Kinder gibt, die von erklärenden eine Erziehungs- und Bildungspart- Texten flankiert werden. Ebenso kann 61 5. Den pädagogischen Handlungsspielraum erweitern die Einladung zu Hospitationen in der Gruppe den Eltern einen Einblick in das alltägliche Gruppengeschehen liefern. Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Zusammenarbeit mit den Eltern sind auch regelmäßig stattfindende 12 Entwicklungsgespräche, in denen die Erzieherin/der Erzieher vor allem die Stärken und Kompetenzen des Kindes im Kindergarten darlegt und daran interessiert ist, von den Eltern zu erfahren, was das Kind zu Hause gerne tut, womit es am liebsten spielt und mit wem es sich gerne trifft. 62 12345 63 6. Fazit: Die Aufnahme von Zweijährigen als Teamaufgabe 64 Die Aufnahme von Zweijährigen den Wünschen, Interessen und in den Kindergarten ist eine Bedürfnissen sowohl der älteren Herausforderung nicht nur für die als auch der jüngeren Kinder einer Erzieherinnen und Erzieher, deren Einrichtung gerecht zu werden. Gruppen es sozusagen „betrifft“. Insbesondere die Eingewöhnung Es handelt sich vielmehr um eine der jüngsten Kinder verlangt in der Aufgabe, zu der das gesamte Regel viel Zeit und Energie von der Erzieherinnen-/Erzieherteam einer Erzieherin/dem Erzieher, denn sie Einrichtung gemeinsam beitragen muss sowohl eine vertrauensvolle muss. Für eine gelungene Integration Beziehung zu dem neuen Kind als der Kleinen braucht es in vielerlei auch zu dessen Eltern herstellen. Um Hinsicht die Unterstützung unter diese Zeit und Energie aufzubringen, den Kolleginnen und Kollegen, um muss sie/er von ihren/seinen Kolleginnen und Kollegen entlastet Eine veränderte Zeitplanung im werden, die ihr/ihm Aufgaben Tagesablauf, die den Bedürfnissen des Gruppenalltags abnehmen der jüngeren Kinder entgegenkommt, und als Ansprechpartnerinnen/ dabei die Bedürfnisse der älteren Ansprechpartner für die anderen Kinder aber nicht unberücksichtigt Kinder der Gruppe zur Verfügung lässt, kann nur umgesetzt werden, stehen. Zeitliche Entlastung wenn alle Erzieherinnen/Erzieher braucht die Bezugserzieherin/der im Team sich auf eine flexible Bezugserzieher der Kleinen auch, Gestaltung des Tagesablaufes um sich diesen gerade in den einlassen und kurzfristige Absprachen Pflegesituationen intensiv und unter Kolleg(inn)en möglich sind. liebevoll widmen zu können. Gleiches gilt für die Gestaltung von Spielräumen und das Angebot Ebenso sollten die Bezugserzieher- von Spielmaterialien. Vielfältig innen/Bezugserzieher der und anregend für alle Kinder einer Zweijährigen im Team mit altersgemischten Gruppe sind Räume ihren Fragen zu den jüngeren und Materialien nur dann, wenn sie Kindern nicht isoliert bleiben. flexibel gestaltet sind und von den Alle Erzieherinnen/Erzieher eines Kindern verschiedenen Alters je nach Teams sollten sich daher mit Bedürfnissen und Interessen genutzt den Entwicklungsthemen der werden können. Zweijährigen und dem, was sich dadurch für die Gestaltung des Damit das Zusammenleben und pädagogischen Alltags ergibt, zusammen Lernen in der alters- vertraut machen. Nur so können erweiterten Gruppe gelingen kann, sie das Verhalten der Zweijährigen muss neben den Gemeinsamkeiten angemessen einschätzen und auch beachtet werden, welche stehen der Bezugserzieherin/ individuellen Interessen, Bedürf- dem Bezugserzieher als nisse und Wünsche die verschiedenen Gesprächspartner zur Verfügung. Altersgruppen haben. Dies kann 65 6. Fazit: Die Aufnahme von Zweijährigen als Teamaufgabe jedoch nur dann gelingen, wenn alle Erzieherinnen/Erzieher einer Einrichtung die Aufnahme der Zweijährigen als eine Herausforderung betrachten, der sie sich gerne stellen. Ist dies der Fall, dann wird das alltägliche Zusammenleben in der alterserweiterten Gruppe für die sprachliche, geistige und soziale Entwicklung sowohl der jüngeren als auch der älteren Kinder besonders anregend sein. 66 67 Dr. Susanne Viernickel Jahrgang 1960, geboren in Berlin. Susanne Viernickel studierte an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Sozialpädagogik und Kleinkindpädagogik und den Nebenfächern Psychologie und Soziologie. Schon im Grundstudium kam sie zum ersten Mal mit frühpädagogischen Fragestellungen in Berührung und konnte bald – erst im Praktikum, danach auf einer Halbtagsstelle in einer Berliner Kindertagesstätte – auch Erfahrungen in der direkten Arbeit mit Kindern sammeln. Besonders interessierten sie die frühen sozialen Kontakte zwischen Kindern, die auch Thema ihrer Diplomarbeit und später ihrer Dissertation wurden. Nach der Elternzeit für die Söhne Felix und Jan Merlin wirkte sie an den National Institutes of Child Health and Human Development (NICHD) in Maryland/USA von 1995 bis 1996 an der Erforschung von 68 Auswirkungen des Krippeneintritts ist Susanne Viernickel zum Winterse- bei einjährigen Kindern mit. mester 2005/2006 als Professorin für Bildungsmanagement/Frühe Mit der Forschungsarbeit „Spiel, Kindheit im Bachelor-Studiengang Streit, Gemeinsamkeit. Einblicke Bildungs- und Sozialmanagement in die soziale Kinderwelt der Zwei- an die FH Koblenz, Rheinahrcampus jährigen“ promovierte sie 1998 an Remagen berufen worden. der Freien Universität Berlin. Von 1998 bis 2004 war sie dort als Ihr aktuelles Projekt trägt den Titel wissenschaftliche Assistentin am „BeobAchtung und Erziehungs-Part- Arbeitsbereich Kleinkindpädagogik nerschaft – gemeinsam kindliche tätig und konnte als stellvertretende Stärken entdecken und fördern“. Projektleiterin von zwei Teilprojekten die Nationale Qualitätsinitiative des Bundesfamilienministeriums mitgestalten. Parallel dazu bot sie regelmäßig Lehrveranstaltungen und Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte zu ihren Schwerpunktthemen Bildung und Entwicklung im frühen Kindesalter und Qualitätsmanagement/ Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen an. Nach einer einsemestrigen Lehrstuhlvertretung an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Pädagogik und Didaktik des Elementarbereichs und der frühen Kindheit) 69 Dr. Petra Völkel Geboren 1962 in Hannover. Petra Völkel studierte an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Sozialpädagogik und Kleinkindpädagogik und den Nebenfächer Psychologie und Soziologie. Bereits während des Hauptstudiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft in verschiedenen Forschungsprojekten mit, die sich mit sozialen Kontakten zwischen Krippenkindern beschäftigten. Die Frage nach der Art und Qualität der sozialen Kontakte behandelte sie dann auch in ihrer Diplomarbeit. Nach dem Diplom und der Elternzeit für ihren Sohn Marian war Petra Völkel als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität in den Forschungsprojekten „Kindertagesstättengruppen im Vergleich“, „Erziehung und Betreuung von Kindern im Kindergartenalter“ und „Vom Kindergartenkind zum 70 Schüler“ tätig. 1997 promovierte Übergangs“ tätig. Seit 2000 führt sie, nach der Elternzeit für ihre sie Lehrveranstaltungen und Tochter Sophie, mit der qualitativen Fortbildungen für Studentinnen und Forschungsarbeit „Soziales Spiel Studenten der Pädagogik und für von Kindern im zweiten Lebensjahr pädagogisches Fachpersonal aus in Einrichtungen mit verschiedener dem Kindertagesstättenbereich Altersmischung“ an der Freien durch. Universität Berlin. Zu ihren thematischen SchwerZwischen 1997 und 2005 arbeitete punkten gehören die Bildung und Petra Völkel in verschiedenen Entwicklung von Kindern sowie Forschungsprojekten mit, die sich die Beobachtung von Kindern im mit der Bildung und Erziehung Kontext von Wissenschaft und von Kindern im Elementarbereich pädagogischem Alltag. Seit 2004 beschäftigten. Unter anderem war ist Petra Völkel regelmäßig als sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in Lehrbeauftragte und Gastprofessorin dem praxisnahen Forschungsprojekt im Bachelor-Studiengang „Erziehung „Zum Bildungsauftrag von Kinder- und Bildung im Kindesalter“ an der tageseinrichtungen“ des Instituts für Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin angewandte Sozialforschung frühe tätig. Kindheit e.V. (infans e.V.). Seit Herbst 2005 ist sie im BLKVerbundprojekt TransKiGs „Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtung und Grundschule. Gestaltung des 71 Impressum Herausgeber: Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Wallstraße 3 55122 Mainz Telefon: 06131 164161 www.kita.rlp.de Bildnachweis: H.W. Ohlmann Gesamtherstellung: AC GmbH Juni 2006 Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung Rheinland-Pfalz herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch Wahlbewerberinnen und -bewerbern oder Wahlhelferinnen und -helfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Kommunal-, Landtags-, Bundestagsund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend Wallstraße 3 55122 Mainz www.kita.rlp.de werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. 060008AC|LA|4.0|0606 Agentur für Werbung