Hodenhochstand: Frühzeitige Therapie Voraussetzung für spätere

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Hodenhochstand: Frühzeitige Therapie Voraussetzung für spätere
Hodenhochstand: Frühzeitige Therapie
Voraussetzung für spätere Fertilität
Der Hodenhochstand ist die häufigste Anomalie des kongenitalen
Urogenitaltraktes und betrifft nach dem ersten Lebensjahr noch 1 %
aller reif geborenen Knaben. Unbehandelt kann er zu einer Beeinträchtigung
der Fertilität führen und das Malignomrisiko erhöhen. Um diese Gefahren zu
minimieren, sollte die Therapie möglichst bis zum 12. Lebensmonat abgeschlossen sein.
Der Regelmechanismus des pränatalen, testikulären Deszensus ist noch nicht völlig geklärt, aber es gibt deutliche
Hinweise, dass endokrine, genetische und Umweltfaktoren
beteiligt sind. Besteht ein Hodenhochstand, so wird durch
die verspätete Verlagerung des Hodens in das Skrotum die
Voraussetzung für seine normale Entwicklung potentiell
gestört. Selbst nach zeitgerechter Behandlung stellt die reduzierte Fertilität die Hauptkomplikation des primären Hodenhochstands dar. Leider gibt es Anhaltspunkte, dass vielerorts die Therapie auch heute noch zu spät begonnen wird.
Prävalenz
Der nicht orthotop in das Skrotalfach deszendierte
Hoden (Hodenhochstand, Maldeszensus testis) stellt die
häufigste Genitalfehlbildung männlicher Neugeborener
dar und ist bei etwa 30 % aller Frühgeborenen und der
sog. Small-for-date-Babys zu finden. Zum Zeitpunkt der
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Geburt weisen 3-5 % aller reif geborenen Kinder noch einen Hodenhochstand auf, der nach Abschluss des ersten
Lebensjahres bei etwa 1 % der Kinder persistiert und davon in 10-20 % bilateral vorliegt[1].
Ätiologie und Pathogenese
Obwohl viele Risikofaktoren bekannt sind, bleibt
die Ursache des kongenitalen Hodenhochstandes in den
meisten Fällen ungeklärt. Wahrscheinlich ist die Kombination verschiedener Faktoren bei entsprechender genetischer Prädisposition notwendig, um einen Deszensus
zu verhindern. Als Hauptursache muss jedoch eine intrauterine Insuffizienz der Hypothalamus-HypophysenGonaden-Achse angesehen werden. Der Maldeszensus ist
somit Folge eines passageren, pränatalen und präpubertären, hypogonadotropen Hypogonadismus. Er wird deshalb heute als eine Endokrinopathie angesehen. Weiter-
hin verdichten sich Anhaltspunkte, dass Umweltfaktoren
das Risiko eines Hodenhochstandes zusätzlich erhöhen.
Persistente chlororganische Verbindungen, Mono-Ester
der Phthalate, das mütterliche Rauchen und maternaler
Diabetes mellitus sind ebenfalls Risikofaktoren für eine
Fehlentwicklung der männlichen Reproduktionsorgane[2].
Jüngste Studien weisen zudem darauf hin, dass verschiedene Analgetika wie Ibuprofen, Acetylsalicylsäure
und Paracetamol, die im 2. Trimenon der Schwangerschaft
eingenommen wurden, eine anti-androgene Wirkung hervorrufen und somit das Risiko eines Maldeszensus testis
erhöhen können[3].
Die Germinalzellentwicklung ist ein mehrstufiger
hormonabhängiger Prozess, der im männlichen Fetus beginnt und erst in der Pubertät abgeschlossen wird (Abb.
1). In der 8.-12. Schwangerschaftswoche (SSW) kommt
es zu einer Proliferation der Keimzellen. Die Differenzierung der fetalen Gonozyten zu Spermatogonien beginnt
in der 10.-15. SSW. Im männlichen Säugling erreichen
FSH, LH und Testosteron, beginnend mit der 2. Lebenswoche, steigende Serumkonzentrationen, die ihr Maximum zwischen der 4. und 10. Lebenswoche erreichen und
ab dem 6. Lebensmonat (LMon) bis zum Beginn der Pubertät auf niedrige Werte zurückfallen. Diese postpartale
kurze Zeitspanne hoher Testosteronkonzentrationen wird
auch als „Mini-Pubertät“ bezeichnet und hat zur Folge,
dass die Leydigzellzahl zunimmt, das Hodenvolumen
größer wird, die Sertoli-Zell-Population wächst, die Gesamtzahl der Keimzellen deutlich zunimmt und es vor allem in dieser Zeit zur Transformation von Gonozyten in
sog. „Adult-dark (Ad-)Spermatogonien“ kommt (Abb. 2).
Steigt die Gonadotropin-Sekretion im 2.-4. LMon nicht
genügend an, fehlt die ausreichende Stimulation der Leydig-Zellen zur Testosteronsynthese. Dies bedingt wiederum nachfolgend eine mangelhafte Reifung der Gonozyten
zu Ad-Spermatogonien, die den adulten Stammzellpool
bilden, aus dem in der frühen präpubertären Reifungsphase Spermatozyten hervorgehen[1,2]. Hadziselimovic
et al. konnten nachweisen, dass den Ad-Spermatogonien eine Schlüsselrolle in der Fertilitätsentwicklung zukommt. Ist zum Zeitpunkt der Operation ihre Anzahl auf
< 0,1/Tubulus im testikulären Gewebe vermindert, so resultiert später im Spermiogramm eine verminderte Spermienkonzentration[4]. Parenchymschäden, die durch die in
der Leiste gegenüber dem Skrotum erhöhte Umgebungstemperatur hervorgerufen sein können, treten deshalb
heute als ursächliches Moment eher in den Hintergrund
und werden vielmehr als Sekundärschaden bei zu langer
Verweildauer in dieser dystopen Position angesehen.
Einteilung
Der Begriff Maldeszensus testis umfasst alle Formen
der extraskrotalen testikulären Positionen. Eine erste Unterscheidung trennt in Hodenretention und Hodenektopie. Die Hodenretention wird unterteilt in abdominal
8. SSW
Gonozyten (fetales Stammzellreservoir)
15. SSW
Spermatogonien
3. LMon
Ad-Spermatogonien (adultes Stammzellreservoir)
4. L J
primäre Spermatozyten (Prophase 1. meiotische Teilung)
Pubertät
Beginn der Spermiogenese
2.-3. LMon: physiologischer Testosteron-Peak, sog. „Mini-Pubertät“
ab 3. LMon:Transformation des fetalen in ein adultes Stammzellreservoir
(Ad-Spermatogonien)
4.-5. L J: Transformation der Ad-Spermatogonien zu primären Spermatozyten (Meiose)
Abbildung 1
Die 5 Schritte der Keimzellmaturation
und inguinal. Bei der abdominellen Retention (Synonym
Bauchhoden) liegt der Hoden proximal des inneren Leistenringes retroperitoneal.
Die inguinale Retention (Synonym: Leistenhoden)
umfasst alle Dystopien, die zwischen dem inneren und
äußeren Leistenring zu liegen kommen. Die distalen Formen davon werden auch als präskrotale Retention bezeichnet und meinen die Position zwischen dem äußeren
Leistenring und Skrotaleingang.
Der Gleithoden ist eine Variante der echten Retention
und damit ebenfalls krankhaft und behandlungsbedürftig.
Der Hoden liegt in diesen Fällen dagegen meist unmittelbar oberhalb des Skrotums und kann bis in den Skrotaleingang gezogen werden. Er gleitet beim Loslassen sofort in seine hohe Ausgangsposition zurück.
Der Pendelhoden ist dagegen eine Variante des normal deszendierten Hodens. Er zeichnet sich dadurch aus,
dass er manuell locker und spannungsfrei tief ins Skrotum
verlagert werden kann und dort auch bis zur Auslösung
des nächsten, meist überschießenden Cremasterreflexes
verbleibt. Er befindet sich häufiger im Skrotalfach als außerhalb seiner orthotopen Lage.
Um eine Hodenektopie handelt es sich, wenn der Hoden außerhalb des physiologischen Abstiegsweges festsitzt. Am häufigsten findet sich die epifasziale inguinale
Ektopie (70 %). Der Funiculus ist dabei normal lang ausgebildet, die operative Verlagerung kein Problem. Wesentlich seltener sind umbilikale, femorale, penodorsale,
transversale oder perineale Ektopien.
Bei etwa 20 % aller Patienten mit einem Maldeszensus
kann der im Skrotum fehlende Hoden primär nicht getastet oder sonographisch gefunden werden. Diesen Fällen
ist im deutschsprachigen Raum der Begriff Kryptorchismus vorbehalten („kryptos“ = versteckt). In der Hälfte der
Fälle findet sich der Hoden intraabdominal; in 45 % liegt
eine Atrophie, Agenesie oder ein Hodenrudiment („nubbin“, „vanishing testis“) vor, und in etwa 5 % ist der Hoden der Palpation entgangen und befindet sich doch inguinal („missed testis“)[1].
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Abbildung 2
Biopsie eines Leistenhodens. Dargestellt sind Tubulusprofile mit Keim- und
Sertolizellen im Kunststoffsemidünnschnittpräparat. Die Nadelspitze weist auf
eine Ad-Spermatogonie mit charakteristischer Aufhellung im Zellkern.
Abbildung 3
Intraoperativer laparoskopischer Befund eines linksseitigen Bauchhodens.
Von der primären Hodenretention ist die sekundäre
Aszension der Gonade zu unterscheiden. Das heißt, ein
primär im Skrotalfach lokalisierter Hoden retrahiert sich
zunehmend aufgrund eines inadäquaten Längenwachstums bzw. wegen retinierender fibröser Anteile des Funiculus spermaticus. Studien konnten weiterhin zeigen,
dass für Pendelhoden das Risiko einer sekundären Aszension und damit Entwicklung eines nicht orthotop deszendierten Hodens bis zum Erreichen der Pubertät bei 32 %
liegt[5]. Es sind deshalb mindestens jährliche Lagekontrollen so lange indiziert, bis eine eindeutige skrotale Lage
bestätigt werden kann.
Gerade bei Säuglingen mit reichlich präpubischem
Unterhautfettgewebe kann sich die Palpation als schwierig erweisen, in diesen Fällen kann die Sonographie hilfreich sein, um einen nicht palpierbaren Hoden im Leistenkanal oder präskrotal zu lokalisieren.
Der echte sekundäre Hodenhochstand entsteht dagegen iatrogen als Komplikation einer Hydrozelen- oder
Leistenhernienoperation im Säuglingsalter in einer Häufigkeit von 0,5-2 %[6].
Diagnostik
Das entscheidende Untersuchungsverfahren zur Diagnostik des Maldeszensus testis ist auch weiterhin die Palpation. Die Untersuchung sollte in ruhiger Atmosphäre ohne
Zeitdruck und in einem ausreichend warmen Raum sowie
mit warmen Händen des Untersuchers durchgeführt werden. Eine Befunddokumentation entsprechend den oben
angeführten Bezeichnungen, wie sie in den Leitlinien festgelegt wurden, ist empfehlenswert. Nicht selten bestehen
Diskrepanzen zwischen dem klinisch erhobenen Befund
des Zuweisers und dem aktuellen Befund. In solchen Fällen oder bei Grenzbefunden sollte grundsätzlich eine nochmalige Wiedervorstellung stattfinden, um unnötige Operationen zu vermeiden. Zudem sollte in Zweifelsfällen stets
sowohl in Rückenlage als auch im Schneidersitz (bei Säuglingen mit Unterstützung der Mutter) untersucht werden.
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Das Computertomogramm des Beckens ist im Säuglings- und Kindesalter auf Grund der hohen Strahlenbelastung und der fehlenden Konsequenz heute obsolet!
Eine Kernspintomographie (MRT) des Beckens ist
aufgrund der stets notwendigen Narkose einerseits und
der fehlenden Konsequenz aufgrund der zu niedrigen
Sensitivität und Spezifität der Untersuchung andererseits,
abgesehen von wenigen Ausnahmefällen (z.B. Intersexualität), sowohl beim unilateralen als auch beim bilateralen
Kryptorchismus nicht indiziert.
Bei bilateralem Kryptorchismus (d.h. beidseits kann
weder palpatorisch noch sonographisch eine Gonade nachgewiesen werden) kann als nächster diagnostischer Schritt
entweder die Durchführung eines β-HCG-Tests oder alternativ die Bestimmung von Inhibin B im Serum erfolgen, um
entweder das Vorhandensein von Hodengewebe oder das
Vorliegen einer Anorchie zu bestätigen. Ansonsten erfolgt
sowohl beim unilateralen als auch beim bilateralen Kryptorchismus als nächster diagnostischer Schritt die Laparoskopie. Sie gilt heute als zuverlässigste Methode zum Nachweis
von Hodengewebe sowie zur Klärung der anatomischen Situation beim Kryptorchismus. Grundsätzlich sollte gewährleistet sein, dass sowohl von fachlicher Kompetenz, als auch
von instrumenteller Ausstattung in der gleichen Sitzung alle
zu erwartenden therapeutischen Schritte (Orchiektomie,
ein- oder zweitseitige Orchidopexie) durchgeführt werden
können, um dem Kind weitere Eingriffe zu ersparen.
Malignität
Vorläuferläsion der Keimzelltumoren ist die testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN) des Hodens. Es handelt sich hierbei um atypische Keimzellen, die aus dem
fetalen Gonozyten hervorgehen. Eine unbehandelte TIN
manifestiert sich postpubertär nach 5-7 Jahren in rund
70 % der Fälle als invasiver Hodentumor[1]. Die Wahrscheinlichkeit, einen testikulären Keimzelltumor zu bekommen, liegt bei diesen Patienten bei 1:2000, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist sie um den Faktor 32
erhöht[7]. In einer Metaanalyse von 21 kontrollierten Studien zeigte sich bei Männern mit einem Hodenhochstand
in der Anamnese eine erhöhte Odds Ratio von 3,5-17,1[8].
Am höchsten ist das Risiko beim intraabdominal gelegenen Hoden, es ist 5-mal höher als bei einem inguinalen
Hodenhochstand.
Wird der Hodenhochstand bis zum 10. Lebensjahr
korrigiert, verringert sich dieses Risiko[9]. Bleibt ein Hodenhochstand jedoch bis zur Pubertät unbehandelt, resultiert ein deutlich höheres Malignitätsrisiko. Dies gilt
ebenso für intraabdominale Hoden, bei einer zusätzlich
zum Maldeszensus bestehenden Fehlbildung des äußeren
Genitales sowie einer Abnormität des Karyotyps[10,11]. Die
Entnahme einer Hodenbiopsie zur TIN-Diagnostik ist aus
der Sicht vieler Kinderurologen auch in diesen Fällen gerechtfertigt, in jedem Fall aber zu diskutieren, wird jedoch in der derzeit noch gültigen Leitlinie nur bei Verdacht auf Ovo testis, Dysgenesie oder Tumor als indiziert
angesehen[6].
hochstand beides beobachtet: eine signifikante Korrelation und keine Korrelation[13]. Schwierigkeiten bei der
Diagnose des einseitigen retraktilen Hodens (z. B. Einbeziehung von Pendel- und Gleithoden) könnten einer
der Gründe für diese Diskrepanz sein. Unbestritten ist
jedoch, dass der vollständige Mangel an Keimzellen zum
Zeitpunkt der Operation von Bedeutung ist für die zukünftige Fertilität eines Patienten, wobei andererseits zu
betonen ist, dass alle Säuglinge mit einem Maldeszensus
bei der Geburt Keimzellen in ihren Hoden haben[13]! Die
Verminderung der Keimzellen beginnt schon früh, ab
dem 6. Monat und nimmt zu in Abhängigkeit von der Position der Hoden. Je höher die Hodenposition zum Zeitpunkt der Behandlung ist, desto niedriger ist die Zahl
der Keimzellen, verglichen mit angepassten Kontrollen.
Einhergehend mit dem Maldeszensus kommt es in der
Folge auch zu einer mangelnden Weiterentwicklung der
Gonozyten mit nachfolgender Abnahme der Zahl an Geschlechtszellen in den Tubuli – zunächst auf der betroffenen Seite, später auch im regelrecht deszendierten Hoden
der Gegenseite. Verschiedene Arbeitsgruppen konnten
anhand intraoperativer Hodenbiopsien diesen Tatbestand
sowohl bei bilateralem, aber auch bei unilateralem Maldeszensus an großen Patientenkollektiven belegen[14,15,16].
Weiter konnte gezeigt werden, dass während der ersten 6
Lebensmonate die Zahl der Geschlechtszellen pro Tubulus im nicht deszendierten Hoden noch normal ist. Danach kommt es aber zu einer kontinuierlichen Abnahme
mit einem kritischen Punkt zwischen dem 8. und 9. Lebensmonat. In nahezu allen Fällen ging der SI (Spermatic-Index = Keimzellen/Tubulus) gegen 0 zwischen dem
15. und 18. Lebensmonat[17].
Fertilität
Männer mit einem Hodenhochstand in der Anamnese haben eine verminderte Fertilitätswahrscheinlichkeit
bei niedriger Spermienzahl und insgesamt schlechterer
Samenqualität, als Männer mit einem normalen Hodendeszensus[2,12]. Die eingeschränkte Fertilität wird nicht
durch einen normal deszendierten Hoden der Gegenseite kompensiert. Die Wahrscheinlichkeit einer Fertilitätsstörung ist zudem bei einer beidseitigen Dystopie und
mit einem späteren Therapiezeitpunkt des nicht deszendierenden Hodens zusätzlich erhöht. 89 % der unbehandelten Patienten mit einem beidseitigen Maldeszensus
entwickeln eine Azoospermie. Beim einseitigen Hodenhochstand muss mit einer Azoospermie-Inzidenz von 1020 % gerechnet werden. Somit ist der Hodenhochstand –
ob uni- oder bilateral – der häufigste ätiologische Faktor
der Azoospermie[13]. Es gibt leider nur wenige verwertbare Studien, die die Samenqualität im Verhältnis zum Lebenszeitpunkt der Therapie, der ursprünglichen Position
des Hodens und der operativen Technik berücksichtigen.
Immerhin konnte eine Korrelation zwischen der Keimzahl zum Zeitpunkt der Operation des beidseitigen Hodenhochstandes und der Spermienzahl bei diesen Patienten im Langzeitverlauf von 15-20 Jahre belegt werden.
Hingegen wurde bei Männern mit einseitigem Hoden-
Therapie
Die Behandlungsziele bestehen darin, einerseits durch
rechtzeitige Verlagerung des Hodens ins Skrotum den Sekundärschaden am Hoden zu verhindern und einen vorher nicht palpablen Hoden der klinischen Untersuchung
zugänglich zu machen.
Inwieweit der Primärschaden beeinflussbar ist, ist
bislang noch nicht abschließend geklärt. Bei allen aktuellen Therapieempfehlungen steht jedoch die bestmögliche
Fertilitätsprotektion im Vordergrund.
Bei Ausbleiben des spontanen Deszensus sollte deshalb vor der kritischen Geschlechtszellreduktion, also
zwischen dem 6. und 8. Lebensmonat mit einer neoadjuvanten Gonadorelin-Therapie begonnen werden. Die
Behandlung erfolgt mit einem Lutenisierenden Hormon
Releasing Hormon (LHRH)-Analogon (= Kryptocur®)
Die empfohlene Dosierung von Kryptocur® beträgt 3x
400μg/d (3x tgl. je einen Sprühstoß von 200μg in jedes
Nasenloch) über 4 Wochen. Diese Hormontherapie ist
zur alleinigen Deszensus-Therapie aber meist nicht ausreichend. Dementsprechend belegen Metaanalysen eine
Erfolgsrate von lediglich 20 %[18]. Dagegen konnte aber
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für die neoadjuvante LHRH-Therapie ein verbessertes
Fertilitätspotential durch eine signifikant höhere Anzahl
von Ad-Spermatogonien in der kindlichen Hodenbiopsie
nachgewiesen werden[2,19]. Für eine, auch in den Leitlinien
angesprochene zusätzliche neoadjuvante Gabe von humanem Chorion-Gonadotropin (hCG) im Anschluss an eine
LHRH-Therapie, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht
abschließend geklärt. Bis heute gibt es keine randomisierten Studien, die die Überlegenheit einer solchen Kombinationstherapie schlussendlich darlegen[1,6].
Eine postoperative Hormontherapie ist durch die aktuelle Datenlage nicht gerechtfertigt und sollte deshalb bis
auf weiteres Studien ausschließlich vorbehalten bleiben.
Operative Therapie
Idealerweise sollte bei persistierender Fehllage eines
tastbaren Hodens (Leistenhoden, Gleithoden, Hodenektopie) die einzeitige Orchidolyse und -pexie im Alter
zwischen dem 10. und 12. Lebensmonat geplant werden.
Eine ausreichend weite Mobilisation des Samenstranges
bis hoch retroperitoneal mit Versorgung eines häufig begleitenden offenen Processus vaginalis ist Voraussetzung
für eine erfolgreiche Verlagerung im Langzeitverlauf. Zur
dauerhaften Fixation des mobilisierten Hodens im Skrotum sind derzeit noch verschiedene, nach der bisherigen
Datenlage gleichwertige, Methoden in Anwendung. Bei
der sog. intraskrotalen Pexie werden ein, besser zwei Fäden durch die Hodenkapsel gestochen und der Hoden damit im Skrotum fixiert. Alternativ hat sich inzwischen die
Bildung einer sog. Dartostasche im Skrotum weit verbreitet und gilt in vielen Lehrbüchern als Methode der Wahl,
sowohl für die offen operative Standardorchidopexie als
auch für die laparoskopische Orchidopexie. Im Vordergrund steht dabei der größtmögliche Schutz des Hodens
vor einem operativen Trauma. Entgegen der landläufigen Meinung ist aufgrund der immer noch hohen Komplikationsrate von 1-5 % die Standardorchidopexie kein
Anfängereingriff!
Bei nicht tastbaren Hoden werden durch die diagnostische Laparoskopie die zugrunde liegende Pathologie und
die Hodenlage verifiziert (Abb. 3). Wird der Hoden intraabdominal nachgewiesen, kann bei noch ausreichend langen Spermatikalgefäßen eine einzeitige laparoskopische
Verlagerung erfolgen. Sind Arteria und Vena testicularis
extrem kurz und der Hoden deshalb nicht ausreichend mobilisierbar, ist ein zweitzeitiges Vorgehen indiziert. Hierbei
werden zunächst die Spermatikalgefäße laparoskopisch
geklippt. In einer mindestens um 3 Monate zeitversetzten
2. Operation wird dann nach Ausbildung eines suffizienten Kollateralkreislaufes über das Gefäßnetz des Ductus
deferens der Hoden wiederum laparoskopisch in das Skrotum verlagert. Eigene Untersuchungen konnten zeigen,
dass wann immer möglich, ein einaktiges Verfahren ohne
initiale Gefäßligatur angestrebt werden sollte, da es einerseits ein sehr sicheres und zuverlässiges Verfahren ist und
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andererseits dem zweizeitigen Vorgehen im Hinblick auf
das Risiko einer Hodenatrophie deutlich überlegen ist[20].
Findet sich laparoskopisch nur ein Hodenrudiment, so
wird dieses in selbiger Operation entfernt. Ebenso wird
durch die Laparoskopie das Vorliegen einer pränatalen intraabdominalen Hodentorsion (vanishing testis) durch die
blind endenden Gefäße verifiziert und bedarf natürlich
keiner weiteren Therapie.
Die Einlage einer Hodenprothese (in der Regel nach
Abschluss der Pubertät) sollte den Eltern in diesen Fällen
als Option offeriert werden.
Nachsorge
Nach einer Orchidopexie sind regelmäßige Nachuntersuchungen in 1-2jährigen Abständen bis in das Jugendalter
empfehlenswert. Diese Untersuchungen können natürlich
auch im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen erfolgen. Ziel ist es dabei, die Hodenlage zu kontrollieren, um eine Re-Aszension rechtzeitig zu erkennen.
Bereits die Eltern sollten darauf hingewiesen werden, dass
angesichts des Malignitätsrisikos beim Maldeszensus ab
der Pubertät regelmäßige palpatorische und ggf. sonographische Kontrollen durchgeführt werden müssen. Insbesondere sollten dann aber auch die Jugendlichen nochmals
auf die Notwendigkeit der Selbstkontrolle aufmerksam gemacht und dementsprechend angeleitet werden.
Trotz aller klinischen und wissenschaftlichen Bemühungen und Empfehlungen, insbesondere im Hinblick auf die
Fertilitätsprotektion, bleibt jedoch weiterhin das Hauptproblem, dass ein viel zu großer Anteil der Patienten auch heute
noch viel zu spät zur Therapie vorgestellt wird[21]. Eine noch
intensivere Aufklärungsarbeit bei allen Fachdisziplinen, die
an der Behandlung von Kindern beteiligt sind, als auch in
den Medien zur Laienaufklärung ist deshalb zu fordern.
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Prof. Dr. Wolfgang H. Rösch, FEAPU
Klinik für Kinderurologie
in Kooperation mit der Universität Regensburg
Klinik St. Hedwig
Steinmetzstr. 1-3, D-93049 Regensburg
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