Nachruf auf Prof. Dr. theol. Klaus-Peter Hertzsch
Transcrição
Nachruf auf Prof. Dr. theol. Klaus-Peter Hertzsch
Theologische Fakultät Jena, den 1. Dezember 2015 der Friedrich-Schiller-Universität Jena Nachruf auf Prof. Dr. theol. Klaus-Peter Hertzsch (23.9.1930 – 25.11.2015) Die Theologische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena trauert um ihr emeritiertes Kollegiumsmitglied Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch, einen hoch geachteten Mittler zwischen Wissenschaft und Kirche, der Generationen von Studierenden mit seinem außergewöhnlichen Charisma geprägt und für die praktische Arbeit im Pfarramt vorbereitet hat. Klaus-Peter Hertzsch wurde am 23. September 1930 als Sohn des evangelischen Theologen (und späteren Jenaer Praktischen Theologen) Erich Hertzsch geboren; er wuchs in einem von den „Religiösen Sozialisten“ geprägten Elternhaus in Eisenach auf. Von 1949 bis 1955 studierte er in Jena Theologie. Nach einem zweijährigen Stipendium beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf wurde er 1957 ordiniert. Danach war er zunächst Gemeindepfarrer und Konviktsinspektor in Jena, von 1959 bis 1966 Studentenpfarrer und Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden der DDR in Berlin. 1967 wurde er in Halle zum Doktor der Theologie promoviert mit einer Arbeit über „Bertolt Brechts Ethik und Anthropologie in ihrer Bedeutung für die Hermeneutik der Rechtfertigungslehre“. An der Universität Jena war Hertzsch von 1968 bis zu seiner Emeritierung 1995 Professor für Praktische Theologie. Lange Zeit gehörte er der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und über 30 Jahre der Thüringer Landessynode an; von 1960 an arbeitete er in der „Christlichen Friedenskonferenz“ mit und bemühte sich in der Zeit der friedlichen Revolution um Versöhnung der Gegensätze. In den 1970er-Jahren wurde Hertzsch auch im Westen Deutschlands bekannt durch seine biblischen Gedichte, gereimte Nacherzählungen alttestamentlicher Geschichten. Diese erschienen zuerst unter dem Titel „Wie schön war die Stadt Ninive“ in der DDR und später mit dem Titel „Der ganze Fisch war voll Gesang“ in der Bundesrepublik. Die Gedichte wurden über eine Viertelmillion Mal verkauft, vertont, mit Puppen- und Schattenspielen in Szene gesetzt, illustriert, getanzt und vor allem in Familien und Gemeinden vorgelesen. Auch das Thüringer Krippenspiel von 1957 ist in vielen Gemeinden ein fester Bestandteil des Heilig-Abend-Gottesdienstes. Eine noch weitere Verbreitung erfuhr eines seiner späteren Gedichte „Vertraut den neuen Wegen“, eine Ermutigung zu Vertrauen und Zuversicht, in dem er auch die anhaltende Krisensituation in der DDR reflektierte. Es entstand 1989 für den Traugottesdienst eines seiner Patenkinder und wurde in den Gemeinden der DDR schnell verbreitet. Wenige Tage nach dem Mauerfall erklang es in Jena im Gottesdienst zum Abschluss der Friedensdekade, und vor dem Hintergrund dieser starken Resonanz wurde es als Lied 395 ins neue Gesangbuch der EKD aufgenommen. Am 24. November 2010 beschloß der Stadtrat einstimmig, Klaus-Peter Hertzsch die Ehrenbürgerwürde der Stadt Jena zu verleihen; dies geschah am 2. März 2011 mit der Eintragung ins Goldene Buch der Stadt. Hertzsch war der erste Träger der Martin-Luther-Medaille des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), mit der bis zum Reformationsjubiläum Personen für herausragendes Engagement für den deutschen Protestantismus geehrt werden. Er habe mit seinen Predigten, Bibelarbeiten und Vorträgen, mit Gedichten und Liedern und durch seine Person „die Schönheit, Wahrheit und Klarheit des Evangeliums erschlossen“, hieß es zur Begründung. Seine zahlreichen ehemaligen Studentinnen und Studenten in Thüringen, Sachsen-Anhalt und darüber hinaus erinnern sich mit großer Achtung und großer Dankbarkeit an ihren theologischen Lehrer. „Praktische Theologie als Erzählkunst“, hieß seine Antrittsvorlesung 1969. Damit die große biblische Erzähltradition keine verkopfte „Erklärtradition“ werde, führte er Erzählkurse für seine Studenten ein. „Die Bibel redet ja von Gott nicht, indem sie ihn zu definieren versucht, sondern indem sie Geschichten erzählt“, so formulierte er in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag. Auch in seinen Vorlesungen bemühte er sich, seine Hörerinnen und Hörer für das Erzählen zu gewinnen, mit Vorlesungen über Johannes Bobrowski oder Heinrich Böll, Christa Wolf, Bertolt Brecht oder Tschingis Aitmatow, aus deren Schriften er weite Passagen auswendig zitierte. Er war auch in den eigenen Schriften ein Mann des gesprochenen Wortes. Seine Bücher und Beiträge sind, wegen seiner schweren Sehbehinderung, nicht an der Schreibmaschine entstanden, sondern wurden mitgeschnitten und dann zu Papier gebracht. Im Ruhestand entstanden so: „Nachdenken über den Fisch“ (1994), „Sag meinen Kindern, dass sie weiterziehn“ (2002), „Lass uns vorwärts in die Weite sehn“ (2004), „Alle Jahre neu“ (2005), „Chancen des Alters“ (2008) und zuletzt „Die Stärken des Schwachen. Erinnerungen an eine gefährliche Zeit“ (2012). Am 22. Dezember 2010 erschien in der Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ eine Meditation zum Fest, in der Klaus-Peter Hertzsch formulierte: „Weihnachten 1945 – nach mehr als fünf Jahren die erste Friedensweihnacht. ... Dass sich riesige Ströme von Flüchtlingen durch den klirrenden Winter schleppten, wussten wir nicht; denn die uns zugänglichen Nachrichten sprachen nur von heldenhaftem Widerstand tapferer Armeen. Aber in den Nächten saßen wir immer häufiger in unserm Luftschutzkeller. Weit entfernt am Horizont ein Feuerschein, und die Nachbarin sagte: »Kassel brennt.« Ostern feierten wir noch im Keller: Eisenach unter Beschuss; dann zogen die Amerikaner ein. Ein unvergessliches Jahr gleichsam zwischen den Zeiten. Nun ein unvergessliches Christfest. Die Schule hatte im Oktober wieder begonnen und war ganz und gar anders als in der Hitlerzeit. Die Russen waren als Besatzungsmacht nachgerückt, und man sah: Das waren Männer, die in ihrem Land vier Jahre systematische Ausrottung von Juden und russischen Frauen erlebt hatten und jetzt so arm und so hungrig wie wir waren. Unsre Häuser waren bis zur letzten Kammer überfüllt von Flüchtlingen, von niemandem willkommen geheißen. Und doch war es ein unvergesslich schönes Fest: Endlich Frieden.“ Am 25. November 2015 ist Klaus-Peter Hertzsch in Jena gestorben. Prof. Dr. Uwe Becker Dekan der Theologischen Fakultät Prof. Dr. Corinna Dahlgrün Lehrstuhl für Praktische Theologie