Giovanni Papini (1881-1956), ein zu Unrecht vergessener

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Giovanni Papini (1881-1956), ein zu Unrecht vergessener
Giovanni Papini (1881-1956), ein zu Unrecht vergessener
Schriftsteller
Von GEORG DENZLER
Wer kennt noch Giovanni Papini, der 1881 in Turin geboren wurde und 1956 dort starb?
Der Florenzer Autor vieler Werke war eine schillernde Figur, politisch wie auch
theologisch. Seine antikatholische Einstellung in der ersten Lebenshälfte wich nach
Rückkehr in die Kirche zu Beginn der zweiten Lebenshälfte dem Feuereifer eines
Vollblutkatholiken. Dies zeigte sich besonders in den „Briefen an Menschen, die sich
christlich nennen“, die er einen imaginären Papst Coelestin VI. schreiben lässt.
Adressaten sind Priester, Mönche und Theologen ebenso wie Dichter,
Geschichtsschreiber und Männer der Wissenschaft, getrennte Christen, Juden,
Christusferne und Menschen ohne Gott. Es ist wenig bekannt, dass Angelo Roncalli, der
spätere Papst Johannes XXIII., sich von diesen Briefen beeinflussen liess. Ob Papinis
mahnende Stimme nicht auch noch in den Diskussionen des 2. Vatikanischen Konzils
nachklingt?
Ich greife aus den fingierten Briefen des ebenso fingierten Papstes Coelestin VI. nur
zwei heraus, den an die Priester und den an die Theologen, weil sie heute noch
geschrieben sein könnten.
Die Priester müssen sich gleich einen schweren Tadel gefallen lassen: „Christus hat
euch das `Salz der Erde`genannt. Weshalb ist denn die Erde noch so schal, so
abgeschmackt, schal bis zur Albernheit, abgeschmackt bis zur Narrheit.“ Daran schliesst
Papini die alles entscheidende Frage: „Glaubt ihr wahrhaftig an Gott? Kennt ihr Christus
wirklich? Habt ihr euere Pflicht voll erfüllt?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Zu viele von
euch machen den Eindruck, nichts als einfache Kirchenbeamte zu sein - Türhüter, Küster,
Buchhalter, Rechnungsführer - anstatt dass sie unermüdliche, ruhelose, gebieterische
Apostel wären. Zu viele sind gleichmütige, mechanische Austeiler der Sakramente, statt
Zeugen, Bekenner und leuchtende Beispiele der Wahrheit zu sein, die von den Lippen des
Erlösers auf uns herabfloss... Nach Christi Wort sollt ihr einfältig sein wie die Tauben und
klug wie die Schlangen; ihr aber seid, leider Gottes, wie Tauben, die gern im warmen Nest
hocken, und wie Schlangen, die gern in windgeschützten Mauerritzen schlummern.“ Dann
holt Papini zu einem vernichtenden Rundumschlag aus: „Ich habe auch Geistliche
gesehen, die mehr für Bankgeschäfte oder für die Jagd begeistert waren als für ihr Amt,
solche, die mehr auf gute Küche hielten als auf guten Ruf, andere, die mehr der Politik
oder den Wirtschaftsfragen ergeben waren als der Wachsamkeit über das Seelenheil ihrer
Herde, und wieder solche, die besser geschwätzig zu reden wussten als auferbaulich.
Viele glichen weit weniger Priestern Christi als etwa wohlgenährten Verwaltern, kleinen
Landesedelleuten, in Welthändeln erfahrenen Agenten oder Spiessbürgern, die nur der
Zufall ins geistliche Fach geführt hatte.“ Sein Zorn über die Mittelmässigkeit geistlicher
Herren ist schonungslos: „Es genügt nicht, zu sein, was ihr seid: die Bademeister der
armen Menschenseelen, die sich noch in die Beichtstühle knien. Der grösste Teil der
Beschmutzten kommt ja gar nicht zu eueren Teichen, um sich dort rein zu waschen,
kommt nicht, sich mit dem Brot zu stärken, das ihr allein darreichen könnt.“ Aus alldem
zieht Papini die Folgerung, solche Seelsorger sollten sich nicht wundern, wenn „zum weit
grösseren Teil nur Frauen und Kinder“ zu ihnen kommen, und eben nicht “blühende
Jünglinge und erwachsene Männer“.
Papini beliess es aber nicht beim Kritiküben. Er erklärte auch, welche Erwartungen er
an die Priester hegte: „Ihr müsst tun, was ihr nicht mehr tut: die Laien berufen, die an
euerem Werk weiterarbeiten können, nicht an dem, was euch allein obliegt, aber am Werk
der Bekehrung und der Erlösung. Und ihr müsstet viel eifriger die Abseitsstehenden, die
Widerspenstigen, die Abtrünnigen, die Fortgegangenen, die Glaubenslosen, die
Christuslosen, die Gottlosen suchen gehen und in dem unwiderstehlichen Ansturm euerer
Liebe sie fühlen lassen, wie schön, wie gross, wie sicher unser Glaube ist... Wartet nicht
auf sie im Umkreis euerer Altäre, sucht sie dort, wo sie leben - lebten sie auch hinter
Festungsmauern und auf Strohmist - , und führt sie heraus, wie man den geraubten Sohn
wieder an sich reisst, bringt Glanz in das trübe Licht ihrer Auge, entsiegelt ihre
verschlossenen Herzen! ... Handelt nicht so, dass böswillige Laien meinen können, der
Katholizismus -wenigstens in der gebräuchlichsten und populärsten Andachtsform - sei
mehr ein Madonnenkult als die Verehrung der Dreifaltigkeit.“
Wenn man diese Klagen Papinis mit kritischen Stimmen der gegenwärtigen
Bischofssynode in Rom über weltlich gewordene Bischöfe und Priester vergleicht, dann
fällt die Feststellung leicht, dass sich an der heutige Situation gegenüber den Zeiten
Papinis nichts geändert hat.
Gleiches gilt für die Schar der Theologen. Der fingierte Brief Coelestins VI. an die
Theologen erinnert zu Beginn an die alles beherrschende Stellung der Theologie im
Mittelalter: „Die Theologie war dazumal die Königin der Wissenschaft, und nicht allein die
Philosophie war ihre Magd und Dienerin, auch alle anderen Lehrzweige waren es, und so
auch die Künste, alles, was den Menschen über das wilde Tier erhebt.“ Papini
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beantwortet auch, warum dies in seiner Zeit nicht mehr so ist: „Ihr trottet seit
Jahrhunderten auf der majestätischen Strasse der Tradition dahin und habt sie so
beschwerlich und staubig gemacht, dass selbst die unverdrossensten Wanderer es
vorziehen, die Berge auf steinigen Pfaden zu erklimmen oder im dichten Waldgestrüpp
umherzuirren. Viel zu lange schon hat sich unter euch kein genialer Geist mehr
gefunden... Ihr habt es nicht verstanden, den ewig gleichen Wein der Wahrheit in neue
Schläuche zu fassen und ihn in Kelchen darzubieten, deren Kristall klarer leuchtet als je
zuvor.“ Papini formuliert, worin nach seiner Überzeugung die Defizite der Theologie zu
sehen sind: “Seit Jahrhunderten seid ihr Theologen nur mehr Kompilatoren von
synoptischen Werken, Verfertiger von Handbüchern, Sammler von Gemeinplätzen, also
nichts anderes als langweilige Kommentatoren, Lexikographen und Exhumierer,
Glossierer und Widerkäuer von ehrwürdigen alten Texten. Redliche, fleissige, gelehrte
Korrepetitoren, aber eben nur Korrepetitoren... Jedes Jahrhundert hat seine besondere
Sprache, seine besonderen Gelüste, seine eigenen Träume und Probleme: ihr alle habt
die Uhr der Weltgeschichte im 19. Jahrhundert zum Stehen gebracht und setzt nun den
gefügigen Priesterkandidaten immerwährend die gleiche Suppe vor, ohne euch um die
Christen ausserhalb der Klosterpforten zu kümmern, die längst schon an Speisen gewöhnt
sind, die mehr den Appetit anregen und besser schmecken.“ Für eine Änderung dieser
erschreckenden Lage hält Papini dieses Heilmittel bereit: „Es ist nötig, dass ihr Theologen
euch trennt von den verstaubten Karrenwegen des ewigen Wiederholens, dass ihr euch
frei macht von der rein mechanischen Syllogistik und von der Pedanterie in Wort und
Form, die den Heutigen schon zu ranzig, zu verschimmelt in die Nase sticht.“ Seine
Argumentation liest sich, als ob sie in unserer Zeit geschrieben wäre: „Heute ermuntere
ich euch zum Wagemut... Die Wahrheit erlaubt keine Veränderung, sie ist nicht anfällig,
nicht der Mode unterworfen. Der Wortlaut der Offenbarung und die Glaubensdogmen
bleiben immer dieselben, zu allen Zeiten. Aber in den Offenbarungsarten kann eine neue
Sinngebung gefunden werden, die tiefer geht und bisher unbekannt war; und zu den
Dogmen, denselben Dogmen kann man auf neuen Wegen gelangen, die noch sicherer
führen als die alten Strassen.“ Schliesslich ermahnt er die Theologen, Mut zu zeigen und
ihre Hauptaufgabe zu erfüllen: „Den Christusglauben bis ins tiefste verständlich machen das ist ja euere Aufgabe - heisst die Liebe zu Christus nähren, heisst von hoher Ware aus
die Wandlung der Seelen herbeiführen... Ihr müsst aus dem engen und kalten Käfigleben
logischen Denkens heraustreten, um kühne Wegbereiter eine Wiedergeburt des
Christentums zu werden. Auch für euch, die man fast für Gespenster halten könnte,
eingehüllt in Talare, die von Motten zerfressen und im Lauf der Jahrhunderte
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fadenscheinig geworden sind, auch für euch gilt keine andere Wahl: entweder steigt ihr
hinab ins Schlachtgetümmel, als Träger der leuchtendsten Banner, oder ihr seid endgültig
verloren, niedergestampft von den umstürzlerischen Horden des Antichrist.“ Papini
beendet seinen Brief mit einem Gebetsversprechen: „Ich kann nichts anderes tun als
täglich beten, dass auch ihr aus den Gräbern steigen möchtet, damit die erleuchtende
Gnade des Heiligen Geistes immer machtvoller, immer befeuernder auf euch
herabkomme.“
Papinis persönlichstes Buch, eine Art Glaubensbekenntnis, ist sein „Leben Jesu“ (Storia
di Cristo, 1935). Im Vorwort äussert er die Meinung, dass „von den tausend Büchern, die
das Leben Jesu erzählten, dasjenige fehlt, das einen zufriedenstellen könnte, der eine
bekömmliche Nahrung für seine Seele sucht, wie in unserer Zeit alle sie brauchen, nicht
aber dogmatische Erörterungen oder gelehrte Spitzfindigkeiten. Er selbst will ein Leben
Jesu vorlegen, das „den ewig lebendigen Christus wieder als einen Lebendigen, als einen
Gegenwärtigen erscheinen lässt“, ohne „jede Rührseligkeit von Sakristeifrömmigkeit“, aber
auch „ohne die spröde Kälte jener Literatur, die wissenschaftlich tut, indem sie jedes
Jasagen ängstlich vermeidet.“ Ob Papinis „Leben Jesu“ nicht mehr überzeugt als das
theologisch überfrachtete Jesus-Buch des jetzigen Papstes?
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