Hommage für Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber (anlässlich
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Hommage für Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber (anlässlich
Hommage für Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber (anlässlich der Überreichung der Festgabe „Caritas Christi urget nos“ im Caritas-Pirckheimer-Haus zu Nürnberg am 09. November 2OO9) Hochverehrter Herr Jubilar, lieber Karl-Josef Exzellenzen, liebe Mitbrüder, sehr verehrte Damen und Herren! Der heutige 9. November ist für uns Deutsche ein bemerkenswerter und schwerwiegender Tag. Nur drei historische Ereignisse möchte ich dazu anführen. Am 9. November 1918 trat angesichts der Niederlage im Ersten Weltkrieg Kaiser Wilhelm II. zurück und ging ins Exil nach Holland, worauf sich die unstabile Weimarer Republik konstituierte und nach 15 Jahren der Nazidiktatur den Weg geebnet hatte. Diese inszenierte dann am 09. November 1938 die sog. Reichskristallnacht, jenes verabscheuungswürdige Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung. Dies hat sich mir als ganz kleinen Jungen tief in die Seele eingeprägt, wie ich auf dem Arm meines Vaters zusammen mit meinen Eltern auf die mit Fackeln erleuchtete Straße hinab sah, wo zwei Hausnummern weiter aus dem Judenhaus die Fensterscheiben und Wohnungseinrichtungen klirrend auf den Asphalt flogen und die jüdischen Bewohner unter Gejohle fortgeprügelt wurden. Und schließlich der 09. November 1989, der Tag, an dem abends die Mauer und die unmenschliche innerdeutsche Grenze geöffnet wurde und der Gang der DDR auf den Müllhaufen der Geschichte begann. Ich stand oft am Stacheldrahtzaun und blickte wehmütig hinüber in einen mir völlig unbekannten Teil unseres deutschen Vaterlandes. Mit Eugen Biser bin ich der Meinung, dass es sich bei dieser friedlichen Revolution auch um ein sichtbares Eingreifen Gottes in den Lauf der Geschichte gehandelt hat. Und darum ist mir und vielen anderen völlig unbegreiflich, wie durch das Wählen der Partei „Die Linke“ und das Paktieren mit ihr Verrat geübt wird an dem, was vor 20 Jahren die friedliche Revolution erreicht und auf den Weg gebracht hat, und auch ein Verrat an den zigtausend Menschen erfolgt, die damals furchtlos auf die Straßen gingen. Und in diesem historischen Kontext feiern wir heute unseren Jubilar aus Anlass seines 50jährigen Priesterjubiläums und seines 75. Geburtstages. So sei es mir als „Konzilspriester“ (ich bin hier in Nürnberg in der Zeit des Konzils und im Pontifikat Papst Johannes’ XXIII. von unserem damaligen Bamberger Erzbischof Josef Schneider zum Priester geweiht worden) gestattet, dass ich ein paar persönliche und unkonventionelle Gedanken darüber vortrage, wie denn wir Priester unsere Berufung in dieser Zeit und Kirche, die uns vergönnt und aufgetragen ist, verwirklichen und leben sollten. Denn das Priestertum ist niemals das Schicksal einer einsam begnadeten Seele mit Gott. Vielmehr braucht der moderne Mensch, der in unserer religiös so antlitzlosen Zeit auf der Suche ist den Priester, in dem sich stets neu die große Leidenschaft Gottes für die Menschen warm und deutlich zeigt, in dem Gott seinen Weg der Liebe zu den Menschen zu Ende gehen will. Wir erleben in unserer Zeit, dass man die subjektive und schreierische Sprache der Massenmedien und der Werbung vielfach zur Norm der Beurteilung und Verurteilung von Menschen machen kann; wir erleben ferner, dass man Universität, Schule und Unterricht reformieren kann und dafür Milliarden auf den Markt wirft und sich dennoch wenig Gedanken macht, nach welchem Leitbild denn Studenten und Schüler gebildet werden sollen; wir erleben des weiteren, dass die Zerstörung unserer Umwelt und Ressourcen und damit unserer Lebensgrundlagen scheinbar unaufhaltsam fortschreitet, weil selbstsüchtige Industrie-Lobbys und unser geistloser Konsumrausch verhindern, verantwortungsbewusst mit den Rohstoffen und Energien umzugehen; wir müssen feststellen, dass man um einer angeblichen Freiheit willen lebenden Kindern das Leben abdreht, aber man kaum sagen darf, man solle wegen der blechernen Übervölkerung auf unseren Straßen eine „Geburtenkontrolle“ für Autos erwägen – im Gegenteil, das Ganze wird durch Abwrackprämien noch gefördert; wir erfahren, dass man im feudalen, privaten Hallenbad oder in der Sauna mit Freunden und Freundinnen über die Verderblichkeit des Wohlstandes und über die Gefahr des Herzinfarktes philosophieren kann, aber sich ebenso eine Stunde später vor dem Altar der ungehemmten Entfaltung und Selbstverwirklichung, des Erfolges und des Prestiges niederkniet, um vor diesen Götzen das stille Wachsen einer Familie, das Horchen auf Gott und die Freude am Tapferen und Guten zu opfern; wir erfahren aus den Medien, dass die unersättliche Raffgier nach Geld von verantwortungslosen Bankern, welche die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ausgelöst hatte, diesen in keiner Weise die Schamröte ins Gesicht treibt, vielmehr wird wieder kräftig spekuliert und werden die überdimensionalen Boni eingeklagt; wir haben vor einigen Wochen erleben müssen, dass zwei gewalttätige Jugendliche an einem S-Bahnhof in München einen Mann, der sich schützend vor Kinder stellte, zu Tode schlugen und trampelten, und dass wenige Tage später nicht weit von hier in Ansbach ein Abiturient in seinem Gymnasium Amok lief und dabei zwei Mitschülerinnen lebensgefährlich verletzte, dies alles, weil wir in einer gewaltgeneigten Welt leben, in der Werte immer mehr zerbröseln; wir haben erst vor wenigen Tagen mitbekommen, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof allergrößte Schwierigkeiten mit Kreuzen in öffentlichen Gebäuden hat, weil ein Kruzifix angeblich die Religionsfreiheit verletzt; wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Erosion und Verdunstung des Glaubens in unserer Gesellschaft immer weiter fortschreiten und Unzählige den Kirchen den Rücken kehren, sich andererseits aber Zigtausende, vor allem Ungetaufte, auf der Suche nach Sinn und Lebensorientierung befinden und einen diffusen Transzendenzbezug in sich tragen; schließlich aber müssen wir konstatieren, dass, wie unlängst geschehen, eine Bischofskonferenz nach Bekanntgabe der ungemein hohen Austrittszahlen des letzten Jahres dies achselzuckend und hilflos-ratlos zur Kenntnis nimmt, und wir haben des weiteren in diesem Zusammenhang zu konstatieren, dass ein erheblicher Teil des engagierten Kirchenvolkes, enttäuscht über die Reformunwilligkeit der Kirchenführung, in die innere Emigration abwandert, weil nicht diese sich von der Kirche distanzieren, sondern die Kirche sich von ihnen distanziert (vgl. Sinus-MilieuStudie). Dies ist die Erfahrung dieser unserer Welt und Kirchenzeit, in der jeder von uns Priestern seine Berufung zu leben hat, die ununterbrochen zur Frage herausfordert. Und das ist gut so; denn eine Priesterschaft, die nicht zur Frage herausfordert, ist gar nicht mehr wert, gefragt zu werden. Die Kirchengeschichte lehrt uns sehr nüchtern, welche Phasen und Entwicklungen die Kirche durch die vielen Jahrhunderte gegangen ist; es waren geistgewirkte Wege, aber es gab auch nicht selten Wege voller Menschlichkeiten, Verfehlungen und Ungereimtheiten. Und viele von uns hier haben es vor über 45 Jahren selbst erlebt: die frische Luft durch die offenen Fenster des Konzils und eine Atmosphäre des Vertrauens und des Aufbruchs in der Kirche, dann in den letzten Jahren, vor allem in den letzten Monaten aber auch die Beklemmung und Angst in der Kirche vor der eigenen Courage, Feldgeschrei von links, Feldgeschrei von rechts. Was wir morgen erleben werden, wissen wir nicht. Als Glaubende aber wissen wir, dass die Kirche aus dem Geist Jesu Christi unzerstörbar lebt. Von daher wehe einer Kirche, die sich verkürzen lässt auf eine gute Organisation, auf eine bloße Lehre, die man im Katechismusbüchlein mit sich herum tragen kann, die sich verkürzen lässt auf einen seelsorgerlichen Selbstbedienungsladen und Dienstleistungsbetrieb. Sie ist ungemein mehr! Und wehe einer Kirche, deren „pastoraler Notstand“ von ihrem Amt und nicht von den Gläubigen verursacht ist. Wehe aber auch einer Kirche, die sich aus Ängstlichkeit und Machterhalt demonstrativ der Moderne verschließt oder sich in unbegreiflicher Weise den verstockten Piusbrüdern anbiedert und sich von ihnen auf der Nase herumtanzen lässt, von Leuten also, die im nahen Ecône, wie uns die 88jährige Mutter unserer Gastgeber vor einem Monat im französischen Teil des schweizerischen Kantons Wallis sagte, „unbarmherzig sind und nur Angst, Teufel und Hölle predigen“. Wehe also einer Kirche, die den Geist auslöscht und prophetisches Reden verachtet (vgl. 1 Thess 5, 19f); eine solche Kirche wird nicht Gottes Volk sein, und Gott wird nicht ihr Gott sein (vgl. Ez 36, 28), sie trüge vielmehr einen Todeskeim in sich. Und ein solcher Todeskeim ist zweifellos die Wirklichkeit, wenn die Gruppierungen in der Kirche, deren Feldgeschrei von rechts wie von links ertönt, sich gegenseitig jeweils in den schwärzesten Farben darstellen und damit Negativbilder über ihre Kirche produzieren. Wer der bessere katholische Christ oder bessere Priester ist, diese Entscheidung sollte man am besten dem überlassen, der über allen und allem steht. Und nicht zuletzt deshalb wird man die Kirche entsprechend der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ des Vaticanum II erfahren müssen als Communio, als Gemeinschaft, als Volk, beschenkt mit dem neuen Geist (vgl. Ez 36, 26), als Gemeinde im Namen Jesu Christi und um ihn versammelt - oder man wird sie aus dem Blick verlieren. Diese Gemeinschaft und Gemeinde Jesu kann in der heutigen Zeit und säkularisierten Gesellschaft aber nur leben, wenn es in ihr und für sie Priester gibt, gezeichnet, berufen und geweiht. Was wir heute in der Kirche brauchen, sind Frauen und Männer und damit auch Priester, die getragen sind von einem tiefen Gottvertrauen, von einer existentiellen Gottverbundenheit, ja von einer unverbogenen Gottes- und Menschenleidenschaft, von gesundem Menschenverstand und von einem lächelnden Humor, von missionarischer Begeisterung und spirituell-theologischer Hellsichtigkeit sowie von einem Sich-offenHalten für die Überraschungen des Heiligen Geistes. Zudem gilt, aus dem Wort Gottes und aus der spirituellen Tiefe der mystischen und gottesdienstlichsakramentalen Tradition zu schöpfen sowie aus einer österlichen Hoffnung, orientiert am Christusgeschehen und verdichtet in einer existentiell durchdrungenen Feier der Eucharistie, zu leben. Und von daher sind dann in der gegenwärtigen Zeit auch Priester und Seelsorger/innen in der Lage, glaubwürdig Visionen zu entwickeln, die Zeichen der Zeit zu erkennen, Dialogbereitschaft im Zeichen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu praktizieren und immer wieder in die Zukunft aufzubrechen. Die heutige säkularisierte Gesellschaft stellt an die Kirche und ihre Seelsorge - „denn Seelsorge der Zukunft wird missionarisch sein oder sie wird überhaupt nicht mehr sein“ (Bischof Joachim Wanke) - und damit auch an die Seelsorger/innen und vor allem an die Priester, vielfältige und enorme Herausforderungen. Wie aber wollen frömmlerische, verkrampfte oder psychisch labile Priestergestalten den nach Sinn und Lebensorientierung suchenden Menschen Helfer und Begleiter sein? Denn eine „Frömmigkeit“, die nicht zu denken bereit ist, wird den derzeitigen Herausforderungen nicht standhalten. Der Herr erwartet gerade von uns Priestern dramatisch mehr. Ob dem neoklerikale Gestalten, die noch vor wenigen Jahren kleidungsmässig bunter als bunte Vögel herumliefen und urplötzlich sich tiefschwarz und mit Kalkleiste kleiden, gerecht zu werden vermögen, wenn es darum geht, konsequente Entschlossenheit zum Abenteuer der Jüngerschaft auch und gerade dann zu leben, wo man in der Gemeinschaft mit ihm Widerspruch erfährt, weil man zum Außenseiter, zum Nonkonformisten wird, der sich gegen den Trend der Zeit stellt, das wage ich sehr zu bezweifeln. Denn nur in liebender Hingabe, im Verzicht auf das nervöse Hasten nach dauernder Selbstbestätigung, in der Absage an materielle und geistliche Machtausübung oder an andere Ziele eines selbstsüchtigen Lebensprogramms gewinnt der Priester Profil, Persönlichkeit, Identität mit sich selbst, Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen. Auf diese Weise wird man auch frei von den Zwangsmechanismen egoistischer Selbstversklavung und lernt die neue, nicht weniger vitale Dynamik eines Lebens kennen, das in der Nachfolge Jesu die Umwertung aller „Werte“ riskiert. Dieser kurze Versuch eines facettenreichen heutigen Priesterbildes deckt sich mit den Überlegungen, die Karl Rahner in seinem kürzlich wieder neu herausgegebenen Buch „Der Priester von heute“ niedergelegt hat. Das jetzige Priesterjahr ist meines Erachtens weder geeignet, den Priester für die Menschen auf den unerträglich hohen Sockel eines Pfarrers von Ars zu stellen noch auf der anderen Seite die literarische Figur des Don Camillo als Vorbild für heutige priesterliche Existenz aufzubauschen. Wie mir scheinen will, verkennt beides ziemlich deutlich die Realität. Und wie ich Dich, lieber Karl-Josef, kennenlernen durfte, sind die Koordinaten Deines Priestertums und Deines Dienstes als päpstlicher Diplomat anders ausgerichtet. Dies macht ja Dein Wahlspruch „Caritas Christi urget nos“ (Die Liebe Christi drängst uns) überdeutlich. Die Herzlichkeit Gottes in Jesus Christus zu leben, das war und ist für Dich der innerste und tiefste Sinn Deiner Berufung. Und für Dich als Kirchenrechtler war auf allen Deinen Arbeitsfeldern Richtschnur, was am Ende des kirchlichen Gesetzbuches von 1983 zu lesen ist:“ Salus animarum suprema lex“ (Das Heil der Seelen ist das höchste Gesetz). Von daher war es sehr wohl angemessen, Dir zu Deinen beiden Jubiläen und zum Eintritt in das verdiente Otium diese bescheidene mehrsprachige Festgabe/Festschrift, die als Titel Deinen Wahlspruch trägt, heute überreichen zu dürfen. Mögest Du daran viel Freude haben und durch sie auch Motivation erfahren, weiterhin im Sinn des unvergessenen seligen Papstes Johannes XXIII. Zeugnis davon zu geben, „dass Tradition nicht Anbetung der Asche bedeutet, sondern Weitergabe des Feuers“. Univ.-Prof. em. Dr. Karl Schlemmer Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber bei der Feier der Eucharistie in Erlangen-Eltersdorf (Oktober 2005)