Reportage von BRAND Eins

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Reportage von BRAND Eins
„Ich habe einfach viel Angst, und die lebe ich aus“: Leopold Seiler, Vermögensberater mit sozialer Ader
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BRAND EINS 12/08
SCHWERPUNKT: GLÜCK
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Wer einmal im Casino gewonnen hat, setzt weiter Geld aufs Spiel.
Weil die Gier den Verstand besiegt.
Doch das ist für den Vermögensberater Leopold Seiler
kein Naturgesetz.
Text: Ingo Malcher Foto: Lukas Schaller
• An jenem Morgen, als der Deutsche Aktienindex (Dax) verrückt spielt und eine Stammaktie von Volkswagen zwischenzeitlich 1000 Euro wert ist, betritt Leopold Seiler das Wiener Café
„Mozart“. Er schaut kurz auf den Zeitungsständer, überfliegt
die Titelzeilen, die kein anderes Thema haben als die heraufziehende Wirtschaftskrise. Dann hängt er sein Jackett über einen
Stuhl, bestellt eine Melange und ein Ei im Glas und greift zu
einer Schrift über Moralphilosophie als Frühstücks-Lektüre.
Demonstrativ stellt er schon am frühen Morgen eine Gelassenheit zur Schau, die gegenwärtig kaum noch jemand aus seiner
Branche aufbringt.
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Etwa 15 Gehminuten vom Caféhaus entfernt hat Seiler das
Büro seiner Vermögensverwaltung in einem Altbau untergebracht. Zusammen mit der PEH-Gruppe verwaltet er das Vermögen privater Anleger. Seine Kunden sind wohlhabende Industrielle, Pensionsfonds, Stiftungen. Die Mindesteinlage beträgt
350 000 Euro. Im Jahr 2008 ist das Durchschnittsportfolio seiner Kunden bislang noch mit 1,8 Prozent im Plus. In derselben
Zeit hat sich der MSCI-Weltaktienindex beinahe halbiert. Fonds
renommierter Geldhäuser sind trotz ausgeklügelter mathematischer Modelle in sich zusammengefallen, während Leopold
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Seiler Verluste weitgehend vermied.
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Glück? „Es ist das Glück des Tüchtigen“, sagt der ZweiMeter-Mann, drückt kurz den Rücken durch und wirbelt wie
beim Schwimmen mit den Armen. „Man kann auch gewollt passiv sein.“ Das bedeutet: nicht mitspielen, wenn alle die Einsätze
erhöhen, und schon in guten Zeiten die Vernunft walten lassen.
Es geht darum, zu verstehen, dass jede Schraubenfabrik abhängig von den Finanzmärkten und die Sphäre der Banken nicht
vom Rest der Welt abgekoppelt ist. Dass die Bezeichnung „Realwirtschaft“ in die Irre führt – oder sind Banken vielleicht irreal?
Irreal sind höchstens die Ideen, die manche ihrer Mitarbeiter
hatten. „Der pädagogische Reiz der Krise ist, dass man wieder
realistisch denken und die Zusammenhänge des Systems sehen
muss“, sagt Seiler. Genau darum bemüht er sich als Vermögensberater für Millionäre und als Verwalter eines Fonds für Mikrokredite für die Armen.
Noch bis vor gut einem Jahr schien es so, als hätten sich die
Kapitalmärkte auf hohem Niveau stabilisiert. Die Internet-Blase
war längst vergessen, und das einfache physikalische Gesetz, dass
alles, was steigt, auch wieder fällt, schien außer Kraft. Anlageberater versprachen ihren Kunden weiter in den Himmel wachsende Gewinne. In manchen Unternehmen setzte der Verstand
komplett aus. Die Deutsche Bank erklärte eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zum Ziel – und erreichte sie auch. Konzernchefs, die in einem Jahr die Aktie ihres Unternehmens um zwölf
Prozent in die Höhe trieben und im nächsten nur sieben Prozent
erreichten, wurden auf den Hauptversammlungen von enttäuschten Aktionären mit Vorwürfen wegen der schlechten Performance
überhäuft. „Wir erlebten eine Zeit, in der die Logik schlicht ausgeblendet wurde. Wachstum schien keine Grenzen mehr zu
haben“, sagt ein Investmentbanker rückblickend.
Der Schlüssel zur Vernunft: einfache
Prozentrechnung statt komplexer Formeln
Nur wenige erkannten das Wetterleuchten am Horizont: zu viel
Geld, das Anlagen suchte, Fantasiepreise bei Übernahmen, Kredite ohne Sicherheiten – und realitätsferne Renditeziele. Dabei
wäre es so einfach gewesen: „Wenn die Weltwirtschaft im Jahr
2006 um 3,2 Prozent wächst, kann ich keine 12 Prozent Gewinn
erwirtschaften. Wo soll der denn herkommen?“, fragt Seiler und
zieht die breiten Schultern hoch. Dann bemüht er ein Bild: „Aus
einem Teich, in dem 20 Forellen schwimmen, ist es vermessen,
21 herausfischen zu wollen.“
Was so einleuchtend und selbstverständlich klingt, hat man seit
Jahren von Bankmanagern selten gehört. Neuerdings aber zählen
solche Sätze zum Standardrepertoire all derjenigen, die es jetzt
nicht gewesen sein wollen. Einer der wenigen, die schon seit
Jahren mahnen, ist Heiner Flassbeck, einst Staatssekretär im
Bundesfinanzministerium, heute Chefökonom der Welthandelsund Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD).
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Sein Dauerargument, dass die Aktienmärkte nicht ewig stärker
wachsen könnten als das Bruttoinlandsprodukt, verhallte in der
Gier-ist-geil-Epoche.
Aber bei einigen kamen solche Warnungen an. Seiler verbannte schon vor etwa zwei Jahren alle Aktien aus den Portfolios
seiner Kunden. Auch der Vermögensberater Jörg Schallehn, 54,
reinigte die Depots seiner Kunden bereits vergangenes Jahr von
Bankaktien und Zertifikaten. Anfang dieses Jahres senkte er die
Aktienquote auf null. „Die Kurse waren zu hoch. Da musste man
sich schützen“, sagt der Geschäftsführer von Schallehn Family
Office. „Manchmal sind die Privatbanken eben blind. Ihre Mitarbeiter dürfen oft keine eigene Meinung haben.“
Für Seiler hat die gegenwärtige Krise der Banken denn auch
wenig mit Pech zu tun: „Sie trifft viele, die sie treffen muss.“ Er
dagegen hat ganz altmodisch Kundengelder in Staatsanleihen
gesteckt. Um noch etwas mehr zu verdienen, investierte er in
Rohstoffzertifikate und Hedgefonds. „Aber nur in solche, die
keine Leerverkäufe machen und nicht versuchen, mit Unsummen
von Schulden die Performance zu hebeln.“ Damit verzichtete er
bewusst auf hohe Ausschläge nach oben. Denn Seiler denkt bei
der Geldanlage zuerst an Risiko, dann an Rendite. „Ich habe einfach sehr viel Angst, und die lebe ich aus.“
Die Angst rührt womöglich daher, dass er statt komplexer
Algorithmen die einfache Prozentrechnung anwendet. Seiler sagt:
„Wer von zehn Euro zehn Prozent verliert, ist bei neun Euro. Um
wieder auf zehn Euro zu kommen, braucht er jetzt eine Rendite
von elf Prozent.“ Schlimmer noch ist es, wenn sich ein Depot halbiert, wie es jetzt mit vielen geschehen ist. Dann muss der Investor eine Rendite von hundert Prozent erwirtschaften, um wieder
am Ausgangspunkt anzukommen: ein fast aussichtsloses Unterfangen. „Denn das Gemeine dabei ist, dass die Prozentrechnung
jeden Morgen in der Frühe von Neuem beginnt. Minus 99 Prozent
sind also jeden Tag drin“, sagt Seiler. Deshalb lautet sein Credo:
Keine Experimente – dann braucht es auch weniger Glück.
Eine glückliche Hand hingegen braucht der Kunde. Das zumindest glaubt der Mitarbeiter eines international tätigen Geldinstituts,
das eine Heerschar von Private-Banking-Kunden betreut. „Es gibt
viele kleine Vermögensverwalter, und viele verstehen sicherlich
etwas von ihrem Geschäft. Aber das heißt nicht, dass man mit
ihnen automatisch besser fährt. Wir haben eine eigene ResearchAbteilung mit Analysten, die die Märkte weltweit im Auge haben.
Das kann eine Klitsche überhaupt nicht leisten“, sagt er.
Derlei Einwände prallen an Seiler ab. „Was sollen die mehr
wissen? Wirklich Bescheid weiß nur der Chef eines Unternehmens, und der darf nichts sagen. Deshalb darf der Analyst nichts
wissen. Und wer weiß, was eine Bank für Positionen hält und
ob der Berater nicht eine Aktie hochjazzen muss?“ Seiler greift
in seine Ledermappe und zieht ein pinkfarbenes Portemonnaie
heraus, das aus alten Tetra Paks hergestellt wurde. Er bezahlt sein
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Frühstück, zieht das Jackett an und geht zu seinem Büro.
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Im Jahr 1989 war Leopold Seiler gerade 18 Jahre alt, und alle
nannten ihn den Poldi. Neben der Schule jobbte er in seiner Freizeit bei einer Tochter der Raiffeisen-Versicherung, und als einige
der Manager der Abteilung Vermögensverwaltung ihre eigene
Firma namens Vienna Portfolio Management (VPM) gründeten,
nahmen sie Seiler mit. Mit 19 betreute er wohlhabende Kunden
und wollte ihnen etwas mehr bieten. Da rief er bei einigen FondsGesellschaften in London an und sagte seinen Spruch auf: „Wir
sind eine super Vermögensverwaltung in Wien und würden gern
Ihr Repräsentant werden.“
Nur bei einer Bank hat man den Telefonhörer nicht sofort
aufgelegt, sondern den Poldi nach London eingeladen. Adresse:
155 Bishopsgate. Es war die traditionsreiche Barings Bank. In
ihren besten Anzügen flogen Seiler und seine Kollegen nach London und kamen tatsächlich mit einem Exklusiv-Vertrag zurück.
VPM war fortan für den Fondsvertrieb die Barings-Repräsentanz
für Deutschland und Österreich.
Millionärsberatung ist sein Beruf –
Mikrokredite sind seine Berufung
Als im Jahr 1995 die Barings Bank wegen Fehlspekulationen
ihres Mitarbeiters Nick Leeson Pleite machte, hatten weder VPM
noch deren Kunden Verluste zu beklagen – denn im Portfolio der
Fonds befanden sich keine Barings-Papiere. Danach gelang es der
Truppe, Fonds unterschiedlicher Anbieter zu vertreiben, und sie
fingen an, unabhängig zu beraten. Im Jahr 2006 schloss sich VPM
mit der Frankfurter PEH zusammen, um gemeinsam stärker zu
werden. In der neuen Firma arbeiten 80 Mitarbeiter in Büros
in Deutschland und Österreich. Leopold Seiler hält Anteile an der
neuen Firma.
Seiler legt Haydns Symphonie Nr. 94 („mit dem Paukenschlag“) in den CD-Spieler und zündet die Kerze unter der Duftlampe an. Im Computer klickt er auf das Depot eines Kunden, in
dem erstaunlich wenige unterschiedliche Wertpapiere liegen. „Das
spart Gebühren“, sagt er. Dann schaut er auf die Kurse. Der Dax
ist gestiegen, die Volkswagenaktie allein rettet ihn ins Plus. „Ungeheuerlich“, sagt Seiler. „Die ist gnadenlos überbewertet.“
Dann klickt er in ein ganz anderes Portfolio. „Vision Microfinance“ steht darüber. Seiler ist auch Verwaltungsrat eines Fonds,
der Banken finanziert, die in Asien, Lateinamerika und Osteuropa Kleinkredite vergeben. 75 Millionen Euro haben er und sein
Team dafür bereits eingesammelt – der Etat der österreichischen
Entwicklungshilfe liegt bei 100 Millionen – und den Investoren
eine Rendite von fünf Prozent beschert. Millionärsberatung ist
sein Beruf, Mikrofinanz seine Berufung, sagt Seiler. Mit den Mikrokrediten greift er direkt in den Produktionsprozess ein. Da sind
keine verflixten Derivate im Spiel. Die Bank finanziert Firmengründer, die eine Nähmaschine oder einen Kühlschrank kaufen
wollen, um etwas herzustellen oder zu handeln – ganz konkrete
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Bankgeschäfte zu ganz konkreten Zwecken. Auf den Philippinen
finanziert Vision Microfinance jene Bank, die den Frauen Kredite
gibt, die aus Tetra Paks Portemonnaies herstellen. Für ein Darlehen an die Bank nimmt der Fonds acht Prozent Zinsen. Die Bank
wiederum vergibt den Kredit auf den Philippinen für 21 Prozent.
Zuvor waren die Frauen auf Geldverleiher angewiesen, die ihnen
an die 20 Prozent Zinsen abnahmen – pro Tag.
„Die Mikrofinanzbank setzt an dem an, was möglich ist. Wie
viel kann jemand zurückzahlen? Was braucht er? Wofür gibt es
einen Markt? Wenn es eine Nachfrage gibt für ein Produkt, das
jemand herstellen will, helfen wir es zu finanzieren“, sagt Seiler.
Und damit mit der Mikrofinanz nicht dasselbe passiert wie in der
Finanzbranche in Europa und in den USA, bekommen die Mikrokreditberater zwar auch Prämien – sie sind jedoch an die Rückzahlquote gekoppelt, nicht an den Umsatz.
An 61 Banken in 19 Ländern vergibt der Fonds bereits Kredite. Angefangen hat alles auf einer Tagung in Singapur, als er
Muhammad Yunus begegnete, dem Gründer der Grameen Bank.
Yunus, damals noch kein Friedensnobelpreisträger, war zurückhaltend und hat Seiler so sehr beeindruckt, dass er seinen Kunden Mikrofinanzfonds anbieten wollte. Zurück in Wien, suchte
er nach passenden Produkten. Zwar fand er 53 Fonds, doch fast
alle investierten in die Mikrobanken und nicht in die Kreditvergabe. Das gefiel ihm nicht: „Alle haben in Bibliotheken investiert,
kaum einer in Bücher.“ Seiler will nicht in Institutionen anlegen,
sondern in Menschen. Also setzte er mit einem Partner seinen
eigenen Fonds auf. Seine Losung ist: „Arme Menschen brauchen
kein Mitleid, sondern Zugang zu Kapital.“
Doch nicht alle teilen diese Meinung. Der Entwicklungstheoretiker Walden Bello von den Philippinen erkennt an, dass die
Grameen Bank von Yunus das Leben vieler Menschen verbessert
hat. „Aber es sind nicht die ganz Armen, die in den Genuss dieser Kredite kommen“, schreibt er. „Mikrokredite sind eine Überlebensstrategie, aber sie sind kein Weg für Entwicklung. Dies
würde kapitalintensive Anstrengungen seitens des Staates bedürfen, um Industrien aufzubauen und die Strukturen der Ungleichheit zu zerschlagen.“
Leopold Seiler gesteht dies ein: „Mikrokredite sind kein Allheilmittel, das immer und überall funktioniert.“ Dann macht er
wieder eine Pause, holt Luft und sagt: „Aber sie sind wesentlich
konkreter als vieles, was wir heute auf den internationalen Finanzmärkten sehen. Überhaupt: Wenn man die Welt als Ganzes betrachtet, ist die Finanzkrise eine Illusion. Die Mehrheit der Welt
hat nämlich ganz andere Sorgen: 1,4 Milliarden Menschen leben
mit weniger als einem Euro am Tag“, so Seiler. „Und eines kann
ich ganz sicher sagen: Denen ist es egal, ob der Dax heute steigen oder fallen wird.“
Bis Weihnachten will er von reichen Investoren weitere 25
Millionen Euro einsammeln. Mit einer Renditeaussicht von fünf
Prozent.
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