MdS Gschichtel

Transcrição

MdS Gschichtel
Marathon des Sables
Ultimate test or worst nightmare
Vorgeschichte
Den Kopf voller Eventualitäten, die mir verraten könnten, was noch mitzunehmen
interessant wäre, sitze ich in meinem Wohnzimmer zwischen Bergen von Ausrüstung. Ich
fühle mich wie nach dem „ersten Mal“, für viele mehr oder minder ein aha-Erlebnis: „ich
hab’s wirklich getan!“, manche bemitleidenswerte sagen: „hab ich’s getan?“ oder noch
schlimmer: „war ich das etwa?“.
Die Anmeldung zum MdS ist ungefähr das Selbe: im August viel e-mail-Verkehr, im
Herbst fast vergessen, im Winter das berühmte ‚jetzt sollte ich was tun’, im März die
Realisierungsphase, dass es langsam ernst wird.
Die Geschichte mit dem MdS hatte vor gut 10 Jahren mit dem Kauf eines Buches
begonnen, das den klingenden Titel: „100 things to do before you die“ trug. Ich habe es
zwar nicht geschafft als erste Frau die Pallavic’ mit Schier zu befahren, habe nie
beabsichtigt beim Magnum Rattlesnake Derby in Oklahoma dabei zu sein aber auf Seite
158 klebt nun seit dem Kauf ein Post-it. „… one of the world’s most brutal foot races …“
turnte mich an.
Im CD-Player läuft Schwanensee, ich stopfe, schütte, klebe, leere um, probiere, drücke
aus (die Zahnpastertube – ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so geizig mit Gewicht
umgehe), teile, disponiere und transpiriere bis über 14.000 kcal säuberlich portioniert
sind, die Wäsche auf ein Minimum reduziert ist, die Schuhe sandtauglich sind – oder ich
das zumindest annehme - ich das Reglement auswendig kann und das richtige Paar
Socken auserwählt wurde… Ein gutes dreiviertel Jahr trainiere ich jetzt (nicht dass ich
vorher nichts gemacht hätte), bin seit Jahresbeginn über 1200 km gelaufen aber ich
benötige heute, eine Woche vor Start geschlagene 2 Stunden bis ich mir über meine
Socken im klaren bin!
Das Rennen
Nun sitze ich am Pool eines dezenten Hotels in Ouarzazate. Die Anlage ist ebenerdig und
zurückhaltend gebaut, im Schatten der Palmen steht eine kleine Bar um die Kellner in
weißen Hemden, Krawatten und Jacketts geschäftig herumeilen. Am anderen Ende des
Pools sitzen Franzosen die sich leise unterhalten, im Hintergrund plätschert ein
Springbrunnen.
Seit gestern ist der Marathon des Sables für mich Geschichte, gestern bin ich durch
dieses Ziel zum letzten Mal durchgelaufen und so erledigt ich war, kommen mir erst jetzt
die Tränen der Freude. Gut 10 Jahre weiß ich nun von seiner Existenz, immer wieder
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erinnerte ich mich daran, versuchte mich darauf vorzubereiten ohne einer Vorstellung
davon zu haben wie es ist bei 42° und 13% Luftfeuchtigkeit zu laufen, sechsmal Etappen
mit Distanzen zu bewältigen, die einzeln für sich schon eine Herausforderung sind, sich
daneben selbst zu Versorgen, gut zu schlafen, mit kleinen medizinischen Problemen
zurande zu kommen.
Die Flughafenautobahn um 4 Uhr in der Früh … finster, leer, verschlafen … schon oft war
sie mittlerweile Start in andere Welten, zu neuen Begegnungen und Erfahrungen. Erst
auf ihr komme ich in die Stimmung, in der ich bereit für neues bin. Auf ihr lasse ich alles
Bekannte und Vertraute hinter mir. Nun bin ich gespannt auf den Orient verzerrt durch
ein 220km langes Rennen durch die Sahara. In Frankfurt wird mir, verursacht durch eine
Umbuchung der Air Maroc, ein Essensgutschein im Wert von 15 Euro zu teil. Beim Check
In mache ich erste Bekanntschaften mit anderen Läufern. Zu viert beschließen wir diese
15 € in Mc’ Donalds zu investieren. Erst im Laufe des Rennens stellt sich heraus, dass das
die beste Idee war, die wir haben konnten. Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, wie
schwierig es ist 15€ bei Mc’ Donalds zu vernichten. Bei 13,83 musste ich aussteigen.
Diese Erfahrung entschädigt mich für einen der umständlichsten Flüge, die ich je
genossen hatte.
Eine sechsstündige Busfahrt in die Wüste, kennen lernen der Zeltbelegschaft, ein letztes
Abendessen, über sich ergehen lassen von technischen Kontrollen, eine letzte
Teilnehmerbesprechung lassen Freitag und Samstag nur langsam vergehen. Jedes Mal,
wenn ich am Startareal vorbeigehe, das sich zwischen Läufer-Biwak und den Zelten der
Organisation befindet, überkommt mich ein kalter Schauer.
Sonntag, 25.3.07, 9:30 steht Patrik Bauer mit seiner Dolmetscherin zum ersten Mal auf
seinem Landrover hinter dem Start und richtet letzte Anweisungen an die 756 Starter.
Laute Musik, das riesige Startbanner, Werbung, Hubschrauber, Journalisten, Wind,
beginnende Mittagshitze, tobende Menge: „cinque, quatre, dres, deux, une, bon chance!“
gibt uns Patrik Bauer auf den Weg mit. Das wars … der Start zum 22. Marathon des
Sables 2007, 10 Jahre Vorbereitung waren zu Ende, endlich laufe ich unter diesem
magischen Transparent durch, das ich im Internet oft sah, Erleichterung. Die
Sentimentalität verfliegt rasch, ich konzentriere mich auf die weite Ebene vor mir. Ein
Hubschrauber umkreist das sich schnell in die Länge ziehende Starterfeld.
Anfänglich nicht wissend was ich von meiner Idee mit dem Kopftuch anstatt der üblichen
Kappe zu laufen, halten sollte, merkte ich schnell, dass das die beste Idee seit Mc’
Donalds in Frankfurt war. Dieses Tuch am Kopf ist wie ein kleiner Kühlschrank. Ich
schwitze, es wird feucht, der Wind bläst hinein. Jeder Afrikareisende weiß, dass im Busch
(in diesem Fall in der Wüste) das am kältesten ist, das in einem feuchten Tuch (oder
auch in einer Socke) im Wind hängt.
Schnell merke ich, dass ich mich an diese enormen Weiten, die man an jeder Stelle des
Kurses vor sich sieht und durch die sich eine dünne Schlange Läufer zieht, gewöhnen
muss. Ich mache erste Bekanntschaften mit dem Sand, erkenne, dass er ähnliche
Eigenschaften hat wie der Schnee (ausgenommen seine Wirkung in den Schuhen), in
Folge dessen macht es mir sogar Spaß in den Dünen zu laufen.
Auf der ersten Etappe fällt es mir schwer mich in dieser eindrucksvollen Landschaft in
Zurückhaltung zu üben. Mit ihren gigantischen Weiten und doch abwechslungsreichen
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Facetten lebt die Wüste nicht nur durch die Läufer, die dieses brutale Rennen bestehen
wollen. In dem Wissen, dass das Kriterium des Rennens in der 4. Etappe steckt, versuche
ich während der ersten 3 Tage ruhig zu bleiben.
Es stellt sich eine Regelmäßigkeit ein: an den Etappenzielen geht es im Berberzelt recht
lustig zu, unsere Manieren werden von Tag zu Tag schlechter. Steine unter dem Teppich
entfernen, das Zelt befestigen, die richtige Seite öffnen, kochen, aus jedem Essbaren das
Maximum an Energie holen und gleichzeitig den Rucksack erleichtern.
Non-Stop-Etappe, 70,5 km: das Roadbook verspricht für die 4. Etappe viel Sand und
viele km Dünen. Letztere befinden sich vor allem in der 2. Hälfte der Strecke. Die Masse
startet um 9 Uhr, damit auch die Schnellsten in den Genuss der Dunkelheit kommen,
starten diese zu Mittag. Nach 20 km lockeren Bodens steht der Orientierer bevor: 62° am
Kompass, eine leichte Übung – glaube ich. Ich peile eine markante Düne am Horizont an
und nehme mir vor auf sie zu zugehen. Der Plan war zu verwerfen als ich mich im
einzigen Tamarinwald des ganzen Marathons befand und nur mehr meinen eigenen
Schatten als Orientierung verwenden kann. Anscheinend geht meine Rechnung auf, da
andere Läufer von rechts oder links kommen und meinen Weg kreuzten. Die
abschließenden Dünen vor dem CP3 sind die bisher beeindruckensten. In der
erbarmungslosen Mittagssonne verrät der orange Sand, knietiefe. Die Führenden
überholen mich. 10 km Dünen stehen bis PC4 ins Haus. Sie nehmen auch danach kein
Ende. Während des bisherigen Rennens hatte ich nie das Bedürfnis an den CP länger als
zum Wassernachfüllen zu bleiben. Am CP 4 spürte ich zum ersten Mal, das dieses Rennen
seinen Preis hatte. Ich versorge eine Blase, versuche einen Hungerast zu überwinden,
diagnostiziere seltsame Kälte. Ich bereite mich auf die kommende Finsternis vor. Auf den
darauf folgenden km erfange ich mich. Es dämmert, ich mache letzte Fotos. Die
abendliche Kühle ist angenehm. Ich nehme die Sonnenbrille ab – Gegenwind, für
Kontaktlinsenträger nicht witzig. Der Plan lautet, noch in der Nacht ins Ziel zu laufen, da
es mir eine weitere Hitze erspart anstatt irgendwo zu schlafen und in der Früh weiter zu
laufen.
In der Finsternis sieht man die CP’s noch weiter als bei Tag. Seit dem ersten km esse ich
alle halben Stunden und doch erfährt mich vor CP 5 der nächste Hungerast. Eine
Kalorienbombe hilft und erweck die Lebensgeister wieder. In der Nacht ist es schwierig
die verschiedenen Bodenverhältnisse einzuschätzen und der Marathon bekommt seine
Härten. Nach Stunden gestolper sehe ich Lichter am Horizont – zu weit weg, ich
erschrecke über die Distanz. CP 6 oder Biwak? Unmut macht sich in meinem Kopf breit.
Ich versuche die Distanz zu vergessen, konzentriere mich auf den „Weg“. Eine starke
Kurve – ebenfalls Lichter – eindeutig CP 6 aber ebenfalls nicht ganz nah, vor allem weil
ich mich wieder in den Dünen bewege. Dünen sind unter Tags lustig zu laufen, man kann
sich einen Weg suchen. In der Nacht sind Dünen der reinste Horrortrip. Der nächste Ast
meldet sich. Müdigkeit überkommt mich, ich beginne zu rechnen. In meinem Kopf bricht
ein Zahlenspiel um km, nächtliche Zeit, Müsliriegel und Wasser los.
Am CP 6 kann ich mich nur mit Mühe überwinden es nicht anderen gleich zu tun:
ordentlich zu kochen, den Schlafsack auszubreiten. Es ist Mitternacht. Einblick in die
Karte lässt mich fasst in Tränen ausbrechen: bis zum Ziel Dünen, ein Alptraum, man
muss auf jede hinauf um sich zu orientieren. Meine Moral ist am Ende, Verzweiflung
überkommt mich. Der einzige Hoffnungsschimmer, der mich weiterlaufen lässt, ist die
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Tatsache, dass CP6 nicht wie ursprünglich von mir angenommen bei km 60 ist sondern
bereits bei 64. Ich lege einen Schalter um und laufe los, stolpere die Dünen rauf und
runter. Ich kann das Ziel schon lange sehen, doch die Dünen nehmen kein Ende. Keine
100m davor ist der Boden wieder fest unter den Füßen. Kurz vor ein Uhr erreiche ich das
Ziel. Ich registriere diese Tatsache, hole meine Wasserration, suche mein Zelt. Es wurde
auf der falschen Seite offen gelassen oder der Wind hat, wie so oft in der Nacht gedreht.
Er trägt den Sand hinein. Bei jedem Windstoß spüre ich leicht den Sand auf meinen
Schlafsack rieseln – egal, ich schlafe den Schlaf der Gerechten.
Ich verschlafe den ganzen kühlen Morgen. Meine beiden noch in der Wertung
befindlichen österreichischen Kollegen höre ich schon lange leise Sprechen, auch sie
kommen nicht auf. Lange bin ich unfähig mich aus meinem Schlafsack auszugraben. Es
gibt an meinem Körper nichts was nicht weh tut. Ich spüre sogar den Wäschezettel in
meiner Unterhose. Erwin Sommer versorgt uns mit Tee, der meine Geister wieder zum
Leben erweckt. Meine Taktik in der Nacht noch ins Ziel zu laufen und diesen Tag als
Ruhetag zu nutzen ist klug. Die Hitze scheucht mich aus dem Schlafsack. Ich brauche
lange bis ich wieder weiß wo hinten und vorne ist. Nebenbei richte ich meine kleine
Gourmet-Küche ein und beginne zu kochen. Draußen nimmt die Hitze zu. Wir öffnen die
zweite Seite des Berberzeltes, damit der Wind durchzieht, es ist die dem Lager
zugewandte Seite. Im Biwak geht es zu wie in einem Feldlazarett in der Normandie.
Menschen bewegen sich in Zeitlupe, überlegen drei Mal bis sie aufstehen um irgendetwas
zu tun, haben wild eingebundene Füße und zugeklebte Zehen, eingefärbt mit
Desinfektionsmittel. Von Zeit zu Zeit erfolgt Geklatsche, wenn ein weiterer Teilnehmer
ins Ziel kommt, seine Wasserration quer über den Platz schleppt und auf ein Zelt
zusteuert.
Die 5. Etappe ist zu gleich die zweitlängste – Marathon klassisch, Dünen inklusive – eh
klar. An diesem Morgen bin ich wieder wohl auf, geniere mich fast, nur eine einzige
kleine Blase, die kaum zu Sehen ist, zu haben. Nach dem Start merke ich, dass ich gut
drauf bin. Ich laufe eine Zeit lang mit einem Kariben, dessen ruhiger Laufstiel mich
beeindruckt. Als er längst weg war, in der Menge verschwunden, oder am CP hängen
geblieben, laufe ich noch immer in seinem Rhythmus. Ich nenne ihn den Des-SablesSchritt. Der Marathon des Sables neigt sich dem Ende zu. Ich genieße die Dünen wieder,
lasse mich noch einmal von den Fernblicken beeindrucken und komme nach sechseinhalb
Stunden und einem sensationellen Lauf ins Ziel. Noch 11,5 km bis ins letztendliche Ziel,
morgen. Auch an der ausgelassenen Stimmung der Läufer und Helfer merkt man, dass
sich der Marathon dem Ende zu neigt.
Die letzte Etappe des MdS vergeht schnell. Ich nehme die letzten Dünen mit Euphorie.
Der Zieleinlauf ist in einem kleinen Dorf, spektakulär. Sofort ist die Professionalität der
Veranstalter zu spüren. Medaillen werden verteilt, Fotos werden gemacht, Hände werden
geschüttelt, viele Leute jubeln, Busse warten. Ich komme nicht zum Sandausleeren,
besteige sofort einen Bus, der sich Richtung Ouarzazate in Bewegung setzt. Mir ist zu viel
los. Erst im Bus dämmert mir was passiert ist.
Der Marathon des Sables ist Geschichte, eine kleine Geschichte, eine von vielen rund um
diesen Marathon und manche sind nur für die Teilnehmer bestimmt, sie sollten das Biwak
nicht verlassen…
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Resümee
Nun kenne ich den Kaloriengehalt von ungefähr jedem in Mitteleuropa erhältlichen
Müsliriegel und weiß um deren Hitzebeständigkeit und Verträglichkeit. Ich kann die
Tragfähigkeit des Sandes anhand seiner Farbe bestimmen und weiß wie er schmeckt. Ich
werde lange brauchen um mir den so genannten Siebenmeilenblick wieder
abzugewöhnen obwohl ich glaube, dass er seine Vorteile hat (man muss nicht immer
alles sehen).
Das wichtigste ist: Afrika hat mich wieder daran erinnert, dass Zeit etwas ist, das man
hat.
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