René Magritte - Michael Imhof Verlag

Transcrição

René Magritte - Michael Imhof Verlag
Gedruckt mit Unterstützung des
Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT
Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 130
Inhalt
1
2
Printed in EU
ISBN 978-3-7319-0128-0
11
‚Les affinités électives‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
4.4
Gestaltung/Reproduktion: Meike Krombholz, Michael Imhof Verlag
Druck: Druckerei Rindt GmbH & Co. KG
...................................................................................................
9
4.1
4.3
© 2015 Michael Imhof Verlag GmbH und Co. KG
Stettiner Straße 25, D-36100 Petersberg
Tel. 0661/2919166-0, Fax 0661/2919166-9
Biographie
....................................................................................................
7
Bildlogik bei René Magritte – Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
4.2
Titelbild: René Magritte, L’ami de l’ordre (Der Freund der Ordnung), 1964, Öl / Lw, 100 x 81 cm, unten rechts signiert, Privatsammlung, CR 991, nach: Kat. Konversation, S. 203. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Einleitung
........................................................................................
3
4
Die Arbeit wurde im Jahr 2010 von der
Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften
der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Vorwort und Dank
5
5.1
Magrittes Grundprinzip der Affinität – ‚Les affinités électives‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Affinität und Surrealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Magrittes Ordnung der Ähnlichkeit: „ressemblance“ versus „similitude“ . . . . . . . . . . . . . . 34
‚La réponse imprévue‘: Das Denken und die Anamnesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Kombinatorik, Dialektik und Inspiration – ‚Les vacances de Hegel‘
Kombinatorik: ‚Les vacances de Hegel‘
............
............................................................
44
46
5.2
Dialektik: ‚Eloge de la dialectique‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
6
Metamorphose – ‚Découverte‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
5.3
Spiel, Imagination und Inspiration – ‚Le joueur secret‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
6.1
‚Découverte‘
7
Vexierbilder – ‚La condition humaine‘
6.2
7.1
7.2
7.3
8
8.1
..................................................................................................
‚Le modèle rouge‘
..........................................................................................
........................................................
Bild und Grenze: Fenster, Bild im Bild, Vorhang und Gartenkunst
89
95
‚La condition humaine‘: Begrenztheit versus Beschaffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Witz, Wort und Bild – ‚La trahison des images‘
„Ceci n’est pas“: das Prinzip der Differenz
...........................................
.......................................................
Exkurs – Foucault: Gleichartigkeit statt Ähnlichkeit
8.4
Ironie – Witz
8.5
78
Vexierbild – Wunder des Bewusstseins: „was Bild, was Wirklichkeit sei“ . . . . . . . . . . . . . . 121
8.2
8.3
......................
71
135
138
.........................................
142
...............................................................................................
158
„Union“ von Wort und Bild: Emblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Humor – negative Ontologie und ontologische Differenz
.................................
164
I n h a l t | 5
9
Auf der Suche nach dem Wunderbaren: ‚Der Realitätssinn‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
9.1
Wunder-bares Paradox: Erhabenheit des Endlichen
9.3
Absurdes
9.2
9.4
9.5
9.6
9.7
10
Problem
.........................................
170
.....................................................................................................
191
......................................................................................................
187
Vorwort und Dank
Magrittes Mysterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Bild und Mysterium: „Denken in Bildern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
„Denken in Bildern“ als „ressemblance“ und „union“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Mysterium als „union“ und Grund
229
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Einbettung in die zeitgenössische gegenständliche Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Anmerkungen
Literatur
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249
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314
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
„Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ wä-
Prof. Ferdinand Ulrich und Prof. Franz von
wesen. Es war für mich eine spannende Su-
und Prof. Sigmund Bonk möchte ich beson-
re ebenso ein möglicher Titel des Buches ge-
che mit erstaunlichen Entdeckungen, die
ders für die weitere Betreuung meiner Arbeit
die Entstehung dieses Werkes kann ich nur
standen sie zur Seite, wie das ganze kunst-
noch weiter geführt wird. Im Rückblick auf
danken. In einer nicht einfachen Situation
dankbar sein. Besonders danken möchte ich
historische Institut mit Prof. Dr. Albert Dietl,
schen Lehrer Prof. Dr. Jörg Traeger. An ei-
Meinen ausdauernden Korrekturlesern sei
meinem zu früh verstorbenen kunsthistorinem denkwürdigen Grillabend des Kunst-
historischen Instituts Regensburg am Zu-
sammenfluss der Donau und des Regens
Prof. Wolfgang Schöller und Margit Kaiser.
namentlich gedankt: Sonja Wax, Johannes
Biber, Konrad und Ingrid Biber, Jana Spate-
neder und Uta Goebl. Finanzielle Unter-
überzeugte mich Prof. Traeger über René
stützung geschah einerseits durch das staat-
würdiger Abend, diesmal in Kroatien, mit
Förderung des wissenschaftlichen und künst-
Magritte zu promovieren. Ein weiterer denk-
der Kunstgruppe von Hanna Neureuter führ-
te zur endgültigen Titelfindung: Magrittes
Suche nach dem Mysterium in dieser Wirk-
liche Stipendium (Vollzug des Gesetzes zur
lerischen Nachwuchses vom 18.12.1984), so-
wie andererseits in der konkreten Förderung
des vorliegenden Buchs durch den VG-Wort
lichkeit. Dankbar bin ich auch für die weite-
Druckkostenzuschuss. Zuletzt und als
versität Regensburg begegnen konnte und
Familie danken, die mich immer unterstüt-
ren geistigen Einflüsse, denen ich an der Uni-
die in ihrer je eigenen Weise einen Nieder-
schlag in meiner Arbeit fanden, wie durch
6|
Kutschera. Prof. Hans-Christoph Dittscheid
Grundlage des Ganzen möchte ich meiner
zend begleitet hat und ohne die dieses Buch
sicher nicht erschienen wäre. | 7
che nach neuen, aber auch klassischen Bü-
chern war. Es wäre verwunderlich, wenn er
78
Bildlich gesehen scheint Magritte wie Goe-
the in ‚Die Wahlverwandtschaft‘ (Abb. 4)
Goethes Roman nicht gelesen oder zumin-
eine einfache Affinität bzw. Wesensver-
wählten gerne Buchtitel als Bildtitel, so z. B.
nach ihm andere, haben das wort dann auch
dest gekannt hätte. Er und seine Freunde
wandtschaft zu benennen: „GÖTHE selbst,
‚La condition humaine‘79 (Abb. 8) von André
so gebraucht, dasz nicht mehr an die zer-
9) von Choderlos de Laclos, ‚Le Château des
dacht wird, sondern das wort nur eine auf
Malraux, ‚Les Liaisons dangereuses‘ (Abb.
80
Pyrénées‘81 (Abb. 10) von Anne Radcliff, ‚Les
störung der ursprünglichen verhältnisse ge-
wesensgleichheit beruhende Annäherung
fleurs du mal‘ (Abb. 11) von Charles Baude-
bezeichnet …“85 Der Käfig ähnelt in seiner
von Honoré de Balzac oder ‚Le domain de
gen inhaltlich gesehen die ganze Proble-
82
laire, ‚La recherche de l’absolu‘83 (Abb. 12)
Arnheim‘ (Abb. 13) von Edgar Allen Poe.
84
Form dem Ei. Doch Magrittes Bilder tra-
matik des Goetheschen Romans in sich,
auch den Umsturz alter Ordnungen. Die
Wahlverwandtschaft wird sowohl zum af-
firmativen als auch zum umstürzenden Ele-
ment, in dem die alte Ordnung völlig ver-
schwindet und ein anderes in seinem Sein
Bestätigung erfährt. In der Chemie finden
alle Elemente einen neuen Partner. Doch
schon bei Goethe wird die anfängliche An-
ziehung unter den vier Hauptakteuren zum
Dilemma, das in diesem Leben nicht gelöst
werden kann. Ottilie und Eduard sterben.
Die alte Bildlogik und -ordnung, die einen
Vogel oder ein anderes Tier im Käfig er-
warten ließe, wird umgestürzt. Neue Ver-
wandtschaften tun sich auf: Vogel und Fels86
(Abb. 13), Vogel und Blatt87 (Abb. 14), Vo-
gel und Himmel88 (Abb. 15). Haben sich in
‚Die Wahlverwandtschaft‘ (Abb. 4) der Kä-
fig und das Ei neu verbunden, was geschieht
dann mit dem Vogel? Die neue Ordnung,
die bei Magritte entsteht, ist eine Ordnung
9: René Magritte, Les liasons dangereuses (Die
gefährlichen Beziehungen), 1936, Gouache / Papier, 41,3 x 29 cm, Privatsammlung, CR 1121,
nach: Gohr, S. 168. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
26 |
der Bilder – der Ähnlichkeit – innerhalb der
Möglichkeiten des Bildes: ‚Der Versuch des
8: René Magritte, La condition humaine (Die Beschaffenheit des Menschen), 1933, Öl / Lw, 100 x 81 cm,
unten links signiert, National Gallery of Art, Washington D. C., CR 351, nach: Kat. Konversation, S. 16. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Unmöglichen‘89 (Abb. 16). Denn Bilder sind
anderen Gesetzen unterworfen als die Din4 . M a g r i t t e s G r u n d p r i n z i p d e r A f f i n i t ä t – , L e s a f f i n i t é s é l e c t i v e s ‘ | 27
11: René Magritte, Les fleurs du mal (Die Blumen
des Bösen), 1946, Öl / Lw, 80 x 60 cm, unten
links signiert, Privatsammlung, CR 601, nach:
Waldberg, Patrick: René Magritte, Brüssel 1965,
S. 147. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
ge der Realität, wie schon Denis sagte.90 In
ihnen können Regeln der Wirklichkeit um-
gestürzt werden.91 Vielleicht auch nur um
das Erstaunliche dieser Regeln neu erfahr-
bar zu machen und die Welt neu zu sehen.
sich in der Wahlverwandtschaft zu vermäh-
len. Das „Kunstwort“93 Wahlverwandtschaft
sich. Wahl, genauer, die freie Wahl, und Ver-
wandtschaft, genauer, das natürlich und ge-
Goethe ging von einer Anziehung der Ge-
28 |
keit und Wesensverwandtschaft scheinen
trägt schon begrifflich gesehen Disparates in
4.2 Affinität und
Surrealismus
10: René Magritte, Le Château des Pyrénées (Das Schloss in den Pyrenäen ), 1959, Öl / Lw,
200,3 x 130,3 cm, The Israel Museum, Jerusalem, Schenkung Harry Torczyner, CR 902,
nach: Gohr, S. 240. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
12: René Magritte, La recherche de l’absolu (Die
Suche nach dem Absoluten), um 1964, Gouache /
Papier, 55 x 36 cm, unten links signiert, Verbleib
unbekannt, CR 1567, nach: Sylvester IV, S. 275.
© VG Bild-Kunst, Bonn 2015
gensätze aus, die sich mit „notwendiger
Wahlverwandtschaft“ suchen und durch wel-
che die „Vereinigung der verschiedensten
Wesen zustande“92 komme. Gegensätzlich-
setzmäßig Verbundene, widersprechen sich
auf den ersten Blick. Begriffe, die nicht zusammengehören, scheinen vereint. Die Pa-
radoxie des Begriffs Wahlverwandtschaft
wird in seinen Teilen erkennbar. Er scheint
fast eine Kombination der Surrealisten zu
4 . M a g r i t t e s G r u n d p r i n z i p d e r A f f i n i t ä t – , L e s a f f i n i t é s é l e c t i v e s ‘ | 29
5. Kombinatorik, Dialektik und
Inspiration – ‚Les vacances de Hegel‘
Doch geht Magritte wirklich in der Irratio-
nifest selbst.“178 Der Surrealismus ist für ihn
nalität des Traums oder gar des Wahnsinns
nicht einfach eine „Geisteshaltung, sondern
Surrealismus die alte, lullische Methode, der
tel, Distanz zu gewinnen. Wären die Me-
verloren? Hans Holländer indessen sieht im
„ars inveniendi et investigandi“, verwirklicht,
trotz der reichen pseudosakralen Metaphern
bei Breton und in der Literatur über den Sur-
realismus.175 Für ihn ist der „Surrealismus
vielmehr eine Form der Erkenntnis, ein Mit-
thoden selbst irrational, dann wäre das in-
tensive gesellschaftliche Engagement der
Surrealisten unverständlich.“179 Holländers
Einschätzung betont das rationale Vorgehen
kein Stil, sondern eine Methode.“176 Er ver-
der Surrealisten. Im Folgenden soll Magrit-
kombinatorischen Modell des Raimundus
Form einer einenden Kombinatorik in ihrem
gleicht das surrealistische Prinzip mit dem
Lullus (1232 – 1316).
177
Es „ist völlig rational,
es ist mathematisch formulierbar, hat mit
dem Unterbewussten nichts zu tun. Es ent-
tes Bildlogik, die auf Affinität beruht, als
Bezug zu Dialektik, Spiel, Imagination und
Inspiration analysiert werden. hält eine Bestimmung der Wirkungsweise
Kombinatorik findet sich in der bildenden
‹Inspiration› ausschließt, und es ist auf kei-
schiedlichste Weise: als Ornament, Meta-
der menschlichen Phantasie, die den Begriff
nen Fall, so oft es formuliert, zitiert oder pa-
rodiert wurde, irrational. ... Die kombinato-
Kunst durch die Jahrhunderte auf untermorphose, Groteske180 und als Capriccio. Und
vielleicht gehören auch die verschiedenen
rische Methode selbst und ihre Allgegen-
Stilmischungen des 19. Jahrhunderts dazu bis
Zitaten des Manifestes führt zwar dessen ir-
der Assoziation als freies Spiel der Einbil-
det aber andererseits die surrealistischen
men praktizierte schon Leonardo. Max Ernst
wärtigkeit zwischen den Zeilen und in den
rationale Tendenzen ad absurdum, begrün-
Praktiken schärfer und genauer als das Ma-
44 |
hin zum Surrealismus.181 Die Kombinatorik
21: René Magritte, Les vacances de Hegel (Hegels Ferien), 1958, Öl / Lw, 60 x 50 cm, unten links sig niert, Galerie Couleurs du Temps, Geneva, CR 874, nach: Meuris, S. 97. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
dungskraft ausgehend von bildlichen Foradaptierte sie für den Surrealismus.182 Im
5 . K o m b i n a t o r i k , D i a l e k t i k u n d I n s p i r a t i o n – , L e s v a c a n c e s d e H e g e l ‘ | 45
Wie sieht nun das Wunderbare – das der nor-
titel ‚Der Realitätssinn‘ scheint ad absurdum
aus? In ‚Le sens des réalités‘
ne Wirklichkeit, seine eigene phantastische
malen Logik Widersprechende – bei Magritte
745
(Der Reali-
tätssinn) (Abb. 129) schwebt ein gewaltiger
Stein entgegen den Gesetzen der Schwerkraft
frei in der Luft. Er befindet sich, den größten Teil des Bildes einnehmend, aufrecht ste-
geführt zu werden, das Bild hat seine eige-
Gesetzmäßigkeit erhalten: Wird die unge-
heuerliche Dummheit der Schwerkraft748
durch die Autonomie der Kunst aufgehoben?
hend mittig über einer Gebirgslandschaft, zu
Sobald jedoch der Titel des Bildes in Bezug
hellen Himmel eine Mondsichel. Die unte-
sichel gesehen wird, kann der Betrachter
der ein Weg hinführt. Über ihm steht am tagren Wolken färben sich jedoch leicht rötlich bzw. orange zur atmosphärisch gemalten Gebirgslandschaft hin. Ein Sonnenun-
zu der über dem Stein schwebenden Mond-
neue Wege des Denkens einschlagen. Es wird
verwunderlich, dass der ebenfalls über der
Erde schwebende Mond kein Aufsehen er-
tergang oder -aufgang könnte sich über der
regt, obwohl beide aus Stein sind. Der nor-
ne links schlängelt sich ein Fluss oder eine
sich nicht an ihm, da er ihn täglich dort er-
Im Bild sind die Gesetze der Schwerkraft auf-
schrieben, aber nicht erklärt wird.749 Dem
Landschaft ankündigen. Von der Ebene vorStraße zum Gebirge hin. gehoben. Die Realität wird auf den Kopf gestellt.
746
Eine unmögliche Begebenheit ist il-
male Realitätssinn – common sense – stört
blickt und sein Verhalten durch ein Naturgesetz, dem Gesetz der Schwerkraft, be-
normalen Sinn bleibt die im Grunde unge-
heuerliche Tatsache verborgen, dass jeder
lusionistisch dargestellt, der „Verismus des
Stein bzw. alles schwebt, zumindest im Uni-
tes ‚Der Realitätssinn‘ (Abb. 129) seine Stei-
scher Bildinhalt eines schwebenden Steines
Unwahrscheinlichen“747 erfährt in Magrit-
versum. Magrittes wunderbarer, phantasti-
gerung in den Verismus des Unmöglichen.
entpuppt sich damit als Arbeit mit einem Pa-
dass dieser Stein schwebe, führen ins Leere.
Begriffsgeschichte des Paradoxes finden sich
Alle Spekulationen, wie es denn möglich sei,
Ein Meteorit müsste bewegter erscheinen,
für einen Ballon hat er eine zu genau gemalte
radox im ursprünglichen Sinne. Denn in der
verschiedene Bedeutungsentwicklungen, al-
len gemein ist aber, dass das Paradox etwas
gesteinsspezifische Oberflächenstruktur.
der Erwartung Widersprechendes ist. Para-
plötzlich so stark geworden, dass der Stein
und gr. δόξα (Meinung, aber auch Erwar-
Oder ist die Anziehungskraft des Mondes
von ihm emporgezogen wird? Doch der Stein
fällt nicht. Er steht bzw. schwebt in der Luft.
Bildlich wird dies verstärkt empfunden durch
die Bindung des Steins in die Mittelachse
zwischen Mond und Fluss. Es stellt sich also die Frage: Was geschieht hier? Der Bild172 |
dox(e), Paradoxie ist von gr. παρά (gegen)
tung) hergeleitet. Der allgemeiner Wortge-
brauch in der Antike geht von ‚sonderbar‘,
‚befremdlich‘, ‚überraschend‘, ‚unerwartet‘,
‚schockierend‘ bis zu ‚wundersam‘. Paradox
sind Sachverhalte oder Aussagen über Sach-
verhalte, die der allgemeinen Meinung oder
129: René Magritte, Le sens des réalités (Der Realitätssinn), 1963, Öl / Lw, 172,5 x 116 cm, unten rechts
signiert, Loek Brons, Amsterdam, CR 968, nach: Kat. Konversation, S. 165. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
9 . A u f d e r S u c h e n a c h d e m W u n d e r b a r e n : , D e r R e a l i t ä t s s i n n ‘ | 173

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