Oswald von Wolkenstein, es füegt sich
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Oswald von Wolkenstein, es füegt sich
Jeden zweiten Mittwoch im Monat (in diesem Monat ausnahmsweise am dritten Mittwoch) präsentiert Lyrikmail in Zusammenarbeit mit Dr. Martin Schuhmann (Universität Frankfurt/Main) Texte aus mittelhochdeutscher und althochdeutscher Zeit in Original und Übersetzung. Martin Schuhmann freut sich auf Ihr Feedback: [email protected]; http://www.unifrankfurt.de/fb/fb10/IDLD/ADL/mitglieder/schuhmann/Lyrikmail.html -----------------------------Lyrikmail Nr. 2200, 19.05.2010 -----------------------------Oswald von Wolkenstein: „Es fuegt sich, do ich was von zehen jaren alt“ – „Es ergab sich, als ich zehn Jahre alt war“ (Übersetzung folgt nach dem Original) I Es fuegt sich, do ich was von zehen jaren alt ich wolt besehen, wie die welt wär gestalt. mit ellend, armuet mangen winkel haiss und kalt hab ich gepaut pei cristen, kriechen, haiden. (5) Drei pfenning in dem peutel und ain stücklin prot das was von haim mein zerung, do ich loff in not. von fremden freunden so hab ich manchen tropfen rot gelassen seider, dass ich want verschaiden. Ich loff zu fuess mit swärer puess, pis das mir starb (10) mein vater zwar, wol vierzen jar, nie ross erwarb, wann ains raubt, stal ich halbs zumal mit valber varb und des geleich schied ich davon mit laide. Zwar renner, koch so was ich doch und marstallär, auch an dem rueder zoch ich zue mir, das was swär, (15) in Kandia und anderswa auch wider här. vil mancher kitel was mein pestes klaide. (Übersetzung I) Es ergab sich, als ich zehn Jahre alt war, dass ich sehen wollte, wie die Welt beschaffen wäre. In der Fremde (= wörtliche Bedeutung von „elend“), in Armut, in manchem Flecken, heiß und kalt, hab ich gehaust bei Christen, (orthodoxen) Griechen und bei Heiden. (5) Drei Pfennige im Beutel und ein Stückchen Brot, das war von zu Hause her meine Wegzehrung, als ich in die Not aufbrach. Vom Fremden Freunden hab ich so manchen roten Tropfen (= Blut) gelassen seither, dass ich glaubte, sterben zu müssen. / Ich lief zu Fuß und büßte schwer, bis (10) mein Vater starb; wohl vierzehn Jahre lang hab ich mir kein Pferd erworben, außer dass ich mir ein Pferd halb raubte, halb stahl – und genau auf diese Weise habe ich es auch leider auch wieder verloren (noch dazu war es von fahler Farbe). Ich war Laufbote, Koch (ja, das war ich!) und Stallbursche, auch das Ruder zog ich zu mir (das war schwer) (15) in Kreta und anderswo und wieder zurück. So mancher einfacher Kittel war mein bestes Kleidungsstück. II Gen Preussen, Littwan, Tartarei, Türkei, über mer, gen Lampart, Frankreich, Ispanien mit zwaien küngesher traib mich die minn auff meines aigen geldes wer, Rueprecht, Sigmund, paid mit des adlers streiffen. (5) Franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian, teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman, die zehen sprach hab ich gepraucht, wann mir zeran; auch kund ich vidlen, trummen, pauken, pfeiffen. Ich hab umbvarn insel und arn, manig lant (10) auff scheffen gross, der ich genoss von sturmes pant, des hoch und nider meres gelider vast berant; die Swarze Se lert mich ain vass begreiffen, Do mir zerprach mit ungemach mein wargatin. ain kauffmann was ich, doch genas ich und kam hin, (15) ich und ain Reuss; in dem gestreuss haubtguet, gewin das suecht den grund und swam ich zue dem reiffen. (Übersetzung II) Nach Preußen, Litauen, ins Tartarenland, in die Türkei, übers Meer, in die Lombardei, nach Frankreich, Spanien, mit den Heeren zweier Könige, trieb mich die Minne auf eigene Kosten: (Im Heer von) Ruprecht (und von) Sigmund, beide unter dem Adlerzeichen (der deutschen Könige). (5) Französisch, Maurisch, Katalanisch und Kastilisch, Deutsch, Latein, Windisch, Lombardisch, Russisch und Romanisch – die zehn Sprachen hab ich gebraucht, wenn es nötig war. Auch konnte ich fiedeln, trompeten, pauken und die Pfeife spielen. Ich habe Inseln, Halbinseln, so manches Land umfahren (10) auf großen Schiffen, die mich vor den Fesseln des Sturms bewahrten, (habe) das Auf und Ab der Meere schnell durcheilt. Das Schwarze Meer lehrte mich, ein Fass zu umklammern, als mir mein Schiff zerbrach; das verursachte mir Leid. Ein Kaufmann war ich (zu der Zeit), aber ich überlebte und kam davon, (15) ich und ein Russe; in dem Gefecht suchten Kapital und Gewinn den Meeresgrund auf und ich schwamm an Land. 1 III Ain künigin von Arragun was schön und zart, dafür ich kniet zu willen raicht ich ir den part, mit hendlein weiss pand sie darin ain ringlin zart lieplich und sprach: "non maiplus disligaides." (5) Von iren handen ward ich in die oren mein gestochen durch mit ainem messin nädelein, nach ir gewonhait sloss si mir zwen ring darein, die trueg ich lang, und nent man sie racaides. Ich suecht ze stunt künig Sigmunt, wo ich in vant. (10) den mund er spreutzt und macht ain kreutz, do er mich kant; / der rueft mir schier: "du zaigest mir hie disen tant?" freuntlich mich fragt: "tuen dir die ring nicht laides?" Weib und auch man mich schauten an mit lachen so; neun personier künklicher zier die waren do (15) ze Pärpian, ir pabst von Lun genant Petro, der römisch künig der zehent, und die von Praides. (III Übersetzung) Eine Königin von Aragon war schön und zart, vor der kniete ich, ergeben, streckte ihr meinen Bart hin; mit weißen Händchen band sie mir ein feines Ringlein schön hinein und sagte: „Non maiplus disligaides“ („Bindet es nicht mehr los!“). (5) Von ihren (eigenen) Händen wurden meine Ohren durchstochen mit einem Nädelchen aus Messing; nach ihrem Brauch setzte sie mir zwei Ringe in die Ohren. Die trug ich lang, man nennt sie „Racaides“. Danach suchte ich sofort nach König Sigmund; als ich ihn fand, (10) sperrte er den Mund auf und schlug ein Kreuz, als er mich erkannt hatte. Sofort rief er mir zu: „Du zeigst mir hier diesen Tand (an dir)?“. Freundlich fragte er mich: „Tun dir die Ringe nicht weh?“ Die Frauen (und auch die Männer) betrachten mich lachend; neun Personen von königlichem Rang, die waren da (15) in Perpignan; dazu ihr Papst von Luna, genannt Petrus; der römische König war der zehnte König (dort), und dazu noch die (Dame) von Prades (= Margarete von Aragon, die Königin, die ihm auch die Ohren durchstochen hat). IV Mein tummes leben wolt ich verkeren, das ist war, und ward ain halber beghart wol zwai ganze jar. mit andacht was der anvank sicherlichen zwar, het mir die minn das ende nicht erstöret. (5) Die weil ich rait und suechet ritterliche spil und dient zu willen ainer frauen, des ich hil, die wolt mein nie genaden ainer nussen vil, pis das ain kutten meinen leib betöret. Vil manig ding mir do gar ring in handen gieng, (10) do mich die kappen mit dem lappen umbevieng. zwar vor und seit mir nie kain meit so wol verhieng, die meine wort freuntlich gen ir gehöret. Mit kurzer snuer die andacht fuer zum gibel auss, do ich die kutt von mir do schutt in nebel rauss. (15) seit hat mein leib mit laidvertreib vil mangen strauss geliten und ist halb mein freud erfröret. (IV Übersetzung) Mein törichtes Leben wollte ich ändern, wahrhaftig, und wurde so ein halber Begharde (Laienmönch), ungefähr zwei ganze Jahre lang. Andächtig war der Anfang ganz sicher; hätte mir nur die Minne das Ende nicht gestört! (5) Als ich umherritt und nach ritterlichen Turnieren suchte, und einer Dame im Dienst ergeben war (die nenne ich jetzt hier nicht), wollte die mir nicht einmal eine Nussschale voll Gnade erweisen. (Das tat sie) erst, als eine Kutte meinen Leib zum Narren machte. Da gingen viele Dinge mir leicht von der Hand, (10) als mich die Kapuze mit dem Stofffetzen dran umhüllte. Davor und danach hat kein Mädchen so schön über mich verfügt, wenn es meine freundlichen Worte über es gehört hatte. Als ich die Kutte von mir schüttelte, fuhr schnurstracks die Andacht gleich zum Dachgiebel in den Nebel hinaus. (15) Seitdem hat mein Leib zum Leidvertreib in so manchem Gefecht gelitten und ist meine Freude halb erfroren. V Es wär zu lang, solt ich erzelen all mein not. ja zwinget mich erst ain ausserweltes mündlin rot, davon mein herz ist wund pis in den pittern tot. vor ir mein leib hat mangen swaiss berunnen; (5) Dick rot und plaich hat sich verkert mein angesicht, wann ich der zarten dieren hab genumen pflicht, vor zittern, seufzen hab ich oft empfunden nicht des leibes mein, als ob ich wär verprunnen. Mit grossem schrick so pin ich dick zwai hundert meil (10) von ir gerost und nie getrost zu kainer weil; kelt, regen, sne tet nie so we mit frostes eil, ich prunne, wenn mich hitzt der lieben sunne. Won ich ir pei, so ist unfrei mein mitt und mass. von meiner frauen so muess ich pauen ellende strass (V Übersetzung) Es würde zu lang dauern, wenn ich all mein Leid erzählen sollte. Vor allem quält mich ein auserwählt schönes rotes Mündchen; davon ist mein Herz verwundet bis auf den bitteren Tod. Als ich vor ihr stand, ist mir schon oft der Schweiß ausgebrochen. (5) Ganz rot und bleich wurde mein Gesicht, / wenn ich dem zarten Mädchen meine Aufwartung gemacht habe; vor Zittern und Seufzen hab ich oft meinen Körper nicht mehr gespürt, als wäre ich verbrannt. Unter großem Schrecken bin ich oft zweihundert Meilen (10) von ihr weggerast – und niemals fand ich dabei irgendeinen Trost. Kälte, Regen, Schnee konnten mir nie so weh tun mit ihrem eiligzudringlichen Frost, dass ich nicht (doch) gebrannt hätte, wenn mich die Sonne der Geliebten erhitzt hätte. Bin ich bei ihr, dann gibt es für mich keine Mitte und kein Maß mehr. Wegen meiner Dame muss ich fremde Wege einschlagen 2 (15) in wilden rat, pis das genad lat iren hass, und hulff mir die, mein trauren käm zu wunne. (15), unberaten und unausgestattet, bis die Gnade ihren Hass unterlässt. Wenn mir die helfen würde, würde aus meiner Trauer Freude. VI Vier hundert weib und mer an aller manne zal vand ich ze Nyo, die wonten in der insel smal; kain schöner pild besach nie mensch in ainem sal: noch mocht ir kaine disem weib geharmen. (5) Von der ich trag auff meinem ruck ain swäre hurt, ach got, west sie doch halbe meines laides purt, mir wär vil dester ringer oft, wie we mir wurt, und het geding, wie es ir müest erparmen. Wenn ich in ellend dick mein hend oft winden muess, (10) mit grossem leiden tuen ich meiden iren gruess, spat und auch frue mit kainer rue so slaff ich suess, das klag ich iren zarten, weissen armen. Ir knaben, mait, bedenkt das lait, die minne pflegen, wie wol mir wart, do mir die zart pot iren segen. (15) zwar auff mein er, west ich nicht mer ir wider gegen, des müest mein aug in zähern dick erwarmen. (Übersetzung VI) Vierhundert Frauen und mehr ohne jeden Mann fand ich auf Ios, die wohnten auf der kleinen Insel. Einen schöneren Anblick hat nie ein Mensch in einem Raum gesehen – trotzdem konnte sich keine (von diesen Frauen) dieser Frau (= seiner Dame) vergleichen. (5) Von der trage ich auf meinen Rücken eine schwere Last, ach Gott, wüsste sie doch nur von der Hälfte meiner Leidensbürde – dann wäre es oft einfacher für mich, wie weh mir (dabei) auch wäre. Und ich hätte Hoffnung, dass sie sich meiner erbarmen würde, wenn ich in der Fremde oft meine Hände ringen muss und mit großem Leid ihren Gruß entbehren muss. Spät und auch früh, ruhelos, nie schlaf ich gut, das klage ich ihren zarten, weißen Armen. Ihr Jungen, ihr Mädchen, denkt an das Leid, die ihr mit der Liebe umgeht. Wie wohl mir dabei zumute war, als mir die Zarte ihren Segen entbot! (15) Bei meiner Ehre: Wüsste ich, dass ich sie nicht mehr wiedersehe, da müsste mein Auge von vielen Tränen oft warm werden. VII Ich han gelebt wol vierzig jar leicht minner zwai mit toben, wüeten, tichten, singen mangerlai; es wär wol zeit, das ich meins aigen kinds geschrai elichen hört in ainer wiegen gellen. (5) So kan ich der vergessen nimmer ewikleich, die mir hat geben muet auff disem ertereich; in all der welt kund ich nicht vinden iren gleich. auch fürcht ich ser elicher weibe pellen. In urtail, rat vil weiser hat geschätzet mich, (10) dem ich gevallen han mit schallen liederlich. ich Wolkenstain leb sicher klain vernünftiklich, das ich der welt also lang beginn zu hellen. Und wol bekenn, ich waiss nicht, wenn ich sterben sol, das mir nicht scheiner volgt wann meiner werche zol. (15) het ich dann got zu seim gepot gedienet wol, so vorcht ich klain dort haisser flammen wellen. (Übersetzung VII) Ich habe gut vierzig Jahre gelebt (es fehlen nur noch zwei): Mit Toben, Wüten, Dichten und auf manche Arten singen. Es wäre wohl an der Zeit, dass ich das Geschrei meines eigenen, ehelichen, Kinds in einer Wiege gellen hörte. (5) Aber kann ich die auf ewig nicht vergessen, die mir auf dieser Erde mein Denken und Fühlen erst gegeben hat; auf der ganzen Welt konnte ich nichts finden, das ihr gleicht. Auch fürchte ich sehr das Bellen einer Ehefrau. Mein Urteil und meinen Rat haben viele kluge Leute geschätzt, (10) denen ich mit locker-lustigen Liedern gefallen habe. Ich, Wolkenstein, lebe mit Sicherheit nicht vernünftig, wenn ich mit der Welt so lange übereingestimmt habe. Und ich bekenne auch, dass ich nicht weiß, wann ich sterben muss; und dass mir kein anderer Glanz folgen wird als das, was aus meinen Werken kommt. (15) Wenn ich dann Gott nach seinem Gebot gut gedient habe, dann muss ich das Wallen heißer Flammen nicht fürchten. ------------------------------------------------------Der Text des Originals folgt der Auswahlausgabe (mit Übersetzung), herausgegeben von Burghart Wachinger: Oswald von Wolkenstein: Lieder (Auswahl) im Reclam Verlag (RUB 2839), das Lied trägt dort die Nummer 14. Wissenschaftliche Notation: Klein 18. Übersetzung: Martin Schuhmann. Da das Gedicht mit 7 Strophen und 102 Strophen sehr lang ist, wurden mit der elektronischen Fassung der Lyrikmail nur die erste und die letzte Strophe verschickt. ------------------------------------------------------------------Oswalds von Wolkenstein Leben (um 1370 – 1445) war lang und ist gut dokumentiert, weil es voller Besitzstreitigkeiten und diplomatischer Aufträge war. Und dann gibt es noch seine Lieder, die nicht selten – wie hier – auch voller biographischer Informationen zu sein scheinen. Wir wissen nicht, wie ernst und biographisch man das nehmen soll, was Oswald schreibt (er berichtet u.a. von Arbeiten als 3 Laufbote, Koch, Pferdeknecht, Ruderer, Kaufmann; will der Königin von Aragon direkt gedient haben, lässt sich von ihr Ohrlöcher stechen, war als Bettelmönch in Liebesdingen unterwegs und war in fast allen damals bekannten Gegenden der Welt). Letztendlich ist auch gleichgültig, was Oswald erlebt hat und was nicht. Er erzählt jedenfalls eine sehr gute Geschichte rund um einen relativ konventionellen Minnedienst (vergleiche Strophe V, VI und VII) mit einem sehr konventionellen Ende – ein Mann besinnt sich, dass er bürgerlich werden und etwas für sein himmlisches Heil tun sollte, sieht aber Hindernisse. Ob Ihnen das bekannt vorkommt oder nicht: Wir wünschen noch einen schönen Mai! 4