Sissy König und der Biesel-Mord

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Sissy König und der Biesel-Mord
Sissy Konig Der fertige
Fortsetzungsroman
Kapitel 1
Wie alles beginnt - Der Biesel-Mord
„Er flackt am Zaun“. Damit schloss der Bergwachtler seine ziemlich wirre Rede. Aber wenn Sissy das alles
richtig verstanden hatte, dann lag am Wankerfleck ein Toter. Es handelte sich wohl um einen Mountainbiker, der - nun der Bergwachtler hatte da etwas rumgedruckst – noch seinen Hosenladen offen hatte
und wohl augenscheinlich bei seiner Verrichtung gewesen war. Sissy empfand es selber als sehr unpassend und unangenehm, dass Männer immer und überall coram publico strullerten, aber deshalb wurde
man doch nicht gleich umgebracht? Der Bergwachtler hatte an dem Mann nichts Ungewöhnliches feststellen können, bis auf die Tatsache, dass er tot war. Herzinfarkt beim Almenstrullern?
So oder so – sie musste hinauf. Der Kenzenparkplatz war gut belegt, nicht wenige warteten auf den
Kenzenbus, der hurtig und unermüdlich Bergfans zur Kenzenhütte auf knapp 1300 Meter karrte, wo
nette Mädels kochten und servierten, wo schöne Bergtouren starteten oder eben die Mountainbiker ihre
Touren beendeten. Es war ein perfekter Herbsttag und es gab Sissi einen Stich. Wann war sie zum letzten
Mal mit dem Bike auf der Kenzen gewesen? Denn sollte jemand beschließen, eine perfekte Mountainbiketour zu kreieren, dann sähe sie kaum anders aus, als die Tour zur Kenzenhütte: Ein sanfter Anstieg
entlang des munteren Halblechs, ein abwechslungsreiches Terrain und am Ende ein steiles Finale bis zur
labenden Hütte. Sissy erntete böse Blicke, als sie mit ihrem Suzuki Jimney bergwärts fuhr, ein Wanderer
drohte ihr sogar mit dem Wanderstock. Schließlich: Wankerfleck, ein Almboden wie gemalt, die Berge
schroff und doch anmutig. Der Geiselstein, „nur“ 1879 Meter hoch, und doch so betörend schön. Ein
ganz spezieller Berg und eigentlich war es eine Frechheit, in so einer Natur tot zu werden, dachte Sissy
erbost.
Zwei Bergwachtler dirigierten Sissy an den Straßenrand und weiter entlang des Elektrozauns bis zu einem
Holzstapel am Waldesrand. Es war eben leider so, dass man Kühe auch auf der Alpe einzäunen musste,
weil es in den letzten Jahren zu Unfällen gekommen war. Die Zeitungen hatten von den „Mörderkühen“
getextet. Kühe waren nie Mörder, Tiere mordeten niemals. Kühe waren doch klassische Fluchttiere, keine
Angriffstiere. Nur wenn sie sich extrem in die Enge getrieben fühlten, mussten sie reagieren. Auf der Alm
waren sie zudem ein Stück Wildtiere, sie hatten kaum mehr Kontakt zu Menschen, hatten ihren Herdenverband, hatten Rangordnungen. Und da kamen die übergriffigen Wanderer, die ihre Kuh-Selfies machten, die versuchten Nasen zu streicheln und deren Hunde bellend über die Weiden rasten - freie Fahrt für
freie Stadthunde…
Es war ein Jammer, der moderne Mensch war so weit weg von der Natur, dachte Sissi und betrachtete
den Toten. Er war circa 55, sah angesichts seiner Wadeln so aus, als bike er viel, er hatte dazu unschön
lila Krampfadern. Er schien wirklich wie ein Baum umgefallen zu sein, sein Radlhelm hing ihm schief über
dem einen Auge und ja - in der Tat stand der Hosenladen offen… Am Holzstapel war ein nasser Fleck zu
sehen.
„Do hot er na gsoicht“, sagte der Bergwachtler wenig pietätsvoll.
Ja, das hatte der Tote wohl und war dabei tot umgefallen? Sissi sah sich um, der Platz war gut einsehbar,
einen Mörder hätte jemand sehen müssen, auch die Bergwachtler, denen ja nichts entging und die den
Sommer über auch so einiges sahen an Unvernunft und Leichtsinn.
„Kennt ihr den?“, fragte Sissy und wies auf den Toten.
„Kennen isch zviel gsaget. Aber der bikt oft do umanand.“
„Also ein Einheimischer?“
„Uiner, der öfter kummt.“
Ja nun, das taten natürlich auch Stammgäste, das taten Bergfreude aus dem Nahraum wie dem Unterallgäu oder dem Augsburger Raum.
Sissy hatte sich Handschuhe angezogen und öffnete den Rucksack, der an dem Fully lehnte, an einem
E-Bike zudem, an einem richtig teuren E-Mountainbike. Auch darum tobten Gesinnungskriege, denn so
mancher Traditionalist hasste die E-Biker und verdammte deren kleinen motorischen Helfer. Sissy hatte
öfter schon über der Erwerb eines solchen Bikes nachgedacht, treten musste man immer noch selber, ab
25 km/h schaltete sich allemal nichts mehr zu, aber bergauf ein bisschen Radeln mit Rückenwind hatte
schon seinen Reiz. Ihre Männer hätten sie ausgelacht, also momentan kein Ebike. Vielleicht hatte hier ja
ein Ebike-Hasser zugeschlagen, der seine Berge frei von Unsportlichen halten wollte?
Auch eine blöde Idee, dachte Sissy bei sich. Sie zog einen Geldbeutel heraus, darin waren 300 Euro, ein
Ausweis und einige Business Cards.
Dr. Rolf Pfaff, Vizepräsident, eine Adresse in München, Nymphenburger Straße. Nobel! Wovon war der
Vizepräsident?
Der Arzt war eingetroffen, Sissy wartete geduldig. Sie wusste, dass der Mann fertig war, wenn er eben
fertig war. Und sie fand das Gefummel des Notarztes am Hosenlatz und – ähm - darunter auch eher zum
Abwenden… Der Arzt sah irgendwann einmal auf und kam zu Sissy rüber. Etwas an dessen Blick alarmierte Sissy. Sein Blick ging zu dem Elektrozaun, zum Holzstapel, wo der Fleck allmählich verblasste.
„Ist da Strom drauf?“, fragte er.
„Ja halt vom Weidezaungerät“, sagte der Bergwachtler verdutzt.
„Glaub ich nicht“.
„Wie?“, fragte Sissy.
„Ich erspare ihnen die Details, aber das Gemächt des Mannes hatte eine Begegnung mit 230 Volt. Ich
würde mal sagen, dem ist der Strom vom Schwanz direkt ins Herz gefahren. Muss sich natürlich der Pathologe genauer ansehen.“
„Was? Der hot vom Soichen an Stromschlag bekommen?“ Dem Bergwachtler stand der Mund offen.
„Wasser leitet gut. So ähnlich, wie der Föhn, der ins Wasser fällt.“
Der zweite Bergwachtler schickte sich an, den Zaun anzufassen.
„Stopp!“ brüllte der Arzt und riss ihn zurück.
Die Ereignisse überschlugen sich. Am Ende wussten sie, dass jemand ein normales Stromkabel an den
Zaun angeschlossen hatte, weswegen da nicht der getaktete Strom gelaufen war, der Weidetiere vom
Ausbruch abhalten sollte, sondern 230 tödliche Dauervolt. Und sie hatten auch erfahren, dass der Mann,
der nach den Kühen schaute, wenig gute Worte für Touristen hatte, aber keine Ahnung haben wollte,
wie der Strom auf den Zaun gekommen war, obgleich ja in seinem Stall angezapft worden war. Am Ende
eines schier unglaublichen Tages wussten sie auch, dass ein Vizepräsident einer Beraterfirma für Tourismusprojekte ein Ferienhaus im Feriendorf Hochbergle in Lechbruck am See besaß. Dass er oftmals dort
im Home Office arbeitete, dass er leidenschaftlich bikte - und gegen (den) Strom gepisst hatte. Aber war
er gemeint gewesen? Dann hätte der Mörder ja wissen müssen, dass er immer an der Stelle pisste? Sissy
war wirklich einiges gewöhnt, aber das war ja nun ein sehr schlechter Film.
Die Autorin:
Bestseller Autorin Nicola Förg hat mittlerweile 15 Kriminalromane verfasst, sie
ist eine der beliebtesten und auflagenstärksten Krimiladies im deutschsprachigen Bereich. Sie hat an zahlreichen Anthologien mitgewirkt und im Vorjahr die
Figur Sissy König kreiert. Ihre Krimis und Kurzgeschichten spielen im Voralpenland und an alpinen Tatorten, die ihr vom wandern, mountainbiken, skifahren
oder reiten wohlbekannt sind. Die gebürtige Oberallgäuerin, die in München
Germanistik und Geographie studiert hat, lebt selber im „Königscard Land“
und ist zudem Königscard Gastgeberin. Sie betreibt mit Mann Lutz auch einen
Hof, denn das Leben ist eben doch ein Ponyhof!
www.ponyhof-prem.de
Kapitel 2
Spekulationen um Bauer Alois
Unglaublich, womit man es täglich so zu tun hat, murmelte Sissy vor sich hin. Beim Pieseln den Tod gefunden? Wirklich? Hatte der Stromschlag wirklich ausgereicht, bloß weil er mit „seinem Wasser“ das
Kabel getroffen hatte?
Vielleicht war der Biker ja auch beobachtet worden und - das schon mehrmals - wie genau dieser Holzstapel zum Pieseln herhalten hatte müssen? Vielleicht war es der Eigentümer ja Leid, dass sein Holz ständig nass gemacht wurde? Er sah das vielleicht auch noch als persönlichen Angriff! Bestimmt ging es ihm
nicht nur um Umweltverschmutzung! Nach einer kleinen Recherche wusste die flotte Ermittlerin, dass
die Holzscheite dem Bauern Alois Huber vom „Huber-Hof“ gehörten – nur ein Katzensprung vom Tatort
entfernt. Ein Glück, dass der Bauer hinten auf den Holzscheiten seinen Besitz mit Sprayfarbe „markiert“
hatte. Vielleicht hatte sich der Bauer Alois die Schweinerei nun lange genug angesehen?! Das Maß war
voll. Das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Wut über so viel Unverschämtheit trieb den Alois an, den
Piesler zu stellen, ihm eine Lektion zu erteilen?!
Gar nicht so unwahrscheinlich, fand Sissy. Könnte ja sein, dass der Herr Vizepräsident bei seinen Unternehmungen ständig am „Huber-Hof“ vorbei musste. War er dem Alois Huber schon negativ aufgefallen?
Stellte er dem Radler diesmal sogar nach, um zu schauen, ob sein Holzstapel wieder benetzt werden sollte? Diesmal hatte der Alois vielleicht geplant, endlich einzugreifen und dem Piesler einen Holzscheit ins
Kreuz zu hauen. Holz gab es doch gerade am Stapel genug. Wenn der feine Herr dabei zu Boden ginge,
könne er sich nicht erst vergewissern, von wem dieser Angriff kam. Das Holz käme auf den Stapel zurück und fertig. Es müsste ja nicht immer gleich Blut fließen. So würde man sicher nicht mal irgendwelche Spuren hinterlassen. Ganz unauffällig würde sich Alois dem Biker nähern, und genauso unauffällig
könnte er den Tatort auch wieder verlassen. Der Huber-Hof war nur einen Katzensprung vom Geschehen
entfernt. Der Angriff wäre kurz und bündig gewesen. Aber bestimmt war der Alois nicht davon ausgegangen, dass er den Piesler damit gleich umbringen würde!!
War hier etwas gewaltig schief gelaufen? War der Alois ein wirklich ernstzunehmender Verdächtiger?
Und wäre das nicht schön blöd, wo doch auf den Holzscheiten sogar sein Name stand und ihn somit automatisch ein Stückweit verdächtig machte? Falls der Alois doch zugeschlagen hatte, war der Biker vielleicht bei diesem Angriff gegen das Stromkabel „gekommen“ und war so gegrillt worden? Wer konnte
denn ahnen, dass dieses Kabel 230 Volt „Saft“ drauf hatte! Sollte der Alois etwa auch dahinter stecken?
Schließlich war ja der Strom von seinem Hof gezapft worden?! Auch des wäre schön blöd, fand Sissy.
Und auch wenn der Huber-Bauer ein rechter Depp war, gar so dumm konnte er beim besten Willen nicht
sein. Oder gab es vielleicht Zeugen des Unglücks, Schrägstrich Mordes? Man konnte fast nicht davon
ausgehen. Trotzdem sollten Einheimische wie Urlauber befragt werden, ob zufällig jemand eine Beobachtung gemacht hatte. Eine andere Überlegung ging Sissy dennoch durch den Kopf. Hatte der Herr aus
der Stadt vielleicht von Haus aus ein schwaches Herz? Sollte da so ein unglücklich erwischtes Stromkabel
tatsächlich dem Herzen den tödlichen Schlag versetzt haben? Das bedurfte wirklich einer gründlichen
Untersuchung! Eine Obduktion würde Licht ins Dunkel bringen. Die Ermittlerin machte sich auf den Weg
in die Gerichtsmedizin.
Autorin:
Ilse Schmidt
Kapitel 3
Das Obduktionsergebnis steht fest
Noch auf dem Rückweg von der Gerichtsmedizin in Kempten bestellte Sissy König ihr Team zu einer
ersten Lagebesprechung ein. Während der ganzen Fahrt grübelte sie über die Ergebnisse der Obduktion
nach. Als sie in der Polizeiinspektion in Füssen eintraf, erwartete sie schon die ganze Mannschaft. Allen
voran Freddi Fink, ihr Schickimicki-Kollege, der jede Möglichkeit nutzte, um sich bei der holden Damenwelt in Szene zu setzen. Gerne vergaß Freddi, vor lauter flirten, dass er noch zu arbeiten hatte. Und momentan war Freddi in Hochform. Schuld daran war die neue Polizeianwärterin Felizitas Moser, ein bildhübsches Mädel mit Modelfigur. Sissy musste zugeben Freddi und Felizitas wären ein superschönes Paar,
das Richtige, um für jedes Touristen Hochglanz-Prospekt zu posieren. Außer den beiden war noch Paul
Mooshuber anwesend, die gute Seele des Teams. Zwar ziemlich verdruckt, wie halt die Allgäuer sind,
aber zuverlässig und absolut korrekt in seinen Ermittlungen. Sissy legte eine Bäckertüte mit Zwetschgendatschi auf den Tisch. Sie wusste, ihre Mannschaft arbeitete mit einer ordentlichen Portion Zuckerdoping
wesentlich effektiver.
Dann gings los. „Also Leute, ob ihrs glaubt oder nicht. Der Dr. Pfaff ist tatsächlich an dem Stromschlag
gestorben. Laut Gerichtsmedizin hat der Kontakt von Urin und Strom am Elektrozaun einen Stromschlag
und damit einen sofortigen Herzstillstand ausgelöst. Da war nichts mehr zu machen. Aber in seinem Urin
– (dabei rümpfte Sissy unwillkürlich die Nase)- fanden sie eine hohe Dosis an Diuretika, also so Arznei,
dass man öfters pieseln muss. Die Mountainbike-Tour von unserm Dr. Pfaff muss an diesem Tag die reinste Tortur gewesen sein. Die Pathologen glauben, dass der sicher jede Viertelstunde zum Pinkeln musste.
Die haben auch gleich die Kollegen von der KTU verständigt. Und in dem Trinkrucksack, den der Pfaff bei
sich hatte, war die Arznei auch drin.“
„Also Fremdverschulden“, unterbrach sie Freddi Fink, „das passt gut zu dem, was ich auf der Kenzenhütte erfahren hab. Übrigens, da könnten wir uns ja mal alle zur gemütlichen Einkehr treffen. Die Bedienungen dort oben, ich sag nur - fesch. Schad dass man die Mädels so selten in Füssen trifft.“ Sissy fiel
ihrem Kollegen ins Wort:“ Freddi, spar uns deine romantischen Ausflüge.“ „Schon gut Chefin. Also am
Anfang der Woche war da so ein komischer Kerl. Ist schon mit dem ersten Kenzenbus zur Hütte hochgekommen und erst am Abend mit dem letzten Bus wieder ins Tal nab. Den Mädels ist er aufgefallen,
weil er im Anzug mit Krawatte und Laptop den ganzen Tag am selben Platz saß. Und getrunken hat er
nur Mineralwasser. Bei jedem Mountainbiker, der an der Hütte ankam, ist der nervös geworden und hat
dann was in seinen Laptop getippt. Und bis zu dem Tag, wo es den Pfaff derbröselt hat, war der immer
auf der Kenzenhütte. Aber am Mordtag selber nicht. Schon seltsam, oder?“
„Genauso, wie das Privatleben von unserem lieben Vizepräsidenten!“ Damit meldete sich Felizitas Moser
zu Wort. „Ich hab mal ein bisserl im Internet recherchiert. Der Dr. Pfaff war ein sehr geselliger Mensch. In
seinem Ferienhaus in Lechbruck da verkehrte die politische und wirtschaftliche High-Society des Allgäus.
Landräte, Oberbürgermeister, Vorstände von Tourismusverbänden und so weiter. Der hatte internationale
Kontakte. Württemberger waren dabei, genauso wie Allgäuer und sogar Österreicher. Meistens sind die
Herrschaften zu irgendeinem Sport-Event aufgebrochen, aber es gab auch große Partys. Das war immer
ein Fest für die Schongauer Nachrichten. Und auch wenn der in München war, hat er`s richtig krachen
lassen. Der ist in großen Discos genauso aufgetaucht, wie auf Empfängen. So ein richtiger Lobbyist war
der. Sogar in der Staatskanzlei ist der ein und aus gegangen. Aber immer allein. Keine Freundin, keine
Frau, nix, rein gar nix.“
„ Goht au ohne.“ Alle blickten Paul Mooshuber an. So einen Kommentar war man von ihm nicht gewohnt. Paul Mooshuber nutzte die Aufmerksamkeit und berichtete, dass er sich mit dem Huber-Bauern
unterhalten hätte. Zwar stammte der Strom von seinem Hof und der Huber war ein Grantler, aber gewalttätig und dazu hinterhältig, das passte nicht zum Huber-Bauer.
Nach einer kurzen Zusammenfassung verteilte Sissy König die Aufgaben für den nächsten Tag. „Freddi,
fahr du doch nochmal zur Kenzenhütte. Unterhalt dich mal mit dem Busfahrer. Vielleicht weiß der etwas mehr zu unserem Unbekannten. Felizitas, wir beide fahren morgen früh gleich zum Ferienhaus vom
Dr. Pfaff. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der selber sein Haus geputzt hat. Da gibt’s doch sicher eine
Haushälterin oder so was. Mooshuber, du stellst bitte eine Liste mit den aktuellen Projekten vom Pfaff
zusammen. Mal schauen ob sich da was ergibt. Ansonsten Leute, bis hierher gute Arbeit. Macht für heute Feierabend. Wer weiß, wie´s in den nächsten Tagen weitergeht. Und nehmt euch den restlichen Datschi ruhig mit nach Haus.“ Damit verabschiedete sich auch Sissy König und fuhr zu ihren Männern nach
Hause. Doch der seltsame Fremde auf der Kenzenhütte ging ihr nicht aus dem Sinn...
Autorin:
Tabea Weiß
Kapitel 4
Hausbesuch beim Herrn Doktor
Da die Arbeitsaufträge ordentlich verteilt waren, begab sich Freddi am nächsten Morgen auf die Kenzelhütte, Herr Mooshuber ging seiner Recherchearbeit nach aktuellen Projekten vom Dr. Pfaff nach und Sissy König konnte mit ihrer jungen und hübschen Kollegin Felizitas unbefangen nach Hochbergle fahren.
Dank einer Durchsuchungsgenehmigung gab es auch keine Scherereien vor Ort. „Ich sage doch, unser lieber Vizepräsident hat sich’s gut gehen lassen“, sagte Felizitas und zeigte auf ein
pompöses Gebäude mit Seezugang, „alles andere als ein Ferienhäuschen“.
Sie hatte Recht. Selbst Sissy König, die schon einiges bei ihren Ermittlungen gesehen hatte war erstaunt
über die Residenz des Herrn Doktor. Aber darum ging es ja nicht. So begaben sich die beiden mit Fotoapparat bewaffnet auf Spurensuche. Es dauerte nicht lange und Sissy fand die Telefonnummer von
Madame Chang, der Haushälterin. Nach einem kurzen Telefonat mit der selbigen wurde klar, dass aus
dieser Quelle nicht viel zu holen war. Madame Chang bestätigte zwar die unzähligen Feierlichkeiten im
Hause Pfaff, trotzdem hatte der Doktor eine weiße Weste.
„Und?“, fragte Felizitas nahezu euphorisch, nachdem die Ermittlerin aufgelegt hatte.
„Nichts. Rein gar nicht“, seufzte Sissy König.
„Aber irgendetwas Interessantes muss sie doch erwähnt haben, irgendwas?!“, wollte die junge Polzeianwärterin nicht aufgeben.
„Ich sage doch: Nichts. Obwohl: Über eine Sachen bin ich gestolpert. Die Caterings zu den großen Partys
hat immer die Kenzelhütte übernommen.“
„Ich wusste gar nicht, dass die so etwas machen. Freunde von mir hatten einmal nachgefragt und ein
dickes NEIN kassiert.“
„Vielleicht war es eine Ausnahme, weil der Doktor so viel Geld hat? Und es ergibt Sinn: gutes Essen,
günstige Preise und hübsche Bedienungen. Was will ein Gastgeber mehr?“, schmunzelte Sissy und
machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Sie suchten und stöberten und fanden letztlich doch
nichts, außer einer, zugegeben, imposanten Gästeliste mit geläufigen Namen und einem Nagellack im
Badezimmer.
Gegen Abend versammelte sich die Mannschaft wieder in der Füssener Polizeiinspektion, um Bericht zu
erstatten. Sissy König hoffte die Ermittlungen der anderen waren ergiebiger gewesen, als die ihren. Doch
auch Freddi Fink war sichtlich frustriert und begann zu berichten:
„Der Mann mit dem Schleptop ist sauber. Der spricht nur Französisch, ist autistisch veranlagt und einfach
nur ein Sonderling. Der Busfahrer hat sich täglich mit ihm unterhalten. Er hat nur mit niemandem geredet, weil er niemanden auf seiner Reise verstanden hat.“
„So. Und was hat‘s dann mit der Paranoia bezüglich der Radler auf sich?“, entgegnete der alte Mooshuber.
„Ach, Finger weg von seiner Paranoia. Der Mann ist einfach nur ängstlich und schon jahrelang in Behandlung, wegen Burnout und Verfolgungsängsten“, schloss Freddi genervt.
Sissy König glaubte ihm. Auch wenn der seltsame Fremde ihr Kopfschmerzen und eine schlaflose Nacht
bereitet hatte, war er letzten Endes nur ein komischer Kauz und ein stinknormaler Tourist.
„Wir haben auch nichts, bis auf eine Gästeliste vom vergangenen Samstag, die Tatsache dass die Kenzelhütte alle Caterings seit ungefähr einem Jahr beim Verstorbenen übernommen hat und sonst nichts“
Keiner der im Raum versammelten ging darauf ein. Sie kannten ihre Sissy sehr gut und wussten, wann
sie eine Spur hatte und wann nicht. Das war definitiv keine, denn die Enttäuschung war ihr ins Gesicht
geschrieben.
Autor:
Hans Lücke
Kapitel 5
Frivole Feste auf der Kenzenhütte
Wie kommt‘s, dass die Kenzenhütte scheinbar ausnahmsweise bei allen Partys des Toten gecatert hatte?
Bestand etwa eine „private Verbindung“ zwischen einer der Bedienungen und dem Verstorbenen? Und
was hatte das alles mit dem „Wildbieseln“ zu tun? Jetzt dürfen Sie entscheiden… Wie von dunklen Wolken umhüllt sah das Gesicht unserer sonst so adretten und charmanten Ermittlerin
Sissy König aus. Wie gesagt; keiner im Raum traute sich eine Regung zu machen, um nicht den Gedankengang der „Chefin“ zu unterbrechen. Urplötzlich aus der Stille sagte sie „Ich Rindvieh, warum sehe
ich nicht das Naheliegende? Die Gästeliste, ja die Gästeliste könnte uns weiterbringen!“ Ja genau, nun
kam wieder Leben in den Sleep-Modus von Freddi Fink und seine Kollegen, der sicher wieder an die
schönen Kenzenhütten-Bedienungen dachte.
„Da müssen wir ansetzen und auch den Wirt müssen wir befragen. Es muss einen Grund geben, warum
die beim Herrn Doktor gecatert haben und bei allen anderen Anfragen Absagen erteilt haben.“
Und nun klinkte sich auch wieder die taffe junge Polizeianwärterin Felizitas Moser ein: „Na klar, und außerdem hatte Herr Dr. Pfaff wohl ein sehr inniges Verhältnis zur Hütte und wohl auch zu den Madln“.
„Also den Bedienungen“, ergänzte der sonst so ruhige Paul Mooshuber.
„Ja genau“, entgegnete Sissy König „und wie gesagt, die Gästeliste müssen wir auch checken. Wir müssen herausfinden, ob die Gäste von seiner wohl letzten Party etwas wissen, und vor allem warum Dr. Paff
so ein inniges Verhältnis zur Kenzenhütte pflegte. Die Frage liegt auf der Hand, nur geschäftlich kann die
Verbindung wohl nicht sein. Und besteht etwa eine ‚private Verbindung‘ zwischen einer der Bedienungen und dem Verstorbenen?“.
Paul Mooshuber ergänzte wieder einmal zum Abschluss der lebhaften Diskussion sehr trocken: „Jo und
au misse mir rauskriege, was hot des alles mit dem Wildbieseln zum doe und warum hot ehm no der
Schlag troffa?“
„Also ran an die Ermittlungen“. Sissy König sprühte nun wieder voller Energie, wahrscheinlich auch deshalb, weil Felizitas ihr ganz still und ohne dass es jemand bemerkte beim langen Nachdenken duftenden
Kaffee brachte. Und es lag wohl auch an der Tasse – die sie zum Schmunzeln brachte: „§1 der Chef hat
immer recht, §2…“ Und so weiter.
„Also, noch amal, du Freddi checkst die Hütten und die Bedienungen usw., du Paul als quasi Ureinwohner kennst am besten die Einheimischen und zapfst den Wirt an und checkst das ganze Umfeld. Und wir,
liebe Felizitas, schauen uns einmal die Gästeliste genauer an. Ach ja, und als erstes checke ich nochmals
Madame Chang, die Haushälterin, die muss noch mehr wissen. Also bis heute Abend – sagen wir kurz
vor Dienstschluss – Lage in meinem Büro.“
Alle sprangen auf - Ok fast alle. Paul Mooshuber war ja nicht mehr der Jüngste im Team, mit seinen 50
und seinem – sagen wir mal – nicht gerade zu sportlichen Körperbau, aber immerhin… Nun ging endlich
wieder was in den kaum vorhandenen Ermittlungen weiter.
Um 17.00 Uhr, später als gedacht, trafen nun auch alle wieder fast hintereinander auf der Dienststelle in
Füssen ein. Als Letzter, leicht außer Atem – nein nicht Paul Mooshuber – sondern der Heißsporn Freddi.
Ihn hatten die Ermittlungen wohl am meisten strapaziert. Also fing Sissy ohne Zögern an: „Der Reihe
nach: Paul fang du bitte mal an, was weißt du über den Wirt und sonst im Umfeld der Hütte?“
Paul berichtete, dass der Wirt ein Einheimischer sei, aber wohl auch so das einzige in der Hütte UrAllgäuerische. Der Koch sei „a Ösi“ und die Bedienungen alle aus den östlichen Europäischen Ländern.
„Heißt, die Bedienungen allesamt bluatjung, so um die Zwanzge rumnum und allsamt wie gsagt aus der
Tschechei , Ungarn, Rumänien. Die onzig Einheimische außer dem Wirt isch sei Alde und die isch halt a
Besa und meist im Tal dhoim und spielt sonst, wenn se oba isch die Chefin.“
Außerdem konnte Paul berichten, dass der Herr Doktor und der Wirt wohl „Freunde“ waren. Aber er
hatte eher das Gefühl die Freundschaft lag zumeist am Geld des Doktors und Paul verspürte in seiner
Magengegend ein seltsames Gefühl, da wäre mehr als nur Freundschaft zwischen den beiden gewesen.
Aber warum am Zaun Strom war und wer es auf Dr. Paff abgesehen hatte konnte der Wirt sich „leider“
so gar nicht erklären. Das passte gut zu dem was Sissy über die Haushälterin Madame Chang herausbekam. Dr. Pfaff hatte wohl, wie gesagt, rauschende Partys gefeiert, meist am Ruhetag der Kenzenhütte,
die, wie eben von Paul berichtet, noch mehr Geld einschob als sonst! Und die jungen Bedienungen
mussten im wahrsten Sinne des Wortes auch noch hart ran. Als Madame Chang einmal etwas vergessen
hatte und nochmals zu Dr. Pfaff fuhr, war die Party in vollem Gange, der Alkohol floss wohl reichlich und
die Bedienungen waren in ihren „Dirndln“ gekleidet, die wohl mit dem sonst alpenländisch bekannten
Kleidungsstück nicht viel gemein hatten. Auch die „feinen“ Herrschaften trugen nicht gerade Smokings,
sondern waren eher „nackert“, wie man hier so schön sagte. Auffällig war, dass nur Herren – außer den
„leicht bekleideten“ Bedienungen anwesend waren. Der Blutdruck stieg bei Sissy, aber sie wartete, was
noch von Felicitas käme. Diese konnte bestätigen, dass nach eingehender Prüfung der letzten Gästeliste, wohl nur Männer da waren. Aber die Liste hatte es in sich! Lauter A- und B-Promis aus der Gegend
und die sogenannten „Honoratioren“ aus nah und fern im Allgäu. Wohl so um die 25 Gäste zählten zu
dem auserwählten Kreis. Sissy war zwar einerseits über die Ergebnisse froh, andererseits geschockt von
dem, was sich vor dem „alpenländischen Bilderbuch Panorama“ so alles verbarg. Man musste nur an der
Oberfläche kratzen.
„Also gut, fassen wir zusammen, da stinkt was bis zum Himmel und nicht nur der Odel wie in unserm
letzten Fall. Es gibt nun gute Ansatzpunkte. Der Herr Wirt scheint einer genaueren Betrachtung wert:
Geldgierig und am End sogar Zuhälter? Außerdem stellt sich die Frage, ob der Dr. Paff ihn erpresst hat?
Dann hätte er ein Motiv. Die Bedienungen, die ausgebeutet werden und sich evtl. auch noch prostituieren – und wohl nicht freiwillig! Und leider hätten auch die dann ein Motiv den Peiniger loszuwerden.
Und auch die besonderen Gäste haben eventuell nun kalte Füße bekommen, weil Sie ja vielleicht von
Dr. Pfaff erpresst werden? Fragen über Fragen! Aber Morgen ist auch noch ein Tag, es wartet noch viel
Arbeit auf uns… Wir laden alle Bedienungen und dann noch alle Gäste – einer nach dem andern – auf
die Dienststelle zum Gespräch. Mal sehen, was wir noch alles erfahren. Vielleicht erfahren wir auch noch
Dinge, die wir gar nicht wissen wollen“, murmelte Sissy König vor sich her und schloss den heutigen Tag
mit den Worten „Guat gmacht Leute, morgen geht’s weiter!“
Autor:
Herr Jung
Kapitel 6
Zurück zum Tatort
Sissy König steckte in einer Sackgasse. Wirklich alle Bedienungen aufs Revier laden? Das würde ja ewig
dauern. Absolut keine gelungene Idee. Ihr Kopf war voll. Sie konnte keinen Gedanken fassen, da half
nur eines – „Auslüften“. Anstelle mit ihrem Wagen nach Hause zu fahren, ging sie mit schnellen Schritten in Richtung Füssener Altstadt. Sissy musste sich bewegen und je schneller sie ging, umso besser
funktionierte ihr Gehirn. Bei diesem Tempo nahm Sissy nichts mehr von ihrer Umwelt war. Sie sah weder
die schnuckligen Plätze, die Füssen zu bieten hatte, noch hatte sie einen Blick für das wunderschöne
Herbstwetter. Sie war in Gedanken versunken. Doch Bewegung und frische Luft taten ihr Übriges. Nach
einer guten Stunde forschen Schrittes, hatte sie einen Entschluss gefasst. Zufrieden kehrte Sissy in die Polizeiinspektion zurück, stieg in ihr Auto und fuhr zu ihren Männern nach Hause.
Am nächsten Morgen war Sissy die Erste im Ermittlungsbüro. Ungeduldig wartete sie auf das Eintreffen
ihrer Kollegen. Als schließlich alle beisammen waren, verteilte Sissy die Aufgaben nochmal neu: „Also
Leute, wir müssen vielleicht noch einmal anders an die Sache rangehen. Gute Hinweise haben wir schon
mit den Mädchen aus der Hütte, den lasziven Feiern und dem Wirt. Aber wir brauchen mehr. Paul, wir
zwei schauen uns bitte noch einmal den Tatort an. Freddi, frag du mal bei der KTU nach, ob die schon
mehr über das Biesel-Medikament wissen. Das hatten wir völlig aus den Augen verloren. Bekommt man
das überall? Was ist da drin? Sind es Tabletten oder Tropfen? Wer vertreibt es? Und so weiter, du weißt
schon. So, los geht’s! Paul, wir fahren.“ Damit schnappte sie sich ihren Kollegen und gemeinsam ging es
in Richtung Wankerfleck.
Wenig später standen die beiden Kommissare am Tatort. Das Allgäu zeigte sich an diesem Tag von seiner
schönsten Seite. Strahlend blauer Himmel, die Bäume begannen schon ihr Herbstkleid anzuziehen und
die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen über die Hügel. Paul Mooshuber und Sissy König verharrten
einen Moment und sogen die gigantische Atmosphäre tief in sich hinein.
„Scho schee...“ eine Liebeserklärung sonders gleichen aus dem Mund von Paul Mooshuber. Sissy verstand ihn. Sie empfand dasselbe. Paul Mooshuber und Sissy König nahmen den Holzstapel, an dem Dr.
Rolf Pfaff das Zeitliche gesegnet hatte, nochmals genau unter die Lupe. Das ganze aufgetürmte Holz befand sich innerhalb des elektrischen Weidezauns. Alles Holz war akkurat aufgestapelt und konnte nicht
verrutschen. Und der Alois Huber hatte wirklich jeden der Holzscheite mit seinem Namen gekennzeichnet. So etwas hatte Sissy noch nie gesehen. Sissy umrundete den Holzstapel mehrmals, kletterte dazu
öfters über den Zaun, ging sogar in die Knie, um den Holzstapel aus jeder Perspektive zu betrachten.
Schließlich legte sie sich bäuchlings in die Wiese, nicht ohne vorher den Platz genau nach Kuhpflättern,
man kann auch Kuhfladen sagen, kontrolliert zu haben. Und da sah sie es. Ein Sonnenstrahl ließ es aufblitzen.
„Paul, guck mal do na!“ unwillkürlich war Sissy in den Dialekt ihres Kollegen verfallen. Paul Mooshuber,
der sich in der Zwischenzeit in der näheren Umgebung umgeschaut hatte, war blitzschnell an der Seite
seiner Chefin. In der vierten Reihe des Holzstapels entdeckten sie eine silberfarbene Metallröhre. Nicht
sehr groß im Durchmesser und anscheinend kürzer als die Holzscheite, denn die Röhre war kaum zu
sehen. Hätte das Röhrchen keinen glänzenden Deckel gehabt, sie hätten es vermutlich übersehen. Paul
Mooshuber dokumentierte den Fundstatus mit seiner Kamera, dann begann er vorsichtig ein Holzscheit
nach dem anderen zu entfernen, bis er schließlich an der Röhre angelangt war.
Sissy König wollte sofort zugreifen und sich den Gegenstand genauer anschauen, aber Paul Mooshuber
hielt sie zurück. „Halt Chefin, da muss die KTU nochmol her! Mir wissed jo gar nid, was in dem Röhrle
isch. Am End isch des vielleicht no Sprengstoff.“ Sissy schaute den sonst so besonnenen Paul Mooshuber sehr skeptisch an, Sprengstoff in einem Holzstapel, na ja. Aber der Mooshuber hatte recht. Das war
ein Fall für die Spurensicherung. „Schon in Ordnung Paul. Ruf du die Kollegen an und bis die eintreffen,
gehen wir noch mal rüber zur Kenzenhütte. Bei einer schönen Tasse Kaffee fühlen wir dem Personal mal
ein bisserl mehr auf den Zahn.“ Sissy König und Kollege Mooshuber sperrten den Tatort mit einem gut
sichtbaren Band weiträumig ab und begaben sich zur Kenzenhütte, wo Felizitas bereits Eigeninitiative
zeigte und die Bedienungen vernahm.
Autorin:
Tabea Weiß
Kapitel 7
Sissy spitzt die Ohren
Sissy König und Paul Mooshuber setzten sich nach ihrer neuen Entdeckung bei der Kenzenhütte an einen Tisch. Da Felizitas schon mitten drin bei den Vernehmungen war und ihnen vermittelte, dass sie gut
vorwärts kommen würde, blieb für die beiden ein Moment Zeit, sich zu setzen, tief durchzuatmen und
die wärmenden Strahlen der Sonne zu genießen. Paul Mooshuber bestellte sich ein alkoholfreies Weizen – er war ja im Dienst – und Sissy König ein großes Johannisbeersaftschorle. Eigentlich waren sie hier
oben entbehrlich, es schien, dass Felizitas die Befragungen genauso gut alleine zu Ende bringen konnte.
Die Ergebnisse würden sie ja noch früh genug erfahren. Auch die KTU würde ihre Untersuchungen ebenfalls ohne sie erledigen können.
Bevor sich die Kommissare wieder auf den Weg ins Tal machten, hatte Sissy noch ein dringendes Bedürfnis. Sie suchte in der Hütte die entsprechende Lokalität auf. Als sie die WC-Tür von innen verriegelt
hatte, war sie sehr erstaunt: Sie konnte - wohl über die Lüftungsanlage nach außen - einzelne geflüsterte
Wortfetzen aufschnappen. Ob dies Frauenstimmen waren? Hatte dies mit dem Fall zu tun oder war das
jetzt nur ganz belanglos und völlig zufällig? Sie strengte sich an, den leisen Flüsterton zu verstehen. Mit
den zahlreichen Nebengeräuschen in und um die Hütte herum war das nicht so einfach. „...Dass du ja
deinen Mund hältst..“ meinte sie zu hören und: „..du weißt ja, was das für uns bedeutet, wenn das
rauskommt!“ Dann betätigte jemand nebenan die Wasserspülung und dieses laut plätschernde Geräusch
übertönte alles. Und danach war Funkstille. Sie wartete noch etwas ab, doch umsonst, es war nichts
mehr zu hören. Sissy König teilte ihre Beobachtung Paul Mooshuber mit, der ihr gespannt lauschte. Auch
er konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch einen Augenblick später kam ihm ein Gedanke: „Hemr
aegentlich scho den Trinkrucksack von dem Mountainbiker auf Abdrücke untersucha lassa? Mir miassa
nausfindo, wer da des Zeigle en sei Wasser eini do hat!“
Autorin:
Renate Florl
Kapitel 8
Die Geliebte vom Herrn Doktor und Neues von
der KTU
Es war Zeit wieder in die Dienststelle zurückzufahren. Sissy wusste, dass die Zeit drängte – es mussten
endlich Ergebnisse her! Nachdem sie mit ihrem schmucken kleinen Cabrio den Weg hinunter geflitzt war
und den einen oder anderen Wanderer gegen sich aufgebracht hatte, die bei diesem „Altweibersommer“ unterwegs waren, wunderte sie sich schon etwas. Und was konnte sie dafür, dass beim offenen
Fahren nun mal kein „Blaulicht“ anzubringen war. Kollege Mooshuber wäre ja lieber mit einem „rächte
Audo gfahra“ , also einem Dienstwagen, der als Polizeieinsatzfahrzeug erkennbar war. Aber Sissy freute
sich nun mal so noch einmal „offen“ zu fahren. So oft war das wohl nicht mehr möglich im sich dem
Ende zuneigenden Jahr.
In der Dienststelle waren nun alle mal versammelt. Sissy war gespannt und fast aufgeregt, was heute
alle so zusammen getragen hatten. Freddy meldete sich als erster zu Wort: „Sissy, heut fang ich an.
Wichtig ist doch, was wir und die KTU über dieses Diuretika wissen und was für Schlüsse wir ziehen
können! Aaalso..“ Was nun folgte kann man schon als medizinischen Exkurs bezeichnen; Freddy legte
los: „Wusstet ihr, dass Diuretika in der Behandlung von Herzschwäche, Bluthochdruck, Ödemen, Leberzirrhose mit Wassereinlagerung, Niereninsuffizienz mit Wassereinlagerung, zur Ausschwemmung bei
Vergiftungen“ und Freddy dehnte“ u n d zur schnellen Gewichtsreduktion genommen werden? Und
nun aber der Hammer, Diuretika stehen auf der Dopingliste! Bodybuilder oder ganz Schlaue nehmen
das zum schnellen Abnehmen. – Ganz gefährlich –laut unserer KTU, aber es wird noch spannender, die
haben Nebenwirkungen, ich sags euch.“ Freddy war nun ganz aufgeregt und rot im Gesicht:“ Diuretika
sind im Allgemeinen zwar gut verträglich und haben eine hohe therapeutische Bandbreite. Aber auch die
möglichen Nebenwirkungen haben es in sich; Austrocknung durch zu hohen Wasserverlust, Salzmangel,
Krampfanfälle, Verwirrtheit und Wadenkrämpfe, und Herzrhythmusstörungen!“
Sissy und das restliche Team hörten aufmerksam, aber mitunter auch leicht genervt zu. Letztendlich aber
hatten sich die Recherchen von Freddy gelohnt. „Wow“ entfuhr es Felizitas, „Mein Papa und die Omi
schlucken die Dinger auch, aber dass diese so „krass“ sind hätte ich nicht gedacht.“ So ähnlich, vielleicht
in gediegener Form, dachte Sissy auch. Aber Freddy war noch nicht fertig. Leider (für den vorliegenden
Mord) hatte Herr Dr. Pfaff ganz legal die Medikamente wegen einer leichten Herz-Geschichte von seinem
Hausarzt verschrieben bekommen. Aber laut Gerichtsmedizin hatten sie keine sogenannten Nebenwirkungen bei ihm festgestellt. Und wegen der Herzgeschichte wäre er nicht gestorben, hätte - ja hätte
er nicht an den Zaun gebieselt! „Mensch Freddy, super!“ entfuhr es Sissy König leicht genervt. „Leider
bringt uns das jetzt nicht wirklich weiter!“ „Aber immerhin wissen wir jetzt, warum er das Medikament
nahm und für was des Zuig halt no guot isch“ ergänze Paul Mosshuber gemächlich.
„So nun zu Dir Felicitas, dich habe ich ja gestern noch zur Befragung der Mädls auf die Kenzenhütte
eingeteilt, was kam denn da so raus?“ Felicitas konnte berichten, dass die Mädels am Anfang gestockt
hatten und nicht berichten wollten, und auf „Ich versteh doch nicht so gut deutsch“ machen wollten.
„Schließlich konnte ich sie doch dazu bewegen, weil ich „doch auch nur ein junges Mädchen bin“
berichtete Felicitas stolz. Ja, der Verdacht, dass der feine Herr Wirt die Mädchen dazu zwang, so leicht
gekleidet und auch die eine oder andere „Dienstleistung“ beim Sondercatering zu erbringen, stand fest.
Felicitas sprach hastig weiter. „Ich habe schon die „Sitte“ mit eingeschaltet. Wer weiß, was der Depp da
oben noch so alles von den Mädchen verlangt. Also ganz ehrlich, freiwillig hat da keine gesagt, ha diesen zusätzlichen Euro nehme ich auch noch mit. Die Mädchen kommen allesamt von den Hotelfachschulen aus ihrer Heimat und brauchen die internationale Erfahrung für ihre Lehre. Und sie waren schon das
zweite Mal im Allgäu und hatten echt gute Arbeitgeber beim ersten Mal, wie zum Beispiel das Schlossbrau Haus in Schwangau oder die Pizzeria genau gegenüber. Echt tolle seriöse Jobs und gutes Geld und
gelernt hatten sie dort allemal. Und darum kamen sie wieder. Der Kenzen Wirt aber hatte sie besonders
umworben und hatte ihnen Zusatz-Jobs versprochen, bei denen sie noch mal so richtig gut verdienen
konnten. Und, na ja, sie fielen darauf rein – eben leider doch noch jung und naiv. Aber der alte Sack
hatte natürlich nie von quasi so einem Job gesprochen, alles natürlich seriös und so.“ „Also ogloga – der
Sausack - hot dr die Mädla“ entfuhr es Paul Mooshuber, dem sonst eher zu ruhigen Ermittler. Ob ein
Mädchen aber eine wirklich echte Beziehung zu Dr. Pfaff hatte, hatte die junge Kollegin nicht herausbekommen können. „Aber ich bleibe dran!“ schloss Felicitas. „Sauber, echt sauber, gut gemacht!“ konnte
Sissy nur beeindruckt loben.
Jetzt kamen Sissy und Paul an die Reihe und berichteten von dem Holzstapel und dem geheimnisvollen
Röhrchen. Leider hatte die KTU noch keinen Bericht gefaxt oder gar angerufen. „Aber so sind die halt,
langsam, aber gründlich“ schloss nun Sissy leicht genervt „warten wir eben mal wieder ab, was die
erlauchten Herren der KTU uns morgen mitteilen.“ Gerade als sie weitermachen wollte und Aufträge
für den nächsten Tag verteilen wollte, klingelte „wie auf das berühmte Stichwort“ das Handy von Sissy.
„Aha, die KTU, nun bin ich gespannt, was die wissen.“ Nun vergingen gefühlte „Stunden“. Sie hörten
von Sissy nur hmm`s und ohh`s usw., aber Schlüsse konnte keiner der sonst Anwesenden ziehen. Als
Sissy auflegte, schnaufte sie erst mal tief durch und sagte „Kinder des glaubt ihr jetzt nicht, was die
mir berichtet haben!“ Die KTU hatte das Röhrchen fein säuberlich geöffnet und es war zum Glück kein
Sprengstoff oder dergleichen – sondern irgendwelche Papiere und Pläne drin. Diese wollten sie schnellst
möglichst nach oben geben. Der Bote bringe morgen alles sauber und KTU-technisch erfasst in die
Dienststelle. „Ich bin echt gespannt was da rumkommt,“ entfuhr es Sissy und Freddy unisono.
„Aber jetzt kommts, bei der Hausdurchsuchung fanden wir ja im Badezimmer ein Nagellackflasche und
die hatte noch schöne, für die KTU verwendbare Fingerabdrücke. Und, was soll ich euch sagen, die
gehören“ - es folgte eine theatralische Kunstpause – „Madame Chang! Also versteht ihr?!“ legte Sissy
nach „Im Bad von Dr. Pfaff! In seinem Bad! Nagellack von Madame Chang!“ Das war echt eine Überraschung. „Auch das noch,“ seufzte Freddy, „statt weiterzukommen, kommt immer noch was neues Unerklärlichen dazu!“ „Echt krass!“ entfuhr es Felicitas. „Also heute kommen wir nicht mehr weiter, aber
morgen greifen wir voll an. Ich muss jetzt nachdenken und morgen Punkt neun seid ihr wieder bei mir
im Büro. Da schauen wir uns die Papiere vom Röhrle an und vielleicht fällt mir was zu Madame Chang
ein.“ Ordnete Sissy an. Sie wusste, dies würde wieder keine gute Nacht werden. Leicht genervt fuhr sie
heim zu „ihren Männern“ und hoffte, dass einer die Güte und Erbarmen gehabt hatte, etwas Anständiges zu kochen. Ihr Hunger war nämlich riesengroß.
Autor:
Herr Jung
Kapitel 9
Sissys Männer ermitteln mit
Der Abend entwickelte sich jedoch ganz anders als erwartet. Als Sissy König nach Hause kam, war weder
ihr Sohn Bastian noch ihr Mann Thomas zu Hause. „Komisch“, dachte Sissy und wunderte sich ein wenig darüber, „normalerweise weiß ich doch Bescheid, wenn der eine oder der andere länger weg ist“.
Ihr Magen knurrte, so öffnete sie die Kühlschranktür und überlegte, womit sie auf die Schnelle etwas
Leckeres zu essen zaubern konnte. Sie entdeckte ein paar Semmelknödel vom Vortag: „Die eignen sich
hervorragend zum Rösten mit Ei – und dazu gibt es einen Salat!“ Kurz darauf hörte sie die Haustüre. Vater und Sohn kamen nach Hause. Wo waren sie nur so lange gewesen?
Beide sahen mitgenommen aus, das erkannte sie auf den ersten Blick. Jetzt fiel es ihr wieder ein, die beiden hatte heute zusammen den Tegelberg-Klettersteig begehen wollen. Wie hatte sie das nur vergessen
können? So fragte sie interessiert: „Na, wie war eure Tour?“
Ihr Mann gab ihr einen flüchtigen Kuss, holte tief Luft und antwortete: „Normalerweise sind wir mit dem
Tegelbergsteig in einem halben Tag fertig, doch heute war alles anders. Stell dir vor, wir haben Schlimmeres verhindern können.“ Und Basti ergänzte: „Wer sich alles in diesen doch recht anspruchsvollen
Klettersteig wagt und das um diese Jahreszeit – unglaublich. Man weiß doch, dass er durch die nordseitige Wand geht, wo jetzt um diese Jahreszeit keine Sonne mehr hinkommt und die schmalen Bänder
teilweise dreckig und zudem feucht sind.“„Ihr habt sicher Hunger“, warf Sissy ein, „kommt, setzt euch
und erzählt beim Essen weiter.“
Basti ergriff als erster wieder das Wort: „Mama, du kennst ja die lange Leiter, mit der der Tegelbergsteig
beginnt. Danach folgen immer wieder schmale ausgesetzte Bänder und steile Kamine und Felsplatten.
Der Fels war heute etwas feucht, so dass die Schuhsohlen nicht immer einen festen Halt finden konnten.
Mit etwas Armkraft kann man das jedoch gut ausgleichen,“ fügte er mit einem Lächeln augenzwinkernd
noch an. „Doch was wir dann sahen, war überhaupt nicht lustig“, ergänzte ihr Mann: „Zwei junge
Frauen, die mit zwei Männern unterwegs waren, waren total überfordert. Und sie waren noch nicht
einmal richtig ausgerüstet. Sie hatten zwar einen Helm gegen eventuellen Steinschlag auf, doch ihre
Klettersteigausrüstung und das Schuhwerk ließen zu wünschen übrig. Wenn wir nicht dazu gekommen
wären, hätte das in einer Katastrophe enden können. Die Frauen waren am Ende ihrer Kräfte, jammerten
in einer mir unverständlichen Sprache und kamen weder vor noch zurück. Die Männer – diese redeten
übrigens einwandfrei bayerisch – standen hilflos dabei und wussten weder ein noch aus. Du weißt ja, der
Klettersteig hat ja leider keinen Notausstieg.“„Und wie ging es dann weiter“, fragte Sissy, obwohl sie es
sich schon denken konnte.
„Wie immer hatte ich ein kurzes Seil in meinem Rucksack“, erwiderte Tommy, der auch als Bergführer
arbeitete, „das war die Rettung in dieser misslichen Situation. Stück für Stück sicherten wir die beiden
Frauen nach oben und zum Schluss dann auch noch die beiden Männer bis hoch zum Ausstieg. Das dauerte eine „halbe Ewigkeit“, so dass wir noch nicht einmal mehr die Seilbahn für den Abstieg erreichten
und die rund 900 Höhenmeter noch zusätzlich zu Fuß absteigen mussten.“ „Jetzt weißt du, warum es so
spät geworden ist“, schloss Basti und verabschiedete sich unter die Dusche.
Sissy überlegte eine Weile. Der Tag war lange und aufregend gewesen. In ihrem Kopf arbeitete es, dann
kam ihr plötzlich ein Gedanke. Könnte es sein, dass die Erlebnisse „ihrer Männer“ einen Zusammenhang
mit ihrem Fall hatten? Oder rührten diese Verknüpfungen von der Müdigkeit her, die sie nun immer
mehr empfand? Sie schaute ihren Mann an: „Was hast du gerade gesagt? Zwei junge Frauen waren es,
die in einer fremden Sprache redeten?“ „ Ja, ganz eindeutig“, gab er zur Antwort, „außer ihren Namen
habe ich bei ihren Gesprächen nicht viel verstanden. Eine hieß Marina, die andere Dorina. Zudem machten sich die Frauen Sorgen, weil sie rechtzeitig noch irgendwo hinkommen wollten.“
Sissy nahm sich fest vor, dieser Spur morgen nachzugehen. Zuminderst würde sie Felizitas nach den
Namen der Bedienungen fragen, die sie befragt hatte. Für heute war wahrlich genug geschehen. Was
alles an einem Tag passieren konnte! Doch etwas Wichtiges hatte sie in ihrem Beruf auch immer mehr
gelernt: abzuschalten. Die warme Dusche reinigte sie daher nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich,
so dass sie entspannt ins Bett gehen konnte.
Autorin:
Renate Florl
Kapitel 10
Erster Hoffnungsschimmer?
Sissy König hinkte ihren Tagträumen hinterher: Die Gesprächsfetzen, denen sie auf der Damentoilette
der Kenzenhütte gefolgt war ließen sie nicht los, genauso wenig der Mögliche Zusammenhang zwischen
den Erzählungen ihrer Männer bezüglich Marina und Dorina und dem aktuellen Biesel-Mordfall des
Herrn Doktor Pfaffs. Plötzlich tönte es hinter Sissy „Schlag, Jürgen Schlag“, die sich pünklich um 08.00
Uhr an ihren Schreibtisch setzen wollte.
Leicht erschrocken blickte sie sich um und sah einen großen, gut aussehenden Mann mit einem überaus
gewinnenden Lächeln vor sich. Das muss der neue Mann von der Spusi sein, dachte Sissy, der schon für
Aufregung in der Dienstelle gesorgt hatte. Die Ähnlichkeit mit einem populären Fußballtrainer konnte sie
zwar nicht ganz nachvollziehen, aber seine Art hatte schon etwas Anziehendes.
„Sissy König, nehme ich an“, Sie sind doch die mit dem „Bieselunfall“?, ich bin der Jürgen.
„Soso“, antwortete Sissy nahezu abwesend und gratulierte sich insgeheim zu dem sorgfältigen Make-up
am Morgen.
Ich dachte, ich komme gleich selber vorbei, da können wir uns kennenlernen, alles Weitere erzähle ich
Ihnen unterwegs.
„Aufi geht’s“, sagte Jürgen, half Sissy in die Jacke und ging voraus. „Ja wohin gehen wir denn um alles
in der Welt“, konnte Sissy gerade noch so rausbringen, als sie ihm beinah hypnotisiert folgte.
Na auf die Kenzenhüte, wo sonst, ich muss mir den Fundort noch mal genau angucken. Vor dem Polizeirevier sah Sissy kein Auto, sondern nur zwei Fahrräder. Als Jürgen auf diese zuging und ihr einen Schlüssel reichte, konnte sie ein gewisses Weichen der Gesichtsfarbe trotz Make up nicht vermeiden. Nicht
brieseln, das sind doch die neuen E-Bikes für unsere Kollegen. „Die Räder sollen schon mal ausprobiert
werden, sie sind wendiger und kostengünstiger als die großen Dienstwagen“.
Jürgen erklärte noch kurz die Handhabung, Schlüssel rein, Einstellen wie viel Motorleistung zugeschaltet
werden soll und los.
„So wie Sie ausschauen, verehrte Sissy dürften doch die knapp 13 km kein Problem sein“.
Nachdem sie ihr neuer Kollege noch einmal hinreißend angelächelt hatte, ergab sich Sissy Ihrem Schicksal. Auf den ersten Metern konzentrierte sich Sissy noch auf die Bedienung des E-Bikes, danach konnte
sie aber schon die herrliche Landschaft genießen. Wann war sie zuletzt so früh sportlich unterwegs gewesen, noch dazu in Begleitung eines so charmanten Mannes. Aber Beschweren wollte sie sich nicht,
denn Ihr Angetrauter brauchte sich nicht zu verstecken, es fehlte nur an gemeinsamer Zeit.
„Also Folgendes“, riss sie Jürgen aus ihren Träumereien, „wir müssen uns den Platz um die Kenzenhütte
genau ansehen, ein Teil der Papiere, die in der Dose gefunden wurden, sehen aus wie ein Bauplan.“
„Aber dort oben bekommt man doch keine Baugenehmigung“, entfuhr es Sissy. Sie war erstaunt, wie
leicht ihr das Treten und Reden mit dem E-Bike bergauf fiel.
„Eben, das wäre doch ein Motiv“, entgegnete Jürgen.
Na, das muss mir den Neue nicht vor die Nase halte, dachte Sissy und ließ sich nicht mehr von der Landschaft und ihrem Begleiter ablenken.
Doch war das wirklich alles? Nein, es gab noch unzählige Hinweise, die entschlüsselt werden mussten
und Sissy König immer noch nicht aus dem Kopf gingen.
Etwas zu ausführlich wie die meisten Mitarbeiter der Spurensicherung und mit ganz leichtem Eigenlob,
erklärte Jürgen ihr wie er aus den Notizen auf eine Webadresse gekommen war und einige Filme aus
einer Cloud heruntergeladen hatte. Als sie ihn auf den Inhalt der Filme ansprechen wollte, bremste er
plötzlich und sagte: „Ist das nicht wunderschön hier oben auf der Hütten?“
Sie stellten die Räder an der Kenzenhütte ab, die noch geschlossen hatte und gingen zu Fuß weiter, die
sogenannte Kesselrunde. Nach ein paar Minuten blieb Jürgen stehen, zog eine Karte heraus und hantierte mit seinem Handy.
„Hier muss es sein“, meinte Jürgen und zeigte erst auf eine kleine Ebene und dann auf die Abbildung
der Karte. Irgendwie kam Sissy der Grundriss bekannt vor und sie überlegte. Plötzlich fiel es ihr ein, es
sah aus wie Schloss Neuschwanstein nur deutlich kleiner. Für so eine Zeichnung hatte sie früher einmal
im Kunstunterricht in der Schule eine sehr gute Note bekommen.
Baugenehmigungen in einem Naturschutzgebiet waren allemal für ein Mordmotiv gut, dachte Sissy und
nahm allmählich wieder „Witterung“ in diesem Fall auf. „Was ist nun mit den Filmen“, war ihre nächste
Frage an Jürgen.
Ja da wären zuerst einige Partyszenen von jungen Madeln bei der Pflege des Brauchtums mit einen
Hauch von einem Dirndl und einigen mehr oder weniger bekannten Herren der Allgäuer Gesellschaft
und der Stadtverwaltung zu sehen. Später kämen noch Szenen hinzu, bei denen einzelne Paare die Party
zu zweit weiterfeierten und auf denen die Gesichter der Herren immer sehr deutlich zu erkennen wären
und die Madels nur von Ihrer Rückseite. „Die sich bei den Allermeisten aber sehen lassen konnte“, fügte
Jürgen wie es schien noch zwingend hinzu. Dabei blickte er Sissy so treuherzig an, dass sie ihm die letzte
Bemerkung nicht übel nahm.
„Immerhin sind wir vielleicht einen Schritt weiter“, dachte sich Sissy König - Baugenehmigung im Naturschutzgebiet, Pläne, Gesprächsfetzen, Marina und Dorina, Kenzenhütte, Bieselunfall, Diorethika, ... ihre
Gedanken kreisten.
Autorin:
Petra Becker
Kapitel 11
Madame Changs Geständnis
Mit einer nicht ganz optimalen Laune fuhr Sissy König ins Kommissariat. Sie parkte, grüßte, den etwas
schrulligen Kollegen aus Kempten der zu seinem Uralt Passat ging, und fragte sich gleichzeitig was dieser
hier nun schon wieder wollte? Schloss aber den Gedanken gar nicht ab, da sie wieder Stimmen tuscheln
hörte! Sie blieb plötzlich und ruckartig stehen, waren es nicht die gleichen leisen Stimmen wie auf der
Kenzenhütte?
Irrtum? Nein.
Es waren die Stimmen, ja, genau diese, identisch und klar. Wer steckte dahinter? Ihre Neugierde veranlasste sie fasst zur Nachlässigkeit ihrer Tarnung, was wiederrum nicht sehr hilfreich für diesen etwas zähflüssigen Fall gewesen wäre. Und was Sie hörte war wieder fast das gleiche. „Pass auf was Du sagst, Du
ziehst uns sonst alle mit rein – das bekommt Dir sicher nicht gut! Glaub es mir!“
Langsam und vorsichtig beugte sie sich wieder etwas nach vorne um die Sichtposition zu verbessern. Sie
glaubte nicht was sie sah! In diesem Augenblick schlug ihr jemand kameradschaftlich auf die Schulter.
Sissy erschrak fast zu Tode. Sie konnte gerade noch einen gellenden Schrei unterdrücken und schaute
dem verdutzen Paul Mosshuber ins Gesicht. Der nur fragte:
„Was isch Sissy hoscht Goister gesähne?“
„Nein Geister nicht aber, etwas viel interessanteres. Komm mit!“
Wir müssen hinten herum, über das alte Treppenhaus, du wirst staunen was ich gesehen und gehört
habe.
Oben angekommen wartete das ganze Team auf sie. Freddy konnte nicht umhin und viel Felicitas – ehe
sie etwas sagen konnte – ins Wort:
„Sissy weißt du wer draußen wartet?“
„Ja ha, Madame Chang und erstmals guten Morgen!“
Freddy kippte der Kinnladen herunter. Felicitas schaute auch nicht intelligenter und fragte:
„Bist Du jetzt neben der Hauptermittlerin auch noch Hellseherin?“
„Nein, aber ihr werdet gleich hören und staunen, was eure Chefin schon vor Dienstantritt erfahren hat.“
Als erstes fing sich Felicitas und sagte:„Mensch Sissy mach es nicht so spannend!“
Und Freddy musste doch noch losewerden: „Hast Du die Chang schon gesehen? Was für ein Weib!!“
Sissy konterte: „Ja Freddy ich hatte Sie schon mal befragt, und war ja kurz bei ihr zu Hause, falls Du Dich
noch erinnern kannst! Reiß Dich zusammen und pass auf das Du nicht gleich anfängst zu sabbern“.
Sissy bat nun Felcitas Madame Chang zu holen. Was daraufhin folgte war nahezu unglaublich und die
Ermittler staunten wieder einmal nicht schlecht über ihre Chefin. Madame Chang betrat den Raum, die
Erscheinung erinnerte einen unwillkürlich an Szenen aus einem James Bond Film: Eine asiatische Schönheit betrat den Raum. Das Parfüm und das dezente Make-up passte zu dem enganliegenden traumhaft
schönen (und sicher sauteuren) Hosenanzug! Ihre Erscheinung raubte einem, kurz gesagt, den Atem.
Sissy brauchte einen Moment dann fing auch sie sich.
Die Befragung war am Anfang recht zäh. Frau Chang blieb bei der Version nur die treusorgende und
gutverdienende Hausdame zu sein. Mit ihren knapp über 30 Jahren sah Sie aber doch noch viel jünger
aus, als sie tatsächlich war. Dieses Gerüst aus Lügen brach aber dennoch zusammen als Sissy sie mit dem
Nagellack aus dem Badezimmer von Herrn Doktor Pfaff und der passenden DNA Probe konfrontierte.
„Ach, ja Frau Chang hörte man Sissy, die DNA Probe war nicht nur im Bad, auch an der Kleidung und
naja sagen wir auch auf anderen heikleren eindeutigen Körperteilen, wie man nach dem Abgleich beim
Verblichenen von ihnen fand“. „Geben Sie es zu – Sie sind nicht nur die Hausdame sondern die Frau des
Hauses“, schloss Sissy gekonnt.
Erst war es Mucksmäuschen still und dann brach aus Madame Chang alles heraus. Am Anfang war Sie
wirklich nur die Hausdame, ein Bekannter, hatte den Kontakt hergestellt. Und leider wurde aus dem Angestelltenverhältnis nun einmal mehr.
Sissy König war verärgert: „Nun mal Tacheles, Frau Chang! Sie waren doch regelrecht von jemandem auf
Dr. Pfaff angesetzt worden, nur blöd, dass Sie sich verliebten! Etwas schräg und blöd für eine Professionelle vom Escort Service“.
Ok, dies war extrem hoch gepokert, aber Sissy wusste was sie tat. Ja, Madame Chang gab nun unter
Tränen alles zu. Sie – blöde Kuh – („Passt doch ins Allgäu, gelle?!“, dachte sich Paul mit einem kaum
vernehmbaren Grinsen) verliebte sich tatsächlich in ihn. Nur der feine Herr Dr. Pfaff behandelte Sie immer
wieder und wieder von oben herab, eben ja, wie eine Professionelle.
„Wissen Sie“, schluchzte Madame Chang abschließend, „wie bei Pretty Woman wo Richard Gere ihr
beim Gehen das Geld gibt“.
Aber das war Sissy zu wenig. Sie holte nun zum Finale aus: „Und wer hat Sie angesetzt auf Dr. Pfaff? Ich
sag`s Ihnen, der saubere Wirt von der Kenzenhütte!“
Frau Chang blickte Sie mit tellergroßen Augen an, und es entfuhr ihr mit entgleistem Gesicht: „Woher –
woher wissen Sie es?“ Ihre Stimme brach, Tränen strömten, nichts ging mehr.
„Ja, liebe Madame Chang ich hab Sie auf der Hüttentoilette und jetzt wieder hier im Hof mit dem Wirt
tuscheln hören und heute auch noch live gesehen!“ Sissy legte eine kurze theatralische Pause ein: „Frau
Chang, ich muss Sie vorläufig Festnehmen, da dringender Tatverdacht besteht, dass Sie Dr. Pfaff getötet
haben. Paul bitte lass Frau Chang abführen. Danke.“
Stille – Totenstille, war nun im Raum. War dies die Lösung, war Madame Chang, diese asiatische Traumfrau, die Mörderin? Das Team schwieg, Sissy kaute auf Ihrer Unterlippe
„Das wäre doch jetzt zu einfach oder?!“, rief Sissy König in die Stille. „Also auf geht’s, Fahndung sofort
nach dem Kenzenwirt, dem elenden Zuhälter, rausschicken.“
Autor:
Herr Jung
Kapitel 12
Madame Chang verplappert sich
Wie Ihnen geheißen fuhren Paul Mooshuber und Felizitas Richtung Kenzenhütte mit einem Haftbefehl
für den Wirt in der Tasche. Doch oben angekommen, war die Gaststätte wie leergefegt. Vereinzelt saßen
Gäste in der Hütte, tranken ihren Kaffee und unterhielten sich. Von den Betreibern und Bedienungen
war jedoch keine Spur. Mooshuber durchsuchte die ganze Wirtschaft, so gut es eben ohne Durchsuchungsbefehl ging.
„Wo san die denn alle?“, schrie er mit vielen Fragezeichen im Gesicht seine junge Kollegin an.
„Woher soll ich das denn wissen? Wahrscheinlich ausgeflogen, nachdem es die Runde gemacht hat,
dass Madame Chang bei uns auf dem Revier war?! Vielleicht kann er vermuten, was auf ihn zukommt.
Der Kenzenwirt hat bestimmt die Biege gemacht. Aber wo sind denn alle anderen? Lass uns mal auf die
Terrasse schauen“, sagte Felizitas und ging voraus.
Marina und Dorina standen bei einer Zigarette zusammengekauert unter einem Sonnenschirm, der sie
vor dem prasselnden Regen schützen sollte. Sie unterhielten sich höchst angeregt, aber flüsternd. Als die
zwei Felizitas erblickten verstummten Sie, sie kannten Felizitas ja bereits vom Verhör.
Während dessen war Sissy König in der Polizeiinspektion fleissig und wollte noch einmal die Unterlagen
des Biesel-Mordfalls sichten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass alles einzig und allein von Madame
Chang ausging. Was hatte es denn mit den Plänen zu tun, denen Sie mit Jürgen Schlag nachgegangen
war? Gerade als sie an die Zusammenhänge von Kenzenhütte, Marina und Dorina sowie dem Wirten der
Kenzenhütte dachte und alle Indizien auf ihrem Unterlagen zum Mord an Herrn Doktor Pfaff ausbreitete,
klingelte ihr Telefon.
„Sissy, hier Felizitas und Paul“, dröhnte es am anderen Ende der Leitung, „der Wirt ist nicht da, wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Sehr dubiös!“
„Ja, in der Tat“, sagte Sissy gedankenverloren, weil ihr in diesem Moment klar wurde, dass solch eine
zierliche Frau, wie Madame Chang niemals alleine den Strom an den Zaun hätte legen können.
„Aber wir haben mehr: Paul nimmt gerade nochmal Marina und Dorina in die Mangel. Sie haben übrigens von einem Verhältnis zwischen einer asiatischen Mieze und dem Wirten gesprochen. Vielleicht kann
man noch etwas mehr Details und Informationen aus der Chang herauskitzeln?“, schilderte Felizitas die
gegenwärtige Lage.
„Ja! Dann werde ich sie noch einmal ausfragen. Danke Dir.“, schloss Sissy König das Telefonat und leitete sofort das nächste Gespräch mit Madame Chang ein. Im Verhör gestand Chang eine unfreiwillige
Liaison mit dem Wirten gehabt zu haben, da sie ihm etwas schuldig sei, so die fesche Haushälterin.
„Es war widerlich! Ich wollte ihn nicht, ich liebte doch den Herrn Doktor. Wissen Sie“, plauderte Madame Chang aus dem Nähkästchen, „der Wirt ist hässlich und dick. Dr. Pfaff war schön und sportlich.
Als ich ihn das letzte Mal bei unserer Radtour sah, sah er so putzig in seinen Radlerhosen aus -“, Madame Chang stockte, aber nicht weil sie das Gefühl hatte etwas Falsches gesagt zu haben, sondern weil
Sissy König sie entgeistert anschaute.
Autorin:
Nora Reichert
Kapitel 13
Wird so ein Schuh daraus?
Was hatte Madame Chang soeben von sich gegeben? Wie bitte? Hatte sie Dr. Pfaff noch am Todestag
gesehen? Ja, war sie gar mit ihm unterwegs gewesen? All diese Gedanken überrollten Sissy König. Sie
wollte und durfte nur nichts Falsches sagen. Auch hier musste die Ermittlerin wieder hoch pokern:
„AHA! Sie sagen also Sie hätten den Herren Doktor noch während seiner Radtour gesehen?! Waren
Sie vielleicht sogar in den letzten Sekunden seines Daseins bei ihm? Wieso haben Sie das während der
Vernehmung gestern nicht erwähnt?“ bohrte Sissy nach, wobei ihr gleich der Strom in den Sinn schoss,
der an den Zaun, gegen den Dr. Pfaff gebieselt hatte, gelegt war. Madame Chang war viel zu zierlich,
ihre Hände zu grazil und die Nägel zu sehr intakt, um die schweren Gerätschaften und Kabel in die
Scheune und von dort aus an den Zaun zu tragen. Zudem traute Sissy König der schönen Asiatin nicht so
viel Scharfsinn zu, um alle Kabel richtig verknoten und verbinden zu können. Sie musste einen Komplizen gehabt haben, oder sie musste selbst die Komplizin gewesen sein, denn an den Gefühlen Madame
Changs zweifelte die Allgäuer Ermittlerin keineswegs – zu sehr beteuerte Chang ihre Liebe zu Pfaff.
Was also könne Sie geritten haben, um sich an einem Mord zu beteiligen? Welche Beweggründe könnten Madame Chang nur geleitet haben? Ist es nicht vielmehr so, dachte sich Sissy, dass man lieber selbst
stirbt als den Menschen den man liebt umbringen zu können? Was also könnte der Grund für ihre Beihilfe gewesen sein? Wer war der Mörder? Der Wirt. Eindeutig der Wirt, dachte sich Sissy König. Aber wieso
er? Waren Dr. Pfaff und er nicht augenscheinlich Freunde und Geschäftspartner? Sie steckten ja sozusagen auch unter einer Decke durch die ganzen ominösen Caterings: die leichtbekleideten Bedienungen
der Kenzenhütte, die als Escort-Damen für Pfaffs Veranstaltungen antanzen mussten, die Unmengen an
Alkohol und Drogen? Da stand doch für Pfaff viel mehr auf dem Spiel, durch seine Reputation und auch
für seine Freunde, die aus den gehobeneren Kreisen kamen. Also, schloss Sissy König ihren Gedankengang, Chang könne nicht den Menschen umbringen, den sie liebe, außer…. Es ginge um den Selbsterhaltungstrieb. Laut Freud ist dieser Bestandteil des Lebenstriebes. Jeder Mensch trägt diesen in sich, so
auch Chang. Somit wurde Sissy König eines klar: Madame Chang muss um ihr eigenes Leben Angst gehabt haben. Wird so ein Schuh daraus? Wurde sie vom Wirten bedroht? Aber wieso? All diesen Fragen
wollte Sissy auf den Grund gehen und setzte wieder an:
„Madame Chang, sprechen Sie! Wieso haben Sie das gestern nicht…“
Just in dem Moment, noch bevor Sissy König ihren Satz beenden konnte, klingelte ihr Telefon. Felizitas
war am anderen Ende der Leitung. Der Wirt und seine Frau waren gefasst.
Autor:
Helmut Binder
Kapitel 14
Die Lösung!
So ein Hin und Her hatte Sissy König schon lange nicht mehr erlebt! Ein Haufen Verdächtiger aber noch
kein Täter. „Mann oh Mann“, dachte Sissy. „Jetzt noch einmal von vorne bis der Wirt und seine Frau
zum Verhör kommen.“
Fassen wir zusammen, das Opfer Dr. Paff - tot. Madame Chang, Haushälterin und die Freundin des Verstorbenen - in U-Haft. Der Wirt und seine Frau - gefasst und werden gleich vorgeführt. So weit so gut!
Aber irgendetwas passte nicht. Sissy nahm sich die Zeit die Pläne und die Unterlagen, die der schöne
Jürgen, aus der KTU so säuberlich geordnet und gebracht hatte anzuschauen. Wieder schoss ihr der Astralkörper des KTU-Beamten in die Augen. Sie errötete unwillkürlich und musste selbst über sich schmunzeln.
„Oh Sissy“ stöhnte Sie nochmals halblaut und nahm den Stapel Akten aus dem Hefter und breitete alles
vor sich aus. Sissy las und las und verglich und verglich und auf einmal pfiff Sie durch die Zähne und sagte laut zu sich selbst: „Das glaube ich jetzt nicht!“
In dem Moment riss Freddy Fink die Tür auf und schob den Wirt und dessen Ehefrau durch die Tür. Im
Gefolge Paul Mooshuber, Felizitas Moser und noch die zwei Uniformierten Andreas und Anna.
„Mann was für ein Aufgebot und was soll das Ganze?“, brüllte nun der Kenzenhüttenwirt und seine
Frau keifte: „Mir hand mit dem Mord doch nix am Hut!“
„Aha woher wissen Sie, dass es Mord ist?“, fiel ihr etwas bissig fragend Felizitas in die Parade. Es
herrschte auf einen Schlag Ruhe, weil Mooshuber sich räusperte.
Sissy war immer noch gedankenversunken am Schreibtisch und bekam anscheinend den Rummel nicht
mit. Paul ging zu Sissy und sagte vorsichtig:
„Hallo Frau Kommissar mir send dran...“
Sissy reagierte immer noch nicht, stand wie hypnotisiert auf und sagte nichts. Alle schauten sich nur verdutzt an, Sissy schnappte ihr Handy und verschwand. Ratlosigkeit lag im Raum. Nach fast zehn Minuten
kam Sie sichtlich und ganz gewandelt wieder.
„So meine Dame, mein Herr nun zu Ihnen!“
Was jetzt folgte kennt man auch von jedem anderen Krimi: Personalien, Alibi-Prüfung, Verhör zu zweit
und einzeln und letztendlich die Erkenntnis – die zwei waren bessere Zuhälter, als Wirt und Wirtin aber
letztendlich nicht die Mörder. Die Alibis wurden gecheckt und nach kurzer Zeit stand fest, die zwei kommen rüber zur Sitte, aber würden nicht hier im Dezernat als mögliche Mörder bleiben. Sissy wies Andreas
und Anna an die zwei zu den genannten Behörden zu überstellen und den Haftbefehl wegen Fluchtgefahr aufrecht zu erhalten.
Paul bemerkte als erster: „So a Mischt au! Jetzt hemmer bald mer in U-Haft wie Pritscha aber koin Mörder!“ Sissy musste unwillkürlich schmunzeln und sagte kryptisch: „Paul reg dich bitte nicht auf – die Lösung lag die ganze Zeit vor unseren Augen und wir haben sie nicht gesehen.“ Alle staunten und blickten
Ihre Chefin mit tellergroßen Augen an!
Sissy sagte nur: „Wartet! Gleich kommt Licht ins Dunkle!“ Kaum hatte Sie ausgesprochen kamen wieder
Andreas und Anna und hatten im Schlepptau – Mooshuber entgleiste das Gesicht – Alois Huber! Den
Bauern vom Huber Hof.
„Noi net jetzt wirklich“ brachte Paul gerade noch heraus.
Sissy schwang sich auf und sagte nur ganz trocken:„Herr Alois Huber ich verhafte Sie wegen Mordes an
Dr. Rolf Pfaff, am Montag, den 14. September. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen,
kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung
einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Haben Sie das verstanden?“
Alle blickten wie der berühmte Ochs vorm Berg von Sissy König zum Huber und wieder zurück. Nur Sissy
strahlte triumphierend und fügte, nachdem sie das Nicken des Bauerns abgewartet hatte, hinzu: „So
Herr Huber ich sage Ihnen, wie es wirklich gelaufen ist: Sie sind von Pfaff umgarnt worden Ihre saure
Wies, wie Dr. Paff so gerne zu Ihnen sagte, an ihn zu verkaufen. Sie dachten im ersten Moment an ein
gutes Geschäft. Bis Sie drauf kamen, dass der saubere Herr Pfaff und der Kanzenwirt immer verschwörerisch mit Plänen und Akten vor der Hütte Richtung Huber Hof rumhantierten. Außerdem kamen Sie
selbst drauf, dass 100.000 Euro doch recht wenig Geld sind für fast 100.000 Quadratmeter – also quasi
1 Euro pro Quadratmeter. Außerdem ärgerten Sie sich grün und blau das er immer an Ihre sauber geschichteten Holzscheiten bieselte! Ist das nicht so?! Und Sie haben ihm dann nachgestellt und wie er
wieder mal ein Bedürfnis auf einen Quicki mit einem der armen Mädels auf der Toilette hatte, übrigens
die, die mein Mann und Sohn auf der Wanderung trafen, haben die Pläne gestohlen und nach Durchsicht im Holzstoß versteckt.“
Die Augen von Alois Huber wurden immer größer und der Atem stockte. Aber Sissy legte weiter nach:
„Und Sie begriffen sehr schnell, dass er Sie nur über‘s Ohr hauen wollte. Der Rest ist nun ganz einfach,
nicht wahr Herr Huber?! Sie wollten Ihn und den Wirten stellen und auch etwas vom großen Kuchen
abbekommen. Nur saublöd, dass Sie nicht zwischen 230 Volt und runter geregelten 12 Volt von Ihrer
Batterie am Zaun unterscheiden konnten, beziehungsweise weil Ihnen der Saft bei der Batterie ausging
und Sie Ihm trotzdem einen Denkzettel verpassen wollten, um ihn für Ihre Restverhandlungen weichzuklopfen. So haben Sie – entschuldigen Sie, wenn ich es so deutlich sage – in Ihrer Einfältigkeit gedacht:
Strom ist Strom und das Ladegerät stecke ich ja auch an der Steckdose an. Sie wollten Ihn eigentlich gar
nicht umbringen, aber nun war‘s zu spät und die Kabel konnten Sie nicht so schnell entfernen, weil die
Bergwacht zu schnell war. Da wir aber das Röhrchen nicht gleich gefunden haben, sind wir Ihnen nicht
gleich auf die Schliche gekommen. Vor allem, weil auch andere genug Dreck am Stecken haben. Alles
was ich gesagt habe, Herr Huber, kann ich Ihnen auch beweisen! Unsere KTU hat ganze Arbeit geleistet.
Ihre DNA ist überall am Röhrchen, an den Plänen und Dokumenten sowie auf den Kabeln und leider
auch auf Dr. Pfaff. Sie krochen nämlich aus Ihrem Versteck hervor, genau in dem Moment als Madame
Chang davonradelte, um - ja es ist paradox - zu helfen!“.
„Gell, so war‘s doch?!“, harschte Ihn Paul Mooshuber im breitesten Allgäuerisch an. „Gell so war‘s?!“,
brüllte er erneut.
Alois Huber vergrub seine Hände ins Gesicht und sagte nur „Jo so war‘s“ Und die Tränen liefen dem etwas kleinen Bauern über die Wangen. Er konnte einem leid tun: unbeabsichtigt einen Menschen ermordet...
Sissy fing sich und sagte nur noch zu Andreas und Anna „Abführen. Das Protokoll macht Ihr drüben bei
euch, ich schicke gleich Freddy und Felizitas ins Vernehmungszimmer rüber“.
Nun war es wieder still, verdammt still. Paul fing sich als erster:„Reschpekt, Reschpekt, Frau Kommissar
des war jetzt sakrisch guat, aber wie hen se des älles no schnell zammbracht?“
„Ganz einfach“, sagte nun Sissy König, „der fesche Jürgen von unserer KTU hat mich bei unserer Radltour zum Tatort irgendwie inspiriert“ – wieder lief Sie kurz rot an – „und hat mich quasi mit seinen Ergebnissen und seiner Durchsicht der Akten letztendlich drauf gebracht. Der Anruf vorhin zu Jürgen von
der KTU und das war‘s! So einfach kann es sein einen Fall zu lösen, man muss nur darauf kommen“!
Alle grinsten breit und lachten und mussten wieder einmal feststellen, dass Sie die schlauste und scharfsinnigste Ermittlerin im ganzen Allgäu hatten!
Sissy freute sich, dass der Mörder gefasst war und der Fall endlich gelöst war! Jetzt wollte sie nur noch
nach Hause zu ihren Männern, ein heißes Bad nehmen und den Feierabend genießen, nach all den Turbulenzen der vergangenen Wochen im Biesel-Mordfall des Dr. Rolf Pfaff.
Autor:
Herr Jung

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