10 Jahre RVG - eBroschüre des Deutschen Anwaltverlages, 2014

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10 Jahre RVG - eBroschüre des Deutschen Anwaltverlages, 2014
eBroschüre
Burhoff/Fölsch/Geißinger/Jungbauer/
Kindermann/Schmidt/Schneider/Thiel/
Volpert
Diese eBroschüre wird unterstützt von:
10 Jahre RVG
978-3-8240-5693-4
Deutscher AnwaltVerlag
eBroschüre
10 Jahre RVG
Von
Detlef Burhoff, Rechtsanwalt, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Peter Fölsch, Richter am Landgericht, Lübeck
Petra Geißinger, Rechtsanwältin, Aßling/Obb.
Sabine Jungbauer, gepr. Rechtsfachwirtin, München
Edith Kindermann, Rechtsanwältin und Notarin, Bremen
Thomas Schmidt, Dipl.-Rechtspfleger, Dozent FH, Wipperfürth
Norbert Schneider, Rechtsanwalt, Neunkirchen
Lotte Thiel, Rechtsanwältin, Koblenz
Joachim Volpert, Dipl.-Rechtspfleger, Willich
Haftungsausschluss:
Die Berechnungen in diesem Buch wurden mit Sorgfalt und nach bestem Wissen erstellt. Sie stellen jedoch lediglich
Arbeitshilfen und Anregungen für typische Fallgestaltungen dar. Die Eigenverantwortung für eigene Berechnungen
trägt der Benutzer. Autoren und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in der
eBroschüre enthaltenen Ausführungen und Berechnungen.
Copyright 2014 by Deutscher Anwaltverlag, Bonn
ISBN 978-3-8240-5693-4
10 Jahre RVG
Inhalt
Rn
Rn
A. Es war einmal...: Ein modernes Mrchen
ohne Fußnoten . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
D. Worum geht es eigentlich? – Pldoyer fr
eine gesetzliche Gebhrenordnung . . . .
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B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige
Baustellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
E. Die Terminsgebhr bei Einbeziehung eines
anderen Verfahrens. . . . . . . . . . . . . . .
77
7
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
I. Abrechnung der Tätigkeit des Zeugenbeistands. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger
(Nr. 4110 VV RVG u.a.) . . . . . . . . .
III. Erweiterung der Vernehmungsterminsgebühr (Nr. 4102 VV RVG) . . . . . . .
C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im
Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Die Voraussetzungen der fiktiven Terminsgebühr für einen Vergleichsabschluss
1. Die gesetzliche Regelung . . . . . . .
2. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Schriftform . . . . . . . . . . . . . . .
4. Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung. . . . . . . . . . .
III. Einzelfälle in alphabetischer Reihenfolge
1. Arrestverfahren . . . . . . . . . . . . .
2. Berufungsverfahren . . . . . . . . . .
3. Beschwerdeverfahren . . . . . . . . .
4. Einstweilige Verfügung . . . . . . . .
5. Erstinstanzliches Erkenntnisverfahren
6. Gehörsrüge . . . . . . . . . . . . . . .
7. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . .
8. Mehrwertvergleich . . . . . . . . . . .
9. Nebenintervention . . . . . . . . . . .
10. Nichtzulassungsbeschwerde . . . . .
11. Prozesskostenhilfeverfahren . . . . .
12. Räumungsfristverfahren . . . . . . . .
13. Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . .
14. Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
15. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . .
16. Selbstständiges Beweisverfahren . .
17. Terminsvertreter . . . . . . . . . . . .
18. Verkehrsanwalt . . . . . . . . . . . . .
19. Zwangsversteigerung . . . . . . . . .
20. Zwangsverwaltung . . . . . . . . . . .
21. Zwangsvollstreckung . . . . . . . . .
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I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Inhalt der Regelung des § 48 RVG . . . .
86
1. Umfang des Vergütungsanspruchs . .
87
2. Gesetzliche Vergütung . . . . . . . . .
88
III. Bindungswirkung des Prozess- oder Verfahrenskostenhilfebeschlusses. . . . . . .
89
IV. Gesetzliche Ausnahmen . . . . . . . . . .
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1. § 149 FamFG . . . . . . . . . . . . . .
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2. § 48 Abs. 2, 1. Hs. RVG . . . . . . . .
92
3. § 48 Abs. 2, 2. Hs. RVG . . . . . . . .
93
4. § 48 Abs. 5 Nr. 4 RVG. . . . . . . . .
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5. § 48 Abs. 3 RVG . . . . . . . . . . . .
95
V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
G. Teil-Anrechnung der Geschftsgebhr und
Auswirkung auf die Kostenerstattung seit
2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
I. Motive für die teilweise Anrechnung der
Geschäftsgebühr. . . . . . . . . . . . . . .
II. Gebührenrechtliche Anrechnungsfolge .
III. Keine Übertragung der Folgen der Anrechnung auf die Kostenerstattung . . . .
IV. Gegenlenken des BGH erster Teil . . . .
V. Gegenlenken des BGH zweiter Teil . . .
VI. Unbefriedigende Ergebnisse durch die
BGH – Rechtsprechung . . . . . . . . . .
VII. Reaktion des Gesetzgebers: § 15a RVG .
VIII. § 15a RVG in der gerichtlichen Praxis. .
IX. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
H. 10 Jahre RVG – Viel Licht und ein wenig
Schatten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des
RVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Anrechnungssystematik . . . . . . . . . . 129
II. Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren
auf eine Verfahrensgebühr. . . . . . . . . 134
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Rn
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III. Anrechnungsbetrag höher als Verfahrensgebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
J. ROLAND Prozesskostenrechner: . . . . . .
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A. Es war einmal...: Ein modernes Mrchen ohne Fußnoten
A. Es war einmal...: Ein modernes Märchen ohne Fußnoten
von Sabine Jungbauer, gepr. Rechtsfachwirtin, München
Wir schreiben das Jahr 2003. Brav verrichtete der Anwalt seine Arbeit. Mit der Abrechnung nach
BRAGO kannte er sich ganz gut aus. Gut, dass die Geschäftsgebühr oft nur in Höhe von 7,5/10 bezahlt
wurde, so ganz konnte man sich nicht an den Gedanken gewöhnen; auf der anderen Seite, sollte man wirklich wegen 1/10 herumstreiten? Machte das wirtschaftlich Sinn? Der Gesetzgeber versprach schließlich
eine Strukturreform des Gebührenrechts. Das neue RVG sollte ein großer Wurf werden. Und so hoffte
unser Anwalt auch auf die lang ersehnte und vor allen Dingen schon lang verdiente Gebührenanhebung.
2004 war es dann soweit: Das RVG trat zum 1.7.2004 in Kraft. Frohen Mutes, alles sollte einfacher und
besser werden, stellte der Anwalt jedoch schnell fest:
1
Die Beweisgebühr gab es nicht mehr; die Gebührenanhebung blieb (mit Ausnahme bei Straf- und Bußgeldsachen) meist auf der Strecke. Und diese Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hatte es in
sich. Sollte man nun gegenüber dem Mandanten die halbe Geschäftsgebühr abrechnen oder doch die volle, wenn die Sache gerichtlich wurde? Und wie war das bei Kostenerstattung durch den Gegner? Voll einklagen, oder doch nur „halb“ – anrechnen im Kostenfestsetzungsverfahren, ja oder nein, aus dem vollen
Wert oder nur einem Teil? Man muss das Gesetz schon genau lesen, um zu verstehen, dass „derselbe Gegenstand“ im Sinne der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nicht dasselbe ist wie „derselbe Gegenstandswert“.
Auch der BGH war sich anfangs nicht ganz sicher, wie denn nun diese Anrechnungsregel zu verstehen sei.
Entsteht die Verfahrensgebühr in reduzierter Höhe, wenn aus demselben Gegenstand eine Geschäftsgebühr entsteht, oder entsteht sie zunächst in voller Höhe und durch die Anrechnung kommt es zu einem
Abzug? Neue Wörter wie „Rückwärtsanrechnung“ und „Kettenanrechnung“ schafften es zwar nicht in
den Duden, entwickelten sich aber zu stehenden Begriffen der Gebührenrechts-Geheimwissenschaftler.
Zum Glück wurden diese Dinge dann fünf Jahre später u.a. durch die Einführung des § 15a RVG zum
5.8.2009 „klargestellt“; einige Probleme wurden weniger, andere tauchten auf.
Neuen Kummer gab es immer wieder. So musste denn auch das 2. KostRMoG in Vorbem. 3 Abs. 1
VV RVG zum 1.8.2013 klarstellen, dass nur der Anwalt, der einen unbedingten Prozessauftrag hat, Gebühren nach Teil 3 VV RVG verdienen kann. Auch wenn dies schon 2004 mit der Einführung des RVG
nicht anders gemeint war, führt diese Klarstellung nun seit August 2013 in der Praxis wieder zu völlig
neuen Diskussionen. Während andere noch überlegen, ob „unbedingt“ nicht eher im Zusammenhang
mit einer Tasse Kaffee zu sehen ist („Ich brauch jetzt unbedingt einen Kaffee.“), ahnen andere langsam,
dass der Auftrag des Mandanten „Klageeinreichung und Deckungsanfrage“ eine messerscharfe Trennung
der Aufträge verlangt, will der Anwalt nicht am Ende mit leeren Hosentaschen dastehen. Im eigenen Interesse sollte seine Frage an den Mandanten daher lauten: „Möchten Sie, dass ich zuerst einmal eine Deckungsanfrage einhole und nur klage, wenn die Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz erteilt? Oder
wollen Sie auf jeden Fall klagen, unabhängig davon, was die Rechtsschutzversicherung entscheidet?“
Der so gefragte Mandant wird wohl häufiger als dem Anwalt lieb ist antworten: „Nein. Nein. Erst mal
prüfen, ob die Rechtsschutzversicherung das zahlt. Dann schauen wir weiter.“ Unter diesem Gesichtspunkt kann es dann heißen: viel Arbeit ohne Brot, wenn der Anwalt die Klage im Entwurf fertigt, der
Rechtsschutzversicherung zusendet, diese den Deckungsschutz ablehnt und der Mandant sich dann entscheidet „doch lieber nicht zu klagen“. Denn ohne unbedingten Auftrag zur Klageeinreichung gibt es
auch keine Gebühren nach Teil 3 VV RVG; nicht einmal die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101
Nr. 1 VV RVG. „Was? Die Arbeit soll umsonst gewesen sein?“ Nun – für eine Antwort müssen wir
uns erst einmal ins Vertragsrecht begeben. Der Anwalt hatte zwei Aufträge: Einen unbedingten Auftrag
zur Deckungsanfrage und einen bedingten (für den Fall dass ….) Auftrag zur Klage. Er bleibt beim ersten
Auftrag „stecken“. Mangels Bedingungseintritts kommt es nicht zur Tätigkeit im Rahmen des zweiten
Auftrags. Da bekommt doch dann die Einstellung: „Service muss sein; ich bin noch vom alten Schlag.“
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B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige Baustellen
und das Naserümpfen über Aufsätze mit dem Thema: „Kosten für die Einholung einer Deckungszusage in
welchen Fällen?“ eine völlig neue Dynamik.
Der kluge Anwalt weiß um diese Probleme und wird also bei der zuvor beschriebenen Auftragserteilung
zunächst einmal „nur“ die Deckungsanfrage starten. Wir fragen uns vielleicht: „Und wie wird er wohl
reagieren, wenn die Rechtsschutzversicherung ihn aber jetzt auffordert, die beabsichtigte Klage im Entwurf vorzulegen oder aber genauere Angaben erwartet, wie z.B. „Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten
der Klage ein?“ oder „Wie gedenken Sie zu reagieren, wenn der Gegner dies oder jenes Argument vorbringt?““ Ganz einfach: Der Anwalt fordert die Rechtsschutzversicherung auf, ihm eine Kostenzusage für
die Erteilung eines Rechtsgutachtens im Sinne des § 34 RVG zu erteilen. Ansonsten verweist er auf die
beigefügten Unterlagen. Denn die Rechtsschutzversicherung kann nicht mehr verlangen, als auch der
Mandant verlangen könnte. Die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Klage stellt eine Beratung
im Sinne des § 34 RVG dar (Achtung: Kappungsgrenzen beim Verbraucher!); bei Erteilung eines Rechtsgutachtens soll der Anwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, die ebenfalls in § 34 RVG geregelt
ist.
3
So – und das erklären Sie jetzt mal dem Mandanten; dem „Normalbürger“. Der fragt sich spätestens dann,
warum das alles so kompliziert sein muss und ob er in Ihrer Kanzlei noch gut aufgehoben ist. Gebühren für
die Einholung einer Deckungsanfrage hat er „noch nie“ zahlen müssen und was für Gebührenschinder
Anwälte doch sind. Dass das Berufsrecht (§ 49b Abs. 1 BRAO) ein Gebührenunterschreitungsverbot enthält, dessen Ausnahme in § 4 Abs. 1 RVG zumindest die Abrechnung von Kosten fordert, die in einem
angemessenen Verhältnis zu Leistung, Aufwand und Haftungsrisiko stehen, interessiert in der Praxis –
wir wollen mal ehrlich sein – doch kaum ein Gericht oder einen Mandanten.
4
Doch das RVG bietet auch Chancen. Ich bin sicher, dass sich in dieser Broschüre der ein oder andere Beitrag findet, der die guten Seiten des RVG (Ja, es gibt sie!) herausarbeitet, damit es am Ende nicht heißt:
„Und wenn er nicht verhungert ist, dann schuftet er noch heute.“
5
B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige Baustellen
von Detlef Burhoff, Rechtsanwalt, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Am 1.7.2004 ist das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) vom 5.5.20041 in Kraft getreten. 10 Jahre nach diesem Tag sind die ersten Anwendungsprobleme der Neuregelung, die sich danach auch in den Teilen 4 und 5 VV RVG ergeben
haben, teilweise geklärt. Teilweise bestehen sie aber leider fort und sind auch nicht durch das 2. KostRMoG gelöst worden. Auf drei „wichtige Baustellen“ bzw. offene Fragen will ich hier hinweisen. Im Übrigen verweise ich auf meinen Beitrag „10 Jahre RVG – Rückblick und Ausblick zu den Teilen 4 und 5
VV RVG, oder auch: Was man sich dort noch wünschen könnte“ aus RVGreport 2014, 250 ff.
6
I. Abrechnung der Tätigkeit des Zeugenbeistands
Einer der Hauptstreitpunkte bei der Anwendung der Regelungen des RVG ist (immer noch) die Frage der
Abrechnung des Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand im Strafverfahren. Hier sind die
(Ober-)Gerichte untereinander heillos zerstritten.2 In der Gesetzesbegründung zum RVG 2004 hatte
die Bundesregierung ausdrücklich dargelegt, dass der Rechtsanwalt auch im Strafverfahren als Beistand
1 BGBl I, S. 718.
2 Vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Vorbem. 4.1
VV Rn 5 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 21. Aufl. 2013, VV Einl. Vorb. 4.1 Rn 5 ff.
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B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige Baustellen
für einen Zeugen oder Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. Weiter
war ausgeführt, dass die Gleichstellung mit dem Verteidiger sachgerecht sei, weil die Gebührenrahmen
ausreichenden Spielraum böten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen.
Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr werde sich der Rechtsanwalt als Beistand für einen Zeugen
oder Sachverständigen an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen müssen.3
Trotz dieses eindeutigen gesetzgeberischen Anliegens und des klar zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens ist dann alsbald nach Inkrafttreten des RVG in Rechtsprechung und Literatur ein heftiger Streit um die Abrechnung der Tätigkeiten des als Zeugenbeistand tätigen Rechtsanwalts in den Verfahren, die nach Teil 4 bzw. 5 VV RVG abgerechnet werden, entbrannt. Diese Streitfrage, nämlich
Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, gehört sicherlich auch heute immer noch mit zu den am heftigsten umstrittenen Fragen der Abrechnung nach den Teilen 4 und 5 VV RVG.4
8
Die Bundesregierung hat dann versucht, mit dem 2. KostRMoG diesen Streit zu erledigen. Vorgesehen
war im Regierungsentwurf eine Klarstellung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG, die diesen Streit i.S.d. Vertreter der Auffassung, die – zutreffend – nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnen.5 Sie ist am Widerspruch des Bundesrates,6 der „nicht sachgerechte“ Ergebnisse befürchtet hat, gescheitert und zurückgestellt worden. Der Streit wird sich also leider fortsetzen. Es stehen sich damit in der Diskussion
weiterhin zwei etwa gleich starke „Lager“ gegenüber.7
9
Zutreffend ist es m.E. nach wie vor – nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung zum 2. KostRMoG jetzt „erst recht“ – auf die Tätigkeit des Zeugenbeistands Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anzuwenden.
Das entspricht der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers zum RVG 2004, wie dieser sie in den Gesetzesmaterialien zum 2. KostRMoG noch einmal deutlich gemacht hat.8 Das wird dadurch verstärkt, dass
durch das 2. KostRMoG zur Erledigung des Streits die o.a. Klarstellung aufgenommen werden sollte,
wenn auch nicht übersehen werden kann/darf, dass diese letztlich dann nicht Gesetz geworden ist. Die
Auslegung entspricht i.Ü. der Regelung in Vorb. 5 Abs. 1 VV RVG für das Bußgeldverfahren, denn
die lautet schon seit Inkrafttreten des RVG 2004 – „wie für einen Verteidiger“ –, also so, wie Vorb. 4
Abs. 1 VV RVG-E durch das 2. KostRMoG klarstellend lauten sollte. Ein Grund für eine unterschiedliche
Behandlung des Zeugenbeistandes im Strafverfahren zu dem im Bußgeldverfahren lässt sich aber weder
den Gesetzesmaterialien zum RVG 2004 noch denen zum 2. KostRMoG entnehmen.
10
Auf der Grundlage unverständlich sind daher (ober-)gerichtliche Entscheidungen, die die Intention des
Gesetzgebers negieren und sich in ihren neueren Beschlüssen noch nicht einmal mit der Frage auseinandersetzen9 bzw. sogar ihre alte Rechtsprechung jetzt noch dahin ändern, dass nun auch sie der Auffassung
sind, dass der Zeugenbeistand nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abrechnet.10 Es ist zu hoffen, dass der
Gesetzgeber seinen Hinweis, dass die Klärung dieses Streits einer späteren Novellierung des RVG vor-
11
3 BT-Drucks 15/1971, S. 220.
4 Zum Streitstand und zu Rechtsprechungsnachweisen siehe Burhoff/Burhoff, a.a.O.; Burhoff, RVGreport 2011, 85; Gerold/
Schmidt/Burhoff, a.a.O.
5 Zur vorgesehenen Klarstellung Burhoff, RVGreport 2012, 42 = VRR 2012, 16 = StRR 2012, 14; siehe auch noch die Anm. zu KG
RVGreport 2014, 23 = StRR 2014, 120. Es sollte dort formuliert werden: „…..die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger im Strafverfahren“. Diese Klarstellung ist leider nicht Gesetz geworden (vgl. BR-Drucks 517/12, S. 91.
6 Siehe BT-Drucks 17/11471, S. 357.
7 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Burhoff/Burhoff, a.a.O., und die Zusammenstellung bei Burhoff, RVGreport 2011, 85.
8 Vgl. BR-Drucks 517/12, S. 438 = BT-Drucks 17/11471, S. 281 unter Hinweis auf BT-Drucks 15/1971, S. 220.
9 So KG RVGreport 2014, 23 = StRR 2014, 120; an alter Rechtsprechung festhaltend auch LG Leipzig, Beschl. v. 22.5.2014 – 2 Qs
3/14 jug.
10 Vgl. u.a. OLG München AGS 2014, 219 = StRR 2014, 270 = RVGreport 2014, 275.
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B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige Baustellen
behalten bleiben müsse,11 hoffentlich bald in die Tat umsetzt und diese Streitfrage endgültig – im richtigen Sinne, nämlich Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, klärt.
II. Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger (Nr. 4110 VV RVG u.a.)
Eins der Ziele des RVG 2004 war es u.a. auch, das anwaltliche Gebührenrecht zu vereinfachen und transparenter zu machen.12 Eine der Stellen, an denen sich zeigt, dass das nicht gelungen ist, ist der vom RVG
2004 neu eingeführte sog. Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger. In der Praxis bestehen nämlich erhebliche (Anwendungs-)Schwierigkeiten mit dieser (Neu-)Regelung.
12
Vorgesehen sind in den Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123, 4128, 4129, 4134, 4135 VV RVG Längenzuschläge für den Pflichtverteidiger dann, wenn dieser an einer Hauptverhandlung teilgenommen hat,
die mehr als fünf bis zu acht bzw. mehr als acht Stunden gedauert hat. Sinn und Zweck der Neuregelung ist
es, auch beim Pflichtverteidiger einen besonderen Zeitaufwand für seine anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren und ihn wegen langer Hauptverhandlungszeiten nicht mehr ausschließlich auf eine
Pauschgebühr zu verweisen; zudem sollte die Ungleichbehandlung von Wahlanwalt und Pflichtverteidiger (weiter) reduziert werden.13 Diese Ziele sind inzwischen in dem um die Auslegung der Vorschrift entstandenen Streit untergegangen. Denn Streit herrscht sowohl in der Frage, ob Wartezeiten des Verteidigers vor bzw. während der Hauptverhandlung zu berücksichtigen sind bzw. ob Pausen von der
Hauptverhandlungszeit, die für die Gewährung eines Längenzuschlages maßgeblich ist, abgezogen werden müssen. In den Fragen sind die Obergerichte heillos zerstritten, womit für den Pflichtverteidiger die
Ziele der RVG-Reform: Vereinfachung und Transparenz, konterkariert werden. Zum Streitstand und zu
Rechtsprechungs-Nachweisen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, hingewiesen auf OLG Karlsruhe.14
13
Für den Pflichtverteidiger ist die vorliegende Rechtsprechung unüberschaubar und hat keine klare Linie.
Er kann sich auf eine einheitliche bundesweite Anwendung der Vorschriften nicht verlassen und muss
letztlich seinen Kostenfestsetzungsantrag davon abhängig machen, in welchem OLG-Bezirk er verteidigt
hat.15 Dabei wäre es so einfach, diese Frage durch eine Klarstellung, was unter dem Begriff „Hauptverhandlung“ in diesen Fällen zu verstehen ist, zu klären, was im Übrigen auch vom OLG Celle16 angemahnt
worden ist. Man könnte regeln, dass unter dem Begriff der „Hauptverhandlung“ gebührenrechtlich der
Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Pflichtverteidiger geladen und erschienen war und dem
im Protokoll der Hauptverhandlung festgehaltenen Ende des Termins, maßgeblich ist. Das wäre dann
„Hauptverhandlung“ i.S.d. Längenzuschlags. Dass dabei natürlich Zeiten außen vor bleiben müssen,
in denen der Rechtsanwalt aus in seiner Person liegenden Gründen nicht anwesend war, ist selbstverständlich. Eine so einfache Anwendung der Vorschrift würde es den Rechtspflegern ersparen, nach Abschluss
des Verfahrens sämtliche Hauptverhandlungsprotokolle darauf zu prüfen, wann welche wie lange dauernde Pausen gemacht worden sind. Die dadurch betriebswirtschaftlich entstehenden Kosten stehen in
keinem angemessenen Verhältnis zu dem ggf. für den Pflichtverteidiger entstehenden Längenzuschlag.
Denn man darf doch eins nicht übersehen: Dieser beträgt in der Stufe beim AG jetzt gerade mal 110 EUR
(vgl. Nr. 4110 VV RVG).
14
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13
14
Siehe BT-Drucks 17/11471, S. 357.
Zu den Reformzielen des RVG 2004 vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 143 f.
Vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 224.
RVGreport 2014, 194 = AGS 2013, 573 = StraFo 2014, 39 = StRR 2014, 159 und OLG Celle RVGreport 2014, 313 = StRR 2014,
274 = JurBüro 2014, 301, eingehend zu der Problematik auch Burhoff, RVGreport 2006, 1.
15 Vgl. den Begriff „Kostenatlas“ von Kotz, NStZ 2009, 414.
16 a.a.O.
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B. 10 Jahre RVG – immer noch drei wichtige Baustellen
III. Erweiterung der Vernehmungsterminsgebühr (Nr. 4102 VV RVG)
Bei der durch das RVG 2004 eingeführten Vernehmungsterminsgebühr,17 die zusätzlichen Aufwand des
Rechtsanwalts/Verteidigers durch die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung honorieren soll, besteht Streit, ob über den Wortlaut der Nr. 4102 VV RVG hinaus eine analoge Anwendung der
Vorschrift auf andere Termine möglich ist mit der Folge, dass die Teilnahme an weiteren Terminen vergütet werden müsste/könnte. Das kann z.B. in Betracht kommen
&
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&
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15
für die Teilnahme des Rechtsanwalts/Verteidigers an einer Durchsuchungsmaßnahme,
für die Teilnahme an der Exploration des Beschuldigten durch einen psychiatrischen Sachverständigen,18
für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einer Gegenüberstellung oder
für Erörterungen des Standes des Verfahrens (§§ 160b, 202a, 212 StPO).
Von der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung wird unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der Nr. 4102 VV RVG und die enumerativ aufgeführten Fälle eine analoge Anwendung der Vorschrift auf andere als der dort genannten Termine jedoch abgelehnt.19
16
Zum Teil wird das in der Rechtsprechung aber auch anders gesehen. Das LG Offenburg20 und das LG
Freiburg21 haben für die Teilnahme des Verteidigers an der Exploration seines Mandanten durch einen
psychiatrischen Sachverständigen eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG gewährt. Das AG Freiburg22
hat für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Erörterungstermin nach § 202a S. 1 StPO eine Gebühr
entsprechend Nr. 4102 Ziff. 1 und 3 VV RVG festgesetzt.23 Das LG Braunschweig hat schließlich den
Zeitaufwand des Verteidigers für die Teilnahme an einem Crashtest mit einer Gebühr entsprechend
Nr. 4102 VV RVG honoriert.24
17
Dieser Streitstand zeigt: Auch hier besteht Regelungsbedarf. Dies vor allem auch, weil nicht nachvollziehbar ist, warum der Zeitaufwand des Rechtsanwalts, der an einer Vernehmung eines Zeugen außerhalb
der Hauptverhandlung teilnimmt, honoriert wird, nicht aber der desjenigen Rechtsanwalts, der mit seinem
Mandanten an einer Durchsuchungsmaßnahme teilnimmt oder an – häufig zeitaufwändigen – Gesprächen zur Vorbereitung einer Verständigung nach § 257c StPO (vgl. §§ 160b, 202a, 212 StPO). Missbrauch
des Rechtsanwalts/Verteidigers wird hier kaum zu befürchten sein, da auch solche Termine unter die Beschränkungen der Anm. 2 zu Nr. 4102 VV RVG fallen würden.25 So lange eine Erweiterung der Nr. 4102
VV RVG nicht erfolgt (ist), hat der Rechtsanwalt, der an einem Termin außerhalb der Hauptverhandlung
teilnimmt, der (nach h.M.) nicht von Nr. 4102 VV RVG erfasst wird, nur die Möglichkeit, als Wahlanwalt
die Teilnahme im Rahmen der jeweiligen (gerichtlichen) Verfahrensgebühr Gebühren erhöhend geltend
18
17 Vgl. wegen der Einzelheiten Burhoff, RVGreport 2004, 235; ders., RVGreport 2010, 282.
18 Vgl. dazu LG Offenburg RVGreport 2006, 350 = AGS 2006, 436 = StV 2007, 478 = NStZ-RR 2006, 358.
19 KG RVGreport 2006, 151; OLG Köln, Beschl. v. 23.7.2014 – 2 Ws 416/14 für Termin nach § 202a StPO; RVGreport 2012, 298 =
AGS 2012, 388; OLG Saarbrücken RVGreport 2012, 66 = StRR 2011, 483 für Termin nach § 202a StPO; LG Düsseldorf
AGS 2011, 430 für Teilnahme an einem Termin des Sachverständigen zur Besichtigung und Gegenüberstellung eines Kfz;
LG Essen AGS 2012, 390 für Termin nach § 202a; LG Osnabrück RVGreport 2012, 65 = StRR 2011, 483 =
JurBüro 2011, 640 für Termin nach § 212 StPO; LG Zweibrücken, JurBüro 2013, 35 für Teilnahme an einem Termin des SV
zur Besichtigung und Gegenüberstellung eines Kfz; AG Oschatz StRR 2012, 240 = VRR 2012 240 für Teilnahme an einem SVTermin; vgl. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4102 VV Rn 47 ff.; AnwK-RVG/N. Schneider, VV 4102 Rn 7 für die Durchsuchung;
Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4102, 4103 Rn 5.
20 RVGreport 2006, 350 = AGS 2006, 436 = NStZ-RR 2006, 358 = StV 2007, 478.
21 Vgl. Beschl. v. 4.7.2014 – 3 KLs 250 Js 24324/12 AK 28/12.
22 AGS 2011, 69 = RVGreport 2011, 65 = StRR 2011, 123.
23 Vgl. dazu auch Burhoff/Burhoff, Teil A: Verständigung im Straf-/Bußgeldverfahren, Abrechnung, Rn 2270.
24 LG Braunschweig StraFo 2011, 377 = RVGreport 2011, 383 = JurBüro 2011, 525 = StRR 2011, 484.
25 Vgl. dazu Burhoff/Burhoff, VV 4102 Rn 50 ff.
10 Jahre RVG
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C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
zu machen (§ 14 Abs. 1 RVG). Ggf. muss eine Pauschgebühr beantragt werden (§ 42 RVG). Letzteres gilt
auch für den Pflichtverteidiger (§ 51 RVG).
C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
von Norbert Schneider, Rechtsanwalt, Neunkirchen
I. Rückblick
Wer erinnert sich nicht noch an die „gute alte Zeit“, als man gerichtliche Vergleiche nur in einem gerichtlichen Termin abschließen konnte. Beide Anwälte mussten also zum Gerichtstermin erscheinen und dann
dort den Vergleich protokollieren lassen. Selbstverständlich musste in das Protokoll immer aufgenommen werden: „Nach Erörterung schließen die Parteien folgenden Vergleich“. Fehlte dieser wichtige Zusatz und war das Gericht nicht bereit, das Protokoll im Nachhinein zu ergänzen oder eine entsprechende
dienstliche Erklärung abzugeben, dann fehlte dem Anwalt die Verhandlungsgebühr, weil nicht mehr verhandelt wurde und die Erörterungsgebühr, weil vor Vergleichsabschluss nicht erörtert wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war man noch weit davon entfernt, außergerichtliche Verhandlungen durch eine Verhandlungs- oder Erörterungsgebühr zu honorieren.
19
Zum 1.1.2002 war dann in § 278 ZPO ein neuer Abs. 6 eingeführt worden, wonach auch der Abschluss
eines schriftlichen Vergleichs im Beschlusswege möglich war. Die Parteien mussten übereinstimmende
Erklärungen abgeben. Das Gericht stellte dann nach § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des Vergleichs fest. Dieser Feststellungsbeschluss hat dann die gleichen Wirkungen wie ein gerichtlich protokollierter Vergleich. Insbesondere kann daraus vollstreckt werden.
20
Mit dieser neuen „Vergleichsmöglichkeit“ sollte das Gericht entlastet werden. Überflüssige Protokollierungstermine sollten vermieden werden, indem die Möglichkeit des „schriftlichen Vergleichs“ geschaffen wurde.
21
In der Praxis wurde von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht, allerdings grundsätzlich nur, wenn
zuvor schon verhandelt worden und die Verhandlungsgebühr bereits angefallen war. War zuvor nämlich
noch nicht verhandelt worden, löste der schriftliche Vergleichsabschluss weder eine Verhandlungs- noch
eine Erörterungsgebühr aus. Die damalige Vorschrift des § 35 BRAGO für Entscheidungen im schriftlichen Verfahren war auf schriftliche Vergleich nicht anwendbar.26 Damit war der schriftliche Vergleich
gebührenrechtlich uninteressant, so dass die Anwälte doch wieder zu Gericht gingen, um dort „nach Erörterung“ den Vergleich abzuschließen bzw. zu protokollieren.
22
Mit dem RVG hatte der Gesetzgeber dann die bahnbrechende Idee der „fiktiven Terminsgebühr“, die bislang nur bei Entscheidungen im schriftlichen Verfahren gewährt wurde (§ 35 BRAGO), und erstreckte
diese nunmehr auch auf den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs.
23
Gleichzeitig führte er in Vorbem. 3 Abs. 3 VV auch noch die Möglichkeit ein, die Terminsgebühr durch
Besprechungen der Anwälte außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu verdienen. Beides diente letztlich dem Zweck, außergerichtliche Vergleichsverhandlungen und Abschlüsse zu fördern. Soweit in einem Verfahren, in dem eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben war, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wurde, entstand nunmehr die Terminsgebühr kraft Vergleichsabschlusses. Lag ein Verfahren
zugrunde, das eine mündliche Verhandlung nicht voraussetzte, konnte zumindest durch Besprechungen
24
26 OLG Saarbrücken OLGR 2005, 685; OLG Frankfurt JurBüro 2005, 86 = OLGR 2005, 514; OLG Zweibrücken OLGR 2004, 670 =
JurBüro 2004, 652; OLG Celle NdsRpfl 2004, 153 = OLGR 2004, 402 = MDR 2004, 1206; OLG Düsseldorf OLGR 2005, 16 =
JurBüro 2005, 86; OLG Hamburg MDR 2004, 598 = AGS 2004, 195 u.v.m.
10 Jahre RVG
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C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
der Anwälte untereinander vor Vergleichsabschluss die Terminsgebühr ausgelöst werden, auch wenn der
BGH dies zunächst nicht verstanden hatte und es hierzu einer Klarstellung im Gesetz und seiner Begründung bedurfte.
II. Die Voraussetzungen der fiktiven Terminsgebühr für einen Vergleichsabschluss
1. Die gesetzliche Regelung
Die Voraussetzung der fiktiven Terminsgebühr für den Abschluss eines Vergleichs sind in der Anm.
Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV enthalten. Es muss
&
&
25
ein schriftlicher Vergleich
in einem Verfahren geschlossen werden, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.
2. Vergleich
Was ein Vergleich ist, ergibt sich aus § 779 BGB. Dessen Voraussetzungen müssen erfüllt sein. Es reicht
also hier nicht der Abschluss einer Einigung i.S.d. Nr. 1000 VV, wie z.B. in Nr. 3101 VV oder für die
Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV. Hier muss es ein echter Vergleich sein. Es muss also ein Vertrag
geschlossen werden, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis
im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§ 779 Abs. 1 BGB). Der Ungewissheit über ein
Rechtsverhältnis steht es dabei gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist (§ 779
Abs. 2 BGB).
26
3. Schriftform
Der Vergleich muss schriftlich geschlossen sein. Was unter „schriftlich“ zu verstehen ist, ergibt sich aus
§ 126 BGB.
27
Hier herrscht vielfach die Fehlvorstellung, es müsse sich um einen Vergleich handeln, der im Verfahren
nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen worden sei. Dies ist nicht zutreffend. Zwar mag die Variante des gerichtlich festgestellten Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO der Hauptanwendungsfall der Anm. Abs. 1 Nr. 1
zu Nr. 3104 VV sein. Die Vorschrift beschränkt sich aber nicht auf diesen Fall. Ausreichend ist jeder
schriftliche Vergleich. Daher genügt auch ein privatschriftlicher Vergleich, um die Terminsgebühr auszulösen.27
28
Dem Gesetzgeber war sehr wohl der Unterschied zwischen einem schriftlichen Vergleich und einem Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO bekannt. So fordert er nämlich in Nr. 3101 Nr. 2 VV einen nach § 278 Abs. 6
ZPO festgestellten Vergleich und nicht lediglich einen schriftlichen. Hätte er diese Voraussetzung auch
für die Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 gewollt, dann hätte der Gesetzgeber dies auch zum Ausdruck gebracht.
29
Es entspricht auch im Übrigen Sinn und Zweck des Gesetzes, einen einfachen schriftlichen Vergleich ausreichen zu lassen. Wenn die Parteien nämlich einen privatschriftlichen Vergleich schließen, also dem Gericht auch noch die Arbeit einer Protokollierung nach § 278 Abs. 6 ZPO ersparen, dann ist der Zweck der
Entlastung der Gerichte erst recht erreicht. Es wäre sinnwidrig, die Anwälte dafür zu „bestrafen“. Anwälte
würden danach nur eine Terminsgebühr erhalten, wenn sie dem Gericht Mehrarbeit verursachen.
30
Nicht ausreichend ist dagegen die bloße Textform nach § 126b BGB.
27 LAG Hamburg RVGreport 2011, 110 = RVGprof. 2010, 192; N. Schneider, Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, NJW-Spezial 2014, 283.
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C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
4. Verfahren mit vorgeschriebener mndlicher Verhandlung
Weitere Voraussetzung ist, dass es sich um ein Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung
handelt.
31
Wann ein Verfahren mit mündlicher Verhandlung vorgeschrieben ist, ergibt sich aus der jeweiligen Verfahrensordnung, in Zivilsachen somit aus der ZPO. Soweit diese eine mündliche Verhandlung vorschreibt, so im Erkenntnisverfahren (§ 128 Abs. 1 ZPO), löst der schriftliche Vergleich die Terminsgebühr aus. Dagegen ist in Beschlussverfahren der Zivilprozessordnung grundsätzlich eine mündliche
Verhandlung nicht vorgeschrieben (§ 128 Abs. 4 ZPO).
32
III. Einzelfälle in alphabetischer Reihenfolge
1. Arrestverfahren
In Verfahren auf Anordnung eines Arrests ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben (§ 922
Abs. 1 S. 1 ZPO), so dass eine Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht anfällt.
Im Verfahren über einen Widerspruch (§ 924 ZPO) ist dagegen mündlich zu verhandeln (§§ 925 Abs. 1,
128 Abs. 1 ZPO), so dass in diesem Verfahren die Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs entsteht. Siehe auch „Einstweilige Verfügung“.
33
2. Berufungsverfahren
Im Berufungsverfahren gilt Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV entsprechend (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202
VV). Hier ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben, so dass der schriftliche Vergleich eine Terminsgebühr auslöst.28 Soweit der BGH das „Verfahren nach § 522 ZPO“ als eigenes Verfahren ohne vorgeschriebene mündliche Verhandlung ansieht,29 ist dies unzutreffend, weil es sich nicht um ein eigenständiges Verfahren handelt, sondern nur um eine Möglichkeit, im Einzelfall ohne mündliche Verhandlung zu
entscheiden.
34
Eine Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV entsteht im Berufungsverfahren auch dann, wenn noch während
der laufenden Frist zur Berufungsbegründung ein schriftlicher Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen wird.30
35
3. Beschwerdeverfahren
In Beschwerdeverfahren ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben, da hier durch Beschluss
entschieden wird (§ 572 Abs. 4 ZPO) und damit eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist (§ 128
Abs. 4 ZPO).
36
Soweit das Gericht in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen den Nichterlass eines Arrests mündliche Verhandlung anberaumt, dürfte bei einem schriftlichen Vergleich in dieser Phase eine Terminsgebühr anzunehmen sein (siehe Nrn. 3513, 3514 VV).
37
28 OLG Naumburg AGS 2010, 564 = JurBüro 2010, 644 = NJW-RR 2011, 144.
29 AGS 2007, 397 = BGHR 2007, 735 = NJW 2007, 2644 = AnwBl 2007, 631= MDR 2007, 1103 = Rpfleger 2007, 574 = JurBüro
2007, 525 = BB 2007, 1360 = FamRZ 2007, 1096 = RVGreport 2007, 271= NZBau 2007, 448 = NJ 2007, 365 = zfs 2007, 467.
30 AGS 2013, 326 = NJW-Spezial 2013, 443 = IBR 2013, 502 = RVGprof. 2013, 147 = ArbRB 2013, 275 = AnwBl 2013, 772 =
RVGreport 2013, 390.
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4. Einstweilige Verfgung
In Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben (§ 922 Abs. 1 S. 1 ZPO), so dass eine Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs
nicht anfällt. Im Verfahren über einen Widerspruch (§ 924 ZPO) ist dagegen mündlich zu verhandeln
(§§ 925 Abs. 1, 128 Abs. 1 ZPO), so dass in diesem Verfahren die Terminsgebühr bei Abschluss eines
schriftlichen Vergleichs entsteht.
38
Wird lediglich ein schriftlicher Vergleich geschlossen oder nach § 278 Abs. 6 ZPO protokolliert, ohne
dass Besprechungen der Anwälte vorausgegangen sind, entsteht keine Terminsgebühr,31 weil eine mündliche Verhandlung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht vorgeschrieben ist (§ 922
Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Voraussetzungen der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV sind nicht erfüllt.
39
Beispiel:
Der Anwalt beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Wert: 10.000,00 EUR). Das Gericht
unterbreitet daraufhin einen Vergleichsvorschlag, der von beiden Parteien angenommen und nach
§ 278 Abs. 6 ZPO protokolliert wird.
Für die beteiligten Anwälte entsteht lediglich eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV). Eine Terminsgebühr entsteht nicht, da die Voraussetzungen der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV nicht erfüllt
sind.
1.
2.
3.
4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
725,40 EUR
558,00 EUR
20,00 EUR
1.303,40 EUR
247,65 EUR
1.551,05 EUR
Soweit das Gericht in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen den Nichterlass einer einstweiligen
Verfügung mündliche Verhandlung anberaumt, dürfte bei einem schriftlichen Vergleich in dieser Phase
eine Terminsgebühr anzunehmen sein (siehe Nrn. 3513, 3514 VV).
40
5. Erstinstanzliches Erkenntnisverfahren
In erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben (§ 128 Abs. 1
ZPO), so dass ein schriftlicher Vergleich eine Terminsgebühr auslöst. Der Anwendungsbereich ist keineswegs darauf beschränkt, dass es sich um ein Verfahren handelt, in dem nach § 128 Abs. 2 ZPO
oder nach § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll.32
31 OLG München AGS 2005, 486 = OLGR 2005, 817 = AnwBl 2006, 147 = RVGreport 2005, 427 = FamRZ 2006, 220.
32 BGH AnwBl 2006, 676 = AGS 2006, 488 = Rpfleger 2006, 624 = BGHR 2006, 1391 = NJW-RR 2006, 1507 = BRAK-Mitt 2006,
287 = MDR 2007, 179 = FamRZ 2006, 1373 = RVGprof. 2006, 163 = RVGreport 2006, 387 = NJW 2007, 160; AGS 2007, 341 =
AnwBl 2007, 462 = Rpfleger 2007, 431 = JurBüro 2007, 360 = NZBau 2007, 447 = MDR 2007, 917 = NJW-RR 2007, 1149 =
BGHR 2007, 687 = FamRZ 2007, 1013 = BRAK-Mitt 2007, 127 = RVGprof. 2007, 110 = RVGreport 2007, 229 = Schaden-Praxis
2007, 267 = NJ 2007, 312; FamRZ 2006, 1441 = BGHReport 2006, 1507 = MDR 2007, 302 = BB 2006, 2442 = FamRB 2006, 365.
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C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
6. Gehçrsrge
Über eine Gehörsrüge muss nicht mündlich verhandelt werden (§ 321a Abs. 4 S. 3 ZPO). Bei Abschluss
eines schriftlichen Vergleichs entsteht daher keine Terminsgebühr. Sie entsteht allerdings, wenn auf die
Gehörsrüge hin die mündliche Verhandlung wieder eröffnet wird.
42
7. Mahnverfahren
Das Mahnverfahren sieht keine mündliche Verhandlung vor, so dass hier im Falle eines schriftlichen Vergleichs keine Terminsgebühr anfällt.
43
8. Mehrwertvergleich
Wird ein Vergleich mit einem Mehrwert geschlossen, so entsteht die Terminsgebühr auch aus dem Mehrwert, wenn für das Verfahren über die anhängige Hauptsache eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.33
Beispiel:
In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR unterbreitet das Gericht nach Eingang der Klageschrift einen Einigungsvorschlag, in den auch weitergehende nicht anhängige 5.000,00 EUR einbezogen sind.
Die Anwälte erklären, den Einigungsvorschlag anzunehmen, so dass das Zustandekommen der Einigung sodann nach § 278 Abs. 6 ZPO ohne vorherige mündliche Verhandlung festgestellt wird.
Aus dem Wert der anhängigen Ansprüche (10.000,00 EUR) entstehen die 1,3-Verfahrensgebühr, die
1,2-Terminsgebühr (Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV) und die 1,0-Einigungsgebühr.
Aus dem Wert der nicht anhängigen Gegenstände (5.000,00 EUR) entsteht unter Beachtung des § 15
Abs. 3 RVG nur eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 VV.
Es entstehen ferner daraus eine 1,2-Terminsgebühr und eine Einigungsgebühr i.H.v. 1,5 unter Beachtung des § 15 Abs. 3 RVG.
1.
2.
3.
4.
5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 10.000,00 EUR)
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV
(Wert: 5.000,00 EUR)
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus
15.000,00 EUR
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 15.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 10.000,00 EUR)
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV
(Wert: 5.000,00 EUR)
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus
15.000,00 EUR
725,40 EUR
242,40 EUR
845,00 EUR
780,00 EUR
558,00 EUR
454,50 EUR
975,00 EUR
33 OLG Saarbrücken AGS 2010, 161 = ErbR 2010, 162 = NJW-Spezial 2010, 188 = MDR 2010, 720 = JurBüro 2010, 302 = AGkompakt 2010, 29.
10 Jahre RVG
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44
C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
6.
7.
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
20,00 EUR
2.620,00 EUR
497,80 EUR
3.117,80 EUR
9. Nebenintervention
Soweit im Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist und der Nebenintervenient am Abschluss eines schriftlichen Vergleichs mitwirkt, erhält auch er eine Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1
Nr. 1 zu Nr. 3104 VV.34
45
10. Nichtzulassungsbeschwerde
Im Verfahren der Nichtzulassung wird durch Beschluss entschieden (§ 544 Abs. 4 ZPO), so dass eine
mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist (§ 128 Abs. 4 ZPO).
46
11. Prozesskostenhilfeverfahren
In Verfahren über die Bewilligung, Aufhebung oder Abänderung der Prozesskostenhilfe Beschwerdeverfahren ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben (§ 127 Abs. 1 S. 1 ZPO), so dass hier eine
Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht anfällt.35 Unzutreffend ist es, auf das
zugehörige Hauptsacheverfahren abzustellen, so aber offenbar das KG,36 das eine Terminsgebühr bejaht.
Beispiel:
Der Anwalt beantragt für die bedürftige Partei Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage in Höhe
von 5.000,00 EUR. Auf Vorschlag des Gerichts schließen die Parteien einen Vergleich, dessen Zustandekommen sie nach § 278 Abs. 6 ZPO feststellen lassen. Prozesskostenhilfe wird nicht bewilligt.
Es entstehen die Verfahrensgebühr und die Einigungsgebühr. Eine Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1
Nr. 1 zu Nr. 3104 VV kommt nicht in Betracht, da im Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht
vorgeschrieben ist.
1.
2.
3.
4.
1,0-Verfahrensgebühr, Nrn. 3335, 3100 VV
(Wert: 5.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 5.000,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
303,00 EUR
303,00 EUR
20,00 EUR
626,00 EUR
118,94 EUR
744,94 EUR
34 OLG Düsseldorf AGS 2008, 589 = JurBüro 2009, 26 = OLGR 2009, 94 = RVGprof. 2009, 57.
35 LG Osnabrück JurBüro 2011, 640; im Ergebnis ebenso BGH AGS 2012, 274 = NJW 2012, 1294 = FamRZ 2012, 708 = AnwBl
2012, 470 = MDR 2012, 615 = zfs 2012, 342 = JurBüro 2012, 302 = Rpfleger 2012, 392 = RVGprof. 2012, 55 = RVGprof. 2012, 77
= RVGreport 2012, 184 = NJW-Spezial 2012, 317 = FuR 2012, 483 (allerdings zur Terminsgebühr für eine Besprechung, für die er
irrig davon ausgegangen ist, dass auch für diese Terminsgebühr ein Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung erforderlich sei).
36 AGS 2008, 68 = RVGreport 2007, 458 = NJW-Spezial 2007, 619 = KGR 2007, 1019.
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C. Abrechnung bei schriftlichem Vergleich im Zivilprozess
12. Rumungsfristverfahren
Das selbstständige Räumungsfristverfahren ist eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG und wird durch
die Gebühren der Nrn. 3334, 3337 VV, Vorbem. 3.3.6 VV i.V.m. Nr. 3104 VV vergütet. Da hier durch
Beschluss entschieden wird (§ 721 Abs. 4 S. 2 ZPO), ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben, so dass eine Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nicht in Betracht kommt.
48
13. Rechtsbeschwerde
Im Verfahren über eine Rechtsbeschwerde ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben, da hier
durch Beschluss entschieden wird (§ 577 Abs. 6 ZPO) und damit eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist (§ 128 Abs. 4 ZPO).
49
14. Rechtsschutz bei berlangen Gerichtsverfahren
In erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§ 201 GVG), richtet sich die Vergütung zwar
auch nach Teil 3 VV, allerdings nicht nach Abschnitt 1, sondern nach Abschnitt 3. Die Verfahrensgebühr
folgt aus Nr. 3300 Nr. 3 VV. Die Terminsgebühr ist nicht gesondert geregelt. Sie bestimmt sich vielmehr
gemäß Vorbem. 3.3.1 VV nach Teil 3 Abschnitt 1 VV. Damit ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104
VV anwendbar, da in diesen Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.
50
15. Revision
Im Revisionsverfahren ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV entsprechend anzuwenden (Anm. zu
Nr. 3210 VV), so dass im seltenen Fall eines schriftlichen Vergleichs eine Terminsgebühr anfällt.
51
16. Selbststndiges Beweisverfahren
Im selbstständigen Beweisverfahren ist eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben, da hier gem.
§ 490 Abs. 1 ZPO durch Beschluss entschieden wird (§ 128 Abs. 4 ZPO). Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104
VV ist daher nicht anwendbar.
52
17. Terminsvertreter
Der Terminsvertreter kann die Terminsgebühr nur in den Fällen der Vorbem. 3 Abs. 3 VV verdienen,
nicht aber auch den Fällen der Anm. Abs. 1 zu Nr. 3104 VV.
Beispiel:
Der Anwalt wird für einen Verhandlungstermin beauftragt. Er regt einen schriftlichen Vergleich an,
den er bereits vorformuliert. Dieser Vergleich wird dann auch in dieser Fassung von Prozessbevollmächtigen abgeschlossen, so dass es nicht mehr zur Durchführung des Verhandlungstermins kommt.
Der Hauptbevollmächtigte erhält für den Abschluss des schriftlichen Vergleichs nach Anm. Abs. 1
Nr. 1 zu Nr. 3104 VV eine 1,2-Terminsgebühr. Für den Terminsvertreter kann dagegen die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV nicht entstehen. Er erhält wohl eine Einigungsgebühr
nach den Nrn. 1000, 1003 VV, da er an der Einigung mitgewirkt hat.
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D. Worum geht es eigentlich? – Pldoyer fr eine gesetzliche Gebhrenordnung
1.
2.
3.
4.
0,5-Verfahrensgebühr, Nrn. 3401, 3100, 3405 VV
(Wert: 8.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 8.000,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
228,00 EUR
456,00 EUR
20,00 EUR
704,00 EUR
133,76 EUR
837,76 EUR
18. Verkehrsanwalt
Für den Verkehrsanwalt (Nr. 3400 VV) ist eine Terminsgebühr ohnehin nicht vorgesehen, so dass sich die
Frage einer Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs für ihn nicht stellt.
54
19. Zwangsversteigerung
In der Zwangsversteigerung ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV nicht anwendbar. Es gilt Nr. 3312 VV,
die nur für die Wahrnehmung eines Versteigerungstermins anfällt (Anm. S. 1 zu Nr. 3312 VV). Im Übrigen entsteht im Verfahren der Zwangsversteigerung keine Terminsgebühr (Anm. S. 2 zu Nr. 3312 VV).
55
20. Zwangsverwaltung
In der Zwangsverwaltung ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV nicht anwendbar. Es gilt Nr. 3312 VV, die
nur für die Wahrnehmung eines Versteigerungstermins anfällt (Anm. S. 1 zu Nr. 3312 VV). Im Übrigen
entsteht im Verfahren der Zwangsverwaltung keine Terminsgebühr (Anm. S. 2 zu Nr. 3312 VV).
56
21. Zwangsvollstreckung
In der Zwangsvollstreckung ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV nicht anwendbar. Es gilt Nr. 3310 VV,
die einen entsprechenden Tatbestand bei Abschluss eines Vergleichs nicht vorsieht.
57
D. Worum geht es eigentlich? – Plädoyer für eine gesetzliche Gebührenordnung
von Edith Kindermann, Rechtsanwältin und Notarin, Bremen
10 Jahre RVG – unglaublich, wie die Zeit verflogen ist – für die Jüngeren ist die BRAGO „damals“ – ich
komme mir alt vor (oder erfahren?): mit der BRAGO-Reform 1994 fing meine gebührenrechtliche Welt
an zu laufen; mit dem RVG 2004 eine neue Struktur; 20 Jahre; die Hälfte in jedem System; und was wird
die Zukunft bringen? – im Zeitraffer kommen Bilder vor Augen und werden Erinnerungen wach: das gespannte Warten auf den ersten Entwurf / der Vergleich mit dem Bisherigen beim ersten Lesen und das
Gefühl, etwas Fremdes vor sich zu haben / Rückbesinnung auf altbewährte Lernstrategien: von der Grobgliederung zur Detailgliederung und zum Detail und daraus die Erkenntnis: was für eine klare Struktur: im
Vergütungsverzeichnis spielt die Musik; wer sich das Verfahrensrecht vor Augen hält, erschließt sich, wo
der anzuwendende Gebührentatbestand steht. Es wird einfacher. Habe ich die BRAGO als Hürde im
Kopf?
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
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D. Worum geht es eigentlich? – Pldoyer fr eine gesetzliche Gebhrenordnung
Nachdem der Entwurf vorliegt: Diskussionen und Seminare mit Rembert Brieske – kleine Säle / große
Säle – Telefonate aus dem roten VW-Bus aus allen Teilen der Republik / aufmerksames Zuhören – Stirnrunzeln über manche Auslegungsüberlegungen: „Wie wäre es, wenn man sich mal an den Wortlaut halten
würde?“ – eine ungewöhnliche Überlegung: „Man müsste erst mal ein Kommentierverbot erlassen – dann
würden alle mit dem Gesetz arbeiten und nicht mit dem Aberglauben.“ – „Wie kannst Du eine Synopse
schreiben? – Du machst das Gesetz kaputt – sieh́ Dir doch die neuen Strukturen an und nimm sie auf – in
Deinem Alter ist man ja wohl noch nicht in Routine erstarrt. – Na ja, das könnte so gehen.“
59
Dankbarkeit gegenüber allen, die mit einer enormen Anstrengung die große Reform beharrlich geschaffen haben, auch in dem Bewusstsein, dass eine Strukturreform nicht alle Wünsche befriedigen kann und in
einer sich spezialisierenden Anwaltschaft nicht alle gleichmäßig zufriedenstellt. Ein offenes Ohr auch
gegenüber denjenigen, die durch die Strukturänderung nicht begünstigt sind und sich als „Verlierer“ sehen. Gebührenrecht zwischen Modernisierung/Steuerung von Verfahren und der Notwendigkeit, den Berufsangehörigen ein auskömmliches Einkommen zu sichern. Wache Aufmerksamkeit, ob die Struktur
Einzelne in einem Ausmaß trifft, die nicht gewollt ist und die nach neuen Reformen ruft – die Sozialrechtler.
60
Ich hoffe, ich habe Sie mit meinem Kopfkino nicht gelangweilt. Die Jüngeren unter uns, für die es bisher
nur ein Leben mit dem RVG gibt, werden sich schon lange fragen, wann es denn endlich „zur Sache“ geht
und das kommt jetzt.
61
Die Broschüre gibt Gelegenheit, sich darüber bewusst zu werden, welche Ziele eine gesetzliche Gebührenordnung verfolgt, welche Interessen zu berücksichtigen sind und ggf. miteinander in Einklang gebracht werden müssen und welche Voraussetzungen sich daraus für die Ausgestaltung ergeben.
62
Einer gesetzlichen Gebührenordnung liegt „eine Konzeption zugrunde, nach der erst das Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts in der Gesamtheit geeignet sein muss, sowohl seinen Kostenaufwand als
auch seinen Lebensunterhalt abzudecken (vgl. BVerfGE 80, 103, 109; 85, 337, 349). Dies soll durch
eine Mischkalkulation, also eine Quersubventionierung der weniger lukrativen durch gewinnträchtige
Mandate, sichergestellt werden (BVerfGE 83, 1, 14).“ (BVerfG Beschl. v. 15.6.2009 – 1 BvR 1342/07
– Rn 17).
63
Hieraus ergibt sich zum einen, dass die gesetzliche Gebührenordnung nicht das konkrete Mandat in den
Blick nimmt und nicht in jedem Einzelfall zu einer adäquaten oder auch nur kostendeckenden Vergütung
führen kann. Der Maßstab einer gesetzlichen Gebührenordnung ist aber verfehlt, wenn auch die Gesamtheit der Mandate nicht zu einem auskömmlichen Einkommen führen kann. Bei der Subsumtion kommt
die Wirklichkeit in den Blick – es geht um die Balance zwischen den Anforderungen an eine geordnete
Rechtspflege und grundlegende und dauerhafte Änderungen im Rechtsberatungsmarkt.
64
Zum anderen ergibt sich hieraus, dass Vergütungsvereinbarungen nicht per se an den gesetzlichen Gebühren gemessen werden können und ein Überschreiten der Gebühren um einen festgelegten Faktor „X“ für
sich nicht aussagekräftig ist. Das BVerfG fasst dies in seinem Beschl. v. 15.6.2009 – 1 BvR 1342/07 –
Rn 17 in die Worte: „Zielt die gesetzliche Regelung aber nicht auf eine adäquate Vergütung im Fall
des konkreten Mandats, sondern auf eine im geschilderten Sinne auskömmliche Gesamtvergütung, so
wird tiefgehend in die Freiheit privatautonomer Gestaltung eingegriffen, wenn deren Ergebnis an dem
Maßstab dieses grundlegend anderen Vergütungskonzepts gemessen wird.“
65
Eine gesetzliche Gebührenordnung schafft darüber hinaus Transparenz und zwar sowohl für denjenigen,
der seinen Anwalt beauftragt und sich nach den Kosten erkundigt, als auch für denjenigen, gegen den ein
Anspruch geltend gemacht wird und der sich über sein Kostenerstattungsrisiko bewusst werden muss.
Das in der Rechtsprechung immer wieder im Zusammenhang mit der Abrechnung zeitabhängiger Vergütungen angesprochene Informationsgefälle zwischen Rechtsanwalt und Mandant reduziert sich vor
66
10 Jahre RVG
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18
D. Worum geht es eigentlich? – Pldoyer fr eine gesetzliche Gebhrenordnung
dem Hintergrund der allgemein zugänglichen Informationen über den Vergütungstarif auf konkrete Fragen im konkreten Fall. Dies entspricht häufig einem Wunsch der Mandanten, schnell das eigentliche Anliegen zu erörtern und insbesondere in emotional belasteten Situationen nicht zunächst umfangreiche
Vertragsverhandlungen über die Vergütung für den Anwaltsvertrag zu führen.
Transparenz bedeutet auch, die maßgebenden Abrechnungsregelungen im Alltag schnell und sicher anwenden zu können und diese nicht einem Expertenwissen vorzubehalten. Gesetzliche Vergütungsregelungen sind Handwerkszeug und nicht filigrane Betätigungsgebiete für diejenigen, denen bereits
im Studium die Kenntnis der sieben Theorien zur beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit im gegenseitigen Vertrag Spaß machte. Wer sich mit dem RVG beschäftigt, tut daher gut daran, sich nicht von Anfang an im Detail zu verlieren, sondern sich zunächst einmal mit der Frage zu beschäftigen, wie denn der
unbedingte Auftrag lautet.
67
Ausgehend von diesem allgemeinen Vertragsgrundsatz führt bereits die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses des Vergütungsverzeichnisses zum richtigen Teil, Abschnitt und Unterabschnitt und damit zu einer
richtigen Rechnung.
68
Diese Transparenz und Berechenbarkeit ermöglichen zum einen ein Kostenerstattungsrecht, in dem die
Kosten nicht als Druckmittel gegen den wirtschaftlich Schwächeren eingesetzt werden können, etwa in
dem dieser mit „auch“ unberechtigten Forderungen überzogen wird, zu deren Abwehr er sich anwaltlicher Hilfe bedient und auch im Falle eines Obsiegens Gefahr läuft, nur einen Kostenerstattungsanspruch
auf einen Bruchteil seiner Aufwendungen zu erhalten.
69
Er schafft auch die Möglichkeit, Risikovorsorge für den Konfliktfall durch Abschluss von Versicherungen zu treffen. Dass auch der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung nicht im Sinne eines All-Inclusive-Pakets den Rechtsuchenden von jeglichen Risiken freistellt und wirtschaftlich für ihn bedeutsame
Risiken häufig vom Leistungsumfang ausgenommen sind, stellt das System als solches nicht in Frage,
sondern nährt den Wunsch nach einer Ausweitung des Versicherungsschutzes.
70
In Verbindung mit dem auf der gesetzlichen Gebührenordnung fußenden System staatlicher Unterstützungen – vor allen Dingen im Bereich der Prozesskostenhilfe und der Verfahrenskostenhilfe – sichert
das RVG den Zugang des Betroffenen zum Recht.
71
Die gesetzliche Gebührenordnung ist mithin nicht um ihrer selbst willen geschaffen worden oder um im
Sinne der Rechtssoziologie durch eine eigene Sprache oder Geheimwissen andere auszugrenzen. Ihre
Ausgestaltung muss den Anforderungen an ein transparentes System genügen, das den Zugang zum Recht
für die Rechtssuchenden sicherstellt und zugleich den Berufsangehörigen ein auskömmliches Einkommen sichert. Sie muss demgegenüber kein beschränkendes Korsett vorgeben in all den Fallgestaltungen,
in denen Rechtsanwalt und Mandant nicht auf die gesetzliche Vergütung zurückgreifen, sondern sich über
die Vergütung einigen und die Rahmenbedingungen der Vergütungsvereinbarung keinen besonderen
Schutz des Mandanten erfordern.
72
Diesen Anforderungen genügt das RVG i.V.m. den berufsrechtlichen Regelungen des § 49b BRAO. Der
für die Vielzahl der Lebenslagen durchdachte gesetzliche Tarif muss nicht angewendet werden, wenn die
Beteiligten sich auf eine Vergütung einigen und hierbei die Anforderungen nach den §§ 3a bis 4b RVG
berücksichtigen.
73
Dass das RVG in der Zeit seit seinem Inkrafttreten bereits unzählige Male geändert worden ist und auch
das Recht der vereinbarten Vergütung nicht nur mit Wirkung zum 1.7.2008, sondern jüngst erst erneut
zum 1.1.2014 Modifikationen erfahren hat, ist kein Beleg für ein reparaturanfälliges Vehikel, sondern
zeigt die Flexibilität der Struktur, die ohne Eingriffe in die grundlegende Struktur durch Anpassungen
an einzelnen Gebührentatbeständen oder in den Vorschriften über Verfahrenswerte und Verfahrens-
74
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
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E. Die Terminsgebhr bei Einbeziehung eines anderen Verfahrens
abläufe gezielt den Anforderungen an geänderte Verfahrensregelungen in den unterschiedlichen Verfahrensordnungen und somit durch neue Ansprüche auf Änderungen reagiert.
Dieser Lobgesang auf das RVG sowie seine Väter und Mütter bedeutet nicht, dass wir aus meiner Sicht
mit allem zufrieden und wunschlos glücklich sind. Erst recht bedeutet es nicht, dass wir sorglos in die
Zukunft schauen können. Das System, wonach die Abrechnung der verfahrensmäßigen Geltendmachung
und damit dem Verfahrensrecht folgt, zwingt uns, den Blick auf das Verfahrensrecht und den Bestand der
Rechtspflege in Deutschland zu stellen. Das RVG ist vorbereitet auf eine Stärkung außergerichtlicher
Konfliktlösungsmodelle, indem mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV aber auch mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2303 VV Gebührentatbestände bereitstehen, die auch die Tätigkeit in verschiedenartigen
Gütestellen, gerichtlich eingerichteten Schlichtungsstellen etc. umfassen. Die Erkenntnis, dass diese
Konfliktlösungsmodelle die gerichtliche Streitbeilegung nicht ersetzen, sondern ihr Erfolg die Möglichkeit voraussetzt, einen Konflikt auch bei Gericht auszutragen, ist notwendig. Dementsprechend ist auch
am Beginn der u.a. durch den demographischen Wandel einerseits und die Schuldenbremse in den öffentlichen Haushalten andererseits initiierten Diskussionen um die Veränderungen in der Rechtspflege daran
zu erinnern, dass der Rechtsstaat auch den Zugang des Einzelnen zu seinem Recht fordert. Die gesetzliche
Gebührenordnung trägt hierzu bei. Die Bedeutung des Ineinandergreifens einer gesetzlichen Gebührenordnung einerseits mit hierauf fußenden kostenerstattungsrechtlichen Regelungen sowie verfahrensmäßigen Garantien andererseits hat bereits Michael Breyer in seiner Dissertation über die „Kostenorientierte Steuerung des Zivilprozesses“ herausgearbeitet. Bevor ich Ihnen Auszüge aus seinem Fazit mit
meinen Worten darlege, soll er selbst zu Wort kommen. Auf S. 232 hält er fest: „Der Vergleich mit
dem englischen und amerikanischen Prozesskostensystem hat gezeigt, dass das deutsche System mit
streitwertorientierter, gesetzlich bestimmter anwaltlicher Vergütung, Kostenerstattung durch die unterliegende Partei und dem Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars bei weitgehendem Rechtsberatungsmonopol der freiberuflich tätigen Anwaltschaft und Offenheit gegenüber privaten und öffentlichen Formen der Finanzierung und Versicherung überaus leistungsstark ist. Im Vergleich zu real existierenden
Systemalternativen hat sich gezeigt, dass die Gesamtkosten niedriger sind und der Zugang auch des wirtschaftlich bedürftigen Bürgers zur Justiz weithin zuverlässiger gewährleistet werden kann. Zugleich ermöglichen die gegenwärtigen institutionellen Rahmenbedingungen der Anwaltschaft ein höheres Maß an
Unabhängigkeit gegenüber Staat, Mandant, berufsfremden Dritten und auch gegenüber der eigenen
Kanzleiorganisation.“
75
Vor dem Hintergrund dieses Befundes wünsche ich dem RVG und den von ihm betroffenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie den Mandanten eine lange Zukunft. Wir werden noch viele Modifikationen erleben, um mit der Zeit zu gehen. Auch das wird uns aber nicht überfordern, denn: Bewegung hält
jung – auch im Kopf. In diesem und mit einem Gesetzestext in der Hand kann man auch Kollegen aus
anderen Staaten damit verblüffen, wie zuverlässig Gebühren berechnet werden können.
76
E. Die Terminsgebühr bei Einbeziehung eines anderen Verfahrens
von Peter Fölsch, Richter am Landgericht, Lübeck
Die Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG enthält eine Anrechnungsbestimmung für Terminsgebühren. Sie
lautet: „Sind in dem Termin auch Verhandlungen zur Einigung über in diesem Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche geführt worden, wird die Terminsgebühr, soweit sie den sich ohne Berücksichtigung der
nicht rechtshängigen Ansprüche ergebenden Gebührenbetrag übersteigt, auf eine Terminsgebühr angerechnet, die wegen desselben Gegenstands in einer anderen Angelegenheit entsteht.“ Die Bedeutung dieser schwer zu lesenden Vorschrift ist umstritten.
10 Jahre RVG
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77
E. Die Terminsgebhr bei Einbeziehung eines anderen Verfahrens
Beispiel:
Der Rechtsanwalt erhebt für seinen Mandanten eine Klage vor dem Landgericht Lübeck über
12.000,00 EUR und eine weitere Klage über 20.000,00 EUR vor dem Landgericht Kiel. Beide Klagen
richten sich gegen denselben Beklagten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Lübeck werden Einigungsverhandlungen sowohl über die dort rechtshängigen
12.000,00 EUR als auch über die dort nicht rechtshängigen 20.000,00 EUR geführt.
In dem Verfahren, in dem der Termin stattgefunden hat, entsteht eine Terminsgebühr, die sich aus dem
Gesamtwert der Streitgegenstände aus beiden Verfahren ergibt. Nach herrschender Meinung37 entsteht
aber für die Einigungsverhandlungen nicht zugleich eine Terminsgebühr in dem einbezogenen Verfahren. Dieser Auffassung hat sich zuletzt auch das BAG38 angeschlossen. Die Bedeutung der Anm.
Abs. 2 zur Nr. 3104 VV RVG liege darin, dass die Terminsgebühr bei derartigen Einigungsverhandlungen
nur einmal entstehe.39
78
Abrechnung der Terminsgebühr im Beispielsfall nach herrschender Meinung
1.
2.
Verfahren vor dem Landgericht Lübeck
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG
(Wert: 32.000,00 EUR)
Verfahren vor dem Landgericht Kiel
Keine Terminsgebühr
1125,60 EUR
Die Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG enthält keinen eigenen Gebührentatbestand. Sie ist vielmehr eine
Anrechnungsvorschrift im Sinne von § 15a Abs. 1 RVG. Voraussetzung der Anrechnung von Gebühren
ist, dass die aufeinander anzurechnenden Gebühren entstanden sind. Beide aufeinander anzurechnenden
Gebühren bleiben durch eine Anrechnungsvorschrift grundsätzlich unangetastet. Der Rechtsanwalt kann
also beide von der Gebührenanrechnung betroffenen Gebühren jeweils in voller Höhe geltend machen.40
Ihm ist es lediglich verwehrt, insgesamt mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren zu verlangen.41 Dementsprechend verhindert die Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104
VV RVG nicht, dass die Terminsgebühren in beiden Angelegenheiten entstehen.
79
Nach der Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz 200442 soll mit der Anrechnungsvorschrift erreicht werden, dass die Terminsgebühr nicht doppelt verdient wird. Der Mandant
soll also durch die Regelung so gestellt werden, als seien die Einigungsverhandlungen in dem jeweiligen
Verfahren geführt worden. Gesteht man dem Rechtsanwalt für die Einigungsverhandlungen die Terminsgebühr auch für das einbezogene Verfahren zu, so stellt die Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG als Anrechnungsvorschrift sicher, dass der Rechtsanwalt nicht mehr an Terminsgebühren erhält, als er erhalten
würde, wenn in beiden Verfahren die Einigungsverhandlungen stattgefunden hätten.
80
37 OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 940; OLG Frankfurt NJOZ 2008, 3357; OLG Köln BeckRS 2012, 6362; LAG Düsseldorf BeckRS
2014, 65907; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl. (2014), Nr. 3104 VV RVG, Rn 98; Schneider/Wolf/Wahlen/Onderka/
Schneider, 7. Aufl. (2014), Nr. 3104 VV RVG, Rn 89; a.A.: OLG Rostock NJW-RR 2007, 790; vgl. auch BGH NJW NJW-RR
2012, 314.
38 Vgl. BAG NJW 2014, 1837.
39 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl. (2014), Nr. 3104 VV RVG, Rn 99; vgl. auch BAG NJW 2014, 1837, Rn 15.
40 BT-Drucks 16/12717, S. 58 f.
41 Vgl. BT-Drucks 16/12717, S. 58 f.
42 Vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 212; vgl. auch BT-Drucks 15/2487, S. 140.
10 Jahre RVG
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21
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
Abrechnung der Terminsgebühr im Beispielsfall nach gegenteiliger Meinung
1.
2.
3.
Verfahren vor dem Landgericht Lübeck
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG
(Wert: 32.000,00 EUR)
Verfahren vor dem Landgericht Kiel
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG
(Wert: 20.000,00 EUR)
Abzuziehender Anrechnungsbetrag
Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG
1,2-Terminsgebühr LG Lübeck
(Wert: 32.000,00 EUR; alle Gegenstände)
abzüglich 1,2-Terminsgebühr LG Lübeck
(Wert: 12.000,00 EUR;
dort rechtshängiger Gegenstand)
Ergebnis abzuziehender Anrechnungsbetrag
Gesamt
1125,60 EUR
890,40 EUR
1125,60 EUR
724,80 EUR
400,80 EUR
1.615,20 EUR
In dem Beispielsfall verdient der Rechtsanwalt auf der Grundlage der herrschenden Meinung für die Terminsgebühr(en) insgesamt 1125,60 EUR und nach der gegenteiligen Meinung 1.615,20 EUR. Nach der
herrschenden Meinung entsteht die Terminsgebühr in dem einbezogenen Verfahren gar nicht erst. Die
Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG hat allerdings nur den Zweck, einen doppelten Verdienst zu verhindern. Ein Doppelverdienst liegt aber nur hinsichtlich des Anrechnungsbetrages über 400,80 EUR vor,
nicht hingegen in Höhe der vollen Terminsgebühr des einbezogenen Verfahrens. Die gegenteilige Meinung stellt damit sicher, dass dem Rechtsanwalt die Terminsgebühr in dem einbezogenen Verfahren erhalten bleibt.
81
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
von Lotte Thiel, Rechtsanwältin, Koblenz
Nicht umfassend hat sich Konstanz von der guten alten BRAGO ins RVG gerettet, § 48 Abs. 3 RVG ist
aber ein Beispiel dafür. Die Regelung des § 48 Abs. 3 RVG trägt nicht nur im Wesentlichen noch den
Wortlaut des § 122 Abs. 3 BRAGO. Sie hat auch die fast unzähligen gesetzlichen Änderungen der vergangenen zehn Jahre unbehelligt überstanden.
82
Das JustizmodG,43 das Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren,44
jenes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht,45 das FGG-ReformG,46 das Gesetz zur Änderung der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung sowie das Gesetz
zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen, Vaters47 und dasjenige zur Änderung des Pro-
83
43
44
45
46
47
BGBl I. S. 3416, in Kraft getreten am 31.12.2006.
BGBl I S. 1000, in Kraft getreten am 1.7.2008.
BGBl I S. 2449, in Kraft getreten am 5.8.2009.
FGG-ReformG vom 5.8.2009, BGBl I. S. 2586, in Kraft getreten am 1.9.2009.
Gesetz vom 4.7.2013, BGBl I S. 2176, in Kraft getreten am 13.7.2013.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
22
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
zesskostenhilfe- und Beratungshilferechts48 und schließlich eine Vielzahl von weiteren Gesetzen haben
mitunter prägende kostenrechtliche Änderungen und Klarstellungen im Gebührenrecht hervorgebracht
und das RVG nach seinem Inkrafttreten 2004 bis heute im positiven Sinne modifiziert. Den § 48
Abs. 3 RVG beeinflusste dies alles nicht. Wirklich nicht?
Was der Gesetzgeber nicht für notwendig hielt, dessen nahmen sich in stetiger Verkennung der Gewaltenteilung einige dafür bekannte Oberlandesgerichte an, die plötzlich ein Auslegungspotential dieser Vorschrift erkannt zu haben glaubten, welches zu BRAGO-Zeiten nahezu gar nicht diskutiert wurde und
das auch zu unzumutbaren Ergebnissen führt.
84
I. Überblick
Das Inkrafttreten des 1. KostRMoG49 mit Wirkung seit dem 1.7.2004 hat dazu geführt, dass § 122 Abs. 3
S. 1, 2 BRAGO in § 48 Abs. 3 RVG nahezu unverändert übernommen und vor exakt zehn Jahren lediglich
um den Regelungsgegenstand des Umgangsrechts komplementiert worden war. Erst im zehnten Jahr
nach Inkrafttreten des 1. KostRMoG wurden auf der Grundlage des 2. KostRMoG50 Änderungen im Rahmen des § 48 Abs. 3 RVG maßgeblich, die – vom Gesetzgeber jedenfalls so gedacht – lediglich Klarstellung bedeuten, jedenfalls keine Verwirrung hervorrufen sollten: Die Wörter in § 48 Abs. 3 RVG „auf die
Mitwirkung beim Abschluss dieses Vertrags, soweit er“ wurden insoweit ersetzt „auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten“. Um diese Klarstellung verstehen zu können, bedarf es
der Darstellung und Erläuterung der gesamten Vorschrift des § 48 RVG.
85
II. Inhalt der Regelung des § 48 RVG
Geregelt wird in § 48 RVG der Umfang des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts und seiner Beiordnung, so auch die Überschrift der Vorschrift „Umfang des Anspruchs und der Beiordnung“. § 45 Abs. 1
RVG bestimmt, dass der Rechtsanwalt im Falle einer Beiordnung seine gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten des Bundes aus der Bundeskasse, in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der
Landeskasse beanspruchen kann.
86
1. Umfang des Vergtungsanspruchs
Der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Anwalts
bestimmt sich insoweit nach den Beschlüssen, durch die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt
und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (§ 48 Abs. 1 RVG).51
Beispiel 1:
Der Antragsteller macht gegenüber dem Antragsgegner gerichtlich zukünftigen Volljährigenunterhalt
in Höhe von monatlich 486,00 EUR geltend. Der Antragsgegner beantragt die Abweisung dieses Antrags und Verfahrenskostenhilfe zur Verteidigung gegen den geltend gemachten Anspruch. Der Verfahrenswert beläuft sich auf 5.832,00 EUR. Das FamG bewilligt dem Antragsgegner Verfahrenskostenhilfe in dem beantragten Umfang und weist den Antrag aufgrund mündlicher Verhandlung ab.
48 Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31.8.2013, BGBl I. S. 3533, in Kraft getreten am
1.1.2014.
49 Gesetz vom 5.5.2004, BGBl I. S. 718, in Kraft getreten am 1.7.2004.
50 Gesetz vom 23.7.2013, BGBl I. S. 2586, in Kraft getreten am 1.8.2013.
51 OLG Koblenz AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749; Beschl. v. 16.9.2014 – 13 WF 810/14.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
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87
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
Die im Verfahren entstandenen gesetzlichen Gebühren kann der Rechtsanwalt insoweit in vollem Umfang mit der Landeskasse abrechnen wie folgt:
1.
2.
3.
4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG
(Wert: 5.832,00 EUR)
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 5.832,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
347,10 EUR
320,40 EUR
20,00 EUR
687,50 EUR
130,63 EUR
818,13 EUR
Die Landeskasse ist verpflichtet, die gesetzliche Vergütung in Höhe von 818,13 EUR an den Rechtsanwalt auszuzahlen.
Beispiel 2:
Vor dem FamG findet ein Vermittlungsverfahren nach § 165 FamFG statt, in dem der Rechtsanwalt
der Antragstellerin beigeordnet worden ist. Die Vermittlung scheitert, sodass der Rechtsanwalt für die
Kindesmutter ein Umgangsrechtsverfahren einleitet, in dem – ebenso wie bereits im Vermittlungsverfahren – ein Termin stattfindet und in dem der Rechtsanwalt ebenfalls beigeordnet wird. Gemäß §§ 45
Abs. 1, 48 Abs. 1, 49 RVG kann der Rechtsanwalt die entstandenen gesetzlichen Gebühren aus der
Landeskasse erstattet verlangen wie folgt:
I.
1.
2.
3.
4.
II.
1.
2.
3.
4.
5.
Verfahren nach § 165 FamFG (Wert: 3.000,00 EUR)
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
Gerichtliches Umgangsrechtsverfahren
(Wert: 3.000,00 EUR)
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
gem. Anm. Abs. 3 zu Nr. 3100 VV anzurechnen, 1,3 aus
3.000,00 EUR
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
261,30 EUR
241,20 EUR
20,00 EUR
522,50 EUR
99,28 EUR
621,78 EUR
261,30 EUR
-261,30 EUR
241,20 EUR
20,00 EUR
261,20 EUR
49,63 EUR
310,83 EUR
24
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
Die Landeskasse ist verpflichtet, die gesetzliche Vergütung in Höhe von 932,61 EUR an den Rechtsanwalt auszuzahlen.
Beispiel 3:
Der Antragsteller macht gegenüber dem Antragsgegner gerichtlich zukünftigen Volljährigenunterhalt
in Höhe von monatlich 486,00 EUR geltend. Der Antragsgegner beantragt die Abweisung dieses Antrags und beantragt Verfahrenskostenhilfe zur Verteidigung gegen den geltend gemachten Anspruch.
Der Verfahrenswert beläuft sich auf 5.832,00 EUR. Das FamG bewilligt dem Antragsgegner Verfahrenskostenhilfe, soweit er sich gegen die Geltendmachung eines über 300,00 EUR monatlich hinausgehenden Anspruchs verteidigen möchte. Das FamG entscheidet aufgrund mündlicher Verhandlung.
Die im Verfahren entstandene gesetzliche Vergütung kann der Rechtsanwalt jetzt nur in dem Umfang
mit der Landeskasse abrechnen, in dem Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist (12 x 186,00 EUR
= 2.323,00 EUR):
1.
2.
3.
4.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 2.232,00 EUR)
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 2.232,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
261,30 EUR
241,20 EUR
20,00 EUR
522,50 EUR
99,28 EUR
621,78 EUR
Die Landeskasse ist verpflichtet, die gesetzliche Vergütung in Höhe von 621,78 EUR an den Rechtsanwalt auszuzahlen.
2. Gesetzliche Vergtung
Zur gesetzlichen Vergütung im Sinne des § 45 Abs. 1 RVG gehören alle Gebühren und notwendigen Auslagentatbestände, die in dem zugrunde liegenden gerichtlichen Verfahren nach dem RVG ausgelöst worden sind.
Beispiel 4:
Der Antragsteller macht gegenüber dem Antragsgegner einen Zugewinnausgleichsanspruch in Höhe
von monatlich 280.00,00 EUR geltend. Ihm wird für das Verfahren unter Beiordnung seines Rechtsanwalts Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Es finden eine umfangreiche Beweisaufnahme und drei gerichtliche Termine statt, in denen der Sachverständige und Zeugen vernommen werden. Die Beteiligten einigen sich auf die Zahlung eines Zugewinnausgleichsbetrags in Höhe von 220.000,00 EUR.
Als gesetzliche Gebühren sind die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, die Terminsgebühr nach
Nr. 3104 VV, die Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen und die Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV entstanden. Für die Einigungsgebühr bedarf es – entgegen falscher
gerichtlicher Praxis – keiner Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe, solange die Einigung über den
gerichtlich anhängigen Verfahrensgegenstand erfolgt ist. Ein Zahlungsanspruch gegenüber der Landeskasse besteht daher kraft Beiordnung in folgendem Umfang:
1.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 280.000,00 EUR)
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
581,10 EUR
25
88
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
2.
3.
4.
5.
6.
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 280.000,00 EUR)
0,3-Zusatzgebühr, Nr. 1010 VV
(Wert: 280.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV
(Wert: 280.000,00 EUR)
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
536,40 EUR
134,10 EUR
447,00 EUR
20,00 EUR
1.718,60 EUR
326,53 EUR
2.045,13 EUR
III. Bindungswirkung des Prozess- oder Verfahrenskostenhilfebeschlusses
Der rechtskräftige Beschluss, durch den die Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist –
gleich ob richtig oder falsch –, bindet im Vergütungsfestsetzungsverfahren und kann weder dort noch anderweitig korrigiert werden.52 Dies hat zur Folge, dass der Vergütungsanspruch im Umfang der Bewilligung und Beiordnung aus der Landeskasse auch dann zu gewähren ist, wenn eine Beiordnung nicht
oder nur eingeschränkt hätte erfolgen dürfen.53 Wird der Rechtsanwalt demnach für ein gerichtliches Verfahren bestellt oder beigeordnet, so kann er grundsätzlich sämtliche in diesem Verfahren entstehenden
gesetzlichen Gebühren abrechnen, auch wenn materiell- oder verfahrensrechtlich Bewilligung und Beiordnung nicht oder nur eingeschränkt hätten erfolgen dürfen.54
Beispiel 5:
Vor dem FamG München findet ein Vermittlungsverfahren nach § 165 FamFG statt, in dem der im
Bezirk des FamG Köln niedergelassene Rechtsanwalt der Antragstellerin, die ihren allgemeinen Aufenthalt in München hat, uneingeschränkt beigeordnet worden ist. Es findet ein Anhörungstermin in
München statt, zu dem der Rechtsanwalt aus Köln am selben Tag mit dem Pkw an- und abreist.
Gemäß §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1, 49 RVG kann der Rechtsanwalt die entstandenen gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse erstattet verlangen wie folgt:
1.
2.
3.
4.
5.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
Fahrtkosten Pkw, Nr. 7003 VV, 2 x 620 km x
0,30 EUR/km
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 3 VV
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
261,30 EUR
241,20 EUR
372,00 EUR
70,00 EUR
20,00 EUR
964,50 EUR
52 OLG Koblenz AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749; Beschl. v. 16.9.2014 – 13 WF 810/14.
53 KG AGS 2010, 612 = JurBüro 2011, 94 = MDR 2011, 327 = Rpfleger 2011, 217 = FamRZ 2011, 835 = NJW-Spezial 2010, 764 =
RVGreport 2011, 118.
54 KG AGS 2010, 612 = JurBüro 2011, 94 = MDR 2011, 327 = Rpfleger 2011, 217 = FamRZ 2011, 835 = NJW-Spezial 2010, 764 =
RVGreport 2011, 118; OLG Düsseldorf AGS 2014, 196 = NJW-Spezial 2014, 253.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
26
89
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
6.
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
183,26 EUR
1.147,75 EUR
Wird einem Beteiligten demnach ohne ausdrückliche Einschränkung ein Rechtsanwalt für ein Verfahren
beigeordnet, so darf er sich in dem Umfang kostenfrei der Mitwirkung seines Anwalts versichert sein, wie
ihm Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde.55
Aus der Landeskasse ist insoweit die gesetzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 1.147,75 EUR zu erstatten.
IV. Gesetzliche Ausnahmen
Abweichend vom Inhalt des § 48 Abs. 1 RVG gibt es gesetzliche Ausnahmen, in denen anwaltliche Tätigkeiten auch ohne ausdrückliche Anwaltsbeiordnung aus der Staats- bzw. Landeskasse vergütet werden.
Das Gesetz sieht insoweit zugunsten einkommensschwacher Verfahrensbeteiligter Regelungen vor, die
in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen zu einer Erstreckung der bereits bewilligten Beiordnung führen, ohne dass die Beiordnung gesondert beantragt oder bewilligt werden muss. Auch in den gesetzlich
normierten Ausnahmefällen kann der Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung demnach in vollem Umfang von der Staats- oder Landeskasse verlangen, obwohl ein gerichtlicher Beschluss über die entsprechende Beiordnung nicht existiert. Zu den Ausnahmen gehören in Familiensachen insbesondere:
&
&
&
&
&
90
§ 149 FamFG,
§ 48 Abs. 2, 1. Hs. RVG,
§ 48 Abs. 2, 2. Hs. RVG,
§ 48 Abs. 5 Nr. 4 RVG,
§ 48 Abs. 3 RVG.
1. § 149 FamFG
Gemäß § 149 FamFG erstreckt sich die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für die Scheidungssache
auch auf eine Versorgungsausgleichsfolgesache, sofern nicht eine Erstreckung ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Beispiel 6:
Die Ehefrau stellt beim FamG Scheidungsantrag. Ihr wird in der Scheidungssache antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des von ihr beauftragten Rechtsanwalts bewilligt. Die Ehe wird
geschieden. In der Scheidungssache setzt das FamG den Verfahrenswert auf 9.000,00 EUR, in der
Versorgungsausgleichssache auf 4.500,00 EUR fest.
Die im Verfahren entstandene gesetzliche Vergütung kann der Rechtsanwalt jetzt insgesamt, auch soweit der Versorgungsausgleich betroffen ist, mit der Landeskasse abrechnen, obwohl es einen Beschluss über eine ausdrückliche Beiordnung die Versorgungsausgleichsfolgesache nicht gibt:
1.
2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 13.500,00 EUR)
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 13.500,00 EUR)
435,50 EUR
402,00 EUR
55 OLG Köln AGS 2007, 362.
10 Jahre RVG
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91
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
3.
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
20,00 EUR
857,50 EUR
162,93 EUR
1.020,43 EUR
Aus der Landeskasse ist insoweit die gesetzliche Vergütung in Höhe von insgesamt 1.020,43 EUR zu
erstatten.
2. § 48 Abs. 2, 1. Hs. RVG
Wird einem Beteiligten für eine eigene Beschwerde Verfahrenskostenhilfe bewilligt, so erstreckt sich
diese gemäß § 48 Abs. 2 RVG auch auf eine Anschlussbeschwerde der Gegenseite. Grund hierfür ist,
dass die Bedürftigkeit bereits im Rahmen des eigenen Rechtsmittels ermittelt worden ist und sich eine
Prüfung der Erfolgsaussicht der Abwehr des Anschlussrechtsmittels wegen des vorinstanzlichen Erfolgs
gem. § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO verbietet.
92
Beispiel 7:
Die Ehefrau hatte beantragt, den Ehemann zu einer zukünftigen monatlichen Unterhaltszahlung in
Höhe von 1.000,00 EUR zu verpflichten. Das FamG hat den Ehemann verpflichtet, 600,00 EUR monatlich zu zahlen. Dagegen legt er Beschwerde ein, mit der er seinen Abweisungsantrag weiter verfolgt. Es wird ihm antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Die Ehefrau erhebt Anschlussbeschwerde, mit der sie ihren weitergehenden Antrag auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von
400,00 EUR weiter verfolgt.
Einer gesonderten Verfahrenskostenhilfebewilligung für die Verteidigung gegen die Anschlussbeschwerde bedarf es nicht. Die für die eigene Beschwerde des Ehemannes bewilligte Verfahrenskostenhilfe erstreckt sich kraft Gesetzes auch auf die Abwehr der Anschlussbeschwerde. Der dem Ehemann beigeordnete Rechtsanwalt kann daher aus dem Wert von 12 x 1.000,00 EUR (600,00 EUR +
400,00 EUR) auch im Beschwerdeverfahren die gesetzlichen Gebühren abrechnen.
3. § 48 Abs. 2, 2. Hs. RVG
Gemäß § 48 Abs. 2, 2. Hs. RVG erstreckt sich die in einem einstweiligen Anordnungsverfahren bewilligte
Verfahrenskostenhilfe kraft Gesetzes auch auf die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung, ohne dass
eine ausdrückliche Beiordnung erfolgt ist, sodass der Rechtsanwalt neben den Gebühren für das einstweilige Anordnungsverfahren auch die gesetzlichen Gebühren nach den Nrn. 3309 ff. RVG mit der Landeskasse abrechnen und Erstattung verlangen kann.
93
4. § 48 Abs. 5 Nr. 4 RVG
§ 48 Abs. 5 Nr. 4 RVG bestimmt, dass sich die in einer Ehesache bewilligte Verfahrenskostenhilfe kraft
Gesetzes auch auf die Rechtsverteidigung gegen einen Widerantrag erstreckt mit der sich wiederum ergebenden Folge, dass der in der Ehesache beigeordnete Rechtsanwalt auch die im Rahmen des Widerantrags in der Ehesache ausgelösten gesetzlichen Gebühren – ohne gesondert beigeordnet worden zu
sein – aus der Landeskasse erstattet verlangen kann.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
28
94
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
5. § 48 Abs. 3 RVG
a)
Bedeutung der Regelung
Nach § 48 Abs. 3 S. 1 RVG erstreckt sich die Beiordnung in einer Ehesache auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV, der
&
&
&
&
&
&
95
den gegenseitigen Unterhalt der Ehegatten,
den Unterhalt gegenüber den Kindern im Verhältnis der Ehegatten zueinander,
die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder,
die Regelung des Umgangs mit einem Kind,
die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung und den Haushaltsgegenständen und
die Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht
betrifft.
b)
Anlass der nderung durch das 2. KostRMoG
Strittig56 war, ob § 48 Abs. 3 RVG in der bis zum 31.7.2013 maßgeblichen Fassung dazu führt, dass nur die
Einigungsgebühr aus der Landeskasse zu erstatten sei oder ob alle durch die Einigung und den Abschluss
des Vertrags entstehenden Gebühren, also auch die Differenzverfahrens- und die Terminsgebühr, aus der
Landeskasse erstattet verlangt werden können. Mit der seit dem 1.8.2013 gültigen Fassung des § 48 Abs. 3
S. 1 RVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass im Falle eines Vertragsabschlusses – so der jetzige Wortlaut der Regelung – alle mit der Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelösten gesetzlichen Gebühren mit der
Landeskasse abgerechnet werden können. Die Begrenzung auf einen Teil der durch die Einigung entstandenen Gebühren steht nach Auffassung des Gesetzgebers nicht im Einklang mit der Zielsetzung der Regelung auch bereits vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG. Die Regelung verfolgt das Ziel, eine umfassende
Einigung in Familiensachen zu fördern. Nur durch eine Erstreckung auf alle entstehenden gesetzlichen
Gebühren, die im Zusammenhang mit einer Einigung anfallen können, erhalten insoweit auch bedürftige
Verfahrensbeteiligte die Möglichkeit, ihre Streitigkeiten möglichst umfänglich beizulegen.
Beispiel 8:
In der Ehesache ist beiden Beteiligten Verfahrenskostenhilfe unter jeweiliger Beiordnung ihres
Rechtsanwalts bewilligt worden. Im Scheidungstermin wird eine Vereinbarung über den gerichtlich
nicht anhängigen Zugewinnausgleich geschlossen. Die Werte werden wie folgt festgesetzt: Ehesache
9.000,00 EUR, Versorgungsausgleich 1.800,00 EUR, Güterrecht 4.000,00 EUR.
Abrechnen kann der allein in der Ehesache beigeordnete Rechtsanwalt alle mit dem Abschluss des
Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV entstehenden Gebühren, also die 1,3-Verfahrensgebühr nach
Nr. 3100 VV, die Verfahrensdifferenzgebühr aus dem gerichtlich nicht anhängigen Zugewinn, die
1,2-Terminsgebühr aus dem Wert der anhängigen und nicht anhängigen Gegenstände sowie die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV aus dem nicht anhängigen Gegenstand, sodass die Landeskasse folgende gesetzliche Gebühren erstatten muss:
1.
2.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, § 49 RVG
(Wert: 10.800,00 EUR)
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 1
VV RVG, § 49 RVG
(Wert: 4.000,00 EUR)
417,30 EUR
201,60 EUR
56 Zum Meinungsstand: Volpert, RVGreport 2010, 445 ff.
10 Jahre RVG
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29
96
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus
14.800,00 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, § 49 RVG
(Wert: 14.800,00 EUR)
4. 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG, § 49 RVG
(Wert: 4.000,00 EUR)
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG
Zwischensumme
6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
Gesamt
Beispiel 9:
435,50 EUR
402,00 EUR
378,00 EUR
20,00 EUR
1.235,50 EUR
234,75 EUR
1.470,25 EUR
In der Ehesache ist beiden Beteiligten Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden. Die Ehefrau hatte beantragt, den Ehemann zu einer Unterhaltszahlung i.H.v. 500,00 EUR ab Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zu verpflichten. Im Verbundverfahren (Wert der Ehesache 10.000,00 EUR, Versorgungsausgleich 1.000,00 EUR) einigen sich die Beteiligten im Termin zur Scheidung ihrer Ehe unter
Mitwirkung ihrer Verfahrensbevollmächtigten nach Verhandlungen auf den anhängigen nachehelichen Unterhalt (Wert: 6.000,00 EUR) und den nicht anhängigen Trennungsunterhalt (Wert:
6.000,00 EUR).
Gemäß § 48 Abs. 3 RVG erstreckt sich die Beiordnung in der Ehesache auf alle mit der Herbeiführung
des Vertragsabschlusses entstandenen gesetzlichen Gebühren, sodass der Rechtsanwalt mit der Landeskasse abrechnen kann:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 17.000,00 EUR)
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3011, 3101 Nr. 2 VV RVG
(Wert: 6.000,00 EUR)
gem. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3 aus
23.000,00 EUR
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG
(Wert: 23.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG
(Wert: 6.000,00 EUR)
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG
(Wert: 6.000,00 EUR)
gem. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,5 aus
12.000,00 EUR
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
Gesamt
453,70 EUR
213,60 EUR
490,10 EUR
452,40 EUR
267,00 EUR
400,50 EUR
481,50 EUR
20,00 EUR
1.444,00 EUR
274,36 EUR
1.718,36 EUR
Der in einer Ehesache beigeordnete Rechtsanwalt kann demnach stets alle Gebühren abrechnen, die mit
dem Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV entstehen, das heißt einer gesonderten Beiordnung für den Abschluss eines „Mehrvergleichs“ bedarf es im Zusammenhang mit § 48 Abs. 3 RVG nicht.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
30
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
c)
Abschluss eines Mehrvergleichs
Anders liegt der Fall beim Abschluss eines Mehrvergleichs außerhalb des § 48 Abs. 3 RVG. Eine Erstreckung kraft Gesetzes gibt es nicht. Will der Rechtsanwalt seine auch insoweit entstehenden gesetzlichen
Gebühren abrechnen, so muss er dies gesondert beantragen. Die Praxis sah bisher wie folgt aus:
Beispiel 10:
Der Rechtsanwalt beantragt für den Ehemann die Überlassung der Ehewohnung in der Trennungszeit.
Dem Ehemann wird Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet. Im Termin
einigen sich die Beteiligten über die Überlassung der Ehewohnung in der Trennungszeit und die endgültige Überlassung der Ehewohnung auch nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses. Der Rechtsanwalt beantragt, die Beiordnung auch auf den Abschluss des Mehrvergleichs zu erstrecken, was antragsgemäß geschieht.
Die Überlassung der Ehewohnung in der Trennungszeit und nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses sind zwei verschiedene Gegenstände. Die Gebühren entstehen daher aus den zusammengerechneten Werten der Wohnungsüberlassung in der Trennungszeit (3.000,00 EUR – § 48 Abs. 1
FamGKG) und der endgültigen Überlassung nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses
(4.000,00 EUR – § 48 Abs. 1 FamGKG). Der Anwalt erhält eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100
VV) aus dem Wert der anhängigen Ehewohnungssache und eine 0,8-Verfahrensgebühr (Nrn. 3100,
3101 VV) aus dem Wert für die Überlassung der Ehewohnung nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 3 RVG. Die Terminsgebühr entsteht aus dem Gesamtwert. Aus dem Wert der Trennungszeit entsteht eine 1,0-Einigungsgebühr (Nrn. 1000, 1003 VV)
und aus dem Wert der Zeit nach Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses eine 1,5-Einigungsgebühr
(Nr. 1000 VV), ebenfalls mit der Begrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG. Wahlanwaltsgebühren entstehen
daher wie folgt:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV
(Wert: 4.000,00 EUR)
die Höchstgrenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als
1,3 aus 7.000,00 EUR (526,50 EUR), ist nicht überschritten
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 7.000,00 EUR)
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV
(Wert: 4.000,00 EUR)
die Höchstgrenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als
1,5 aus 7.000,00 EUR (607,50 EUR), ist nicht überschritten
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
261,30 EUR
201,60 EUR
486,00 EUR
201,00 EUR
378,00 EUR
20,00 EUR
1.547,90 EUR
294,10 EUR
1.842,00 EUR
31
97
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
Würde mit der Landeskasse abgerechnet, so müsste die Berechnung wie folgt aussehen:
1.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
2.
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV
(Wert: 4.000,00 EUR)
die Höchstgrenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3
aus 7.000,00 EUR (360,10 EUR), ist überschritten
3.
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 7.000,00 EUR)
4.
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
5.
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV
(Wert: 4.000,00 EUR)
die Höchstgrenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,5
aus 7.000,00 EUR (415,50 EUR), ist nicht überschritten
6.
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
7.
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
d)
261,30 EUR
201,60 EUR
360,10 EUR
332,40 EUR
201,00 EUR
378,00 EUR
415,50 EUR
20,00 EUR
1.128,00 EUR
214,32 EUR
1.342,32 EUR
Erstattungsanspruch gegenber der Landeskasse, wenn Verfahrenskostenhilfe auf den
Mehrvergleich erstreckt worden ist
Während OLG Köln,57 OLG Saarbücken,58 OLG Stuttgart59 und OLG Koblenz60 – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des 2. KostRMoG – die Auffassung vertreten hatten, aus der Landeskasse sind bei einer „Erstreckung auf den Mehrvergleich“ alle entstandenen gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten, die auch der Wahlanwalt beanspruchen kann, verfolgen OLG Dresden61 und OLG Koblenz62
nunmehr die Auffassung, dass eine Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe für die Verfahrensdifferenzgebühr und die höhere Terminsgebühr für nicht anhängige Verfahrensgegenstände nicht
möglich sei, weil beim Abschluss eines Mehrvergleichs die Erfolgsaussicht nicht geprüft werden könne.
OLG Dresden und Koblenz leugnen nicht das Entstehen der Gebühren (Verfahrensdifferenzgebühr, Terminsdifferenzgebühr, Einigungsgebühr) beim Abschluss eines so genannten Mehrvergleichs, sondern
vertreten lediglich, dass nicht alle Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten seien und die tenorierte Erstreckung der Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei Abschluss eines Mehrvergleichs
nur die Einigungsgebühr erfasse. Demnach sollen nur folgende Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten sein (zu Beispiel 10):
1.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
261,30 EUR
57 AGS 2007, 547 = FamRZ 2008, 707 = NJW-Spezial 2007, 523 = OLGR 2008, 367; AGS 2013, 350.
58 AGS 2009, 77 = NJW 2008, 3150 = FamRZ 2009, 143 = RVGreport 2008, 384 = OLGR 2008, 823.
59 AGS 2008, 353 = AnwBl 2008, 303 = FamRZ 2008, 1010 = JurBüro 2008, 306 = Rpfleger 2008, 368 = MDR 2008, 1067 = Justiz
2008, 367 = RVGprof. 2008, 77.
60 FamRZ 2006, 1691.
61 MDR 2014, 686 = Rpfleger 2014, 387 = AGS 2014, 347 = NJW 2014, 2804 = NJW-Spezial 2014, 445.
62 AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749.
10 Jahre RVG
Deutscher Anwaltverlag
32
98
F. Mit § 48 Abs. 3 RVG im Pilgerschritt voran
2.
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
3.
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV
(Wert: 3.000,00 EUR)
4.
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV
(Wert: 4.000,00 EUR)
gem. § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,5 aus
7.000,00 EUR
5.
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV
Zwischensumme
6.
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV
Gesamt
241,20 EUR
201,00 EUR
378,00 EUR
415,50 EUR
20,00 EUR
938,00 EUR
178,22 EUR
1.116,22 EUR
Nach OLG Dresden63 und OLG Koblenz64 sind deshalb insgesamt 226,10 EUR weniger aus der Landeskasse zu erstatten, obwohl Einigkeit darüber besteht, dass die Vergütung durch den Mehrvergleich in
Höhe 1.116,22 EUR zuzüglich des Betrags von 226,10 EUR entstanden ist.
OLG Dresden65 und OLG Koblenz66 gewinnen ihre Erkenntnis aus einem im Zusammenhang mit der
Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG – allerdings zu Unrecht – gezogenen Umkehrschluss: Weil der Gesetzeswortlaut des § 48 Abs. 3 RVG nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG bestimme, dass sich „die Beiordnung in einer Ehesache im Fall des Abschlusses eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV auf alle mit der
Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten erstrecke“, ist bei einer „Erstreckung auf
den Mehrvergleich“ nur eine 1,5-Einigungsgebühr aus der Landeskasse zu erstatten, nicht aber eine Verfahrens- oder Terminsgebühr aus dem nicht anhängigen Wert. Diese Auffassung ist abzulehnen.
99
Der Gesetzgeber wollte bereits vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG alle im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Mehrvergleichs entstehenden Gebühren, soweit die Regelungsgegenstände des § 48 Abs. 3
RVG erfasst waren, aus der Landeskasse erstattet wissen. Die Rechtsprechung hatte dies aber in der Vergangenheit nicht richtig verstanden. Das war Grund und Anlass dafür, durch die Änderung des Gesetzestexts den Willen des Gesetzgebers klarzustellen. Das Gesetz sieht zugunsten einkommensschwacher Verfahrensbeteiligter in § 48 Abs. 2–6 RVG Ausnahmeregelungen vor, die zu einer Beiordnung im Sinne
einer Erstreckung führen, ohne dass der Beteiligte des Verfahrens oder der Verfahrensbevollmächtigte
die Beiordnung gesondert beantragt oder anderweitig geltend gemacht hätte.
100
Dass der Abschluss eines Mehrvergleichs nicht ausdrücklich geregelt ist, steht im Zusammenhang damit,
dass er bereits von § 48 Abs. 1 RVG erfasst ist. Für den Gesetzgeber bestand deshalb bislang kein Regelungsbedürfnis. Das könnte sich allenfalls auf der Grundlage der Auslegung des OLG Dresden und des
OLG Koblenz erweisen.
101
e)
Praktische Lçsung bis zu einer erhofften Klarstellung des Gesetzgebers
Zukünftig sollte bei Abschluss eines Mehrvergleichs die Erstreckung dergestalt beantragt werden, dass
alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten aus der Landeskasse vergütet werden
63
64
65
66
MDR 2014, 686 = Rpfleger 2014, 387 = AGS 2014, 347 = NJW 2014, 2804 = NJW-Spezial 2014, 445.
AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749.
MDR 2014, 686 = Rpfleger 2014, 387 = AGS 2014, 347 = NJW 2014, 2804 = NJW-Spezial 2014, 445.
AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749.
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102
G. Teil-Anrechnung der Geschftsgebhr und Auswirkung auf die Kostenerstattung seit 2004
und darauf geachtet werden, dass das Gericht genau so auch tenoriert, damit dem Rechtsanwalt berechtigte Gebührenansprüche aus der Landeskasse nicht versagt werden.
f)
Auslegung des Prozess- oder Verfahrenskostenhilfebeschlusses und Ermittlung seiner
Reichweite nach dem objektiven Empfngerhorizont67
Das OLG Koblenz hat sich in seiner Entscheidung vom 16.9.2014,68 das heißt aktuell, erneut mit der
Frage befasst, welche Gebühren aus der Landeskasse bei einer Erstreckung der Beiordnung auf den Mehrvergleich beansprucht werden können und in einem Leitsatz eine anwaltsfreundliche Abgrenzung zu
seiner Entscheidung vom 19.5.201469 tenoriert:
103
„Wird in einem Trennungsunterhaltsverfahren auch der nacheheliche Unterhalt vergleichsweise geregelt,
ist aus Sicht eines objektiven Adressaten im Zweifel nicht davon auszugehen, dass eine nach Vergleichsabschluss erfolgte Verfahrenskostenhilfebewilligung nicht auch die infolge des Mehrvergleichs anfallende Verfahrensdifferenzgebühr und Terminsgebühr umfasst (Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom
19.5.2014 – 13 WF 369/14).“
Seiner Entscheidung lag der Abschluss eines (Mehr-)Vergleichs zugrunde, für dessen Abschluss der Antragsteller Verfahrenskostenhilfe beantragt hatte. Das FamG setzte die Werte wie folgt fest: Für das Verfahren: 10.608,00 EUR, für den Vergleich 10.608,00 EUR und für den Mehrvergleich 2.400,00 EUR. Daraufhin bewilligte das FamG „für den ersten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe“. Dies hat das OLG als
ausreichend für die Auslegung angesehen, dass nach dem objektiven Empfängerhorizont der Antragsteller davon ausgehen durfte, dass sich die bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf den Abschluss des
Mehrvergleichs beziehe.
Die Entscheidung des OLG lässt hoffen.
V. Ausblick
104
„Echternach“70 doch noch ohne Rückschritt?
G. Teil-Anrechnung der Geschäftsgebühr und Auswirkung auf die
Kostenerstattung seit 2004
von Joachim Volpert, Dipl.-Rechtspfleger, Willich
Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG wird die für die außergerichtliche Vertretung wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr nicht mehr wie früher bei § 118 Abs. 2 BRAGO vollständig, sondern nur noch zur Hälfte bzw. höchstens mit 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Wohl keine der am 1.7.2004 in Kraft getretenen Regelungen des RVG hat in der
erstattungsrechtlichen Praxis zu so vielen Problemen geführt und eine nicht mehr überschaubare Flut
von gerichtlichen Entscheidungen erzeugt wie die durch Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene teilweise Anrechnung der für die außergerichtliche Vertretung anfallenden Geschäftsgebühr Nr. 2300
VV RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens.
67
68
69
70
OLG Koblenz, Beschl. v. 16.9.2014 – 13 WF 810/14.
OLG Koblenz, Beschl. v. 16.9.2014 – 13 WF 810/14.
OLG Koblenz AGS 2014, 348 m. Anm. Thiel = NZFam 2014, 749; Beschl. v. 16.9.2014 – 13 WF 810/14.
Der Pilgerschritt soll auf die „Echternacher Springprozession“ zurückgehen, bei der angeblich zwei Schritte vor und einer zurück
gemacht worden sind.
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105
G. Teil-Anrechnung der Geschftsgebhr und Auswirkung auf die Kostenerstattung seit 2004
I. Motive für die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr
Die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr hielt der Gesetzgeber im 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (1. KostRMoG)71 aus systematischen Gründen für erforderlich. Denn der Umfang der von
der Verfahrensgebühr abgegoltenen anwaltlichen Tätigkeit (Betreiben des Geschäfts einschließlich der
Information) werde entscheidend davon beeinflusst, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst gewesen sei. Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der
unmittelbar einen Prozessauftrag erhalte, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig gewesen sei, sei nicht zu rechtfertigen. Die Anrechnung sei aber auch erforderlich, um eine außergerichtliche Erledigung zu fördern. Es müsse der Eindruck vermieden werden, der Rechtsanwalt habe ein gebührenrechtliches Interesse an einem gerichtlichen Verfahren.72
106
II. Gebührenrechtliche Anrechnungsfolge
Gebührenrechtliche Folge einer Anrechnung von Gebühren ist seit jeher eine Verringerung der Gebühr,
auf die angerechnet wird, nicht der Gebühr, die angerechnet bzw. mit der angerechnet wird.73 Sowohl die
früher in § 118 Abs. 2 BRAGO vorgeschriebene vollständige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die
Prozessgebühr als auch die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene teilweise Anrechnung
der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr führen damit gebührenrechtlich zu einer Verringerung
der Verfahrensgebühr und nicht der Geschäftsgebühr.74
107
III. Keine Übertragung der Folgen der Anrechnung auf die Kostenerstattung
Diese gebührenrechtliche Anrechnungsfolge hat die Praxis nach Inkrafttreten des RVG allerdings nahezu
einhellig nicht auf die materiell-rechtliche und die prozessuale Kostenerstattung übertragen. So entsprach
es einer weit verbreiteten Praxis, u.a. im Vertrauen auf eine im Falle des Obsiegens des Mandanten ergehende günstige Kostenentscheidung lediglich den sogenannten nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr einzuklagen und die volle Verfahrensgebühr anschließend in der Kostenfestsetzung gem. §§ 103 f.
ZPO geltend zu machen. Für die Kostenerstattung wurde somit ein Teil der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr verrechnet und der verbleibende Teil der Geschäftsgebühr allein oder zusammen mit der
Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht. Es wurde aus prozessökonomischen Gründen davon ausgegangen, dass die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr teilweise in der nachfolgend entstandenen Verfahrensgebühr aufgeht und die Verfahrensgebühr nicht um die hälftige Geschäftsgebühr zu verringern ist. Denn sonst sei die obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich die volle
Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei geltend zu machen und diese eventuell erneut einzuklagen,
weil die Geschäftsgebühr nicht im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden könne.75
71 Vom 5.5.2004 (BGBl I S. 718).
72 BT-Drucks 15/1971, S. 209.
73 Vgl. z.B. Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 11. Aufl. 1991, § 118 Rn 25, S. 1195; Hartmann, KostG, 25. Aufl. 1993, § 118
BRAGO Rn 85.
74 BGH NJW 2007, 2049 = JurBüro 2007, 357 = AGS 2007, 283 = RVGreport 2007, 226.
75 Vgl. KG AGS 2005, 515 = AnwBl 2005, 792 = JurBüro 2006, 202 = RVGreport 2005, 392; OLG Hamm JurBüro 2006, 202 =
RVGreport 2005, 433; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl., VV 2400–2403 Rn 205; im Ergebnis wohl auch Schultze- Rhonhof, RVGreport 2005, 374.
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G. Teil-Anrechnung der Geschftsgebhr und Auswirkung auf die Kostenerstattung seit 2004
IV. Gegenlenken des BGH erster Teil
Der BGH hat in seinen Entscheidungen aus dem Jahr 200776 dieser Praxis eine Absage erteilt: Weil sich
durch die in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene teilweise Anrechnung nicht die anzurechnende
Geschäftsgebühr, sondern die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens verringere, werde die obsiegende Partei darauf verwiesen, die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei – gegebenenfalls gerichtlich – geltend zu machen, weil die Geschäftsgebühr anders als die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO nicht berücksichtigt werden könne.
109
Die Zulassung der Geltendmachung der vollen Geschäftsgebühr im Prozess durch den BGH77 bei Bestehen eines entsprechenden materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs war zu begrüßen: Denn sie ist für
den Mandanten vorteilhafter und für den Rechtsanwalt daher mit einem geringeren Haftungsrisiko verbunden. So läuft der Anwalt hierbei z.B. nicht Gefahr, für den Auftraggeber zu geringe Verzugszinsen
geltend zu machen und hierdurch einen Zinsschaden zu verursachen.78 Ferner kann im Rechtsstreit
eine Kostenentscheidung ergehen (Kostenquotelung), die dem Mandanten eben nicht die Erstattung
der vollen Verfahrensgebühr in der Kostenfestsetzung sichert. Schließlich können die materiell- rechtliche und die prozessuale Erstattungspflicht auch auseinanderfallen. So kann z.B. der materiell-rechtliche
Kostenerstattungsanspruch in voller Höhe begründet sein, während die Prozesskosten gequotelt werden.
110
V. Gegenlenken des BGH zweiter Teil
Im Anschluss an diese BGH- Rechtsprechung aus dem Jahr 2007 entwickelte sich in der obergerichtlichen
Rechtsprechung Streit darüber, inwieweit sich die durch Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die prozessuale Erstattung der Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO zwischen den Parteien auswirkt. Die wohl h.M. ging zutreffend davon aus, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr in der Kostenfestsetzung nur dann zu berücksichtigen
ist, wenn die Geschäftsgebühr bereits im Prozessverfahren tituliert bzw. vom Erstattungspflichtigen gezahlt worden ist.79
111
Der BGH hat sich jedoch ab dem Jahr 200880 der Gegenauffassung81 angeschlossen, nach der die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren gem. §§ 103 ff. ZPO unabhängig davon zu
berücksichtigen ist, ob die Geschäftsgebühr nach materiellem Recht vom Prozessgegner zu erstatten
ist und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist.
VI. Unbefriedigende Ergebnisse durch die BGH – Rechtsprechung
Diese Rechtsprechung benachteiligte insbesondere die obsiegende Partei: Denn wenn diese bereits vorgerichtlich einen Rechtsanwalt mit der Vertretung beauftragt hatte, erreichte sie aufgrund der hierdurch
stets vorzunehmenden Anrechnung der entstandenen Geschäftsgebühr eine geringere prozessuale Kostenerstattung als die Partei, die ihren Rechtsanwalt sogleich mit der Prozessvertretung beauftragt hatte.82
76 Vom 7.3.2007, NJW 2007, 2049 = JurBüro 2007, 357 = AGS 2007, 283 = RVGreport 2007, 226; vom 14.3.2007, NJW 2007, 2050.
77 So auch vorher schon LG Baden-Baden JurBüro 2007, 205; AG Nürtingen JurBüro 2007, 206; Hansens, RVGreport 2007, 121;
Streppe, MDR 2007, 929; N. Schneider, NJW 2007, 2001; a.A. Schons, AGS 2007, 284.
78 Vgl. hierzu ausführlich Hansens, N. Schneider, jeweils a.a.O.
79 So z.B. OLG Celle JurBüro 2008, 181; KG AGS 2007, 439 = JurBüro 2007, 582 = RVGreport 2007, 352; OLG Stuttgart JurBüro
2008, 23; OLG Koblenz AGS 2007, 642 JurBüro 2007, 636 = RVGreport 2007, 433.
80 Z.B. NJW 2008, 1323 = AGS 2008, 158 = RVGreport 2008, 148; NJW-RR 2008, 1095 = RVGreport 2008, 271 = AGS 2008, 364;
AGS 2008, 377 = RVGreport 2008, 354.
81 Vgl. z.B. OLG Hamburg MDR 2007, 1224 = AGS 2008, 48; OLG Frankfurt AGS 2007, 643.
82 Vgl. BT-Drucks. 16/12717, S. 68.
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112
G. Teil-Anrechnung der Geschftsgebhr und Auswirkung auf die Kostenerstattung seit 2004
Auch für den Beklagten führte diese Rechtsprechung zu unbefriedigenden Ergebnissen. Denn obwohl
dem Beklagten bei unberechtigter außergerichtlicher Inanspruchnahme in den meisten Fällen überhaupt
kein materiell-rechtlicher Anspruch zusteht, der das Einklagen der Geschäftsgebühr erlaubt,83 musste
nach Auffassung des BGH eine teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erfolgen.
VII. Reaktion des Gesetzgebers: § 15a RVG
Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 und 10 S. 2 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften reagiert84 und mit Wirkung vom 5.8.2009 § 15a RVG eingeführt. § 15a RVG soll die Probleme beseitigen, die in der Praxis
aufgrund der Entscheidungen des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4
VV RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens aufgetreten sind. Nach § 15a Abs. 2
RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen,
&
&
&
113
soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat,
wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht, oder
beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Die zu § 15a RVG ergangene obergerichtliche Rechtsprechung befasst sich insbesondere mit der Frage,
unter welchen Voraussetzungen bei Abschluss eines Vergleichs eine Titulierung der Geschäftsgebühr
i.S.v. § 15a Abs. 2 RVG bejaht werden kann85 und auf welche Weise eine vom im Wege der PKH/VKH
beigeordneten Rechtsanwalt vereinnahmte Geschäftsgebühr auf die aus der Staatskasse zu erstattende
Verfahrensgebühr anzurechnen ist.86
114
VIII. § 15a RVG in der gerichtlichen Praxis
1. § 15a RVG ist seit mittlerweile fünf Jahren in Kraft. In der Praxis ist im Kostenfestsetzungsverfahren
gem. §§ 103 ff. ZPO jedoch zu beobachten, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr noch nach wie
vor nach der Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2008 gehandhabt wird, § 15a RVG also nicht
umgesetzt wird. So werden nicht selten Kostenfestsetzungsanträge durch obsiegende Parteien gestellt, in denen eine Geschäftsgebühr teilweise angerechnet wird, die zwar entstanden sein mag, für
die aber die in § 15a Abs. 2 RVG aufgestellten Anrechnungsvoraussetzungen (Erfüllung, Titulierung
und Geltendmachung in demselben Verfahren) nicht erfüllt sind. Ferner fällt häufig auf, dass bei im
Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs vom Erstattungspflichtigen erhobenen Anrechnungseinwänden der Kostenfestsetzungsantrag vom Erstattungsberechtigten um den Anrechnungsbetrag der
Geschäftsgebühr verringert wird, obwohl die Anrechnungsvoraussetzungen gem. § 15a Abs. 2
RVG nicht gegeben sind. Der Rechtspfleger wird sich in diesen Fällen auf den Standpunkt stellen können, dass er nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist (§ 308 Abs. 1 S. 1
ZPO). Der Anwalt, der für seine obsiegende Partei eine teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr
83 Vgl. BGH AGS 2007, 267; Stöber, AGS 2006, 261; Möller/Volpert, RVGprof. 2007, 45.
84 BGBl I S. 2449, 2470.
85 Vgl. dazu z.B. BGH AGS 2011, 6 = NJW 2011, 861 OLG Koblenz AGS 2014, 299; AGS 2014, 43; OLG Bamberg Rpfleger 2014,
108 = JurBüro 2014, 132 = AGkompakt 2014, 17; OLG Celle RVGreport 2010, 465; OLG Jena, Beschl. v. 23.5.2013 – 9 W 238/13
– juris; OLG Jena JurBüro 2012, 142; OLG Düsseldorf AGS 2012, 357 = JurBüro 2012, 141.
86 Vgl. z.B. OLG Frankfurt JurBüro 2014, 411; OLG Celle AGS 2014, 142 = MDR 2014, 188; OVG Lüneburg JurBüro 2013, 421;
Hessischer VGH, Beschl. v. 27.6.2013 – 6 E 600/13, 6 E 602/13, 6 E 601/13 – juris.
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H. 10 Jahre RVG – Viel Licht und ein wenig Schatten
vornimmt bzw. akzeptiert, obwohl die in § 15a Abs. 2 RVG genannten Anrechnungsvoraussetzungen
nicht erfüllt sind, verursacht einen Schaden, den er seiner Partei ggf. ersetzen muss.
2. Darüber hinaus ist auch festzustellen, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr in der Kostenfestsetzung gem. § 15a RVG vorgenommen wird, obwohl die gebührenrechtlichen Voraussetzungen für
eine Anrechnung überhaupt nicht vorliegen:
a) Sind der Gegenstand der außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigkeit ganz oder teilweise identisch?
b) Zeitlicher Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: vgl. § 15
Abs. 5 S. 2 RVG (2 Jahre).
c) Personeller Zusammenhang zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung: Ist außergerichtlich und gerichtlich derselbe Rechtsanwalt tätig geworden?
Auch wenn die Geschäftsgebühr tituliert worden und gem. § 15a Abs. 2 RVG deshalb deren Anrechnung grds. in Frage kommt, scheidet die Anrechnung aus, wenn außergerichtlich und gerichtlich nicht
derselbe Rechtsanwalt bzw. dieselbe echte Sozietät für den Erstattungsberechtigten tätig geworden
ist.87 Der Erstattungspflichtige kann sich im Kostenfestsetzungsverfahren nicht auf § 91 Abs. 2 S. 2
ZPO berufen und einen nicht erforderlichen Anwaltswechsel einwenden, da diese Vorschrift nur
die Erstattung von Kosten des gerichtlichen Verfahrens regelt und sich daher nur auf einen Anwaltswechsel im gerichtlichen Verfahren beziehen kann.88 Der Erstattungspflichtige erhebt daher im Kostenfestsetzungsverfahren letztlich einen materiell-rechtlichen Einwand (Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht durch den Kläger), der nur dann Berücksichtigung durch den Rechtspfleger finden
kann, wenn er zwischen den Parteien unstreitig ist.89 Außerdem kann einer Partei auch nicht vorgehalten werden, dass sie nach Beendigung der außergerichtlichen Tätigkeit den Anwalt nicht hätte wechseln dürfen, weil sie sich außergerichtlich überhaupt nicht vertreten lassen muss.90
116
IX. Fazit
§ 15a RVG wird in der erstattungsrechtlichen Praxis in vielen Fällen auch fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten noch nicht umgesetzt. Grund hierfür dürften auch die kontroversen Entwicklungen hinsichtlich der
Anrechnung der Geschäftsgebühr in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des RVG sein.
117
H. 10 Jahre RVG – Viel Licht und ein wenig Schatten
von Petra Geißinger, Rechtsanwältin, Aßling/Obb.
Die Ablösung der BRAGO durch das RVG mit einer doch sehr unterschiedlichen Struktur bedeutete zunächst – wie bei jeder Gesetzesnovelle – eine große Umstellung von Altvertrautem hin zu neueren zeitgemäßen Strukturen. Dies war auch mit Softwareupdates, die nicht immer reibungslos und von Anfang an
korrekt funktionierten, und erhöhtem Aufwand an Fortbildung für Rechtsanwälte und Kanzleimitarbeiter
verbunden.
118
In der tagtäglichen Praxis fiel besonders die Umstellung von Gebührensätzen in Brüchen auf Dezimalen
auf. Die so häufig angewandte 7,5/10 Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 S. 1 BRAGO hieß nun 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Die Tabellensätze erhöhten sich 2004 nach 10 Jahren deutlich. Für
Anwälte, die – wie ich – damals noch in den neuen Bundesländern tätig waren, war die Anpassung wegen
119
87
88
89
90
AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, 7. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 228.
BGH AGS 2010, 52 = JurBüro 2010, 190 = RVGreport 2010, 109.
Vgl. Hansens, RVGreport 2007, 241, 243.
BGH, a.a.O.
10 Jahre RVG
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H. 10 Jahre RVG – Viel Licht und ein wenig Schatten
des Wegfalls des jahrelang heftig kritisierten Gebührenabschlags Ost von zuletzt 10 % (vor 1996 sogar
noch 20 %) besonders erfreulich.
Ein Beispiel aus der Gebührentabelle (Gegenstandswert 2.000,00 EUR) und der Geschäftsgebühr 7,5/10
nach § 118 Abs. 1 S. 1 BRAGO bzw. 1,3 RVG nach Nr. 2300 VV RVG mag dies verdeutlichen:
BRAGO Ost
BRAGO West
(90 %) 2002
(100 %) 2002
89,78 EUR
99,75 EUR
RVG 2004
RVG 2013
172,90 EUR
195,00 EUR
120
Im Deutschen Anwaltverein gibt es seit diesem Zeitpunkt das noch heute sehr hilfreiche RVG-Forum, das
u.a. die Entscheidungen sammelte und veröffentlichte. Zweifels- und Auslegungsfragen werden dort
heute mit den Kollegen offen diskutiert.
121
Das RVG sollte auch die Anwaltschaft dazu ermutigen, nicht nur streng nach den gesetzlichen Gebühren
abzurechnen, sondern auch zunehmend von Vergütungsvereinbarungen mit dem Mandanten Gebrauch
zu machen. Vergütungsvereinbarungen, vorwiegend in Form von Stundensätzen, und Pauschalhonorare
für bestimmte Tätigkeiten sind nun nicht mehr nur ein Thema für Großkanzleien, sondern haben sich auch
bei Einzelanwälten mehr und mehr durchgesetzt. Anfängliche Unsicherheiten gerade bei den formellen
Voraussetzungen oder bei den Möglichkeiten der Vereinbarung von Erfolgshonoraren sind positiven
praktischen Erfahrungen gewichen.
122
Seit der Einführung des RVG ist es viel selbstverständlicher geworden, auch mit Verbrauchermandanten
über das Honorar bereits in der ersten Besprechung zu reden. Des Öfteren reagieren selbstzahlende Verbrauchermandanten angenehm überrascht, wenn eine Vergütungsvereinbarung vorgeschlagen wird. Unter (potentiellen) Mandanten kursieren doch oft seltsame Vorstellungen über horrend hohe Anwaltshonorare. Solche Vorurteile lassen sich am besten im persönlichen Gespräch zwischen Anwalt und Mandant
beseitigen.
123
Im außergerichtlichen Bereich ist bei den gesetzlichen Gebühren der Wegfall der Besprechungsgebühr
nach § 118 Abs. 1 S. 2 BRAGO ein Manko, das durch die heutige Regelung, Anpassung des Rahmens
bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ein höherer Satz als 1,3 bis zu einem Satz von 2,5
nur verlangt werden kann, wenn die Angelegenheit umfangreich oder schwierig war. Dies erfordert
bei der Rechnungslegung oft einen Begründungsaufwand, den es zu BRAGO Zeiten nicht gab. Praxis
ist, dass viele Mandate gerade nicht in Prozessen enden, sondern unter Mitwirkung der Anwaltschaft einvernehmlich außergerichtlich durch Telefonate und Besprechungen mit Gegnern und Dritten erledigt
werden.
124
Im zivilprozessualen Bereich macht sich der Wegfall der Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO
deutlich bemerkbar, der auch durch die praktisch selten anzuwendende Zusatzgebühr des Nr. 1010
VV RVG, die 2013 eingeführt worden ist, nicht kompensiert wird. In Prozessen, in denen Beweisaufnahmen stattfinden, werden Zeugen und Sachverständige im Lichte der Prozessförderungspflicht seitens des
Gerichts in einem Termin und nicht in drei oder mehr Terminen vernommen. In der Praxis ist die Teilnahme an einem Ortstermin oder die umfangreiche Auseinandersetzung mit schriftlichen Sachverständigengutachten durchaus Alltag für die Anwaltschaft. Diese Tätigkeiten werden durch Verfahrens- und
Terminsgebühr nicht immer wirtschaftlich adäquat abgedeckt.
125
Gerade die beiden Beispiele, Wegfall der Besprechungsgebühr und der klassischen Beweisgebühr im
RVG, zeigen erneut die Notwendigkeit für die Anwaltschaft, über ein wirtschaftlich angemessenes Honorar mit den Mandanten zu sprechen und entsprechende Vergütungsvereinbarungen abzuschließen.
126
Im digitalen Zeitalter, in dem die Kommunikation mit dem Mandanten zunehmend per E-Mail und Login
in elektronisch geführte Akten erfolgt und viele Mandanten es wünschen, dass sie die Rechnungen – wie
127
10 Jahre RVG
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I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des RVG
Rechnungen anderer Dienstleister auch – elektronisch als pdf-Dokument erhalten, erscheint die strenge
Vorschrift des § 10 RVG, wonach Rechnungen schriftlich und mit eigenhändiger Unterschrift des Anwalts zu erstellen sind, als Hindernis bzw. die gesetzlichen Vorgaben des § 10 RVG werden in der Praxis
oft missachtet. Hier erscheint es durchaus sinnvoll, zukünftig praktikablere Lösungen zu finden, die dem
zunehmenden digitalen Rechtsverkehr gerecht werden.
Angesichts der Tatsache, dass es meist rund zehn Jahre politischer Überzeugungsarbeit bedarf bis die
Vergütungstabellen nach § 13 RVG angepasst werden und solche Vergütungsgesetze auf europäischer
Ebene durchaus kritisch beäugt werden, ist die Anwaltschaft, die sich ja mehr und mehr zum Dienstleister
und Wirtschaftsunternehmen gewandelt hat, zunehmend zu frei ausgehandelten Vergütungsvereinbarungen übergegangen.
128
Hierzu hat die Einführung des RVG am 1.7.2004 einen entscheidenden Beitrag geleistet.
I. Nicht gelöste Anrechnungsprobleme des RVG
von Thomas Schmidt, Dipl.-Rechtspfleger/Dozent FH, Wipperfürth
I. Anrechnungssystematik
Das RVG hat die erste große Reform hinter sich. Vieles ist bereits seit der BRAGO besser geworden. Einiges wurde nun zum 1.8.2013 nachgebessert.
129
Das System der Anrechnung ist aber im Prinzip – mit einigen Modifikationen – unverändert geblieben. So
ist z.B. die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Hälfte reduziert worden. Auch hat der BGH klargestellt, dass die Gebühr erlischt, auf die man anrechnet und nicht umgekehrt, was viele zum Umdenken
zwang. In der Folge wurde die gesetzgeberische Klarstellung des § 15a RVG notwendig, um Fehlinterpretationen der Rechtsprechung zu verhindern. Seit dem ist es in diesem Bereich ruhiger geworden. Das
RVG regelt damit die gängigen Fälle. Weitere Differenzierungen sind bewusst nicht vorgenommen worden.91
130
Das Gesetz kann aber nicht jeden denkbaren – und in der Praxis auch durchaus vorkommenden – Fall im
Wortlaut abdecken. Die Komplexität der Anrechnung führt bereits jetzt an einigen Stellen zu nur schwer
verständlichen Formulierungen (z.B. bei Gegenständen mit paralleler Anhängigkeit in anderen Verfahren
– Nrn. 3101 Anm. 1 VV RVG i.V.m. Nr. 2; 3104 VV RVG Anm. 2).
131
Probleme tauchen auf, wenn die Angelegenheiten nicht den üblichen Gang nehmen (oft auch verursacht
durch falsche Sachbehandlung). Hier seien beispielhaft als Stichworte für „Problembereiter“ genannt:
Kettenanrechnung, unterschiedliche Werte, mehrere Auftraggeber, Rückwärtsanrechnung.
132
Es bleibt oft letztendlich nur der Weg, auf der Basis der Grundsätze der Anrechnung, der gesetzgeberischen Absicht möglichst nahezukommen.
133
Die Basisgedanken der Anrechnung sind:
&
&
&
&
Schaffung einer angemessene Vergütung für teilweise bereits im Vorfeld erbrachte Leistungen
Anrechnung immer nur, soweit der Gegenstand derselbe ist
Anrechnung immer nur zwischen zwei verschiedenen Angelegenheiten
Anrechnung nur dann, wenn sie im Gesetz vorgeschrieben ist. Die Anrechnung ist die Ausnahme, die
Nichtanrechnung die Regel.
91 Mayer/Kroiß/Mayer, RVG Vorb. 3 Rn 83; Bischof/Jungbauer/Bischof, RVG 6. Aufl., Vorb. 3 Rn 98.
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40
I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des RVG
II. Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren auf eine Verfahrensgebühr
Dies soll beispielhaft an einem Fall mit unterschiedlicher Behandlung der Gegenstände außergerichtlich
und gerichtlich vorgestellt werden.
134
Beispiel: Mehrere Geschäftsgebühren auf eine Verfahrensgebühr
Rechtsanwalt R vertritt den Handwerker H außergerichtlich. Dieser wird zeitlich versetzt und unabhängig voneinander durch drei unterschiedliche Lieferanten in Anspruch genommen wegen Anspruch
a) 30.000 EUR, b) 40.000 EUR und c) 50.000 EUR.
Es handelt sich um drei verschiedene Angelegenheiten. Es sind demnach drei Geschäftsgebühren entstanden. Die Angelegenheiten waren durchschnittlich.
Die drei Gegner beauftragen nunmehr einen gemeinsamen Rechtsanwalt, der H auf Zahlung von
120.000 EUR aus den Ansprüchen a) – c) verklagt. Es ist eine Verfahrensgebühr entstanden.
Frage: Wie ist die Anrechnung vorzunehmen?
Der Gesetzeswortlaut regelt dies in Vorb. 3 Anm. 4 VV RVG: Soweit wegen desselben Gegenstands eine
Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens
mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.
135
Der Wortlaut ist damit eindeutig. Es sind drei halbe Geschäftsgebühren (0,65 aus 30.000 = 560,95 EUR;
0,65 aus 40.000 = 658,45 EUR; 0,65 aus 50.000 = 755,95 EUR mit insgesamt: = 1.975,35 EUR) auf dieselbe Verfahrensgebühr (1,3 aus 120.000 EUR mit 2.064,40 EUR) anzurechnen. Es verbleiben von der
Verfahrensgebühr lediglich 89,05 EUR.
Unbeachtet bleibt bei dieser Vorgehensweise die Degression der Gebührentabelle, nach der die Höhe der
Gebühren nicht im gleichen Verhältnis wie die der Werte steigt. Diese führt dazu, dass der Anrechnungsbetrag im Verhältnis immer höher wird, je mehr Angelegenheiten anzurechnen sind.
136
Im Extremfall kann die Anrechnung die gesamte Verfahrensgebühr aufzehren, so dass der Rechtsanwalt
ohne Vergütung für das gerichtliche Verfahren bleibt. Die wenigen, die sich zu dieser Frage äußern, nehmen dies zum Teil92 in Kauf und orientieren sich dabei streng am Wortlaut. Die obigen Ergebnisse seien
demnach mangels weiterer Regelung durch den Gesetzgeber hinzunehmen.
137
Anders sieht es N. Schneider.93 Er verhindert dieses unbillige Ergebnis durch eine Deckelung des Anrechnungsbetrags. Er zieht hierzu den Rechtsgedanken des § 15 Abs. 3 RVG heran. Danach sind grundsätzlich
die Einzelbeträge anzurechnen, es sei denn, sie übersteigen den Anrechnungsbetrag aus einer fiktiven Gesamtgebühr aus den drei Gegenständen mit dem höchsten Gebührensatz. Dann ist lediglich dieser Betrag
anzurechnen.
138
In unserem Beispiel ist dann wie folgt zu rechnen.
Anrechnung aus den drei Einzelgebühren insgesamt (s.o.)
höchstens jedoch eine halbe Gebühr aus 120.000 EUR (= zusammengerechnete Werte) mit einem Gebührensatz von 1,3 (= höchster Gebührensatz). Anzurechnen ist damit höchstens:
1.975,35 EUR,
1.032,20 EUR.
Damit würde dem Rechtsanwalt in diesem Fall eine 0,65 Verfahrensgebühr verbleiben.
92 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG 21. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 295.
93 AnwK RVG/N. Schneider, 7. Aufl., § 15a RVG Rn 75.
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I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des RVG
Das OLG Koblenz wählt einen anderen Ansatz in einem etwas anders gelagerten Fall94 (hier wurde nur ein
Teil der außergerichtlichen Forderung auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens). Das OLG hat hier
die Degression der Tabelle dadurch ausgeschlossen, dass es den gesamten außergerichtlichen Wert ins
Verhältnis zum Wert des gerichtlichen Verfahrens gesetzt hat und hieraus einen prozentualen Anrechnungsbetrag ermittelte.
139
Dieses Vorgehen des OLG Koblenz ist nach meiner Ansicht nicht vertretbar, da hier genau der Standardfall unterschiedlicher Werte vorliegt, den der Gesetzgeber durch die Vorb. 3 Anm. 4 VV RVG regeln
wollte. Dort heißt es ausdrücklich: … Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung nach
dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Da der Gesetzgeber
genau diesen Fall regeln wollte, sind die entstehenden Degressionsnachteile hier hinzunehmen. Es
kann nicht von einer Regelungslücke ausgegangen werden. Auch Jungbauer lehnt zutreffenderweise
diese Ansicht ab.95
140
III. Anrechnungsbetrag höher als Verfahrensgebühr
Ein weiteres Beispiel für ein Problem, das nicht gelöst ist, ergibt sich bei der folgenden Konstellation.
Beispiel: Anrechnungsbetrag höher als Verfahrensgebühr
Der Rechtsanwalt R am Wohnort des Mandanten verdient außergerichtlich eine 1,3 Geschäftsgebühr
aus 10.000 EUR mit 725,40 EUR. Für die Klage ist ein entferntes Gericht zuständig. Es wird daher ein
anderer Rechtsanwalt beauftragt. Dieser erwirkt ein Urteil. Die Vollstreckung wird wieder durch R am
Wohnsitz betrieben. Er beantragt den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen
der 10.000 EUR und weiterer 5.000 EUR gegen den Schuldner.
R verdient hierfür eine 0,3 Verfahrensgebühr Nr. 3309 VV RVG aus 15.000 EUR mit 195 EUR.
Anrechnung: Die Geschäftsgebühr ist unzweifelhaft anzurechnen, da auch das Verfahren der Zwangsvollstreckung ein gerichtliches Verfahren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses darstellt und die Ge94 OLG Koblenz RVGreport 2009, 144; AGS 2009, 167 (noch zur BRAGO).
95 Bischof/Jungbauer/Jungbauer, RVG 6.Aufl., § 15a Rn 86.
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141
I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des RVG
bühr Nr. 3309 VV RVG eine Verfahrensgebühr ist.96 Demnach ist eine 0,65 Geschäftsgebühr mit
362,70 EUR anzurechnen. Die gesamt Gebühr Nr. 3309 VV RVG wäre damit erloschen, auch der Teil
bzgl. der 5.000 EUR. Diese Vorgehensweise ist nach Müller-Rabe korrekt.97 Wobei nicht mit abschließender Sicherheit klar wird, ob er dieses Problem gesehen hat. Ansonsten taucht der Fall in der Literatur
nicht auf.
Die obige Lösung lässt allerdings nach meiner Ansicht den Grundsatz außer Acht, dass eine Anrechnung
nur erfolgen darf, soweit der Gegenstand derselbe ist – und genau das ist hier nicht der Fall. Der Gegenstand ist nur bzgl. 10.000 EUR derselbe. Anzurechnen ist damit richtigerweise nur eine 0,65 aus
10.000 EUR mit 362,70 EUR auf eine 0,3 aus 10.000 EUR 167,40 EUR. Der darüber hinausgehende Betrag betrifft nur die weiteren 5.000 EUR und steht damit für eine Anrechnung nicht zur Verfügung.
142
Abwandlung:
143
Eine weitere offene Frage tritt auf, wenn die erste Vollstreckung erfolglos gewesen sein sollte und der
Rechtsanwalt nun eine weitere Vollstreckungsmaßnahme beauftragt.
Beispiel: mögliche Anrechnung einer Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstands auf mehrere
Verfahrensgebühren
Im obigen Ausgangsfall ist auf die fiktive Gebühr Nr. 3309 VV RVG über 10.000 EUR mit
167,40 EUR der entsprechende Anteil der Geschäftsgebühr mit 362,70 EUR anzurechnen. Von
dem Anrechnungsbetrag werden damit 195,30 EUR nicht verbraucht.
Ist dieser „unverbrauchte“ Anrechnungsbetrag nun auf die nächste Vollstreckungsgebühr anzurechnen?
Diese Konstellation wird in der Literatur nicht diskutiert. Sie erinnert an die Konstellation der Kettenanrechnung (Beispiel: Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG – auf Mahnbescheidsverfahrensgebühr
Nr. 3305 VV RVG – auf Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 3100 VV RVG). Bei der Kettenanrechnung wäre der verbliebene Anrechnungsbetrag in das nächste Verfahren durchzureichen.98 Dieses
Durchreichen setzt jedoch voraus, dass auch zwischen den beiden letzten Verfahrensgebühren eine Anrechnung vorgeschrieben ist (wie bei Mahnverfahren – Nr. 3305 VV RVG und Klageverfahren – Nr. 3100
96 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG 21. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 256.
97 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 280, 279.
98 AnwK RVG/N. Schneider, 7. Aufl., § 15a Rn 73; OLG Köln AGS 2009, 476.
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144
I. Nicht gelçste Anrechnungsprobleme des RVG
VV RVG). Dies ist aber zwischen den beiden Gebühren Nr. 3309 VV RVG nicht der Fall. Es liegt kein
Fall der Kettenanrechnung vor. Damit ist eine Durchreichung des Anrechnungsbetrags nicht möglich.99
Abwandlung:
Die beiden Vollstreckungsaufträge werden gleichzeitig erteilt und nicht nacheinander. Beide Gebühren Nr. 3309 VV RVG entstehen gleichzeitig. Wie ist jetzt anzurechnen?
Hat der Gläubiger ein Wahlrecht, auf welche der Gebühren er anrechnet oder muss er den Anrechnungsbetrag nun aufteilen? Das Gesetz bietet keine Hilfe. Kann man in der vorhergehenden Variante noch den
zeitlichen Ablauf als Argument heranziehen und auf die nächste entstandene Gebühr anrechnen, fällt dies
hier weg.
145
Der BGH lässt in Entscheidungen mit vergleichbaren Konstellationen keine festgelegte Anrechnungsreihenfolge erkennen.100 Damit stellt sich dann die Frage, wer die Reihenfolge bestimmen kann. Diese Frage
hat durchaus finanzielle Konsequenzen. Hätte es sich bei der weiteren Vollstreckungsgebühr im obigen
Fall nicht um eine 0,3 Gebühr Nr. 3309 VV RVG, sondern um eine 0,4 Zwangsversteigerungsverfahrensgebühr Nr. 3311 VV RVG gehandelt, so könnte der Gläubiger die Höhe der Anrechnung zu seinen Gunsten selbst bestimmen. Der BGH hat jedenfalls indirekt das Wahlrecht akzeptiert.101 Dieses Wahlrecht besteht nach Ansicht des BGH offensichtlich sogar auch dann, wenn die Gebühren – wie die Gebühren
Nr. 3100 und 3200 VV RVG – nacheinander entstehen.
146
Für den obigen Fall bedeutet dies, dass es unerheblich ist, in welcher Reihenfolge die Vollstreckungsgebühren entstehen. Die Anrechnung erfolgt nur auf eine der Gebühren und der Gläubiger hat das Wahlrecht auf welche der Gebühren anzurechnen ist. Im Ergebnis sieht dies auch Müller-Rabe so – zumindest
für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Gebühren Nrn. 3100 und 3200 VV RVG.102
147
99
100
101
102
Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 259.
BGH v. 17.4.2012 – XI ZB 22/11 m.w.N.
BGH v. 17.4.2012 – XI ZB 22/11 m.w.N.
Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 21. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 259 ff.
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J. ROLAND Prozesskostenrechner:
Soweit die beiden Verfahrensgebühren gleichzeitig geltend gemacht werden, wird man mangels Alternativen dieser Ansicht folgen. Entstehen die Gebühren jedoch nacheinander, so ist nach meiner Ansicht eine
chronologische Anrechnung vorzunehmen, anderenfalls kann der Gläubiger die Anrechnung zu Ungunsten des Schuldners umgehen. Falls beispielweise die zweite Vollstreckungsgebühr nicht erstattungsfähig
sein sollte, könnte er die Anrechnung auf diese zweite Gebühr vornehmen und der Schuldner müsste die
erste Gebühr ohne Anrechnung vollständig zahlen.
148
Diese Darstellung wirft nur ein Schlaglicht auf zwei der zahlreichen Probleme, die im Rahmen der Anrechnung auftauchen können. Insoweit wird die Anrechnung die Praktiker und die Gerichte auch in der
Zukunft vor „interessante“ Probleme stellen.
149
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150
J. ROLAND Prozesskostenrechner:
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