Ronahî Nr. 31

Transcrição

Ronahî Nr. 31
RONAHÎ
INHALTSVERZEICHNIS
Editorial
2
MtueCCeS /'PoCm
îraul^eşe^c^
29
Vergewaltigungskultur
DieLynchangrifFewer(lenvonBeşir AtalaysLeutcngeplant
3
Intervievv m i t D u r a n K a l k a n
J^/(pieües / 'Po[itiJ(_
C E N I e.V.
frau / QeseC[scfiaft
32
Kurdische Fraucn in Deutschland
FreihdtfikdieinhafacrtenKindcrinKurclist^unddcrTürkci!
7
Y X K Frankfurt
Mtueûes / ToCitit
S o z i o l o g i n Fadime Ş e n p ı n a r
Jrau / QeseUscfmft
Qerckoldn D i Serd Jinan De
Öcalan:OhncDialogistkeinFriedenmöglich!
35
9
Gesprachsnotizen A b d u l l a h Ö c a l a n
Mm^ks /ToCitifç,
A m a r g î - Y X K Kaiserslautern
ÖfçoCogü.
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Grauc Wölfe heulcn wieder
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Xem - Y X K Dortmund
K i a n K u r t z - Y X K Marburg
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M i t jedem Tod entsteht cin ncues Lcbcn
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Arno-Jermaine L a f f i n - Y X K Marburg
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Bau dcs Ilisu Staudammes geht weiter
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K i a n K u r t z - Y X K Marburg
GeseCCscfıaft
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AncUyse
Lehten der Kommune
18
^KM^şUM^İtuT
DasMietshaus
Dr. N i c k Brauns
GtseCCscfiaff / RnaCyse
42
Jaklin Ç e l i k
'Kunst / %ji[tur
DieEziden
22
Das Problem mit der Sprache
Kaptan Ö z d e m i r - Y X K H a m b u r g
ÜeseOsçâafiJ^gnalyse
44
Musa Anter
%unst / futtur
Feuer,Hofinung,Widerstand-EinTagin Amed
25
Bdvankes
46
Abdullah
Oe^easctmfr / Anatyse
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Hcibcst
G ü l ş e n Sevindiren - F m e l Fngintepe
frau / Gesekscdaft
Bericht über das Bildungsseminar der Y X K - Frauenkommission
bei Utaama e.V.
Giinay
'KunştİJKultnr
28
Y X K Frauenkomission
RONAHÎ - Zeitschrift der Studierenden aus Kurdistan
Postfach 103831, 50478 Köln
Internet: http://www.yxk-online.com
e-mail: [email protected], [email protected]
Spas ji bo alîkaıiye edîtora Sterka Cîwan
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
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Liebe Freundinnen und Leserlnnen!
Seit nunmehr zwei Jahren ist keine Ausgabe der Ronahî mehr erschienen. Auch wir, die jetzige Ronahî-Kommission, haben
lange auf unsere Arbeit warten lassen. Mit dem Hinweis des Schrumpfens unserer Kommission auf nunmehr zwei Mitglieder
möchten wir dies nicht entschuldigen, aber vielleicht einen AnstoB zur vermehrten YXK-intemen Unterstützung geben.
Unsere wertvollen und konstruktiven Potenziale im Kampf für die Befreiung der Kurdinnen sollten weiterhin aufrecht erhalten werden. Mit dieser Ausgabe rufen wir aile Freundinnen der YXK dazu auf, von ibrem unerlâsslichen Engagement für die
Freiheit und den gerechten Frieden niemals abzuweichen.
Unsere Freundinnen und Freunde aus Kurdistan brauchen unsere Unterstützung mehr denn je. Wir befinden uns seit dem
1. Juni 2010, der Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch die Volksverteidigungskrâfte HPG in einer neuen, für
die Geschichte des kurdischen Freiheitskampfes bedeutenden Phase politischer und kriegerischer Auseinandersetzungen. Der
Krieg ist auf ailen Fbenen eskaliert und forderte nur im Monat Juli in 45 Operationen des türkischen Militârs und 64 Aktionen
der kurdischen Guerilla 174 Soldaten-, 9 Polizisten und 38 Guerillaleben.
Zu den Schrecken des Krieges gesellen sich Lynchmobs und Pogrome türkischer Faschistinnen gegenüber der kurdischen
Bevölkerung, die der türkische Staat durch seine Rhetorik ignoriert oder gar legitimiert. Büros der prokurdischen Partei BDP
werden in Brand gesetzt; der lândlichen Bevölkerung durch die Besetzung ihrer Felder und Obsthaine und der Zerstörung von
Wâldem und Viehherden die Lebensgrundlage entzogen. Nicht zuletzt nehmen die Aktivitâten der paramilitârischen
Finheiten zu, die durch ihre gezielten Morde einzelner Kurdinnen wieder Praktiken der '90er Jahre anwenden. Besonders dramatisch ist es jedesmal, wenn Kinder in die Fânge der Repression hineingerissen werden, so wie vor einigen Tagen ein 10jâhriger kurdischer Junge in Gever, der wegen des Werfens eines Molotow-Cocktails festgenommen und aufs Schwerste
gefoltert wurde.
Die neue Phase ist aber auch eine Phase der Konstituierung der kurdischen Selbststândigkeit, die nach der Ablehnung einer
politischen Lösung der kurdischen Frage durch den türkischen Staat auf den Aufbau eigener politischer Werte und
Institutionen setzt. Die derzeitige Politik in Kurdistan basiert auf der Überzeugung, geschaffene Werte zu schützen und die
Freiheit zu erzwingen. Diesem Credo versucht der Demokratische Gesellschaftskongress (DTK) im Sinne Abdullah Öcalans
und des kurdischen Volkes mit unermüdlicher Arbeit gerecht zu werden, in dem er sich verstârkt um die basisdemokratische
Organisierung der kurdischen Gesellschaft kümmert.
Die aktüelle Ausgabe beschâftigt sich nicht nur mit politischen aktuellen Geschehnissen, sondern bringt auch diesmal eine
inhaltsreiche Rubrik über die Frau und Gesellschaft mit, die sowohl mit interessanten Berichten von YXKlerlnnen als auch
mit tollen Gastbeitrâgen sich erhellend in Szene setzen kann. Auch die Rubrik Kunst und Kultur trâgt spannende Beitrâge
bei, wie der Artikel über kurdisches Theater oder die Gedichte der Gewinner des letztjâhrigen Hüsseyin-CelebiGedichtwettbewerbs. Zudem wird auf die aktüelle bundesweite Kampagne TATORT-Kurdistan, die seit Frühjahr diesen
Jahres angelaufen ist und zur Zeit einen groBen Teil der Kapazitât der YXKlerlnnen einnimmt, mit einem Beitrag aus
Marburg eingegangen.
İn Gedanken bei den Freundinnen in den Bergen wünschen wir ailen YXKlerlnnen alles Gutç und neue Kraft auf dem
gemeinsamen Weg zur Frkâmpfung von Gerechtigkeit und Freiheit.
Mit solidarischen Grûfien,
Eure Ronahî-Kommission
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Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Aktuelles / Politik
RONAHI
„Die Lynchangriffe werden von Beşir
Atalays Leuten geplant"
"Mittels Druck, Gewalt und Krieg kann man uns nicht vernichten. Das kurdische Volk steht hinter uns.
Solange sie es nicht schaffen, die Gesellschaft auszurotten, werden sie es nicht schaffen uns zu vernichten"
lnterview mit Duran Kalkan*
Baki Gül sprach für die Nachrichtenagentur Firat (ANF) mit dem KCK-Exekutivratsmitglied Duran Kalkan. Kalkan
erklârte in dem am 03. August 2010 veröffentlichten Interview, dass Angriffe auf
das kurdische Volk vom türkischen Innenminister Beşir Atalay organisiert worden
sind. „Nach der Anweisung, raumt das
Nur-Gebirge auf hat man angefangen, die
Region in Flammen aufgehen zu lassen.
Momentan brennen überall die Wâlder.
Nach dieser Anweisung ist auch
der Angriff in Hatay/Dörtyol geschehen. Die Angriffe in Bur­
sa/inegöl und Hatay/Dörtyol 1 tragen die Handschrift der AKP und
des Innenministers Atalay", so
Kalkan. Kalkan wamte das kur­
dische Volk und rief es dazu auf,
sich Yor Angriffen zu schützen.
Der momentane Umgang mit
der kurdischen Frage bringt kritische Ereignisse in Kurdistan und
der Türkei mit sich. Die Lage
nach dem 1. Juni 2010 führte
dazu, dass der Krieg sich von
Kurdistan in die Türkei ausweitete. Angriffe der Guerilla gelangten
zuletzt an das Schwarze- bzw.
Mittelmeer. An der Grenze zum
Irak musste das türkische Militar wegen der
extremen Angriffe durch die Guerilla einige
Stützpunkte râumen. Jede Aktion der Gue­
rilla brachte schnelle politische Reaktionen
mit sich. Das kurdische Volk beerdigte gefallene Guerilleros und schrie dabei ein einziges Wort: "Rache!" Auf Seiten des Staates hat die Regierungspartei AKP zusammen mit den Oppositionsparteien MHP und
CHP, dem Generalstab und der türkischen
Presse, die für ihre Spezialkriegsmethoden
bekannt sind, eine Front gebildet.
Letzte Woche wurden in inegöl, Dörtyol
und in einigen örten Erzîroms die Angriffe
der Guerilla als Vorwand vorgeschoben,
um Kurdinnen zu attackieren. In der Vergangenheit wurde ahnliches dem armenischen, griechischen und assyrischen Volk
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angetan. Somit wurde der Genozid, der an
den genannten Völkem verübt wurde, in
die Gedâchnisse der Menschen zurück gerufen.
ANE sprach über die kurdische Frage in
der Türkei, Lynchversuche auf das kurdi­
sche Volk, die Nachrichten über die PKK
von den türkischen Medien, die Verfassungsânderungen der AKP, die Zielvorstellungen der AKP durch diese Ânderungen und über die Meinung der KCK mit
KCK-Exekutivratsmitglied Duran Kal­
kan. Hier das komplette Interview:
ANF: Sie haben die Phase nach dem 1.
Juni als „ vierte Phase " bekannt gegeben.
Seitdem sind zwei Monate vergangen.
Militarische Gefechte haben sich ausgweitet und zuletzt haben sich auch aufgesellschaftlicher Basis einige Sachen geândert. Hierbei sind inegöl und Dörtyol als
Beispiele zu erwâhnen. Wie hat der Staat,
die türkische Öjfentlichkeit und das kur­
dische Volk dies alles aufgefasst? Wie werten Sie die Vorkommnisse der letzten zwei
Monate aus?
Duran Kalkan: Vorerst möchte ich ali
meine Ereunde, die in den letzten zwei Mo-
naten gefallen sind, mit Respekt gedenken,
leh teile das Leid der Familien unserer Mârtyrer. Diese Phase ist eine sehr wichtige. Ein
Krieg ist immer eine schwere Angelegenheit. Er ist niemals der Wunsch von jedem
bzw. wird nicht immer von jedem akzeptiert. Unsere Meinung über Krieg ist, dass
wir ihn nicht befünvorten, wenn er nicht der
letzte Ausweg ist und er nicht für sehr wichtige Sachen herangezogen werden muss.
Das Volk befünvortete ihn auf dieser Basis.
Die Probleme solken auf demo\ kratischer Basis zusammen mit
dem Volk gelöst werden. Das ist unser Wunsch. An diesem Punkt kann
die Vergangenheit der PKK erforscht werden. Zu verschiedenen
Zeitpunkten haben wir den Krieg erklârt. Man kann sich die Kriegsgründe anschauen. Wir haben eine
Phase gehabt, die 17 Jahre unter
schwersten Bedingungen und zahlreichen Verlusten andauerte. Diese
wurde unsererseits „Phase der demokratischen Lösung und des Friedens" genannt. Das Volk und die Bewegung haben sich um den Vorsitzenden herum versammelt und ihn
unterstützt. Wir wollten, angefangen
bei der kurdischen Frage und der
Demokratisierung, auch nur den kleinsten
Funken Hoffnung ausnutzen und auf friedlicher bzw. demokratischer Weise die Pro­
bleme lösen. Doch haben die jeweiligen Beteiligten nicht mitgemacht.
Im Gegenteü, das alles wurde als Schwache unserer Bewegung und unseres Volkes
gewertet. An diesem Punkt wollen verschiedene Spielchen getrieben werden.
Des Weiteren wird die Gewalt ununterbrochen auf die Spitze getrieben. Alles wird
in die Lânge gezogen und mittels ausgeübtem Druck wrrd versucht, uns auszurotten. So sollen die Lösungen verhindert
werden, der Reaktionismus, Despotismus
und Faschismus am Leben gehalten werden. Diese Fakten zwangen uns dazu,
solch einen neuen Beschluss zu fassen.
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
Dies wird jedoch keinesfalls von unserer Seite akzeptiert. Wir waren gezwungen solch einen Schritt zu machen.
Unser Exekutivrat hat dies in der Erklârung vom 1. Juni auch offen dargelegt.
Der Vorsitzende wertet diese Sache ebenso. Das Volk ist der gleichen Meinung.
Wenn dies nicht der Fail wâre, hâtten wir
diesen Beschluss gar nicht gezogen. Er
wâre andernfalls vom Volk auch nicht
unterstützt worden.
Die vergangenen zwei Monate waren
sehr belastend. A u f beiden Seiten gab es
militârische Verluste. Es wurde ganz
klar, dass Behauptungen wie „Wir vernichten die PKK" sich als ausweglos entpuppt haben. Solche Behauptungen werden seit 1925 gemacht, aber das kurdische
Volk steht immer noch auf den Beinen.
Das, was den Kürden aufgezwungen
wurde und wird, wurde keiner anderen
Gesellschaft je aufgezwungen. Die A k zeptanz dessen würde bedeuten, seine
Würde als Gesellschaft und Mensch zu
verlieren. Das kurdische Volk, das eines
der altesten der Geschichte ist, hat dies
nicht akzeptiert und wird es auch niemals
tun. Seit mehr als neun Jahren werden in
ailen Tellen Kurdistans jegliche Art von
Massakern, Assimilation und Spielchen
getrieben, aber gegen ali diese Sachen ist
cin Dauerwiderstand vorhanden. Die Gesellschaft wird dies alles niemals akzeptieren! Sie hat Widerstand geleistet und
hat auf diesem Wege zehntausende von
Mârtyrem opfem müssen. Das kurdische
Volk wurde in aile Teile der Welt zerstreut.
Viele leben im Ausland. Dennoch haben
sie an jedem ö r t , an dem sie sich befinden, den Widerstand der Heimat gelebt.
Jetzt wollen sie ihre Früchte ernten. Sie
sehen ihre Vertretung in diesem Widerstand und haben ali ihre Hoffnung an ihn
gebunden.
Kurz gefasst also, sollte man so langsam
aufhören Verrâter in dem kurdischen Volk
zu suchen. Einige Presseorgane, die noch
von sich behaupten, dass sie demokratisch
seien, klappem die jeweiligen Lânder der
Welt ab und locken aile Verrâter, die sie
ausfindig machen können, auf ihre Seiten.
Angenommen sie haben cine Person auf
dieser Weise gewonnen. Kann sie in Kurdistan dann jemals noch Fu6 fassen?
ANF: Ganz besonders in dieser Zeit
wird wohl versucht, solche Verrâter heraufzubeschwören...
4
Kalkan: Genau das meine ich. Nach ihren Berechnungen wollen sie die Kurdlnnen in die Hoffnungslosigkeit stürzen.
„Logisch schlussfolgemd" soll sich die
PKK davon provoziert fühlen bzw. negativ
beeinflusst werden, Fehler machen und somit den Widerstand aufgeben. Mittels
Druck, Gewalt und Krieg haben sie es jedoch nicht geschafft. Dagegen leistet die
Gesellschaft Widerstand. Die ganze Welt
greift die PKK an aber sie steht immer
noch auf den Beinen. Der Reaktionismus
der NATO, USA, Europas und des Mittleren Ostens steht hinter ihnen, die PKK
kann aber trotzdessen nicht vemichtet werden. Fin solch altes Volk der Geschichte
kann nicht einfach so ausgelöscht werden.
Wenn das kurdische Volk vemichtet wird,
dann wird gleichzeitig cin Stück Menschheit vemichtet. Der Widerstand des kurdischen Volkes ist cin Widerstand des
freien Menschen.
Zusammengefasst kann nochmals folgendes envâhnt werden: aile Methoden, die
bis heute angewandt wurden, haben kein
Ergebnis erbracht und das ist ailen bekannt.
Seit 85 Jahren wird das kurdische Volk angegrilfen. Nach dem Militârputsch vom 12.
September hat sich dies auf verschiedene
Art und Weise gezeigt. Doch führte es zu
nichts. Die Widerstandskraft der PKK ist
sehr stark. Man könnte gedacht haben, dass
die alte Kraft nicht mehr vorhanden sei und
hat daraufhin verschiedene Methoden angewandt.(l) Aber sie haben letzten Endes
auch gesehen, dass dem nicht so ist.
ANF: Es ist erkennbar, dass die Guerilla sich im Gegensatz zur Vergangenheit
in weiteren Teilen des Landes stationiert
hat. ist das ein neues Niveau des Widerstands?
Kalkan: Ja, das ist Fakt. Sie hat ihre Heldenhaftigkeit in weitere Gebiete ausgeweitet. Die Guerilla umfasst Menschen aus
ailen sozialen Schichten und verschiedenen Gebieten; aus der Türkei, Nordkurdistan, den anderen Teilen Kurdistans
und von auBerhalb. Die NATO und der Generalstab der Türkei können versuchen was
sie wollen, dies kann nicht verhindert
werden. Solange sie es nicht schaffen, die
Gesellschaft auszurotten werden sie es
auch nicht schaffen, uns zu vemichten. Wir
haben zwar Fehler gemacht, aber durch die
stetige Selbstkritik konnte die Guerilla ihre
Reife und Entwicklung beweisen.
Seit zwei Monaten versucht das Regime, durch Verleugnung und Ausrottung einen Genozid an uns zu begehen, doch es
wurde emeut bewiesen, dass unsere Guerilla bis zum Ende Widerstand leistet,
Stârke zeigt, weiter in Richtung Sieg
marschiert und das Volk auf seiner Seite
hat. Das ist das, was zahit.
Presseorgane können diese Wahrheit so
oft verzerren, wie sie wollen. Das Volk leistet den Widerstand. Das ist Fakt. Das kurdische Volk wei6 ganz genau, dass der Vorsitzende und unsere Bewegung sich ganz
fest an die demokratischen Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung
klammem, selbst wenn auch nur der kleinste Hoffnungsschimmer vorhanden ist.
Das zeigt unser 17-jâhriger Widerstand.
Das alles geschah vor den Augen des Volkes. Es hat selbst gesehen, dass die K C K
keine andere Wahl als den letzten Beschluss hatte. Dem Volk ist klar, dass es
Widerstand leisten muss, um die eigene
Würde und Freiheit nicht zu verlieren. Der
Widerstand widemm ist zur Kultur des kurdischen Volkes geworden.
Das Massaker wurde wâhrend des ersten
Weltkriegs und desweiteren von 1925 bis
in die 60er und 70er Jahre verübt. Dem
Volk wurde das kollektive Bewusstsein ihrer historischen Vergangenheit genommen. Dadurch hat das kurdische Volk ein
Trauma erlitten. Âhnlich einem Vogel, dem
der Kopf abgerissen wird, verlor das kurdische Volk sein Gleichgewicht. Zusammen mit der PKK und dem Vorsitzenden
Apo hat es sein Gedâchtnis wieder zurück
bekommen. Nun müssen die Gegenwart
und die Kraft dieser Gesellschaft endlich
akzeptiert werden.
ANF: Sie haben eben erwâhnt, dass die
Guerilla sich angefangen vom Schwarzen
Meer bis zu den Nur-Gebirgen ausgeweitet und stationiert hat. Diesbezüglich haben AKP-Funktionâre und Innenminister
Atalay verschiedene Kommentare abgegeben. Im Besonderen sei hier auf die Aussage Atalay s aufmerksam zu machen, der
sagte, man müsse diese Region von den
Kürden
„reinigen'\ Anschliefiend passierte das Bekannte in Bursa/inegöl, HataylDörtyol und Erzîrom. Wie kann dies alles auf gefasst werden?
Kalkan: Ja, er sagte: „Egal was gemacht
wird, dieses Gebiet muss gereinigt werden!" Diese Worte gehören eigentlich
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
verurteilt. leh möchte sie aber eher verstehen als verurteilen. Wieso wurde diese Person nicht seines Amtes enthoben?
Seine Aussagen bedeuten „verbrennt,
stürzt nieder, bringt um und vemichtef.
So etwas kann niemand nirgends in den
Mund nehmen. Bisher hat kein Faschist
solches ausgesprochen. Nicht einmal in
den 90em, als der spezielle Krieg im Gange war, wurde so etwas erwâhnt. Anweisungen und Befehle dazu wurden zwar gegeben aber niemand brachte den Mut auf
so etwas in den Mund zu nehmen. Dieser
Vorfall im Zusammenhang mit Atalay
bringt Fragen auf wie „welche Macht besitzt er?", „wie ist er zum Innenminister
geworden?" und „was ist die A K ? für eine
Regierung?"
Das Nur-Gebirge umfasst Mersin, Dîlok, Mereş und Meletî. Jetzt heiBt es
also, dass ali diese Orte verbrannt und zerstört werden sollen. Mittlerweile wird erwâhnt, dass überall Wâlder brennen.
Nach der erwâhnten Anweisung ist auch
die Sache in Dörtyol geschehen. Die
Vollstrecker dessen sind zweifelsohne
aus der Organisation Atalay s. Offiziell ist
er als Innenminister dafür verantwortlich.
Wenn so etwas nicht verhindert werden
kann, dann ist eben der Innenminister verantwortlich. Schlimmer noch, er hat die
Anweisung dazu gegeben! Auch wenn nun
die MHP diese Sache als eigenes Handeln
benennen sollte. Dem ist nicht so. Die
Vollstrecker dieser Tat sind der Staat und
die Konter-Guerilla höchstpersönlich, de­
ren Chef Atalay selbst ist. Nur deswegen
konnte Atalay den Mut fassen und diese
Worte aussprechen. Weil Atalay also der
Chef der Konterguerilla ist wurde er zum
Innenminister, MGK(2)-Mitglied und
zum so genannten Koordinatör der Initiative ernannt. Er ist effektiver als Premierminister Tayyip Erdoğan. Aus diesem
Grunde kommen mir Fragen, ob die
AKP-Regierung eher von Erdoğan und
[Vize-Premierminister] Bülent Annçs geführt wird, oder vielmehr eine Organisa­
tion Beşir Atalays, [Vize-Premierminister]
Cemil Çiçeks und [Verteidigungsminister]
Vecdi Gönüls ist. Wenn man vom „Sicherheitskomitee" spricht, dann versammeln sich eben jene Menschen. Eigentlich ist etwas klar geworden, nâmlich
dass Erdoğan einen Teil seiner Regierung
an die Konter-Guerilla verkauft hat. Es ist
jedem bekannt, das Cemil Çiçek zur
„Spezialkriegsabteilung" gehörte, vom
.3
Militâr zur Zivilperson gemacht und für
die Regierung beauftragt wurde. Egal
wo eine Regierung gebildet wird, immer
ist er da. Als ob er ein unânderbarer
Funktionâr des Staates ist. Parteien wechseln, aber Cemil Çiçek und Abdulkadir
Aksu - seit neuesten jetzt Beşir Atalay bleiben.
Wir haben es also nicht mit einer Re­
gierung sondem mit einer Konter-Gueril­
la, der Ergenekon, einer Spezialkriegsregierung zu tun. Menschen wie Erdoğan ha­
ben diesen Personen Zugestândnisse ge­
geben und so konnten diese Âmter erlangen. Dies taten sie um weiter regieren zu
können bzw. sich finanziell abzusichem.
Die jüngsten Vorkommnisse brachten dies
etwas ans Tageslicht. Dieser Punkt wird
immer klarer. Beispielsweise hatte die
demokratische Öffnung nichts inne. Ata­
lay war verantwortlich für die Initiative.
Aber sie hatte weder Inhalt, noch einen gewissen Plan. Die Initative war das, was
Atalay gedacht und gesagt hatte. Woher
nimmt er diese Befugnis und so viel
Kraft? Nicht einmal Erdoğan ist so.
Die Lage zwischen Türken und Kürden
spannt sich weiter an. Solange die kurdische Frage nicht gelöst und die Demokratisierung nicht geschieht, wird das so
bleiben. Weitere Angriffe sind geplant
und werden organisiert. Vollstrecker des­
sen sind wie schon erwâhnt die Organi­
sation Atalays. Erdoğan sagte schon in Colemerg: „Wem es nicht passt kann gehen."
Des Weiteren sagte Cemil Çiçek, sie seien
an der armenischen Grenze angekommen. Atalays Worte sind Drohungen.
Mittels derer will er das Volk beangstigen,
damit es vom Widerstand abweicht und die
Guerilla nicht mehr unterstützt. Im Anbetracht dessen ist auch erkennbar, dass
weitere Plâne vorhanden sind.
voUzog man einige Beschlüsse. Vorher
aber haben auch andere Kreise ihre Meinungen kundgegeben. Beispielsweise hat
der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli die
Pufferzone an der Grenze vorgeschlagen. Başbuğ erwâhnte seine Spezialkriegstheorien ja schon vorher. Er sagte in
einer Rede z.B., dass der Kampf gegen die
PKK nicht einseitig verlaufen kann. In ihren Versammlungen also besprachen sie,
welche MaBnahmen noch ergriffen werden sollen. Diese Versammlungen geschahen in Leitung des Staatsprasidenten
Abdullah Güls. AnschlieBend traf er sich
mit Joumalisten. Sie bekamen in diesen
Versammlungen die Anweisung von Gül,
psychologischen Druck durch die Presse
auszuüben. AnschlieBend sagte Erdoğan
das genannte in Colemerg. Verteidi­
gungsminister Gönül sagte in einer Rede:
„Hâtten wir in der Vergangenheit den Armeniem und Griechen kein Leid angetan,
ware das türkische Volk heute nicht in die­
ser Lage". Das war die Offenbarung des
Planes auf einer anderen Weise.
Ein Massaker wurde geplant. Wir wissen nicht in welchem Rahmen dies ge­
schehen sollte. Wir haben diesbezüglich
unsere Haltung der Öffentlichkeit mitgeteilt. AnschlieBend wurde die Pufferzone
an der türkisch-iranisch bzw. türkisch-irakischen Grenze errichtet. Sie leben in
den Hoffnungen die PKK zu vemichten.
leh empfehle der Presse dies zu erforschen.
Wenn eigentlich eine Demokratisiemng gewollt ist, dann sollte dies ans Tageslicht gelangen. Verschiedene Putschplâne, wie Ba­
lyoz und Sari Kiz wurden erforscht. Hier
waren sie effektiv. Das gleiche sollten sie
mit dem eben erwâhnten machen. Sie
werden sehen, dass die Regierung in die­
se Plane mit verwickelt ist und diese
noch viel gefahrlicher sind. Die zuletzt erlebten Dinge sind ein Teil dieser Plane.
ANF: Von welchen sprechen Sie genau?
Kalkan: i l k e r B a ş b u ğ sprach mit
Erdoğan bevor er selbst zum Generalstabschef wurde. Nachdem er zum Generalstabschef ernannt wurde, ist er nach
Amed und Colemerg gegangen. Er spazierte durch Kurdistan und offenbarte
seine Meinung über den Krieg. A n schlieBend ging er zurück nach Ankara und
nahm an unzâhligen Versammlungen teil.
Die Regierung und das Komitee für die
Bekampfung des Terrors versammelten
sich. Wâhrend dieser Versammlungen
ANF: Was werden die Kürden gegen ali
diese Gefahren tun?
Kalkan: Natürlich im Widerstand sein.
Einen anderen Ausweg gibt es auch nicht.
Niemand wird das kurdische Volk auch
vom Widerstand abhalten können. Es ist
sehr wichtig zu erkennen wer Ereund und
Feind ist. Man sollte die Sache auch nicht
aus nationalistischer Brille betrachten.
Tâglich können Angriffe geschehen, man
muss vorbereitet sein.
Bewahren w ir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
fassung auch befürwortet. Die AKP sagt
nur „Nein" zu den Artikeln, gegen die sie
auch schon im Parlament war. Anstelle
Kalkan: Wenn ihre Kraft ausreicht, dessen hat sie ihr eigenes Paket gebracht.
dann ja. Niemand hat die Grenzen gesperrt. Somit will sie „Nein" zur Verfassung des
Doch sie schaffen es nicht, ihre Kraft reicht 12. Septembers sagen. Die MHP sagt auch
nicht aus, sie erzielen kein Ergebnis und „Nein". Zu was? Zu den Ânderungen der
können deswegen nichts machen. Jetzt AKP. Sie befürwortet die momentane
können einige Prognosen gemacht werden. Verfassung. „Ja" und „Nein" bedeutet beiAber das Ergebnis kann man sich aus der des nichts weiter als die Befürwortung der
Vergangenheit holen. Unsere Kraft ist im Verfassung vom 12. September. Sie soll
Vergleich zur Vergangenheit gestiegen. Die nur noch einmal vom Volk „bestâtigt" werGuerilla ist gut vorbereitet. In solch einem den. Das ist ein sehr hinterhâltiges Spiel.
Fail ist die Guerilla eine nationale Kraft; Der 12. September soll legitimiert werden.
die Kraft der Verteidigung der nationalen Dafür soll die Unterstützung des Volkes
Demokratie und Verteidigung. Gegen An- gewonnen werden. Deswegen werden
griffe jeglicher Kreise wird sie das kurdi- Briefe der Opfer dieses Putsches gelesen.
leh möchte keinen harten Ton annehmen
sche Volk schützen.
aber das Geplante ist sehr billig und
ANF: In der Türkei ist momentan das oberflâchlich. Gleichzeitig ist es sehr geReferendum aktüeli. Der Militârputsch vom fâhrlich. Man kann prinzipienlos und be12. September wird diskutiert. Die AKP Re- leidigend sein aber nicht in diesem Ausgierung betrachtet sich als Opfer dieses ma6! Als diese Opfer mit der TodesstraPutsches. Erdoğan hat geweint und ver- fe bestraft wurden, befürwortete Erdoğan
schiedene Funktionâre haben verschiedene die Verfassung! Wieso erforscht die Pres­
Kommentare von sich gegeben. Was soll se das nicht? Wieso wird das nicht hintermit diesen Diskussionen erreicht wer- fragt? Mit welchem Mut kann er jetzt einfach weinen? Meiner Meinung nach ist das
den?
nur Theater.
ANF: Sind z.B, Operationen im Süden
denkbar?
Kalkan: Letztens habe ich von der
Presse erfahren, dass Erdoğan und seine
Leute im Jahre 1982 der Verfassung [die
vom damaligen Generalstabschef und anschlieBenden Bundesprâsidenten Kenan
Evren angefertigt wurde] zugestimmt ha­
ben. Das sollte ebenfalls erforscht werden.
Wenn das wirklich so ist, muss die Wahrheit ans Tageslich gebracht werden. Sei­
ne Maske muss fallen. Wenn er ein Befürworter war, kann er jetzt nicht für De­
mokratie sorgen. Erdoğan venveist auf diejenigen, die ihre Kraft aus diesem Putsch
nehmen. leh schaue zurück in die Ver­
gangenheit und sehe, dass Erdoğan auch
einer von denen ist, die ihre Kraft daher
nehmen. Er nimmt seine Kraft vom 12.
September, 12. Mârz und am meisten
vom 28. Februar; er stürzte Erbakan und
nahm seinen Platz ein.(3) Wen will er denn
hinters Licht führen? Wir durchschauen
dies sehr gut.
Das Referendum ist natürlich die Abstimmung der Verfassung vom 12. Sep­
tember. Wir können es nicht verstehen, wie
der Tag des Referendums ausgerechnet auf
den 12. September fâllt. Als ob das auch
eine Art von Rache wâre. Wenn „Ja" gesagt wird, dann wird der Rest der Ver­
6
Das kurdische Volk wird weder Ja noch
Nein sagen. Eine Akzeptanz dessen ist
nicht möglich. Der Militârputsch vom
12. September hat Kurdistan noch einmal
besetzen lassen, tausende Menschen verhaften und foltem lassen. Tausende wurden massakriert und werden es heute immer noch. Alles wurde verboten, eingeschlossen der Muttersprache. Auch nach
der Ânderung ist das kurdische Volk nicht
vertreten. Diese Verfassung ist eine, die das
Massaker befürwortet. Wieso soll das
kurdische Volk dazu Ja sagen? Keiner, der
von sich behauptet Mensch zu sein wird
das tun. Mit einer umfassenden Kampagne solken diese Ânderungen boykottiert
werden. Somit sollte der Demokratisierung
der Weg geebnet werden und die Basis ei­
ner nenen und zivilen Verfassung geschaffen werden. Die AKP will ihre Regierung mit dieser Ânderung an der Macht
halten. AuBerdem soll die Verfassung
vom 12. September, die sich nicht mehr legitimieren kann, am 30. Jahrestag wieder
am Leben gehalten werden. Das muss boy­
kottiert werden.
Diese Boykottskampagne könnte sich
auch zu einer Kampagne für eine neue Ver­
fassung umwandeln.
ANF: Je intensiver die Aktionen der
Guerilla werden, deste mehr wird seitens
der türkischen Medien versucht, sie mit
dem tiefen Staaten und der Ergenekon in
Verbindung zu bringen. Wie werten Sie das
aus? Was denken Sie über jene, die an die­
ser Sache eifrig mitarbeiten?
Kalkan: Diese Sachen sind uns bewusst und im Rahmen der Spezialkriegskampagne zu betrachten. Jene, die
das versuchen, sind sich der Wahrheit bewusst. Trotzdessen machen sie es, da der
psychologische Kampf dies verlangt.
Somit wollen sie das Volk tâuschen. Ansonsten haben diese Sachen keinen anderen Sinn. Jeder weiB ganz genau, dass
die PKK die Organisation war, die gegen
die Ergenekon gekâmpft hat. Wenn heu­
te die Ergenekon vor Gericht kommt,
dann nur wegen ihrer Niederlage gegen
die PKK. Doch wer damals in die Machenschaften der Ergenekon vervvickelt
war, ist heute mit uns verfeindet. Die
AKP-nahe Presse hat ebenso wie die AKP
keine Prinzipien. Die einzige Maxime ist
der eigene Profit. leh sage zu ihnen nur
folgendes: Der Hund belit, die Masse
lâuft weiter!(4) Sie bellen, die Freiheitsbewegung lâuft weiter! Man sagt,
dass sie auch über uns einiges berichten.
Unsere Bewegung ist bekannt. Das kur­
dische Volk, die Arbeiterkrâfte und patriotische Demokraten stehen immer positiv zu der Bewegung, selbst wenn die
Presse solches schreibt.
ANE NEWS AGENCY
Fufinoten:
1- In der Vergangenheit hat der türkische Generalstab das „Verhindem der Beitritte zur Guerilla"
als Ziel erklârt.
2- „Nationaler Sicherheitsrat" der Türkei.
3- 12. September und 12. Marz sind zwei ver­
schiedene Militarputsche. Am 28. Februar 1997
trennte sich Erdoğan von der damaligen 'Refah Par­
ti si'(Wohlfahrtspartei) und gründete die AKP.
Dies wird 'postmodemer Putsch' genannt.
4- türkisches Sprichwort: it ürür, kervan yürür.
"^Das Interview wurde sinngemâfi übersetzt
von Dogancan - YXK Frankfurt
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
R O NA H Î
Çj-
Aktuelles / P o l İ t İ k
Freiheit für die inhaftierten Kinder
in Kurdistan und der Türkçü
Bis zu 3.000 Kinder sitzen in der Türkei derzeit im Gefângnis, angeklagt wegen Beteiligung an
Demonstrationen und wegen Steinewurfs. Dabei werden sie wie Terroristen behandelt.
YXK-Frankfurt
Die Kindheit stellt für jeden erwachsenen Menschen die Phase seines Lebens dar,
an die er am meisten zurückdenkt, denn unsere Kindheit ist unsere unschuldigste
Zeit. Es ist die Zeit, in der wir trâumen,
ohne uns von angeblichem Realismus
einengen zu lassen. Es ist die Zeit, an der
wir am stârksten den Moment leben. Es ist
die Zeit, in der wir vielleicht am meisten
weinen, aber auch am herzlichsten lachen.
Es ist unsere Kindheit. Unsere Insel der
Ereiheit. Manche Menschen erleben ihre
Kindheit unbeschwerlicher, andere verlieren das Kindsein schon mit Beginn der
Kindheit, denn es gibt Dinge, die fragenden Kinderaugen nicht leicht zu erklâren
sind. Der Krieg beispielsweise.
Kinder in den Fângen des Krieges
In Kurdistan verliert nunmehr schon die
zweite Kindergeneration ihre Kindheit
inmitten eines Krieges als Resultat der
Leugnung des Rechts auf freies Leben für
das kurdische Volk. Einerseits sind diese
Kinder zu jung, um die AusmaBe dieses
Krieges wirklich verstehen zu können, aber
andererseits sind diese Kinder in diesen
7
Krieg hineingeboren worden. Von Geburt
an befmden sie sich in einem Land, das von
Panzem besetzt ist und in dem diese Pan­
zer auch stets als „Gefahr" oder „Bedrohung" gesehen werden - auch von Kindem.
Denn die Menschen haben nicht vergessen,
wie wâhrend des Aufstands von Cizre 1992
Kurdinnen mit Gewalt in deutsche Panzer
gezerrt und anschlieBend niemals wiedergesehen wurden. Sie haben nicht verges­
sen, wie der 16-jâhrige Yahya Menekşe auf
offener StraBe von einem Panzer überrollt
und getötet wurde. Diese Panzer sind die
Verkörperung von Krieg, Tod und Eolter.
Aus diesem Grund wird in einem Land, in
dem die Kinder als Terroristinnen bezeichnet und die kleinen Körper von 12jâhrigen mit unzâhligen Schüssen durchsiebt werden, auf Kugelgeschosse mit
Steinen geantwortet. Deshalb werden Steine auf Panzer geworfen.
Nun ist es aber so, dass der türkische
Staat und Militârapparat in Kurdistan
auch Kindem das Recht auf Leben nicht
eingesteht. Infolge des Krieges in Kurdi­
stan haben unzâhlige Kinder üır Leben verloren, wurden schwer verletzt, wurden Opfer von Eolter, Zeugen von Dorfzerstö-
rungen und Exekutionen und dementsprechend stark traumatisiert. Man erinnere
sich beispielsweise an die 12-jâhrige Cey­
lan Önkol. Ihr Körper wurde wurde beim
Weiden des Viehs durch ein von Soldaten
abgefeuertes Projektil zerfetzt. Ceylan ist
dabei nur ein Beispiel für eine enorm hohe
Zahi der durch türkische Sicherheitskrâfte getöteten Kinder in Kurdistan.
Kinder als ^Terroristen" inbaftiert
Dazu kommt die Situation der inhaf­
tierten Kinder. Aufgrund einer Gesetzesânderung im letzten Jahr, sind seit 2008
mehrere hundert Kinder und Jugendliche
bei StraBenprotesten gestützt auf das
„Antiterrorgesetz" (TMK) verhaftet worden. Die Eâlle dieser Kinder, denen die Mitgliedschaft oder durch das Zeigen des Peace-Zeichens, das Werben für eine terroristische Organisation vorgeworfen wurde, wurden keinesfalls in entsprechenden
Kinder- oder Jugendgerichten behandelt,
sondem von GroBen Strafkammem. Auf­
grund der Willkür des TMK sind unzâh­
lige Kinder zu einer Gefângnisstrafe, die
höher als ihr Alter liegt, vemrteilt worden.
Hunderte warten seit Monaten in den Gefângnissen auf ihren Prozess.
Der Jugendliche U.S.K. ist vom Gericht
in Urfa zu 11 Jahren und 3 Monaten Haft
vemrteilt worden, weil er beschuldigt
wurde, wâhrend einer Protestaktion, bei der
2 Demonstranten getötet worden waren,
mit Steinen auf Sicherheitskrâfte geworfen zu haben. Obwohl diese Tat noch nicht
einmal bewiesen werden konnte, wurde der
Jugendliche aufgrund der „Begehung ei­
ner Straftat im Namen einer terroristischen
Organisation ohne selbst Mitglied zu sein"
zu einer Haftstrafe vemrteilt, die der Zerstörung seiner Zukunft gleich kommt.
Ein prominentes Beispiel, dass sogar in
deutschen Medien(l) thematisiert wurde,
ist die 15-jâhrige Berivan Sayaca aus
Batman, die am 26. Januar 2010 im Trubel einer Demonstration von Polizisten zu-
Bewahren wir unser Dasein und eıTangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
FREE BERIV^
nâchst verfolgt und spâter verprügelt und
in ein Wagen Richtung Wache gezerrt wurde. Das Urteil: 7 Jahre und 3 Monate Haft,
angeklagt wegen angeblichen Steinewurfs,
verurteilt wegen Beschâdigung öffentlichen Eigentums, Widerstand gegen die
Staatsgewalt und Propaganda für eine
terroristische Organisation. Das Mâdchen
beteuerte verzweifelt ibre Unschuld: „Ich
verstehe nicht, warum sie mir so eine Strafe geben, obwohl ich keine Straftat begangen habe. leh verstehe nicht, was die
Polizisten von mir wollten. Was habe ich
ihnen getan? leh wollte lemen, zur Schule gehen. Warum haben die Polizisten mein
Gesicht vermummt und Fotos gemacht?"(2) Als Beweis diente dem Gericht
lediglich ein Foto, auf dem ein Schuh zu
sehen war, der Berivans Schuh glich.
Frst Yor kurzem konnte die Regelung,
Kinder nach dem Terrorismusparagraphen zu verurteilen, aufgrund des groBen
Drucks durch die kurdische Bevölkerung
und einer Initiative der AKP wieder rükkgângig gemacht werden. Fs bleibt abzuwarten, was jedoch folgen wird, ob ali die
Kinder, die noch immer in den Gefângnissen sitzen und deren Kindheit dadurch
zu einer grausamen Frfahrung des Krieges
zu verkommen droht, auf die Revidierung
ihrer Urteile hoffen können. Wohlmöglich
wird es auch abhângig von enormen bürokratischen Hürden sein, die in solchen
Prozessen entstehen werden.
Wâhrend nun so in Kurdistan Kinder
und Jugendliche zu extremen Gefângnisstrafen verurteilt wurden, weil sie mit
Steinen geworfen haben oder hâtten, können im Westen der Türkei Nationalistlnnen auf Kurdinnen, ihre politischen Vertreterlnnen oder kurdische Institutionen
schieBen, ohne überhaupt mit Frmittlun8
gen rechnen zu müssen. Man erinnere sich
daran, wie die Zentrale der kurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft mit
einer Waffe mehrmals beschossen wurde,
ohne dass der Tâter jedoch belangt wurde.
Noch weiter ging es in izmir. Wâhrend einer Veranstaltung der DTP wurde dessen
Konvoi von einer Gruppe mit Steinen angegriffen. Der Prâsident der Wache von izmir, Ercüment Yilmaz, sprach von einem
„plötzlichen Vorfall", den man nicht überbewerten sollte. Deshalb wurde in izmir
auch niemand aus der 30-köpfigen Gruppe festgenommen. Fs wurden auch keine
Personalien aufgenommen. Aber hier stellt
sich doch folgende Frage: Warum ist es
eine Straftat, die mit mehreren Jahren
Gefângnis bestraft wird, wenn kurdische
Kinder mit Steinen auf Panzer werfen? Und
warum ist es keine
Straftat, wenn erwachsene Menschen in der
Türkei mit Steinen auf
kurdische Abgeordnete
werfen? Dies zeigt sich
auch an der Behandlung des KCK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Öcalan, der seit
fast 11 Jahren in völliger Isolation auf einer
Gefângnisinsel gehalten wird, wurde im November 2009, nach der
Ankündigung einer angeblichen „Verbessemng seiner Haftumstânde" in noch stârkere Isolation verabschiedet. In Folge der
Protestaktionen gegen
diesen Umstand sind
in den darauffolgenden Wochen über
1000 Menschen, darunter zum gröBten
Teil Kinder und Jugendliche verhaftet
worden.
Öcalan stellt den wichtigsten politischen Gefangenen in der Türkei dar - sowohl für die Kurdinnen, als auch für den
türkischen Staat. Auch bei den inhaftierten Kindem und Jugendlichen handelt
es sich um politische Gefangene, die zum
gröBten Teil auf Protestaktionen gegen
seine Haftbedingungen verhaftet worden
sind. Deshalb fordem wir mit unserer Aktion Freiheit für aile politischen Gefangenen in Kurdistan, der Türkei und
weltweit.
Wir, die YXK und YDG haben gemeinsam eine Initiative für die Freilassung
der Kinder gegründet und fordem aile demokratisch Denkenden dazu auf, ein Teil
unserer Initiative zu werden.
Freiheit für die inhaftierten Kinder!!
Schluss mit der Isolationshaft gegen Öcalan!!!
FuBnoten:
1- Süddeutsche Zeitung vom 28.4.2010: „Das
Mâdchen Berivan", S. 3
2- http://de.indymedia.org/2010/02/274265.
shtml
Bevvahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHI
Aktuelles / Politik
ö a b : ölıne Oialof İ5t kein Frieiefi müeliclı!
Abdullah ÖCALAN
A
bdullah Öcalan kam am 28.07.10,
auf der Gefangnisinsel Imralı mit seinen Anwâltlnnen zusammen. Öcalan sprach
wiederholt über mögliche Wege ftir einen gerechten Frieden an. Die Nachrichtenagentur Firat (ANF) veröffentlicht Auszüge aus
den Anwaltsnotizen des Rechtsbüros Asrin:
Der eigentliche Diskussionspunkt der
BDP wâhrend des Referendums sollte sein:
Werden die Kürden anerkannt oder nicht?
Wichtig ist nicht, ob ein Boykott beschlossen wird oder nicht [Die Partei für Frieden
und Demokratie, BDP, hat beschlossen, das
Referendum, mit dem die Verfassungsândemngen beschlossen werden sollen, zu boykottieren. Nach Meinung der BDP hat die
Ândemng der AKP (Partei für Gerechtigkeit
und Aufschwung) keinen Inhalt für Kurdlnnen, Arbeiterlnnen, Schülerlnnen, Studentenlnnen ete.]. Wichtig ist, ob das Pro­
blem in der Gesamtheit angegangen wird.
leh gehe das Problem allumfassend an. Bezüglich dieses Themas wird in der Öffentlichkeit viel zu beschrânkt diskutiert. Die Diskussionen haben einen viel zu einfachen StU
und beschrânken sich auf „Ja" oder, J^ein".
Das ist aber nicht besonders wichtig. Das
wichtigere ist, dass man den historischen
Kontext bzw. die Gesamtheit bei dieser Sache nicht aus den Augen verliert. Man
muss sehr gut wissen, wie und wo die Kür­
den verloren haben. Wie will man ohne die­
ses Wissen unsere Gegenwart bestimmen?
Was ist in den 88 Jahren seit 1922 passiert? Wieso haben die Kürden immer ver­
loren? Welchen Platz besetzen die Kürden
momentan in dieser Republik? Verluste
haben nicht nur einen Grund. Soziale, politische, wirtschaftliche, kültürelle und viele andere Gründe haben mitgewirkt. Das ist
das, was ich meine, wenn ich sage, man
muss darüber diskutieren und sich das historische Wissen aneignen. Mein Wunsch ist,
dass jedes Problem auf jeder Plattform
untereinander und mit der Bevölkerung
zusammen angesprochen und gelöst wird.
Wenn sechs Monate lang diskutiert wird,
wird sich jedes Problem lösen. Wer hat die
9
Kürden ausgeschlossen und wamm? Die Re­
publik haben wir zusammen gegründet. Es
wird gesagt, dass die Kürden Mitgründer der
Republik sind. Wenn das behauptet wird,
wenn gesagt wird, dass die Republik zu­
sammen gegründet wurde, dass wir Geschwister sind - wo werden dann die Kurdlnnen in der Verfassung vertreten? Fin neuer Prozess, der sich eine demokratische Ver­
fassung zur Grundlage nimmt, muss eingeleitet werden. Fine ganz neue Verfassung.
droht aus dem Gefangnis." Das ist nicht so
einfach! leh nenne das, was passieren kann.
Wenn das Problem auf politischer Basis nicht
gelöst wird, dann kommt es zur Stagnation
und gleitet in militârische Auseinandersetzungen. Âhnlich wie in Hatay/Dörtyol und
Bursa/inegöl werden die Angriffe und Ge­
fechte sich auf Orte ausweiten, in denen Zivilistlnnen leben. Das kann dann im Gegensatz zu den militârischen Gefechten auf den
Bergen zu viel schlimmeren Frgebnissen
führen. leh habe gewamt, es wurde als Drohung aufgefasst. Was ist schlieBlich passiert?
So, wie ich es vorher gesagt habe. Und das
an örten, an denen es keiner erwartet hatte. Was würde passieren wenn so etwas angenommen in Colemerg/Gever passieren
würde? Hunderttausende von Menschen
würden auf die StraBe geben. Bekannter
weise sind die Stâmme dort bewaffnet.
Wenn sich die Guerilla unter das Volk
mischt, werden Kriegsfiugzeuge, Bomben,
Panzer ete. sprechen. Von einem Moment auf
den anderen können dann Zehntausende von
Menschen sterben. Wer kann die Jugend aus
Amed aufhalten, wenn so etwas dort pas­
sieren sollte? leh kenne Amed. Wenn die Ju­
Wir haben nicht einmal eine Grund- gend aus Amed einmal aufgestanden ist, sich
schule, die in unserer Muttersprache unter- auf aile StraBen verteilt hat und die Gueril­
richtet. Was ist das für eine Geschwister- la sich ebenso in diesen StraBen befindet,
lichkeit? Die Kürden haben in Çanakkale dann kann diese Jugend von keinem mehr
[Befreiungskrieg, angeleitet von Mustafa Ke­ aufgehalten werden. Wenn so etwas pas­
mal] mitgekâmpft, im Freiheitskampf und sieren sollte, wird eine „Fin-Tages-Bilanz"
in Sakarya [ein wichtiger Teil des Canakkale- gleich mit der ,,30-Jahre-Bilanz" sein. In
Kriegs] unterstützten die Kürden aktiv, wir solch einer Situation kann die Polizei oder
waren wâhrend der Gründung der Republik das Militâr nichts machen. Fher werden
mit dabei. Aber was ist danach passiert? Was Kriegsfiugzeuge, Helikopter und Panzer einist passiert, dass auf einmal die Kürden al- greifen. leh weise auf diese Gefahren hin.
Das sage ich dem Staat und der PKK. Das
les verloren haben? Das ist das erste.
Das zweite ist die Grundlage dieses Pro- sind soziologische Feststellungen, mehr
zesses: Dialog. Ohne den Dialog wird sich nicht.
dieses Problem nicht lösen. Wenn kein
Wie lange wird diese Gesellschaft dies AlWaffenstillstand bzw. die Grundlage für ei­ les noch aushalteh? leh trauere. Nicht allein
nen Waffenstillstand geschaffen wird, kann um die PKK-Guerillas sondem auch um stergar nichts passieren. leh sagte vorher schon, bende Polizisten und Soldaten. Das reicht
dass auch in den Stâdten Gefechte werden aber nicht. Dieses Problem wird entweder
stattfmden können. Diese Worte wurden aber gelöst oder solche Dinge werden ,4iatürlich"
der Wahrheit entstellt und man sagte: „Apo geschehen. Dies muss auch die türkische Be-
Bewahren wir ıınser Dasein und erlangen wir unsere Freıheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
völkerung verstehen. leh deute auf Gefahren hin! Demokraten, Sozialisten, Intelektuelle aus der Türkei sollten nicht nur bezüglich dieses Themas ihre Gedanken aussprechen sondem etwas Verantwortung
übemehmen. leh befürehte auf Grund der
ganzen Ereignisse sehlimmes. Um dem
ein Ende zu setzen, bemühe leh mieh Tag
und Naeht und sehlafe nieht einmal eine
Stunde. Die jüngsten Ereignisse sind Gmnd
meiner Sorgen und ieh versuehe den momentanen Zustand zu überwinden. Der
Staat und die PKK maehen ihr eigenes Ding.
Beide Seiten hören nieht einmal auf ein
Wort, das ieh ausspreehe. Momentan ist der
Frieden auf sehr dünnem Eis. Jeden Moment
droht die Einsturzgefahr. Wenn keine Lösung
kommen sollte, werden der Staat und die
PKK untergehen.
Eür die Lösung habe ieh vorher sehon
meine Vorsehlâge in Worte gefasst. Das Parlament muss dieses Problem auf die Tagesordnung setzen und einige prinzipielle
Besehlüsse fassen. Danaeh stehen zwei
Dinge an: erstens, ein Aufbaurat muss erstellt
werden und zweitens eine Wahrheits- und
Gereehtigkeitskommission. Ohne dies wird
die Lösung nieht kommen. Wenn dies gemaeht wird, dann wird eine gewisse Gmndlage gesehaffen, ansehlieBend kann die
KCK ihre bewaffneten Einheiten an einen
Ort zurüek ziehen, der unter der Kontrolle
der Vereinten Nationen steht. Dafür reieht
meine Kraft. leh kann das maehen. Wenn der
nötige Zustand ausgerufen wurde, kann ieh
dies maehen. Ansonsten wird sieh die Situation, den wir die letzten Tage erlebt haben, weiter zuspitzen. Unter diesen Umstânden kann man von mir niehts erwarten.
leh appelliere an beide Seiten: Unter diesen
Umstânden irgendetwas von irgendjemanden zu erwarten ist weder ethiseh, noeh
mensehlieh, noeh demokratiseh. Unter die­
sen Umstânden kann eine so groBe Verantwortung nieht auf die Sehultem einer Person geladen werden. Der Staat lâdt die Verantwortung seiner Erfolgslosigkeit und die
PKK der ihrer Inkompetenz auf meine
Sehultem.
Wenn das Problem mit der BDP gelöst
werden kann, dann soll es getan werden.
Man kann es mit der PKK versuehen, aber
der Staat bekommt das nieht hin. Wenn ieh
als Anspreehperson genommen werden
soll, dann müssen einige Besehlüsse im Parlament gefasst werden. Dafür gibt es Beispiele aus der Welt. leh kann unter den jetzigen Umstânden keine Verantwortung
10
übemehmen; leh muss die Guerilla erreiehen. Wenn ieh darüber spreehe, wird es als
Sünde aufgefasst. leh kann darüber nieht nor­
mal spreehen. Deswegen muss das Parlament einiges entseheiden.
Seit zwölf Jahren ist hier nieht einmal ein
Femseher. Die anderen Freunde können te­
lef onieren, ieh kann nieht einmal das! Wie
soll ieh da Verantwortung übemehmen?
AuBerdem werde ieh immer âlter. Wenn da
noeh die Haftbedingungen dazu kommen,
mit denen ieh lebe, wird es immer sehwieriger Initiative zu ergreifen. Eins muss
noeh gut gewusst werden: Mein Körper hâlt
das alles nur his zu einem gewissen Punkt
aus. leh werde nieht für immer leben.
Als ieh envâhnte, ieh werde mieh am 31.
Mai zurüekziehen, sagte ieh das aueh ein wenig wegen meines Alters und meiner Umstânde. Von mir wird sehr viel erwartet.
Wenn ieh mieh auf einmal zurüek gezogen
hâtte, dann könnte sehlimmeres passieren.
leh habe daher eher gedaeht, meinen Rükkzug Sehritt für Sehritt zu vollziehen.
leh weiB nieht, wie lange ieh das noeh
aushalte. Weder der Staat hat die Absieht die­
ses Problem zu lösen, noeh will die PKK
eine Revolution maehen. Das Volk hat
wahrseheinlieh aueh keine Kraft mehr. Das
Volk ist arm, ermüdet, gereizt und will endlieh eine Lösung. Wie envâhnt, können Lan­
sende von Mensehen in Colemerg sterben.
In der Region sind einige GroBfirmen.
Diese werden ihre Saehen paeken und von
dort gehen. Deswegen ist es wiehtig Initi­
ative zu ergreifen. Erklâmngen abgeben
reieht nieht.
leh appelliere an den Staat: Wenn er die
Lösung oder die Vemiehtung der PKK
wUl, dann soll er das tun! Ahnliehes güt aueh
für die PKK: Wenn sie eine Revolution ma­
ehen oder sieh ergeben will, dann soll sie es
aueh endlieh tun. Es soüte nieht weiter in die
Lânge gezogen werden. Die Geseüsehaft hâlt
eine solehe Lösungslosigkeit nieht mehr aus.
Innerhalb von sieben/aeht Jahren hat man
mir vier Mal „waıte ein bissehen. Einige Altemativen sind vorhanden" gesagt. Das
Ergebnis ist bekannt. Wir werden hingehalten, mehr nieht. leh habe zwölf Jahre abgewartet und Tag und Naeht für die Lösung
gearbeitet. leh habe versueht den Frieden und
die gesellsehaftliehe Lösung zu verwirkliehen. leh habe aber aueh eine Grenze. leh
kann mit einem Satz alles zerstören, kann
sagen, dass jeder tun soll, was er nieht lassen kann. Man kann mieh ansehlieBend aueh
innerhalb einer Stunde umbringen; interes-
siert mieh überhaupt nieht. leh habe davor
keine Angst. Naeh dem Referendum werde ieh einer Hinhaltetaktik keine Chanee ge­
ben. Naeh dem Referendum stehen Wahlen
an. AnsehlieBend wird „wartet die Wahlen
ab" gesagt werden. Auf dieses Hinhalten
werde ieh mieh nieht einlassen.
Cemil Bayik spraeh davon, die „demokratisehe Autonomie" auszumfen. Wenn kei­
ne Lösung kommen sollte, haben wir das
Beispiel Kosovo. So etwas kann passieren.
Das ist das, wenn ieh sage, die Kürden sollen sehauen, wie sie zureehtkommen.
Die Kürden wollen ein gemeinsames Le­
ben. Wir wollen sogar das alte „Misak-i
Milli" aktualisieren und zusammen leben.
Aber das alleinige „wollen" hat keinen
Wert. Das muss gegenseitig und auf reehtlieher Basis sein. Wenn wir zusammen le­
ben, dann muss das eine „reehtliehe Ehe"
sein. Die Verfassung muss das vviderspiegeln. Wenn in einer Ehe die Frau tâglieh gesehlagen wird, dann wird sie eines Tages abhauen. Ahnliehes güt aueh für die Kürden.
Wenn sie üıre Reehte nieht bekommen, dann
haben sie das Reeht darauf, das für sie Nö­
tige zu tun.
Bezüglieh der nationalen Konferenz
habe ieh einen Vorsehlag, der dem der
PLO âhnelt. Unsere Organisation sollte
nieht nur bewaffnet sein, sondem aueh ein
Organ für Diplomatie, Exekutive und Verteidigung haben.
leh habe drei Vorsehlâge:
Die nationale Konferenz sollte sieh versammeln.
Eine Exekutive muss gebildet vverden.
Keine riehtige Regiemng. Eine einfaehe Exekutive, die ihre Arbeit maeht und diplomatisehe Beziehungen aufbaut.
Verteidigung:
Die Verteidigungskrâfte müssen koordiniert und in Einklang miteinander sein. Die
Einheiten sollten nie wieder wie früher
gegeneinander stehen bzw. gegeneinander
Krieg führen.
Neben dem sind die Vorsehlâge, die ieh
vorher nannte vorhanden. Diese könnten
ausdiskutiert werden. Man kann sieh im Sinne des „demokratisehen Konföderalismus"
organisieren, ohne die vorhandenen Grenzen anzutasten. Dafür gibt es Beispiele aus
der Welt wie^Südafrika. Sie haben aueh ei­
nen nationalen Kongress. Diese Beispiele
kann man sieh als Gmndlage nehmen.
Bewahren wir ıınser Dasein und erlansen w ir unsere Freilıeit!
Aktuelles / P o l i t i k
RONAKÎ
GRAUE WOLFE HEUEEN WIEDER
Über die Geschichte der "Grauen Wölfe" in der Türkei und Deutschland
Kian Kurtz-YXK Marburg
Dieser Beitrag soll einen Überblick
über die Ideologie und Geschichte der
„Grauen Wölfe", einer radikal faschistischen, türkischen Organisation, und ihren Einfluss in Deutschland bieten. Der
Inhalt basiert hierbei auf einem Vortrag
Alî Shîıins, den er am 27.4.2010 im Marburger Orientzentrum hielt. Grundlage
des Vortrags ist das bald in einer nenen
Auflage erscheinende Buch „Graue Wölfe heulen wieder - Türkische Faschisten
und ihre Vernetzung in der BRD" von
Kemal Bozay und Fikret Aslan (u.a.)l.
Anlass für die Finladung des Referenten war für die Marburger YXKOrtsgruppe cine in Deutschland bzw.
Hessen deutlich wahrzunehmende Prâsenz türkischer, faschistisch geprâgter,
vernetzter Jugendlicher, welche als potentielle Gefâhrdung ziviler Strukturen in
Deutschland gesehen werden, jedoch
als durch die deutsche Politik und Ge-
II
sellschaft nach unsrer Auffassung zu
wenig beachtet betrachtet werden bzw.
verharmlost dargestellt werden.
Um die Fntstehung und das Wesen der
militanten Bewegung „Grauen Wölfe"
(trk.: Bozkurtlar) zu verstehen, muss
cin Blick in die Geschichte der Türkei geworfen werden.
Eine faschistische Organisation
Fnde des 19. Jhd. galt das Osmanische
Reich als der „kranke Mann vom Bosporus", was aus seinen verkrusteten
Strukturen, seiner hohen Verschuldung
und den Abspaltungstendenzen ethnischer
Minderheiten resultierte. Die Integritat
des riesigen Imperiums war in groBer Gefahr und damalige imperiale Mâchte benutzten es als Spielball ihrer Politik.
In diese Zeit fiel der Aufstieg der Jungtürken, welche dem Reich durch milita-
rische, wirtschaftliche und politische
Reförmen zu alter imperialer Stârke verhelfen wollten um damit erstmals eine
neue „erhabene" Identitât des Türkentums zu schaffen. Sie verfolgten die
Ideologie einer Finheit aller Turkvölker
(„Pan-Turanismus"), was in einem GroBreich namens „Turan" aufgehen sollte.
Mit der Niederlage im 1. Weltkrieg an
deutscher Seite zerfiel jedoch der Traum
Turans, welcher aber unter Mustafa Ke­
mal „Atatürk", der sich siegreich gegen
die Kolonialmâchte durchsetzten konnte und 1923 die Türkische Republik
gründete, von rechten Gruppen wieder
aufgegriffen wurde. Der staatlich verordnete Nationalismus unter Atatürk fiel
jedoch mit einer Türkisierungspolitik
aller ethnischen Minderheiten zusammen,
zu deren Zwecken enorme Zwangsumsiedlungen der Kürden durchgeführt
wurden.
Nach dem 2. Weltkrieg betrat Alpars­
lan Türkes die politische Bühne, cin
ehemaliger ausgezeichneter Offizier der
türk. Armee, der sich am ersten Militârputsch 1960 beteiligte um den damaligen
Ministerprâsidenten Menderes zu stürzen,
jedoch mit dem Ziel der Frrichtung eines
autoritaren und repressiven Regimes.
Türkes wurde zunâchst ins indische Fxil
verbannt, kehrte jedoch '63 zurück und
gründete die "Republikanischen BauemVolkspartei", die spâter in die neofaschistische „Partei der Nationalistischen
Bewegung" (MHP ) umbenannt wurde.
Zusammen mit anderen Offizieren
baute Türkes in den '60er Jahren auch die
ersten rechtsextremen Kommandolager
auf, aus denen nationalistisch eingeschworene, paramilitarische Schlâgertruppen hervorgingen, die „Grauen Wölfe". Der Name entstammt der Leğende
nach vom „Grauen Wolf', der die frühen
Türken vor der Unterjochung durch die
Chinesen gerettet haben soll, bevor die­
se westwârts in ihre neue Heimat Kleinasien wandern konnten. Fingesetzt wur-
Bewahreıı wir unser Dasein uııd erlanaen wir unsere Freiheit!
RONAHr
Aktuelles / Politik
i
POLIZEI
den die Grauen Wölfe offiziell gegen die
„Bedrohung durch den Kommunismus'',
faktisch aber fungierten sie als Instrument
der Hoheit über den StraBenkampf.
Durch die gezielte Ermordung linker
Oppositioneller reprâsentierten sie die militante und kriminelle Rechtsbewegung
in der Türkei. Durch StraBenterror, Massaker und Provokationen ermordeten
die "Grauen Wölfe" zwischen 1974 und
1980 nahezu 5000 Menschen. Sie schufen die Voraussetzung für den Militârputsch vom 12. September 1980.
Instrument der Feindbildprojektion
Die MHP unter Türkes schaffte es Anfang der 70er Jahre unterdes Kontakte
zu Regierungsparteien und zur Nationalen Heilspartei zu knüpfen und kaufte
parteilose Abgeordnete, wodurch sie einen erheblichen Zuwachs an Macht erringen konnte. 1975 wurde die MHP zum
Bündnispartner der konservativen "Gerechtigkeitspartei" (AP) und damit auch
zur Regierungspartei. Türkeş wurde
stellvertretender Ministerprâsident und
hatte damit volle staatliche Rückendekkung für den organisierten Terror. Durch
den Kontakt zum türkischen Geheimdienst MİT konnte sie weiterhin zahlreiche verdeckte Morde an politische und
kurdische Oppositionelle durchführen.
Die MHP war cin willkommenes In­
strument des kemalistischen Staates bzw.
12
des Militârs, um die Angst vor der elin­
ken Bedrohung" zu schüren. Als der
Konflikt zwischen rechtsextremen Gruppen und dem linken Widerstand in den
70er Jahren schlieBlich entbrannte, entschloss sich das Militâr zum Putsch, in
dessen Zusammenhang viele Mitglieder
der Grauen Wölfe und Aisparslan Türkes
verhaftet wurden. Die Situation der Inhaftierung rechtsextremer Politiker führte zu einem „Kulturschock" der MHP, die
behauptete, dass sie die erste Bewegung sei, dessen Kader im Gefângnis sitzen aber deren Ideologie an der Macht ist.
1997 starb Türkes, die MHP konnte
sich jedoch trotz der Abspaltung eines islamistischen Flügels '92 politisch stabilisieren. Die Beliebtheit Türkes war so
groB, dass zu seinem Tod viele Beileidsbekundungen von prominenten Politikern ausgesprochen wurden. Dies
lâsst erkennen, dass seine Ideologie des
radikalen Nationalismus auch in den
übrigen politischen Lagern verbreitet
war.
In den 1980er Jahren wechselte das
Feindbild vom Kommunismus weg hin
zur neu entstandenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, mit der sich das Militâr in
den 90er Jahren schwere Gefechte lieferte. Die MHP und die Grauen Wölfe
dienten hierbei wieder als geeignetstes In­
strument der heraufbeschworenen Furcht
vor „Feinden der nationalen Finheit". Der
entbrennende Krieg im Südosten der
Türkei führte zu einer „nationaiistischen
Fkstase" der türkischen Gesellschaft.
Der Staat spielte hierbei bewusst mit dem
Bild der Bedrohung durch die „kurdischen Separatisten", um die „chronische Fxistenzangst" der türkischen Bevölkerung neu zu beleben.
Das Frreichen der 10%-Hürde und da­
mit der Finzug der MHP ins Parlament
1999, zur Zeit Öcalans Festnahme und Inhaftierung, zeigt, inwieweit Nationa­
lismus und Furcht vor dem „Separatismus" in die türkische Gesellschaft
verankert werden konnten.
Die Verstrickung der MHP und der
Grauen Wölfe in die mysteriösen Vorfâlle
des „Frgenekon" machen ihre radikalen
und brutalen Machenschaften jedoch
evident. „Frgenekon" beschreibt den
„tiefen Staat" in der Türkei, der in den
70er Jahren durch geheime Organisationen wie die JITFM entstanden ist, und
nach 2002, naeh der Machterlangung der
AKP, aktiv wurde. Der tiefe Staat in der
Türkei hat sich mit dem Anspruch gegründet, die ursprünglichen Prinzipien
des Kemalismus zu verteidigen und cine
„islamistische Unterwanderung" des
Staates (gemeint ist heute die AKP) zu
verhindern. Zu diesem Zweck organisierte sie unzâhlige politische Morde an
kurdischen und anderen prominenten
Politikern und Journalisten (z.B. Hrant
Dink), verübte Anschlâge an Christen
(z.B. in Malatya) und führte Massaker un­
ter der zivilen Bevölkerung durch. Dies
vollzog sich innerhalb eines taktischen
Manövers, bei dem die Schuld an den
Morden der PKK und anderen politischen
Feinden zur Last gelegt werden sollte, in
dessen Folge cin gesellschaftliches Chaos entstehen sollte. Im Zusammenhang
mit dem entstehenden Chaos sollte daraufhin die AKP mit dem Vorwurf der po­
litischen Inkompetenz und des Kontrollverlusts über die Staatssicherheit
gestürzt werden.
Veröffentlichte Dokumente und die ak­
tüeli laufenden Frgenekonprozesse, die
von der AKP initialisiert wurden und der
Aufdeckung und Verurteilung der Vor­
fâlle dienen, bringen die Verflechtung
zwischen der Politik, dem Militâr, den
Medien, der Mafia und den Grauen Wölfen ans Tageslicht. Frgenekon besitzt cin
breites Spektrum von Mitgliedern bestehend aus Politikern, Professoren,
Journalisten, Offizieren, Militârangehö-
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
rigen und Mitgliedern der Grauen Wölfe, die bis heute ca. 17000 Tote zu verantworten haben.
Die Ergenekonprozesse verdeutlichen
neben dem aktuellen Machtkampf der
AKP mit dem Militâr auch die Herangehensweise der rechtsextremen Strukturen der Türkei. Durch das Teile-undHerrsche-Prinzip versuchen sie die Macht
im Staat wiederzuerlangen.
Auch in Deutschland bemühte sich die
MHP schon früh Fu6 zu fassen. 1978 entstand die MHP unter dem Decknamen
„Türk Föderation" mit dem Hauptsitz in
Frankfurt a.M.. Sie organisiert sich auf
Basis von Vereinsstrukturen, alicin 180
Verbünde sind in der Bunderepublik tâtig. Sie versuchte dabei stets gute Kontakte zu deutschen Parteien zu knüpfen,
vorrangig mit der CDU, was cin Treffen
Alparslan Türkes' mit dem damaligen
bayrischen Ministerprâsidenten Franz
Josef StrauB zeigte. StrauB lobte damals in einem Zitat den türkischen Nationalismus. Auch andere Politiker der
CDU verharmlosten die Aktivitâten der
Türk-Föderation mit der bloBen Feststellung ihrer Interessensvertretung im
Rahmen der Gesetze.
In den '90er Jahren entdeckte die
Türkei besonders in der Regierungszeit
13
Tansu Cillers (1993-96) die im Ausland
lebenden „Landsleute" für sich ais wichtige Reprâsentationsbasis neu. Türkinnen
in Furopa sollten wichtige Lobbyarbeit
für den türkischen Staat leisten, um dessen Image zu verbessem und um den tür­
kischen Nationalismus zu verbreiten.
Auch die türkischen Medien sind hierbei
zu beachten, die mit 9 in Deutschland
empfangbaren Sendem einen hohen (politischen) Finfluss besonders auf türkische Jugendliche ausüben können. Çil­
ler rief zur Beteiligung im Kampf gegen
den (kurdischen) Terrorismus auf, worauf aile türk.-nationalistischen und türk.islamistischen Organisationen in der
BRD zu Bündnissen zusammengeschlossen wurden, um aktiv zu werden
und um cine geschlossene Prâsenz gegen
cine kritische Haltung gegenüber der Tür­
kei zu zeigen.
Einfluss des türk. Staates in der BRD
Fine Finflussnahme von in der Türkei
stattfindenden Prozessen auf türkische Ju­
gendliche in Deutschland zeigt insbesondere der Fail Abdullah Öcalan, dessen Verhaftung auf zahireichen Massendemonstrationen türkischer Faschisten
in ganz Deutschland gefordert wurde.
Hetzaktionen gegen die kurdische Freiheitsbewegung oder Angriffe auf kur­
dische Finrichtungen, wie z.B. in Brüssel, wurden gezielt vom türkischen
Geheimdienst MİT organisiert.
Letzterer konnte in den 90er Jahren
seinen Finfluss auf türkische Strukturen
in Deutschland durch gezielte Finschleusung seiner Agenten enorm erhöhen. So sind in der DITIB, dem gröBten islamischen Verbund in Deutschland
Mitarbeiter des MİT tâtig, um die Organisation staatlich zu kontroUieren und
um Informationen für den türkischen
Staat zu beschaffen. Auch Lehrstellen der
türkischen Sprache an deutschen Schulen werden gezielt durch das türkischen
Bildungsministerium besetzt, um nationale Gefühle und Werte der Kinder aus
der Türkei zu fördem und zum anderen
um 'verdâchtige' Personen den offiziellen Stellen zu melden. Die Grauen
Wölfe stützen sich in ihrer Arbeit in
Deutschland verstârkt auf cine Kooperation mit dem MİT
In zahireichen Stâdten besonders in
Nordrhein-Westfalens konnten und
können auch heute noch zahireiche faschistisch geprâgte, türkische Studenten
durch die Frlangung von Positionen in
der Hochschulpolitik wie zum Beispiel
dem ASTA cine Aufdeckung und Bekâmpfung ihrer faschistischen Strukturen
und allgemein den Finsatz für den kur­
dischen Freiheitskampf auf universitârer
Fbene blockieren.
Die Unterwanderung ziviler, univer­
sitârer und politischer Strukturen in
Deutschland durch faschistisches Gedankengut erfolgt oft verdeckt und unauffâllig. Da wo sie auffallen, werden sie
verharmlost dargestellt, was cine Bekâmpfung erschwert. Finzig von linken
Parteien und Organisationen ist cin aktiver Protest gegen diese Tendenzen zu
erwarten.
Wir, der Verband der Studierenden aus
Kurdistan sind entschlossen, uns weiterhin für die Fnttarnung und Bekâmpfung
faschistischer Strukturen in Deutsch­
land einzusetzen. Diesem Zweck galt
auch unsere gut besuchte Veranstaltung
über die „Graueh Wölfe" in Marburg. Wir
rufen aile solidarischen Gruppierungen
und besonders aile YXK-Ortsgruppen
dazu auf, sich diesem Fngagement anzuschlieBen.
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
A k t ü e l l e : / Politik
„Mit jedem Tod entsteht ein
neues Leben^^
Staatlich legitimierter Mord als herrschaftssichernde Praxis und der Widerstand gegen ihn
Arno-Jermaine Laffin - YXK Marburg
Gibt man in der gröBten Online-Enzyklopâdie den Namen der Stadt Sine
ein, werden die ereignisreiche alte Geschichte und die Handwerkskunst der
ostkurdischen Stadt angepriesen. Doch
mittlerweile steht die Stadt für mehr als
für Perserteppiche und historische
Brücken, sie steht auch für nichts anderes als Mord; Mord, der vom iranischen Regime an dem Kürden ihsan Fetahiyan begangen wurde.
ihsan Fetahiyan wurde am frühen
Morgen des 11. November 2009 im iranischen Gefângnis von Sine in Ostkurdistan hingerichtet. In einem politisch motivierten Verfahren wurde er zu
zehn Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil wurde spâter im Berufungsverfahren in eine Todesstrafe umgewandelt.
gegen das er entgegen internationaler
Vereinbarungen (internationaler Pakt
über bürgerliche und politische Rechte), denen sich auch der Iran verpflichtet hat, keine Rechtsmittel einlegen durfte. ihsan war aufgrund seiner
Teilnahme am kurdischen Widerstand
gegen die Unterdrückung durch das iranische Regime der „Feindschaft gegen
Gott" angeklagt worden. Sofort nach der
Verkündung des Todesurteils wurde
internationaler Druck auf das Regime
ausgeübt, um die VoUstreckung zu verhindern, was nicht gelingen sollte. Fin
Zusammentreffen zwischen ihsan und
seiner Familie vor seinem Tod wurde ihnen verweigert. Nach der Frmordung
durch Frhângen wurde sein Leichnam
ohne angemessen würdevolle Trauer-
feierlichkeiten begraben und die Familie
des Frmordeten erst im Nachhinein
über den Verbieib des Leichnams in
Kenntnis gesetzt.
Dieser Finzelfall ist ein Beispiel für
den Umgang des iranischen Regimes
mit seinen politischen Gefangenen.
Gipfel der Repressionspraxen des Re­
gimes sind zweifellos das Inhaftiere,
Foltern und Fxekutieren von Gegnerlnnen. Den kurdischen Widerstand
trifft dies besonders hart. Zurzeit sitzen
18 politische Gefangene mit kurdischer Herkunft in iranischen Todeszellen. Diese Haft in Anbetracht einer baldigen Frmordung ist Folter, aber nicht
nur in Todeszellen wird grausam gefoltert. Die Morde an den 18 sind absehbar, Versuche sie zu verhindern
sind bis jetzt erfolglos geblieben, nur einige Aufschübe der VoUstreckung konnten erstritten werden.
Doch der Kampf gegen Hinrichtungen von Gefangenen ist so alt wie der
Kampf um Freiheit selbst und nicht von
ihm zu trennen. Wie die gesamte kurdische Bewegung wird auch der Protest
gegen die Todesurteile gegen die poli­
tischen Gefangenen im Iran zu einem
groBen Teil von den kurdischen Frauen getragen, so organisierte etwa die
Frauenplattform von Mersin Fnde Januar ein breites Protestspektrum und
forderte vor allem demokratische und
progressive Frauengruppierungen weltweit auf, sich an diesem zu beteiligen.
Dies ist ein wichtiger Schritt hin zur
Internationalisierung des Kampfes ge­
gen die Todesstrafe, eine Symbolfigur
für diesen Kampf ist der afroamerikanische Joumalist und politische Aktivist
Mumia Abu-Jamal.
Die Stimme der Unterdrückten
Mumia wurde 1982 in einem politisch
motivierten und rassistischen Verfahren
schuldig gesprochen einen Polizisten er14
Bewahren w i r unser Dasein und erlangen wir ımsere Freiheit!
Aktuelles / Politik
RONAHÎ
Gewalt erzeugt Gegengevvalt
Doch die Herrschenden sollten
wissen, dass Repression und Todesurteile sie nicht schützen können.
Gewalt schlagt unweigerlich in
Gegengewalt um zumindest werden
Bedrohte zur legitimen Selbstverteidigung greifen und wird Forderungen
nach Frieden und Freiheit nicht ersticken können. Die HRK (Hezen
Rojhilata Kurdistane, Einheiten aus
Ostkurdistan) haben sich zu dem tödlichen Attentat auf den iranischen
Staatsanwalt Weli Heci Qulizade in
der Stadt Xoy bekannt. Dieser Staatsanwalt war maBgeblich an den Todesurteilen gegen die Kürden Hasan
Hikmet Demir und Fesih Yasemini beteiligt; die HRK bewertet das Attentat als Akt legitimer Selbstverteidigung. Fine Forderung, die sie mit der
Aktion bekrâftigen wollten, ist eine
menschliche Behandlung von Gefangenen in iranischen Gefângnissen,
ein Ende von Folter und Repression.
Wahrung von Werten und Trâumen
schossen zu haben und zum Tode verurteilt. Viele Ungereimtheiten im Verfahrensablauf und die Motivation der
Richter lassen starke Zweifel an der
RechtmâBigkeit des Schuldspruches
nach bloBem US-Recht bestehen, von
internationalem Recht oder einer Legitimitât ganz zu schweigen. Zur Zeit
seiner Inhaftierung war Mumla Aktivist
der Black Panthers Party, die sich militant und selbstbewusst vor allem für die
Rechte der schwarzen Bevölkerung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika
einsetzte. Durch seine Tâtigkeit als
Journalist war er zu einer bedeutenden
Figür des Widerstandes geworden, ihm
wurde der Beiname „Stimme der Unterdrückten" gegeben. Der Protest einiger
Freundinnen und Mitstreiterlnnen Mumias gegen seine Ermordung ist zu einer weltweiten, gut vemetzten Initiative gewachsen, die von der Basis aus
Druck ausübt und die Todesstrafe generell angreift. Von Anfang an war der
Kampf um das Leben von Mumia ein
Kampf gegen die Herrschenden der
Vereinigten Staaten und hat sich mittlerweile in den weltweiten Kampf gegen
Unterdrückung eingereiht. Der Mord
an Mumia ist bis heute ausgeblieben;
15
richten die Herrschenden ihn hin, wird
er zu einem Mârtyrer, lassen sie ihn frei,
gestehen sie ihr eigenes Unrecht ein.
An der Todesstrafe lâsst sich gut der
Charakter von Interessenpolitik der
Herrschenden ablesen. Die Vereinigten
Staaten, die selbsternannten weltweit
vorbildlichen Demokratinnen und Menschenrechtlerlnnen werden nicht müde
den Iran aufgrund seiner Atom- oder Israelpolitik zu verurteilen, doch bleibt
ihre Kritik an dem Morden von politischen Gefangenen leise, denn an der
Praxis der Todesstrafe halten sie selber
fest. Die Stellung der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten sieht nicht anders aus;
auch wenn sie mittlerweile Mord als Bestrafung selbst nicht mehr offen praktizieren und den 10. Oktober zum „Tag
gegen Hinrichtungen" erklârt haben, erheben sie ihre Stimme nicht gegen die
Todesurteile, die gegen den kurdischen
Widerstand gesprochen werden. Ein
Einsatz für Menschenrechte und
Menschlichkeit gegenüber Kurdinnen
lehnen sie ab, solange diese ihren
Kampf um ein anderes Leben nicht aufgeben oder sich die Interessen der
Herrschenden und die Strategie zu deren Verfolgung nicht andern.
Eine Bestârkung im Einsatz um das
Leben der Aktivistinnen ist deren eigener Mut und Wille, mit denen sie bis
zu ihrem viel zu frühen und unnötigen
Ende ihres Lebens für die gerechte
Sache und eine bessere Welt kâmpften.
Trotz aussichtsloser Situation weigerte sich ihsan bis zu seiner Ermordung
seine Werte und Trâume zu verraten; indem er öffentlich Reue geheuchelt hâtte, wâre er der Ermordung entgangen.
Stattdessen blieb er seinen Überzeugungen treu und ging für sie in den Tod.
In seinem letzten Brief schrieb er:
„Wenn die Herrschenden denken, sie
könnten die kurdische Frage und Kurdistan aus dem Weg schaffen, indem sie
mich töten, so ist das eine leere Illusion.
Dieses Ziel werden sie niemals erreichen, auch nicht mit meinem Tod oder
dem Tod weiterer tausender Jugendlicher. Mit jedem Tod entsteht ein neues Leben."
Bevvahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
Seit die donm
ins Sâmm
Meer ML.
Ein Beitrag zur aktuellen Kampagne TATORT-KURDISTAN(l)
Klan Kurtz -YXK Marburg
„Seit die Donau ins Schwarze Meer
flieBt sind die Deutschen und die Türkei
gezwungen, in einem sich ergânzenden
Wirtschaftsraum zu leben. Die Welt
muss der Realitât entsprechend gesehen
werden/X2) Dieser Ausspruch der türkischen Zeitung Cumhurriyet aus dem
Jahre 1941 bezieht sich auf die enge wirtschaftliche Verflechtung des damaligen
faschistischen Deutschlands mit der Tür­
kei. Er verweist auf die lange Tradition
der besonderen deutsch-türkischen Beziehungen seit dem 19 Jahrhundert, die
seit jeher verschiedene Ausprâgungen militârischer und wirtschaftlicher Art annahmen.
Ordnungsmacht im Nahen Osten
Wenn man sich dem Wesen der da­
maligen Kooperationen nâhert, stöBt
man unausweichlich an einige heikle Parallelen zur heutigen Zeit: Der wirtschaftliche VorstoB der deutschen Industrie Ende des 19. Jhd. z.B. im Rahmen
des Eisenbahnlinienbaus (Bagdad-Bahn)
diente der Expansion des deutschen Imperialismus und mündete in ein militârisches Bündnis im Ersten Weltkrieg, unter dem u.a. der Völkermord an den Armeniern durchgeführt wurde - unter
Mitwissen oder gar Mithilfe deutscher
Militârs.(3) Schon damals galt die Tür­
kei als wichtiges Standbein deutscher
Interessensicherung im Nahen Osten
und genoss daher die besondere Sympathie der deutschen AuBenpolitik. Spâter, in Zeiten der Eingliederung der Tür­
kei ins das westliche Militarbündnis
NATO versorgte man die Türkei im
Rahmen der unentgeltlichen Rüstungshilfe mit einem groBen Volumen an
Kriegsmaterial, dass spâtestens nach
dem Putsch 1980 durch die Militârjunta massiv gegen die neu entstandene kurdische Widerstandsbewegung eingesetzt
wurde. Die Türkei rückte nach dem Kalten Krieg als geostrategisch wichtiger
Partner Deutschlands und der Nato in das
Zentrum der Nahost-Politik, da man ihr
einen stabilisierenden Wert als Ord­
nungsmacht im Nahen Osten beimaB.
Ungeachtet der in den 90er Jahren evident auftretenden Menschenrechtsverletzungen der Türkei in der Bekampfungspraxis gegen Kurdinnen lieferte
Deutschland weiter Rüstungsmaterial zunâchst enorme Bestânde der aufgelösten Nationalen Volksarmee der DDR,
nach 1995 dann in privatwirtschaftlichem
Rahmen (z.B. durch Firmen wie ThyssenKrupp, Hecklar & Koch, Krauss-Maffei
u.w.). Heute ist Deutschland laut dem
„Stockholm Intemational Peace Research
Institute" SIPRI nach den USA und
Russland weltweit der drittgröBte Waffenexporteur. Die Türkei ist dabei der
gröBte Waffenabnehmer deutscher Rüstungsgüter. Vor dem Hintergrund der alljahrlich von Menschrechtsvereinen wie
dem IHD oder Amnesty Intemational veröffentlichen Berichten über die massiven
Menschrechtsverletzungen der Türkei,
die sich nicht nur gegen die PKK sondem
z.B. durch Folterpraxis und Dorfniederbrennungen auch gegen die Zivilbevölkerung richten, stellt dies eine aufs
Schârfste zu verurteilende Praxis dar.
Waffen, Repression und Energie
Aus diesen und anderen Gründen formierte sich Anfang dieses Jahres ein
Gmppe deutscher linksautonomer Amedcampbesucherlnnen mit dem Ziel, die
Verantwortung und die Rolle deutscher
Unternehmen und der Bundesregierung
an geeigneten Örten sichtbar zu machen. Es entstand dabei eine bundesweite
Kampagne mit dem Namen „Tatort-Kurdistan", deren Zahi an Unterstützerlnnen
sich his zum heutigen Tage entscheidend
vergröBern konnte und über ein facettenreiches Qutput verfügt. Nach his heu­
te drei bundesweiten Vemetzungstreffen,
an denen sich Menschen aus vielen verschiedenen Hintergründen und Organisationen beteiligten, konnte ein umfangreiches Programm von Aktionen
und Öffentlichkeitsarbeit geplant und
16
Bewahreıı wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Aktuelles / Politik
teilweise bereits umgesetzt werden. In
zahireichen Stâdten Deutschlands fanden
bis heute verschiedene Aktivitâten wie
Demonstrationen, Kundgebungen, Vortrâge und kreative Aktionen zum Thema
statt.
Die Kampagne erweiterte dank der vielen fachkundigen Aktivistinnen ihr Themenspektrum. Im wirtschaftlichen Bereich kam neben den Rüstungsexporten,
die im übrigen auch die Verwicklung
deutscher Unternehmen am HalabjaGiftgasanschlag 1988 thematisieren,
auch die Beteiligung deutscher bzw. eu-
ropâischer Unternehmen an umstrittenen
Staudammprojekten wie dem Ilisu-Staudamm hinzu. Auch das europâische Projekt der Nabucco-Pipeline, an deren Bau
Deutschland erhöhtes Interesse bekundet
und es maBgeblich unterstützt, wird beleuchtet und dessen konfliktverschârfendes Potenzial und zweifelhafte wirtschaftliche Erfolgsaussichten an geeigneten Punkten kritisiert.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung in Deutschland. Hier steht insbesondere der „Terror-Paragraph" 129 ff.
des StrGBs im Visier, auf dessen Berufung zahireichen in der Bundesrepublik
lebenden Kurdinnen vermehrt das eventuell seit Jahr(zehnt)en bestehende Asylrecht aberkannt werden kann, oder aber
Gefângnisstrafen von zweieinhalb bis zu
vier Jahren verhângt werden, ohne das individuelle Straftaten nachgewiesen werden können. Besonders nach dem 1993
in Deutschland erfolgten Verbot der
PKK müssen hiesige Kurdinnen mit erhöhter staatlicher Repression rechnen,
wenn sie sich in Bezug auf Kurdistan auf
irgendeine Weise politisch interessieren oder engagieren. Die im Frühjahr ausgeführten Razzien gegen kurdische Yercine in Deutschland, die Festnahmen von
kurdischen Exilpolitikem und besonders
der NATO-geführte Angriff auf den kurdischen Femsehsender Roj-TV im Mârz
in Brüssel zeigen, inwiefern auch Furopa seine Antwort auf den Friedens-
wunsch der kurdischen Bevölkerung gegeben hat.
Tretboote und Flashmobs
Fin motivierten Beitrag zur Kampagne versuchen wir als der Verband der Studierenden aus Kurdistan zu leisten. Wir,
die YXK-Marburg, führten in Zusammenarbeit mit andern Freundinnen
bereits zwei erfolgreiche Aktionen zum
Thema durch. So schipperten wir am 6.
Juli mit zwei Tretbooten und ausgerüstet
mit einem groBem Transparent und einem
Megafon auf der Lahn auf Höhe der Mensa herum, um lautstark auf die Themen
der Kampagne aufmerksam zu machen.
Mit einer Aktion des symbolischen Sterbens machten wir dann am 31.7. in zwei
Flashmobs, einmal auf dem Marburger
MarktpIatz und spâter an der zentralen
Finkaufspassage, auf uns aufmerksam.
I.9., Tag des Antimilitarismus
Zum 1.9.2010, dem internationalen
Antikriegstag und zudem bundesweiter
Hauptaktionstag der Kampagne, wird
die YXK in Zusammenarbeit mit anderen unterstützenden Gruppen in zahireichen Stâdten Deutschlands gröBere Aktionen durchführen. Im Namen der Kampagne laden wir aile Gruppen und Finzelpersonen herzlich dazu ein, sich an
dieser Kampagne mit kreativen Aktionen,
Veranstaltungen, Recherchearbeiten oder
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu beteiligen, um zur demokratischen und
friedlichen Lösung der kurdischen Frage beizutragen.
Weitere Informationen zu den Themen
und zum Fortschritt der Kampagne findet ihr auf der oben angegebenen Internetprâsenz.
FuBnoten:
1 - http://tatort-kurdistan.blog.de/
2- Brauns, Nikolaus und Brigitte Kiechle (2010):
PKK - Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbetimmung, EU und islam. Stuttgart: Schmetterling
3 Vgl. Ebd. S. 385
17
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Gesellschaft / Analyse
RONAHÎ
Lehren der Kommune
Ein Überbiick über die Gescbichte und Gegenwart der Râtedemokratie
Dr. Nick Brauns
„Die Kommune war cine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übematürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war
eine Wiederbelebung durch das Volk und des
eigenen gesellschaftlichen Lebens. Sie war
nicht eine Revolution, um die Staatsmacht
von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondem eine
Revolution, um diese abscheuliche Maschine
der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen.
... Die Kommune war die entschiedene Negation jener Staatsmacht und damm der Beginn der sozialen Revolution des 19. Jahrhunderts. Was daher immer ihr Geschick in
Paris ist, sie wird ihren Weg um die Welt machen." (Kari Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, geschrieben April/Mai 1871, MEW
17,541f.)
„Es sollte unser grundlegendstes Para­
digma werden: Das Volk in Form von
Kommunen von der Basis bis an die Spitze organisieren. Das muss in der Praxis so
aussehen, dass praktische Lösungen für
alltâgliche Probleme gefunden werden.
Nur so können wir den Sozialismus ins Leben mfen. Die Pariser Kommune war ein guter Ansatz, doch wurde sie nicht gut verstanden. Wenn sie erfolgreich gewesen
wâre, wâre der Sozialismus entstanden,
den Marx wollte. Spâter kam jedoch ein Sozialismusverstândnis auf, dass der Sozia­
lismus mit Hilfe des Staates aufgebaut
werden sollte. Der Staat kann aber nicht sozialistisch sein, nur die Gesellschaft kann sozialistisch sein." (Abdullah Öcalan, görüş­
me notlari, Eebruar 2010)
Unter dem Namen „demokratischer Konföderalismus" wird in Nordkurdistan eine radikaldemokratische Reformbewegung
durchgefiihrt. Eine Gesellschaft, die seit Jahrtausenden von einem allmâchtigen Staat formieıt und unterdrückt wurde, beginnt mit basisdemokratischer Selbstorganisation und damit mit ihrer Selbstbefreiung. Bei ailen Besonderheiten der kurdischen Situation gab
es in der neueren Gescbichte der Menschheit bereits eine Vielzahi von Versuchen der
Selbstbefreiung durch radikale Demokratisierung und Selbstregierung, aus denen
18
wertvolle Lehren für die heutigen und zukünftigen Befreiungskâmpfe gezogen werden können. Insbesondere die Pariser Kom­
mune von 1871 diente Kari Marx, aber auch
Lenin und heute Abdullah Öcalan als ein
leuchtendes Vorbild.
Mitten im deutsch-französischen Krieg
des Jahres 1871 ergriff das werktâtige Volk
von Paris die Macht. Nach der Niederlage
in Sedan im September 1870 hatte die
französische Armee kapituliert, Kaiser Napoleon III war in deutsche Gefangenschaft
geraten, die Republik wurde ausgemfen. Im
Januar 1871 drohte Paris die Besetzung
durch die Deutschen. Die konservative
bürgerliche Regiemng unter Adolphe Thiers
hatte sich nach Versailles abgesetzt. In
Stich gelassen von seinen bürgerlichen
Herren, die aus Angst um ihre Privilegien
lieber mit den deutschen Besatzem koUaborierten, als sich bei der Verteidigung von
Paris auf das bewaffnete Volk zu stützen,
nahmen die in der Nationalgarde organisierten Werktatigen von Paris den Schutz der
Stadt in die eigene Hand. Der Versuch der
Thiers-Regierung, die Kanonen der Natio­
nalgarde durch regulâre Soldaten zu rauben,
scheiterte an der Verbrüderung der Solda­
ten mit den Nationalgardisten. Nun ergriff
das Zentralkomitee der Nationalgarde in Pa­
ris die Macht, lieB aber gleich darauf Wahlen zum Gemeinderat - zur Kommune durchführen. Dieser revolutionâre Pariser
Stadtrat herrschte vom 18.Mârz bis 28.Mai
1871. »Die Kommune bildete sich aus den
durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewâhlten
Stadtrâten«, heiBt es in Kari Marx' berühmter Beschreibung der in Paris verwirklichten Râtedemokratie, an deren Prinzipien sich aile spâteren sozialistischen
Versuche messen lassen müssen. »Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar.
Ihre Mehrzahi bestand selbstredend aus Arbeitem oder anerkannten Vertretem der
Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht
eine parlamentarische, sondem eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.
Die Polizei, bisher das Werkzeug der
Staatsregiemng, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das
verantwortliche und jederzeit absetzbare
Werkzeug der Kommune venvandelt. Ebenso die Beamten aller anderen Verwaltungszweige. Von den Mitgliedem der
Kommune an abwârts, musste der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden.
Die erworbenen Anrechte und die Reprâsentationsgelder der hohen Staatswürdentrâger verschvvanden mit diesen Würdentrâgem selbst. Die öffentlichen Âmter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger
der Zentrairegiemng zu sein. Nicht nur die
stadtische Venvaltung, sondem auch die ganze, bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hande der Kommune gelegt.« Die Kommunarden setzten eine Reihe radikaldemokratischer und sozialreformerischer Programmpunkte um. Hierzu
gehörte die Trennung von Staat und Kirche,
unentgeltlicher Unterricht an ailen Lehranstalten, der ErlaB der Mieten, die Unterstützung der legitimen und illegitimen Witwen und Waisen gefallener Kommunarden,
die unentgeltliche Rücknahme verpfândeter Gegenstânde aus Pfandleihanstalten,
das Verbot von Nachtarbeit in Bâckereien
und die Sozialisiemng der von ihren Besitzem verlassenen Betrieben.
Fortbestand des revolutionâren Geistes
Doch die Bank von Frankreich, die das
entscheidende Pfand in ihren Handen gewesen wâre, wagte die Kommune nicht anzutasten. Der Ausbmch der Bürgerkriegshandlungen verhinderte zudem den sozia­
listischen Elügel der Kommunarden an der
weiteren Durchführung seines sozialen
Programms. SchlieBlich war die Kommu­
ne als »Diktatur des Proletariats« gezwungen, eine Reihö von autoritaren MaBnahmen
gegen ihre Eeinde zu treffen, wie das Ver­
bot konterrevolutionârer Presse. Gegen die
in Frankreich isolierte Kommune verbündeten sich selbst die eben noch im Krieg
gegeneinander stehenden Herrscher Frank-
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
ökonomischen Gmndlagen umzustürzen, auf
denen der Bestand der Klassen und damit
der Klassenherrschaft mht. Einmal die Ar­
beit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein
Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine
Klasseneigenschaft zu sein." Als „endlich
entdeckte Form" der Befreiung der Arbei­
terklasse und damit aller anderen Unter­
drückten hatte Marx die Kommune bezeichnet. Damit machte er deutlich, dass es
sich hier nicht einfach um eine „gute Idee"
oder ein utopisches ideal handelt. Vielmehr
zog Marx seine Lehren aus der Realitat, dem
Die ökonomische Befreiung der Arbeit wirklichen Verlauf der Geschichte. Entsprechend bildeten sich in den Revolutionen
Die besondere Bedeutung der Pariser des 20.Jahrhunderts immer wieder Râte nach
Kommune lag nicht in ihrer aktiven Politik dem Modeli der Kommune. Nicht, weil dies
oder auf sozialem Gebiet. »Ihr wahres Ge- in den Programmen kommunistischer Parheimnis war dies«, erkannte Marx, »Sie war teien so geschrieben war, sondem weil
wesentlich eine Regierung der Arbeiter- diese Form der basisdemokratischen Selbstklasse, das Resultat des Kampfs der her- organisation sich immer dann im praktischen
vorbringenden gegen die aneignende Klas- Kampf als notwendig envies, wenn die bese, die endlich entdeckte politische Form, un- stehenden Staatsapparate versagten oder sich
ter der die ökonomische Befreiung der Ar­ offen gegen die Interessen der Masse der Bebeit sich vollziehen konnte." Die Arbeiter- völkemng stellten.
klasse konnte nicht einfach die fertiğe
Staatsmaschinerie in Besitz nehmen und fur "Aile Macht den Râten"
ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen,
sondem musste diese zuerst zerbrechen. DieAls der autokratische mssische Zar 1905
se Erkenntnis - die zugleich der wesentli- - nach der Niederlage Russlands im Krieg
che Unterschied der kommunistischen zu ai­ gegen Japan - auf eine Demonstration
len reformistischen sozialdemokratischen hungemder Arbeiter schieBen lieB, führte
Strömungen in der Arbeiterbewegung wur- dies zu einer breiten Streikbewegung, in de­
de - war die einzige Korrektur, die Marx und ren Rahmen sich zur weiteren Koordination
Engels nach der Erfahrung der Kommune Rate (mssisch: Sowjets) aus Delegierten der
am Kommunistischen Manifest von 1848 groBen Betriebe bildeten. Noch waren die
vomahmen. SchlieBlich war der bürgerliche Râte zu schwach beziehungsweise die in ihStaat nicht nur ein Instrument der Emanzi- nen organisierten politischen Strömungen zu
pation des Bürgertums gegen den Feudala- zerstritten und zu zögerlich, um den zaridel, sondem zugleich eine Apparatur zur stischen Staat zu stürzen. So endete diese GeUnterdrückung der Arbeiterklasse. Aus- neralprobe der mssischen Revolution mit der
gangsbedingung für die Kommune von Zerschlagung der Râte. Der Vorsitzende des
Paris war daher die Ersetzung des stehen- Petersburger Arbeitersowjets, der junge
des Heeres durch das bewaffnete Volk in Revolutionâr Leo Trotzki, wurde ebenso wie
Form der Föderation der Nationalgarde. Und viele weitere Râteaktivisten inhaffiert. 1917
Marx betonte eine weitere Lehre, ohne die bildeten sich Anfang Mârz emeut Arbeiterdie Kommunalverfassung „eine Unmög- und Soldatenrâte, als es zu einer Hungerlichkeit und eine Tâuschung" bleiben mus­ revolte und Streiks der Arbeiter gegen den
ste: die Notwendigkeit, auch die materiel- Zarismus kam. Zwar wurde der Zar gestürzt,
len Bedingungen für die radikale Demo- doch es bildete sich parallel zu den Râten
kratisiemng der Gesellschaâ durch eine Um- eine Provisorische Regiemng aus bürgerwâlzung der wirtschaftlichen Besitzver- lichen und sozialdemokratischen Parteien,
hâltnisse zu schaffen. Eben dies hatten die die auch in den Râten noch die Mehrheit hat­
Kommunarden noch versaumt: „Die poli­ ten. Diese Parteien waren für eine Fortsettische Herrschaft des Produzenten kann nicht zung des Krieges. Auch sahen sie in den Râ­
bestehen neben der Verewigung seiner ge- ten nur eine vorübergehende Erscheinung,
sellschaftlichen Knechtschaft. Die Kom­ die möglichst schnell zu Gunsten eines normune sollte daher als Hebel dienen, um die malen bürgerlichen Parlaments ersetzt wer-
reichs und PreuBen-Deutschlands. Die Preu6en gaben den französischen Generâlen, die
sie eben noch unterworfen hatten, grünes
Licht zur Niederschlagung der Kommune.
In der letzten Maiwoche drangen die gegenrevolutionâren französischen Truppen in Pa­
ris ein und metzelten 25.000 Kommunarden
nieder. Die Kommune wurde zerschlagen,
aber ihr Andenken lebte in ailen weiteren revolutionâren Kâmpfen der Unterdrückten
weiter und ihre Lehren prâgten die nâchsten
Versuche der Befreiung.
den sollten. Nur die kommunistischen Bolschewiki, die anfangs nur eine Minderheit
der Râtedelegierten stellten, vertraten die Losung, Aile Macht den Râten". Lenin, der aus
seinem Schweizer Exil ins revolutionâre
Russland zurückkehrte, formulierte im
April 1917 in seinen Aprilthesen Programmpunkte, fur die die Bolschevviki in den
Râten werben sollten. Nicht zufâllig knüpfte er hier an den Lehren der Pariser Kom­
mune an: „Nicht parlamentarische Republik - eine Rückkehr von den Arbeiterdeputiertenrâten zu dieser wâre ein Schritt rükkwârts -, sondem eine Republik von Ar­
beiter-, Landarbeiter- und Bauemdeputiertenrâten im ganzen Lande, von unten bis
oben. Abschaffung der Polizei, der Armee,
des Beamtentums. Entlohnung aller Beamten, die durchweg wâhlbar und jederzeit
absetzbar sein müssen, nicht über den
Durchschnittslohn eines qualifizierten Arbeiters." Diese demokratischen Fordemngen
ergânzte Lenin durch die wirtschaftlichen
Fordemngen der „Nationalisiemng des gesamten Bodens im Lande" unter Kontrolle
von Landarbeiterrâten, der Verschmelzung
aller Banken des Landes zu einer Nationalbank, die der Kontrolle des Arbeiterdeputiertenrates untersteht sowie der sofortige Übemahme der Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung der
Erzeugnisse durch den Arbeiterdeputiertenrat. Als sich im Laufe des Jahres 1917
zeigte, dass die bürgerlichen und sozialde­
mokratischen Parteien nicht gewillt waren,
die drângendsten Fordemngen der Masse der
Bevölkemng nach Brot, Land und Frieden
zu erfüllen, sondem den Krieg weiter anheizten und die bisherigen Ermngenschaften der Revolution gefâhrderten, wuchs
die Unterstützung für die Bolschewiki. Es
war eine Zeit der Doppelherrschaft. Der bür­
gerliche Staat existierte mit der provisorischen Regiemng an der Spitze vveiter und
setzte zunehmend repressive MaBnahmen
gegen Arbeiter und Bauem durch, die ihre
Rechte einforderten. Gleichzeitig existierten die Râte als eine Altemative. Nachdem
die Bolschewiki dann noch an vorderster
Front den Widerstand gegen den vom so­
zialdemokratischen Ministerprâsidenten
Kerenski unterstützten Putschversuch des
Generals Komiklow organisierten, hatten sie
soviel Zustimmung unter den Arbeitem, Soldaten und Bauem gewonnen, dass sie bei den
nâchsten Wahlen zu den Râtedelegierten gemeinsam mit dem linken Flügel der bâuerlichen Sozialrevolutionâre die Mehrheit
Bewahreıı wir unser Dasein und erlangen wir linsere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
stellten. Erst in dieser Situation, in der sie
in den Râten die Mehrheit gewonnen hatten, entschieden sich die Boischewiki zum
bewaffneten Aufstand zum Sturz der provisorischen Regierung und der Übemahme
der ganzen Macht durch die Râte. Die
Doppelherrschaft wurde durch die Oktoberrevolution beendet und Russland zur Raterepublik. Der auf Râte im ganzen Land gestützte Rat der Volksdeputierten mit Lenin
an der Spitze führte eine Reihe demokratischer und sozialer MaBnahmen durch. So
wurden sofortige Friedensverhandlungen
aufgenommen, der GroBgrundbesitz an die
landlosen Bauem verteilt, die Banken verstaatlicht und die Kontrolle über die Industrie den Arbeiterrâten übergeben.
"Der Staat stirbt ab"
Lenin und die Bolschewiki wollten nicht
einen nenen starken Staat errichten. Sie verstanden die Râterepublik schon als einen ersten Schritt zur Abschaffung des Staates
überhaupt. Denn im marxistischen Verstândnis hat sich der Staat in der Geschichte als Unterdrückungsinstrument der
jeweils herrschenden Klasse über die Ausgebeuteten gebildet. Die Voraussetzung für
cin Ende eines jeden Staates ist damit das
Ende der Klassengesellschaft im Kommunismus. Doch solange es noch Klassen mit
unterschiedlichen, ja gegensâtzlichen Interessen gibt, wird auch eine Râterepublik noch
cin Staat in dem Sinne sein, dass sie
ZwangsmaBnahmen gegen Menschen anwenden muss. Dies ist die, J)iktatur des Proletariats'', die zwar eine weitestgehende Demokratie für die Mehrheit der Bevölkerung
ist, aber gegenüber ibren Feinden sich auch
autoritâr zu wehren weiB. Lenin zitiert in seinem grundlegenden staatstheoretischen
Werk „Staat und Revolution" Engels: "Indem er (der Staat) endlich tatsâchlich Reprâsentant der ganzen Gesellschaft wird,
macht er sich selbst überflüssig. Sobald es
keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf
ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondere Repressionsgewalt, einem Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Reprâsentant der ganzen Gesellschaft auftritt
- die Besitzergreifung der Produktionsmit-
20
tel im Namen der Gesellschaft - ist zugleich
sein letzter selbstândiger Akt als Staat." Das
heiBt: "An die Stelle der Regiemng über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und
die Leitung von Produktionsprozessen. Der
Staat wird nicht 'abgeschafft' er stirbt ab."
Die Realitât in der Sowjetunion war leider eine andere, da die geschilderten Voraussetzungen zur Schaffung der klassenlosen Gesellschaft weder ökonomisch noch
politisch gegeben waren. Nachdem sich die
anderen Partein mit der auslândischen
Gegenrevolution verbündeten und Attentate
gegen die Sowjetmacht und Lenin begingen, wurden sie als eine eigentlich nur vorübergehend gedachte MaBnahme verboten
und die Bolschewiki damit zur einzigen Partei im Land. Die Verwüstungen durch
Krieg und anschlicBenden von den imperialistischen Staaten unterstützten Bürgerkrieg führten in Verbindung mit der Rükkstândigkeit des Landes und seiner Isolation sowie der fortgesetzten feindlichen Belagerung und Kriegsdrohung durch das kapitalistische Ausland zu einer Deformation
der Râtemacht bereits in der ersten Hâlfte
der 20er Jahre. Viele der aktivsten und bewusstesten Revolutionâre aus der Arbeiterklasse waren im Bürgerkrieg gefallen. Die
Râte bluteten regelrecht aus. Innerhalb der
Mangelwirtschaft in dem bis zur Industrialisierung Ende der 20er Jahre weitestgehend agrarischen Land bildete sich eine materiell privilegierte Staats- und Parteibürokratie heraus, die die Arbeiterklasse entmündigte. Anders, als von Marx, vorhergesagt starb der Staat im Realsozialismus
nicht ab, sondem erstarkte immer weiter.
Demokratische Eigeninitiative der Werktâtigen wurde von der Bürokratie als Gefahr
für die eigene privilegierte Stellung angesehen und unter der Herrschaft Stalins
und seiner Nachfolger mit Repressalien bis
hin zu Hinrichtungen oder Arbeitslager für
oppositionelle Kommunisten beantwortet.
Die Sowjetunion und die nach ihrem Sieg
gegen den Hitlerfaschismus in Osteuropa
entstandenen Arbeiterstaaten bewiesen die
groBartigen Möglichkeiten einer nach rationalen Kriterien geplanten statt nach Profitmaximierung strebenden Wirtschaft.
Doch gleichzeitig erwürgte der bürokratisierte Staatssozialismus eben dieses Potential und bereitete damit letztIich der kapitalistischen Konterrevolution den Weg. Als
1989/90 der Realsozialismus von innen her
zusammenbrach, rührten die von ihren Arbeiterstaaten entfremdeten und in Passivitât
verharrenden Arbeiter keinen Finger zur
Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften. „Ohne Demokratie kann weder Sozialismus, noch Kommunismus entstehen" - diese Erkenntnis Abdullah Öcalans entspricht den gleichlautenden Gedanken von Rosa Luxemburg und Leo
Trotzki, die schon früh auf die Gefahr einer solchen Degeneration des Sozialismus
hingewiesen hatten.
Beispiele von Râten weltweit
Arbeiter- und Soldatenrâte bildeten sich
auch in Deutschland in der Revolution von
1918/19, durch die der Kaiser gestürzt und
der Krieg beendet wurde. Doch in diesen Râten hatten Sozialdemokraten die Mehrheit,
die in den Râten nur eine Zwischenetappe
auf dem Weg zum Parlamentarismus sahen.
Die Anhânger einer reinen Râterepublik nach
russischem Vorbild um Rosa Luxemburg
und Kari Liebknecht verfügten im Unterschied zu Lenins Bolschewiki noch über keine starke kommunistische Partei. Versuche,
dennoch mit einer Minderheit die Râterevolution weiterzutreiben, wurden von der sozialdemokratischen Regierung im Bündnis
mit protofaschistischen Armeeeinheiten
blutig niedergeschlagen. Liebknecht, Luxemburg und Lansende weitere Arbeiter
wurden 1919 von der Soldateska unter
Verantwortung des sozialdemokratischen
Kriegsministers Gustav Noske ermordet.
Diejenigen Râte, die sich nicht selbst aufgelöst hatten, wurden bis zum Frühjahr zersehlagen und die Weimarer Republik als bürgerlieh-parlamentarischer Staat gegründet.
Unter der Losung ,Uand und Freiheit" bildeten sich emeut im spanischen Bürgerkrieg
1936 in Katalonien Arbeiter- und Bauemrâte, als Anarchisten und linke Sozialisten
den Kampf gegen die faschistischen Truppen des General Franco mit dem Kampf für
eine Landreform und den Sozialismus verbanden. Doch diese Râte wurden nicht nur
von den Faschisten attackiert, sondem auch
von der Kommunistischen Partei, die eine
sozialistische Revolution zu diesem Zeitpunkt ablehnte, weil die Sowjetunion auf cin
Bündnis mit den Westmâchten Frankreich
und GroBbritannien hoffte. Dies sollte nicht
das letzte Mal bleiben, dass Râtebevvegung und Parteikommunisten unterschiedliche Wege gingen. In Ungam 1956 und in
Polen 1980 bildeten Arbeiter in den realsozialistischen Staaten Râte, um gegen die
bürokratische Entmündigung für vvirkli-
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir un sere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
Verhaftung oder sogar Frmordung durch
staatliche Krâfte droht. Zudem wird cin un­
ter staathcher Repression leidendes und möglicherweise nur im Untergrund organisiertes Râtesystem nur die bewusstesten Teile
der Bevölkemng erreichen und organisieren.
Für eine lebendige Râtedemokratie ist aber
die Organisiemng der gesamten Gesellschaft
in Râten notwendig.
* Solange cin Râtesystem isohert und von
feindlichen Krâften umgeben ist, wird es
nicht sein volles Potential entfalten können.
Anstatt aile Krâfte in den Aufbau einer freien
und sozialen Gesellschaft zu stecken, werden viele Fnergien in die Verteidigung gelegt werden müssen. Auch kann cin in
feindlicher Belagerung existierendes Râte­
system nicht volle demokratische Freiheiten nach irmen gewâhren, da es sich seiner
inneren Feinde envehren muss. Hier drohen
ebenfalls undemokratische Deformationen.
* Die radikale Demokratisierung der
Gesellschaft durch Râte darf nicht nur auf
den politischen Bereich beschrânkt bleiben.
Sie darf nicht am Fabriktor oder vor der Farm
enden. Solange die Râte in wirtschaftlichen
Fragen keine Fntscheidungsbeftıgniss haben,
werden sie keine Sozialprogramme zur
nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung umsetzen können.
Fntscheidungsbefugniss in Wirtschaftsfragen setzt allerdings Fingriffe in das Privateigentum an Produktionsmitteln und Gmnd
und Boden voraus. Solche Fragen lassen sich
auch in einem Râtesystem nicht im Konsens
lösen, da die besitzenden Klassen sich ihren
Besitz kaum durch demokratische Mehrheitsentscheidungen nehmen lassen werden.
Dafür brauchen die Râte auch die Möglichkeit, Zwang auszuüben durch eine beLehren der Geschichte
waffnete Fxekutive. Den je nach Bedürfnis
Aus der bisherigen Geschichte der Râ- föderalistisch oder zentralistisch aufgebautebewegung lassen sich einige grundle- ten Râten auf politischem Gebiet - von der
StraBen- und Stadtviertelebene his zu Progende Lehren ziehen.
* Fine dauerhafte Doppelherrschaft zwi- vinz- und Landesebene - entsprechen damit
schen dem bürgerlichem Staatsapparat, der im wirtschaftlichen Bereich genossenja cin Unterdrückungsinstrument der herr- schaftlich organisierten Kooperativen und
schenden Klassen gegen die arbeitende vergesellschafteten Industriebetriebe unter
Bevölkerung ist, und den Râten eben dieser Arbeiterselbstverwaltung.
werktâtigen Menschen kann es nicht geben.
* Wirkliche lebendige Râte bilden sich
Fntweder wird der bürgerhche Staat die Râte nicht auf Befehl einer Partei oder eines Fühzerschlagen oder zu machtlosen Diskus- rers, sondem sind Produkte des praktisionsgremien degradieren, oder die Râte- schen Kampfes von Arbeitem und anderen
bewegung muss den bürgerlichen Staat Unterdrückten. Ohne eine Partei oder idezerschlagen und sich zur Râterepublik er- ologische Führung, die für eine Ausweitung
heben. Die Fortexistenz des bürgerlichen und Verallgemeinerung der Râtemacht einStaates bedeutet eine permanente Schwâ- tritt und das Ziel einer Râterepublik ausgibt,
chung der Râte, deren Aktivisten Verfolgung, werden solche Râte jedoch früher oder
che Arbeiterdemokratie und Sozialismus von
unten zu kâmpfen.
Râte blieben keineswegs nur auf Europa
beschrânkt. Heute ist nur noch wenigen bewusst, dass die iranische Revolution 1979,
in der der Schah gestürzt wurde, als eine Re­
volution der Arbeiter begann und sich Arbeiter- und Volksrâte bildeten. Doch Fehler
groBer Teile der Linken, die wie die „kommunistische'' Tudeh-Partei Illusionen in
Ajatollah Khomeini als ,4iatürlichen Führer
der Revolution" und, Antiimperialisten" hatten, ermöglichte es den Mullahs, die Arbeiterrâte zu zerschlagen und die Volksrâ­
te in den Stadtteilen zu übemehmen, um sie
anschlieBend abzuschaffen. Khomeini war
eben nicht der Führer der Revolution, sondem ihr Totengrâber.
Auch Kurdistan hat seine Râtetradition.
Als zu Fnde des Golfkrieges 1991 die
Diktatur der Baath-Partei in den kurdischen Landesteilen des Irak unter dem Ansturm der Massen zusammenbrach, bilde­
ten sich kurdische Volksrâte, die vorübergehend die Macht übemahmen, ebe sie der
Kontrolle der groBen südkurdischen Parteien
untenvorfen und wenig spâter unter dem Ansturm der zurückkehrenden Truppen des
Baath-Regimes zerschlagen wurden. So, wie
der preuBisch-deutsche Militarismus seinen
gerade besiegten Feind Frankreich die Frmâchtigung zur Niederschlagung der Pariser Kommune gab, so erteilte US-Prâsident
George W. Bush sen. seinem gerade be­
siegten Saddam Hussein grünes Licht für die
Zerschlagung der kurdischen Freiheitsrâte.
Fine emanzipatorische Selbstbefreiung der
Kürden war von den USA nicht envünscht.
21
spâter wieder zerfallen oder sich zugunsten
des bürgerlichen Staates wieder auflösen.
Fine Partei, die die Râtemacht propagiert,
muss durch ihr praktisches Beispiel und Vorbild Mehrheiten in den Râten gewinnen.
Weltweit ist die bürgerlich-parlamentarische Herrschaftsform heute in einer tiefen
Krise. Auch in Deutschland beteiligen sich
immer weniger Menschen an Wahlen oder
fühlen sich durch die gewâhlten Parlamentarier vertreten. Die sozialistische Râtede­
mokratie wird damit emeut zur Altemative
sowohl zum zunehmend autoritâren bür­
gerlichen Staat im Neoliberalismus als
auch zu den auch am Mangel echter Ar­
beiterdemokratie gescheiterten staatssozialistischen Systemen. Die Râteidee lebt somit auch im 21.Jahrhundert weiter - und
Kurdistan ist hier cin Teil der Avantgarde.
In nordkurdischen Stâdten, die von demokratischen Volksparteien wie der inzwischen
verbotenen DTP und ihrer Nachfolgerin
BDP verwaltet werden, bilden sich unterstützt von den Stadtverwaltungen Râtestrukturen für einen demokratischen Kommunalismus heraus. Noch fmdet der Aufbau
dieser Râte inmitten feindlicher Belagemng
durch den türkischen Staat statt und kann darum vorerst nur eine Minderheit der Be­
völkerung erreichen. Und noch wurde die
Figentumsfrage nicht gestellt. Der GroBgrundbesitz der Aghas wurde nicht angetastet. Für die kurdische Revolution wird es
zur strategischen Frage, ob es gelingt, eine
demokratische Autonomie soweit zu erkâmpfen und zu verteidigen, dass der türkische Staat die Râtestrukturen nicht mehr
angreifen kann. Und das System des de­
mokratischen Konföderalismus muss um
eine wirtschaftliche Komponente enveitert
werden. Das bedeutet, über eine Landreform
ebenso nachzudenken, wie über eine demokratisch geplante und durchgeführte
nichtkapitalistische Fntwicklung des Landes durch Kooperativen. Solange aber der
türkische Kolonialismus über Kurdistan
herrscht, ist der demokratische Konfödera­
lismus eine Schule der radikalen Demokratie
und eine Kulturrevolution, durch die immer
weitere Teile der Bevölkerung aktiv in den
Kampf um Befreiung und Selbstbestimmung
einbezogen wird. Das Frbe der Kommunarden von 1871 lebt heute weiter - in den
Guerillacamps in Kandil ebenso wie im
Hüchtlingslager Maxmur und in der Stadtverwaltung von Amed.
***
Bewahren wir uııser Dasein und eriangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
Die Eziden
Religionshistorische Herkunft des Ezidentums / Tausi Meleks
Kaptan Özdemir - YXK Hamburg
Es gibt verschiedene Theorien aber
kein Schriftmaterial über die Herkunft der
Eziden (=„Der, der mich erschaffen haf).
und der Entstehung der ezidischen Religion, deshalb ist es schwierig, genau zu bestimmen wie alt diese Religionsgemeinschaft ist:
Eine unter dem ezidischen Volk stark
verbreitete Theorie ist die der Verbindung
zum Zoroathrismus, der durch die Reform
Zarathustras entstand. Indizien für Gemeinsamkeiten gibt es viele, wie beispielsweise die von den Eziden gesprochene Sprache. Als viele Zarathustrier
nach den arabischen Eroberungen aus
Persien flüchteten, wurden die, die in
den Norden Emigrierten „Yezdan Perest", also Gottesanbeter genannt, was
wiederum die Verbindung über den Namen
der Eziden darstellt.
Viele Elemente, oder gar der Ursprung
der ezidischen Religion sollen, so eine weitere Theorie, von der Mitras-Religion abstammen. Âhnlichkeiten gibt es bei dem
Namen der Eziden, der Yazata, dem im alten Iran für die Mitras-Religion ver-
wandten Begriff âhnelt. Weiter ist die
Sonne, die bei den Eziden von Sheikh
Schems symbolisiert wird in beiden Religionen heilig. Charakteristisch bei der ezi­
dischen Feier für „Izîd" und bei der Mitrasfeier zu Geburtstag Mithras, was zur
gleichen Zeit stattfmdet ist die Zündung des
Feuers. Genau so, wie die Anhânger der
Mitras-Religion zu Ehren Mithras, opfem
auch die Eziden im heiligen Lalish zu Eh­
ren Sheikh Schems einen BuUen bei den
Herbstfeierlichkeiten.
Eine weitere Theorie ist, dass der Tausi-Melek von seiner religionshistorischen
Herkunft her der sumerische Gott Nabo sei,
Hauptfigur in der babylonischen Reli­
gion. Der Gott der Sumerer im alten Mesopotamien, 6000 bis 7000 vor Christus,
sei für die Babylonier wie Tausi-Melek für
die Eziden der Ursprung der Weisheit, der
Herr der Landwirtschaft und der Belehrer
der Menschheit. Zudem sei die Funktion
des Tausi-Melek beim ezidischen Jahreswechsel identisch mit der des Nabo im ba­
bylonischen Jahreswechsel. Wie die Ezi­
den begingen die Babylonier ihr Neu-
jahrsfest im April. Mittwoch, der heilige
Tag der Eziden, der in Verbindung mit Tau­
si-Melek steht, war auch den Babyloniem heilig und steht in Verbindung mit
Merkür, dem Planeten, der Nabo symbo­
lisiert.
Tausi Melek - Engel Pfau
AuBer Gott existieren in der ezidischen
Religion die sieben Erzengel. Auch in den
drei groBen Weltreligionen begegnet man
fast den gleichen Personalitâten. Tausi Me­
lek, der als Engel Pfau personifiziert
wird, ist das Oberhaupt der anderen sechs
Engel und er ist an der Gestaltung der Welt
und an der Schöpfung von Adam und Eva
beteiligt. AuBerdem herrscht er im Auftrag
Gottes über die Welt. Nach Ansicht der
Eziden ist der Tausi Melek der Ursprung
für Weisheit, denn er ist der Stellvertreter
Gottes.
Es wird berichtet, dass der gefallene En­
gel 7000 Jahre im höllischen Feuer verweilte - den er weigerte sich vor Adam
niederzuknien, da er aus Feuer bestünde
und Adam nur aus Lehm - und füllte aus
Reue über seine vorhergegangenen Handlungen sieben groBe Tonnen mit seinen
Tranen. Gott gerührt durch die Reue und
das Weinen, verbesserte sein Naturell und
sein Inneres, lieB ihn ins Paradies zurükkkehren und liebte ihn vor ailen übrigen
Engeln.
Danach übertrug er ihm den Vorstand
über die Engel. Mit den Tranen des gefallenen Engels, die in den Tonnen waren,
soll das HöUenfeuer gelöscht worden
sein.
Pfauen-Symbolik
In der Religionsgeschichte hatten die
Völker für den Sonnengott verschiedene
Vogelsymbole; bei den Âgyptem war es;
der Falke, bei den Griechen der Schwan
und bei den Indem der Adler. Bei den Ezi­
den ist es bis heute der Pfau.
22
Bewalıren wir unser Dasein und erlaııgen wir uıısere Freiheit!
RONAHI
Gesellschaft / Analyse
Es wird durchweg angenommen, dass
das Symbol Tausi-Meleks der Pfau (Vogel)
ist. In der Mythologie der Eziden spielt die
Geştalt des Pfaus zweifelsohne eine wesentliche Rolle. Dieser Vogel symbolisiert
aber weder Tausi-Melek noch wird er als
Gottheit verehrt. Vielmehr wird er als Sym­
bol des Sonnengottes Schemesch aus der
Zeit der alten Völker Mesopotamiens
ü b e r n o m m e n . Die Earbenvielfalt und
Schönheit des Pfaus übertrugen die Eziden
auf Tausi Melek. Die Tatsache, dass die
Eziden eine Parallele zwischen der Symbolik des Pfaus und Tausi Melek herstellen, widerspricht nicht der alten Idee,
dass der Pfau ein Symbol des Sonnengottes
ist.
SheikhAdi
Über die Herkunft des Sheikh Adi gibt
es viele Spekulationen und Vermutungen.
Eine Variante ist die Erforschung des
ehemaligen französischen Vizekonsuls in
Mosul, Sioffi N . Dieser offenbart, dass
Sheikh A d i , den die Ezidis als den zweiten Stifter ihrer Religion verehren, der zu
seiner Zeit hochberühmte Sufi A d i ben
Musafir al-Hekkari (ca. 1070 - ca. 1160 n.
Chr.) war. Dieser Adi ben Musafir zog sich
den Beinamen al-Hekkari zu, da er sich auf
Grund einer Offenbarung, die ihm zuteil
wurde, in das Hekkari -Gebirge bei Mo­
sul zurückzog. Diese Offenbarung geschah in Eorm einer Erscheinung des
Tausi Melek; dieser soll ihm kultische und
ethische Vorschriften offenbart haben,
woraufhin er nach Mosul zurückgekehrt
sei. Nach diesen Vorschriften sollte er seine Jünger lehren. Diese ihm zuteil gewordenen Vorschriften habe er mit Strenge und Energie als durchgreifende Reformen bei den Eziden einzuführen. Einige
dieser Reformen waren: Das Verbot der
Heirat zwischen nahen Verwandten, Ordnung der Eunktionen und Rangstufen der
Kulturdiener, Einführung der Kindertaufe, Verbot von Mord Diebstahi und Meineid und dem bis heute bestehenden
Brauch, sich aus den Angehörigen der Gemeinde „Schwester oder Bruder für das
Jenseits" zu wâhlen.
Die Heiligen Bücher
Die Geschichte und Leğenden der Ezi­
den bestehen nicht ausschlieBlich aus
Überlieferungen, die heute noch durch die
mündliche Eorm weitergegeben und erlebt
werden. Neben den mündlichen Überlie­
ferungen existieren zwei religiöse Bücher,
das Buch der göttlichen Offenbarung und
das Schwarze Buch.
Die Weitergabe der religiösen Traditionen erfolgt in der ezidischen Gesell­
schaft mündlich. Es fehlt eine verbindliche schriftliche Eixierung der religiösen
Überlieferung, die durch die Geschichte
hindurch hâtte befragt und Quelle für die
Reflexion hatte werden können. Auch
die beiden Heiligen Bücher der Eziden besitzen in ihrer Aussagekraft über das Ezidentum keinen allgemeinverbindlichen
Charakter. Teilweise entsprechen die beschriebenen Inhalte nicht den ezidischen
Vorstellungen. Trotzdem kann diesen Büchem als Zeitdokumente der ezidischen
Theologie eine groBe Bedeutung beigemessen werden. Die in den Büchem enthaltenen Mythen über die Weltschöpfung, die Entstehung der Engel mit Tausi
Melek an deren Spitze sowie in Teilen die
als verbindliche Gesetze formulierten Taburegeln und Meidungsgebote lassen sich
auch heute in der ezidischen Lehre wiederfinden.
Die Religiösen Klassen
Die yezidische Gesellschaft unterteilt
sich seit Scheikh Adi in drei streng endogame Kasten. Die Gmppen sind unterteilt
in Laien - die kurdische Bezeichnung
lautet „Mirid" (das allgemeine Volk) - und
die Kaste der Geistlichen, die sich dann
noch in zwei weitere Kasten unterteilt - die
Kaste der „Sheikh" und die der „Piri'. Die
Zuordnung der Kasten erfolgt nach dem
Vererbungsprinzip. Die Geistlichen haben
die Eunktion, die Laien zu betreuen und in
der religiösen Lehre zu unterweisen. Darüber hinaus übemehmen sie wichtige soziale Eunktionen. Im Gegensatz zum Kastenwesen im Hinduismus haben die Ka­
sten im Ezidentum nicht die Eunktion, eine
weltliche Hierarchie herzustellen, sondern sie leğen hauptsachlich religiöse
Eunktionen fest. Jeder Ezide - auch ein
Sheikh oder Pir - muss einen Sheikh
oder Pir haben, der für üın zustândig ist und
ihm als spiritueller Eührer dient. Durch
ihre Einführung wurde eine komplexe
Gesellschaft geschaffen, die aufgrund der
gegenseitigen Abhângigkeit zu einer star­
ken Zusammenhalt unter den Eziden geführt hat.
23
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
vergleichbar mit dem Ereitag für die Muslime oder Sonntag für die Christen. Mittwochs und im April sind Hochzeiten
untersagt. In der ezidischen Mythologie ist
der April selbst eine Braut; die Erde darf
in diesem Monat nicht bestellt werden, da
sie zu dieser Zeit schwanger ist. Der Bau
von Hâusern ist in diesem Monat zu
unterlassen, da er als ein besonders religiöser Monat aufgefasst wird.
Zusammenfassung
Das Lalish Tal
Im Lalish Tal befınden sich, die als Heilig geltenden Wasserquellen Kaniya Sipi
(Wei6e Quelle), Kaniya Zemzem (Zemzem
Quelle), Sikefta Berat (Berat Höhle) und
die Pira Silat (Silat Brücke). Hier liegt auch
das Grab von Sheikh Adi sowie anderer
ezidischer Heiliger. Die Silat Brücke
trennt im Lalish Tal den Heiligen Bereich
vom restlichen Tal. Die Brücke darf nur
Barfuss nach einer religiösen Waschung.
überquert werden. Der Heilige Bereich des
Lalish Tals darf nur Barfuss betreten werden.
Das Tal liegt nordöstlich von Mesul im
heutigen Irakisch-Kurdistan. In der Ezidischen Schöpfungsgeschichte wird die
wichtige Bedeutung folgendermaBen angepriesen:
„Gott hat die Ferle angepustet, dadurch wurde die Ferle erwârmt. Sie wurde rot und zerplatzte in mehrere Stücke.
Aus dem gröBten Stück entstand die Sonne, aus anderen Stücken die Steme und
Dampf. Aus dem Dampf entstanden Wolken, es regnete und das Meer entstand. Gott
schuf dann ein Schiff und setzte die sieben
Engel in das Schiff. Daraufhin fuhr das
Schiff in aile Himmelsrichtungen aus.
Da zu diesem Zeitpunkt die Welt ausschlieBlich aus Meer bestand, wollte Gott
festen Boden schaffen. Er warf Lalish (die
24
Materie Lalish) ins Meer und an dieser
Stelle wurde das Meer fest. Nachdem
Teieres zu festem Boden geworden waren,
strandeten die sieben Engel in Lalish''.
Tabus, Essen und Speise-Verbote
An erster Stelle ist das Endogamiegebot zu erwâhnen, d.h. ein Ezide kann nur
innerhalb der ezidischen Gemeinschaft und
innerhalb der religiösen Klassen heiraten,
ein Ezide der auBerhalb der Gemein­
schaft heiratet, ist im strengen Sinne kein
Ezide mehr. Eine Missachtung hat in der
Regel den Ausschluss aus der ezidischen
Gemeinschaft zur Eolge.
Eine weitere Besonderheit der ezidi­
schen Religion ist das Verbot das Wort
„Teufel" oder andere Worte mit gleicher
Bedeutung oder mit âhnlichem Klang
auszusprechen. Allein schon durch die Aussprache des Wortes Teufel erkennt man an
dass es neben Gott eine weitere Macht gibt.
Das Eluchen ist ebenfalls tabuisiert.
Verbotene Nahrungsmittel sind Okraschoten, Kürbis, Kohl, grüner Salat, Fisch,
Gazellen- und Schweinefleisch,
Die Zwiebel dagegen hat eine hohe Be­
deutung. Die Zwiebel spielt im Totenkult
der Eziden eine Rolle, indem sie ihre Toten mit Zwiebelsaff einreiben und ihre Grâber mit Zwiebeln bepfIanzen. Der Mittwoch ist für die Eziden ein heiliger Tag,
Die ezidische Religion kennt - anders als
der islam und das Christentum - nicht die
Vorstellung von einem Widersacher gegenüber dem göttlichen Willen. Die Vorstel­
lung der Existenz einer bösen Kraft ist bei
den Eziden nicht vorhanden. Vielmehr ist
Gott einzig, allmâchtig und allwissend.
Nach ezidischer Vorstellung kann keine zweite Kraft neben Gott existieren, die
ohne seinen Willen etwas verrichten kann.
Die Aussprache des Wortes des Bösen
wâre gleichbedeutend mit der Akzeptanz
der Existenz dieser bösen Kraft und stellt
eine Gotteslâsterung dar. Der Begriff wird
von Eziden daher nicht ausgesprochen. In
diesem Zusammenhang sei ervvâhnt, dass
die Eziden keine Faradies-Höllen-Theorie
haben. Eziden glauben an Seelenvvanderung (kurdisch: kirasguhertin, Wiedergeburt).
Der Mensch ist in erster Linie selbst verantwortlich für sein Wirken. Aus ezidischer
Sicht hat Gott dem Menschen die Möglichkeit gegeben, zu sehen, zu hören und
zu denken. Er hat ihm den Verstand ge­
geben und damit die Möglichkeit, für
sich den richtigen Weg zu gehen.
So symbolisiert Tausi-Melek in der
ezidischen Theologie nicht das Böse und
ist auch kein in Ungnade gefallener Engel.
Aufgrund der Weigerung, Adam anzubeten, steht er für die Anerkennung der Allmacht Gottes. Er wurde von Gott zum
obersten der sieben Engel erkoren und steht
somit im Mittelpunkt des ezidischen Glaubens. Nach der Schöpfungsgeschichte der
Eziden ist Tausi-Melek an der gesamten
Schöpfung, an dem göttlichen Flan aktiv
beteiligt. Eolglich verkörpert Tausi-Melek
nicht den \Viderpart in einem dualen
Weltbild, sondem ist der Bevveis für die
Einzigartigkeit Gottes.
***
Bevvahren wir unser Dasein und erlangen wir uıısere Freiheit!
RONAHr
Gesellschaft / Analyse
Feuer, H o f f n u n g , W i d e r s t a n d
Ein Tag in
rned
Ein Bericht der Newroz-Delegation 2010
Can Melita
Der Blick in die Augen der Jugendlichen
das Gesicbt ibrer Genossin zu zaubem. Docb
ge; dass „solange die Frau in der kurdiscben
aus Kurdistan spricht Bânde. Er lâsst den Ein-
die eigentlicbe Bedrückung ist damit be-
Gesellschaft nicbt befreit ist, es aucb kein freies
blick in unschuldige Seelen gewâhren. See-
gründet, dass Berivan die Erzâblung nicbt ver-
Kurdistan geben kann", keine Sympatbien auf-
len, welche geprâgt sind von Leid, Pein und
steben konnte, weil in ibrem Hause ein an-
bauen können. Gülistan fügt ergânzend die bi-
Schmerz. Doch ist ebenfalls eine lodemde
derer Dialekt gesprocben wird. Plötzlicb
storiscben Erzeugnisse der Frau seit der Zeit
Flamme zu erkennen. Glimmendes Eeuer
taucbt der 7 Jâbrige Scbubputzer Firat auf, und
des Neolitbikum binzu, und defıniert ge-
zeichnend für Hoffnung, Glauben und Mut.
teilt den beiden Damen auf eine cbiffrierte
sonderte Cbarakteristika für die Frau, wie bei-
Das Blut pulsiert, in den Venen ist ein Krib-
Weise mit, dass ein Zivilpolizist ibnen auf den
spielsweise bobes Empatbievermögen, In-
beln zu spüren, der Wille zur Verânderung ist
Versen liege. Impulsiv trennen sicb ibre
novationskraft und Kreativitat. Ebenfalls
unermesslich. Berxwedan (deut.: Wider-
Wege, obne dass nocb ein Wortwecbsel
werden an die legendaren Mârtyrerinnen Be-
stattfindet. Im Parteigebâude angekommen,
rîtan, Züan, Vîyan Soran und die deutscb-stam-
Beide Zeiger der Uhr stehen auf sechs,
wird gerade die aktüelle Ausgabe der Publi-
mige Ronabî gedacbt, dessen Portrats an
wenn Berivan am frühen Morgen das Haus
kation „Yurtsever Gençlik" (deut.: Patrioti-
den Wânden im Zimmer angebracbt sind.
verlâsst. Beim Abschied, wünscht ibre Mut-
scbe Jugend) verteilt. Dabei erwâbnt der aus
stand) lautet die Lebensphilosophie.
ter ihr viel Erfolg in der Schule und küsst sie
Colemerg stammende Bote namens Botan,
auf die Augen. Nach etwa 500 Metem weicht
dass in Wan,2 Tage zuvor 9 von 10 Kurieren
Berivan vom Schulweg ab und klopft an der
von der Polizei aufgespürt und verbaftet
Tür von Ronahi. Die beiden 17 Jâhrigen jun-
worden sind.
gen Erauen begrüBen sich so, als ob sie sich
Bilder des Widerstands
Beim anscblieBenden Frübstück wird darüber gestritten, wer mebr von den Teigwaren
Spontan ruft die Jugend- Regionalvorsit-
essen soll, welcbe Berfin von zu Hause mit-
seit Jahren nicht mehr gesehen hatten. Ro­
zende Rojgul zu einer Sitzung im Konfe-
gebracbt bat. Jede der Anwesenden teilt die
nahi ist Waise, ibre Eltem karnen wâbrend der
renzraum auf. Es werden einige Artikel aus der
Meinung, dass sie selbst gesattigt genug
Dorfverbrennungen durcb das türkiscbe M i -
neuen Ausgabe der Yurtsever Gençlik laut vor-
wâre, aile anderen aber nocb etwas mebr es­
litar Mitte der 90er Jabre ums Leben. Seitdem
getragen, um sie anscblicBend gemeinsam zu
sen solken.
lebt sie mit ibren drei jüngeren Gescbwistem
analysieren. Dabei entstebt
in einem der Elendsviertel von Amed, in ei-
ein Diskurs zwiscben Ave-
nem Haus, dessen Wânde aus ein paar
sta und Dilciwan bezüglicb
scbimmligen Holzplatten besteben, und in
eines Essays über die Po-
dem weder Strom nocb Wasser flieBen.
sition der Frau in der kur-
Nacbdem Berivan ibre Scbuluniform durcb
discben Freibeitsbewegung.
eine Jeans und ein scbwarzes Hemd (bezüg-
Auf die Tbese von Dilci-
licb des Gedenken an den 16. Marz, dem 22.
wan, wonacb die Füb-
Jabrestag des Giftgasangriffs auf die süd-
rungsroUe durcb einen ein-
kurdiscbe Stadt Halabja) ersetzt bat, macben
zelnen Mann getragen wür-
sicb beide auf den Weg ins Gebâude der Par-
de, und es aus diesem
tei. Als ein Militarpanzer an ibnen vorbei rast,
Aspekt keiner administrie-
kommt Ronabi eine bumorvoUe Anekdote in
renden Eraueninitiative be-
den Sinn. Berivan zeigt drauf bin ein trüb-
darf, entgegnet Avesta mit
sinniges Gesicbt. Auf die Befürcbtung bin,
dem Eaktum, dass ein
dass die traurige Mimik damit zusammen-
GroBteü der Manner der pa-
bangen könnte, dass der Vater von Berivan
triarcbal geprâgten Gesell­
dem Militar als Eeldwebel dient, versucbt Ro­
schaft Kurdistans mit Öca-
nabi mit einem Scberz wieder ein Lacben auf
lan aufgrund seiner Aussa-
25
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Gesellschaft / Analyse
Kontrollkameras installiert sind. Unter den
Aktivistinnen sind auch Berivan und Ronahi vertreten. Am Vortag hatte Berivan unter
einem Müllcontainer in der Nahe ihrer Schule eine Tüte mit Wechselkleidung platziert.
Nachdem sich die beiden Freundinnen umgezogen haben, machen sie sich im schnellen Schritt auf den Weg nach Hause. Berivan
besorgt auf dem Weg ein paar Sesamringe für
die Geschwister von Ronahi, dessen Magen
vor Hunger plarren müsste.
Menschliche Liebe
Die Sonne in Amed neigt sich ihrem
Untergang. Man meint den Geruch von
qualmender Asche zu duften. Ein Duft, der
einem das Gefühl von Freiheit verleiht. Ein
Schwarm weiBer Tauben schwebt durch die
Lüfte der Abenddammerung. leh schlieBe
Cane, Zana und Serxwebûn bereiten
Mitte 30 Jâhriger Mann vorbei, in seinen
wâhrenddessen Plakate für die anstehende
Handen ein Plakat. „Edî bese!- Es reicht!
Halabja- Gedenkdemonstration vor. Vor
Schluss mit Krieg und Vemichtung" steht auf
dem Parteigebâude haben sich tausende
dem Plakat geschrieben. Die Sehnsucht
Frauen, Mânner, Jugendliche und Kinder
nach Erieden und dem Stopp des Blutver-
versammelt.
gieBen ist in seinen Augen zu erkennen.
Aus den Lautsprechem des BDP-Busses
Wenige Sekunden spâter beginnt der De-
ertönen die Klânge eines alten Volksliedes
monstrationslauf. Es erscheint einem so, als
von Sivan Penver, in dem an den Angriff auf
ob der Boden unter einem beben würde. Die
die Stadt Halabja durch die irakische Armee
Menge verleiht ihrem Streben durch Parolen
gedacht wird. Waren es in Halabja irakische
den Ausdruck. Parolen, dessen Klangfar-
Soldaten, die das Massaker verschuldeten,
be von einer facettenreichen Melancholie
sind es heute in Amed türkische Streitkrâf-
gepragt sind. Schreie aus der Seele lassen
te, welche durch ihre Prâsens bei der De-
die unterschiedlichsten Gefühle wie Wut,
monstration für Verangstigung sorgen.
Trauer, Schmerz, Hass und auch Liebe in-
Trânen tropfen ihre Wangen herunter, als
einander verschmelzen.
eine âltere Frau kurz vor Demonstrations-
Mit jedem Schritt, den die Masse tatigt,
beginn ein Klagelied vortrâgt. Ihr Gesicht ist
wachst der Demonstrationszug. Die La-
gezeichnet von tiefen Wunden und von
denbesitzer schlieBen ihre Geschafte, die
Schmerzen erzahlenden Narben. Zwei ihrer
Schülerlnnen strömen aus den Klassen-
Töchter hatten sich der Guerilla ange-
raumen und die Kinder beim FuBbalIspiel
schlossen. Im letzten Jahr sind beide inner-
gehen in die Halbzeit, um an dem Volks-
halb eines kurzen Zeitraums im Sarg liegend
marsch mit teilnehmen zu können.
in ihre Heimat zurückgekehrt. In einer Pe-
Kurz vor Ende der Demonstration taucht
riode, welche der türkische Staatsprasident
eine Gruppe camouflierter Jugendliche auf,
mit den Satz einleitete, in dem es heiBt, dass
welche sich binnen weniger Sekunde zu ei­
gute Dinge geschehen werden. Am Stra-
ner Menschenpyramide positioniert hat. Die
Benrand steht ein kleines Kind, welches
Person an der Spitze hisst eine Flagge, auf
wahrscheinlich in diesem Moment seine
welcher Abdullah Öcalan abgebildet ist. Es
ersten Schritte tatigt, und hebt dabei eine
ertönen Rufe, in denen das Volk ihre Ver-
Hand, geformt zum intemationalen Peace-
bundenheit zu üırem Reprâsentanten zu Aus­
Zeichen, in die Luft. Ob es zukünftig in ei­
druck bringt. Blitzartig ist die Gruppe auch
ner friedlichen Gesellschaft aufwachsen
schon wieder verschwunden. In zweier Teams
wird, bleibt ungewiss. Neben ihm lâuft ein
werden Zielpunkte anvisiert, in denen keine
26
meine Augen, spreize meine Flügel und lasse mich vom Wind treiben.
Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend
Worte aus. Um die Atmosphare von Amed so
authentisch wie möglich dem Beobachter zu
veranschaulichen, wurden versucht Bilder zu
malen, in denen die Emotionen, Umstânde,
Beweggründe und Aktivitâten an Ausdruck
gewinnen. Die Erzahlung richtet dabei ihr
Hauptaugenmerk auf die Jugend, deren Lebenssichtweise grenzenlose Faszinationen
auslöst. Trotz gröBter Barrieren und Risiken,
trotz den Hürden, die auf individuellen
Schicksalsschlâgen basieren, strahlen die
Gesichter der Jugendlichen aus Kurdistan vol1er Motivation, Optimismus und Hoffnung.
Selbst in Situationen in denen alles schief zu
verlaufen erscheint, ist eine Erfolg versprechende Atmosphare zu spüren. Nie ist auch
nur der kleinste Wermutstropfen zu verzeichnen. Bemerkenswert ist in gleicher
Weise der Gemeinschaftsgeist, welcher dem
Ausdmck 'menschlicher Liebe' eine neue Bedeutung beimessen lasst.
Uns haben die Eindrücke, welche wir
wâhrend unserer Amed-Reise gevvonnen ha­
ben stark gepragt. Wir von der Y X K hoffen und erwarten, dass die Leserlnnen
von der gleichen Motivierung wie wir
profitieren werden, um zukünftig im gröBeren Rahmen noch effektiver und organisierter zu agieren.
***
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHI
Gesellschaft / Analyse
Netzwerk kurdischer
Akademikerlnnen
KURD-AKAD
Netıw€rk kurdischer
Akademikerlnnen e.V.
Gülşen Sevindiren - Emel Engintepe
demikerlnnen in Deutschland und Europa und
dient somit dem Transfer von Erfahmngen in Pohtik und Profession. Einerseits ist es uns ein An­
liegen, wissenschaftliche Arbeiten zu den Themenfeldem Kurdinnen und Kurdistan zu fbrdem.
Andererseits soll die Arbeits weise nicht auf theoretischer Auseinandersetzung verharren, sondem gesammelte Bildungsressourcen bündeln
und zum Einsatz innerhalb der kurdischen Bevölkerung verhelfen, um Bildungskompetenzen zu potenzieren. Eines der bedeutsamsten Zie­
le ist die Schaffung einer adaquaten Interessenvertretung kurdischer Migrantinnen auf
deutscher bzw. europaischer Ebene. Zugegeben
ein sehr anspruchsvolles, aber dennoch erstrebenswertes Ziel.
Nicht zu vergessen ist die Unterstützung be­
reits bestehender Hilfsorganisationen, sprich sozialer Projekte, in Kurdistan aber auch hier in
der Bundesrepublik Deutschland. Die Satzung
und ein Informationsflyer des Netzwerks sind
über die Intemetseite www.kurd-akad.com einsehbar.
Nach einjahriger Vorbereitungsarbeit, in der
die Ziele und Zweck des Vereins konkretisiert
wurden, erfolgte der Schritt der Vereinsgrün­
dung, der mit einem Gründungskongress im
Februar 2009 bestatigt wurde und aus dem der
derzeitige Vorstand hervorging. Mit der Grün­
dung wurde ein weiteres Kapitel zur ProfiDie Suche nach Betâtigungs- und Artikula- lierung des Vereins erölînet, das über konkrete
tionsfeldem veranlasste einen Kreis ehemaliger Arbeitsgmppen und Aktivitaten zur FortbilStudentinnen, damnter viele ehemalige YXKler, dung und Mitarbeit in den Vereinsstmkturen
ihre gesellschaftspolitische Arbeit fortzusetzen anregte: Zunachst wurden vier Arbeitsgmppen,
und auszuweiten. Im Winter 2007 fand sich eine die an die Satzungsziele anknüpfen, eingeGruppe von Gleichgesinnten zu einem „Ehe- richtet. Eine Arbeitsgmppe zur ,fördemng von
mahgentreffen" zusammen. Dort wurde die Idee Wissenschaft und Forschung", eine zur „Bileines Netzwerks von Akademikerlnnen geâu- dungsarbeit für Frauen und Jugendliche",
Bert und eine Vorbereitungskommission ge- eine zur „Sicherung der politischen Interesgründet, die sich im Jahr 2008 regelmaBig traf. sensvertretung" und schlieBlich eine AG zur
Bei den Treffen wurden die ersten Ansâtze für „Unterstützung soziale Projekte". Die Ar­
thematische Arbeitsgmppen eines Netzwerks ge- beitsgmppen richten sich an Mitglieder und
schaffen und konkrete Projektideen entwickelt. Interessierte und bieten ein geeignetes Fomm,
Zudem wurde die Intention eines Netzwerkes sich an der Vereinsarbeit zu beteiligen und sie
kurdischer Akademikerlnnen prâzisiert und inhaltlich mitzugestalten.
Im Zuge der Aktivitaten, die sich dem
formuliert.
Das Netzwerk steht in erster Linie für eine so- Gründungskongress anschlossen und vom
zialpolitische Vemetzung der kurdischen Aka­ Vorstand organisiert wurden, konnte im Mai
Vıelleicht haben einige von Euch bereits von
der Gründung des Netzwerkes kurdischer Aka­
demikerlnnen im Februar 2009 gehört. Möglichenveise stoBt Ihr aber das erste Mal auf den
Vereinsnamen und habt Interesse zu erfahren,
was sich dahinter verbirgt. Wir, vom derzeitigen Vorstand, möchten Euch die Gründungsintention, Ziele und Arbeiten des Vereins an dieser Stelle nâher bringen.
Das Netzwerk kurdischer Akademikerlnnen
(Kurd-Akad) ist eine Vereinigung von Hochschulabsolventen und die Vereinsgründung ist
ver dem Hintergrund unterschiedlichster Erfahrungen entstanden. Viele der Absolventen,
die sich wâhrend des Studiums für die gesellschaftspolitischen Belange der Kurdinnen eingesetzt hatten, wollten Ihr Engagement fortführen. Dies lag überwiegend in der kontinuierüchen Teünahme an Diskussions- und Weiterbildungsveranstaltungen begründet, die im Studium für politische Beteüigung- und Ausdrukksmöghchkeiten sorgte. Andere Absolventinnen
konnten sich erst nach dem Studium ihren politischen Interessen widmen und waren auf der
Suche nach Organisationen und Institutionen,
die Ihnen und Diren Anliegen gerecht werden
soUten. Mit Abschluss der Bemfsausbildung bot
sich Zeit und MuBe für cin professionelles En­
gagement, aber es mangelte an geeigneten
Plattformen zur politischen Artikulation.
2009 eine Studienreise zum kurdischen Institut in Wien, das unter der Leitung von Prof. Dr.
Jelile Jelil steht, durchgeführt werden. Spater
im Oktober 2009 folgte ein Jahresempfang in
Köln, bei dem sich Mitglieder und Interessierte
zum 'social networking' trafen. Krönender Ab­
schluss der Vereinsarbeiten im Jahr 2009 bildete die Fachtagung in Kasbach-Ohlenberg un­
ter dem Titel „KurdInnen in Wissenschaft und
Politik" im Dezember. Auf unserer Intemetseite
www.kurd-akad.com liegen der Verlauf und ein
Bericht der Tagung veröffentlicht vor.
Mit dem Gründungsjahr 2009 ist das Fundament für eine solide und anspmchsvoUe Ver­
einsarbeit gelegt worden. Die Planung des derzeitigen Vorstands sieht die Vorbereitung der
nachsten Mitgliedervollversammlung im Marz
2010, eines Workshops zu den Arbeitsgmppen
im April und die Organisation einer nachsten
Studienreise zum kurdischen Institut in Paris
im Mai 2010 vor.
Da ein Teil der Kurd-Akad Mitglieder vormals im YXK aktiv war und die Studenten von
heute die Akademiker von morgen sind, sind Erfahmngsaustausch und gemeinsame Arbeiten
ausdrücklich envünscht. Aufgmnd dessen ha­
ben erfreulichenveise einige YXKler die Fach­
tagung in Kasbach-Ohlenberg besucht. Zu­
dem nahmen Vorstandsmitglieder und Bochumer Ortsgmppensprecher des YXK an der
sich anschlieBenden Vorstandssitzung teil, bei
der wir uns einvemehmlich auf eine Kooperation beider Organisationen geeinigt haben. Im
Zuge dessen wird erstens eine Zusammenarbeit
bei der Gestaltung der Bildungsseminare des
YXKs vorbereitet und zweitens werden regelmâBige Treffen geplant, die sich an aile politisch
engagierte Studentinnen richten. Diese Treffen
werden über die Email-Verteiler beider Orga­
nisationen bekanntgegeben.
Eine solche Form der Kooperation güt es auszubauen und die Studierenden sind frei nach dem
Motto „Studenten ^nd unsere Zukunft", herzhch dazu eingeladen, unsere Vereinsarbeit zu bereichem..
Vereinskonto: Sparkasse Dortmund
Kontonummen: 911002469 BLZ: 44050199
Bewahreıı wir ııııser Dasein und eıiangen wir unsere Freiheit!
Irau / Gesellschaft
RON AHÎ
Bericht über das Bildungsseminar der
YXK-Frauenkommission bei Utamara e.V.
YXK - Frauenkommission
Im Zeitalter des Liberalismus werden Menschen als
Individuen vereinzelt. Zunâchst hat jeder Mensch die
Chance sich zu venvirklichen und seine Trâume zu
erfüllen. Allerdings kâmpft „jeder gegen jeden" und
das Konkurrenzverhalten unter Menschen wird in die
Höhe getrieben. Natürlich bleiben wir kurdische
Studentinnen davon nicht verschont. Deswegen liegt
es an uns, die notwendigen Fragen zu stellen, zu diskutieren und unsere Sichtweisen von der herrschenden Logik zu befreien. Daher haben sich YXKlerinnen von 24. his 25. Juli 2010 in der Frauenbegegnungsstâtte Utamara e.V. getroffen. Die YXKFrauenkommission hat die Organisation durchgeführt.
Utamara wurde 2006 durch die IFF gegründet (Internationale Freie Frauenstiftung). Sie hat sich zum Ziel
gesetzt, Frauen mit unterschiedlicher Identitât zu star­
ken und den Austausch unter ihnen zu fördem. Insbesondere sollen sie ermutigt werden, ihre Begabungen
und Fahigkeiten zu entdecken und weiterzuentwickeln. Des Weiteren soll die Solidaritat unter
Frauen gefördert werden, um sich gegen jegliche Gewalt in der Gesellschaft zu schützen und zu Wehr zu
setzen. Weiterhin haben wir uns mit den folgenden
Themen im Rahmen von Seminaren, die von Genossinnen aus der Frauenbegegnungsstatte geleitet wurden, auseinandergesetzt.
1) Kapitalistische Modemitât und die Wirkung auf
das Studentenleben
2) Frauenorganisation in der kurdischen Freiheitsbewegung
3) Vorstellung der Kampagne: „Unser Freiheitskampf wird der Vergewaltigungskultur ein Ende bereiten!" und Vorstellung des Aufrufes zur gemeinsamen Organisierung eines Weltfrauenkongresses anlâsslich des 100. Jahrestages des Intemationalen
Frauentages am 8. Mârz 2010.
Im ersten Seminar wurden die BegriffIichkeit
„Kapitalistische Modemitât" defmiert. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass der Kapitalismus
im 19. Jahrhundert durch die Industrialisiemng entstanden ist. Allerdings hat die Referentin angeführt,
dass der Urspmng des Kapitalismus schon 5000 Jahre zuvor in der summerischen Zivilisation anzusetzen
ist. Zu jener Zeit haben Mönche durch das Anhâufen
von Mehrprodukt/Mehrwert Kapital gesammelt und
dadurch Reichtum erlangt. Bereits damals fıng die Ausbeutung der Menschheit an. In diesem Zusammenhang
ging die Referentin auf die Jungsteinzeit ein und machte Ausfühmngen zu der Lebensweise der Menschen.
Diese Zeit wird auch als Neolithikum bezeichnet. Die
neolithische Zeit war dadurch geprâgt, dass die Frau
Ackerbau, Viehzucht etabliert hat. Zum ersten Mal
wurde durch Ackerbau und Viehzucht mehr produziert
als es Bedarf gab. Menschen glaubten an viele ver-
28
schiedene Göttinnen. Diese neuen Lebensformen hatten Einfluss auf weitere Stâmme. Das Mehrprodukt
wurde den Göttinnen als Opfergabe in den entsprechenden Tempeln überbracht und anschlieBend wurde das Mehrprodukt an aile verteilt. Mit der Zeit ahmten die Mânner diesen Kult nach. Das Mehrprodukt
wurde nun nicht mehr verteilt, sondem sich zu Eigen
gemacht und zur Stârkung der Macht genutzt. Diese
Entwicklung geschah mit einer langen Anlaufzeit. Zu
jener Zeit sind die Gmndbausteine des Kapitalismus
gelegt worden. Die Ideologie des Kapitalismus ist heute der Liberalismus. Im Liberalismus wird gepriesen,
dass es Freiheiten gâbe, aber in Wirklichkeit besteht
eher eine weitgehende Assimilation. Es vverden künstliche Grenzen geschaffen und Menschen werden un­
ter dem Deckmantel der „Toleranz" also durch individualistische Scheinfreiheit ausgebeutet und in Abhângigkeit gebracht. Im Kapitalismus wird nichts Neues erschaffen; Konsum und Geld stehen im Mittelpunkt
und man denkt, dass man frei wâre. Geld heiBt dementsprechend auch Macht und Menschen verhalten sich
entsprechend des jeweiligen Einkommens, welches
sie verdienen. In der kapitalistischen Modeme wird
alles zum Objekt. Überall auf der Welt wird Sport, Sex
und Kunst instmmentalisiert. Der liberalistische Gedanke der Menschen lâsst Widersprüche einfrieren. Nur
sehr wenige Gegebenheiten werden hinterfragt. Insbesondere sind junge Menschen in dem System der
3 S (Spor, Sanat, Sex) integriert. Allerdings haben jun­
ge Menschen mit Migrationshintergmnd in Bezug hierauf eine eher konservative Einstellung. sie werden
durch ihren kulturellen Hintergmnd (Einfluss der Religion) stark beeinflusst und werden zu meist auch aus
der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Das führt
zu konservativen Einstellungen. Früher gab es Jugendbewegungen, die auch was „bewegf' haben. Sie
haben auch hierfür viel Opfer geben müssen. Heute
hingegen sind sie eher passiv und zeigen keine Dynamik. Die Jugend von heute kann die eigenen Pro­
bleme nicht defmieren. Sie stehen in einer Einengung
zwischen dem traditionellen und dem kapitalistischen
System.
Besonders das Verstândnis von Gleichheit ist problematisch: Die Frau soll dem Mann angeglichen vver­
den. Es kommt zu keiner individuellen Entfaltung als
Erau. Es herrscht eine unvvirkliche Gleichheit. SchlieBlich wurde sehr lange über die Rolle der freien Persönlichkeit einer Erau diskutiert.
Zu dem Thema „Frauenorganisation in der kurdi­
schen Freiheitsbevvegung" hat eine Genossin, die seit
über 16 Jahren in der Frauenbevvegung ist, referiert.
Sie erklârte, dass die Entvvicklung der kurdischen Frauenbevvegung sowohl von groBen Schmerzen und
Aufopfemng als auch von Hinterfragung von beste-
henden Umstânden und Widerstand dagegen gekennzeichnet ist. Sie betonte die Wichtigkeit der Organisiemng von Frauen, um menschliche Werte wie
Solidaritat, gegenseitige Unterstützung und Vertrauen zu fördem.
Am Sonntag dem 25. Juli referierte ebenfalls eine
Genossin aus der Frauenbegegnungsstatte über die aktuellen Kampagnen gegen sexistische Gewalt und zur
Stârkung der Frauenorganisiemng.
Die Referentin ist auf die Kampagne eingegangen,
die seit dem 8. Mârz 2010 gestartet ist. "Unser Freiheitskampf wird der Vergevvaltigungskultur ein Ende
bereiten!"(Örgütlülügümüzü yükseltelim, tecavüz
kültürünü aşalim). Sie erlâuterte die Ziele der Kam­
pagne. Sie sagte, dass trotz über 100 Jahren des organisierten, politischen Kampfes von Frauenbevvegungen weltweit geistige, seelische und physische Massaker an Frauen weder aufgehalten und reduziert, noch
überwunden seien. Daher bestehe die Notvvendigkeit
einer umfassenden Systemkritik. Frauenbevvegungen,
die den Anspmch haben, eine radikale Altemative zum
herrschenden System sein zu wollen, müssen ihre Analyse der kapitalistischen Zivilisation und "Modemitât''
einschlieBlich der historischen und gesellschaftlichen
Entvvicklungen verfeinem, unabhângig des Diktats von
systemeigenen Wissenschaftseinrichtungen und Auffassungen.
AnschlieBend wurde nach den Seminaren Vorschlâge für die vveitere Planung der YXK- Frauenarbeit gesammelt. Es wurde der Vorschlag gemacht, die
Arbeit der YXK-lerinnen nicht auf eine Kommission
zu reduzieren, da es die Gefahr in sich verbirgt, dass
sich lediglich eine kleine Gmppe an der Arbeit beteiligt
und nicht aile Mitgliederinnen umfasst sind. Desvvegen
sollte eine Ândemng der YXK-Satzung vorgenommen
vverden, sodass aile Genossinnen mit ihrem Beitritt in
die YXK auch gleichzeitig Mitglied der YXK-Frauen-AG vverden. Weiterhin sollen Seminare an Universitâten zum 25. November organisiert vverden. Insbesondere sollen Bündnisse mit anderen Frauenorganisationen eingegangen vverden.
Der Aufmf zur gemeinsamen Organisiemng eines
Welt-Frauen-Kongress anlâsslich des 100. Jahrestages
des Intemationalen Frauentages am 8. Mârz 2010 soll
inhaltlich angegangen und ausdiskutiert vverden.
Eine YXK-Frauen AG sollte sich bei der Vorbereitung des Welt-Frauen-Kongresses einbringen.
AuBerdem bietet Utamara im Herbst einen Selbstverteidigungskurs für junge Frauen an und aile Freundinnen können sich daran beteiligen. Aile Freundinnen sind dazu aufgemfen, sich mit ihren Ideen und Vorschlâge in die YXK-Frauenarbeit einzubringen.
***
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wîr unsere Freiheit!
R O NAHÎ
Frau / Gesellschaft
Verge vvaltigungskultur
Über die Kampagne des Kurdischen Frauenbüros für Frieden
Cenie.V.
jede Erscheinung und jeden Sinn vor dem te aufgezwungene. Die erste IntervenKontext der Entstehungszeit und in ihrer tion in die gesellschaftliche Fntwicklung
jeweiligen Gesellschaft zu darzulegen. und damit die Installation dieser Mentalitât
Tatsâchlich ist die Ausblendung des hi- im System, war, wie oben angeführt, die
storischen Hintergrunds eine Herange- in die von der Frau hervorgebrachten Gehensweise der autoritâren bzw. herrsch- sellschaftsform. Diese einschneidende
süchtigen Mâchte gewesen, um die Ver- Verândemng der Gesellschaft griff von der
gewaltigungskultur zu verbergen.
ökonomischen Ordnung auf die zwischenGmndsâtzlich dienen die sexistische Ide- menschlichen Beziehungen, die Natur,
ologie und ihre Ableitungen (Pseudo- die Wissenschaft, die Kultur und sogar auf
Wissenschaft, Nationalismus, Religio- die Gedankenwelt über. Dies war die Versitât, Kunst im industriellen Sinne) der wirklichung einer Art Gegenrevolution.
Konkretisierung der Raubkultur. Die Vergewaltigungs- und Raubkultur fâllt zeitlich „Unsere Ehre ist unsere Freiheit"
gesehen in die Übergangsphase von der
Naturgesellschaft zur autoritâren, hierarUnserer Konzeptualisierung folgend
chischen und in Klassen aufgeteilten Ge­ ist die Vergewaltigungskultur eine dem
sellschaft, also in die Anfangszeit der su- mânnlichen System immanente Grundeimerischen Zivilisation. Die Klassenbildung genschaft, daher auch die Zielsetzung
in der bis dahin existierenden Naturge­ unseres Kampfes, nâmlich die völlige
sellschaft führte zum Zerfall dieser und lei- Verdrângung des mânnlichen Systems
tete die Vergewaltigungskultur ein. Auf die­ aus der Mentalitât. Auf Grund dieser Tatser strukturellen Fehlentvvicklung beruht sache ist der zuführende Kampf eine kül­
die von uns kritisierte Mentalitât. Der Zer­ türelle Revolution, die die auf Vergewalfall der Gesellschaft von innen heraus tigung und Raub aufgebaute Mentalitât abdurch aile Schichten hindurch und die Ent­ lösen wird.
stehung der Vergewaltigungs- und Raub­
Am Anfang dieser Ausarbeitung hatten
kultur, welche bis heute andauert, fallen wir angeführt, dass die Missstânde haus­
zeitlich gesehen zusammen. Folglich kön­ gemacht sind. Insofem ist eine grundlenen in der heutigen Gesellschaft Freiheit gende Umwâlzung des Systems notwenund Gerechtigkeit nur dann verwirklicht dig. Frst kürzlich hatten wir, als die Freiwerden, wenn vorher die Vergewalti- heitsbewegung der Frauen aus Kurdistan,
gungskultur aus der gesellschaftlichen die Kampagne „Unsere Ehre ist unsere
Realitât entfemt worden ist. Aus diesem Freiheit" gestartet.
Grunde bildet dieses den Endzweck des
Man muss auch anerkennen, dass man
ideologischen Fundaments der Freiheits- lediglich mit ein Paar Kampagnen keine
bewegung der Frau. Die Vergewaltigung besondere Schlagkraft aufweist, um die
lediglich als eine sexuelle Handlung zu fundamentalen gesellschaftlichen Miss­
quittieren, würde den Blick auf die der- stânde zu beheben. Die regierungszeitigen Missstânde versperren. Die Ver- freundlichen Krâfte haben sich nicht nur
gewaltigung als Begriff, kann gleichzeitig auf jeder Ebene, wie z.B. in der Bürokraauch als eine weitere Facette des Raubs an- tie, in den Gerichten und im Staatswesen
Facetten der Vergewaltigung
gesehen werden. Vor diesem Hintergrund ausgebreitet, sondöm auch in den UniHeutzutage ist die konzeptionelle Her- betrachten wir die heutige Gesellschaft als versitâten. Diese Verflechtungen begünangehensweise so, dass die Vergewaltigung eine ailen Lebensbereichen, wie der Spra- stigen vor allem das Fortbestehen des Sy­
als ein sexueller Übergriff eingeordnet che, der Nation, der Frau, dem Kind, der stems und dadurch auch die überdauemwird. Aber unser Anspruch ist doch in un- Kultur, den religiösen Vorstellungen, kurz de Versklavung der Frau. Für die Sicherseren Auslegungen jeden Begriff, Vorfall, ailen materiellen und immateriellen Wer- heit des System sorgt die Armee und
Raub und Vergewaltigung scheinen systembedingtes gesellschaftliches Faktum
zu sein.
Durch Gewahrwerden können sie überwunden werden.
In der heutigen Gesellschaft sind die
Notlage der Frau und aile anderen sozialen Probleme hausgemacht. Egal wie oft
das System reformiert wird, oder die
Menschen für das neue System indoktriniert werden, wenn die sozialen Missstânde, die mit dem Tod von Menschen
verbunden sind, zur Tyrannei und Barbarei führen, dann karnı doch nur das System
als die Quelle derartiger Auswüchse verantwortbar gemacht werden. Es güt das Sy­
stem und die Entstehung der aktuellen so­
zialen Missstânde vor dem Kontext ihrer
Entstehungszeit zu sehen, d.h. also besonderes Augenmerk auf die Quellen zu le­
ğen.
Die Organisierung der ursprünglichsten
Form einer Gesellschaft, nâmlich die Naturgesellschaft, beruhte auf dem Zeitgeist
der werteschaffenden Produktivitât der
Frau. Die Vergewaltigung an der weiblichen Gesellschaftsordnung vollführten die
Priester in Sümer, die stellvertretend für die
List der Mânner stehen. Mit dieser Vergewaltigungskultur hat man, das System
inbegriffen, jedes neu in die Gesellschaft
eintretende Individuum manipuliert. Selbst
die heutigen ausgrenzenden, destruktiven, verfremdenden, entartenden und
autoritâren Annâherungen darf man nicht
ohne Bezug zu der ersten Vergewaltigung und dem ersten Ausraub betrachten.
Wenn doch, dann würde man sich der Ge­
sellschaft und unserer eigenen Geschichte völlig falsch annâhem.
29
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Frau / Gesellschaft
nicht zuletzt die Verfassung. Demzufolge
richtet sich unser Kampf gegen die grundlegenden Strukturen der Regierung und er
beansprucht die Verânderung aile Bereiche
des gesellschaftlichen Lebens.
M i t Kampagnen kann man bestimmte
Wirkungen erzielen. Sie verdeutlichen
die Tragweite bestimmter Missstânde und
erwecken die gesellschaftliche Sensibilitât.
Insofem sind Kampagnen eine bewâhrte
Methode in ailen Freiheitsbewegungen.
Die nun schon seit einem Jahr andauemde Kampagne „Unsere Ehre ist unsere Freiheit" hat innerhalb der Bevölkerung ein
nicht zu unterschâtzendes Wachrütteln
ausgelöst.
Der von den Frauen in den mittlerweile traditionsreichen Serhildans gestartete
Aufruf "Niemandems Fhre zu sein" ist
ganz besonders in Kurdistan ein emst zu
nehmender Schritt. Was das betrifft ist im
letzten Jahr eine wichtige Beschleunigung vollbracht worden und aus der Perspektive der kurdischen Frau ist eine
nicht minderwichtige Diskussion bezüglich Fhre, Geschlecht und Sexualitât angestoBen worden. Nicht zuletzt ist anlâsslich der Auswertungen der Führung
eine entscheidende Klarheit bzgi. des Begriffs der Fhre vollbracht.
Der Jahresrückblick der Freiheitsbewegung der Frau kulminiert in dem Aus-
ruf „Die Freiheit von Serok Apo ist die
Freiheit der Frau". Dieser Ausmf steht kurz
und knapp für den Kem des Fundaments
unserer gesellschaftlichen Freiheitsbewegung. Diesem Konzept folgend sollten wir
aile unsere Arbeit und Organisation gestalten. Die Frfahrungen aus dieser Kampagne bekrâftigen uns in unserem Vorhaben, nun einen weiteren Schritt zu machen.
Wir werden nâmlich 2010 zu der Forderung „Intensivierung unseres Freiheitskampfes" und "Überwindung der Vergewaltigungskultur" übergehen.
Wie weiter oben schon angedeutet,
kann die Frau und die Gesellschaft sich der
Vergewaltigungs- und Raubkultur nicht mit
einer kurzatmigen Phase des Kampfes erfolgreich entledigen. Fs müssen aile gesellschaftlichen Bereiche angesprochen
und sensibilisiert werden.
Letztendlich führt man einen stândigen
und intensiven Kampf gegen das von
Mânnem dominierte System. Fntscheidend
hierbei ist, dass wir erkennen, dass die gesellschaftliche Realitât Opfer von Vergewaltigung und Raub ist. AnschlieBend
muss eine notwendige gesellschaftliche
Aufklârung folgen. Das mânnliche dominierte System suggeriert uns, dass es
schon immer dagewesen sei. Dass es eine
andere Welt gegeben hat, in der die Frauen mit ailen anderen Identitâten gerecht
und gleich miteinander leben konnten, gilt
es denn Menschen aufzuzeigen. Hicran
schlieBt sich ein bestimmtes Geschichtsbewusstsein an. Man war entsprechend der
gesellschaftlichen Schicht, des Alters, des
Geschlechts den unterschiedlichen Vorgaben durch den Staat ausgesetzt.
Reproduktion des Patriarchats
Fin bestimmtes Bewusstsein in der
Gesellschaft zu schaffen bedeutet z.B. auch
zu erkennen, dass die Vereinnahmung
des Bildungswesens durch den Staat wieder rückgângig gemacht werden muss.
Das sogenannten Bildungsbürgertum ist
eine Weiterentwicklung des in der von der
Frau geschaffenen Naturgesellschaft vorhandenen Bewusstseins. Die Vereinnahmung der Bildung bewirkt regierungsfreundliche Finstellungen bei den Bürgem
und die Anpassung aller neuen „Mitglieder" an das gegebene System. Durch die
Institutionalisiemng des Bildungswesen hat
man viele Ftappensiege davongetragen.
Die Frziehung des Kindes erfolgte
durch die Frau auf ein demokratisches Fundament, durch die Versklavung der Frau
hingegen erfolgte ein anderer Verlauf der
Gesellschaft. Das Kind, das auf die Stufe
einer Ware reduziert war, durchlauft aile
Stufen des staatlichen Bildungsvvesens, um
dann wiederum zur treibenden Kraft dieser zu werden. Unsere Arbeit für ein neues Freiheitsbewusstsein wird diese verinnerlichte Reduzierung zurückdrângen.
Aber eigentlich leidet die Gesellschaft
im Ganzen unter diesen systemimmanenten Fehlentvvicklungen. Um diese Last abzulegen muss die ganze Gesellschaft gegen die Vergewaltigungs- und Raubkultur
des Staates sensibilisiert werden. Das
MaB des Organisierungsgrads, die die
gesellschaftliche Sensibilitât und den
Kampf weitertreibt, ist Gradmesser für den
ausgedehnten Kampfes gegen die herrschende Riege.
Unser Verstandnis von weitlaufiger
Organisiemng hat zur Folge, dass aile nur
erdenklichen gesellschaftlichen Bereiche vereinnahmt werden und auch jede
einzelne Frau. Selbstverstândlich muss
auch die Familie für den Kampf gewonnen werden. Jede gewonnene Familie
macht ein Ftappensieg des Systems zunichte. Die Gewinnung der Familie als
Keimzelle des Staates ist mit dem Zerbröckeln des Fundaments des Staates
30
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Frau / Gesellschaft
gleichzusetzen. Die Unterbindung der Gewalt innerhalb der Familie führt zur
Überwindung der Gewalt innerhalb der
Gesellschaft an sich. Wenn die Freiheitsbewegung der Frau entgegen dem
Vorhaben des Systems aile gesellschaftlichen Bereiche unter ibre Kontrolle zu
bringen, aile Frauen organisieren würde,
dann hâtte sie gewaltige Schlagkraft.
Denn damit verbunden ist auch eine an
der Basis der Organisierung zu verankernde Beteuerung der Befreiung der
gesamten Gesellschaft und natürlich die
Errichtung eines Verteidigungsmechanismus. Als Folge würde man eine ausgezeichnete Widerstandskraft erhalten.
Das Infragestellen der sexistischen
Identitât beginnt auch innerhalb der Fa­
milie. Die Reduzierung der Frau zur Ware
kann nur durch eine Demokratisierung der
Familienstrukturen rückgângig gemacht
werden. Der Besitzanspruch des Mannes
auf die Frau kann auch nur auf diesem
Wege behoben werden.
Die Versklavung innerhalb der Familie
bildet die Projektion der Versklavung
durch den Staat.
Ehemann und Staat
Ganz besonders in Kurdistan wird tagtâglich die Sprache, die Kultur und der politische Wille vemichtet. Die Assimilationsversuche zeigen auf welch eine Mentalitât aufgebaut werden soll.
31
Es besteht eine gewisse Abhângigkeit
zwischen den Handlungen des Mannes
innerhalb der Gesellschaft und der des
Staates und mit dem Erkennen dieses
Faktums durch die Menschen aus Kur­
distan wird ein brandheiBer Nâhrboden
für Verânderungen geschaffen. Eine Bewertung, die z.B. einen Angriff auf unsere Sprache gleichzeitig als eine auf die
Person der Frau auffasst, würde ein gewisses Bewusstsein gegenüber dem Staat
erschaffen. In diesem Zusammenhang
würde man auch einen noch weiter verstârkten Kampf gegen die Vergewaltigungs- und Raubkultur des Systems führen können. Der Ehrenmord, die Belâstigung der Frau unterscheiden sich
nicht von den tagtâglich verübten Angriffen der Polizei in den StraBen Kurdistans gegen die Demokratie. Dieses
Verstândnis muss in aile gesellschaftliche Ebenen getragen werden.
Aus Sicht der Frau gibt es im Grunde
genommen keinen besonderen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Beziehungen des Ehemannes und des Staa­
tes und es gilt dieses ins Bewusstsein der
zu organisierenden Menschen zu verankem. Der Übergriff des Staats an einen
Menschen aus Kurdistan unterscheidet
sich nicht im geringsten von der hâuslichen
Gewalt gegen die Frau. Im Femsehen solche Übergriffe verdammen aber zu hause
Gewalt anwenden bezeugt nur die gelebten Widersprüche. An sich kann unserem
Widerstand gegenüber dem Staat folgend
dem Ehemann auf die eine oder andere Art
eine gewisse Haltung eingenommen werden. Eine organisierte und aufgeklârte
Macht erlangt auch im gesellschaftlichen
Bereich Fâhigkeit Politik zu machen. Dadurch dass die Gesellschaft das Bewusstsein erlangt, dass es in der Vergangenheit
ein egalitâres System gegeben hat, erkennt
es auch den Bedarf nach Menschlichkeit
und es wâchst der Wille danach. Hier muss
man beachten, dass wir sagen, dass es ei­
nen Bedarf nach Menschlichkeit gibt,
denn wenn das Individuum die Gegenwart
mit der Geschichte vergleicht, dann wird
er versuchen das schöne, bessere zum Leben zu erwecken. Gewiss, die Geschich­
te ist verdreht, zerstört, ausgeraubt und vergewaltigt und wenn das Individuum dem
gegenüber nicht bewusst ist, dann wird
könnte es verstummen. Dort wo ein Bewusstsein für die Geschichte entsteht,
wâchst auch gleichzeitig der Drang nach
Freiheit. Der Drang nach Freiheit trâgt
Kampf und Widerstand in sich. Tatsâchlich versuchen wir innerhalb der Gesell­
schaft eine Front aufzubauen, die gegen­
über dem System den politischen Kampf
angehen kann.
Die Vergewaltigungskultur des staatlichen Systems aus dem gesellschaft­
lichen Leben zuentfemen, demokratische
Politik einzuführen, gegen das System ei­
nen Kampf zuführen und die systembedingten Mangel zu beheben würde eine
Neutralisierung herbeiführen. Mit der
Entwicklung einer demokratischen Politik
geht eine fortschrittlichere Widerstandskultur einher. Wenn im gesellschaftlichen
Leben der Widerstand nicht verinnerlicht
worden ist, dann wird es gegen auBere sowie innere Angriffen wehrlos bleiben und
es wird Gefahr laufen zerstört zu werden
oder zu verfallen. Diese Situation wâre
ganz besonders in Kurdistan ein vertrauter und zerstörerischer Zustand. In ailen
vier Teilen werden wir wegen unserer Spra­
che, Identitât, unseres Geschlechts verhaftet und Unterdrückung, Krieg und Assimilation stehen an der Tagesordnung. Ge­
gen diese Vemichtungen können nur wir
Frauen eine gesellschaftliche anerkannte
Gerechtigkeit sicherstellen.
In dem MaBe wie wir die herrschsüchtigen Annâhemngen identifızieren, können
wir im Kampf erfolgreich sein.
B e w a h r e ı ı w i r unser Dasein und erlangen w i r linsere Freiheit!
Frau / Gesellschaft
RONAKI
KURDISCHE FRAUBN İN DBUTSCHLAND
Migration, Exil und Lebensmittelpunkt
Soziologin Fadime Şenpmar
Vorab ist es angebracht zu erwâhnen,
dass zur Situation kurdischer Frauen in der
Bundesrepublik Deutschland kaum Lite­
ratür oder spezifische Untersuchungen
vorhanden sind. Deshalb ist es selbstverstândlich, dass meine Beschreibungen
und Analysen in diesem Vortrag keinen Anspmch auf Vollstândigkeit oder Reprâsentativitât erheben. leh werde lediglich
versuchen Einblicke in das Leben von
Frauen in der Migration zu skizzieren, die
ich im Rahmen meiner Forschung und
langjâhrigen Arbeit mit kurdischen Frau­
en gewinnen konnte.
Aufgrund der Komplexitât des Themas
werde ich mich ausschlieBlich auf die Si­
tuation kurdischer Frauen konzentrieren,
die ailesamt aus dem türkischen Teil Kurdistans stammen und nun in Deutschland
leben.
Heterogene Migrantengruppen
Zunâchst möchte ich kurz die Migrationsgeschichte der Kurdinnen und Kür­
den in Deutschland nâher bestimmen, die
mittlenveile in der dritten Generation in der
Bundesrepublik leben, um die dabei zutage
tretenden Unterschiede und Wandlungen
skizzieren zu können.
Den Angaben von Navend (Zentrum für
kurdische Studien) zufolge bilden die
Kürden, neben den Türken, einer der
gröBten Migrationsgruppen in Deutsch­
land. Schâtzungsweise 700.000- 800.000
Menschen mit kurdischem Hintergrund le­
ben in der Bundesrepublik.
land lebenden Kurdinnen und Kürden
aus der Türkei. Ihre Zahi wird mit einer
halben M i l l i o n geschâtzt. Weitere siebzigtausend stammen aus dem Irak. Fin weiterer geringerer Teil aus Syrien, Iran und
dem Libanon. Der Anteil an yezidischen
Kurdinnen und Kürden variiert je nach
Schâtzungen zwischen fünf und fünfzigtausend. (vgl. Ammann 2001)
Auffâllig hierbei ist, dass die Kürden
trotz der GröBe ihrer Gmppe bis heute nicht
als eigenstândige Migrantengruppe erfasst worden sind. Die Gründe hierfür sind
vielschichtig.
Einer der Gründe dürfte das Fehlen eines eigenen kurdischen Staates sein, weshalb Kurdinnen und Kürden in den hiesigen Statistiken als Türken, Araber und Perser geführt werden. Auch in akademischen
Untersuchungen werden sie kaum als ei­
genstândige Migrantengruppe wahrgenommen.
In politischer Hinsicht werden Kurdin­
nen und Kürden oftmals mit gewalttâtigen
Protesten in Verbindung gebracht, die
sich in den neunziger Jahren auf deutschen
StraBen ereigneten.
Mehrheitlich stammen die in Deutsch-
Aufgmnd der territorialen Zersplitterung
Kurdistans leben die Kurdinnen und Kür­
den, welche verschiedenen Religionsgruppen wie den Suniten, Aleviten, Yeziden und Christen angehören, unter unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Dies ist auch ei­
ner der Gründe, warum die in Deutschland
lebenden Kurdinnen und Kürden keine homogene Gruppe bilden.
Da die kurdische Community in
Deutschland nicht als homogene Gruppe
gesehen werden kann, lâsst sich auch nur
schwerlich von einer einheitlichen Situa­
tion kurdischer Frauen sprechen. Ihre
Stellung in ihren Familien variiert je nach
Herkunftsiand, Religion, Stamm, Stadt,
Dorf oder Bildungshintergrund. Auch die
politische Partizipation spielt eine nicht unwichtige Rolle.
Der Ehrbegriff scheint jedoch in ailen
kurdischen Gemeinschaften einen herausragenden Stellenwert in der Werteskala
einzunehmen, der sich vonviegend über die
sexuelle Unberührtheit oder sexuelle Disziplin von Frauen und Mâdchen definiert. Dabei spielen Herkunft oder Religion
eine eher untergeordnete Rolle. Jene Wertevorstellungen haben auch in der Diaspora
Gültigkeit, wenn auch in leicht modifizierter Form. Jungfrâulichkeit vor deı
Ehe kommt eine zentrale Bedeutung zu
Den Frauen wird absolute sexuelle Treue
abverlanğt, was auf die Mânner wenigeı
zutrifft. Selbst geringste Abvveichunger
von dieser Norm genügen, um ein Mâd
chen oder eine Frau in Misskredit zı
bringen oder gesellschaftliche Sanktio
nierung nach sich zu ziehen.
32
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Frau / Gesellschaft
RONAHI
Das Phânomen der so genannten „Ehrenmorde", das mittlerweile auch in
Deutschland hâufiger auftritt, lâsst sich
letztendlich nur im Zusammenhang mit
diesen teils archaischen Wertevorstelllungen erklâren. Hierbei lassen sich jedoch
auch vorwârts gewandte Verânderungen
und Entwicklungen feststellen. Kurdische Erauenverbânde oder auch einzelne
Aktivistinnen leisten zu der oben angesprochen Problematik wertvolle Aufklâmngsarbeit. Festzustellen ist auch, dass politisch und gesellschaftlich sensibilisierte
Kurdinnen vieles in ibren Familien verândert haben.
Die meisten Autorinnen und Autoren,
die zur kurdischen Thematik veröffentlicht
haben, bezeichnen kurdische Studenten, die
im 18. Jahrhundert aus dem osmanischen
Reich nach Europa kamen, als die erste
kurdische Immigrantengruppe. (vgl.Kiziihan 1995; Ammann 2001)
Jene galten als kleine Elite, welche zu
Studienzwecken oder zur beruflichen
Weiterbildung nach Europa kam. Auch
nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich
diese Einwanderung fort.
Bedingungen im Exil
Ob sich unterhalb dieser Studenten
auch kurdische Frauen befanden ist nicht
belegt. Es ist jedoch davon auszugehen.
33
dass Erauen von den Möglichkeiten der
Weiterbildung ausgeschlossen waren, weshalb diese ausschlieBlich den jungen kurdischen Mânnem vorbehalten waren.
Erst mit dem Beginn der sechziger
Jahre kamen im Zuge des so genannten
Gastarbeiterprogramms auch sozial
schlechter gestellte Kürden nach Deutschland, die vorwiegend aus den lândlichen
Gebieten Kurdistans stammten. Von nun
ab bildeten sie den GroBteil der kurdischen
Einwanderer.
Im Rahmen der letzten groBen Welle
von kurdischen Einwanderem, die im
Rahmen des Gastarbeiterprogramms angeworben waren, wurden vorwiegend
Frauen rekrutiert, welche in den Bereichen
der Eeinmechanik, Elektro- und Textilindustrie zum Einsatz kamen. Ab den siebziger Jahren nahm der Anteil der kurdischen Frauen zu, die ihm Zuge der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Schon nach
kurzer Zeit stellten sie die Hâlfte aller kurdischen Einwanderer, da insbesondere
Frauen als billige Arbeitskrâfte galten, welche sich vorwiegend in den untersten
Rângen der beruflichen Hierarchie wieder
fanden. (vgl. Kizilhan 1995)
Charakteristisch für die erste Generation
kurdischer Gastarbeiter war die Vorstellung, wie auch bei ailen anderen Gastarbeitem, in kürzester Zeit Geld zu verdie-
nen, um wieder in die Heimat zurückzukehren und eine gesicherte Lebensexistenz
aufbauen zu können.
Die Situation der Frauen der ersten Finwanderergeneration war durch harte Arbeit
und Mehrfachbelastung gekennzeichnet.
Finerseits arbeiteten sie in der Fabrik, nahmen Putzstellen an oder führten für andere
meist deutsche Frauen den Haushalt. Anderseits erledigten sie die komplette Hausarbeit und Kindererziehung.
Zusâtzlich zu dieser Mehrfachbelastung kamen soziale Probleme hinzu, die
im direkten Zusammenhang mit der Migration standen. Sprachschwierigkeiten,
Integrationsprobleme und die Überforderung im Umgang mit völlig unterschiedlichen Normen und Werten waren
nur einige dieser Probleme. Viele Mânner oder Frauen sahen sich gezwungen,
über langere Zeit von ihrer restlichen Familie getrennt zu leben. Meistens blieben
die Kinder bei der in der Heimat verbliebenen GroBfamilie zurück. Dies führte oft zu Brüchen in der Biographie der
betroffenen Personen, die mit Fntfremdung zum Fhepartner oder Fltern und
Kindern einherging.
Sowohl staatliche Stellen als auch die
Gastarbeiter selbst, sahen den Aufenthalt
der Arbeitsmigranten als vorübergehend an,
weshalb einer Integration der Finvvanderer in die deutsche Gesellschaft nur wenig
Aufmerksamkeit beigemessen wurde.
Schnell bildeten sich Siedlungsgebiete, in
denen sie teils heute noch leben; weshalb
es wenig verwunderlich ist, dass dort lebende Finwanderer noch heute mit sprachlichen Problemen zu kâmpfen haben.
Die Kinder dieser Finwanderer werden
allgemein als zweite Generation bezeichnet. Fntweder sind sie in Deutschland aufgewachsen oder im Zuge der Familienzusammenführung in jungen Jahren nach
Deutschland gekommen.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten und
Âhnlichkeiten ihrer Lebensbedingungen,
lassen sich zwischen der ersten und zweiten Generation Unterschiede feststellen.
Spâtestens mit der zweiten Generation
wurde deutlich, dass kurdische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter nicht in die
Türkei zurückkehren werden, sondern
Deutschland als neuen Lebensraum auserkoren hatten. Die Kinder dieser Generation besuchten deutsche Bildungseinrichtungen. Nicht wenige absolvierten
höhere Schulabschlüsse.
Bewahren wir un ser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Frau / Gesellschaft
Dies ist jedoch nicht der einzige Grund
für die Entscheidung zum Verbieib in der
Bundesrepublik Deutschland. Der bewaffnete Konflikt im Herkunftsiand erschwert
maBgeblich bis heute eine Rückehr.
Zwischen den Kulturen
Charakteristisch für die zweite Generation ist ibre Ambivalenz zur Tradition
und Modeme. Gleichzeitig fungiert diese
Generation als Brücke zwischen den Kulturen des Herkunft- und Aufnahmelandes.
Dies hat zur Folge, dass sie sowohl den
traditionellen Normen und Werten ihrer Eltem und der kurdischen Community, als
auch den Erwartungen der deutschen Gesellschaft gerecht werden muss, was
zwangslâufig zu Konflikten führt. Andererseits steht dieser Generation vieles offen, da ein direkter Zugang zu beiden Kulturen und Gesellschaften besteht. Das
Aufwachsen in zwei Kulturen brachte
letztendlich auch zwei Identitâten hervor,
d.h. sowohl die Kurdische als auch die
Deutsche, die durchaus nebeneinander
bestehen können.
Neben den zahireichen negativen
psychosozialen Folgen, die aus der M i gration resultierten, entstand auch eine
Vielfalt neuer Chancen und Möglichkeiten, was insbesondere für Frauen die
Möglichkeit mit sich brachte, abweichend
von den traditionell vorbestimmten Lebenskonzepten, neue respektive altemative Lebenskonzepte zu entwickeln. Letztendlich ist eine Synthese entstanden, die
Normen und Werte beider Gesellschaften
und Kulturen beinhaltet.
Anhand verschiedener Biographien von
kurdischen Frauen kann festgestellt werden, dass es möglich ist, den hohen Anforderungen einer bikulturellen Lebensrealitât gerecht zu werden und erfolgreich
altemative Lebenskonzepte umzusetzen.
Andere wiederum sind von dieser Situation überfordert, was sich oftmals in innerer
Zerrissenheit dieser Frauen ausdrückt.
Fs kann daher nicht von einem einheitlichen Bild der Situation von kurdischen Frauen in Deutschland gesprochen
werden. Zu sehr hângt ihre Fntwicklung
von institutionellen Möglichkeiten und individuellen Bemühungen ab, als dass sich
ihre Biografien verallgemeinem lassen.
Zu beobachten ist jedoch auch, dass der
Bildungstand von kurdischen Frauen der
zweiten Generation steigt, was sich in vermehrt höheren Schulabschlüssen und in
verstârkter Partizipation am gesellschaftlichen und politischen Leben in Deutschland manifestiert.
Auch sind heute an Universitaten kurdischstâmmige Dozentinnen tâtig. Andere kurdische Frauen üben Berufe wie
Ârztinnen, Rechtanwâltinnen, Lehrerinnen,
Pâdagoginnen oder Frzieherinnen aus.
Dennoch sind solche Frauen nach wie vor
die Minderheit.
Der GroBteil kurdischer Frauen, die der
zweiten Generation entstammen, ist mehrheitlich in unterbezahlten Berufen oder
Jobs tâtig.
Interessant wâre es zu diesem Thema
spezifischer zu forschen, um zu aussagekrâftigeren Frgebnissen über die gesellschaftliche und
berufliche Situation
von kurdischen Frauen in Deutschland zu
kommen. M i t dem
derzeitigen begrenztenWissensstand lâsst
sich nur schwerlich
ein genauerer Überblick gewinnen.
Trotzdem kann ein
Wandel innerhalb
dieser Generation
festgestellt werden.
Da nur noch wenige
Kurdinnen und Kürden beabsichtigen in
34
ihr Herkunftsiand zurückzukehren, sind sie
derweil zu einem objektiven Bestandteil
der Gesellschaft dieses Landes geworden,
was sich auch an der steigenden Zahi von
Finbürgerungen bemerkbar macht.
Mittlerweile leben Kurdinnen und Kürden in der vierten Generation in Deutschland. Die Kinder und Jugendliche, die auch
als dritte Generation bezeichnet werden,
sind in Deutschland geboren und besitzen
nur noch rudimentâre Kenntnisse der
Muttersprache der Fltem.
Inwieweit von einer ldentitâtsentwikklung dieser Jugendlichen gesprochen
werden kann bleibt derzeit offen, da eine
solche Identitâtsentwicklung stets einem
Wandel unterliegt und vor allem von soziostrukturellen Begleitumstânden bestimmt wird. Dennoch ist davon auszugehen, dass Jugendliche mit einem M i grationshintergrund speziellen Bedingungen unterworfen sind, die einer erfolgreichen Integration im Wege stehen können. Oftmals sind es die prekâren soziostmkturellen Begleitumstânde, die sich auf
die Ausbildungschancen dieser Jugendlichen nachteilig auswirken. Im Fail der
Kurdinnen und Kürden wirken sich Unwissenheit und klischeehafte Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft, sowie Polarisierung oder Ausgrenzung durch Finwanderer türkischer Herkunft zusâtzlich
negativ aus.
Finige der Jugendlichen werden so bereits im Lauf ihrer Identitâtsfindung oder
"Positioniemngsprozesse" an den Rand der
Gesellschaft gedrângt. Andere Jugendliche
entwickeln wiederum Gegenstrategien
oder besondere Fâhigkeiten, um diesen Begleitumstânden zu trotzen. Oftmals drückt
sich dies in Frfolgen der eigenen Bildung
aus, mittels denen sie aus dem familiâren
Bildungshorizont ausbrechen können.
(vgl. Schmidt 2000)
Verwendete Literatür:
Kizilhan 1995:
Kizilhan, ilhan: Der Sturz nach oben
(Frankfurt 1995)
Ammann Birgit 2001:
Ammann Birgit: Ammann Birgit: Kürden in Furopa (Münster 2001)
Schmidt, Susanne 2000:
Schmidt, Susanne: Kurdisch-Sein, mit
deutschem Pass (Bonn 2000)
***
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Frau / Gesellschaft
QEREKOLEN DI SERE JINAN DE
"Keçikek hej dest pe peyvandine nekiriye re te gotin ev şerm e, ew şerm e"
Amargî - YXK Kaiserslautern
Masiye mezin a biçûk daqurtîne. Ev
bûye zagona xwezaye û ji hela mirovahî
jî te bikaranîn. Ev babet te vî wateye ku kî/e
bi hez be her re ji re vekirî û zagonî ye. Li
hemberî vî helweste bertek û hewldaneke
ji hela qelsan de ten nîşan dan.. Helbet carinan bi ser dikevin carinan jî dibin em. ji
tekiliya mar û mişke di hawirdore de neçîr û neçîrvane ye Piranî mişk dibin neçîr.
Mar jî ji teyran re dibin neçîr. Dema sewalek xwe ne karibe bipareze an jî li hember dijmine xwe ber xwe bide nû tebikoşe ew çaxe winda dike nû edî dikeve deva­
sa tebatî (passiv).
Mînak di xwezaye de pir in nû mirov dikare le zede bike. Ziman jî dikeve vî çîna
(kategorie). Zanyar nû rewşenbîr jî di
yek ramane de ne nû zanist jî pejirandiye
ku cihetiya ya sewal û mirovan fikirîn e.
mirov behremendî ya fikirandine di ceribandinen xwe ye di nav dîroka mirova­
hî de xelata me kiriye. Her wiha ev bi reyeke peresî pek batiye. Ji zilme her tim raperîn nû teslîmî dize. En ku li hem bere
zext û zorî derten an rizgar dibin an jî bi
rûmete tune dibin. En li hember nasekine
ji wan jî cerdewan, xayîn, diz hwd derten.
Hebûna xwe be rûmet dimeşînin. Li cem
sewalan ne wisa ye ji ber ku mirovahî bi
perasandina xwe re rewişt nû wijdan jî afırandiye. Ev jî bi me re dijîn nû em jî bi tecrûbeyen xwe ye zanistî, olî civakî le zede
bikin nû ji bo nifşe veguhezînin.
Li hemberî vî pergala tund de hejmara
xwendekare zede dibe. Herweke di civaka kurdan de xwendekaren jinen ciwan behtir dibe. Bi zedebûna xwendekaren jin çiqas civak diguhere? Dema malbaten kurd
zaroken xwe bi re dikin zanîngehan temeh
dikin ku ciwan xwe winda nekin. Tirsa xwe
windakirina netewetiye ye. Netewe ji bo
malbate namûs e. pişt re ol pişt re jî ziman
te. Ev xweste li ser jinen ciwan behtir bandor dike. Dive ku 'namûsa navbera du şeqan' biparezin. Dema jineke ciwan be zewac bikeve tekiliya zayendî edî benamûs
e. bona xortan ev zagona civakî cezakî din
didin. Weke tif kirine an jî xwe ker û lal di­
kin. Bi vî helweste wan diyarî dikin. Xe-
zile kurt vedigirin nû her tim tengezar in.
lata jinan kuştin e yan jî neletkirin e.
Di zayine keçan de jiyana wan bi çew- çawa mislimanekî li gorî ole şaşitîyekî çeke
sandina malbate dest pe dike nû bi mezin ji tirsa xwede dîn nû şaş dibe ev jî di nav
bûyîna wan de jî civak jî tevle dibin pişt derûniyekî wiha de ne. keçen me nexweş
re heval dûv re jî mer. Di vî pevajoya zor- in. dema meda wan an jî sere wan bieşe di­
daıiye de bûyeren eceb nûû bandor derten çin bijîjke. Le bele ji bo vî mijare çareseriye
xwe di teslîmbûniye dibînin. Mirov ne mişk
hole û rewiştekî pe re dize.
Keçikek hej dest pe peyvandine nekiriye e ne jî mar e. dikare xwe di neçariye de riz­
re te gotin ev şerm e, ew şerm e. dema pi- gar bike. Wisa nebû ya niha mirovahî ne hatik İaşe xwe vedibîne pe re jî ji re qedexe tibû vî aste. Belkî jî em hej jî sewal bûn.
Di xwezaye de xwe parastin nû jiyan din
te. Mînakek berbiçav ev e: ew dema deste
xwe avete lebate xwe ye zayendî, malbat heye weke destpeke de jî hat nivîsandin.
agir li sersere we dibarîne. Bifıkirin ew ke- Jinen me yen ciwan çiqas li xwedî azadî
çik bi kîjan tirawman mezin dibin. Helbet nû hebûna xwe ye zayendî derdikevin. Berev di jiyana wan de pir roleke kûr dilîze. siva vî pirse pir vekirî li hole ye. Ew ne diHer wiha bi xwe re jî hîn reftaran derdi- karin weke xwe bimînin ne jî weke ewrûxe hole. Weke derew kirine. Mirov dika- piyan ne jî di rastiye xwe de.
re bi lev bike ku keçen kurdan ji ciwanan
Dema mirov xwe xwedî dernekeve
behtir derewan dikin. Dema dibistane de ku hemû bûyeran re vekiriye jiyan. Mînakek
daxwaz dikin derkevin derve bi hevalen ji nezik de, cerdevvanen kurd. Li hem bere
xwe yen xoıt re fîlmekî temaşe bikin dibejin xwe şer dikin, ji ber ku xwe teslime dij­
em bi gule re bi bese re nû hwd diçin. Bi mine xwe kirine nû wisa jî dijîn.
vî re dest pe dike. Dive ku derewen xwe bi
Di hawirdore de teslim bûn ew qas heserkeftî bi re bixin nû peşeroje de ti pirs- san nîn e weke di nav mirovan de. Tesgirek demekeve. Ji ber ku di civakek di nav lîmbûna di sewalan de bi mirenen wan de
xwe de girtî de mijaren wiha veşartî na- derbas dibe.
mîne. Dive ku keçik wisa çîroken xwe ama­
Ev çewisandina malbate qerekolen wisa
de bikin ku ti pirsgirek di nav salan de der- bi dîwaren stûr di sere mirov de didin hûnekeve. Ku derket bi helwesteke tundî re nandin ku keçik nikarin bi dilekî xweş bi
hev rû dimînin. Carinan jî ten kuştin an jî bikîniyen xwe avjenî bikin. Gelo dikariji dibistane ten girtin nû bi temene zarok- bin bi birayen xwe re avjenî bikin an jî bi
tiye de be dile xwe ten zewicandin.
ap nû xalen xwe re? Civaka mer jinan xiJinen ciwan bi vî derûniya mezin dibin stiye bin sitemkare ye xwe. Jin nikarin bi
nû aferînek jî pi wan re mezin dibe. Gele hevalekî xwe re derve çayek jî vexwin.
kurd ne tene di nav civake xwe de ye. HinDive ku keçikek heta zewace çermika
ek derketine derve ye welat. Malbaten der- xwe ji bo mere xwe veşere. Dema ku ev
veyî welat edî behtir tirsa wan e xwe win- çermik di poze jinan de be çi çebe? Hej
da kirine heye. Ji ber ve yeke jî çewsan- funksiyona vî ji hela zanyaran de bi aradina dijwartir dibe. Jin jî hela deq û dol- mî ne zelal e. le bele hinek jinekolog nû
aban de pispor dibin weke xwedewan zanyar di vî ramane de ne ku ev çermik di
Hera.
ezebtiya keçan de ji bo dema jîvane
Xwendekaren jin piranî daxwazen mal­ (Menstruation) wande înfeksiyone nebate tînin cih. Hinek ji wan dimîne navber girin e.
de hinek jî li hember disekine ji bo rizgagelo jinen ciwan bikaribin li hem bere
l i ya jine tedikoşe. Ev alî pir kem e. ew jî malbat nû civaka xwe ber xwe bidin nû
dixwazin weke elmanan fransiyan kincan zayenda xwe rizgar bikin. Ev mijareke devegirin herin lotikxane. Hinek van tiştan di­ rûn û civaknasî ye. Helbet ev milen vî zakin. Cem malbat weke xwesteka malbat in. niste jî dive ku xwe ji hela zayend de riz­
le derve ye malbat li gorî dile xwe ne. ber- gar kiribe.
Bewalıreıı wir unser Dasein ımd erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Ö kologie
HEZKEF
Hez je/ji hezdikim û Kef je/ji kefdikim
Xem-YXK Dortmund
Destpeke de ez hewes dikim, bira
xwendevanen Kurd û Kurdistane nave
Heskîf bi Hezkef binin ziman, ji ber ku
Hezkef, ware de û bave me ye.
Mirov ji cîhek pîroz hez û kef bike, gele
xerib jî je hez û kef dike.
Wekî din dîroka Hezkefe pir kevin û
dewlemende. Kesek dîroka xwe bizanibe,
ew xwe jî dizane. Di ve mesele de dîroka
te hebûna te ye.
Ji xwe Kurd gişt ji dil û can de xwedi
li kesîbtîya xwe derketiban (bûyîn), tu kes
nikariba tim rewşa welate roje xirab bike
(nebûyîn).
Rojek bere Newroza eme li Amede pî­
roz bikin, di biste meha Adare sala 2010'an
de, carayekem ez bi komek ji Yeketiya
Xwendekaren Kurdistane (YXK) re diçim
bajare Hezkefe.
Ve deme em hemû heval pir dilşah û
dilxweş in, ku em nû tîrejek dîroka xwe di­
binin. Hezkef bajareke pir kevnar, û ber
Çeme Dicle li herema Batmane ye. Ji xwe
gelek xezînen we yen çand û hünere henin.
Bona ve yeke Hezkef ji alîye arxolojî de
gelek dewlemende û bi nave "mûzeya vekirî" te nasîn. Li dor û nav bajar de bi he-
zaran şkeft batinin ava kirin. Ji van şkeftan binek jî hunerxane û bîren ave nin.
Der û mizgeft li Qela Hezkefe pir benin.
Goristan jî li ve dere kem nînin. Ji xwezayî
de Qela Hezkefe ji kevire, dused metre
blindî ya xwe beye û bema li ser qîjik (kendal) û ber qiraxa Çeme Dicle ye. Teketina we di reke xwar, le di çar derîyan de derbas dibe. Bi sedsalan Qela Hezkefe bûye
cîware gelek çand û gelan.
îro bîna jî di şkeftan de malbaten kurd
kem zede bi aweke asayî dijîn. Di Çaxa
Navîn de Pira Dicle ya berî mezin bûye.
Quba Pira Dicle ji dar û texten li ser du stûnan bûye, pe dema şer çeba, bibatiba rakirin û bive dijmin nikariban biketiban nav
bajare Hezkefe. Xirbe Qesira Piçuk xwe
bi şiklek beşmetîn li ser keleka kendale rojbilata bakûr bil tine û newala şenayî ya
Hezkefa rengîn li ber çavan dixe. Wekî din
xirbe Qesira Mezin li bakûre qîjike, bin
Mizgefta Mezin de cî digire û bircek we
ya çarkoşe beye. Loma mina bircek nöbete
te xuya kirin. Mizgefta Mezin li ser efaren derek bate lekirin û wek afirandinek
boste bi nav û denge.
Ji 1232'an virde van avabî gişt ji bela
Eyûbîyan (zureta Selabedîne Eyûbî) bati-
nin çekirin. Ji ber hacet, cîb û qîmeta ba­
jar, danûstandina Hezkefe di Riya Hevrîşime de pir beja bû. Eyûbîyan, malbateke kurd, Hezkef kiribûn navenda aborî û
îslame. Ne ji alîye ole, le ji alîye zanîne mi­
rov pewiste jiyana civake şirove bike.
Loma "Tir kiye?" jî dixwaze vî ware dîroke bike bin ave.
Di 1982'an de komara Tirkiye biryar
dabû, ku bi proja anatoliya rojbilata başûr
nave xwe GAP (tirkî: Güneydoğu Anadolu
Projesi) bendavan li beremen Kurdistana
Bakûr çeke. Derengî an neçekirina bendava
Ilisuye beta niba ji ber astengen aborî ne.
Ji xwe gerîla yen Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) mina di 1984'an de nabelin
Tirkiye ve proja xwe pek bine. Dîsa jî ko­
mara Tirkiye wek gurek çavsor dev ji ve
qeste bemade. Niba bendava Ilisuye ji bela
Tirkiye de be avakirin, wee Çeme Dicle
bike gölek nezikî 2 km fıreb û 140 m blind.
Bi ve awaye bendav bim ji bo pekanîna ronîya Tirkiye dixebite, pe ew ji alîye şiyane de serxwe bin, bim bona avdana zevîyan bikar te.
Le bele Hezkef jî di bin ava Çeme Dic­
le de winda dibe. Hinek zanyar dibejin, siv
sere mînara Mizgefta El-Rizke li ser ave
dimine. îjar wee bibe bendava berî mezin
a Kurdistane û bela berî xemgîn a Kurd û
Kurdistane. Rebere Gele Kurd, Evdila Ocalan, li ser mijare got:" Tu eleqeya ve bendave bi avdane re nîne. Armancen we
leşkerî ne û projeyeke stratejik e."
Dewa Civake
Gundîyen Hezkefe wisa der bare avakirina bendave de difikirîn:" Ne tene
rewşa me, a bawir û bey wanan jî xirab ben.
Çima ware de û bave me dikin bin ave?
Wekî dixwazin ave li ser zeviyen me jî bigirin. Ve çaxe komaren rojbilata navîn jî
edî be av diminin.
Komara Tirkiye ji 8 firmen ewrûpî 80
milyon ewro deyn ji bo avakirina 80 cîben leşkerî li dora Hezkefe kiriye. Tirki­
ye bin nikare bi ciranen xwe re xer bike.
36
Bewahren w ir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Ökologie
îjar wee çer deyne Ewrûpaye bide?
Li çekirina bendave zede mal tere û kara
we keme, lebele "komara tirker" dîsa jî pe
quna bendave girtiye." Nerînen gel nişan
didin, ku ew him ji bendava Ilisuye be xeber û him jî bezarin.
Bi windabûna bajare Hezkefe nasnama
gele Kurd jî winda dibe. Veqetandina
gele Efrîqa Başûr (nîjadperestî) li Kurdistane jî li ber çava ye, Kurd fena mirove çîna duyem te xuyandin. Loma 55 hezar Kurd ji ber bendave ji xan û günden
xwe ten derxistin û talankirin. Diraven ji
bo derxistina gundiyan tera qet kesek nakin û çûyina bajaren wek Amed an Batman
ji malbaten kurd re dibe sereşek nû. Ewe
bi bekaıi, pirsgireken civakî û derûnî re rû
bi rû bin.
Xisusî baren jinan edî gran dibin, ji ber
ku ewe di nav çar dîwaran de ben girtin.
Bajar bona zarokan jî ji alîye xebat û jiyana
li ser kolanan dibin xeter. Piştî Germanya,
Awistriya û Swed (Germanya Mezin) di
havîna 2009'an de deyn edî nedan Tirkiye, ji ber ku we şert û mercen avakirina
bendava Ilisuye neanîye cîh, di meha sibate 2010'an de komara Tirkiye da ber çavan, ku we şîriken nû peyda kiriye û ewe
bi hev re bendave çekin.
Dewa Çande
Bendava Çeme Dicle li Mezopotamya
Bakûr te lekirin. Deh an danzdeh hezar sal
bere miroven ewlîn li vir, Hezkefe, cîh gir­
tin. Li bajare Hezkefe çanden ewlîn jî, wek
yen Sümer (irqek gele kurd), mezinbûn.
Destana Gilgameş dide zanîn, merxase
dine Gilgameş di wexta xwe de nedihişt qet
yek waren dîrokî yen di nav welaten du çe-
37
man de, Eirat û Dicle, biherimanda. Ji xwe
wî Sûra Urûke jî ji ber Tofana Mezin û pe
şaristan şen be, çekir. Piştî mehşera tofane ew bi xwe diçe welate dûr û xerib malen giran tine, pe bajare Urûke ter û xemilî
be.
Wekî dibejin, key Urûke, Gilgameş
xwe ji Qela Hezkefe avîtiye Çeme Dicle
û ajbeıi kiriye. Heta niha dîroknasan li Hez­
kefe 208 dewsen dîrokî keşf kirinin. Axir
çardeh dews kolandinin.
Ji ber ku komara Tirkiye dixwaze ben­
dava Ilisuye bi lezûbez avake û kare kolîne pir çetîne, hela di wextek kin de, 194
dewsen din ben bin ave. Ev bûyer ji bo dîroka mirovatîye be kemasîya herî mezin.
Li Hezkefe yek dikare bi çavek tene bist
hev şûnen çandî yen cuda bibine. Vira bere
navenda dîne Aşuren xristî (4-7. sedsal),
paşe paytexta Artûqîda bû. Wekî din li ba­
jare Hezkefe şehaden Eyûbîyan û yen gelek xelke din jî manin. Dive ta 300 der,
mizgeft û afirandinen din henin.
Qela Hezkefe heşmetîne. Le Pira Dic­
le ya kevir û 800 salî, di dema xwe de ya
herî mezin bûye. Dîsa jî dû çend salan ji
hela Mongolen weşî (irqek tirka) de hate
xirab kirin.
Ji ber ve yeke qîmeta Hezkefe hedî hedî
winda dibe. Bi kurtî û kurdî: Avakirina ben­
dava Ilisuye, herimandina malmîrata çan­
dî ya Kurdistane ye.
Dewa Hawire
Bendav nîzama hawira baş diherimine
û Çeme Dicle dike goristana sewalan.
Çeme Dicle û Firate mina nîzamek hawir
in. Sewal û gîya yen li der û dore Firate nemayin, niha li çardora Dicle henin. Wekî
mînak kûsîya Firate ya metrek direje, edî
tene li ber Çeme Dicle dihewire. Ji xwe bi­
nek cinsen çûka siv li Hezkefe dijîn. Pirinîya masîyan di Çeme Dicle de ben mirin.
Flora û fauna ya devereke pir mezin,
Hezkef, giredayî vî nîzama hawire.
Ji ber bendave risqen heywanan ben bi­
rin. Her wiha nem jî zede dibe. Dema gola
bendave tijî be û zad û cotkarî ji niha şûnde zedetir bin, jiyana heywanane xweş di­
bin û pe re nîzama hawir dibe xirecir.
Dewa Ave
Komara Tirkiye çiqas ave di Çeme
Dicle de dihele?
Çeme Dicle di ber sînore Sûrîye de diherike nav Iraqe. Nangira sale Çeme Dic­
le bi xwe re dibe ber qiraxen îraqe, le wee
edî di bendave de derbas nebe.
Ango bendava Ilisuye ji îraq û Kurdis­
tane re dibe pirsgirekek heri giran: Ava wan
edî giredayî Tirkiye ye. Ijar komara Tirkiye
kenge xwast, we çaxe wee ave ser de berde.
Dawî de şer û dewa ave jî diqewime!
Bona ve yeke hinek çavderen sîyasî lome
dikin, ku Tirkiye bendava Ilisuye ne ji hela
aborî de, le ji hela geostratejîk de çedike.
Firsend
Agahîyen li ser mijare destnişan didin,
komara Tirkiye tew firsendek bona ben­
dava Ilisuye ravenake. Doza rastî ya ben­
dave hilberîna ronîye ye (12000 MW).Ma
fen û heşen îro didin zanîn, ku zef firsend
ji bo çareserkirina astengen ronîye henin.Mirov dikare ronîye ji roje, baye û germahîya erde jî pek bine. Li Kurdistane hersal 300 roj tava roje heye. Dema komara
Tirkiye dixwaze Hezkefe şen bike, bira bi
diravnameya proje (kem zede du mîlyar
ewro) alîkarî bide turizma çandî ya Hez­
kefe. Bi vî rengî gelek cihen xebate jî çedibin, malmîrata çandîya Kurdistane, ba­
jare Hezkefe, dipareze û hawir qet zerare
nakişine.
Tişta herî giıing, qe kesek ji günden xwe
naye derxistin. Ez ji gelen Kurd û Kur­
distane dixwazim li ber avakirina benda­
va Ilisuye rabin ser xwe û bejin:" Edî
bese!"
Paşeroja xwe bizanibe, pe peşeroja te
ronî be. Nivîsa Xem ji bona Hezkefa
şerîn
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Ö kologie
RONAHI
Bau des Ilisu Staudammes geht weiter
Ohne China, aber nun mit türkischen Banken und Andritz
Ercan Ayboğa - HasankeyMnitiative
Wie der Öffentlichkeit bekannt ist, zogen
am 7. Juli 2009 die drei europâischen Regierungen von Deutschland, Österreich
und der Schweiz ihre Kreditbürgschaften fiir
das Disu Staudammprojekt am Tigris zurück.
Zwei Tage spâter folgten ihr die drei euro­
pâischen Banken Societe Generale, Dekabank und Bank of Austria, welche die Kredite für die europâischen Untemehmen
übemehmen wollten. Damit brach die Finanzierung aus Europa auseinander. Die eu­
ropâischen Untemehmen stellten ihr Engagement ein, doch gaben sie in den folgenden Monaten keine eindeutige Aussage ab,
wie sie zukünftig weiterverfahren werden.
Nach dem Ausstieg der europâischen
Regierungen verkündete die türkische
Regierung, dass sie unter ailen Umstânden
Ilisu bauen will und eine Finanziemng anderweitig finden würde. Als die Mittel der
Türkei und andere Faktoren es nicht erlaubten, für den europâischen Part des Projekts - etwa 500 Mio. Euro - eine Kreditbürgschaft zu übemehmen, begab sich
der türkische Finanzminister im September 2009 nach China, wo er mit dem chinesischen AmtskoUegen nach eigenen
Aussagen auch über Ilisu geredet hat.
Doch in den kommenden Monaten tat sich
in dieser Richtung kaum etwas. In diesem
Sinne ist die Antwort des chinesischen Botschafters an unsere Initiative zur Rettung
von Hasankeyf im Dezember 2009 zu verstehen. In ihr sagte die chinesische Regiemng, dass keine chinesische Firmen am
Ilisuprojekt beteiligt wâren. Wir erinnem
uns gut daran, dass die türkische Regiemng
den drei europâischen Regierungen indirekt immer gedroht hat, Ilisu mit chinesi­
schen Untemehmen und Exportkreditgarantien zu bauen. Es ist bekannt, dass chi­
nesische Untemehmen in immer mehr Projekten weltweit verwickelt sind und dabei
keine Skrupel kennen. Doch in etwas
überraschender Weise haben sie sich von
Ilisu zurückgezogen, was in erster Lirde auf
die starke regionale und intemationale
Kampagne zurückzuführen ist.
38
Ab dem Jahreswechsel bahnte sich jedoch eine neue bedrohliche Entwicklung
an. Dass die Chinesen nicht mitmachten,
war eine weiterer Rückschlag für die tür­
kischen Regiemng. Doch die Türkei lies
nicht locker und spannte im Januar/Febmar
2010 drei türkische Banken in die Finanzierung ein. Und zwar handelt es sich um
die beiden privaten türkischen Banken Akbank und Garantibank - die dritte beteiligte
Bank ist die staatliche Halkbank. Ironisch dabei ist, dass die Akbank in der Tür­
kei für die Unterstützung von gewissen
Kulturprojekten - natürlich bürgerliche und
gesellschaftsunkritische! - bekannt ist.
Die Garantibank nennt sich „Grüne Bank",
weil sie einige Umweltschutzprojekte finanziert, vor allem von konservativen
Naturschutzorganisationen wie der WWFTürkei. Im Febmar 2010 wurden die Vertrâge zwischen den beiden Banken, der
türkischen Regiemng und den Untemeh­
men unterschrieben. Akbank und Garan­
tibank gehören etwa zur Hâlfte intemationalen Banken, womit es eine indirekte
auslândische Finanziemng des Ilisu-Projektes ist. Die Kreditbürgschaften kommen
nun von der türkischen Regiemng, was in
dieser Höhe und mit diesem Risiko einmalig ist. Da es sich um ein strategisches
und Prestigeprojekt für die Türkei handelt
und die finanziellen Kapazitâten der Tür­
kei sich in den letzten Jahren etwas erhöht
haben, hat sich die türkische Regiemng zu
diesem Schritt entschlossen.
Aufgmnd dieser Entwicklung haben im
Frühling 2010 die Bauarbeiten am seit Jah­
ren stilistehenden Projekt im Dorf Ilisu
wieder begonnen. Im Mai 2010 wurden
Fotos bekannt, die den Baufortschritt
zeigten.
Eine weitere wichtige Frage an diesem
Punkt ist die folgende: Das Know-How der
türkischen Untemehmen ist nicht soweit
entwickelt, dass groBe Turbinen - wie für
das Ilisu-Projekt vorgesehen - produziert
und errichtet werden können. Insofem
musste ein intemationales Untemehmen frü-
her oder spâter einspringen. Wâhrend angenommen wurde, dass dies in etwa zwei
Jahren der Fail sein würde, hat sich im Juni
2010 vieles getan. Mitte Juni 2010 erklârte das österreichische Untemehmen Andritz,
dass sie elektromechanische Ausrüstung vor allem Turbinen - in Höhe von 340 Mio.
Euro für das Ilisu-Projekt liefem würden.
Nach dem Rückzug der europâischen Kre­
ditbürgschaften im Juli 2009 waren bekanntlich die europâischen Untemehmen de
facto aus dem Projekt raus. Wâhrend Alstom aus der Schweiz und Züblin Anfang
2010 offiziell auch mitteilten, dass sie aus
dem Projekt raus sind, hat dies Andritz nie
getan. Denn sie hofften, wie jetzt geschehen, dass sie wieder einspringen könnten.
In ihrer Erklâmng spricht sie davon, dass
„nach der zwischenzeitlichen Suspendiemng der Liefervertrâge sâmtliche Voraussetzungen für die Wiederaufnahme geschaffen seien." In ihrer Begründung verdreht Andritz ganz offen die Realitâten
(„funktionierendes Rechtsystem", „besonders modemes Kraftvverk mit hoher sozialer und umweltmâ6iger Absichemng",
„Bau von Klâranlagen in Stâdten der Region"), womit sie der Öffentlichkeit praktisch aussagt, dass für sie nur der Profıt und
weitere ökonomische Interessen in der
Türkei ausschlaggebend sind. Wâhrend
viele Konzeme nach so viel Kritik in der
Öfientlichkeit und Widerstand an einem destmktiven Projekt sich zurückziehen, um etwas Gesicht zu wahren, ist Andritz besonders arrogant und unverschâmt.
Interessant ist auch, dass weitere europâische Untemehmen im Projekt verblieben sein soUen. Dabei kommen nur die
kleineren schweizerischen Untemehmen
Colenco und Maggia ins Spiel. Oder sind
doch andere europâische Untemehmen eingesprungen? Das wird sich im Laufe der
Zeit zeigen.
Der Verbieib von Andritz hat noch einen anderen wichtigen Aspekt. Andritz ist
zusammen mit dem türkischen Bauunternehmen Nurol Konsortialleiter bei diesem
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Ökologie
RONAHI
Projekt. Weil Andritz im Projekt geblieben
ist, existiert trotz gescheiterten intemationalen Kreditbürgschaften und Rückzug
von Alstom und Züblin nach Auffassung
der türkischen Regierung das Ilisu-Konsortium. Dieser Punkt ist kritisch, weil nach
dieser Meinung keine nene Ausschreibung
durchgeführt werden muss. Wenn cine
neue Ausschreibung angegangen wird,
würdc sich das Projekt um 1-2 Jahre verspâten. Dies war Gegenstand vieler Diskussionen in der Türkei. Es ist geplant,
dass Anwâlte der Initiative zur Rettung von
Hasankeyf in Kürze deswegen cine Klage gegen die Regierung starten, denn es
gab erhebliche Verânderungen am Projekt.
Wâhrenddessen sollen die Bewohner
vom Dorf Ilisu und Karabayir - dem
Baustellenort - in diesem Sommer aus ib­
ren Hâusem umziehen. Für sie wurden
neue Hâuser in der Nâhe errichtet, die aber
viel teurer als die Entschâdigungssumme
für die jetzigen Hâuser sind. So müssen sie
für die neuen Hâuser 70.000 TL (35.000
Euro) zahlen, wâhrend sie für die bestehenden Hâuser 20.000-30.000 TL erhielten. Ungeklârt, wovon sie cin Einkommen
haben sollen. Die Bewohner von Ilisu teilen mit, dass viele weitere Versprechen
nicht eingehalten wurden. So würden auf
der Baustelle fast aile Arbeiter von auBerhalb kommen. Mit dieser Umgehensweise werden sie deutlich schlechter gestellt und nicht im geringsten nach inter-
nationalen Standarts umgesiedelt - von den
durch die europâischen Regierungen gestellten Auflagen ist nichts zu sehen.
Neben den Bauarbeiten in Ilisu haben
im Juni 2010 vorbereitende Bauaktivitâten für „Neu-Hasankeyf' 2 km nördlich
vom jetzigen Hasankeyf begonnen. Die
Türkei macht somit emst und versucht das
Projekt in jeden Fail voranzutreiben. Obwohl über 90 % der Bewohner von Has­
ankeyf klar gesagt haben, dass sie nicht in
den neuen Ort aus mehreren Gründen um­
ziehen werden, wird dort gebaut. Die Bewohner sind einfach gegen die Flutung ihres Ortes. Hinzukommt, dass sie wie in Ili­
su bei einem Umzug verschuldet würden.
Ausserdem würde es dort keine Finkommensmöglichkeiten geben.
Auch cin anderes Versprechen bricht die
Türkei im Ilisu-Projekt: Aus einem Artikel der Hürriyet Daily News vom 24.5.
geht hervor, dass nun auch Hasankeyfs antike Brücke und die antike Fİ Rizk Moschee nach den Plânen der türkischen
Behörden in den Fluten des Ilisu-Staudamms versinken sollen. Bisher hatten die
türkischen Behörden versichert, Hasankeyf
werde „gerettet", indem die wichtigsten
zwölf Monumente im Original abgetragen
und wieder aufgebaut werden. Jetzt ist nur
noch von „Nachbildungen" die Rede.
(siehe link: http://www.hurriyetdailynews.com/n.php?n=hasankeyf-to-be-moved-2010-05-24)
Die Kampagne gegen den Ilisu-Staudamm ist an einem kritischen Punkt. Fs
wird gebaut. Direkter Protest muss gezeigt
werden, cin neues Niveau im Protest,
sonst ist der Kampf verloren. Auch wenn
bisher in der Türkei/Kurdistan gegen zerstörerische Staudâmme kein Protest sehr
direkt wurde und die Frfahrung dabei fehlt,
müssen neue Aktivitâten her. Daran arbeitet
die Initiative und weitere Gruppen.
Frschwert wird die Kampagne durch die
zunehmenden militârischen Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen. Fs ist schwer geworden, in die
Dörfer und nach Ilisu zu gehen. Angesichts
von Festnahmen, Folter, Repression gegen
Demonstrationen und vielfachem Tod ist
es schwieriger geworden, sich cine Stimme in der Öffentlichkeit zu verschaffen.
Hinzukommt, dass am 13. Juli 2010 in
Hasankeyf cin Felsbrocken herabstürzte
und dabei einen Menschen in den Tod riss.
Dies nahm der Gouvemeur zum Anlass,
den Zugang zur Burg und ihre nâhere Umgebung zu sperren, was den Tourismus in
Hasankeyf komplett zum Frliegen gebracht hat. Dagegen haben die Bewohner
mehrmals lautstark protestiert. Fs wird befürchtet, dass der Staat die Bewohner der
Stadt schleichend hinausdrângen will.
Perspektiven für die staudammkritische Bewegungen
Die Initiative zur Rettung von Hasan­
keyf war und ist sich auch bewusst, dass
das Thema der zerstörerischen Staudâm­
me nicht kurzfristig gelöst werden kann
und es sich um cine lange Auseinandersetzung handelt, da diese türkische Re­
gierung immer die gleiche undemokratische Politik so lange wie möglich vveiterverfolgen will. Nur cine breite soziale Bewegung im ganzen Land kann langfristig
an der zerstörerischen Wasserpolitik etwas
ândem. Deshalb schlossen sich 13 talsperrenkritischen Bewegungen zusammen und machten am 12. Januar 2010 in
istanbul einen Aufruf für cine neue Wasserpolitik. Sie lehnten in einer gemeinsamen Stellungnahme die Talsperren- und
Wasserkraftwerkprojekte der türkischen
Regierung ab, weil diese zu gravierenden
sozialen, kulturellen und ökologischen
Kösten führen.
Unter der Bezeichnung „Akarsu Ha­
reketleri" (Fluss Bewegungen) haben
sich inzwischen über 25 staudammkriti-
39
Bewahren wir unser Daseio und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHI
Ökologie
3. Unsere Intention zum Start eines Dische Bewegungen zusammengeschlossen.
Die meisten Bewegungen sind aus den skussionsprozesses ist es, die soziale und
kurdischen Regionen am Tigris, Munzur ökologische Nutzung der Wasserressourund Zap und von der östlichen Schwarz- cen für die Menschen sicherzustellen,
meerregion, darunter viele Bewegungen basierend auf den Prinzipien der sozialen
aus dem Coruh-Fluss Einzugsgebiet, Gleichheit und egalitâren Partizipation. Als
aber auch aus der Âgais-Region. Am Schlussfolgerung fordem wir die Über14.3.2010 demonstrierten diese Bewe- tragung der Verantwortung für den Gegungen gleichzeitig in mehreren Örten. brauch der Wasserressourcen im Rahmen
Am 25.4.2010 fand in istanbul eine gro- eines „demokratischen Wasser-Manage6e Demonstration mit 5000 Teilnehmern statt, die von mehreren Bewegungen organisiert wurde.
Vor etwa zehn Jahren begannen die ersten Proteste gegen zerstörerische Talsperren, die in den letzten zwei-drei Jah­
ren zugenommen haben, auch weil L i zenzen für immer mehr kleinere und
mittelgroBe Wasserkraftwerksprojekte an
Untemehmen vergeben werden. Über
400.000 Menschen wurden bisher vertrieben, meistens endeten sie in der Ar­
mut. Hunderte historische Orte mit einer Vergangenheit von bis zu 12.000 Jah­
ren wurden überflutet. Viele Flussökosysteme wurden zerstört. Da die türkische Regierung noch 2000 weitere Projekte plant, stehen noch weitere groBe
Zerstörungen an, wenn nicht Einhalt geboten wird.
Die genannten Bewegungen schlieBen
sich zusammen, weil nur sie es gemeinsam schaffen können, diese Zer­
störungen in der Öffentlichkeit bekannt
zu machen und eine Verândemng der Po­
litik zu bewirken. Die talsperrenkritischen Bewegungen haben auf der Pressekonferenz angekündigt, zukünftig
verstârkt dagegen vozugehen und die fol- ments" an die lokalen Behörden und lokale
genden Vorschlâge für eine neue partizi- zivilgesellschaftliche Organisationen.
pative und ökologisch orientierte Was4. Es müssen kompetente Institutioserpolitik unterbreitet:
nen und Organisationen etabliert werden, die mit den notwendigen finanziellen
1. Die Regierung der Türkei muss Mitteln ausgestattet sind, um zu den verdringend ibre falsche Wasser-Politik be- schiedenen Aspekten der mit Wasser verenden und aile Staudamm- und Wasser- bunden Ökosysteme Daten zu erheben und
kraftwerkprojekte, die sich in Bau oder Pla- Forschungen zu betreiben; z.B. zum
nung befinden, stoppen.
Schutz der Funktion der Ökosysteme,
zur Biodiversitat, zu den Siedlungen, zur
2. Gemeinsam mit der Gesellschaft Bewâsserung, zum Öko-und Gesundheits- eingeschlossen die von Staudammen Tourismus.
und Wasserkraftwerken betroffenen Men­
schen, lokale Behörden, Umweltschutz5. Im Licht der oben genannten Forund Menschrechtsorganisationen, Ex- derungen beabsichtigen wir die Grünpertlnnen, Berufsverbânden usw. - muss dung einer „Wasser-Arbeitsgruppe", um
eine neue Diskussion mit dem Ziel der den Diskussionsprozess zu einer neuen
Entwicklung einer neuen Wasser-Politik Wasserpolitik voranzutreiben. Jeder Bebeginnen.
reich und jede Organisation der Gesell­
40
schaft müssen die Möglichkeit haben,j
auf gleichberechtigter Basis an dieser Arbeitsgmppe mitzuwirken. Langfristig muss|
diese Kommission die Umsetzung der|
angestrebten neuen Wasser-Politik über-;
wachen.
AUFRUFZURSPENDE
Anfang des Jahres 2010 wurde deri
„Verein zum Erhalt von Hasankeyf und|
des Tigristales" in Batman gegründet, um
die Ziele der Initiative zur Rettung von I
Hasankeyf zu unterstützen.
In den vergangenen 5 Jahren hat die
Intiative eine lang andauemde Kampagne
auf die Beine gestellt, die Betroffenen
über ihre Rechte informiert, die Öffent-ı
lichkeit zur kritischer Haltung gegenüber dem zerstörerischen Ilisu-Projekt
aufgerufen, Berichte erarbeitet und auch
in entscheidender Weise die drei europâischen Regierungen dazu gezwungen, ihre Kreditbürgschaften zurückzuziehen. Weiterhin hat sie erheblich dazu
beigetragen, dass sich türkeiweit ein
Netzwerk von staudammkritischen Bewegungen gebildet hat.
Doch der Bau der Ilisu-Staudammes
geht vveiter, wogegen der Widerstand
weiter ausgebaut vverden muss. Die bisherige Arbeit haben wir durch ehrenamtliche Arbeit und durch Zuwendungen
unserer Mitgliedsorganisationen finanziell bewâltigt. Doch angesichts der kritischeren Lage, sind immer moht
Ressourcen notwendig. Deshalb rufen;
wir aile Menschen und Organisationen
auch in Europa auf, eine Spende an unseren Verein zu richten. Eure Spende wird
dazu beitragen, dass wir das kültürelle und
ökologische Erbe des Tigristals und diel
Rechte seiner Bewohner besser verteidigen können.
Hier die Daten des Euro-Kontos un- i
seres Vereins:
|
Bank Name: Fortis Bank Batman ;
Branch Turkey
;
Kontoinhaber: Hasankeyf ve Dicle
Vadisini Yaşatma Demeği
Euro-Kontonr: 301080056EUR \
IBAN
I
Code:TR360007100296301080056EURı
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
Nerınek li ser dıroka 'Şanoya Kurd
"Koka şano ya kurd kevin û dewlemend e. Dîsa jî em nikarin behsa şanoya dramatik bikin.
Şano ya kurdî di sala 1918'an de weke tekstekî yekemin bi Rehmî Hekarî te nivîsandin''
Aydın Orak
Beriya ku însan şareza bibin bi rîtuelan dijîn. Ji bo ku neçîra xwe bikin diketin eyaren heywanan û teqlîden wan dikirin
û neçîra xwe bidest dixistin. Mirovahî bi rîtuelen weke; taziya, aşûra, qesîde û hwd. re nîşaneya şanoye didin. Şano bi van
mînakan dikeve şeweyekî din. Piştre şahiyen Dîonîsos derdikevin li Yewnana Antîk. Di nava deme de şano peş dikeve û
gelek merheleyan derbas dike. Çeşîden cur bi cur derdikevin.
Ji wan; tragedya, komedya, dram, fars, vodvîl, muzîkal, ope­
ra, kabare, absürd, epîk, ajît-prop û hwd. derdikevin. Ji bo ku
batiye nivîsîn, ji dîroka Beriya Zayîne beta îroyîn bi materyal
bingeba dîroka şanoye li Yewnana Antîk batiye avetin.
Em werin ser mijara xwe; Şanoya Kurd. Dîroka şanoya kurd
çiye û neçiye? Weke ku em dizanin; Mezopotamya an jî Kurdistan ji gelek gelan re bûye şaristaniyeke dewlemend. Destanen weke Gilgameş, Newroz, Mem û Zîn, Siyabend û Xece û
bwd. bene. Dîsa lîstiken ku di nav gel de ten lîstin mijaren şano­
ya gelerî ne. Zargotin, reqs û mûzîk... Le dive em dengbejan
jibîr nekin. Dengbejan çanda kurdan bi devkî beta îroyîn anî­
ne. Dengbej, vebej û çîrokbej ji bo şanoya kurd dewlemendîne. Em berçiqas bejin koka şanoya kurd pir kevin û dewlemend
e jî, ji bo ku di wan deman de şano bi zanyarî nebatiye çekirin, em nikarin ji bo şanoya dramatîk bebsa dîrokeke kevin bi­
kin. Herçiqas bingeb û çavkaniya Şanoya Kurd dengbejî be jî
beta îroyîn, motîf û materyalen di Şanoya Kurd de nebatine ceribandin. Ev naye we wateya ku çavkaniya Şanoya Kurd ne
dengbejî ye.
Di sala 1918'an de kurdekî bi nave A. Rebmî Hekarî(Zapsu), teksteke bi nave Meme Alan dinivîse û di kovara Jîne de
41
diweşîne. Ev tekst di şanoya kurdî de weke teksta yekemîn te
pejirandin. Ev tekst piştre gelek caran bat çapkirin. Te gotin ku
di salen 1918-1919'an de li Stenbole Komela Jinen Kurd du lîs­
tiken şanoye derdixin bole. Mixabin ev çi lîstikin û bi çi awayî batine afirandin û mijara wan çiye nayen zanîn. Em ji kür­
den başûr bîn dibin ku di sala 1920'an de lîstiken kurdî li Başûre
Kurdistane peşkeş kirine. Di salen 1960'an de lîstiken li dijî pergale derxistine. Di sala 1930'î de Kürden li Rusyaye perwerde bûne, li bajare Elegeze lîstika Mem û Zîn derdixin ser dike.
Di sala 193re de Ereb Şemo lîstikeke bi nave Koçeken Derewîn amade dike û te lîstin. Di sala 1946'an de di dema Komara Mababade de lîstikek bi nave Dayika Niştiman te afirandin.
Lîstik muzîkaleke ku çar perçeyan dike mijar e. Ev lîstik kengî, di çi rewşe de derketiye ser dike em nizanin, teskta lîstike
jî neketiye deste me.
Dîsa nivîskare bemdem û nemir Musa Anter di sala 1959'an
de li Girtîgeba Harbiyeye berbemeke şanoye bi nave Birîna Reş
dinivîse. Ji salen 1970'yî û vir ve li Rusyaye ronakbîren kurd
kare şanoye peş dixin û di we deme de gelek berbeman di afirînin. U gelek berbemen şanoye ji bo radyoya Erîwane weke
şanoya radyaye amade dikin. Di we deme de gelek lîstiken klasîk jî werdigerînin zimane kurdî. Ji wan; Gogol "Hesebger" û
Vîktor Hugo "Beçare" çend mînakin. Di wan salan de li Silemaniye dibistana Hünere te avakirin. Ev dibistan ji bo peşketina şano û lîstikvanan roleke mezin dilîze. Gelek nivîskar û lîstikvan ji we dibistane derdikevin. Heta ve dere em ji bin go­
tin, bevpeyvîn, lekolîn û nivîsinan bînbûn. Dibe ku ev dîrok ji
sedî sed ne rastbin.
Ji bo kürden bakûr; di sala 1988'an de Mamoste
Cemîl û bevalen xwe li metropole Tirkiye di cematen kurdan de lîstiken gel ango gelerî ye şanoye dileyîzin. Şanoyen odeyan çedikin. Ev agabî Mamos­
te Cemîl di bevpeyvîna xwe ya 2005'an de ku min
pe re kiribû dabûn min. Le bi rexistin di sala 1990199re de bi damezrandina Navenda Çanda Mezo­
potamya û Kay-Der e şanoya kurdî bi bez dibe. Teatra Jiyana Nû bi reberiya Mamoste Cemîl lîstika xwe
ya yekemîn "Mişko" dileyizin. Heta îroyîn zedeyî 50
lîstikan derdixin ser texte şanoye û di gelek mîbıicanen
navnetewî de derdikevin ser dike. Gelek tumeyan pektînin. Klasîken cîbane werdigerînin şanoya kurdî. Niba
li gelek ciban şanoya kurd tâ çekirin. Him sazî bim
jî şanoyen taybet yen weke; Teatra Jiyana Nû, Seyrî Mesel, Teatra Avesta, Teatra Destar, Şanoya Baja­
re Mezin A Amede, Şanoya Şaredariya Sure, Şano­
ya Şaredariya Nisebîne, Teatra Arşen Poladov ku
Şanoya Kurd dikin bene.
Bewahren wir uııser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
Das Mietshaus
Jaklin Çelik*
Die junge Frau blieb vor dem Holzhaus
mit dem Erker stehen und betrachtete
das vierstöckige Gebâude aufmerksam. Vor
der Tür mit den zwei Flügeln sah das kleine Kind, das die Hand der Frau hielt, regelrecht winzig aus. Die Frau dachte sich
,4ıier muss es wohl sein." Sie zog zwei Mal
an der Schnur neben der Tür, und die Klingel lâutete drei, vier Mal. Das Kind richtete seine Augen auf die Schnur, doch vergebens; es konnte die lâutende Glocke
nicht entdecken.
Hastig zupfte sich die Frau noch einmal zurecht, und ging sicher ob das Taschentuch noch in der Tasche des Kindes
ist.
„Mein Mâdchen, putz dir auch ja die
Nase wenn sie lâuft, in Ordnung?"
Das Mâdchen nickte mit Einverstândnis den Kopf, steckte ihre Hand in
ihre Tasche und hielt ihr Tuch fest.
Kurz darauf öffnete sich dir Tür mit einem "klock" und einem "klack". Die
Schnur, die zur Decke hinein fiel, war an
die sich öffnende Seite vor der Tür gebunden, sodass wenn sie von oben gezogen wurde, die feste Türseite aus ihrer eisemen Schiene fuhr und bis zum Anschlag
geöffnet werde konnte. Das kleine Mâd­
chen spürte die kalte Briese auf ihrem Gesicht als sich die Tür öffnete. Der Anblick,
den sie erhaschen konnte verzauberte sie.
ihre Mutter tat einen Schritt in den steinemen Vorraum mit einer hoher Decke und
Marmorboden und zog vorsichtig die
Holztür hinter sich zu. Diesmal schloss sich
die Tür mit einem „klack".
Links und rechts erstreckten sich zwei
Holztreppen in den ersten Stock. Vor ihnen lagen zwei Stufen aus Stein, die hinunter zu einem zwei- Quadratmeter- gro6en Treppenabsatz führten, an dessen
Seiten jeweils rechts und links zwei mit
Holztüren abgetrennte Bereiche waren.
Diese Bereiche, die angelegt wurden um
überschüssigen Raum im Treppenhaus
zu verwerten dienten zuvor als Bad und
nun als Kammer für Brennholz.
42
Man hörte Schritte einer Person, die gemâchlich die Treppe herunter kam.
„ Das muss die Eigentümerin sein",
dachte sich die Frau.
Als sie nur mit einer Stufe zum zweiten,
groBen, steinemen Vestibül hinab gingen, befreite sich das Kind behutsam aus
der Hand der Mutter und wandte sich der
Gartentür am linken Ende des Raumes zu.
Fine Mischung aus feuchtem Geruch von
Innen und Sonnenstrahlen streichelten
ihr Gesicht. Gleich auf der linken Seite entdeckte sie einen bunten Teller, der auf ei­
nem mit Spinnenweben umwobenem Regal aus Stein lag. Kaum als sie ihre Hand
ausstreckte um nach dem Teller zu greifen,
war er auch schon runtergefallen.
Als von hinten eine alte, raue und hohe
Stimme, „fass das nicht an, schau an was
du angerichtet hast!" schrie, war das Erste was sie sah der verlegene Gesichtsausdruck ihrer Mutter. Die junge Frau biss
sich auf die Unterlippe, las den Teller vom
Boden auf und legte ihn behutsam zurück
auf den einzigen sauberen Platz des verstaubten Regals. Als sich die Blicke der al-
ten Frau, der die Stimme gehörte, und dem
kleinen Kind trafen, bemerkte es, dass es
ihren Gesichtsausdruck genauso wenig
mochte wie den Klang ihrer Stimme. Der
Körper unter dem hellen Morgenmantel der
Frau schien steif, ihre Hânde zitterten. Sie
verstand, dass diese Frau mit den grauen
Haaren und dem wei6en Teint sie nicht besonders mochte, welches sie zu Genüge zu
spüren bekam.
Die alte Frau wandte sich den Jungen, die das Haus mieten wollten, zu und
sagte in nur einem Atemzug: „Ich möchte keine Familie mit Kindem in meinem
Haus."
Die junge Frau blickte nicht mehr
vorwurfsvoll auf ihr Kind, das an ihrem
Rockzipfel klebte. Die alte Frau wollte auf
keinen Fail Kinder in ihrem Haus. Der
Versuch sie zu überreden wâre vergebens.
Wie hâtte die junge Frau angesichts dieser strikten Reaktion offenbaren können,
dass sie ihre anderen zwei Kinder, die unbedingt mitkommen wollten aus Verlegenheit zu Hause gelassen hatte.
Die kurze Stille wurde von den schlurfenden Schritten durchbrochen, die die
Treppe herunter kamen.
„ Digin Azat, ur es*?"
„ Hoş em Kayane, yegur*?"
Das Kind riss die Augen auf und
horchte den Schritten. Eine Person, deren
Sprache sie nicht verstand nâherte ihr sich.
Erst richtete sie ihre Blicke auf die schvvarzen Netzpantoffeln, dann auf das Gesicht
der zweiten alten Dame. Kayane vvandte
sich zu Azat und sagte mit einem Dialekt
der Armenier aus istanbul:
„ Sind sie wegen des Hauses gekommen?"
Azat erwiderte mit einem unzufriedenen Tonfall einfach nur: „E he..."
Nachdem sie die Antwort erhalten
hatte, wandte sich Kayane der jungen
Frau zu und fragte: "Haysınız*? "
Venvirrt versuchte sie ihre Frage zu korrigieren ,Also, seid ihr Armenier wollte ich
wissen..."
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
Die junge Frau schien nicht besonders angetan von dieser Frage zu sein.
„Mein Mann ist Hay, ich bin Aramaerin."
Nun machten die beiden alten Damen groBe Augen. Zwei paar venvirrte Augen blickten auf die junge Frau.
Kayane fragte:
„Werdet ihr auch getauft?"
Die junge Frau war verwundert.
„Selbstverstândlich, wie aile anderen
Christen auch."
Die junge Frau, die kam, um das
Haus zu mieten war auf Grund dieser Fra­
ge, der sie keinen Sinn zuordnen konnte
verwundert und blickte auf die zwei alten
Damen. Kayane riss sich rasch zusammen.
„Entschuldige unsere Unwissenheit,
mein Kind. Azat und auch ich haben
noch nie zuvor Aramâer kennengelemt. ist
das dein Junge?"
Die angespannte Atmosphâre lokkerte sich mit dieser Frage etwas auf.
„Sie ist kein Junge sondem cin Mâdchen" erwiderte die junge Frau.
Die Augen, die sich hinter den Gla­
sem der groBen Erille von Kayane verbargen, waren feucht geworden. Als sie an das
Kind herantrat und ihre Wangen küsste,
unterdrückte der Geruch von Mottenkugeln
und Knoblauch den vorherigen Gemch von
Feuchtigkeit, der aus dem Vorraum kam. Sie
wandte sich der jungen Frau zu:
„Sind da noch weitere Kinder?"
Die junge Frau erwiderte in einem
Atemzug:
„Eine âltere Tochter und cin Sohn
warten zu Hause."
Kayane wandte sich wieder Azat zu
und sagte: „Azat ka, nun sich, wie fröhlich
es in unserem Haus zugehen wird!" Azat
blickte regungslos in Kayanes Gesicht. Sie
war wütend geworden.
Die junge Frau fing an in nur einem
Atemzug von den guten Eigenschaften ihrer Kinder zu berichten. Gleichzeitig holte das kleine Mâdchen ihr Tuch aus der Tasche und putzte sich ihre Nase, die gar
nicht lief. Wâhrend sie das tat, schaute sie
mitten in die Augen der alten Frau mit der
hohen Stimme.
Eher unfreiwillig willigte die Hausherrin Azat cin, dass cine Familie mit drei
Kindem in ihr Haus einzog. Gleich darauf
begann sie ihre Bedingungen aufzuzâhlen.
„Ein Mal die Woche werden die Treppen und der Vorraum geputzt. Der Lâufer muss sorgfâltig getrocknet werden.
Wenn er feucht bleibt, würden die Stufen anfangen zu modern, weil sie aus
Holz sind. Und der Boden im Vorraum ist
aus Marmor, er würde dreckig wenn
man ihn betritt. Die Fenster im Innenhof,
die zur StraBenseite gerichtet sind müssen einmal im Monat sauber gemacht
werden und die Spinnweben entfernt
werden. Die Tür wird nicht hastig zugeschlagen und die Kinder sollen die Treppen langsam auf- und absteigen. Verhaltet
euch in meinem Haus ja nicht, wie auf
den StraBen drauBen! Darüber hinaus,
zieht erst einmal cin und vveiteres besprechen wir dann. Jetzt fâllt mir nicht
mehr viel cin..."
Kayane drehte sich um und sagte mit
einem etwas verlegenen Tonfall:
„Beângstige doch das Mâdchen nicht
so sehr, sie wird noch denken dass du sie
als dein Dienstmâdchen einstellst."
Azat blickte etwas unbesonnen auf
Kayane. Die junge Frau erwiderte rasch:
"Geht in Ordnung, ich bin einverstanden."
Kayane war erleichtert.
Wie hâtte es sein können? Wer hâtte geahnt, dass die alte Azat die junge Frau
adoptieren würde, mit der sie fünf Jahre zu­
vor so grob umgegangen war? Dass die
junge Frau 30 Jahre lang in diesem Haus
leben konnte und nur wegen des Andenkens an Azat das ihr hinterlassene Haus
nicht verkaufen wollen würde?
Das einzig Absehbare zu diesem Zeitpunkt war, dass Azat und das kleine Mâd­
chen sich nie wirklich wohl gesinnt waren.
Und selbst als die StiefgroBmutter auf dem
Sterbebett im Krankenhaus ihre letzten
Tage verlebte, verflog sie nicht aus dem
Gedâchtnis des Kindes: die Erinnemng an
die ersten - jedoch unbeschreiblichen Blicke.
Kayane würde die Antwort von ihrem
ach so geliebten kleinen Mâdchen auf die
Frage „Würdest du mich vergessen wenn
ich sterbe?" erst nach ihrem unervvarteten
Tod erhalten.
Das kleine Mâdchen durfte nun hinaus
in den Garten. Doch der erste Schritt den
sie über die Schwelle tat, brachte wieder
die alte, hohe Stimme zum erklingen:
"Tritt da nicht drauf! Du holst noch den
ganzen Dreck hincin!" „Digin Azat, ur
es?" [Arm.: „Wo bist du. Madam Azat?"]
„Hoş em Kayane, yegur!" [Arm.: „Hier
bin ich Kayane, komm!"]
„Haysınız?" [Trk./Arm.= „Hay
mısınız?" = „Ermeni misiniz?": „Seid ihr
Armenier?"]
""Ûbersetzt von Eda - YXKFrankfurt
***
43
Bewahren w ir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
Das Problem mit der Sorache
Ein Ausschnitt aus Musa Anters Werk „Meine Memoiren", übersetzt von Ernst Tremel
Ein Jahr folgte dem anderen. Eine neue
Epoche entstand. Das Volk verânderte
sich: „Die Welt wurde zu Staaten, das Kurdentum erhob sich/'
SchlieBlich wurde die Republik organisiert. Man bildete Amtsbezirke, neue
Landkreise und neue Regierungsbezirke.
Jetzt war es den Gendarmenl, den Steuereinnehmem und anderen Beamten ohne
weiteres möglich, in die Dörfer zu kommen. Nicht nur das. Diesmal tyrannisierten sie sogar Orte, die früher für sie unerreichbar waren. Das Dorf gehörte uns, ich
hatte keinen Vater. Da es in der Familie
aber keinen Mann gab, der das Dorf hatte vertreten können, übernahm meine
Mutter selbst das Amt des Ortsvorstehers.
Leider gab es weder im Dorf noch in seiner Umgebung jemanden, der auch nur ein
Wort türkisch sprach. Die Steuereinnehmer
waren Einheimische, Kürden. Deshalb
war es einfach, sich mit ihnen zu verstândigen. Sobald jedoch die Gendarmen
kamen, begannen die Schwierigkeiten.
Was sie wollten, konnten wir überhaupt
nicht verstehen: Wollten sie Hühner, Eier,
Geld oder Brennholz für die Wachstuben?
Wir wussten es nicht. Ein Dörfler aber, der
nichts verstand, wurde verprügelt und
verflucht. Wir waren bereit, ihnen alles,
was sie haben wollten, zu geben; denn so
war es üblich. Wir waren der Meinung, dies
sei eben die Regierung. Dieses Sprachproblem aber brachte uns arg in Bedrângnis. Besonders meine Mutter ging fast
daran zugrunde. BloB um verstehen zu
können, was die Gendarmerie forderte, beabsichtigte sie, mich zur Schule zu schikken, damit ich dort türkisch lemte.
Das Telefon, den Jeep und den berittenen Kurierdienst gab es damals noch
nicht. Deshalb organisierte man den amtlichen Schriftverkehr zwischen unserer
Kreisstadt Nusaybin und unserem Amtsbezirk Akarsu auf folgende Weise: Aile
zwei Wochen trafen sich zwei Gendarmeriesoldaten aus Nusaybin mit zwei
Soldaten aus Akarsu auf den Lândereien,
die zu unserem Dorf gehörtenm und überreichten sich dort die entsprechenden
amtlichen Schreiben. Tellaki nannte man
diesen amtlichen Austausch auf Arabisch,
was soviel wie Entgegennahme bedeutet.
Meistens fand das auf unseren Zuckerbzw. Wassermelonenfeldem statt. Sobald
wir Kinder die vier Gendarmen erblickten,
versteckten wir uns und schlichen lautlos
hinter ihnen her. Manchmal suchten sie
nach ein paar essbaren Melonen. Dazu zerhackten sie mit ihren Bajonetten etwa fünfzehn bis zwanzig Honigmelonen in Stücke.
Einfach so, ohne sie vorher zu pflücken.
Sie konnten namlich reufe Früchte nicht
von unreifen unterscheiden. Nur, weil sie
groB war, dachten sie, die Melone sei reif
und zerschnitten sie. War sie aber unreif,
gaben sie ihr einen FuBtritt und verfluchten sowohl die Melone, als auch den, dem
sie gehörte. Wir Kinder wussten zwar, wie
man reife von unreifen Melonen unterscheidet. Doch da wir des Türkischen nicht
machtig waren, konnten wir es den Gendarmen nicht erklâren. AuBerdem hatten
wir Angst vor ihnen. Auch nahmen sie uns
sowieso nicht für voli. Wenn dann unsere Erwachsenen auf die Felder kamen,
brachten sie aile zwei Tage diese in Stücke
gehauenen Melonen ins Dorf und fütterten damit die Tiere. Wir sagten ihnen: „Die
Gendarmen haben diese Zerstörung angerichtet." Sie sagten nichts dazu, auch regten sie sich nicht auf.Uns kam das sehr
sonderbar vor. Offenbar glaubten sie, so
vermute ich, dass alles, was die Gendarmen taten, richtig sei und auf Befehl der
Regierung geschahe: selbst, dass man die
verprügelte und verfluchte und ihre Melonen in Stücke zerhackte...
Romi, „den Türken", nannte man den
Gendarmen, auch jetzt wird er noch so genannt. Spâter untersuchte ich diese Bezeichnung und kam zu folgendem Ergebnis: Unser groBer Dichter Ehmede Xanî
spricht im Vdrwort seines berühmten klassischen Werkes Mem û Zîn vom „Rum û
Ereb û Ecem", d.h. „vom Türken, vom
Araber und vom Perser". Rom und Byzanz
sind historisch die ersten, die Kurdistan auf
grausame Weise besetzten. AuBer Unter-
44
Bewahren w i r unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
Kunst / Kultur
RONAHÎ
drückung, Verachtung und Schamlosigkeit
haben diese Menschen vermutlich nichts
gebracht, die lediglich als Soldaten, ohne
Bindung an eine Familie, in unser Land ka­
rnen. Auch die muslimischen Türken
(Seldschuken) berührten auf ibrem Durchmarsch Kurdistan, unterstützt durch den
Ferman der abbasidischen Kalifen in Bagdad auf der einen, sowie durch kurdische
Prinzen und Fürstentümer auf der anderen
Seite. Dabei blieb es nicht. Die Türken siedelten sich in den Teil des Landes an, den
wir Anatolien nennen, und machten ihn
zum Familienbesitz für sich selbst. Dabei
stieBen sie auf den Widerstand der dort
sesshaften Rum, der Byzantiner. Wie die
römischen und byzantinischen Soldaten kamen auch die Türken lediglich als Solda­
ten, ohne Familien. Wie diese benahmen
sie sich den Kürden gegenüber. Wie die­
se missachteten sie die kurdische Tradition
und Erziehung. So ist es nur folgerichtig,
dass sie von den Kürden ebenso romî gennant wurden. Selbst heute sagen die Kür­
den, sobald sie mit vergleichbaren Situationen konfrontiert werden: „Die romî besitzen keine schâtzenswerte ethische Qualitâf. Und sie meinen die Türken damit.
Nun, solche Vorfâlle, wie die mit den
vier Gendarmen, machten es für mich geradezu lebensnotwendig, dass ich die
Schule besuchte und Türkisch lernte.
Doch bevor ich von meinen Erfahrung in
der Schule berichte, möchte ich noch auf
eine eigenartige Vorstellung eingehen,
die mir in unserer Gegend aufgefallen ist:
Seit JahrJahrhunderten werden einige
handwerkliche Tatigkeiten sowie ein Studium, dass nicht theologisch ist, von den
einfachen Leuten als ungehörig, mehr
noch als schândlich angesehen. Einige Beispiele: Das Handwerk eines Verzinners, die
Tâtigkeit eines Hufschmiedes, die Weberei, dass Trennen von Baumwollfasem von
den Samen und auch das „Efendi-Sein'',
d.h. lesen und schreiben zu lemen. Freundschaftlich besorgt und aufrichtig fragten
mich viele Leute wâhrend meiner Studienzeit: „Sag doch selbst, Sexo (Musa),
ist es nicht eine Schande, wenn du studierst? Kurz gesagt, wirst du uns nicht aile
zum Gespött werden lassen, wenn du le­
sen und schreiben lemst?" In einer Hinsicht
hatten sie sogar recht. Denn nicht wenige
dieser „Studierten", auf die sie zu sprechen
kamen, waren nichts weiter als Intriganten, Bestechliche, Feiglinge und KoUaborateure.
45
Im Eebruar 1927 schickte mich meine
Mutter zur Schule nach Kercows, das
heute Gercüş heiBt. ibrahim Hoca (der spater Oğuz zu seinem Familiennamen machte), nahm mich als Gastschüler auf. Sobald
die Schule schlossen, kehrte ich ins Dorf
zurück. Einzelne Wörter wie „Brot, Wasser, Brennholz, komm! - geh!, Wie heiBt
du?" hatte ich gelemt. Weil sie in unserer
Fibel standen, kannt eich auch die Wörter
„Hahn, Huhn, Truthahn, F i " . Meine Mut­
ter hatte sich darüber sehr gefreut. Wegen
der Gendarmen, die diesen Sommer ins
Dorf kamen, hatten wir überhaupt keine
Schwierigkeiten mehr. Auch verprügelten
sie uns nicht mehr. Unser Problem hatte ohnehin nicht darin bestanden, ibnen etwas
zu geben, als vielmehr darin, nicht verstanden zu haben, was sie forderten. Im
nâchsten Jahr lieB ich mich in der Grundschule in Nusaybin einschreiben. Die
Schule hatte fünf Klassen und zwei Lehrer. Der eine war Tabir Halebiye, der andere der berüchtigte Sagir Hamdi. Sagir
Hamdi Bey unterrichtete die erste, zweite und die dritte Klasse. Die Kinder waren
laut und beschimpften sowohl sich gegenseitig als auch den Lehrer. Doch der hörte es nicht. Diesen Zustand konnte ich nur
zwei Monate lang ertragen. leh war fıx und
fertig. leh ging nach Hause und kehrte nie
wieder zurück. Ohnehin war Nusaybin damals ein heruntergekommener, malariaverseuchter ö r t . Es war nichts Ungewöhnliches, fast tâglich einige Sârge zu
Gesicht zu bekommen. Es existierte zwar
ein medizinisches Gutachten, das Gesetzeskraft besaB und Reisanbau nur in fünf
Kilometer von Wohngebieten erlaubte.
Dennoch kamen Nedim Bey, ein Spross
der Pirincciogullari aus Diyarbakir, und
Mahmud Advan, der sich spater den Fa­
miliennamen Deveci zulegte, daher und
bauten selbst mitten in Nusaybin Reis an.
Das genannte Gutachten hatte sie nâmlich
durch Bestechlichkeiten und andere Gefâlligkeiten auBer Kraft gesetzt. Wegen dieses Durcheinanders also und der Angst vor
Malana und dem Tod, stimmte meine Mut­
ter mit mir überein und schickte mich nicht
weiter nach Nusaybin. Wahrenddessen eröffnete man in Kurdistan mehrere Dorfintematsschulen. Zweck des Ganzen war
die Assimilation. Auch in Mardin gab es
solch eine Schule. In diese nahm man aber
nicht die Kinder der Armen, sondem die
der Agas und die reicher Familien aus dem
Regierungsbezirk Mardin und seiner Pe-
ripherie auf. Dazu gehörten: der Sohn, die
beiden Neffen und die Cousins und Cousinen Ahmet Süleymans, eines Stammesführers der Omeriyan; die drei Söhne îsa
Agas vom Stamm der Surguci; zwei K i n ­
der von den Avenas; zwei Kinder aus der
Familie Kercows Ekmen; die zwei Söhne
Mahmut Agas vom Stamm der Kikan;
zwei Kinder aus Semimax (Mazidagi). Mit
diesen und den vier Kindem aus Derik, K i ziltepe und Mahserte (Ömerli) und mir zusammen, dürften wir an die neunzig Schü1er gewesen sein.
Wie gesagt, die Absicht, die die Regierung mit diesen Dorfintematsschulen verfolgte, war die Assimilierung: die Kürden
solken zu Türken erzogen werden. Wenn
erst einmal der Stammesführer assimiliert
sei, so glaubte die Regierung, dann würde sich der gesamte Stamm sozusagen ganz
von selbst assimilieren. M i t Genugtuung
jedoch kann ich sagen, dass es nicht so
kam, wie sie sich das vorstellten. Weder ich
noch irgendeiner meiner jetzt noch lebenden Freunde, und auch keiner meiner
bereits verstorbenen, vvurde jemals zum
cahs. Selbstvestandlich konnten wir Dorfkinder mit unsreren geringen Türkischkenntnissen diese Politik noch nicht durchschauen. Hatten doch selbst unsere Erwachsenen ibre Schwierigkeiten damit. So­
bald die Planer eingesehen hatten, dass ibre
Assimilationsvorhaben zu nichts führten,
lieBen sie 1935 aile diese Intematsschulen
in Kurdistan wieder schlieBen. Und doch,
um mal ganz offen darüber zu sprechen,
mussten sie wohl gedacht haben, diese
Schulen hatten eine Art Weiterführung der
unglückseligen Hamidiye-Ausbildungsanstalten sein können.
Unser Schulgebaude war das spater in
Staatsbesitz übemommene Haus des Armeniers Kendir. Er hatte zu den bekanntesten armenischen Familien Mardins gehört, von den einen Teil wâhrend des Armenienmassakers umgebracht vvorden
war, der Rest jedoch nach Aleppo hatte fliehen können. Es war ein sehr schönes
Haus. Man hatte es aus den berühmten cremefarbigen Mardin-Steinen erbaut, die
man würfelförmig zugehauen und mit
Steinmetz-Omamenten verziert hatte. Es
war schön, dass im Vergleich zu ihm sowohl der Mecidiye- als auch der BagdadKöskü im Topkapi-Sarayi geradezu wie
eine Armenhaus aussahen.
^
Bevvahren wİT unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
1. Piatz der Kategorie "Kurdische Erzâhlungen" des Hüseyin Celebi Gedichte- und Erzâhlungswettbewerbs 2009
Abdullah Günay
Ji rojan ku haye min je çebûye wilo ye.
Dengeke sanîyeke nasekine. Zimane wî
se çar cara ji ye min direjtir e. Ji şeveqa
sere sibe heta nîve şeve di hindire sere min
de vir vir vir diaxive. Ne zane behvedan
çîye û ne zane rehet rehetberdan. Bûye be­
sine ber lingen min û ez hertim le dilikumim.
Ez diçim ku bi min re ye, weke benîşte
dara bi min zeliqîye. Difikirim çareserîyek ku ez xwe je xelasbikim nabînim.
Carna xwe li kerî derînim qet le guhdar
nakim,carna pere hers dibim; bi qerîn û
dijûna wî diçewsenim,carna jî besinci û
ezezîya wî li ser çave wî dixim. Le tu jî
wî nasekinenin. Qet ne xema wî ye, ne
tiştek li zora wî diçe,ne j j i min dixeyîde.
Ango piçek xurûr û rûmet pere nine.
Ez dibejim „law kuro here ji xwe re li
cîhekî din b i g e r e . . T u li ku cîhekî din
li ku? Ne ew li min guhdarî dike ne jî ez
li wî guhdarî dikim. Le....
Le carcara ew hest û beşe min tevlî hev
dike, carna jî ez aqile wî yî eletewş serobinî dikim. Şere me hîn jî didome...
Je dipinsi "tukîyî?"
Dibeje, wî beaqilo ma tu nizanî ez
kîme, ez tu me, tu jî ezim, em herkesin.
De ka werin û ji nav ve bobelate derkevin. Sed, hezar car mixabin ez nikarim
hawar û awaze xwe jî bighenim kesekî.
Ma eze ji dost û dijmin re bejim çi...?
We roje di tarîya şeve de li qiraxa rîya
ereba ez dimeşiyam. Bayekî henuk ji alî
çîyaye cûdî dihat. Wisa bi kefxweşî min
xwe bera himbeza wî bayî dabû. Min dixwest hindire min bi wî baye henik be
şûştin û ez jî teve reşbînî û valahîya xelasbim. Le lik u, bi denge wî yî ne xweş
re ez veceniqîm. Waye dîsa ez dîtim. Dîsa
şîyar bûye û we bi xeyal û hevîye min bilîze.
Ve care derdekî wî yî cuda hebû. Na ne
derd biryareke wî yî nu bû hebû. Bi quretîyeke behawe got, "eze çîroka biniviSim.
Min le meyzand û kenîyam.
Ji bo xwede ma ez wekî din çi bejim je
46
re.Le kene min tera wî nekir. Tew hîn betir li fikre xwe sor bû û jehra xwe bera dile
min da. Got,
Tu bawer nakî ku ez e karibim tiştekî
wisa bikim ne? Ma qey ew e ku çîroka dinivîsin ji min girtir, zanatir û baqiltirin?
Na. Qet tunebe min bîhîst pirtûk xwendin. Min dit ku nivisandin tiştekî çiqas hesan e. Lewre min re û reçiken nivîsandine jî baş dahurand. Ji car heye rondika ji
çave min dibarîne.
Li min dinere, bersiveke dixwaze.
"Raste" dibejim, ji bok u ve gotû beja
badihewa bişemirîne. Le belqitîyo li fik­
re xwe bûye agir. Daxwaze ez ji bi agire
wî bişewitim. Got:
"Madem raste tu çima bi kenekî biçûk
dîrî li min dinerî. Dîsa ji te dipirsim; çi
wan mirove ku çîroka dinivîsin jî yen min
zedetir e.
Ez edî ziver bûm, çav di sere min de dilîzin. Heta ez wî neçewsenim, stuşikesto dev ji min bemade. Ez çave xwe digirim û deve xwe vedikim:
"Bi te re qabîlîyeta nivîse tune. Bejevanî tune. Teş û pîvan tune. A herî girîng
jî hestete tunin. Tu be heştî. E ku hene jî
betore û xwexwazin. Kes tiştekî te naxwene. Ez jî naxwenim..."
Bi riwekî şaşbûyli û heyirî li min di­
nere. Le ev pir nakşîne. Disa bi dengekî
ji xwe bawer dibeje;
"Hesûdî. Tene hesûdî. Ji te naye ku tu
binivsî "lewre ji tu bi hesûdî nezîkî min
dibî. Le ku tu piçekî xiret bikî û dev ji hesûdîya berdî te jî binivisî.
Bi riwekî ku min bibexşîne li min di­
nere. Xwedeyo min xelaske ji deste vî kûçikbavî. Xwede jî razaye, min xelas
nake. Ew jî didome;
"Meyze, çirok nivîsandin ne tiştekî zor
û zahmete. Dile min bi te şewiti, ez e niha
hebo hebo xale re û re çika nivisandine ji
te re vebejim. Baş guhdarî bike. "Ez ji qehra mirim. Berûtîya vî xwede nehiştî ez fetisandim. Le wî dest bi pey ve xwe kir jî;
"Berî her tiştî rune û çi hat heşe te binivîse. Li du hevok û peyve xweş baz-
nede. Be çawa tu bi mirovekî re diaxivî
wisa binivîse. We peyv xweber te bibenim. Ne hewce ye keleka hev. Hemû peyv
di hindire te de li bendî te ne."
Ji min re dibeje; "Te got ere."
Bi behkişandineke neçarî sere xwe
dihejînim. Ew jî peyve xwe yî vala bi coş
didomîne.
"Le ev tene te nake. Di hindire nivîse
de bi hinek peyva bilîze. Paşgire "-İstan",
"baz", "firoş" û hwd. Bi qûna hinek bejeya ve gire bide. Wekî; zidanîstan, Merîstan, hestbaz, jinbaz, zimanfiroş, hevîfiroş... ku tu karibî baş bi peyva bilîzî û
wateya wan firehtir bikî te nevîye çîroke
xelas kir. Ew wilo.
Le ev jî ne bes e. Mijar lazim e. Mijara herî başbemijariye. Tene bila li ser tişte­
kî vala be. Mijar çiqas vala û lis er kîtekîte jîyana takekesi be, we çîrok hewqes
gerdûnî be. Heta ji te te bi zimanekî girtî, tevlihev û ku neye femkirin binivîse.
Çîrok çikas neye femkirin we hewqas be
girtin. Bila di her çîroka te de jinek û merek hebe û di her fersendede wan baveje ser hev...
Dîsa li min dinere. Çave wi pahn
bûne. Bi xwe emin didomene. Edî ez wî
guhdar dikim an nakim ne xem e. Ji xwere diaxife. Ez ji bû me hesîre wî.
"Felbazîye çîrok nivîsandine gelek in.
Ha j i te re yek din:
Ji bo ku tu paze xwe bilind bikî û bejî"
bi rastî min ddi van çîrokan de şewazeke xweber afirandîye" gerek di hindire çî­
rokan de tu hinek tişte eceb bikî. Mese­
la ez e di çîroken xwe de dijûre wisa binivîsim ku ki bixwene riwe wî/we sor
bibe. Kes nikaribe bid eng ji yekî/e din
re bixwene. Ji xwe tuk es nikare ji tere
tişkî jî beje. Heke yek bi şaşî beje "ev çi
ne?" we deme te bejî "dev ji van kevneşopî û eybâ berdin. Ez hunermendim
û hüner dikim. Di hüner de fedîkirin û
xeme civakî nig-giredan e. Hüner û hunermend azad e.
"Di çîrok nivîsandine de xaleke bingehîn jî ev e: Ger tu rojeve baş taqîb bikî
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
û mijare ku dikevin rojeva gel û civake
tu xweş bişopenî û şîrove bikî. Mîsal ku
kuştina jina ket rojeve te li ser ve mijare
çirokeke binivîsî, bi hewar û ban gewazî te bejî:
- wax l i min!
Rûsipî û livsipîye me, bi deve demonçe
çarde derb, di nav şeqe keçe çardeh salî
de li namûse diğerin..
Sedhezar car tifî li ve namûs û meranîye...
Wax li min! Agir bi wîjda û meranîya
me bikeve!
Bi vî hawî te çîrok bidemenî. Hevok û
beje çikas tûnd werin honandin we hewqas bale bikşîne û bandar bike. An jî em
bejin van roja li ser gerîla niqaş ten kirin,
te bikî? Ma qey te rabî geıilayekî/e ji reze
bikî mijara çîroka xwe. Na. Herkes kare
ve ya bike. Te tişte cuda û balkeş binivî­
sî. Mîsal te jîyana du geıilayen jin î ku lezbîyenin binivîsî.
Meyze, him gerîla, him jin, him jî lezbîyen. Tene ev her se xal we çîroke bide
xwendin. Çima?
Ku mijar çiqas li derveye jîyana civakî be we hewqas bala civake bikşene.
Direj direj dikuxe. Jib o peyve xwe yî
qirej qirika xwe vedike. Wek wan mirove ku ke denin şîreta li wan dikin be yî
ku li min binere şîret û peywe^xwe be ser
min de digindirene.
"Dû re dema ku ji te re gotin çîroken
te dikevin nav kîjan ekole çîrokan. Te beıi
kenekî zanyar derî ser leve xwe, wek
hawe ku tu difikirî demeke li cave mirove hemberî xwe binere û bi nefsbûçûkîyek pozbilind biaxifî:
Bi rastî ez jî dibenim ku şewas, teşe,
terz û honandina çîroken min nakevin nav
tu ekole. Lewra ev ekol hemi bi tena sere
xwe ji min re teng û yekalî ten. Di çiroken min de civakî j î , rasteqînî j i , rasteqinî-civakî jî, takekesî û ser-realîzm jî
beye. Aya ez ne lid û ekoleke me. Çi te
beşe min, ez li gor beş û beste xwe wan
dibanim û li ber we detînim. Kî çawa dixwaze bila wisa bibene.
Ez batim xala berî girîng. Ev tişte ku
min gotin bemû alîyekî çîrokene. Le tu
kes tene jib o xwe çirokananivîse. Ku wisa
bûna kes lid û berikbarî û nîzam çi nedigerîya. Ango armanca ber çîrokvanî ew
e ku çîroke wî bigbe mirove din.
We çîrok çawa bigben mirove din, bi
alîkarîya weşanxana. Le weşanxane ne li
bend ate û çîroke te ne. Ji bo ku nase te
tune. We deme te çiroke xwe bixî bin47
çenge xwe û pere xwe bixî berika xwe û
bere xwe bidî weşanxane ye ke. Te bejî:
- Birez felankes, ez bevankes, dosyayek çîroken min bene. Ka jî kerema xwe
re li wan bimyzene be tiştek ji wan dere
an na.
Birez felankes mirovekî baş e. We rabeje dosyaya çîroke te, çend bevoka ji rûpela çîroka ewil bixwene, dûre we li ser
bev çend rûpela dawî bibe û deve dosyaye
bigere. En dawî jî bi riwekî xemgîn û dengekî neçar we beje:
Kek bevankes ez yeqîn dikim ku te çî­
roken gelekî bedew û sîpebî û xweşik û
baş û rind nivîsîye. Le bawer y ate bi xwede be zayf dosya di deste me de bene.
Dîsa jî bila ev dosya li cem me be em bebekî le bi meyzenin...!!
Ew denge malkambax bi coş û qerîn dibeje:
"babb" û tilîya xwe dibejene. Av ji deve
wî yî bi girez diberike. Bi zimane xwe yî
direj derdora leven xwe dialese û peyve
xwe li ser cave min dixe."
"Ku felankes wilo got, tu zanibe ku
dem dema bazareye. Hisab bike ku tu çûyî
terzîxane û te ji xwe re şalekî bidî dirûtîn. Te qumaşe xwe birîye, tene te beqe
keda terzî bidî. Lewra terzî li qalîteka qumaş nameyzene; bevrîşim, keten, naylon
an jî pembo ferq nake. Ew li dirûtina xwe
dimeyzene. Ji ber ve jî dem dema bazare ye. Di ve bazare de te destfireb nezik
bibî û bejî:
- Bele ez jî rewşa weşanxana zanim. Û
zanim be li vî welate belengaz û feqîr û
nexwende û cabîl bi besanî pirtûk nayen
xwendin. Ji ber van dijwarîya di bela aborî de ez jî dixwazim bibim alîkar...
(Bi ber peyve xwe re te deste xwe bixi
berîka xwe û pera - bûbaye keda terzî denî ser mase)
...Tene yek armanca min beye; ez
dixwazim çîroken min bigben gele min î
belengaz, feqîr nexwende û cabîl. Ka ez
binerim be we çiqas tişten ku min nivîsine meraq bikin û bixwenin.
Di dû van peyve te yî destfireb û ciwamer re we felankes deste xwe dene ser
dosya ya çîroken te û piçekî din bi ber
xwe de bikşene. Bi dengekî kelecanî û
bestîyarî û tertije we beje:
- Kek bevankes xuyaye ku tu mirove­
kî bunerbezî ye me jî çi ji deste me be em
texsîr nakin. Ger ev çîrok bigben gele me
yî feqîr û belengaz û perîşan û penaber û
mibacir û nizam çi....^
Aba temam bû çû. Edî tu jî buy î ni-
vîskar û çîrokvan. Ji xwe ku pirtûkek te
bat weşandin û peve te pirtûke xwe yî din
belaş bidî weşandin."
Sere xwe yî be rû li min dizivirene. Û
dibe;
^ "Tu zanî wejeya me xwe nû diafirene.
Û avadike û pekte. Lewra jî berbema naneqene. Ku Piçekî dirûve çîroka bebe bes
e. We ew çîrokbibin pirtûk û xwedîye wan
bibe çîrokvan û nivîskar. Le ger tu jî li ber
xwe bidî. Li ce xwe rûnene yî. Piçekî
xîet... Te bibenî di bindire çend meba de
we pirtûka min î çîroka derke ve... Tene
nivisandin û qabîliyeta nivisandine tera
ber tiştî nake. Gerek mirov bebekî jî çav
vekirî be. An na bebremendî we bibe bare
pişta te.
Ez metal mayî le dinerim. Tişte ku dibeje dibe ku bemû ji rastbin. Le mirovek
incax bewqas rastîya serobin bike. Merev
nikare jîyana xwe û nîşaneye xwe li ser
rastîyen çewt ava bike. Aya rastîyen
çewt, encamen çewt derdixin bole...
made min li bev dikeve. Ez dixwazim
şevek û rojeke bi darekî sitûr lexim û lexim.
Li derdora xwe dinerim, le kes tune.
Tene ez û ez im.
Ez ji xwe ditirsim! ...
l-7Tebax09
Kurte Jîyan
Ez di sala 1979"an deli navşeya Merdîn stewre batime dinye. Bi esle xwe ez
ji günde stewre Barman'im (niba bûye bajarek)
Min dibistana serateyî beta çîna seyemîn li gund xwend. Dûre me koçî navenda
Merdîn kir, ji ber sedemen aborî. Dibis­
tana serayî, navîn û lîse min li navende
xelas kirin.Di 1997'an de ketim nav refe
tevgera azadîye.Di avrela 1999'an de ez
batim girtîn. Min cezaye muebeta giran
xwar. Ez niba li girtîgeba Kirikkale
me.Berîya ve li kartal û Tekîrdax mam.
Ev neb sal çe bû ku ez çîroka dinivîsim. Le li girtîgebe din çîroken kurdî nedişandin. Ez bevî dikim ku ev çîrok bigebe we. Silav û rezen şoreşgerî
Kirikkale F Tipi cezaevi B-20
Hacilar
Kirikkale 10.08.2009
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!
RONAHÎ
Kunst / Kultur
CIGERXWIN
Di dema heşe min wenda dibûyî
Mizgînek ji min re hat û got: bixwîn
Min cegerperitî, min dilhilûyî,
Meze kir ev mizgin i nave Cegerxwîn
Hevale xoşewîst pesna günde min,
Bi ah û keseran peşkeş didî min.
Ji nû ve petek ar, da ser daxe min
Derd û kul tevdayîn tewşe Cegerxwîn!
Derik pir xweş e heja ye pesne;
Çi bikim nakev dest; ji ber ve xesme
Bi dil birîndar in kürden ve nesle
Ne ez û tu tene hemî Cegerxwîn!
Ma Maden hindik e ji daren heran
Osmanye, Sewerk, Mûşa-Serhedan.
Ji çaye Toroze het Deşî-Rewan,
Gi xabin! Hin çetir bizan Cegerxwîn.
Dizanim tu zanî, welat giş xweş e.
Hin bajar hene ko tu le na meşe
Mesela Elezîz çi lawkeleş e
Bidîta bi çave şihre Cegerxwîn.
Hevalo tu xweş bi; tim bi dile xwe.
Welate bihuştin tim bi saze xwe.
Saz bikî di nava tilyen deste xwe
Da nezan bizanin tu yî Cegerxwîn.
Qedrîcan
Hewar Sal 1-1932 Hejmar 12
48
Fragen eines lesenden Arbeiters
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchem stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon Wer baute es so viele Male auf7 In welchen Hâusem
des goldstahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische
Mauer fertig war die Maurer?
Das groBe Rom ist voli von Triumphbögen.
Wer errichtete sie?
Über wen triumphierten die Câsaren?
Hatte das vielbesungene
Byzanz nur Palâste für seine Bewohner?
Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht,
wo das Meer es verschlang
die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Câsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen
war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im siebenjâhrigen Krieg.
Wer siegte auBer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Aile zehn Jahre ein groBer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte.
So viele Fragen
Berthold Brecht
Bewahren wir unser Dasein und erlangen wir unsere Freiheit!

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