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HALABSCHA
Saddam Hussein diktierte den Untergang einer Stadt // Zeit der Trauer Zeit der Hoffnung
Jedes Jahr um 11 Uhr 35 liegt über Kurdistan im nördlichen Irak eine tiefe Trauer. Das war
die Stunde des Giftgasangriffes der Luftwaffe Saddam Husseins auf die kurdische Stadt
Halabscha, der am 16. März 1988 begann. Bis zum 18. März ließ sie ihre tödliche Fracht aus
Senfgasbomben und Bomben mit den Nervengasen Sarin und Tabun auf die Menschen nieder.
Etwa achttausend starben in diesen drei Tagen, nach Berichten der Nachrichtenagenturen. Als
ich das Monument der Stadt besuchte, in dem die Namen der Toten in schwarzem Marmor
eingeschlagen sind, sagte mir ein Kurde in Deutsch die Worte aus Friedrich Schillers
„Wilhelm Tell“: „ Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen.“ Der Befehlshaber des Angriffs,
Ali Hassan Al-Majid, auch „Chemie-Ali“ genannt, wird nach der Befreiung Kurdistans
gefasst und zum Tode verurteilt.
Bilder halten die Erinnerung fest. Sie sind originalgetreu nachgebildet von 65 kurdischen
Künstlern. Sie haben die Aufnahmen ausländischer Korrespondenten in Eisen gossen, in Holz
geschnitzt, in Ton gebrannt und zu Menschbildern aus Steingut geformt oder als Ölgemälde
für die Nachwelt überliefert. Ein Vater liegt seitlich mit seinem Oberkörper schützend über
sein Kind, der linke Arm umklammert den kleinen Körper. Es sind Bilder, die der Besucher
nie vergisst - getötete, dahingesiechte Menschen mit dem verzerrten Gesicht der Erstickenden, Menschen auf der Flucht leblos auf der Straße, Menschen über Menschen auf und neben
einem Lastwagen, der Rettung aus dem Inferno verhieß. Auf der Fahrt zurück nach Suleimani
suchte ich eine Antwort, wie die Barbarei von Menschen gegen Menschen zu erklären sei.
Meine Antwort ist nicht vollkommen, aber in einem Satz doch sicher: Es ist der organisierte
Wahnsinn eines menschenverachtenden Tyrannen, der sich mit einer gewaltbereiten Minderheit über das Volk stellte und es beherrschte.
Halabscha liegt 80 Kilometer östlich von Suleimani. Sie ist in der kurdischen Kulturgeschichte die Stadt der Dichter, der Schriftsteller und Wissenschaftler. Die geistige Elite der
Kurden hatte hier seit Generationen den Mittelpunkt ihres Lebens. Berühmte Dichter hatten
in Halabscha ihre Heimat. Mit dem Giftgasangriff sollte das geistige Leben des kurdischen
Volkes erstickt und der Freiheitsbewegung das Rückgrat gebrochen werden. Es war der
Hauptangriff im Al-Anfal-Feldzug („Al-Anfal“ steht für „Die Beute“ nach der achten Sure
des Korans) und sollte nach Saddam Husseins Befehl die „Endlösung der Kurdenfrage“ erzwingen. Mehr als 300 000 Kurden sind die toten oder vermissten Zeugen eines Völkermordes; anders kann dieser Feldzug nicht genannt werden
.
Händler des Todes
Seit Mitte des Jahres 2002 besitzt der Weltsicherheitsrat eine Studie über den Giftgasangriff,
seine Opfer, seine Nachwirkungen und seiner Förderer in den westlichen Industriestaaten. Es
sind Unternehmen aus 14 Staaten, die mit der gewollten oder unbeabsichtigten Ausrüstung
Saddam Husseins mit Chemiewaffen ein gigantisches Geschäft abwickelten. Es werden Unternehmen genannt wie Water Engineering Trading W.T.E., eine deutsche Firma mit einem
englischen Namen, die Schlüssel-Chemikalien für die Tabun-Grundstoffe geliefert haben soll,
die es dem Saddam-Regime ermöglicht hätten, 720 Tonnen Giftgas herzustellen. Die westdeutschen Gerichtsverfahren gegen die Hauptlieferanten für das irakische Chemiewaffenprogramm im Jahre 1992 in Darmstadt endeten im Fall der W.E.T. mit Bewährungsstrafen
wegen Verletzung des UNO-Embargos. Zwei Manager der Firma H+H Metallform (Spezialapparate für die C-Waffen) wurden zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und 10 Monaten
verurteilt. Das ist ein unvollständiger Überblick, in anderen Fällen konnte nicht bewiesen
werden,, dass die Firmen über den Verwendungszweck der von ihnen mitproduzierten Güter
im Irak Kenntnis hatten. Der Kern der Sache ist der bedingungslose Rüstungsexport in
Spannungsregionen zum Zweck des Höchstgewinns oder, in der Zeit des Kalten Krieges, im
Interesse des Machterhalts sogenannter „anti-imperialistischer“ Länder der Dritten Welt; der
Irak des Saddam Hussein gehörte dazu. Die Sowjetunion lieferte Kampfbomber, die Saddam
nutzte, die kurdische Freiheitsbewegung niederzukämpfen. Die DDR verkaufte 10 000 Lastwagen in perfekter Wüstenfarbe, die nicht dem Transport von Milch und Brot in entlegende
Bezirke dienten , sondern der schnellen Zuführung von Truppen in die Kurdengebiete. Und
die westlichen Industrieländer lieferten Chemikalien und Geräte, die nicht in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, sondern zum Bau von Giftgasbomben.
Es kann heute nicht darum gehen, die Händler des Todes lediglich anzuklagen. Sie sind aufgefordert, das Verbrechen von Halabscha einzugestehen und aus dem Millionen-Gewinn ihres
Geschäftes mit Saddam den heute noch leidenden Kurden und den Hinterbliebenen der Todesopfer eine Entschädigungsleistung zu bringen. Das wäre ein Werk des Humanismus jenseits der beliebten Legenden von Menschenrecht und Menschenwürde.
Kaum wurde irgendwo in der Welt nach den Menschenrechten für die Kurden gefragt. Sie,
dem Völkermord einst ausgesetzt, standen im Schatten der Weltpolitik und ihrer Propaganda,
bis der von den Terroristen des „Islamischen Staates“ bedrohte Westen sie zum Kampf gegen
den IS brauchte. Heute sind die Kurden im Irak und in Syrien die wesentliche Kraft der Sicherheit und der Stabilität. Nach dem errungenen Sieg über die islam-fundamentalistischen
Terroristen wird der Nahe Osten ein anderes Gesicht tragen. Im Norden des Iraks gestalten die
Kurden bereits seit mehr als einem Jahrzehnt ihren Lebensraum selbst; mit einem Nationalparlament, einer wirksamen Selbstverwaltung und eigener Schutzmacht. Rechtsstaatliche Verhältnisse bildeten sich heraus, der wirtschaftliche Fortschritt ist sichtbar und der vom früheren
ersten kurdischen Präsidenten des Iraks, Jalal Talabani, entworfene föderative Staatsaufbau
des Iraks wird sich gegen frühere Widerstände durchsetzen oder aus den Gebieten der Kurden im Irak und in Syrien wird ein eigener Staat mit kurdischer Identität gebildet. Und so ist
der Tag der Trauer für die Opfer von Halabscha auch ein Tag der Hoffnung auf eine friedvolle Zeit.
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