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Die Sprache des Krieges
Ex-Nato-Sprecher Jamie Shea
Auszüge aus einem Interview mit Martin Scholz und Alexandros Stefanidis:
(...)
Mr. Shea, Sie waren während des Kosovo Kriegs das Gesicht der Nato und mussten täglich die
Bombardierung Jugoslawiens erklären. Zurzeit gibt es in der europäischen Bevölkerung
und auch in den USA eine starke Opposition gegen einen Irak-Krieg. Welche Ratschläge
hätten Sie für Bush und seine Sprecher, damit sie die öffentliche Meinung für den Krieg
gewinnen können?
Man muss wissen, dass sich das Zugehörigkeitsgefühl zu sozialen Gruppen oder Parteien immer
mehr auflöst - was zur Folge hat, dass sich die öffentliche Meinung in allen modernen Staaten
heute schnell ändern kann. Der aktuellste Beleg dafür sind die Neuwahlen in den Niederlanden.
Vor einem Jahr war die Liste Pim Fortyun auf dem Höhepunkt, heute haben sie etwa zwei Drittel
ihrer Sitze im Parlament wieder verloren. Was den Irak betrifft, kommt es darauf an, was sie die
Leute fragen. Wenn Sie fragen: »Wollen Sie einen Krieg mit dem Irak?", wird jeder mit
"Nein" antworten.
Wie würden Sie denn fragen?
Wenn Sie die Umfragen mit Saddam Husseins Menschenrechtsverletzungen, seiner Missachtung
der UN Richtlinien beginnen, werden Sie eine andere Antwort bekommen. Faktoren wie die
Unterstützung durch Alliierte oder UN-Resolutionen können die öffentliche Zustimmung
dramatisch ansteigen lassen. Vor dem Beginn von Desert Storm 1991 gab es Meinungsumfragen
in Frankreich, die einen Waffengang im Irak deutlich ablehnten. Bis Francois Mitterrand sagte:
"Französinnen und Franzosen. Wir haben auf diplomatischem Weg alles versucht. Ich will
keinen Konflikt, aber Saddam will keine friedliche Lösung. Jetzt werden die Waffen sprechen
müssen." Am nächsten Tag änderte sich die öffentliche Meinung schlagartig zu Gunsten
des Konflikts. Mitterrand hatte rational erklärt, warum es notwendig war, in den Krieg zu ziehen.
(...)
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Mr. Shea, was ist der Unterschied zwischen Propaganda und Information?
Propaganda ist die Art, in der man Menschen überzeugt, dass eine Lüge wahr ist. Ein Mittel der
Propaganda ist die ständige Wiederholung. George Orwell hat das in 1984 benutzt, Big Brother
überzeugt jeden, dass 2 plus 2 gleich 5 ist, nur durch stete Wiederholung. So vergisst man die
richtige Antwort. Eine andere Methode ist, ein klein bisschen Wahrheit einzustreuen, was der
Propaganda eine winzige Wahrscheinlichkeit injiziert, dass sie tatsächlich wahr ist. Information
ist, wenn man die Wahrheit übermittelt. Die entscheidende Frage ist, ob man selbst weiß, was
tatsächlich los ist. In Zeiten moderner Konflikte, in denen die Medien Nachrichten schneller
verbreiten können, als sie ein Sprecher erklären kann, wird dies immer schwieriger.
Wie war das bei ihnen während des Kosovo-Krieges?
Man kann keine Information herausgeben, die man selbst nicht kennt oder verifiziert hat. Meine
Glaubwürdigkeit hat immer dann arg gelitten, wenn wir keine verlässlichen Informationen
bekommen konnten oder falsche Informationen herausgaben. Das geschah nicht bewusst. Wir
wussten oft selbst nicht, was im Kosovo los war. Nachdem wir einen Traktor-Konvoi bombardiert
hatten, fragte ich einen General, ob er mir die Hintergründe des Vorfalls nennen könnte. Er
antwortete mir: "Jamie, ich werde die Sache nach dem Krieg aufklären." Aber so läuft
das nicht. Mit der Zeit konnte ich auch diesen General überzeugen, dass es - um diesen Krieg zu
gewinnen - nicht nur darum ging, Luftangriffe zu fliegen. Sein Beitrag, den Konflikt zu lösen,
musste auch darin bestehen, nachprüfbare Informationen über die Geschehnisse vor Ort bereit
zu stellen. Dass wir solche Dinge aufklären konnten selbst wenn sie uns sehr unangenehm
waren - machte uns bei den Journalisten wieder glaubwürdig.
(...)
Haben Sie sich je den Schwarzenegger-Film Collateral Damage angesehen?
Nein, habe ich nicht. Das hätte zu viele schlechte Erinnerungen wachgerufen.
Sie haben diesen Begriff populär gemacht, als Sie Bombenangriffe, bei denen auch Zivilisten
umkamen, als Kollateralschäden bezeichneten. In Deutschland wurde der Begriff zum
Unwort des Jahres ernannt.
Ich weiß. Ich habe mich bereits mehrfach dafür entschuldigt. Der Begriff Kollateralschaden wird
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von Militärs benutzt, um jede Form von unabsichtlicher Zerstörung nicht-militärischer Ziele zu
bezeichnen. Ob Menschen dabei zu Tode kommen darüber sagt das Wort nichts aus. So wie es
jetzt interpretiert wird, bedeutet es, dass man billigend in Kauf nimmt Menschen unabsichtlich zu
töten. Ich habe daraus gelernt, dass der Jargon, der innerhalb einer Behörde benutzt wird,
außerhalb eine sehr negative Wirkung haben kann.
Sie haben noch andere Euphorismen eingeführt: Smart Bombs, Soft Targets, und statt
Bombardements sagten sie "Luft-Kampagne". Haben Sie da mit einer Gruppe
von Spin Doctors an der Sprache gefeilt?
Ich mag den Begriff Spin Doctors nicht. Die meisten Leute, mit denen ich damals
zusammenarbeitete waren Diplomaten, keine PR-Berater. Einige Begriffe, wie Kollateralschaden
oder Smart Bombs waren dem Militärjargon entnommen. Smart Bombs waren natürlich nicht
immer smart. Anders war es bei dem Begriff "Luft-Kampagne". Wir wollten das Wort
Krieg bewusst vermeiden. Denn Krieg bedeutet immer, dass es keinen Platz mehr für Diplomatie
gab. Wir wollten die Tür für diplomatische Lösungen offen lassen - "Luft-Kampagne"
war ein besserer Ausdruck als Luft-Krieg.
Die Wirkung war dieselbe.
Ja, die Menschen in Jugoslawien haben es als Krieg wahrgenommen. Es war eine bittere
Medizin, die man verabreicht, die hat zeitlich begrenzte Nebenwirkungen. Es war eine schwere
Operation. Wenn man sieht, wie sein Kind auf dem Operationstisch liegt - und ich selbst habe es
erfahren müssen - möchte man Stopp rufen. Das ist schrecklich. Aber wenn mein Kind nicht
operiert worden wäre, wäre es an Krebs gestorben. Die Operation musste weitergehen. Heute,
vier Jahre später, sieht man die Verbesserung.
In: Frankfurter Rundschau, Magazin, 1.2.2003, S. 3.
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