Die Sufi-Orden sind glaubwürdige Botschafter einer

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Die Sufi-Orden sind glaubwürdige Botschafter einer
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26.1.2009
FOKUS SCHWEIZ
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Sufi-Orden
Exoten unter den Muslimen
Die Sufi-Orden sind glaubwürdige Botschafter einer islamischen
Mystik und Brückenbauer zwischen Ost und West
Von Beat Stauffer
D
er »universelle« Gottesdienst, der
Mitte Januar in der City-Kirche in
Zürich stattfand, stiess wie bereits
in den vergangenen Jahren auf grosses
Interesse. Hinter diesem interreligiösen
Gottesdienst, in dessen Verlauf jeweils
eine Kerze für jede Weltreligion entzündet
wird, steht das Sufi-Zentrum Omega, das
sich als Teil der Sufi-Bewegung versteht.
Diese Bewegung achtet nach eigenen
Worten »den Reichtum jeder spirituellen
Tradition und jeder spirituellen Suche«
und will die Menschen »auf dem Weg zur
Entfaltung ihres wahren menschlichen
Potenzials« unterstützen. Dabei stützt sie
sich auf die mystische Tradition der Sufis
in einer indischen Version ab, öffnet sich
aber bewusst auch christlichen und ande-
ren Formen der Spiritualität (Stichwort:
Teilhard de Chardin).
Dass Menschen, die sich dem Sufismus
verpflichtet fühlen, auf solche Weise nach
aussen treten, ist eher die Ausnahme. Sufis
suchen keine Öffentlichkeit, missionieren
nicht mit ihren Anliegen und wirken im
Stillen. In kantonalen muslimischen Verbänden oder Kommissionen wirken sie
nicht mit, und auch untereinander sind die
verschiedenen Sufi-Gruppen und -Orden
kaum vernetzt. Er kenne keinen einzigen
dem Sufismus zugeneigten Muslim, der in
irgendeiner Kommission mitarbeite, sagt
etwa Hisham Maizar, Präsident der Föderation Islamischer Dachverbände in der
Schweiz (FIDS). Dies ist kein Zufall: Nicht
Organisationen und Strukturen, nicht gesellschaftlichem oder politischem Einfluss
gilt das Interesse der Sufis, sondern dem
FOTO: PETER CUNZ
Sufis wie etwa die
des Mevlevi-Ordens
haben bei den orthodoxen Muslimen
einen schweren
Stand
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inneren, geistigen Wachstum des einzelnen
Menschen und dem unmittelbaren Erleben
des Göttlichen.
Dass es sich stets um kleine Gruppen
handelt, stört sie nicht im Geringsten. In
der gesamten Geschichte des Sufismus
waren es stets nur wenige, die diesen Weg
beschritten haben. So versammelt Fredy
Aly Bollag, der »Scheich« des Tijaniyya-Ordens, bei seinen Treffen gerade mal eine
Handvoll Schüler im Andachtsraum seiner
privaten Wohnung in Basel. Zudem baute
er in Russland in vier Städten Sufi-Gruppen auf.
Andere Sufi-Gemeinschaften haben
zwar eine deutlich grössere Anhängerschaft, so etwa der aus der Türkei stammende Mevlana-Orden. Dennoch stellen
auch sie mit insgesamt rund 500 Anhängern rein zahlenmässig eine praktisch unbedeutende Fraktion der rund 400 000
Musliminnen und Muslime in der Schweiz
dar.
Es ist nicht leicht, eine Übersicht über
die in der Schweiz wirkenden Sufi-Gruppen zu gewinnen. »Das ganze Sufitum ist
sehr unübersichtlich und zum Teil sehr
lokal verankert«, sagt etwa Joachim Alaudin Grieger, Mitbegründer des Sufi-Zentrums Omega in Zürich. Wohl lassen sich
ohne Mühe die paar wichtigsten Sufi-Orden identifizieren, die in der Schweiz vertreten sind. Zu ihnen gehört der MevleviOrden, der im 13. Jahrhundert durch den
persischen Mystiker Dschalal ad-din Rumi
gegründet wurde und heute im Westen die
grösste Bekanntheit geniesst. Dies nicht
zuletzt aufgrund eines besonderen Rituals,
des so genannten Drehtanzes, der bis zur
Ekstase geführt wird. Dieser Orden – auf
arabisch »Tariqat« genannt – ist heute als
Stiftung organisiert. Zu nennen ist ferner
der Naqsbandiyya-Orden. Dessen geistiger
Anführer, Scheich Nazim, ist eine Art reisender Sufi-Lehrer, der seine Schüler in
ganz Europa besucht, sie unterweist und
mit ihnen einen Dhikr begeht. Darunter
wird die im Sufismus übliche Form der
Gottesverehrung verstanden, welche verschiedene Rituale beinhaltet, um die Gläubigen zur Versenkung zu führen. Schliesslich sind auch in der Schweiz eine Reihe
von Orden vertreten, die ursprünglich aus
Nordafrika stammen: etwa die bereits erwähnte Tijaniyya sowie die Alaouiyya.
Mindestens so wichtig sind heute in der
Schweiz wie auch in anderen Ländern
Westeuropas allerdings diejenigen Gruppierungen, welche sich aus dem Sufismus
entwickelten, sich aber als universalistisch
verstehen und nicht mehr als klar islamisch gelten. Zu ihnen gehört unter anderem die Sufi-Bewegung, welche Anfang
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des 20. Jahrhunderts von dem in Indien
und Grossbritannien wirkenden Hazrat
Inayat Khan gegründet wurde und heute
von seinem Enkel weitergeführt wird. Das
oben erwähnte Sufi-Zentrum Omega steht
in dieser Tradition.
Die wichtigste Trennlinie zwischen den
verschiedenen Sufi-Gruppen und -Orden
ist denn auch die Frage der Anbindung an
den Islam. Während die einen den Sufismus als Essenz der islamischen Botschaft
begreifen und eine Verortung ausserhalb
dieses islamischen Rahmens strikt ablehnen, öffnen sich die anderen auf weitere
Formen der Spiritualität. Zur ersten Fraktion gehört etwa Fredy Aly Bollag. Sufismus
ausserhalb der islamischen Botschaft ist
für ihn undenkbar. Auch Peter Hüseyin
Cunz, der »Scheich« des Mevlana-Ordens
in der Schweiz, versteht sich eindeutig als
Muslim, wenn auch in einer sehr liberalen
Form. Dasselbe gilt für den Orden der
Naqschabandi. Für Cunz ist allerdings die
Trennung in eine »islamische« und eine
»universalistische« Fraktion irrelevant, da
er die islamische Botschaft selber als »universell« betrachtet.
J
oachim Alaudin Grieger mag lieber
von einem »engeren« und einem
»weiteren« Verständnis des Sufismus
sprechen. Die Sufi-Bewegung plädiert für
eine Öffnung auf verschiedene religiöse
Traditionen und auch auf neue Formen
der Spiritualität. »Wir verstehen uns nicht
primär als Muslime«, erklärt Grieger, »und
wer in unserer Bewegung mitwirken will,
muss nicht Muslim sein.« Eigentlich, so
erklärt Grieger, seien sie »westliche Sufis«.
Diese Definition stösst bei Fredy Aly Bollag auf schroffe Ablehnung: »Diese SufiBewegung hat mit wirklichem Sufismus
nichts zu tun.«
FOTO: WOLF SÜDBECK-BAUR
Sufi-Orden
Eine Rose empfängt den Besucher der
Homepage des Sufi-Zentrums in Zürich:
»Die Rose bringt mir die Botschaft Deiner
Liebe; ich bringe sie Dir als Zeichen
meiner Hingabe«
Die Beziehungen zwischen den »Mehrheitsmuslimen« in der Schweiz und den
dem Sufismus nahe stehenden Muslimen
sind nicht spannungsfrei. Von Vorbehalten
bis zu offener Ablehnung ist eine ganze
Palette an Einstellungen spürbar. Innerhalb der organisierten muslimischen Verbände gebe es keine eindeutige Haltung
gegenüber den Sufis, erklärt Maizar. Zwar
werde ihnen zugute gehalten, dass sich
der Islam ohne den Sufismus kaum je so
erfolgreich hätte verbreiten können. Doch
anderseits lehnten viele orthodoxe Muslime die Rituale, welche in Sufi-Orden praktiziert würden, als unislamisch ab. »Das
sind nicht Wege, die zu Gott führen, sondern wesensfremde Hinzufügungen zum
Islam«, sagt Maizar. Klar abgelehnt würden schliesslich diejenigen Gruppierungen, die sich nicht mehr eindeutig als islamisch definierten. Viele Muslime sähen
in diesen religions- und konfessionsübergreifenden Bewegungen eine unzulässige
Ausdünnung und Vermischung mit anderen Traditionen, welche sie strikt ablehnten.
FOKUS SCHWEIZ
Den Einfluss der sufistischen Richtung
auf die islamische Gemeinschaft in der
Schweiz erachtet Maizar als gering. Andererseits ist unübersehbar, dass aufgrund
einer völlig anderen Ausrichtung und
Sensibilität ein tiefer Graben die dem
Sufismus verpflichteten Muslime von den
»Mehrheitsmuslimen« trennt. »Das Festhalten an veralteten Denkweisen, Interpretationen und Strukturen ist aus meiner
Sicht ein riesiges Problem im Islam der
heutigen Zeit«, so Peter Hüseyin Cunz.
Alles weist somit darauf hin, dass die
Sufis nur einen bescheidenen Einfluss
auf die in Moscheevereinen organisierten
Muslime haben. Unübersehbar jedoch ist
die Anziehungskraft der verschiedenen
Sufi-Orden und -Bewegungen auf eine
jüngere Generation von Menschen, die in
ihrer Suche nach Spiritualität von den
Angeboten der christlichen Kirchen enttäuscht wurden. Die Sufi-Orden werden
als glaubwürdige Träger einer Botschaft
erlebt, die im Lärm einer aufs Materielle
ausgerichteten Konsumgesellschaft ein
echtes Bedürfnis zu erfüllen scheinen.
»Ich durfte schrittweise in den Garten
der islamischen Mystik eintreten«, sagt Peter Hüseyin Cunz, Scheich des MevlanaOrdens in der Schweiz, von sich selber.
Dies wird wohl nicht allen, die sich heutzutage in der Schweiz mit Sufismus befassen, auf dieselbe Weise gelingen. Doch
der Sufismus ist unbestreitbar ein Teil
der religiösen Landschaft der Schweiz geworden. Und nicht zuletzt trägt er massgeblich dazu bei, ein anderes Bild vom Islam zu vermitteln: dasjenige einer lebendigen spirituellen Tradition, die auch westliche Menschen bereichern kann.
www.sufismus.ch; www.mevlana.ch/sufi.in
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