Eltern und Betreuer Zwei Welten stoßen aufeinander

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Eltern und Betreuer Zwei Welten stoßen aufeinander
Eltern und Betreuer
Zwei Welten stoßen aufeinander
Reflexionen zur Kommunikation und Kooperation zwischen Eltern
und professionellen Mitarbeitern in Wohnstätten für Menschen mit
geistiger Behinderung
Diplomarbeit
für die
Staatliche Abschlussprüfung
im Fachbereich Sozialwesen,
Studienrichtung Sozialarbeit
an der
KATHOLISCHEN FACHHOCHSCHULE NRW,
ABTEILUNG KÖLN,
vorgelegt von
Gabriele Kost
Matrikel Nr. 210064
am 14.05.2003
Erstkorrektorin: Diplom-Sozialpädagogin, DiplomHeilpädagogin Irmgard Wintgen
Zweitkorrektor: Professor Dr. paed. Maximilian Buchka
2
Inhaltsverzeichnis
Seite
– Vorwort
3
– Einleitung
5
1. Die Familie mit geistig behindertem Kind
1.1. Aspekte heutiger Elternschaft
1.2. Definition der geistigen Behinderung
1.3. Empirische Daten
1.4. Anthropologische Aspekte
1.5. Psychologische Aspekte
1.6. Soziologische Aspekte
1.7. Erfahrungen mit Fachleuten
7
8
8
10
15
18
21
2. Das Heim als „Zweites Zuhause“
2.1. Der Entschluss
2.2. Die Umsetzung
25
31
3. Wohnstätten für Menschen mit geistiger
Behinderung
3.1. Zu den Institutionen
3.2. Zu den Mitarbeitern in den Wohngruppen
36
38
4. Eltern und Betreuer - eine sensible Beziehung auf
einem spannungsreichen Feld
4.1. Das Spannungsfeld
4.2. Zu den Rollen
4.3. Zu den Machtverhältnissen
4.4. Zu den Konfliktbereichen
4.5. Resümee
41
43
49
52
56
5. Zur Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen
Eltern und Betreuern für den Menschen mit
geistiger Behinderung
58
6. Möglichkeiten der Verbesserung von
Kommunikation und Kooperation
6.1. Ethische Aspekte in der Begegnung
6.2. Allgemeine Aspekte in der Elternarbeit
6.3. Zur Geschichte der Elternarbeit
6.4. Partnerschaft
6.5. Empowerment
6.6. Verbesserungsperspektiven auf verschiedenen
Ebenen
6.6.1. Die Ebene der Mitarbeiter
6.6.2. Die Ebene der Institution
62
68
72
73
78
82
86
7. Konzeptionelle Überlegungen
7.1. Vorüberlegungen
7.2. Konzeptentwurf
89
90
8. Schlussbetrachtung
93
– Literaturverzeichnis
96
– Anhang
3
Vorwort
Die Thematik der Zusammenarbeit zwischen Eltern behinderter Menschen in
Wohnheimen der Behindertenhilfe und den dort tätigen professionellen Mitarbeitern ist
in den letzten Jahren (nicht zuletzt aufgrund der Qualitätsdebatte) zunehmend mehr
beachtet und diskutiert worden, wobei sich in allen Veröffentlichungen zu diesem
Thema der konflikthafte Zusammenhang beider Lebenswelten widerspiegelt. Die
Fachliteratur zu diesem Thema ist nicht umfangreich, was mir auch Prof. Dr. Klauß, der
1993 (zusammen mit Peter Wertz-Schönhagen) das einzige sehr umfassende Buch
hierzu geschrieben hat, zu Beginn meiner Recherchen bestätigte. Der Stellenwert der
Eltern, der sowohl in der Frühförderung als auch im Kindergarten und in der Schule
relativ hoch ist, was sich in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten und Konzepten
zur Arbeit mit ihnen ausdrückt, scheint im Heimbereich viel niedriger zu sein, was m. E.
der Realität gerade dieser Eltern nicht gerecht wird und ihre persönliche Situation
negiert. Aus eigener Betroffenheit weiß ich um die Brisanz dieses Themas: Die
Kommunikation und Kooperation mit professionellen Mitarbeitern einer Wohnstätte für
Menschen mit geistiger Behinderung ist Teil meines persönlichen Alltags, seitdem mein
mittlerweile erwachsener Sohn in einem solchen Heim vor ca. fünf Jahren sein
„Zweites Zuhause“ gefunden hat. Es hat mich sehr gereizt, mich mit diesem Thema im
Rahmen dieser Arbeit zu befassen, wobei ich auch meine Erfahrungen aus meinem
Praktikum in einem Heim für erwachsene geistig und psychisch behinderte Menschen
einbringen konnte. Im Rahmen meines Feldprojektes auf dem Gebiet der Elternarbeit
konnte ich viele Gespräche mit den Wohngruppenmitarbeitern zum Thema Elternarbeit
führen. Trotz dieser Erfahrungen bin ich sehr dankbar, dass ich über eine große
süddeutsche Wohneinrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung einen
erfahrenen Hausleiter, der für mehrere Wohngruppen im Kinder -und Jugendbereich
zuständig ist, zur Mithilfe bei der Bearbeitung meines Themas gewinnen konnte.
Aufkommende Fragen und Probleme durfte ich jederzeit mit ihm diskutieren und
konnte somit meine Vorstellungen immer wieder an der Realität messen. Ebenfalls
vermittelt
wurde
mir
durch
diese
Einrichtung
die
Möglichkeit
intensiven
Gedankenaustausches mit der sehr engagierten Vorsitzenden des dortigen Gesamtangehörigenbeirates. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei beiden für ihre
umfassende Unterstützung bedanken; auch wenn ich beide explizit nur selten
erwähne, geht doch ihr Erfahrungsschatz in die gesamte Arbeit mit ein.
4
Einleitung
Wir haben eine kleine Schwester, wir haben einen kleinen Bruder. Die
sind ein wenig anders als andere Erdenkinder. Sie kamen in diese Welt,
an diesen Ort, mit etwas weniger Handgepäck, als wir es mitbekamen.
Wir Erwachsene sind so groß in unseren Taten und Worten. Aber unsere
kleinen Geschwister werden niemals groß. Es ist für uns so leicht, Kleine
und Schwache wegzuschieben und sie mit hilflosen Gesichtern hinter uns
zu lassen.
Wir vergessen so leicht, dass einmal das letzte Schiff abgeht und dass
dann alle Passagiere ihr Gepäck zurücklassen müssen. Dann wird es für
diese Kleinen vielleicht am leichtesten, denn sie besitzen nur ein Herz voll
Kummer und Freude. Und diese Freude ist so schön und der Kummer so
schwer. Aber das haben unsere Geschwister ja schon immer gewusst.
Deshalb lass uns ihnen Freude schenken, bis sie an Bord müssen,
unsere kleinen Geschwister mit ihren Kinderherzen.
(Verfasser unbekannt)
Eigentlich könnte es doch so einfach sein: Da das Wohl geistig behinderter Menschen
sowohl ihren Betreuern als auch ihren Eltern am Herzen liegt, sollte beide
Personengruppen diese Tatsache vereinen und problemlos miteinander kooperieren
lassen. Und an ganz vielen Stellen gelingt das sicher auch sehr gut. Aber nach meiner
Erfahrung ist die Beziehung beider Seiten zueinander sensibel und fragil, zudem häufig
mit unnötig erscheinenden und auch noch eskalierenden Konflikten belastet, unter
denen dann alle Beteiligten leiden. Nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensoder Arbeitssituation der Beteiligten sind diese Probleme aber auch Chancen und
Verbesserungsperspektiven zu begreifen, so dass ich den Titel meiner Arbeit bewusst
polarisierend als den „Zusammenstoß zweier Welten“ formuliert habe, was auch mein
weiteres methodisches Vorgehen in dieser Arbeit strukturiert. Ich beschreibe zunächst
Aspekte aus der Welt der Familie mit geistig behindertem Kind (Kapitel 1), dann den
Grund des Zusammentreffens der Eltern und der Mitarbeiter im Heim: den
Heimentschluss (Kapitel 2), skizziere im Anschluss daran kurz die andere Welt der
Institution mit ihren Mitarbeitern (Kapitel 3) und komme daraufhin zu einem
5
Schwerpunkt meiner Arbeit: der Darstellung der Beziehung zwischen Eltern und
Mitarbeitern in verschiedenen Facetten (Kapitel 4). Nach Gedanken zur Bedeutung der
Zusammenarbeit für den behinderten Menschen (Kapitel 5) folgen Möglichkeiten der
Verbesserung
Zusammenhang
von
auf
Kommunikation
die
und
Elternarbeit
Kooperation,
und
wobei
ich
in
diesem
Verbesserungsperspektiven
auf
verschiedenen Ebenen eingehe (Kapitel 6). Im 7. Kapitel stelle ich konzeptionelle
Überlegungen zur Elternarbeit in einer Wohnstätte an und beende meine Arbeit mit
einer Schlussbetrachtung (Kapitel 8).
Anmerkungen:
Persönliche Eindrücke, Gedanken und Erfahrungen werden zur Unterscheidung in der
Schriftart Times New Roman kursiv vom anderen Text abgehoben, Zitate anderer
Autoren in der Schriftart Courier New.
Wenn ich in meiner Arbeit den Begriff „Kind“ verwende, ist dies nicht altersspezifisch,
sondern auf die familiäre Situation bezogen zu verstehen.
Ich verwende sowohl den Begriff des Betreuers als auch des Erziehers synonym für
den professionellen Mitarbeiter im Wohngruppendienst, da sich beide Begriffe in
diesen Zusammenhängen so eingebürgert haben.
Im Interesse einer besseren Lesbarkeit werde ich in dieser Arbeit bei der Bezeichnung
von Personen und Personenkreisen stets die maskuline Form verwenden, wobei
natürlich immer Vertreter beiderlei Geschlechts gemeint sind.
6
1. Die Familie mit geistig behindertem Kind
1.1. Aspekte heutiger Elternschaft
Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim hat in ihrem Buch „Die Kinderfrage Frauen zwischen Kinderwunsch und Unabhängigkeit„ (1989) festgestellt,
dass die Kinder heutzutage „Kopfgeburten“ sind. Der Kinderwunsch ist mittlerweile eine
Art unternehmerischer Entscheidung geworden. Sie muss gut durchdacht werden, weil
sie der Legitimation gegenüber dem Lebensumfeld bedarf. Kinder müssen heutzutage
zur Optimierung der individuellen Lebensqualität beitragen und sie dürfen - ganz
wichtig - die vorgefassten Lebenspläne nicht zerstören. Hinzu kommt noch, dass in den
letzten Jahren ein starker Geburtenrückgang zu verzeichnen ist, mit gleichzeitigem
starkem Anstieg der subjektiven Bedeutung des (meist einzigen) Kindes für die Eltern.
Ein Kind muss nunmehr die Hoffnungen und Erwartungen vieler ungeborener Kinder
erfüllen. Das ist schon für das gesunde, leistungsfähige Kind eine schwere Hypothek,
die oft nur unter Verhaltensstörungen oder anderen Problemen „abgezahlt“ werden
kann.
Unter gesellschaftlichem Druck entscheiden sich viele Frauen auch für die Nutzung der
praenatalen Diagnostik, wobei schon die Entscheidung für oder gegen diese
Möglichkeit zu schweren persönlichen Krisen führen kann. Vielen Frauen ist gar nicht
bewusst, dass nicht alle Behinderungen diagnostisch praenatal erfasst werden können,
die Diagnostik selbst mit Risiken für Frau und Kind verbunden ist und überhaupt nur
wenige Behinderungen chromosomal bedingt sind. Aber gerade die verantwortlichen
Frauenärzte raten zunehmend zur Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten,
um nicht im Falle von Behinderung in Regress genommen werden zu können. „Bei
positivem
Befund
erfolgt
in
der
Regel
ein
Schwangerschaftsabbruch“ (Cloerkes, 2001: 238).
Vor diesem Hintergrund ist nun die meist nicht erwartete und nicht gewünschte
Situation der Familie mit einem geistig behinderten Kind zu sehen.
1.2. Definition der geistigen Behinderung
Da es keine allgemein gültige und für alle Gebiete verbindliche Definition der geistigen
Behinderung gibt (je nach Perspektive oder Profession werden andere Aspekte
fokussiert und keine Definition alleine wird der Komplexität der geistigen Behinderung
gerecht), möchte ich an dieser Stelle nur die Definition von Heinz Bach anführen, da
sie m. E. sehr umfassend ist und man sich gerade auch die praktischen Auswirkungen
7
der geistigen Behinderung auf die Eltern und das Zusammenleben in der Familie
vorstellen kann:
„Als
geistig
behindert
gelten
Personen,
deren
Lernverhalten
wesentlich hinter der auf das Lebensalter bezogenen Erwartung
zurückbleibt
und
durch
ein
dauerndes
Vorherrschen
des
anschauend-vollziehenden Aufnehmens, Verarbeitens und Speicherns
von
Lerninhalten
und
eine
Konzentration
des
Lernfeldes
auf
direkte Bedürfnisbefriedigung gekennzeichnet ist, was sich in
der
Regel
findet.
bei
einem
Intelligenzquotienten
Geistigbehinderte
sind
zugleich
von
im
unter
55/60
sprachlichen,
emotionalen und motorischen Bereich beeinträchtigt und bedürfen
dauernd
umfänglicher
pädagogischer
Maßnahmen.
Auch
extrem
Behinderte gehören - ohne untere Grenze - zum Personenkreis“
(Bach 1976: 92).
Wenn ich im Folgenden von Familien mit geistig behinderten Kindern spreche, meine
ich gemäß dieser Definition also auch immer Familien mit mehrfachbehinderten
Kindern in allen Ausprägungen.
1.3. Empirische Daten
Über die Gesamtzahl der Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland liegen
keine zuverlässigen Angaben vor. Neuhäuser/Steinhausen gehen aber davon aus,
dass mit jedem neuen Geburtsjahrgang ca. 0,5 % - 0,6 % geistig behinderte Kinder
geboren werden: „Die institutionelle Prävalenzrate dürfte etwa bei
0,5 %
liegen,
Bundesrepublik
d.h.
0,5 %
besuchen
aller
Schulen
Schulpflichtigen
für
geistig
in
der
Behinderte“
(Neuhäuser / Steinhausen 1990: 13).
In ihrem „Berliner Memorandum“ zur Fachtagung mit dem Titel „Familien mit
behinderten Angehörigen - Lebenswelten - Bedarfe – Anforderungen“ vom Oktober
2001 in Berlin schätzt die Lebenshilfe als größte Elternvereinigung, dass in
Deutschland 420.000 Menschen mit geistiger Behinderung leben. Davon sind 185.000
Kinder und Jugendliche, die zu 85 % (das sind 160.000) in ihren Familien leben. Von
den erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung, so die Schätzung weiter, leben
immerhin noch 60 % (140.000) bei den Eltern oder sonstigen Angehörigen. In
Einrichtungen leben bundesweit ca. 12o.ooo Menschen mit geistiger Behinderung.
(Bundesvereinigung Lebenshilfe: Berliner Memorandum, 2002: 241)
8
Mit der letzten Zahl korrespondiert auch die Schätzung von Wacker, Wetzler u. a.,
1998: „Eigenen Berechnungen zufolge, die auf der Basis der von
Infratest
vorgelegten
Zahlen
vorgenommen
wurden,
ist
davon
auszugehen, dass von den Menschen mit geistigen Behinderungen
und
Mehrfachbehinderungen
durchschnittlich
jeder
Vierte
in
Heimen lebt“ (Wacker, Wetzler u. a., 1998: 298).
Nicht jede geistige Behinderung steht gleich bei der Geburt fest, im Gegenteil, viele
werden erst später entdeckt. Hierzu nennt Speck unter Bezug auf Eggert folgende
Zahlen: Bei 20,9 % aller Menschen mit geistiger Behinderung wird dies bei der Geburt
festgestellt, im Durchschnitt aber wird es erst mit ca. zwei Jahren diagnostiziert und bei
25 % entdeckt man es erst nach dem 6. Lebensjahr (vgl. Speck, 1999: 306).
Epidemiologisch gesehen finden sich unter den geistig behinderten Kindern mehr
Jungen als Mädchen, außerdem sind sie in sozioökonomisch schwachen Familien
unverhältnismäßig häufiger anzutreffen als in mittleren und höheren Schichten.
„Bei 60 % der Menschen mit geistiger Behinderung, also bei der
Mehrzahl, kennen wir die Ursache letztlich nicht“ (Neuhäuser /
Steinhausen, 1990: 25).
1.4. Anthropologische Aspekte
Unter Bezug auf Bollnow stellen Hensle / Vernooij fest: „Die Begegnung, die
Konfrontation mit einem mehr oder weniger beeinträchtigten Leben
in unmittelbarem Bezug zu einem selbst und vor dem Hintergrund
der
optimistischen
Erwartungen,
erschüttert
die
geistig-
psychischen Grundfesten eines Menschen“ (Hensle / Vernooij, 2ooo: 270).
Diese Erschütterung, das Ausmaß elterlicher Betroffenheit und damit die zutiefst
menschliche Dimension werden deutlich, wenn die Eltern sich selbst zu Wort melden
und über ihr gemeinsames Leben mit ihrem behinderten Kind berichten. In mittlerweile
zahllosen Büchern und Zeitschriftenartikeln beschreiben sie meist sehr offen und präzise, welche Veränderungen ihres Lebens sie verarbeiten müssen, was die
Behinderung für die ganze Familie bedeutet und wie alle damit umgehen lernen. Da
Eltern in der Regel Außenstehenden ihre tiefsten Empfindungen und intimen Gefühle
nicht mitteilen, ist gerade diese „Betroffenheitsliteratur“ eine Brücke über den
„Abgrund“ (wie es Otto Speck formuliert hat) und kann Professionellen einen Blick in
9
die Innenwelt Betroffener ermöglichen. Gefühlsmäßige Mitbetroffenheit kann dann
tragfähige Grundlage solidarischen Handelns bewirken.
Der japanische Nobelpreisträger für Literatur 1994, Kenzaburo Oe, hat „...die
große Katastrophe seines Lebens, die Geburt seines ersten Sohnes
im Jahre 1963, der mit einer Gehirnhernie zur Welt kam“ ( HijiyaKirschnereit, 1994: 232), immer wieder zum Stoff seiner Literatur gemacht. Seine
Gefühle angesichts der Geburt des Kindes kleidet er in folgende Worte: „Fünf
Wochen
lang
habe
Sohnes
gehofft,
ich
dass
nach
er
der
Geburt
sterben
meines
würde....Und
missgestalteten
keine
noch
so
starke Läuterungskraft wird diese Befleckung je von meinem Leben
waschen können, ja, ich glaube, bis zu meinem Tod wird mir dies
anhaften“ (Oe 1994: 232). Auf literarischer Ebene hat sich Oe wohl am deutlichsten
mit
Tötungsphantasien
und
aber
auch
konkreten
Tötungsabsichten
ausei-
nandergesetzt.
Aber auch im Buch von Pearl. S. Buck findet man diese Gedanken: „Ich hätte den
Tod für mein Kind willkommen geheißen, dann wäre es für immer
gesichert“ (Buck, 1975: 42). In diesem Buch „Geliebtes unglückliches Kind“
schildert sie sehr sensibel, offen und dabei sehr reflexiv ihre Gefühle als Mutter einer
geistig behinderten Tochter. Aus ihren Worten spricht viel Erkennen und Weisheit,
wobei es ihr gelingt, auch die Erfahrungen anderer Eltern mit einzubeziehen und ihre
Aussagen somit eine gewisse Allgemeingültigkeit widerspiegeln. So kann man z. B. als
Außenstehender gut nachvollziehen, dass Eltern nicht dauernd vertröstet oder auf
vage Hoffnungen verwiesen werden wollen, sondern froh sind, wenn jemand sich traut,
endlich die Wahrheit über die Behinderung zu sagen. Buck beschreibt den Moment als
unerträglich. „Vielleicht lässt es sich am besten so schildern, dass
ich innerlich verblutete – hoffnungslos“ (1975: 36). Aber sie ist dem
Wahrheitsüberbringer dennoch dankbar.
Zum Schluss ihres zwar alten, aber, wie ich finde, immer noch sehr aktuellen Buches
appelliert sie an andere Eltern mit behinderten Kindern, aber implizit auch an die
Unterstützung der Eltern durch Professionelle: „Wenn euch ein kleines Kind
geboren wird, das nicht wohl und gesund ist, wie ihr hofftet,
sondern
verkrüppelt
und
mangelhaft
an
Körper
und
Geist
oder
vielleicht an beidem, bedenkt, dass es doch immer euer Kind ist.
Bedenkt, dass das Kind ein Recht auf sein Leben hat, was für ein
Leben das auch sein mag, und dass es ein Recht auf ein Glück
10
hat, das ihr ihm finden müsst. Sei stolz auf dein Kind, nimm es
hin, wie es ist und achte nicht der Worte und des Staunens
derer, die es nicht besser verstehen. Dieses Kind hat einen Sinn
für Dich und für alle Kinder. Du wirst ungeahnte Freude finden,
wenn du sein Leben für es und mit ihm vollendest. Erhebe dein
Haupt und gehe deinen vorgezeichneten Weg! Ich spreche als eine,
die es weiß“ (Buck, 1975: 92).
Zu diesen Gedanken und Gefühlen können alle Eltern nur sehr langsam, mühevoll und
manchmal auch qualvoll gelangen. Aber alle ahnen um die Notwendigkeit dieser
Einstellung für das Kind aber auch für sich selbst und sind unendlich dankbar für
„Bausteine“ auf ihrem Weg. Und damit meine ich z. B. gute Beratung durch
Professionelle, menschliches Verstehen von Außenstehenden, gute Gespräche, in
denen die Eltern mit ihren höchstpersönlichen Bedürfnissen und nicht nur der
behinderte Mensch im Mittelpunkt stehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich fragmentarisch die krisenhafte Auseinandersetzung mit der Behinderung ihres Sohnes von Petra Dreyer in
ihrem Buch „Ungeliebtes Wunschkind“ wiedergeben. Ihr dramatisches
Buch lässt den Prozess der Annahme sowohl ihrer selbst als auch des
schwerbehinderten Kindes sehr transparent und reflexiv erscheinen. Das
Buch macht Eltern Mut und zeigt gleichzeitig Außenstehenden auf, was
dem Menschen möglich sein kann als Schicksalsannahme und positiver
Auseinandersetzung mit extremen Lebensaufgaben.
Während ihrer Schwangerschaft hatte Petra Dreyer die normalen Phantasien aller werdenden Mütter: „Mein Wunschkind entstand - ein
Superkind,
und
ich
natürlich
die
tollste
Mutter
der
Welt“ (Dreyer, 1988: 11).
Das Kind wird unter Komplikationen geboren und ist geistig schwer behindert. „Nur sein Tod wäre Trost für mich, lieber ein Ende
mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende. So ein geschädigtes Kind wollte ich nicht, nein, nein, und nochmals nein“ (13). „Nichts ist mit tollster Mutter der
Welt, stündlich versage ich, tue ich irgendetwas, das
ihn zum Weinen bringt“ (21).
11
Auf Fragen ihrer Bekannten antwortet sie: „Mein Kind ist schwer
körperlich und geistig behindert, wird nie laufen und
sprechen
sein.
können,
Jens
ist
immer
ein
auf
fremde
Hilfe
angewiesen
schwachsinniges
Kind,
wobei
ich
schwachsinnig besonders betone, Ausschussware, nur am
Leben, um Arbeit zu machen und Schrecken zu verbreiten“
(23). Und sie hasst ihn dafür, dass er nicht „behindert“ aussieht, sondern
sehr hübsch ist.
Eindrucksvoll und plastisch schildert sie ihren mühsamen Alltag mit Jens,
die zahllosen Arztbesuche, die schmerzenden Reaktionen der Umwelt, ihre
Hoffnungslosigkeit, ihre aufgewühlten Emotionen. Immer wieder stellt sie
sich dieselben Fragen: Welchen Wert hat das Leben meines Sohnes? Warum muss er so leiden? Welchen Sinn kann das alles haben?
Aber langsam ahnt sie, dass der Hass auf ihr Kind auch ein Zeichen lebendiger Verbundenheit mit diesem ist. Die Einladung in eine Klinik in Bethel
bringt eine langsame Veränderung. „Hier sind wir nicht die Außenseiter, ist die Behinderung Normalität“ (43).
Aber sie empfindet Jens weiterhin als „Alptraum“ für sich. In einer Art
Selbstanalyse beschäftigt sie sich mit ihrem bisherigen Leben, ihrer Lage
mit ihrem behinderten Bruder und aber auch ihrer Zukunft. Die Rückkehr in
den Beruf wird durch Jens verändert: „...nichts ist mehr wie vorher, aber es ist deshalb nicht schlechter“ (59).
Als Jens sich gegen die intensive Krankengymnastik immer verzweifelter
wehrt, bekommt auch sie Zweifel an deren Sinn und lässt sich auch einmal
selbst „beturnen“. Und da beginnt sie Jens das erste Mal zu verstehen:
„Jens,
zum
ersten
Mal
verstehe
ich
Dein
Schreien,
schrei weiter, schrei für mich mit, denn ich bin genauso wütend und hilflos wie Du. Nur, ich bin schon
die, die ich einmal werden sollte, ich habe schon aufgehört zu schreien“ (67). Geplagt von Schuldgefühlen, aber das
erste Mal wieder handlungsfähig und eigenverantwortlich, bricht sie die
Krankengymnastik entschlossen ab.
In einer lebensbedrohlichen Krampfsituation ihres Sohnes erlebt sie zum
ersten Mal, dass sie ihren Sohn wirklich akzeptiert und anerkennt. Sie sieht
12
ihn als ein von ihr völlig getrenntes Wesen, „...dessen Wirklichkeit
ich nie ganz werde nachvollziehen können“ (75).
Bedauernd stellt sie fest, dass die Trauer wohl Teil ihres Lebens bleiben
wird, aber ihr Blickwinkel auf Jens verändert sich allmählich. Empathisch
versucht sie sich in ihn hinein zu versetzen und kann dann auch sich selbst
und ihr Verhalten besser annehmen. „Erst im Erkennen des eigenen Andersseins, Abweichen von Normen und Regeln, dem
Erkennen der eigenen Fehler und Schwächen, habe ich Zugang gefunden zu dem Anderssein meines Kindes, zu seiner Wut, Trauer und Hilflosigkeit“ (117).
Am Ende scheint „Zukunft“ möglich: „...ich darf etwas mehr die
sein, die ich nun mal bin, und so darfst du etwas mehr
sein, der du nun mal bist, die Mauer zwischen uns beginnt zu schrumpfen“ (117).
Zahlreiche
andere
Schriftsteller
beschreiben
ähnliche
Gefühle
und
Entwicklungsprozesse (z. B. Geppert, Beuys), alle haben mehr oder weniger ähnliche
Erfahrungen und Probleme, und auch ich, als Betroffene, finde mich in dieser Literatur
sehr oft wieder. Aber jeder Mensch geht anders mit seinen Erfahrungen um, benötigt
andere Hilfe oder lässt andere Unterstützung zu. Professionelle Begleitung muss also
immer am Einzelfall sensibel orientiert sein, wenn es auch allgemein gültige Strukturen
zu geben scheint.
Zum Schluss meiner anthropologischen Aspekte möchte ich noch resümierend Dieter
Schulz zitieren, dessen anthroposophisch geprägte Gedanken sowohl für die Eltern als
auch für die Professionellen ein tragfähiges, sinnstiftendes Handlungsfundament bilden
können: „Das Leid, ein Kind zu haben, das anders ist als die
anderen Kinder, steht für die meisten Eltern immer wieder im
Vordergrund. Dieses Leid, die Mühen und Strapazen, die Eltern
durch ihr Kind auferlegt bekommen, zieht sich wie einer von
mehreren roten Fäden durch das Leben. Bleibt man bei dieser
schmerzvollen
Eltern
und
Wahrnehmung
des
Kindes
stehen,
so
unerträglich
kann
wirken.
das
Die
Schicksal
der
Tatsache
der
Behinderung des Kindes bleibt bestehen, das seelisch-geistige
Erleben der Eltern birgt aber die Möglichkeit der Verwandlung
13
des
Leidens
Wesentliches
andere
in
sich:
vom
individuell
Reifung,
Entwicklung,
Unwesentlichen
unterscheiden
verschiedene
Fähigkeiten“
innere
zu
(
Stärke,
können
Schulz,
und
1999:
128).
Ich persönlich kenne keine Familie, die ihr behindertes Kind – trotz oder wegen aller Probleme
– nicht als echte Bereicherung ihres Lebens erlebt. Besonders die herzliche Spontaneität, die
ehrliche Emotionalität und das einfache Da-Sein des behinderten Kindes macht Freude,
genauso das Erleben auch kleinster Entwicklungsschritte des Kindes. So existiert oft eine
besonders enge und liebevolle Beziehung zwischen Eltern und Kind.
1.5. Psychologische Aspekte
Die Geburt eines behinderten Kindes bedeutet zunächst einmal eine herbe
Enttäuschung für die Eltern, deren hoffnungsvolle Phantasien hinsichtlich des Kindes
sich auch nicht ansatzweise verwirklichen werden. Die Eltern fühlen sich in ihrem
Selbstwertgefühl verletzt, evtl. aus verschiedenen Gründen auch schuldig, auf jeden
Fall aber völlig hilflos angesichts dieser neuen Situation, auf die es keine Vorbereitung
gab. Eigene Lebenspläne müssen radikal geändert werden, die Beziehung zur Umwelt
ist belastet. Der Umgang mit dem behinderten Kind erfordert die Übernahme einer
neuen Elternrolle. Die Einstellung der Eltern zum Kind hängt nun von der Verarbeitung
der Erschütterung und des inneren Konfliktes ab. Wenn sich die Gewahrwerdung der
Behinderung über längere Jahre hinstreckt, kann das Gefühl der Eltern als
schleichende, ambivalente Verunsicherung bezeichnet werden.
Als ehedem normaler Teil der Gesellschaft haben die Eltern genauso negative
Tendenzen gegenüber dem Phänomen „Behinderung“ erlernt, sind aber wahrscheinlich
stärker bemüht, diese zu unterdrücken. Die Diskrepanz zwischen dem erträumten
„idealen“ Kind und dem „realen“ Kind ist sowohl kognitiv als auch emotional nur schwer
zu überbrücken.
Das Erleben der Eltern ist sowohl schichtspezifisch geprägt als auch vom
Bildungsniveau abhängig. Dabei können drei Hauptformen von Reaktionen auf die
Behinderung
festgestellt
werden:
Schockgefühle,
Schuldgefühle
und
Abwehrmechanismen (nach Cloerkes, 2001: 238). Zu diesen Abwehrmechanismen,
die nötig sind, um das gestörte innere Gleichgewicht wieder zu erlangen, gehören:
Verleugnung, Projektion, Intellektualisierung und Sublimierung, wobei die letzten
beiden Mechanismen zur Verarbeitung des ungelösten Konfliktes führen können, wenn
es geschafft wird, die realistischen Bedürfnisse des Kindes zu sehen und zu erfüllen
14
(nach Speck, 1999: 309). Speck nennt noch weitere Abwehrmechanismen:
Abreagieren von Aggressionen, Ritualisierung und Überbehütung bzw. Verwöhnung.
Je stärker sich die Einstellungen und Erwartungen an tradierten Norm- und
Wertvorstellungen wie Schönheit, körperliche und geistige Unversehrtheit, Erfolg,
Leistung, Selbstständigkeit und Autonomie orientieren, desto größer sind die
Enttäuschungen und Konflikte. Dabei spielen der Zeitpunkt des Erkennens der
Behinderung, Art, Sichtbarkeit und Schweregrad der Behinderung eine große Rolle.
Zur Erklärung der Krisenverarbeitung wurden von verschiedenen Autoren Modelle
entwickelt, wobei allen Modellen Phasenbeschreibungen gemein sind. Am populärsten
ist
das
Spiralphasenmodell
von
Schuchardt,
das
ein
generelles
Krisenverarbeitungsmodell darstellt. Sie beschreibt hierin acht Spiralphasen, die sich
durch das Eingangsstadium, das Durchgangsstadium und das Zielstadium „hochschrauben“. Diese acht Phasen heißen Ungewissheit, Gewissheit, Aggression,
Verhandlung, Depression, Annahme, Aktivität und Solidarität. „Das Bild der Spirale
veranschaulicht sowohl die Unabgeschlossenheit der inneren Vorgänge als auch die
Überlagerung verschiedener Windungen im Verlaufe des täglichen Lebens und
Handelns mit anderen“ (Schuchardt, 1999: 38).
Aus Elternsicht birgt dieses prägnante Modell die Gefahr, noch zusätzlich
Leistungsdruck auf die Eltern auszuüben. In meinem Erleben kann ich mich zwar in
diesen Phasen wiederfinden, was mir das Gefühl gibt, ich bin „in Ordnung“,
andererseits hätte ich gerne ein Patentrezept, wie ich die Spiralspitze möglichst schnell
erreiche, da mit diesem letzten Schritt ja eine gewisse Immunisierung gegen Trauer
möglich zu sein scheint.
Für professionelle Fachkräfte ist trotz aller Schwächen dieses Modells hiermit die
Möglichkeit gegeben, Trauerprozesse bei den Eltern zu erkennen, zu deuten und so
sensibel zu begleiten. Dabei ist wichtig zu beachten, dass jede gefühlsmäßige
Reaktion seinen berechtigten Sinn hat, weder zu pathologisieren, zu verhindern oder
womöglich zu kritisieren ist.
Jonas, die sich besonders um die mütterlichen Probleme mit der Behinderung bemüht
hat, sieht die Aufgabe der professionellen Dienste im Behindertenbereich darin, „...die
Mütter in der Bewältigung des Traumas der Behinderung zu begleiten und ein
Beziehungsangebot zu machen, in dem Trauerprozess und Autonomieentwicklung in
der Interaktion erlebbar werden, zur Sprache kommen können und nicht verdrängt
werden müssen“ (1990: 153). Dieser Beratungsprozess braucht viel Zeit und
Interaktion in konkreter Beziehung.
15
Allgemein ist festzustellen, dass die Verarbeitung kritischer Lebensereignisse ein sehr
komplexer und individueller Prozess ist, bei dem individuelle Faktoren (Einstellung,
Persönlichkeitsstruktur), situative Faktoren (Lebensumstände, Hilfsangebote) und
gesellschaftliche Faktoren (Zugang zu Informationen) zusammenwirken. Jeder professionelle Kontakt sollte auf Stärkung der Eltern (nicht, weil sie schwach sind, sondern
weil sie ihre Stärken noch ausbauen können), auf Akzeptanz ihrer Probleme (weil sie
reale Probleme haben, die sie aber – mit selbstbestimmter Unterstützung – alleine
lösen können) und Unterstützung in ihrer besonderen Elternrolle (weil sie normale
Eltern sind, die aber besonders herausgefordert sind) gerichtet sein.
1.6. Soziologische Aspekte
Mit ihrem behinderten Kind erleben Eltern sowohl in ihrer Selbst- als auch in ihrer
Fremdwahrnehmung, dass ihre Elternschaft von der Norm abweicht, denn die Situation
ist
erwartungskonträr
und
traditionslos
zu
den
gesellschaftlich
gängigen
Lebenssituationen.
An dieser Stelle möchte ich meine Betrachtungen der verschiedenen Elternrollen nur
auf die Rolle der Mutter beschränken, da sie in der Regel die Hauptbezugs- und
Pflegeperson des behinderten Kindes ist und sich ihr persönliches Leben, der Alltag
und ihre Lebenswelt am meisten durch die Tatsache der Behinderung und die später
beschriebene Heimunterbringung des Kindes ändert.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass mit der Geburt eines Kindes in vielen Familien
wieder die traditionelle Rollenverteilung eintritt. Bei der Geburt eines behinderten
Kindes trifft dies in fast allen Fällen zu. „Dem traditionellen Rollenverständnis
entsprechend sind Mütter für die Pflege und Betreuung ihres behinderten Kindes
verantwortlich, während es in das Ermessen der Väter gestellt ist, inwieweit sie neben
ihrer Berufsarbeit häusliche Aufgaben übernehmen“ (Stegie, 1988: 126). Häußler,
Wacker und Wetzler haben in ihrer Studie, die nicht nach Art der Behinderung
differenziert, zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in privaten
Haushalten festgestellt, dass in über 80 % der untersuchten Haushalte die Pflege
überwiegend durch eine Frau als Hauptpflegeperson erbracht wird (1996: 448).
Für die Mutter ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen:
¾
Erfordernis der permanenten Präsenz für die Bedürfnisse des Kindes,
möglicherweise jahrzehntelang und rund um die Uhr.
¾
Aufgabe des Berufes (und damit gravierende ökonomische Schlechterstellung
der Familie) und radikale Einschränkung der Freizeit und Freizeitmöglichkeiten.
16
¾
Je nach Behinderung des Kindes: chronische Schlafdefizite und körperliche
Erschöpfungszustände.
¾
Größte psychische Belastung hinsichtlich der Unaufhebbarkeit der Behinderung
und ständig neuer Anforderungen und Krisen im Lebenslauf des Kindes.
¾
Schuldgefühle.
¾
Einseitige Konzentration auf das Kind und dadurch Vernachlässigung der
anderen Familienmitglieder.
¾
Latente Ablehnungstendenzen und übermäßige Ansprüche gegenüber dem Kind.
Für
den
nochmals
getrennt
hiervon
zu
sehenden
Kreis
der
Mütter
schwerstmehrfachbehinderter Kinder hat Dorothee Wolf-Stiegemeyer, selbst Mutter
einer schwerstbehinderten Tochter, in ihrer Umfrage 1999 bei 62 Müttern solcher
Kinder
eine
deutliche
Lebensqualitätsveränderung
festgestellt.
Ihre
Handlungsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt, zwischenmenschliche Beziehungen
durch Zeit- und Sozialfaktoren erschwert, Selbstachtung, Selbstsicherheit und
Selbstanerkennung werden durch diese Aufgabe tangiert und auch die Lebensfreude
kann aufgrund der emotionalen und physischen Belastung schwinden. „Die
Gesamtsituation von Müttern besonderer Kinder ist – im Verhältnis zu Müttern
„gesunder“ Kinder – eindeutig als eine meist um ein Vielfaches belastetere zu
betrachten“ (Wolf-Stiegemeyer, 2000: 12). Es besteht eine hohe und zunehmende
Erkrankungsgefahr für diese Mütter.
Dieter
Schulz
beschreibt
den
Alltag
besonders
herausgeforderter
Mütter
folgendermaßen: „Immer wieder beschreiben Mütter diesen Zwang, den täglichen
Pflichtenkatalog zu erfüllen, als Berg oder Mauer gegen die man nicht ankommt. Das
Gefühl, alles wird zuviel, ich kann es nicht mehr bewältigen, kann plötzlich panikartig
auftreten oder, wenn es chronisch wird, aushöhlend und verzehrend wirken. Die
Lebensfreude schwindet, die Kräfte nehmen ab, alles färbt sich grau in grau. Routine
erfüllt den Alltag und die Seele bleibt auf der Strecke“ (Schulz, 1999: 31).
Das gesellschaftliche Postulat der „Mutterliebe“ erfährt in Bezug auf behinderte Kinder
noch eine besondere Brisanz und setzt die Mütter mehr noch als „normale“ Mütter
unter Druck. Oft folgen die Mütter einem fragwürdigen Idealbild, in dem sie nur sich
selbst als fähig sehen können, der Behinderung ihres Kindes gerecht zu werden. So
wird oft schon die bloße Inanspruchnahme des Familienentlastenden Dienstes von
starken Schuldgefühlen begleitet, und auch die jahre- bis jahrzehntelange innere
Tabuisierung des Gedankens an ein „Anschlusszuhause“ für das Kind hat hierin eine
17
seiner Ursachen. Gedanken an eigene Berufstätigkeit oder auch nur ein Hobby werden
in oft masochistisch anmutender Weise unterdrückt.
Gerade die jungen Mütter heute, oft hoch qualifiziert ausgebildet und mit
emanzipatorischem Gedankengut aufgewachsen, empfinden dieses Los als besonders
hart. Durch diese Schicksalsrolle fühlen sie sich jeglicher Autonomie beraubt. Im
Gegensatz zu den früheren Müttern in vergleichbarer Lage empfinden sie sich in ihrer
Hausfrauenrolle durch das behinderte Kind auch nicht „aufgewertet“, ist doch die „Nur“Hausfrauensituation gesellschaftlich und in harter Währung heutzutage wenig wert.
Aber bei vielen Müttern wachsen im Laufe der Jahre die Kompetenzen, sie haben oft
eine sehr aktive und bestimmende Rolle, die ihnen auch Selbstbewusstsein gibt.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Belastung für die Mütter von Außenstehenden
kaum nachvollziehbar ist, die Leistung nicht einfach als selbstverständlich erwartet
werden sollte und dass Beratung und Unterstützung besonders der Mütter
Frauenförderung per se ist, ein in Unternehmen und Behörden schon längst, zumindest
in Ansätzen verwirklichtes Gesellschaftsziel.
Nach dieser längst nicht abschließenden Übersicht über verschiedene
Aspekte aus der familiären Welt mit geistig behinderten Kindern skizziere
ich nun kurz Erfahrungen der Eltern aus ihrer oft jahrelangen
Zusammenarbeit mit Fachleuten in der Behindertenhilfe, aber auch
Wünsche der Eltern, die sich hieraus ergeben. Das ambivalente
Durchleben der „Mühle der Professionalität“ prägt und formt die Eltern und
bildet das Portal, durch das sie dann später auf die Mitarbeiter in den
Heimen zugehen.
1.7. Erfahrungen mit Fachleuten
„Der Anlass für Begegnung Eltern-Professionelle ist für Eltern das i. d. R.
unvorhersehbare Hineingeraten in die „unverschuldete“ Situation, Eltern eines Kindes
mit geistiger Behinderung geworden zu sein“ (Dittmann,2000 : 243 ). Und Eltern
behinderter Kinder haben unglaublich viele Kontakte mit Fachleuten. Sie verausgaben
sich physisch, psychisch und oft auch finanziell, um ihrem Kind möglichst alle Förderund Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes ist der Förderdruck als konkreter
Ausfluss der elterlichen Verantwortung extrem hoch und wird fatalerweise durch viele
18
Professionelle aus oft sehr egoistischen Gründen noch geschürt. Durch „Ärztehopping“
über „Therapieshopping“ und „Beratungsdschungel“ erleben Eltern oft unzählige
Kontakte mit Fachleuten. Gerade in den ersten Jahren ziehen sich die Eltern aufgrund
ihrer schwierigen emotionalen Lage sozial sehr zurück, sie versuchen dadurch,
wenigstens im engsten Familienkreis handlungsfähig zu bleiben. Ihr oft einziger, aber
intensiver Kontakt nach „draußen“ bilden die beschriebenen Besuche bei Fachleuten,
deren Reaktionen sie – selbst ratlos, verunsichert und oft auch hoffnungslos – umso
tiefgreifender „ausgeliefert“ sind. Hierzu stellt Eckert in seiner Studie fest: „Die
Erfahrungen, die die befragten Eltern im Laufe ihres gemeinsamen Lebens mit dem
behinderten Kind im Kontakt zu Fachleuten gesammelt haben, weisen ein sehr
heterogenes Bild auf“ (Eckert ,2002: 231). Und: „Das Überwiegen positiver
Erfahrungen bildet jedoch eine Ausnahme, so dass nach den Berichten der Eltern die
Kontakte zwischen Eltern und Fachleuten kritisch betrachtet werden sollten“ (231).
Eine Mutter eines dreijährigen mehrfachbehinderten Kindes erzählte mir einmal
begeistert von der Krankengymnastin ihres Sohnes, die vor jeder Stunde sie als Mutter
fragen würde: „Sie oder er?“ Und manchmal würde sie sich das Recht zu einem
Gespräch mit dieser Frau „herausnehmen“, wohlwissend, dass sie nach diesem
Gespräch, in dem sie offen Frust ,Ärger und Enttäuschung „ablassen“ könne, bestens
gelaunt und wieder seelisch belebt ihr Kind betreuen kann. Wahrscheinlich hat so ein
Gespräch für das Kind eine ebenso wichtige entwicklungsfördernde Bedeutung in Form
einer zufriedenen Mutter wie die „Krankengymnastik auf neurophysiologischer
Grundlage“. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig der ganzheitliche Blick auf das System
Eltern-Kind und das Zutrauen in die Fähigkeit der Eltern ist, sich „zu holen“, was sie
brauchen, wenn es ihnen angeboten wird.
Weiterhin wichtig für die Eltern sind auf Seiten der Fachleute differenziertes fachliches
Wissen mit „Blick über den Tellerrand“ und hohe, menschlich geprägte Einsatz- und
Kooperationsbereitschaft der Fachleute, sowie aber auch deren Bereitschaft, sich auf
das Kind einzulassen. „Erleben die Eltern des behinderten Kindes, dass ihr Kind von
der jeweiligen Fachperson geschätzt und gemocht wird, wirkt sich dies positiv auf ihren
Kontakt zu den Fachleuten aus, ist dies nicht der Fall, wird eine Zusammenarbeit
deutlich erschwert“ (Eckert, 2002: 233).
Wichtige Aspekte beim Aufbau einer tragfähigen Beziehung, die durch gegenseitiges
Vertrauen geprägt ist, sind die Wechselseitigkeit des Austausches, die Wertschätzung
der elterlichen Kompetenzen durch die Fachleute, Offenheit im Gespräch sowie auch
Interesse der professionellen Helfer an der familiären Lebenswirklichkeit, natürlich
unter Bewahrung absoluter Verschwiegenheit. Aber das verstärkte Angewiesensein auf
19
institutionelle Angebote durch die besondere Situation mit dem behinderten Kind kann
aus Elternsicht beispielsweise als selbstverständliche Notwendigkeit gesehen werden
oder aber auch eine verstärkte Fremdbestimmung des familiären Lebens darstellen. Je
nach persönlicher Lage der Eltern, nach Stimmung oder Situation kann diese
Einstellung variieren, so dass für Fachleute auch immer eine gewisse Unwägbarkeit
der elterlichen Bewertung gedanklich präsent sein sollte.
Ich selbst empfinde es nach wie vor als Zumutung, dass man wie eine gläserne Familie
unzähligen Außenstehenden Einblicke in sein Familienleben geben muss. Die fast
überwiegend negative Sicht „unserer“ Familien in der Literatur resultiert m. E. unter
anderem auch aus diesen vielen „Fenstern“, die – ungewollt – Eltern Fachleuten geben
müssen. Wer das Kind wann und wie zu Bett bringt, wie man die nächtliche
„Bewachung“ organisiert, wann man den Haushalt erledigt, wie man das Geld ausgibt ,
ob und wie man in Urlaub fährt usw. usw., alles Dinge, die normale Familien niemals
Außenstehenden offenbaren müssten. Auch wenn man es nicht will.....zwangsläufig
muss man sehr viel von sich erzählen bzw. lässt sich implizit vieles erfahren und man
weiß nicht, wie der Andere dies einordnet oder auch bewertet. Wer nicht selbst mit
einem geistig- oder schwermehrfachbehinderten Kind zusammenlebt, kann einfach
vieles nicht nachvollziehen, macht sich falsche Vorstellungen und ordnet so
Erzählungen Betroffener vorschnell falsch ein.
Erfahrungsgemäß lässt der Förderdruck mit den Jahren deutlich nach, aber die
Bedeutung der Fachleute, ihre Meinungen und Ansichten, auch ihre Reaktionen auf
das Kind bleiben nach wie vor unverändert hoch, ebenso die Sensibilität der Eltern
gegenüber der Umwelt, unter der sie oft leiden müssen (z. B. wegen Tuschelns oder
Anstarrens der Mitmenschen), der sie aber auch oft eigene Projektionen unterstellen.
Mit diesem emotionalen „hochexplosiven“ Gefühlsgemisch, das den Eltern weder
bewusst noch von ihnen intendiert ist, treten sie dann natürlich allen weiteren
Fachleuten in ihrem Leben (z. B. den professionellen Betreuern ihrer Kinder in
Wohnheimen) entgegen, eine, in der Folge, für alle Beteiligte hochsensible
Gratwanderung im Bemühen um ein gutes Verhältnis.
Nach wie vor sind für mich alle meinen Sohn mitbetreuenden Fachleute, egal ob
Wohnheimbetreuer, die Lehrerin oder der Arzt sehr wichtig. Ob ich will oder nicht, ich
werte ihre Aussagen nicht nur auf einer rationalen Ebene sondern „sauge“ sie auch
emotional auf. Dabei versuche ich unwillkürlich herauszuhören, wie diese meinen Sohn
sehen, ob sie ihn mögen und akzeptieren, was mir z. B bei meinem nichtbehinderten
Sohn relativ egal ist. Von anderen Eltern erlebe ich auch oft eine regelrechte
Idealisierung z. B. eines bestimmten Lehrers oder Betreuers, der es mit dem Kind
20
besonders „gut kann“ und dadurch schon fast selbst, überspitzt ausgedrückt, eine Legitimation zum „Familienmitglied“ hat.
Zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten der Familie und der des
Heimes steht ein Entschluss, dessen Tragweite für die Familie von
Heimseite oft nicht gesehen werden kann, was zu Fehleinschätzungen der
Situation der Eltern durch die Heimmitarbeiter führen kann. Mit meinen
folgenden Ausführungen möchte ich diesen Entschluss und seine
Umsetzung aus Sicht der Eltern näher beleuchten.
21
2.
Das Heim als „Zweites Zuhause“ für das behinderte Kind
2.1. Der Entschluss
„Als die Zeit fortschritt, wurde es auch offenbar, dass mein
Töchterlein seine eigenen Gefährten finden müsse. Die Freunde,
die bei mir kamen und gingen, konnten niemals seine Freunde
sein. So gut und mitleidsvoll sie waren, empfanden sie doch das
Kind als eine Anstrengung, und umgekehrt waren sie wieder eine
Anstrengung für das Kind und für mich. Es wurde durch diese
Tatsachen klar, dass ich ihm eine Welt suchen und finden und es
dann hineinversetzen müsse“ (Buck,1975: 52). So beschrieb Pearl S. Buck
ihre Empfindungen, die den Entschluss, ein Heim für ihr Kind zu suchen, reifen ließen.
Sie suchte für ihr Kind ein Zuhause, eine andere Welt, „...in der es nicht
verachtet und zurückgestoßen würde, wo es sein eigenes Niveau
finden, wo es Freunde und Zuneigung, Verständnis und Würdigung
haben könnte“ (53).
Der Gedanke an ein anderes Zuhause neben der Familie wird von den betroffenen
Eltern zumeist jahrelang tabuisiert, oft jahrzehntelang verdrängt. So ist es u. a. auch zu
erklären, dass ca. zwei Drittel aller geistig behinderten Menschen auch noch in
fortgeschrittenem Alter bei den ebenso alternden Eltern leben. Einen Königsweg gibt
es hier für die Eltern nicht: Es gibt keine tradierten oder verlässlichen Regeln, wann
der heranwachsende oder erwachsene geistig behinderte Mensch das Elternhaus
verlassen soll oder kann, es gibt keinen „normalen“ Weg, kein erprobtes
Verhaltensmuster. Auch Empfehlungen von Fachleuten reichen immer noch von der
Abgabe sofort nach der Geburt bis zur Feststellung, dass solch ein Mensch doch
lebenslang zur Familie gehört, wenn auch in der aktuellen Literatur zu diesem Thema
immer wieder, als Ausfluss des Normalisierungsprinzips, darauf hingewiesen wird,
dass geistig behinderte Menschen im selben Alter wie andere junge Menschen auch
das Elternhaus verlassen sollten. Tatsächlich leben auch, nach Einschätzung von
Kemme / Kursawe / Thimm (1999: 5), ca. 16.000 Kinder in Heimen der
Behindertenhilfe, obwohl die Familie nach herrschender fachlicher Einschätzung immer
noch die beste erste Sozialisationsinstanz darstellt. Gründe für die Heimunterbringung
von relativ kleinen Kindern (z. B. aufgrund fehlender ambulanter Hilfen) sind wenig er-
22
forscht und anders zu bewerten als der Auszug von Jugendlichen und Erwachsenen
aus dem Elternhaus im Sinne der Ablösung (vgl. Kemme / Kursawe / Thimm, 1999: 8).
Kinder bleiben, auch als Heranwachsende und Erwachsene, für ihre Eltern auf eine Art
immer Kinder, wie viel schwerer ist es für Eltern geistigbehinderter Kinder, die
permanent Unterstützung brauchen, diese als endlich Erwachsene zu sehen und sie
„gehen“ zu lassen. Allen Eltern fällt es schwer, ihren Kindern Erwachsensein zu unterstellen, aber Eltern „normaler“ Kinder werden durch diese einfach dazu gezwungen,
denn deren natürliche Entwicklung zu Selbständigkeit und damit verbundener
Unabhängigkeit sowie ihr gesellschaftlich erwartetes Handeln (Ausbildung, Beruf,
eigene Familie) lässt in der Regel keinen anderen Weg zu. „Während Ausbildungsabschluss, Berufstätigkeit, finanzielle Selbständigkeit und
Auszug
Anhaltspunkte
junger
Erwachsener
Elternhaus
durch
ablöst,
Elternschaft
dafür
bieten,
welchem
„selbstständige
bieten
Anhaltspunkte
Beziehungsstruktur
in
Partnerbindung,
für
zwischen
die
Maße
sich
ein
Lebensführung“
vom
Eheschließung
und
emotionale
erwachsenen
Ablösung
Kindern
und
und
ihren
Eltern“ (Vaskovics,1997: 33). Im Extremfall der schweren geistigen Behinderung
oder schwerstmehrfachen Behinderung gibt es hingegen keinen dieser Anhaltspunkte
als Indiz für eine Ablösung des behinderten Menschen von seinen Eltern, was bei diesen völlige Ahnungslosigkeit, wie sie sich nun verhalten sollen, bewirkt.
Unter pädagogischen Gesichtspunkten stellt Struck fest: „Eltern müssen die
Reifung ihrer Kinder innerlich mitvollziehen, und sie sollten
mit dem Bewusstsein erziehen, dass sie sich selbst immer mehr
überflüssig zu machen haben“. Und weiter: „Die langsame Ablösung
vom Elternhaus ist ein ganz natürlicher Prozess und meistens nur
schmerzhaft für klammernde Eltern voller Besitzansprüche an ihre
Kinder und solche Mütter und Väter, die ihre Töchter oder Söhne
als Partnerersatz missverstanden haben“ (1995: 193).
Auch Eltern geistig behinderter Kinder wollen keine „klammernden“, ihre Kinder für
eigene Zwecke „missbrauchenden“ Eltern sein, aber: „Wenn
Eltern
die
Behinderung ihres Kindes akzeptiert haben, so fällt ihnen das
Loslassen
besonders
schwer.
Sie
haben
gelernt,
das
eigene
Lebenskonzept so zu verändern, dass das Kind mit seinen Beeinträchtigungen
und
mit
seinem
besonderen
Unterstützungsbedarf
darin einen guten Platz hat“ (Klauß1, 1999: 5). Dabei fällt es den Eltern
schwer, die Veränderung ihres Kindes in der Pubertät als „Loslass-Versuch“ zu werten,
23
zumal dann, wenn sie keine Vergleichsmöglichkeit mit Geschwisterkindern haben. „So
sieht sich die Bezugsperson häufig einem Jugendlichen gegenüber,
der zwar seine Loslösung anstrebt, um seinen Freiraum kämpft und
sich dabei wie ein Trotzkind gebärdet, im nächsten Augenblick
aber
symbiotische
Bedürfnisse
äußert,
Körperkontakt
sucht,
schmust und unter starken Trennungsängsten leidet“ (Senckel, 1994:
101).
Und immer geht es beim „Loslassen“ behinderter Kinder nicht um ein passives
„Weggehen-Lassen“ des Kindes, sondern um aktives „Weggeben“ in völlig fremde
Hände, ein Unterschied, der im Empfinden der Eltern und auch objektiv sehr schwer
wiegt, zumal bei sehr schwer mehrfachbehinderten Kindern. Unter der Überschrift
„Loslassen - Gedanken einer Mutter“ beschreibt Renate Helling als Mutter einer
schwerstbehinderten 35-jährigen Tochter sowohl ihre als auch die Probleme der
Tochter mit dem von Fachleuten so oft unbedacht leichtfertig gefordertem „Loslassen“:
„Chantal verstand die Welt nicht mehr. Sie schrie ihren Schmerz
des
Losgelassenwerdens
hinaus.“
Und:
„Sind
wir
froher
und
glücklicher seitdem wir Chantal losgelassen haben?“ Sie beschreibt,
dass sie ihr Kind nun wieder jedes Wochenende bei sich pflegt. Sie selbst hätte das
„Loslassen“ weitgehendst wieder aufgegeben, da alle nur darunter gelitten hätten. Und
zum Schluss stellt sie die, wohl alle Eltern in vergleichbarer Lage, bewegende Frage:
„Aber wer lässt schon ein zweijähriges Kind los in die Obhut
vieler fremder Hände?“ (Helling, 2001: 7).
Aber auch wenn dann die äußere Ablösung zu klappen scheint und alle können gut mit
dem
veränderten
Beziehungsrhytmus
leben;
die
innere
Ablösung
braucht
wahrscheinlich noch sehr viel Zeit und ist in den meisten Fällen erst mit dem Tod der
Eltern endgültig. Die „innere“ Nabelschnur pulsiert immer. Ich kenne viele ältere Mütter,
die würden gerne – obwohl ihr Kind schon lange in einem Heim lebt – in dessen „Grab
schauen“, bevor sie selbst „gehen“ müssen. Mitarbeiter in Wohngruppen müssen um
diese emotionale Befindlichkeit der Eltern wissen und versuchen, Eltern das Gefühl zu
geben, es geht auch irgendwann ohne sie gut für das Kind weiter. Damit tragen sie
Verantwortung für das, ich nenne es mal „Seelenheil“ der Eltern zu Lebzeiten.
24
(Quelle: „Orientierung“ 1/2003: 11)
Nun möchte ich noch einen anderen, sehr wichtigen, die äußerliche Ablösung
betreffenden Punkt ansprechen. Nachdenklich hat mich die Studie von Klicpera /
Gasteiger–Klicpera über „Einstellungen von Angehörigen und Betreuern zum Leben
eines erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung in der Familie und im Heim“
gemacht. Mit durchschnittlich 40% äußerten sich die Angehörigen gegen ein anderes
Zuhause für ihr erwachsenes behindertes Kind mit dem Grund, der behinderte Mensch
würde den anderen Familienmitgliedern „abgehen“ (Klicpera 1998: 115).
Auch ich habe in Gesprächen mit anderen Eltern sehr oft das Gefühl, dass sie ihr
behindertes Kind, egal, wie alt es ist, einfach nicht gehen lassen wollen, weil es ihnen
so sehr fehlen würde, und ich selbst kenne diesen unglaublich zwingenden Impuls, den
alle Eltern kennen, natürlich auch. Dazu gesellt sich noch das Gefühl, dass Fremde
das Besondere gerade des eigenen Kindes eh nicht schätzen werden können, so dass
eine regelrechte symbiotische Verschmelzung von Eltern und Kind auf Dauer existieren
kann. Eltern ist dieser Mechanismus nicht bewusst, zumal im anstrengenden Alltag
Gedanken daran oft gar keine Chance haben, erst aufzukommen oder aber rigoros
verdrängt werden. Auch die schrittweise Ablösung, wie sie bei normalen Kindern die
Regel ist, z. B. durch Übernachtungen bei Freunden, Verwandten, im Kindergarten, mit
Freizeitgruppen, bei Klassenfahrten und Schulfreizeiten, ist oft bei behinderten Kindern
25
aus verschiedenen Gründen, die sich unter anderem aus der Schwere der
Behinderung ergeben, nicht im normalen Umfang möglich.
Erst als mir einmal ein Lehrer nach der ersten Klassenfahrt mit meinem Sohn sagte, ich solle
ihn unbedingt öfters alleine Fahrten mit anderen Menschen machen lassen, er habe den
dringenden
Eindruck,
der
Junge
bräuchte
mehr
Freiheit
und
autonome
Entscheidungsmöglichkeiten, fiel es mir „wie Schuppen von den Augen“ und ich konnte
überhaupt erst einmal ein Bewusstsein für die Autonomiebedürfnisse meines Kindes entwickeln,
zu sehr standen bis dahin Pflege, Versorgung und Schutz seiner körperlichen Bedürfnisse im
Alltag im Vordergrund. Diesem Lehrer bin ich noch heute dankbar für sein sensibles
Beobachten der Kinder und mutiges Ansprechen der Eltern.
Ängste, Unsicherheiten, ambivalente Gefühle, Schuldgefühle und Pflichtgefühl lassen
den Gedanken an ein weiteres Zuhause für das Kind „undenkbar“ erscheinen.........bis
der Gedanke dann doch auf einmal irgendwie da ist! Vielleicht, weil ein Fachmann mal
von einem guten Heim erzählte, weil der Klassenkamerad oder Werkstattkollege nun in
einem solchen wohnt oder weil ein Elternteil schwer erkrankt ist und die häusliche
Situation zu eskalieren droht und Alternativen gesucht werden müssen, aber auch weil
der Gedanke an die Zukunft nicht mehr länger verdrängt werden kann. Im Prinzip
müssen rationale Gründe die emotionalen Befindlichkeiten „besiegen“, sonst kommt es
nie zu dieser, den Alltag und das Leben aller Beteiligten gravierend verändernden
Entscheidung.
Hinsichtlich des Auszugsalters der behinderten Menschen hat sich in den letzten
Jahren eine Änderung ergeben. „Auch konnte ein deutlicher Unterschied
zwischen
den
Elterngenerationen
bei
der
Unterstützung
der
Ablösung vom Elternhaus festgestellt werden; jüngere Eltern sind
eher
bereit,
die
Ablösung
als
eine
selbstverständliche
Entwicklung anzusehen und sich bei der Gestaltung der künftigen
Wohn- und Lebensform zu engagieren“ (Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung, 2002: 102).
Diese Entwicklung kann ich auch in meinem Bekanntenkreis beobachten. Trotzdem
dauert es oft noch Jahre, bis der Entschluss im Kopf dann wirklich realisiert wird. Dabei
sind sowohl die in den letzten Jahren ausgebauten ambulanten Entlastungs- sowie
Freizeitangebote als auch das in der Familienkasse oft nicht mehr wegzudenkende
Pflegegeld auch noch Gründe für die „Vertagung“ der Entscheidung.
2.2. Die Umsetzung
26
„Eltern, die mit der Frage nach einer Heimunterbringung umgehen müssen, leiden sehr
unter dem immer noch verbreiteten gesellschaftlichen Pauschalurteil, man schiebe sein
Kind ab“ (Schulz, 1999: 124). Viele Eltern fühlen sich demzufolge auch wie
„Rabeneltern“. Dabei ist nichts weniger zutreffend als dieses Bild. Schließlich suchen
diese Eltern ja für ihr Kind ein zweites „Nest“ und werfen es nicht einfach, wie
Rabeneltern es tun, aus dem „Nest“ heraus. Und dann behalten sie ihr
Familienzuhause immer wieder für die zeitweise Aufnahme ihres „Junges“ bereit. „In
dieser Phase der Vorbereitung des „Nestwechsels“ müssen die Eltern diesen Schritt
nicht immer nur wieder ihrer Umwelt mitteilen, erklären und notfalls immer wieder
rechtfertigen, sie müssen auch lernen, mit den Vorwürfen gegen sich selbst, mit ihren
Schuldgefühlen und den Impulsen, das Kind doch noch zu Hause zu behalten,
zurechtzukommen“ (Heimlich, Rother, 1991: 133).
Eine weitere, die Eltern sehr belastende Tatsache sind die in unserer Gesellschaft
immer noch sehr negativen Assoziationen mit dem Wort „Heim“. Man verbindet hiermit
eher Wegsein, Zwang, Fremdbestimmung und Kälte als Vorstellungen von
Zuhausesein, Geborgenheit oder Schutz und Hilfe. Eltern haben bei der Suche nach
einem Heim für ihr Kind zunächst einmal i. d. R. keine positiven Bilder und damit
konkrete Vorstellungen. „Von der Familie aus erscheint das Heim trotz der in ihm
angebotenen Entlastung für die Familie und für den Behinderten, trotz der in ihm
möglichen neuen Erfahrungen, trotz aller pädagogisch und therapeutisch spezifischen
Stützen als fremd, unpersönlich, unüberschaubar“ (Thiersch, 1989: 222). Dass Heime
heutzutage keine Bewahranstalten mehr sind und zumeist mit hohen Ansprüchen, was
die Förderung und die Gestaltung der Lebensqualität des Kindes anbelangt, arbeiten,
wissen sie nicht und sind darum in besonderer Weise auf sachliche, umfassende
Beratung angewiesen. „Heimerziehung kann nicht à priori als schlechtere Möglichkeit
bewertet werden; insbesondere mit Blick auf neuere Heimkonzeptionen stellt sie, z. B.
für jugendliche oder erwachsene Behinderte eine durchaus angemessene Alternative
zur Familie dar“ (Hensle / Vernooji, 2000: 284). Mit diesem Wissen, kritischen
Begutachtungen verschiedener Wohnmöglichkeiten aber auch durch Gespräche mit
Eltern, die „es schon geschafft haben“, kann die „Heimsuche“ dann gelingen und die
Entscheidung hierfür tragfähig werden. Gerade durch Gespräche mit „erfahrenen
Eltern“ können die noch suchenden und zweifelnden Eltern erleben, dass das „Heim“
nicht die „Endlösung“ für die ganze Familie bedeutet, sondern dass der weitere
Lebensweg aller Familienmitglieder mit Hilfe der Institution positiv gestaltet werden
kann.
27
Zur weiteren Umsetzung des Entschlusses gehört dann die Beantragung der
Kostenübernahme beim Sozialhilfeträger, was nach meiner Erfahrung in eine
unwürdige Prozedur für Eltern ausarten kann. „Noch müssen Eltern ihr Überfordertsein,
ihr
Scheitern
offiziell
eingestehen
und
ärztlich
bescheinigen
lassen,
wenn
Eingliederungshilfe übernommen werden soll“ (Klauß, 1995: 444).
So habe ich im Zusammenhang mit einer Heimaufnahme eines 15-jährigen eher leicht
geistig behinderten Jungen erlebt, wie dessen Eltern, die die Heimaufnahme mit
besseren Kommunikationsmöglichkeiten, besserer schulischer und therapeutischer
Förderung, adäquater Freizeitmöglichkeiten und mehr Gemeinschaft mit anderen,
ebenfalls behinderten jungen Menschen begründeten, vom Kostenträger regelrecht
unter Druck gesetzt wurden. Erst nach Vorlage einer psychologischen Bescheinigung
über den Gesundheitszustand der Mutter sowie einer schulärztlichen Bestätigung über
die Probleme des Geschwisterkindes wurde die Entscheidung der Eltern akzeptiert und
die Kostenübernahme ausgesprochen.
Selbstverständlich darf eine Entscheidung für ein Heim nur unter sorgfältiger
Abwägung aller Interessen, unter Diskussion auch mit erfahrenen Fachleuten getroffen
werden, aber die Entscheidung pro oder contra muss m. E. doch den Eltern überlassen
werden, die nach meiner Erfahrung niemals leichtfertig mit dieser Entscheidungsbefugnis umgehen. Dass diese erst offiziell ihr „Scheitern“ erklären müssen, obwohl die
meisten das gar nicht so sehen, da sie lange Jahre ihrem Kind ein Zuhause und
möglichst gute Entwicklungsmöglichkeiten gegeben haben, beeinflusst unmittelbar
auch ihre Rolle später den Mitarbeitern im Heim gegenüber. Sie trauen sich anfangs
kaum, Wünsche zu äußern, geschweige denn Ansprüche zu haben. Sie müssen sich ja
dankbar dafür zeigen, dass die Gesellschaft ihnen als offiziell „Überforderten und
Gescheiterten“ unter die Arme greift. Dass sie damit dann auch noch zu offiziellen
Sozialhilfeempfängern mit den Verpflichtungen des Offenlegens der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse wurden ist nochmals eine Rolle, die vielen Eltern mentale
Probleme bereitet. Sie fühlen sich nun doppelt stigmatisiert.
Doch trotz aller beschriebenen Schwierigkeiten der Eltern mit dem Heimentschluss,
trotz aller Zweifel, Vorwürfe und Schuldgefühle ist eine ausschließlich negative,
problematische Sicht der Eltern viel zu verkürzt und einseitig. An dem Punkt
angekommen: „Zu Hause geht’s nicht mehr“ (Heimlich / Rother, 1991: 9), wobei dies
eben nicht nur – wie das Beispiel oben zeigt – familiendefizitär bedingt sein muss,
entscheiden sich diese Eltern für den neuen langen Weg, „...an dessen Ende – aber
nicht erst nach dem Tod beider Elternteile – der behinderte Mensch in einem neuen
zweiten Zuhause lebt, in dem er sich so weit entfalten kann, wie es ihm möglich ist“
28
(Heimlich / Rother, 1991: 10). Dieser Entschluss ist auch ein Ausdruck von
Handlungsfähigkeit, von autonomer Planung, auch von Vertrauen in die Fähigkeiten
des Kindes (und mögen sie noch so klein erscheinen!) und aber auch Vertrauen in
unsere Gesellschaft, personifiziert durch die zukünftigen Betreuer im Heim. Es kann
aber auch die Akzeptanz der familiären Grenzen und der persönlichen Grenzen eines
jeden Familienmitgliedes sein, wobei dies eigentlich ein ganz normaler Vorgang ist,
den auch normale Familien in Bezug auf ihre heranwachsenden Kinder irgendwann
einmal zur Kenntnis nehmen müssen. Es ist weiterhin ein Versuch der Eltern, die
„Vereinbarkeit zwischen Familie und Behinderung“ mit Hilfe der Ressource Heim neu
zu erschließen und so, mit gesellschaftlicher Hilfe, (endlich wieder) möglichst „normal“
zu leben. Diese Blickweise auf die Eltern, diese also als autonom und handlungsfähig
anzuerkennen, ist diametral entgegengesetzt zu den sonst üblichen Ansichten der
Heimmitarbeiter, die Eltern als gescheitert oder überfordert zu sehen, und dient
unmittelbar als Korrektiv dieser Haltung. In Kapitel „Empowerment“ (6. 5) gehe ich
näher darauf ein. Aber es gibt ja auch Gründe für Heimunterbringungen, die für die
Eltern sehr schwer zu ertragen sind, etwa wenn sie schwer erkrankt dem behinderten
Kind kein funktionierendes Zuhause mehr bieten oder sich den behinderungsbedingten
Problemen nicht mehr adäquat stellen können. In diesen Fällen erleben die Eltern die
Entscheidung für das Heim als alternativlos und aufoktroyiert, schwere Schuldgefühle,
Trauer und Versagensängste können einen kompletten Beziehungsabbruch zum Kind
bewirken und nur sensible Begleitung durch die Heimmitarbeiter (als oft einzige
Ansprechpartner!) kann noch nachträglich eine positive Fundierung der Entscheidung
möglich machen. Gerade diese subjektive Bewertung des Entschlusses gibt den
Ausschlag darüber, wie Eltern die Trennung vom Kind verarbeiten und mit welchen Gefühlen sie auch den Betreuern des Kindes gegenüberstehen. Nach meiner Erfahrung
erleben die meisten Eltern eine Mischung aus allen diesen Emotionen und
Einstellungen.
Auch
Eltern,
die
relativ
selbstbewusst
und
überzeugt
den
Heimentschluss fassen, haben nach der Heimunterbringung Schuldgefühle, Zweifel,
Trauer und große Skepsis, ob ihre Entscheidung gut war. Und dabei, so meine
persönliche Erfahrung, kann die subjektive Bewertung des Entschlusses täglich
wechseln. “Der Trennungsschmerz wird immer mehr oder weniger stark an der Seele
nagen, aber auch der kaum zu überbrückende Widerspruch zwischen vernünftiger
Entscheidung und dennoch aufkommenden Schuldgefühlen stürzt die Eltern immer
wieder in Stimmungsschwankungen“ (St. Martin-Aktuell,2002: 10).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Heimunterbringung ein weiterer, in
seinen Ausmaßen gravierender, Schritt in der Bewältigung der Tatsache der
29
Behinderung ihres Kindes darstellt und damit auch Teil des „Bejahungsprozesses“
(Sporken 1975: 61) ist, der die Unterstützung der Eltern im Sinne autonomer
Handlungsfähigkeit in Form von Beratung, Begleitung oder Anteilnahme in Form von
Gesprächen erfordert. Weiß stellt zutreffend fest, dass Eltern „... hier unter Umständen
in langjährigen Entscheidungsnöten stehen, es kann ihnen vielleicht auch immer
schwerer fallen, konkrete Schritte der Ablösung zu vollziehen...bis zu einem Zeitpunkt,
wo sie eine solche nicht mehr oder nur sehr schwer selbst treffen können“ (Weiß,
2002: 173).
Die spätere Zusammenarbeit mit den Heimmitarbeitern hängt in ihrer Qualität
unmittelbar mit diesen Bewältigungsabläufen zusammen und ist somit schon im Vorfeld
durch verschiedene Unterstützungsangebote für die Eltern (z. B. Gesprächsangebote
an der G-Schule, Netzwerk mit „erfahrenen“ Eltern, gemeinsame Heimsuche mit
Fachleuten, Vorgespräche mit Heimmitarbeitern usw.) gerade auch im Sinne der
Unterstützung der autonomen Handlungsfähigkeit der Eltern beeinflussbar und
vorbereitbar.
3.
Wohnstätten für Menschen mit geistiger Behinderung
3.1.
Zu den Institutionen
Mit der zunehmenden Industrialisierung und der Veränderung der sozialen Strukturen
zerfielen die Großfamilien, die bis dato ihre behinderten Menschen selbst betreut
hatten, mehr und mehr, so dass für diese hilfsbedürftigen Angehörigen nun
außerfamiliär gesorgt werden musste. In ehemaligen Klöstern und anderen großen Gebäuden entstanden viele Heime und Anstalten, die vorwiegend von Pfarrern, Ärzten
und Pädagogen gegründet wurden. Nach der katastrophalen nationalsozialistischen
Zeit wurden diese alten Anstalten zu modernen Behindertenzentren umgebaut und ab
den 60er Jahren entstanden auf Initiative der Elternvereinigung Lebenshilfe dann auch
die Werkstätten für Behinderte sowie eine Vielzahl kleinerer und individuellerer
Wohnformen. „Wohngemeinschaften und ausgelagerte Wohngruppen für Behinderte
entwickeln sich in nennenswerter Zahl erst in den 80er Jahren“ (Thesing, 1998: 63).
Heute existiert in Deutschland ein differenziertes System von Wohnstätten mit
unterschiedlichen Aufgaben und Schwerpunkten, wobei die Verwendung der Begriffe
und Bezeichnungen sehr uneinheitlich und verwirrend ist. Eine häufig getroffene
Unterscheidung der Wohnstätten ist die Einteilung in offene und stationäre Formen der
Unterbringung: „Wohnstätten im offenen Bereich werden auch als gemeindenahe oder
gemeinwesenorientierte Wohnformen bezeichnet, wozu Betreute Wohngruppen,
30
Wohngemeinschaften, Gastfamilien und kleine Wohnheime und ambulant betreutes
Wohnen gehören. Als Wohnstätten im stationären Bereich werden Institutionen
bezeichnet, die umfassende Hilfen in einem Gesamtangebot bereitstellen, also
Therapie, Wohnen, Ausbildung, Arbeit usw. Diese Wohnstätten sind gekennzeichnet
durch einen hohen Grad an Spezialisierung und Organisation und durch ihre Größe,
hierzu gehören Anstalten, Pflegeheime, Dorfgemeinschaften und Wohnsiedlungen mit
einem hohen Versorgungsgrad, aber auch an stationäre Einrichtungen angegliederte
Außenwohngruppen (Wohngruppenverbandsystem)“ (Thesing, 1998: 65).
Eine Gesamtzahl der Menschen mit geistiger Behinderung, die in diesen Wohnstätten
leben, lässt sich nicht genau ermitteln. So geht Mühl davon aus, dass ca. 94.000
überwiegend Erwachsene in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe wohnen (die
Lebenshilfe nennt hier die Zahl von 120.000), wobei 90% von ihnen in Heimeinrichtungen mit Rundumversorgung betreut, nur rund 6% gemeindeintegriert in
betreuten Gruppen- oder Einzelwohnungen leben, 1% in anthroposophischen
Dorfgemeinschaften und fast 2% in sonstigen Wohnformen (vgl. Mühl, 2000: 160).
Noch gibt es bundesweit nicht genügend offene Wohnstätten für geistig behinderte
Menschen, was auch von vielen Eltern bedauert und angemahnt wird und auch ein
Grund ist, ihr möglicherweise schon lange erwachsen gewordenes Kind noch bei sich
zu behalten. Sie wünschen sich für ihr Kind, wenn ein normales Leben in Eigenverantwortung schon nicht möglich ist, doch ein möglichst normales Leben, was in
individuellen Wohnformen eher möglich sein kann. Es gibt allerdings nach meiner
Erfahrung auch sehr viele Eltern, die gerade das umfassende Versorgungsdenken
großer Institutionen präferieren, da sie hier ihre Kinder besser versorgt und
individueller gefördert sehen. Außerdem empfinden sie die größere soziale Kontrolle
innerhalb einer großen Institution als für sich selbst angenehmer und erhoffen sich
auch in finanziellen Krisenzeiten Konstanz von diesen Einrichtungen.
Es gibt auch Einrichtungen, die in der Trägerschaft von Elternvereinigungen sind und in
denen dann durch die (prekäre) Kombination Eltern als direkte oder zumindest
indirekte Vorgesetzte der dortigen Mitarbeiter eine besondere Arbeitssituation für diese
besteht. Die Auswirkungen dieser Konstellation auf alle Beteiligten sollten m. E. noch
mehr erforscht werden, da Eltern hier oft sehr hohe Erwartungen an die gelungene
Kooperation haben, dies in der Realität aus professioneller Sicht aber noch schwieriger
sein kann, als in anderen Einrichtungen.
Das Wesen der geistigen Behinderung erfordert es, dass in allen Wohnformen
professionelle Mitarbeiter mehr oder weniger den dort lebenden Menschen helfend zur
31
Seite stehen müssen. Dabei arbeiten ca. die Hälfte aller Heimmitarbeiter im direkten
Umgang mit dem behinderten Menschen in den Wohngruppen. Diese Wohngruppen
sind für die behinderten Menschen sowohl räumlicher als auch sozialer Mittelpunkt
ihres Lebens, für die Mitarbeiter sind sie der Arbeitsplatz. Die Zusammensetzung
dieser Wohngruppen wird in der Regel durch die Institution unter verschiedenen
konzeptionellen und organisatorischen Erfordernissen geregelt, so dass weder die
Bewohner noch die Mitarbeiter hierauf einen entscheidenden Einfluss haben.
3.2.
Zu den Mitarbeitern in den Wohngruppen
Das Berufsprofil der Mitarbeiter in den Wohngruppen ist uneinheitlich und teilweise
diffus. Hier werden sowohl ausgebildete als auch nicht ausgebildete Personen
eingesetzt, die sich auch in ihren verschiedenen Bildungsebenen unterscheiden. „Die
im ganzen etwa dreißig verschiedenen beteiligten Berufe lassen sich dem sozial- und
sonderpädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Bereich zuordnen, wie Sozialarbeiter,
Sozialpädagogen,
Diplom-Pädagogen,
Erzieher,
Heilpädagogen,
Heilerziehungspfleger und Psychologen. Oder es sind Berufe der medizinisch-physiotherapeutischen,
pflegerischen
oder
hauswirtschaftlichen
Berufsgruppen“
(Neumann, 1988: 33). 60% der Mitarbeiter haben eine einschlägige Berufsausbildung,
16% besitzen eine Helferausbildung und 24% arbeiten fachfremd oder ohne Ausbildung im betreuerischen Bereich (vgl. Wacker, Wetzler u. a., 1998: 305).
„Den größten Teil des ausgebildeten und des in Ausbildung befindlichen Personals
machen Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger aus, eine Ende der 60er Jahren
geschaffene Ausbildung, in der heilpädagogische und medizinisch-pflegerische
Kompetenzen verknüpft werden“ (Klaußd, 1999: 242).
Im Focus der Ausbildung zum Heilerziehungspfleger steht der behinderte Mensch mit
seinen Bedürfnissen und Erfordernissen, Kenntnisse über Betreuung, Pflege,
Versorgung und Förderung von behinderten Menschen werden vermittelt. In einem
aktuellen Buch zur Heilerziehungspflegerausbildung wird als Tätigkeit auch die Zusammenarbeit
mit
anderen
Berufsgruppen
und
Einrichtungen,
die
sich
der
Wiedereingliederung behinderter Menschen widmen, genannt, die Zusammenarbeit mit
den Eltern wird in Zusammenhang mit dem Berufsbild nicht erwähnt (jobedition, 1999:
13 ff).
Allerdings wird an anderer Stelle die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen
Angehörigen
und
Betreuern
hervorgehoben.
„Es
ist
grundlegend
in
der
Behindertenhilfe, dass alle Beteiligten zum Wohl des behinderten Menschen an einem
Strang ziehen“ (jobedition 1999: 25). Meine stichprobenhafte Umfrage bei Mitarbeitern
32
im Heimbereich ergab ein sehr diffuses Bild, was die Thematisierung der Elternarbeit
während der Ausbildung betrifft. Einige hatten wenige Stunden, die sich mit diesem
Thema beschäftigten, andere hatten keine Vorbereitung auf die Arbeit mit Eltern. Eine
adäquate Beurteilung der Ausbildungslage in Bezug auf dieses Thema kann ich an
dieser Stelle nicht abgeben, habe aber die Vermutung, dass dieses Thema in der
Ausbildung noch zu wenig Beachtung findet.
Die Fluktuation im Berufsfeld der Betreuer behinderter Menschen ist sehr hoch; die
durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt nur 4 Jahre und 10 Monate (so Wacker
u. a., 1998: 306), und überwiegend arbeiten darin relativ junge Frauen oft nur bis zur
Gründung einer eigenen Familie. Auch dies sind nicht unproblematische Fakten, die
die Beziehung zu Eltern tangieren, die Wichtigkeit dieser als Bezugspersonen für ihre
Kinder aber betonen.
Wie Neumann in seinem Buch „Arbeiten im Behindertenheim“ (1988) eindrucksvoll
schildert,
haben
die
Wohngruppenmitarbeiter
mit
vielen
schwierigen
Arbeitsbedingungen zu kämpfen, so z. B. mit der oft relativ großen Gruppengröße, den
rigiden Zeitplänen, der Hierarchie im Heim und nicht zuletzt mit den eigenen, sie oft
überfordernden Ansprüchen an gute Arbeit mit dem behinderten Menschen, wobei dies
in der Regel nicht objektivierbar und somit nie „fertig“ ist. Die Gefahr des „Burn-Out“
droht ihnen besonders, wobei hier die Ursachen sowohl in der Persönlichkeit des
Helfers als auch in den belastenden Arbeitsbedingungen zu suchen sind (vgl. Buchka,
1994: 146 ff).
Abschließen möchte ich meine, in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt der
Relevanz für die Beziehung zu den Eltern, bewusst kurz gehaltenen Ausführungen zu
der Welt der Heime und der Mitarbeiter auf den Wohngruppen mit einem Zitat von
Pearl. S. Buck: „Denn die wichtigste Person in einer Anstalt ist, für das Kind und damit
für die Eltern, nicht der Leiter, nicht der Mann oder die Frau in der Kanzlei, nicht einmal
der Arzt, der Psychologe und der Lehrer, sondern der Pfleger, die Person, der die
direkte Betreuung des Kindes obliegt“ (Buck, 1975: 87).
33
4.
Eltern und Mitarbeiter - eine sensible Beziehung auf einem
spannungsreichen Feld
4.1.
Das Spannungsfeld
Wie ich schon im Kapitel „Erfahrungen mit Fachleuten“ (siehe 1.7.) beschrieben habe,
prägen die Erfahrungen der Eltern deren Verhalten und Gefühle gegenüber den
Fachleuten in der Behindertenhilfe. Die Eltern sind hochsensibel und bewerten jedes
Verhalten der Fachleute in Bezug auf sich selbst und das behinderte Kind. Aber dies ist
nicht der einzige Aspekt, der zu Spannungen zwischen den Betreuern der behinderten
Menschen und deren Eltern führen kann.
Ein weiterer, auf den ersten Blick selbstverständlicher Unterschied zwischen Eltern und
Fachleuten in der Behindertenhilfe, nämlich das Existieren zwei verschiedener
Wirklichkeiten, schafft strukturelle Spannung: „Die Lebenswirklichkeit der Eltern und
Familien mit einem behinderten Kind ist eine eigene, ebenso wie die Arbeitswirklichkeit
der Fachleute eine spezifische ist“ (Weiß, 2001: 210). Eltern müssen ungefragt und
ungewollt mit ihrem behinderten Kind leben, Fachleute tun dies in der Regel freiwillig,
auch nur zeitweise und unter bestimmten Aufgabenaspekten, bekommen dafür im
Gegensatz zu den Eltern soziale Anerkennung und Gehalt.
Das hierdurch geprägte Selbsterleben beider Personengruppen hat verschiedene
Schwierigkeiten zur Folge, so haben Fachleute oft viel zu hohe Erwartungen an Eltern,
Eltern umgekehrt oft zu idealistische Vorstellungen über Fachleute. Weiß betont in
diesem Zusammenhang die gegenseitige Anerkennung beider Lebenswirklichkeiten,
um sich so gegenseitig nicht zu überfordern. Gerade in den letztlich nicht
aufzulösenden, unterschiedlichen Blickweisen liegen die Chancen für den behinderten
Menschen, wenn hier dann Synergieeffekte fruchtbar werden können. Um aber
überhaupt einen minimalen Grundkonsens für eine gemeinsame Kooperation und
Kommunikation zu schaffen, müssen Fachleute einen nicht nur auf den behinderten
Menschen
gerichteten
Blickwinkel
erlernen
und
versuchen,
sich
in
die
„Angehörigenperspektive“ einzudenken oder einzufühlen. Konkretisiert auf den
Heimbereich bedeutet das, dass gerade in der Ausbildung von Fachkräften in der
Behindertenhilfe, also z. B. von Heilerziehungspflegern, aber auch Heilpädagogen und
Sozialpädagogen dem Aspekt der Ausbildung in Elternarbeit
getragen werden muss.
unbedingt Rechnung
34
Ein konkretes Wissen über die Eltern scheinen Erzieher oder Mitarbeiter in Heimen
auch erst mal nicht zu benötigen. Sie müssen sich schnell einarbeiten, gewöhnen sich
sehr schnell an den Umgang mit dem behinderten Menschen und erleben diese im
Prinzip als „geschichtslose“ Menschen, die einfach so sind wie sie sind. Für den
behinderten Menschen kann dies eine ganz neue, unbelastete Lebenschance sein.
Erst im Laufe der Berufstätigkeit wird den Betreuern bewusst, dass die Bewohner auch
noch Familienangehörige sind und dass dieser Kontakt gestaltet werden muss, da der
behinderte Mensch dies oft selber nicht kann. Conen stellt hierzu fest: „Aber auch die
Dauer der Tätigkeit in der Heimerziehung spielt eine wichtige Rolle in der Einschätzung
der Bedeutung von Elternarbeit, denn je länger die Mitarbeiter in den Heimen arbeiten,
umso mehr scheinen sie die Relevanz und Bedeutung von Eltern- und Familienarbeit
zu sehen“ (Conen, 1992: 10). Die oben genannte hohe Mitarbeiterfluktuation verhindert
somit oft schon von vorneherein, dass Eltern und die Zusammenarbeit mit ihnen als
bedeutsam erkannt werden.
Nach
diesen
eher
allgemeinen
Beschreibungen
der
spannungs-
auslösenden Faktoren komme ich unter der Überschrift „Konfliktbereiche“
noch auf konkrete Probleme beider Personengruppen miteinander zu
sprechen, wobei Vieles seine Wurzeln in den oben beschriebenen
Tatsachen hat.
35
4.2. Zu den Rollen
„Mit erfolgter Heimunterbringung sind nicht von selbst alle Probleme gelöst“
(Speck,1999: 321). Vielmehr erleben die Eltern nun Probleme auf einer anderen
Ebene. Das Verhältnis zur Institution Heim, zu den dort arbeitenden Menschen muss
geklärt und gestaltet werden, aber auch im Rollensystem der Familie muss ein neues
Gleichgewicht gefunden werden. Auch Eltern und Kind brauchen nun ein neues
Verhältnis zueinander. Ebenso müssen die Eltern mit ihren, die Heimaufnahme
begleitenden aufgewühlten Emotionen, ihren Schuld- und Trauergefühlen, ihrem trotz
großen
Vertrauensvorschusses
existierenden
Misstrauen
gegenüber
der
Professionalität, der gleichzeitig sie ent- und belastenden neuen Lebenssituation und
den äußerst divergierenden Umweltreaktionen klarkommen. Und in dieser für sie sehr
prekären Lage haben die Mitarbeiter in den Wohngruppen eine Schlüsselposition, die
ihnen wahrscheinlich gar nicht so bewusst ist. Wie sie mit den Eltern umgehen, wie sie
dringend notwendige Gespräche über deren Geschichte ermöglichen, was sie ihnen
über ihr Kind erzählen....all dies ermöglicht erst die elterliche Bewältigung dieser
Situation. Warum dies aber in der Praxis so schwierig und für die Eltern oft sehr
unbefriedigend verläuft, ist u. a. auch durch die verschiedenen Rollen beider Personengruppen erklärbar und besonders die Tatsache, dass den Mitarbeitern die Rollen
der Eltern nicht bewusst sind bzw. dass sie diese nicht bewusst wertschätzen.
Mit der Aufnahme des Kindes im Heim werden die Eltern tendenziell „überflüssig“, da
die heimspezifischen Strukturen auf behinderte Menschen ohne Familienanschluss
(die es ja auch gibt und zunehmend immer mehr geben wird, da die Eltern ja
irgendwann sterben) ausgerichtet sind bzw. auch ausgerichtet sein müssen, um ihre
spezifische Aufgabe gegenüber diesen Menschen optimal erfüllen zu können. So ist es
kein Wunder, dass Mitarbeiter vorhandene Eltern von vorneherein als „störend“, als
„Sand im Getriebe“, als „kontraproduktiv“ betrachten. Ihre eigenen Rollen sind
institutionell relativ klar umrissen und legitimiert, die elterlichen Rollen diffus, nicht konkret greifbar und deshalb zunächst weniger wichtig. Dabei liegt die Lösung dieses
strukturell
verursachten
Ungleichgewichtes
gerade
in
der
ausdrücklichen
Wertschätzung der Rollen beider Personengruppen, wobei beiden „Parteien“ die
Stärken des jeweilig anderen erst einmal bewusst gemacht werden müssen, die
professionelle Seite dies aufgrund ihres Berufes lernen muss.
Welche Rolle nehmen die Eltern nun noch für ihr behindertes Kind ein? Welche
Verantwortung haben sie nun noch, was sind weiterhin ihre Rechte und Kompetenzen?
Was steht ihnen zu, was dürfen, können und sollen sie noch?
36
Obwohl sie ihr Kind nun überwiegend nicht mehr zuhause wohnen haben, bleibt die
wichtigste Rolle, in der sie sich in Nichts von „normalen“ Eltern unterscheiden,
bestehen: „Die Eltern haben für ihre erwachsenen Kinder eine ganz zentrale Unterstützungsfunktion. Sie bleiben normalerweise „in Aktionsbereitschaft“, sozusagen „auf
Abruf“ und bleiben Eltern in dem Sinne, dass sie ihren erwachsenen Kindern, wenn
nötig, Rückhalt gewähren wollen“ (Papastefanou, 1997: 185). Sie sind nach wie vor ein
dauernder, emotionaler Rückhalt für ihr Kind. Sie geben ihm weiterhin das Gefühl, dass
es zu ihnen gehört, dass sie für es da sind, dass sie es lieben. Sie geben Wärme und
Geborgenheit, für die Entwicklung eines Menschen unschätzbare Güter, ohne die ein
zufriedenes Leben nicht möglich ist. Gerade weil die Möglichkeit des emotionalen Austausches in quantitativer Sicht abnimmt, erhöht sich der Wert in qualitativer Sicht. Das
Kind ist und bleibt Familienmitglied, wenn nun auch die unmittelbare Betreuung und
Förderung anderen Menschen obliegt.
Bis der behinderte Mensch emotionale Wurzeln in dem neuen Zuhause geschlagen
hat, sind die Kontakte zu den Eltern besonders wichtig. Diese kennen ihn von Geburt
an, können vieles nonverbal verstehen und manche Reaktion besser einordnen, als
dies zunächst Fremde können. Sie können den Mitarbeitern in Gesprächen die
Biographie des Kindes nahe bringen und anfangs Dolmetscherfunktionen erfüllen, eine
wichtige Brücke zum Einleben darstellen. Mit der „Übergabe“ des Kindes werden die
Eltern in neuen Rollen für ihr Kind wichtig, wobei sie aber ihre Hauptrolle als
emotionaler Rückhalt behalten. „Die Kunst liegt nicht in der Trennung an sich, sondern
im Begreifen, dass man als Eltern in immer wieder neuen Rollen für das Kind wichtig
wird“ (Klauß, 1995: 449).
Vor dem Hintergrund dieser elterlichen Rolle ist nun auch die Rolle des Betreuers des
Kindes im Wohngruppenalltag zu sehen. Sie, so Grimm, soll sich in folgender Haltung
gegenüber den Eltern äußern: „Er (der Heilpädagoge, G.K.) muss daher lernen, seine
Arbeit mit dem Kind in mancher Hinsicht in Unabhängigkeit von der Entwicklung der
Beziehung des Kindes zu seinen Eltern zu sehen. Auch wenn der Mitarbeiter für die
Entwicklung des Kindes sehr wichtig ist, auch wenn er zu den Eltern in eine wichtige
Beziehung eintritt, so ist dennoch die Einheit zwischen Eltern und Kind von ihm
unabhängig und muss von seiner Einwirkung frei bleiben“ (1991: 77).
Gerade diese innere Haltung habe ich bei noch keinem der mir durch professionelle
Kontakte bekannt gewordenen Mitarbeiter feststellen können. Im Gegenteil, in der
Regel behaupten diese genau die Beziehung des Kindes zu den Eltern zu kennen und
beurteilen zu können. Entsprechend versuchen sie, in bester Absicht, mit ihrem persönlichen Einfluss korrigierend, kompensierend und sich einmischend auf diese
37
Beziehung Einfluss zu nehmen. Dieses gehört nicht zu ihren Aufgaben und erschwert
die Zusammenarbeit mit den Eltern. „Auch da noch, wo er (der Heilpädagoge, G.K.)
hilft, Beziehungen zu verbessern, muss er einen Raum akzeptieren, in den er nicht
eindringen darf“ (Grimm, 1991: 77). Das bedeutet m. E. letztendlich auch die
Akzeptanz einer Beziehung zwischen Eltern und Kind, die aus professioneller Sicht für
dieses nicht nur von Vorteil ist. Conen empfiehlt, „...die Eltern als Menschen
wahrzunehmen, die zur Zeit das für sie Bestmögliche für/mit dem Kind tun, was nicht
immer das Beste für das Kind ist“ (Conen, 1992: 21). Aber natürlich muss auch genau
abgewogen werden, wann der behinderte Mensch womöglich geschützt und vor
unberechtigten Übergriffen jedweder Art durch die Eltern bewahrt werden muss.
In dieser strikten zunächst erst einmal gedanklich notwendigen Rollenbewusstwerdung
und Rollentrennung liegt dann die Chance der praktischen und realitätsbezogenen
Teamfähigkeit von Eltern und Mitarbeitern im Sinne des behinderten Menschen, der
die Stärken beider Seiten gleichermaßen braucht. Aber gerade diese strikte Rollentrennung ist in der Realität sehr kompliziert und hängt auch von der Schwere der
Behinderung ab. Aber auch die Eltern selbst sind nicht klar in ihrer Erwartungslage. Sie
können „...in paradoxe Spannungsverhältnisse geraten; etwa wenn Eltern, deren
behindertes Kind im Heim wohnt, einerseits dazu neigen, HeimerzieherInnen im
Verhältnis zu ihrem Kind auf eine distanzierende, professionell-fachliche Rolle
festzuschreiben,
um
damit
ihre
eigene
Bedeutung
dem
Kind
gegenüber
aufrechterhalten zu können. Andererseits wünschen sie sich aber auch, dass ihr Kind
im Alltag von jemandem betreut wird, der ihm auch emotional gerecht wird“ (Weiß,
1999: 27).
Da das „Abgeben“ des Kindes zunächst in der Regel für die Eltern ein ganz konkretes
Trauma ist, das sie langsam verarbeiten müssen indem sie sich an den neuen
Beziehungsrhythmus gewöhnen, zu den Mitarbeitern Vertrauen schöpfen und aber
auch für ihr eigenes Leben ohne die schwere Last des alltäglichen Umganges mit dem
Kind neue, befriedigende Perspektiven entwickeln, sind sie zunächst einmal völlig
verunsichert, haltlos und aus dem Gleichgewicht. Sie müssen lernen, „...die weitere
Begleitung durch fremde Personen anzunehmen und den neuen Lebensabschnitt
wohlwollend zu begleiten“ (Stenzig, 1996: 3). Erst im Laufe der Zeit werden sie sich
wieder ihrer verbleibenden Hauptrolle bewusst und können auch dann erst wieder
selbstbewusster agieren.
In ihrer durch keinen Mitarbeiter zu ersetzenden Rolle sind Eltern auch so etwas wie
ein „Regulativ“. Sie fordern gegenüber den Betreuern immer wieder die Individualität
ihres Kindes ein, wohingegen die Mitarbeiter im Gruppenalltag mehr die Gruppe und
38
das reibungslose Alltagsleben im Blickpunkt haben müssen, obwohl sie selbst auch
gerne öfter individualisierend handeln würden und vielleicht unbewusst auch etwas
eifersüchtig auf die Eltern sind. Schmidbauer spricht in diesem Zusammenhang davon,
dass der versteckte Allmachtsanspruch des Helfers befriedigt werden kann, „...wenn er
die wichtigste Person im Leben des Klienten wird“ (Schmidbauer, 1992: 145). “Sie (die
Eltern, G.K.) gefährden den Anspruch auf narzistische Allmacht und die totale
Verfügung über den hilflosen Pflegling. Endlich bieten sie noch eine Möglichkeit,
Aggression indirekt loszuwerden“ (147).
Diese Möglichkeit, Aggressionen auf die Eltern abzuwälzen, habe ich in vielen
Gesprächen mit Wohngruppenmitarbeitern in dem Heim kennengelernt, in dem ich
mein Feldprojekt gemacht habe. Da ich dieses Projekt auf dem Gebiet der Elternarbeit
durchgeführt habe, musste ich viel mit den Wohngruppenmitarbeitern über ihre
Erfahrungen mit Eltern sprechen und war teilweise entsetzt, welche Feindbilder
aufgebaut worden waren. Sobald ich mich allerdings als Mutter eines geistig
behinderten Kindes „geoutet“ hatte, wurde mir nicht mehr so viel offen erzählt.
Was Eltern nun aber noch konkret mit ihrem Kind machen können, also für welche
praktischen Bereiche sie zuständig sind, ist anfangs nach meiner Erfahrung lange
ungeklärt. Dabei wäre es gerade zu Beginn der Kooperation sehr wichtig, ganz
konkrete
Punkte
anzusprechen,
um
wenigstens
so
den
Eltern
etwas
Handlungssicherheit zu geben.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich ganz zaghaft angefragt habe, ob ich denn
meinem Sohn jetzt noch etwas zum Anziehen kaufen könnte und ob ich denn auch
noch mit ihm zum Friseur oder Arzt gehen dürfte. Ich hatte das Gefühl, ich gäbe nun
alle „Rechte“ und „Pflichten“ an meinem Sohn auf und damit auch meine Beziehung zu
ihm selbst. Alles jahrelang zusammen Erarbeitete und Erlebte schien nun
gegenstandslos zu werden.
Gerade in dieser ersten, sensiblen Kontaktphase, in der maßgebliche Weichen sowohl
für die Eltern als auch für die Mitarbeiter gestellt werden, da jetzt begonnen wird, die
verschiedenen Rollen zu gestalten, ist das ausgiebige Gespräch mit den Eltern sehr
wichtig. Dabei fände ich es sehr wichtig, den Eltern, auch wenn es banal klingt, zu
sagen, dass sie natürlich die Eltern bleiben und auf keinen Fall in dieser Rolle ersetzt
werden können.
Aber Eltern können auch in „Nebenrollen“ für die ganze Wohngruppe von Nutzen sein
und selbst auch in diesen Rollen Befriedigung erleben. So kenne ich eine Gruppe, in
der die Fähigkeiten der Väter besonders gefragt sind. Der eine repariert gerne
39
Fahrgeräte der Kinder, der andere informiert als Richter andere Eltern über Pflegegeld
oder Betreuungsrichtlinien, der Nächste wird als Zahnarzt gerne in zahnmedizinischen
Fragen befragt.
Aber auch diese Ressourcen der Eltern können nur dann genutzt werden, wenn Eltern
informiert und zum „Mitdenken“ und „Mitleben“ auf der Gruppe aufgefordert werden.
Die Gradwanderung zwischen erwünschter Hilfe und unerwünschtem Einmischen ist
dabei für die Mitarbeiter der Wohngruppe eine heikle, aber auch herausfordernde, von
ihnen zu lenkende Aufgabe.
Eine weitere Rolle spielen die Eltern als mögliche Bewerter der Qualität eines Heimes.
Durch die sog. Nutzer-Orientierung als zentralem Element der Qualitätssicherung
sollen die Empfänger der Dienste soweit möglich in deren Beurteilung einbezogen
werden. (Stichworte : Prozessqualität und Ergebnisqualität) Da viele geistig behinderte
Menschen häufig selbst nur eingeschränkt ihre Interessen artikulieren können, nimmt
die Bedeutung der Urteile der Personen zu, die für sie sprechen können und wollen.
Als zumeist auch gesetzliche Betreuer können sie letzten Endes auch über Verbleib
oder Nichtverbleib in der Einrichtung entscheiden, was ein wesentliches Recht
darstellt.
Und abschließend: „Die Rolle von Angehörigen und gesetzlichen Betreuern als
bedeutsame Öffentlichkeitsarbeiter wird verkannt. Dieser Aspekt ist auch zu beachten
angesichts einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den Einrichtungen und Diensten
und einer weiteren Angleichung von Angebot und Nachfrage“ (Stenzig, 2003: 39).
Welche verschiedenen möglichen Rollen die Betreuer in ihrer täglichen Arbeit
auszufüllen haben (z. B. Ersatzmutter / -vater-Rolle, Freund, Pfleger usw.), möchte ich
an dieser Stelle nicht näher ausführen, da es mir in erster Linie darauf ankommt, dem
„tendenziellen Überflüssigsein“ der Eltern im Heim durch die Beschreibung ihrer Rollen
entgegenzuwirken und somit ihren Stellenwert realistisch darzustellen.
4.3. Zu den Machtverhältnissen
Im Zusammenhang mit der Heimbetreuung müssen sich die Mitarbeiter grundsätzlich
darüber im Klaren sein, dass sie den Eltern gegenüber in einer nicht zu
unterschätzenden Machtsituation stehen. Sehr leicht können sie den Eltern das Gefühl
geben, alles falsch gemacht zu haben bzw. auch weiterhin alles falsch zu machen.
„Professionelle denken, weil sie eine Tätigkeit übernehmen, für
die sie ausgebildet sind und bezahlt werden, dass sie in ihr gut
und
allein
zuständig
sind
und
verteidigen
dieses
40
Selbstverständnis
auch
mit
Urteilen
und
Überwältigungsstrategien, in denen sie den Nichtprofessionellen,
den
Laien,
den
Nur-Selbst-Betroffenen
ihre
Nachrangigkeit
unterstellen und immer wieder auch demonstrieren“ (Thiersch, 1989:
224). Die Eltern gehen auch selbst zumeist davon aus, dass die Mitarbeiter durch ihre
fachliche Ausbildung eine höhere Kompetenz dem Kind gegenüber haben als sie
selbst. So kann sich lange Zeit ein Machtgefälle halten und auswirken, das die
Kommunikation asymmetrisch formt. Unausgesprochen kann es so permanent zu
uneingestandenen Kränkungsgefühlen der Eltern kommen, die sich dann in
verschiedenen Bereichen artikulieren können.
So erzählte mir die Mitarbeiterin eines Heimes für schwerstmehrfachbehinderte Kinder von
einer alleinerziehenden Mutter, die einmal im Monat ihr 10-jähriges Mädchen besuchte, das
erst seit einem halben Jahr im Heim lebte. Dabei traute die Mutter sich nicht mehr zu ,sich
alleine, ohne die Unterstützung der Mitarbeiter, mit ihrem Kind zu beschäftigen. Sie bestand
während ihrer Besuche auf der Anwesenheit mindestens eines Mitarbeiters und wurde dadurch
selbst zur Belastung für diese. Erst vorsichtige, ermutigende Gespräche brachten sie so weit,
alleine Spaziergänge mit ihrer Tochter zu wagen. Auf keinen Fall wollte die Mutter sie – und sei
es auch nur für Stunden – wieder nach Hause holen, da sie fürchtete, sie käme mit dem Verhalten des Kindes (im Gegensatz zu den Mitarbeitern) nicht zurecht, obwohl sie es ja zehn Jahre
zuhause alleine gepflegt und betreut hatte.
Andere
Eltern
kompensieren
ihre
Kränkungsgefühle
mit
„kleinkarierter
Detailverliebtheit“ (z. B. Bemängeln des Haarschnittes, des Sitzes der Brille oder der
Länge der Nägel) oder ziehen sich langsam aus der Zusammenarbeit resignativ
zurück, schlimmstenfalls aus der inneren Beziehung zu ihrem Kind. Übermächtig
empfinden sie das Bewusstsein, ihrem Kind ja eh nicht gerecht werden zu können. Dabei befördern Fortschritte des Kindes im Heim die Unterlegenheitsgefühle der Eltern
noch zusätzlich, auch wenn diese Tatsache das Gefühl der „Richtigkeit“ der
Heimunterbringung zunächst einmal bestätigt und die Ablösung erleichtert. Die
Mitarbeiter sollten vorsichtig versuchen, diese Dinge anzusprechen und dabei den
Eltern erklärend vermitteln, dass diese Fortschritte durch die heilpädagogische
Förderung vieler Mitarbeiter, durch die strukturierte Sicherheit des gesamten Umfeldes,
durch den Umgebungswechsel und die damit verbundene anfängliche größere
Wachheit und Sensibilität des Kindes erreicht wurden. (vgl. Grimm 1991)
Eine Mutter erzählte mir begeistert, wie ihr 14-jähriger Sohn nun endlich duschen gelernt
hätte: Die Mitarbeiterin hätte mittels Strukturierung des gesamten Vorganges das Interesse des
Kindes wecken können. So gab sie jeder Aktion eine Zahl, z. B. eine 1 für Shampoo auf die
41
Hand geben, eine 2 für Hand auf den Kopf legen usw. Die Mutter konnte neidlos anerkennen,
dass sie selbst darauf nie gekommen wäre, obwohl sie schon seit Jahren alles versucht hätte,
ihrem Sohn selbstständiges Duschen beizubringen. Aber sie betonte sofort, dass sie ja die
Vorarbeit geleistet hätte: Durch stundenlanges Spielen-Lassen des Kindes mit Wasser konnte
sie nach und nach dessen Ängste bzw. ambivalentes Verhalten gegenüber Wasser entscheidend
verändern, und das hatte sie einfach intuitiv gemacht.
Mitarbeiter können also entscheidend bei der Reduzierung der Unterlegenheitsgefühle
der Eltern mitwirken, wenn sie ausdrücklich deren Leistung würdigen (was in diesem
Fall die Mutter selbst für sich konnte!), was meiner Erfahrung nach aber sehr schwierig
für die Mitarbeiter zu sein scheint. Hier scheinen auch große Ängste der Mitarbeiter vor
den Eltern (z.B. weil diese oft sehr viel älter und erfahrener, reifer und evtl. auch
sprachlich gewandter sind) eine Rolle zu spielen. Aber gerade diese Ängste sind aus
meiner Sicht gar nicht nötig, da die Eltern zunächst einmal sehr froh sind, dass es
Menschen gibt, die diesen schwierigen Beruf gewählt haben und hoch motiviert sind,
mit den ja oft nicht einfachen Kindern zu leben bzw. zu arbeiten. Sie geben ihr Kind
zumeist mit großem Vertrauens- und auch Wertschätzungsvorschuss an die ihnen ja
völlig unbekannten Betreuer ab. Je sicherer sich diese dann in ihrer Aufgabe und Kompetenz fühlen, je unverkrampfter und offener ist dann gemeinsame Kommunikation
möglich und eben auch die so notwendige Wertschätzung der elterlichen Leistungen.
Die Mitarbeiter sollten Gelegenheit finden (z. B. in Fortbildungen oder in der
Supervision) ihre Ängste ansprechen zu können, ihre Unsicherheiten zu verbalisieren.
Es ist auch für die Eltern sehr schwierig, mit sehr unsicheren, womöglich ängstlich
wirkenden Mitarbeitern, die in den Augen der Eltern eigentlich am längeren Hebel
sitzen, zu kommunizieren. So kommt es oft entweder zu gar keinem Gespräch oder es
entwickelt sich „schief“, mit negativen Folgen für alle Beteiligten.
Noch
ein
weiterer
nicht
zu
vernachlässigender
Anlass
für
mögliche
Unterlegenheitsgefühle der Eltern ist häufig die Tatsache, dass die behinderten
Menschen nach Besuchswochenenden und Ferien gerne wieder zum Heim fahren und
sich dort schnell wieder einleben. So schön das auf der einen Seite für die Eltern ist, so
enttäuscht können sie auf der anderen Seite auch sein, wenn sie dies auf sich
persönlich beziehen, was gerade in der Anfangsphase sehr kritisch für die weitere
Eltern-Kind-Beziehung sein kann. Hier sollte man ihnen, ruhig gezielt dieses Thema
ansprechend, sinngemäß sagen, dass die Kinder „...die Gestaltungskraft
und Ordnung, den geregelten Tagesablauf, die ihnen gemäßen Anregungen und Beschäftigungen, die Gesamtheit des Lebensrhythmus“
(Grimm, 1991: 76) suchen und brauchen. Dann können sie verstehen, dass das
42
Verhalten des Kindes kein Verlust der Zuneigung zu den Eltern bedeutet, sondern
vielmehr ein Wunsch nach umfassender, sie ansprechender Sicherheit als Basis für
Weiterentwicklung und ausgefülltes Leben, so dass auch sie für sich wieder ein
ausgefülltes Leben ohne Schuldgefühle aufbauen können.
Im Folgenden beschreibe ich die Bereiche, aus denen sich die häufigsten Konflikte
zwischen den Mitarbeitern und den Eltern ergeben.
4.4. Zu den Konfliktbereichen
Ebenso wenig wie die Eltern oder die Mitarbeiter gibt es natürlich auch die Probleme,
aber auffallend ist schon, dass sich z. B. viele Auseinandersetzungen um scheinbare
Äußerlichkeiten des Kindes drehen. Die Eltern nutzen für ihre Urteilsbildung über das
Heim und das Wohlbefinden ihres Kindes zunächst das, was ihnen zur Verfügung
steht: das Äußere ihres Kindes, aber auch die Gestaltung des Esstisches, des
Zimmers des Kindes oder der Wohngruppe. Durch Schließen von äußeren
Erscheinungen auf innere Zustände oder Eigenschaften versuchen die Eltern
herauszufinden, wie es den Kindern geht. Und sie befürchten, dass vernachlässigtes
Aussehen für Vernachlässigung des gesamten Kindes steht, was sie in ihrer zunächst
emotional kritischen Situation nicht auch noch aushalten möchten und können. „So
entsteht zuweilen der Eindruck, sie interessierten sich nicht für die fachliche Arbeit der
Betreuer, für Beschäftigungsangebote oder Förderung, sondern nur für die äußere
Gestaltung des Heimes, organisatorische Fragen oder den Zustand der Kleidung und
der Qualität des Essens“ (Klauß, 2001: 8). Durch Generationsunterschiede aber auch
unterschiedliche Ansichten, was z. B. die Funktionalität der Kleidung betrifft, können
Mitarbeiter und Eltern regelrecht „entzweit“ werden. Deshalb wäre es gut, dieses
Thema ruhig öfters – vielleicht so nebenbei – mal anzusprechen. Dann können Eltern
verstehen, warum ihr Kind z. B. in etwas eigenwilliger Farbkomposition herumläuft
(vielleicht weil es sich diese Sachen selbst herausgesucht und angezogen hat!), einen
ganz anderen Haarschnitt als früher hat (der möglicherweise etwas „altersgemäßer“
ist!) oder nur noch schwarze T-Shirts tragen will (da alle in der Gruppe das toll finden!).
Eltern sind, so zumindest meine Erfahrung, durchaus nicht auf ihre Vorstellungen
„festgenagelt“, wollen aber Erklärungen und offene Antworten haben, und ich finde, die
Mitarbeiter sollten nicht erst auf Fragen oder Anmerkungen „warten“, sondern solche
Dinge von sich aus ansprechen. Dann fühlen sich die Eltern auch verstanden. Dass die
Eltern aufgrund des oft großen Altersunterschieds manchmal auch Probleme mit dem
Aussehen der oft jungen Betreuer haben und vorschnell z. B. aus etwas „flippiger“
Kleidung auf Unzuverlässigkeit oder mangelnden Ernst für die Arbeit schließen, lässt
43
sich wohl anfangs nicht verhindern. Nach meiner Erfahrung lösen sich diese elterlichen
„Befremdlichkeiten“ dann doch sehr schnell auf, vor allem dann, wenn die Eltern
sehen, dass sich ihre Kinder vielleicht gerade zu diesen jungen Leuten hingezogen
fühlen und wenn sie auch Gelegenheit haben, den gemeinsamen Umgang miteinander
zu erleben, z. B. bei gemeinsamen Unternehmungen oder Festen.
Wenn diese äußeren Dinge (bezogen auf das Kind) einen sehr großen Anteil in der
Kommunikation mit den Mitarbeitern einnehmen, kann dies aber auch ein Zeichen für
Probleme der Eltern auf anderen Ebenen sein, z. B. dass sie mit dem konkreten
„Machtverlust“ in Bezug auf ihr Kind nicht zurechtkommen oder mit der Beziehung zu
den Mitarbeitern nicht „klarkommen“, sich jedoch nicht trauen, dies zu thematisieren.
Aber, so meine Erfahrung, je besser die Kommunikation, je mehr von beiden Seiten
erzählt und gefragt wird, desto unwichtiger werden diese Äußerlichkeiten, wenn sie
auch immer für die Eltern wichtiger als für die Mitarbeiter bleiben. Und, mit der Zeit, „lesen“ die Eltern das Wohlbefinden ihres Kindes an anderen Parametern ab: „Allgemeine
Befindlichkeit / Grundstimmung, Verhalten in der neuen Wohnung, Essverhalten, Veränderung schwieriger Verhaltensweisen und Verhalten beim Übergang vom Elternhaus
in die Wohngruppe“ (Fischer, 1998: 134).
Mir fiel es anfangs äußerst schwer zu akzeptieren, dass mein Kind nun einfach anders
aussah als noch unter meiner „Regie“. Als dann auch noch nach und nach sämtliche,
noch sehr kindlich aussehende Kleidungsstücke (von mir gekauft) so langsam „in der
Versenkung“ verschwanden und mein Kind nun sehr jugendlich anmutende Hosen und
Pullis mit offensichtlicher Begeisterung trug, hatte ich damit zunächst Probleme. Aber
später fand ich es gut, dass mir die Mitarbeiter auf diese Weise die Entwicklung meines
Kindes, die ich so nicht sehen konnte, transparent gemacht haben.
Auch weitere Konfliktpunkte können sich aus dem mangelnden Wissen der Eltern um
das Alltagsgeschehen auf der Wohngruppe ergeben. So stellen sie sich anfangs vor,
die Betreuung ihres Kindes wäre auf der Gruppe ähnlich individuell wie zuhause und
es würden dieselben Maßstäbe gelten. So haben sie dann oft Ansprüche an die
Mitarbeiter, die diese nicht oder nur auf Kosten der anderen zu Betreuenden erfüllen
können.
So habe ich z. B. während meines Feldprojekts in einem Heim für geistig behinderte
Erwachsene erlebt, wie eine Mutter sehr enttäuscht und wütend darüber war, dass die
Mitarbeiter sich weigerten, eine Therapie bei ihrer Tochter mit stündlicher Gabe von
homöopathischen Globuli durchzuführen, weil sie es einfach zeitlich nicht hätten
schaffen können. Die Mutter war sehr aufgebracht und hatte diese Therapie einfach
44
schon vorausgesetzt, ohne sich überhaupt Gedanken zur Durchführbarkeit in der
Gruppe zu machen.
Die
Vorsitzende
des
Gesamtangehörigenbeirats
einer
großen
süddeutschen
Einrichtung schrieb mir, wie sie selbst solche Anliegen vorbringt und auch durchsetzt:
Wenn sie z. B. möchte, dass ihre Tochter abnimmt, bittet sie die Mitarbeiter um deren
Mithilfe, begründet es auch stichhaltig und verrät gleichzeitig auch alle Tricks, mit
denen sie selbst bei der Tochter schon Erfolg hatte. Und anschließend bedankt sie
sich dann auch bei den Mitarbeitern für ihre Hilfe, schließlich weiß sie um die
Schwierigkeit, das Essen bei der Tochter zu kürzen.
Ich persönlich kenne auch Eltern, die so tun, als seien sie gegenüber den Mitarbeitern
weisungsbefugt. Entsprechend verhalten sie sich auch, und so ist eine gute Beziehung
zwischen ihnen und den Mitarbeitern unmöglich. In deren Wahrnehmung überwiegen
diese schwierigen Beziehungen dann und der ganze Bereich „Eltern“ wird so oft zum
„Roten Tuch“.
Eltern sollten m. E. in diese, für sie zunächst fremde und unüberschaubare Welt
„eingearbeitet“ werden, und die Strukturen des Heimes sollten ihnen, mit allen Vor- und
ehrlicherweise aber auch Nachteilen für den behinderten Menschen, dargelegt werden.
Dann könnten schon viele Unsicherheiten oder auf Unverständnis beruhende
abwehrende Gefühle verhindert werden und möglicherweise utopische Vorstellungen
oder Forderungen von vorneherein geklärt werden. Ich könnte mir hier gut
vorbereitende Seminare oder Workshops für die Eltern vorstellen, in denen außer
Aufklärung über den Gruppenalltag und die Heimstrukturen auch Angebote für die
aktive Auseinandersetzung der Eltern mit ihrer Situation gemacht werden. Hier könnten
auch gezielt die Erwartungen der Eltern angesprochen, geklärt und möglicherweise
korrigiert werden, und sie könnten auch zu aktivem Engagement z. B. im
Angehörigenbeirat motiviert werden. Des Weiteren könnten Treffen mit bereits „heimerfahrenen“ Eltern für alle Beteiligten sehr aufschlussreich und sinnvoll sein.
Klauß nennt noch weitere Konfliktbereiche zwischen Eltern und Mitarbeitern,
beispielsweise unterschiedliche Auffassungen zur Über- und Unterforderung des
behinderten Menschen und keine Möglichkeit, mit Kritik oder Konflikten effektiv
umzugehen. Außerdem haben die Erzieher meist nur ein sehr unzulängliches Bild von
den Meinungen und Einstellungen der Eltern, weil diese sich überwiegend nicht trauen,
Wünsche und Vorstellungen zu offenbaren, und sie selbst meinen, Eltern mit
Informationen über ihr Kind „verschonen“ zu müssen, um diese nicht noch mehr zu
belasten bzw. Zweifel an der Heimunterbringung zu schüren (vgl. Klauß /
45
Wertz-Schönhagen, 1993: 300 ff). Er zieht ein Fazit, das ich aus eigener Erfahrung nur
bestätigen kann: „In der Interaktion zwischen Eltern und Erziehern basiert vieles auf
Vermutungen, Projektionen und Unterstellungen aus Unkenntnis der Gegenseite und
einer Sprachunfähigkeit untereinander“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 301).
4.5.
Resümee
Zusammenfassend kann man sagen, dass vor dem Hintergrund des oben
beschriebenen Spannungsfeldes, den asymmetrischen Machtverhältnissen und den
Rollenunsicherheiten, also vor dem Hintergrund der gesamten strukturell bedingten
Schwierigkeiten, zu denen auch die besondere Arbeitssituation der Mitarbeiter gehört,
eine gelingende Kommunikation und Kooperation zwischen den Beteiligten fast schon
Zufall oder Glücksache zu sein scheint, womit ich aber nicht ausschließen will, dass es
an ganz vielen Stellen sehr gut klappt und, trotz allem, eine echte Kooperation
stattfindet. Eine Erforschung dieser Konstellationen unter dem Aspekt der fördernden
Bedingungen bzw. Vorrausetzungen könnte in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll
sein.
Unter uns Eltern ist die Zusammenarbeit mit der Gruppe ein wichtiges Gesprächsthema, und so bestätigten mir viele, dass sie es oft als schwierig empfänden,
mit den Betreuern zu reden, da diese oft nur Positives oder aber gar nichts vom
Gruppenalltag mit ihrem Kind erzählen würden, dass die Mitarbeiter einfach zu jung
seien, um mit ihnen über Probleme reden zu können, dass sie sich oft als störend und
überflüssig empfinden würden, dass sie zwar öfters was zu „meckern“ hätten, was z. B.
das Aussehen des Kindes oder die Kleidung betreffen würde, sich aber oft nicht trauen
und somit vieles „schlucken“ würden. Außerdem hätten sie oft das Gefühl, die
Mitarbeiter hätten Angst vor ihnen. Deshalb wüssten sie schon gar nicht, wie sie eine
Kritik anbringen könnten, weil sie befürchteten, dass dies nun von den Betreuern
überbewertet würde. Aber alles in allem „würde es so laufen“ (Originalzitat einer
Mutter). Und der Wohnbereichsleiter bestätigte mir auch, dass zu ca. 80% die
Zusammenarbeit ganz gut klappen würde, „wenn man die Maßstäbe nicht zu hoch
ansetzt.“
Im Interesse ihres Kindes scheinen viele Eltern zu regelrechten Diplomaten zu werden,
da es wohl keine beiderseits akzeptierte „Kritikkultur“ (Klauß / Wertz-Schönhagen,
1993: 300) zu geben scheint. Aber es gibt sicher auch Eltern, die sich mit dieser
Situation überfordert fühlen und sich, weil sie es nicht anders können, durch Rückzug
daraus entfernen. Bentele und Metzger weisen daraufhin, dass auch „...hinter
überbetont forschem oder auch überbetont legerem Verhalten seitens der Angehörigen
46
sich Unsicherheit und Angst verbergen können„ (1997: 152). Auch die Vorsitzende des
Gesamtangehörigenbeirats schrieb mir, dass sie manche Probleme gar nicht
thematisieren würde, wenn die Lösung des Problems kurz bevorstünde, z. B. durch
Mitarbeiterwechsel oder Ferien.
Und auch ich überlege mir mehrmals, ob ich ein Problem wirklich ansprechen soll, oder
ob ich es nicht - auch unter „Verrenkungen“ - selbst lösen kann. Schwierig, so
erzählten mir Eltern, wird es dann, wenn sich zu viel „Unausgesprochenes“ ansammelt
und nicht angegangen wird. Dann reicht oft schon ein minimaler Dissens, der dann das
„Fass zum Überlaufen“ bringt.
M. E. sollten die Mitarbeiter in Abständen immer wieder nachfragen, ob die Eltern so
weit mit der Betreuung ihres Kindes zufrieden sind, ob sie irgendwelche
Problempunkte ansprechen möchten oder ob irgendwas geändert werden soll. Der
Gedankenaustausch sollte zum Selbstverständnis werden.
Da ich es sehr schwierig finde, die sensible Eltern-Mitarbeiter-Beziehung in
allen ihren Facetten adäquat darzustellen, ich diese aber als Dreh- und
Angelpunkt der Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern und
professionellen Mitarbeitern empfinde, habe ich noch einen fiktiven
Briefwechsel entworfen, der die Schwierigkeiten miteinander etwas
plastischer darstellen soll (s. Anhang).
5.
Zur Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und
Betreuern für den Menschen mit geistiger Behinderung
In ihrer Studie „Leben im Heim“ stellen Wacker u. a. fest: „Über 80 % der
Bewohnerinnen
und
Bewohner
pflegen
Kontakt
zu
Angehörigen.
Familiäre
Beziehungen werden oft auch noch nach langer Aufenthaltsdauer im Heim aufrechterhalten; als „Zuhause“ wird häufig das Leben in der Familie, nicht das Heim
empfunden“ (Wacker, 1998: 318). Auch Seifert betont in ihrer „Studie zur
Lebenssituation von Menschen mit schwerer Behinderung im Heim“, dass das soziale
Wohlbefinden eine zentrale Kategorie von Lebensqualität darstellt und innerhalb
dessen gerade Kontakte zu Angehörigen einen hohen Stellenwert haben (vgl. Seifert /
Koenig, 2001: 200). „Viele erleben das Treffen mit den Eltern als Höhepunkt im Alltag,
der sich positiv auf ihre emotionale Befindlichkeit auswirkt“ (220). Sie weist gleichzeitig
47
darauf hin, dass zu enger Elternkontakt die Ablösung erschweren kann und längere
Besuchspausen problematisch für den behinderten Menschen sein können, wenn er
den Grund nicht versteht.
Die Bedeutung der Eltern (neben ihrer Bedeutung in den verschiedenen Rollen) ist für
den behinderten Menschen subjektiv zweifellos sehr hoch, und die Mitarbeiter in den
Wohngruppen tun gut daran, sich dies bewusst zu halten und sowohl den Eltern als
auch ihren Kindern zu helfen, diese Beziehung adäquat zu leben.
„Viele unserer besonderen Kinder und Freunde haben nicht nur Behinderungen,
sondern auch spezielle Fähigkeiten. Viele spüren sehr wohl, auch wenn sie es nicht
ausdrücken können, ob beispielsweise zwischen den Eltern und den Betreuern im
Heim oder in der Dorfgemeinschaft Harmonie, Disharmonie oder gar eine gewisse
Rivalität besteht. Im ersten Fall werden Kinder und Erwachsene aufblühen können,
andernfalls kommen die betroffenen Menschen in innere Konflikte und leiden
möglicherweise sehr darunter. Gemütsschwankungen, auffälliges Benehmen und Entwicklungsstörungen können die Folge sein“ (Heinrich, 1997: 194).
Der im „tripolaren Beziehungsgeflecht“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 20) lebende
Mensch kann schwere Loyalitätsprobleme bekommen, wenn er unterschiedliche
Erwartungen oder unüberbrückbare Spannungen zwischen seinen Bezugspersonen
empfindet. Auch Theunissen erklärt Verhaltensauffälligkeiten geistig behinderter
Menschen , unter Bezug auf Bronfenbrenner, aus sozioökologischer Perspektive:
„Bekanntlich nehmen Lebenswelten wie Familie, Wohngruppe, Werkstatt, kulturelle
Orte oder gesellschaftliche Normen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen und
werden auch von ihm reziprok beeinflusst. Diskrepanzen zwischen diesen Systemen,
gegenläufige pädagogische Interaktionen oder Intentionen erschweren die Entwicklung
des Einzelnen, befördern Konflikte und sind womöglich ein fruchtbarer Boden für
Verhaltensauffälligkeiten“ (Theunissenc, 1999: 145).
Je nach Schwere der geistigen Behinderung aber auch nach dem Charakter kann der
behinderte Mensch so in eine für ihn unerträgliche oder zumindest belastende Lage
kommen.
Außerdem
besteht
die
Gefahr,
dass
er
verschiedene
Positionen
gegeneinander ausspielt und so auf seine Art „Macht“ ausübt.
Wir haben diese Situationen schon sehr oft mit unserem Sohn erlebt, da er nur
zufrieden ist, wenn alle am gleichen Strang ziehen und sich darüber verständigen. Er
selbst spricht sehr gut und kann seine diesbezüglichen Bedürfnisse gut äußern. So
besteht er z. B. immer darauf, dass wir in seiner Gegenwart den Betreuern den
nächsten Abholtag sagen, diesen erklären, warum wir meinen, dass er schon eine
48
lange Unterhose tragen soll, obwohl die Betreuer das noch nicht für nötig erachten,
oder dass wir den Betreuern sagen sollen, dass er seine Brille blöd findet, weil sie
dauernd rutscht. Er „schickt“ uns oft vor und versucht auf diese Art, seine Bedürfnisse
befriedigt zu bekommen. Wir sind häufig in langen Gesprächen mit den Betreuern, um
zu eindeutigen und für alle handhabbaren Ergebnissen zu kommen. Unser Sohn
braucht unsere „Eindeutigkeit“, und wenn es auch nur in für uns völlig belanglos
erscheinenden Kleinigkeiten sein sollte. Dabei scheint es ihm wichtiger zu sein, dass
wir auf die Betreuer zukommen und Probleme, die er mit der Einhaltung verschiedener
Regeln hat, klären, als dass die Betreuer uns daraufhin ansprechen.
Und, noch mal bezugnehmend auf das oben genannte Zitat von Heinrich: Man sollte
nicht die ausgeprägten intuitiven Fähigkeiten gerade geistig behinderter Menschen
unterschätzen. Auch wenn sie den Inhalt mancher Familiengespräche, in denen das
Heim thematisiert wird, nicht verstehen können, so bekommen sie doch Stimmung und
Athmosphäre mit. In Anwesenheit des Kindes sollten Eltern also niemals negativ über
Betreuer oder bestimmte Verhaltensregeln oder Situationen sprechen, zu groß ist die
Gefahr, dass negative Gefühle sich beim Kind aufbauen und dieses dann nicht weiß,
wie es mit diesen umgehen soll. Genauso trifft dies natürlich auf die Heimmitarbeiter
zu, die niemals Negatives über die Eltern in Anwesenheit des Kindes sagen sollten. Im
Gegenteil, wenn der behinderte Mensch diese Gespräche will, sollten sie geprägt sein
von Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz. In diesem Klima kann das Lösen von
Differenzen
in
Gegenwart
des
behinderten
Menschen
für
dessen
Prob-
lemlösungsfähigkeiten Modellcharakter haben.
Oft liegt die Lösung von Problemen aber auch in der schlichten Anerkenntnis der „zwei
Welten“
und
möglicherweise
unüberbrückbaren
Unterschiede
(vgl.
Klauß
/
Wertz-Schönhagen, 1993: 307). Nach meiner Erfahrung kommen sehr viele behinderte
Menschen aber gut mit der Trennung der Lebenswelten klar, oftmals besser als die
Mitarbeiter (die gerne möchten, dass die Eltern es wie sie machen) und die Eltern (die
möglichst viel von ihren Vorstellungen im Heimalltag verwirklicht sehen wollen).
Als äußeres Zeichen des „Weltenwechsels“, so erzählten mir einige Mütter, würden sie
ihre Kinder zuhause umziehen oder diese würden es von sich aus regelmäßig tun.
Auch unser Sohn zieht sich als Erstes zuhause eine Jogginghose an, etwas, was er
auf der Gruppe ablehnt. Und wenn er wieder auf der Gruppe ist, will er von uns
ziemlich schnell (nach notwendigen gemeinsamen Besprechungen!) nichts mehr
wissen.
49
Aber über alle diese Tatsachen hinaus, hat die gelungene, partnerschaftliche
Kommunikation zwischen Eltern und Betreuern auch noch weitere, sehr positive
„Nebenwirkungen“ für den behinderten Menschen, was ich an dieser Stelle nur kurz
skizzieren möchte. So können Betreuer durch Gespräche mit den Eltern diese zu mehr
Freiraum für ihr Kind bewegen, können ihnen die Wichtigkeit von freundschaftlichen
Beziehungen vermitteln, ihnen zu mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes
verhelfen und durch vertrauensvolle Gespräche mit den Eltern diesen beim Umgang
mit der Sexualität des Kindes helfen. Außerdem wird eindeutig die Beziehung zwischen
Betreuern und Betreutem verstärkt, wenn erstere durch Gespräche mit den Eltern
Bedürfnisse des Betreuten ernst nehmen und dessen Sorgen mit den Eltern
besprechen (natürlich nur, wenn er dies möchte!). Auch familiäre Probleme belasten oft
den behinderten Menschen (z. B. Krankheiten der Eltern, Trennung etc.), so dass es
hilfreich ist, wenn Betreuer um die familiären Probleme wissen. Gemeinsames Ziel im
Sinne des behinderten Menschen ist der Trialog aller Beteiligten, der aber den
funktionierenden Dialog zwischen seinen Bezugspersonen voraussetzt.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die gelungene gemeinsame
Kommunikation und Kooperation für die behinderten Menschen äußerst
wichtig für ihr Lebensgefühl und die Fähigkeit, die zwei verschiedenen
Lebenswelten für sich zu vereinen und in beiden heimisch zu werden ist
und damit aber auch für ihre persönliche Entwicklung. Eltern und Betreuer
sollten sich diese Tatsache immer wieder bewusst machen!
6.
Möglichkeiten der Verbesserung von Kommunikation und
Kooperation
6.1. Ethische Aspekte in der Begegnung
Hermann Baum stellt in seiner „Anthropologie für soziale Berufe“ fest, dass soziale
Berufe den Menschen direkt betreffen, und zwar in einer höchst komplexen,
ganzheitlichen Form, „... und zwar deswegen, weil es in der Regel um
die Lösung von Problemen geht, die existentiell sind, den ganzen
Menschen berühren“ (Baum, 2000: 15).
Damit die Mitarbeiter zielorientiert und verantwortungsbewusst nicht nur dem
behinderten Menschen, sondern auch den, mit diesem eng verbundenen, Eltern
50
gerecht werden können, brauchen sie ein „Bild von einem Menschen“, ein
Deutungsmuster auch über sich selbst und andere Menschen, ein sie leitendes Motiv,
ein Leitbild im wahrsten Sinne des Wortes. Nirgendwo ist die bewusste Reflexion eines
solchen Menschenbildes so zwingend, wie im sozialen Bereich denn, nirgendwo ist die
Gefahr so groß, dass „... man sich zugunsten nicht durchschauter
Zwecke manipulieren lässt und verantwortungslos handelt“ (Baum,
2000: 16).
Schilling ergänzt diese grundsätzliche Bedeutung eines Menschenbildes für die Soziale
Arbeit durch weitere Aspekte: So muss seiner Meinung nach auch eine öffentliche
Diskussion um dieses Menschenbild möglich sein, die Ziele der Institution müssen mit
dem persönlichen Menschenbild vereinbar sein und auch Teamarbeit ist nur aufgrund
verbindender Gedanken hinsichtlich eines Menschenbildes möglich (vgl. Schilling,
2000: 173).
So einleuchtend und klar die Frage nach der Existenz und der Erfordernis eines
solchen Menschenbildes für die Angehörigen in der sozialen Arbeit ist, so offen ist
zunächst einmal die Frage nach dem Ursprung, der Ausgestaltung und der Art dieses
Menschenbildes.
Hinsichtlich der Komplexität dieses Themas möchte ich an dieser Stelle nur zwei
verschiedene Ansätze aufgreifen, die ich in diesem Zusammenhang für besonders
erwähnenswert halte:
An erster Stelle beziehe ich mich auf Emmanuel Levinas (1906 - 1995), dessen
Anthropologie des „Anderen“ ein Kernstück seines philiosophischen Denkens ist und
der seit einigen Jahren in der Literatur oft in heilpädagogischen Zusammenhängen
erwähnt wird. Levinas sieht im Menschen „... ein Lebewesen, das durch
seine prinzipielle Hilfsbedürftigkeit geprägt ist, die sich in
der
schutzlosen
Nacktheit
seines
Antlitzes
symbolisiert
und
wortlos appelliert“ (Baum, 2000: 233).
Der helfende Mensch (z. B. in der sozialen Arbeit) muss sich selbst zurückstellen und
sich so in den Dienst des „Anderen“ stellen. Der „Andere“ muss verstanden werden,
wobei dieses Verstehen auch von Sympathie und Empathie bestimmt ist. Dabei muss
der „Andere“ in seinem „Anderssein“ belassen werden, er darf nicht vereinnahmt
werden, und dabei erkennt der Mensch dann, dass der „Andere“ für ihn selbst immer
fremd sein wird, dass das menschliche Gegenüber in seiner individuellen Einmaligkeit
unerkennbar und unfassbar bleibt. Das bedeutet konkret in der Begegnung zwischen
Eltern und den Betreuern ihrer Kinder, dass der professionell Tätige die Eltern so
51
„lassen“ muss, wie sie nun mal sind, dass er sie so anerkennen kann, wie sie sich ihm
darstellen. Gleichzeitig wäre es natürlich auch wünschenswert, wenn die Eltern diese
Fähigkeit aufbringen könnten!
Der „Andere“, so Levinas, manifestiert sich im „Antlitz“ (vgl. Levinas, 1998: 221) und
„seine
Erscheinung
ist
ein
Mehr
über
die
unvermeidliche
Erstarrung der Erscheinung hinaus. Dies drückt die Formel aus:
Das Antlitz spricht. Die Erscheinung des Antlitzes ist die erste
Rede“ (221). Und weiter dann: „Seine Gegenwart ist eine Aufforderung
zu Antwort“ (224). Die Existenz der Eltern fordert die professionell Tätigen auf, zu
agieren und zu reagieren, sich dieser Beziehung zu stellen.
Dabei betont Levinas die Solidarität des Menschen mit dem „Anderen“: „Die
Infragestellung meiner Selbst durch den Anderen macht mich dem
Anderen
in
unvergleichlicher
und
einziger
Weise
solidarisch“
(224) Gerade diese „Infragestellung meiner Selbst“ durch den „Anderen“ ergibt sich sowohl für die Mitarbeiter (zu jung, zu unerfahren, zu ungebildet etc.) als auch für die
Eltern (gescheitert, verbohrt, engstirnig etc.). Doch trotzdem ist partnerschaftliche
Solidarität möglich: Im Bewusstsein der eigenen Stärke können die Stärken des
Anderen gesehen und anerkannt werden, und der gemeinsame Blick nach vorne auf
die Bedürfnisse des behinderten Menschen nach möglichst großer Selbstbestimmung,
Entwicklung und Freude am Leben ist handlungsleitend und verbindend für beide
Seiten.
Dabei liegt der Gewinn für jeden einzelnen Menschen, der Verantwortung für den
„Anderen“ nicht nur ausübt, sondern in der Terminologie Levinas „begehrt“, darin, dass
er selbst nicht beliebig austauschbar ist. „Die Einzigartigkeit des Ich liegt
in der Tatsache, dass niemand an meiner Stelle antworten kann“
(224).
Ich möchte es in diesem Zusammenhang nicht bei der rein theoretischen Darstellung
dieser anthropologischen Überlegungen bewen-den lassen, sondern ein sich mir
aufdrängendes Beispiel schildern: Als ich im Zusammenhang mit den Recherchen zu
dieser Arbeit eine Mutter nach ihren Erfahrungen mit den Mitarbeitern befragte, erzählte sie mir folgende, für sie unvergesslich bleibende Begebenheit: Anlässlich einer
Schulfeier im Heim ihres 17-jährigen Sohnes beobachtete sie, zunehmend mehr die
Fassung verlierend, wie dieser sich immer wieder heiß und innig mit einem älteren
Schulfreund küsste und umarmte. Sie fiel aus „allen Wolken“ und war ziemlich
verzweifelt, weil sie niemand auf diese Situation vorbereitet hatte, sie keine Ahnung
52
von den sexuellen Bedürfnissen ihres Kindes gehabt hatte und jetzt nicht wusste, wie
sie mit diesen neuen Tatsachen umgehen sollte, zumal sie, wie wohl auch „normale“
Eltern, damit gerechnet hatte, dass es „wenigstens“ hinsichtlich der sexuellen Neigungen „normal“ sei. Ziemlich aufgelöst musste sie dann auf die Wohngruppe gehen,
um die Tasche für den Wochenendbesuch zu packen, traute sich aber nicht, der
Mitarbeiterin dort von ihren aufgewühlten Emotionen zu berichten, da sie sich ja gerne
„tolerant“ und „über diesen Dingen stehend“ sehen wollte. Die Mitarbeiterin spürte aber
ihre Unsicherheit und fragte sie, wie es ihr denn ginge. Daraufhin traute sich die Mutter,
offen ihren Kummer auszusprechen und sich mitzuteilen, was sie wohl nie getan hätte,
wenn sie nicht die wohlwollende Haltung der Mitarbeiterin gefühlt hätte. Diese erzählte
dann lange von den Erfahrungen der Gruppe mit dieser noch sehr jungen Liebe
(weshalb man die Mutter auch noch nicht darüber informiert hatte!), begründete die
Umgangsmöglichkeiten der Mitarbeiter mit dieser Beziehung, versuchte Hintergründe
und Vorteile dieser Bindung mit der Mutter zu besprechen und ließ diese, ohne
Bewertung, alle ihre ambivalenten Gefühle und Befürchtungen aussprechen. Dieses
Gefühl „wir beide sorgen uns um Dein Kind und aber auch um Dich“, so die Mutter, ließ
diese dann sehr erleichtert wieder nach Hause fahren. Sie konnte sogar „loslassen“
und die weitere Begleitung der Bedürfnisse ihres Kindes zuversichtlich der, wie sie nun
ja erfahren hatte, sensiblen und klugen Mitarbeitercrew überlassen. Für sie war es ein
echtes Schlüsselerlebnis. Ob die Mitarbeiterin sich ihrer „errettenden“ Bedeutung wohl
so bewusst war? Vielleicht war sie nur „gestresst“, weil es zufällig gerade sie traf, dieser Mutter zu antworten? Aber sie hat das weitere Leben und Erleben dieser Mutter
entscheidend geprägt und war insofern von einzigartiger Bedeutung für sie.
Möglicherweise erschien diese Mutter der noch sehr jungen Mitarbeiterin auch
„komisch und unmodern“. Aber dies spielte im Augenblick keine Rolle, sie konnte die
Mutter „annehmen“, wie sie nun mal war, und sie in „heilpädagogischer Haltung“
stützen.
Weitere grundlegende ethisch / moralische Fundierungen für den Umgang gerade mit
den Eltern behinderter Kinder im Heimzusammenhang habe ich im anthroposophisch
geprägten Gedankengut gefunden. Hierbei sind besonders die Gedanken von Rüdiger
Grimm zur „Therapeutischen Gemeinschaft“ sehr umfassend und gleichzeitig tief
greifend (1991). Er beschreibt hierin die notwendige Aufnahme der betroffenen Eltern
in die Gemeinschaft zwischen Heimmitarbeitern und den behinderten Menschen, und
zwar mit folgender grundlegender Bedeutung für die Eltern: „Unter dem Gesichtspunkt der Schwächung der Umweltbeziehungen vieler Familien mit
einem behinderten Kind kann die therapeutische Gemeinschaft im
53
Sinne einer Substitution als Umweltzusammenhang eintreten, der
dazu befähigen kann, die Auseinandersetzung und den Kontakt mit
der Umwelt neu aufzugreifen“ (20).
Auch ich finde diesen Gedanken sehr wichtig, da die Eltern in der sonstigen Umwelt
zumeist gezwungen sind, einfach nur zu „funktionieren“ sowie zu versuchen,
„unauffällig“ zu leben, und deshalb sehr oft überhaupt kein Raum für die
Lebenszusammenhänge und die damit verbundenen Emotionen mit dem behinderten
Kind existieren. Das ist schon so, wenn das Kind noch zuhause lebt, erst recht aber,
wenn es überwiegend im Heim wohnt und damit im Umfeld der Familie nicht mehr so
oft präsent ist. Nichts ist dann so hilfreich, wie Gesprächspartner zu haben, die das
eigene Kind wertschätzen, die Entwicklung aufmerksam verfolgen und mit ihm
(zeitweise) real zusammenleben. Gerade Familien, die auch wenig präsente
Verwandte oder Freunde haben (was durch ihre besondere Situation mit verursacht
sein kann) können mit diesen neuen Umwelterfahrungen wieder Hoffnung schöpfen
und lernen, sich zu öffnen und soziale Erlebnisse haben. Ihr Familienleben wird durch
den Heimzusammenhang erweitert, das Kind bekommt so auch in der Umwelt (wenn
es natürlich auch nicht die „normale“ Umwelt ist!) einen Raum und eine Bedeutung.
Auch die Frage nach der Elternarbeit und implizit die Frage nach der Art des Umgangs
mit den Eltern wird von den Anthroposophen aufgrund deren Menschenbildes vertieft
und mit Ausrichtung auf mögliche Sinnhintergründe gestellt: „Elternarbeit
richtet sich vielmehr auf die tiefere Betroffenheit, die Eltern
fragen lässt, warum gerade ihnen ein behindertes Kind geboren
wurde“ (Müller-Wiedemann, 1994: 34). Diese zentrale Frage, die Mütter und Väter
jeder für sich und wahrscheinlich auch alle unterschiedlich versuchen zu beantworten,
ist ein Lebensthema für diese. Bemühungen um die Eltern, z. B. in Form von
institutioneller Elternarbeit durch die Betreuer der behinderten Kinder, können ihnen
dieses Thema nicht abnehmen, aber sie können, und das ist schon sehr viel, ein Stück
weit „mittragen“ und auch „auffangen“ und somit, im Sinne von Levinas, „eine Antwort
geben“.
54
Diese ethischen Aspekte in der Begegnung zwischen den Eltern und den
Betreuern behinderter Kinder sind moralische Aufforderungen an die
professionellen Kräfte, sich immer wieder um die Kommunikation mit den
Eltern, um die Kooperation mit jedem einzelnen Vater, mit jeder einzelnen
Mutter zu bemühen, auch wenn es mühsam oder sinnlos erscheinen mag.
Der Weg ist hier das Ziel. Dabei, so meine Meinung, muss den Eltern
„entgegengekommen werden“, da diese oft noch sehr lange Zeit in der
emotionalen und gedanklichen Bewältigung ihrer familiären Situation
verhaftet sind.
6.2. Allgemeine Aspekte in der Elternarbeit
„Eine
Mischung
aus
Verpflichtung
Unzulänglichkeitsgefühlen
und
zur
Dankbarkeit,
vielleicht
eigenen
berechtigten
Forderungen und Erwartungen an eine Mitsprache im Heimalltag
machen die Kommunikation mit den Erziehern oft kompliziert und
schwer verstehbar“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 192). Umso wichtiger und
erforderlicher
ist
„Elternarbeit“.
Verständnisschwierigkeiten
Komplikationen
lassen
sich
in
können
Kenntnis
von
vermieden
werden,
Hintergründen
und
Zusammenhängen vermeiden oder zumindest verringern. Bevor ich später konkret auf
Verbesserungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen eingehe, möchte ich erst
Grundsätzliches zur „Elternarbeit“ darstellen.
Den Eltern der Heimbewohner stehen drei große Felder in der Einrichtung offen: „Sie
umfassen
den
Gesamtbereich
der
heilpädagogischen
Arbeit
und
bestehen in der
¾ Erfahrung der Arbeit mit den Kindern
¾ Begegnung mit den Mitarbeitern
¾ Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit den anderen Eltern“
(Grimm, 1991: 78).
Das Schaubild auf der nächsten Seite gibt einen Überblick über diese Felder und
deutet die inneren Beziehungsmöglichkeiten zwischen ihnen an.
55
Felder der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Mitarbeitern im Lebenszusammenhang
(Grimm, 1991: 79)
Auf allen drei Feldern ergeben sich zahlreiche Berührungspunkte zwischen Eltern und
Mitarbeitern, so dass gemeinsame Erfahrungen in Interaktion wachsen können. Die
sog. „Elternarbeit“ wirkt in diesen Zusammenhängen wie ein Katalysator auf dem Feld
der Gemeinsamkeiten von Eltern und Betreuern und ist gleichzeitig Anschub ,
Aufrechterhaltung und Intensivierung von Kommunikation und Kooperation und damit
unerlässlich in der konkreten Unterstützung der Eltern.
Eine allgemein gültige Definition, was unter Elternarbeit zu verstehen ist, habe ich nicht
explizit gefunden. Drees z. B. versteht unter Elternarbeit „...das
gesamte
Interaktionsgeschehen, das Heime mit Eltern verbindet...“ (1998:
78). In der aktuellen Fachliteratur werden verschiedene Synonyme für den Begriff der
Elternarbeit gebraucht, so z. B. Zusammenarbeit mit den Eltern, Elternbildung ,
Familienarbeit oder aber auch Familienorientierung der Institution. Ich benutze in
diesem Zusammenhang weiterhin den klassischen Begriff der „Elternarbeit“, da ich ihn
einfach immer noch am zutreffendsten finde, er noch am häufigsten in der Praxis verwendet wird und er betont, dass die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu den
Eltern
und
deren
Unterstützung
und
Begleitung
ein
Teil
der
Arbeit
der
Wohngruppenmitarbeiter ist und als solcher auch anerkannt werden muss. Obwohl in
der Realität quantitativ weniger vorhanden, ist mit Elternarbeit aber auch die
Zusammenarbeit mit anderen Angehörigen gemeint, wobei hier m.E. ,z.B. im Umgang
56
mit den Geschwistern andere Schwerpunkte und Akzente gesetzt werden müssten und
anderen Erforderlichkeiten Rechnung getragen werden müsste. Natürlich wäre es
schön, wenn mit der „Elternarbeit“ tatsächlich eine partnerschaftliche Zusammenarbeit
mit Eltern erreicht werden könnte und dies dann auch offiziell so genannt werden
könnte, aber dies ist (wie ich später noch erläutern werde) m. E. im Heimbereich der
Behindertenhilfe noch nicht realisiert.
Im Gegensatz zur Jugendhilfe, wo Elternarbeit die Aufgabe hat, die für Kinder und
Eltern negativen Entwicklungsbedingungen zu beseitigen und tragfähige, positive
Gefüge zu schaffen, so dass im optimalen Fall nach einem zeitlich begrenzten
Heimaufenthalt die Reintegration in die Familie wieder möglich ist (vgl. Drees, 1998:
79 ff.), ist in der Behindertenhilfe (genauer: In Wohnstätten für heranwachsende und
erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung) Elternarbeit aus anderen Gründen
erforderlich:
Hier
geht
es
um
Unterstützung
von
Eltern
und
Kind
beim
Ablösungsprozess und das Finden neuer, angemessener Rollen, um Unterstützung
des behinderten Menschen bezüglich der Kontaktaufrechterhaltung zu seinen Angehörigen und um lebenslange Begleitung der gesamten Familie vom Heim aus. Da, wie
in Kapitel 5 beschrieben, Elternkontakt und gute Beziehungen zwischen Mitarbeitern
und Eltern für den behinderten Menschen wichtig sind, ist Elternarbeit so gesehen
auch eine präventive Maßnahme zur Vorbeugung von Verhaltensstörungen des
behinderten Menschen und, überspitzt und etwas polemisch ausgedrückt, auch der
Eltern.
Anfangs ist besonders die Kontaktpflege wichtig: Alle Beteiligten (Mitarbeiter und
Wohngruppeneltern untereinander) müssen sich kennen lernen, Berührungsängste
müssen abgebaut, Beziehungen angebahnt und die Kontinuität in der elterlichen
Beziehung zum Kind gefördert werden. „Der Erzieher hat quasi die Schlüsselfunktion
aller
vertrauensbildenden
aber
auch
aller
vertrauensstörenden Maßnahmen zwischen Heim und Familie“ (Drees,
1998: 81). Je nach Intensität der Kontaktpflege mittels Telefonaten, Tür- und
Angelgesprächen nach den Wochenendbesuchen, Briefen zwischen Gruppe und
Eltern aber auch Festen und Feiern kann dies das Klima der Zusammenarbeit und
damit auch die emotionalen Befindlichkeiten aller Beteiligten deutlich beeinflussen und
verbessern. Gerade „belanglose“ Gespräche sind wichtig, um die Beziehungsebene zu
festigen, damit Kritik- oder Konfliktgespräche möglich werden.
Eng verbunden mit der Kontaktpflege ist der Informationsaustausch von Eltern und
Mitarbeitern über den behinderten Menschen, wobei sich beide als bedeutsam für
diesen
erfahren
können.
Vermischen
können
sich
Kontaktpflege
und
57
Informationsaustausch mit einer allgemeinen Beratung, beispielsweise bezüglich
Erziehungsfragen, Verhaltensmöglichkeiten, aber auch ganz praktischer Art, z. B. in
Bezug auf Pflege oder rechtliche Fragen. [Ich möchte mich in diesem Zusammenhang nur
auf die pädagogische Elternarbeit beschränken, da in der Regel nur große Einrichtungen auch
therapeutische Elternarbeit durch speziell familientherapeutisch ausgebildete Mitarbeiter
anbieten können und nach meiner Erfahrung nur wenige Eltern überhaupt eine speziell therapeutische Begleitung wünschen, obwohl sie sicher oftmals sehr sinnvoll und hilfreich wäre.]
Elternarbeit geschieht in vielen Formen und auf vielfältige Art, „Formen
der
Elternarbeit, die wenig strukturiert sind, überwiegen jedoch.
Dies lässt auf eine unzureichende Systematik in der Elternarbeit
schließen“ (Conen, 1992: 17) und damit evtl. auf wenig Effektivität im Ergebnis.
Das Verhältnis zwischen Eltern und Fachleuten in der Behindertenhilfe hat
aber auch eine Geschichte, in der die heutige Elternarbeit ihre Wurzeln hat.
Um
die
aktuellen
Elternarbeitsansätze
unter
den
Schlagworten
„Partnerschaft“ und „Empowerment“ (siehe Kapitel 6.4. und 6.5.) besser
verstehen und ihre Intentionen besser einordnen zu können, ist der Blick in
diese wechselvolle Geschichte sinnvoll.
6.3. Zur Geschichte der Elternarbeit
Die von Speck im Kontext der Erstellung des Kooperationsmodells entworfene
Aufteilung der geschichtlichen Entwicklung des Verhältnisses von Eltern und
Fachleuten
in
drei
Modelle,
„Laienmodell“,
„Ko-Therapie-Modell“
und
„Kooperationsmodell“ genannt, gilt bis heute als relevanter Überblick und wird in der
einschlägigen Literatur als wichtige Grundlage verstanden. Zwar wurden diese Modelle
primär im Kontext der Frühförderung entwickelt (da hier als Erstes die Wichtigkeit der
Zusammenarbeit mit den Eltern als erster Sozialisationsinstanz erkannt wurde), aber
sie sind durchaus eine generelle Beschreibung der Entwicklung des Verhältnisses von
Eltern und Fachleuten in heilpädagogischen Zusammenhängen.
Das „Laienmodell“ sah die Eltern als Laien und die mit ausschließlicher Fokussierung
auf die Förderung behinderter Kinder befassten Fachleute als Kompetenzträger an.
Hieraus ergab sich eine strenge Hierarchie bezogen auf die Förderung der Kinder, in
58
der die Eltern nur eine nachrangige Stellung hatten. Sie konnten bei der Förderung
ihrer Kinder nur zuschauen und wurden selbst im Prinzip von den Fachleuten ignoriert.
Dem Wandel des „Laienmodells“ in ein „Ko-Therapie-Modell“ in den 70er und 80er
Jahren liegen unterschiedliche Einflüsse zugrunde. Einerseits wurde die Bedeutung
der Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Kindern erkannt, andererseits forderten
die Eltern selbst mehr Beteiligung an der Arbeit mit ihren Kindern aber auch mehr die
Berücksichtigung ihrer Sorgen. Praktisch bedeutete dies Modell die fachliche Anleitung
der Eltern durch Therapeuten und Pädagogen und führte zum Funktionieren der Eltern
als „verlängerter Arm“ der Fachleute. Die Nachteile dieses Modells zeigten sich schnell
in der Überforderung der Familie sowohl in psychischer als auch zeitlicher Hinsicht.
Ihre Identität als Eltern erfuhr in diesem Sinne fremdbestimmte Einflüsse, die für die
Eltern Konflikte zwischen den teilweise gegenläufigen Ausrichtungen beider Rollen
bedeuten konnten. Zusätzlich zum hohen Förderdruck kamen nun oft noch
Schuldgefühle, wenn Eltern die Anforderungen der Therapeuten nicht erfüllen konnten,
weil diese die elterliche Lebenswirklichkeit nicht berücksichtigten. Und auch dieses
Modell hatte eine asymmetrische Kommunikation zur Grundlage.
„Mit der Einsicht in die Grenzen sowohl des „Laienmodells“ als
auch des „Ko-Therapie-Modells“ ergab sich ein Handlungsbedarf
hinsichtlich der Entwicklung eines alternativen Konzeptes für
die Zusammenarbeit von Eltern und Fachleuten“ (Eckert, 2002: 84).
6.4. Partnerschaft
Als ein neues, partnerschaftlich orientiertes Modell der Zusammenarbeit bezeichnet
Speck das sog. „Kooperationsmodell“, das er in systemtheoretischer Terminologie
durch den Erhalt der unterschiedlichen Systeme Elternhaus und Institution, durch
gegenseitigen Respekt, Aufeinandereingehen und permanentes Gespräch charakterisiert. „Dies bedeutet, dass beide voneinander voll Kenntnis nehmen,
einander ernst nehmen und sich gegenseitig ergänzen. Dabei mag
der Experte über das differenziertere und qualifiziertere Wissen
und Können verfügen, dies jedoch im wesentlichen in genereller
Hinsicht. Was die individuelle Situation aber betrifft, so ist
niemand
für
ein
Kind
kompetenter
als
seine
Mutter
und
sein
Vater“ (Speck, 1999: 318).
Gerade im Verhältnis Heim / Eltern scheint mir der Begriff „Partnerschaft“ (der in letzter
Zeit im Bereich der Sonderpädagogik das Wort „Zusammenarbeit“ ersetzt) doch sehr
hochgegriffen und die Realität nicht zutreffend wiedergebend. Im Zusammenhang mit
59
der
Frühförderung
sagt
Chatelanet
hierzu:
„Der
Übergang
zu
neuen,
gleichberechtigten Beziehungen zwischen Eltern und Fachpersonen
erfordert unserer Meinung nach umfassende Veränderungen in den
Einstellungen und Handlungen der Fachpersonen, es sei denn, man
tauscht nur Worte aus, ohne Inhalte zu verändern“ (Chatelanet, 2002:
114). Dies gilt ebenso für den Heimbereich.
Nach meiner Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen mit anderen Eltern und aus dem
Praktikum
ist
gerade
im
Heimbereich
noch
großer
Handlungs-
und
Verbesserungsbedarf. Zu groß ist die Versuchung, die à priori ungleich erscheinenden
Partner in ihren (bisherigen) Rollen verharren zu lassen und an asymmetrische
Machtverhältnisse nicht zu rühren. Aber Veränderungen zeichnen sich ab und die
Institutionen werden sich auf diese einstellen müssen, um glaubhaft und effektiv ihr
Aufgaben erfüllen zu können. „Wir
befinden
uns
in
einer
Zeit
des
Umbruchs, die nicht nur bedeutsame Auswirkungen auf die Arbeit
in den Wohneinrichtungen und damit auf die Lebensqualität von
Menschen mit Behinderung hat, sondern auch auf die Rolle ihrer
Angehörigen.
Stichworte
Paradigmenwechsel,
dazu
sind
zum
Selbstbestimmung,
Beispiel:
Assistenz,
Qualitätssicherung, Nutzerorientierung, § 93 BSHG, Novellierung
des Heimgesetzes, das neue Sozialgesetzbuch IX“ (Seifert, 2001: 1).
Die Eltern heute sind kritischer, fordernder, selbstbewusster und durch den langen
Gang mit ihrem Kind durch Institutionen wie die Frühförderung, den Kindergarten und
die Schule (wo der Stellenwert befriedigender Zusammenarbeit mit den Eltern ein viel
höherer ist!) kompetenter als früher. Das bestätigten mir auch alle meine Gesprächspartner „vor Ort“. Durch die neuen Medien sind Eltern informierter und durch
meist gute Netzwerke können sie sich besser gegenseitig beraten und mitteilen.
Gerade wenn es um die Suche nach einem Heimplatz und die Bewertung eines
potentiellen Heimplatzes geht, zählt auch, wie die Eltern selbst sich dort aufgenommen
fühlen, wie der Umgang mit ihnen persönlich empfunden wird, und dieses Wissen
geben sie dann an suchende Eltern weiter. Dem sollte jede Einrichtung Rechnung
tragen.
Die
partnerschaftliche
Zusammenarbeit
Qualitätsmerkmal der Einrichtungen werden.
mit
den
Eltern
sollte
zum
60
Es wird nicht mehr ausreichen, die Eltern im Konzept der Einrichtung zu
erwähnen und die Zusammenarbeit mit ihnen zu postulieren, wichtig ist die
Spiegelung dieser Gedanken im alltäglichen Umgang und die Füllung des
partnerschaftlichen Gedankens mit konkreter Arbeit mit den Eltern.
An ganz vielen Stellen wird dies sicher auch schon geschehen. Um den Status Quo
festzustellen, wären empirische Untersuchungen angebracht, was Eltern und
Mitarbeiter selbst unter partnerschaftlicher Zusammenarbeit verstehen und welche
Bedingungen hierfür aus ihrer Sicht nötig sind. Dabei ist aus meiner Sicht eine
Differenzierung der Zusammenarbeit hinsichtlich der verschiedenen Ebenen der
Wohngruppenmitarbeiter und der Institution nötig.
Der bereits vorher erwähnte Hausleiter in der süddeutschen Einrichtung sagte mir hierzu, sie
würden sich wirklich bemühen, die Eltern als Partner zu sehen, es gäbe aber Eltern, die der
Gruppe „Prügel in den Weg“ werfen und dabei oft noch die Elternschaft dominieren würden.
Und wenn dann mal was schief laufen würde, wäre es schwierig, enttäuschte Eltern wieder für
sich zu gewinnen.
Partnerschaften können an Krisen durchaus wachsen, und ich denke, das ist auch in diesen
Zusammenhängen möglich. Aber daran, selbst als gleichberechtigter Partner in dieser
Beziehung wahrgenommen zu werden, habe ich doch Zweifel. Als Mutter würde ich mir gerade
in Krisenzeiten mit der Gruppe einen Ansprechpartner, der eine gewisse Objektivität hat, wünschen, da ich mich, obwohl durchaus ernst genommen, nicht als gleichberechtigter Partner
fühle. Ich bin einfach im Alltag nicht dabei und weiß nicht, ob meine Vorstellungen von der
Lösung eines Problems, obwohl vielleicht zugesagt, tatsächlich realisiert werden.
61
(Quelle: „Orientierung“ 1/2003: 18)
Soweit nicht schon so gehandhabt, wäre eine Verbesserungsmöglichkeit in diesem
Zusammenhang z. B. das ständige Angebot an die Eltern, bei Konflikten oder
Problemen das Gespräch mit dem Heimpsychologen, einem Sozialarbeiter oder einem
Familientherapeuten oder einer sonstigen, gruppenübergreifend tätigen Person suchen
zu können. Diese müssen sich nicht rechtfertigen, so dass Machtkämpfe verhindert
werden können und Eltern das Gefühl eines Bündnispartners bekommen. Wichtig
fände ich, dass dieses Angebot schon bei Heimaufnahme klar mitgeteilt wird und evtl.
schriftlich mit Angabe der Person und deren Erreichbarkeit mitgegeben wird. Ein
gegenseitiges Kennenlernen sollte möglichst bald im Zusammenhang mit der
Heimaufnahme stattfinden, da im Konfliktfall der Kontakt möglichst schnell und
unbürokratisch erfolgen sollte.
Aber auch die Einrichtung einer Angehörigenvertretung, was bisher wohl nur wenige
Einrichtungen, und dabei eher größere, anbieten, könnte Eltern und Institution gerade
unter dem Aspekt der Partnerschaft sinnvoll helfen. „Es gibt zur Zeit keine
eindeutige gesetzliche Regelung für Angehörigenvertretungen in
Heimen
und
Werkstätten.
(...)
Es
bleibt
also
den
beiden
„Partnern“ - Einrichtung auf der einen und Angehörige auf der
anderen Seite - überlassen, Antworten zu finden, die den Eltern
und Angehörigen, der Einrichtungsleitung, den Mitarbeitern und
62
nicht zuletzt den Menschen mit Behinderung in der Einrichtung
gefallen“ (Wiemerc, 2003: 19).
Die von mir befragte Vorsitzende des Gesamtangehörigenbeirates schilderte mir die,
aus ihrer Sicht, sehr großen Vorteile dieser Institution für die Eltern:
¾
Eltern haben in einem engagierten Angehörigenbeirat (AB) in Krisenzeiten einen
relativ objektiven Bündnispartner, mit dem sie vertrauensvolle Gespräche führen
können und der ihre Position gegenüber der Institution (sachlich und kompetent)
stützen kann.
¾
Die Institution (vertreten z. B. durch den Bereichsleiter) erfährt auf AB-Sitzungen
Wünsche, Probleme und Kritik der Eltern und kann dann handeln.
¾
Seit der Novellierung des Heimgesetzes im November 2001 besteht die
Möglichkeit für den AB, den aus der Mitte behinderter Heimbewohner gewählten
Heimbeirat personell zu unterstützen und somit die Rechte dieser verstärkt zur
Geltung bringen.
¾
Der AB wird institutionell unterstützt, die sich hier engagierenden Eltern werden
ausführlich über heiminterne Dinge informiert, können an Fortbildungen
teilnehmen und diese auch selbst initiieren.
¾
Eltern des AB können in diesem Zusammenhang anderen Eltern Tipps im
Umgang mit den Wohngruppenmitarbeitern geben, zwischen diesen vermitteln
und aber auch Eltern Fehlverhaltensweisen auf legitime Weise vor Augen halten.
Ich persönlich sehe gerade in diesem letzten Punkt die wichtigste Aufgabe des AB, und
zwar unter dem Aspekt der Stärkung sowohl der Eltern als auch der Mitarbeiter, denn
ansonsten ist es doch sehr schwierig, die Eltern überhaupt in Bezug auf ihre
Einstellungen oder Verhaltensweisen zu beeinflussen, obwohl das, nach meiner Erfahrung nicht so selten wirklich nötig wäre. Gleich Betroffene haben hier eine ganz andere
Legitimität, Glaub- und Vertrauenswürdigkeit.
So betrachtet ist die Einrichtung eines Angehörigenbeirats ein wichtiger
Schritt in Richtung Partnerschaft zwischen Eltern und Institution und sollte
in allen Einrichtungen der Behindertenhilfe üblich sein.
63
6.5. Empowerment
Neben dieser Sicht der Eltern als Partner hat sich in den letzten Jahren der
Empowerment-Gedanke entwickelt und mit diesem die Übertragung dieses Konzeptes
auf das Verhältnis Eltern-Fachleute. Der Begriff Empowerment, wörtlich etwa zu
übersetzen mit „Selbstbemächtigung“ oder „Selbstbefähigung“, bedeutet sinngemäß,
dass Betroffene ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen können, sich dabei
ihrer Fähigkeiten zunehmend bewusst werden und selber Ressourcen nützen können.
Er bedeutet eine Abkehr vom Bild des defizitären Klienten, der hilfsbedürftig in
Untätigkeit verharrt und keinerlei Kompetenzen hat. „Zentrale Aspekte der
Auseinandersetzung
mit
den
Anwendungsmöglichkeiten
des
Em-
powerment-Konzeptes bilden dabei:
¾ Die Übertragung einer Grundhaltung zwischen professionellen
Helfern und Betroffenen auf die Zusammenarbeit von Eltern und
Fachleuten
¾ Die
differenzierte
Betrachtung
elterlicher
Kompetenzen
im
Verständnis der Eltern als „Experten in eigener Sache“
¾ Die
Konkretisierung
der
Empowerment-Gedanken
auf
der
Handlungsebene“ (Eckert, 2002: 110).
Nun ist es notwendig, die Mitarbeiter in den Wohngruppen für diese Aspekte zu
sensibilisieren, ihnen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen und so reales
Handeln mit dem Gedanken des Empowerments im Hintergrund möglich zu machen.
So ist es wichtig zu vermitteln, dass die Eltern nicht ausschließlich überfordert, hilflos
oder gar „gescheitert“ sind, wenn sie ihrem Kind ein Leben in einem Heim ermöglichen,
sondern dass - im Gegenteil - dieser Entschluss auch ein Zeichen von
Handlungsfähigkeit, von selbstbestimmter Inanspruchnahme eines sozialen Angebotes
und auch von Zutrauen in die Fähigkeit des Kindes, sich zu entwickeln, und mag diese
noch so gering sein, bedeutet. Letztendlich ist es auch ein Zeichen großen Vertrauens
in die Gesellschaft, also in uns alle. Aber die Mitarbeiter müssen auch wissen, dass die
Eltern zunächst sehr verunsichert, emotional stark aufgewühlt und erschüttert sind. Sie
nun wieder zu „empowern“ ist Aufgabe der Mitarbeiter, wobei folgende Punkte wichtig
und notwendig sind:
¾
Die Mitarbeiter sollten differenzierte Kenntnisse zur Lebenssituation der Eltern
besitzen, dabei aber eine gute Balance zwischen professionellem Interesse und
dem Anspruch der Familien auf Privatheit finden.
64
¾
Konkrete praktische Hilfestellung in Form von Tipps oder Beratung für die Lösung
alltagspraktischer Probleme zuhause sollte selbstverständlich sein (Dabei ist
„Mitdenken“ der Mitarbeiter gefragt und auch die Fähigkeit, „Umsicht“ zu zeigen).
¾
Das explizite Anerkennen der elterlichen Leistungen und Erfahrungen, aber auch
das Ansprechen der besonderen Fähigkeiten und Stärken der behinderten Kinder
ist äußerst wertvoll für die Eltern. Dies stärkt sowohl Selbstbewusstsein der Eltern
als auch die Fähigkeit, sich von ihrem Kind zu lösen.
¾
Dies alles ist nur möglich, wenn die Mitarbeiter eine positive Einstellung zu den
Eltern, zu ihrer Arbeit mit ihnen, eine wertschätzende Gesprächshaltung sowie
Kenntnisse in Gesprächsführung und Beratung besitzen (Hierzu Näheres in Kapitel 6.6.1).
Ziel dieses „Empowerns“ der Eltern ist, ihnen bei der Realisierung eigener Bedürfnisse
zu helfen, sie bei der Erstellung eines neuen Lebenskonzeptes zu unterstützen, in dem
das behinderte Kind einen selbstverständlichen Platz hat, aber nicht mehr die
„Steuerungsfigur“ darstellt.
Aber auch der Aspekt der elterlichen Kompetenzen muss den Mitarbeitern konkret
verdeutlicht werden, da sich viele diese Tatsache gar nicht vorstellen bzw. sie nicht
realisieren können. Wie Theunissen und Garlipp es 1999 treffend beschrieben haben,
erwachsen Eltern von geistig behinderten Kindern starke Kompetenzen. Durch das Leben
mit
den
schwierigen
Herausforderungen
(z. B.
ständige
Fürsorge
und
Beaufsichtigung, viele Arztbesuche und Behördengänge, Entwicklung immer neuer
Anregungsmöglichkeiten und Suchen sozialer Räume für das Kind, Kontaktsuche zu
anderen Betroffenen usw.) entwickeln die Eltern verschiedene Stärken wie
Bewältigungskompetenz, Alltagskompetenz, kognitive und fachliche Kompetenz, soziale Kompetenz, Appraisal-Kompetenz und nicht zuletzt große pädagogische
Kompetenz (vgl. Theunissen / Garlipp, 1999: 53 ff).
Damit
verbunden
sehe
ich
auch
noch
die
Entwicklung
besonderer
Schlüsselqualifikationen der Eltern behinderter Kinder wie Kommunikations- und
Koordinierungsfähigkeit,
Organisationsvermögen,
Verantwortungsbewusstsein,
Kreativität
und
innere
Flexibilität
Lernbereitschaft
und
sowie
Durchhaltevermögen. Diese Kompetenzen und Qualifikationen zeichnen die Eltern,
ohne sie idealisieren oder die Probleme nivellieren zu wollen, aus und prägen auch ihr
sonstiges Leben z. B. im gesellschaftlichen Leben, im Beruf und im Privatleben. Wenn
Mitarbeiter dieses anerkennen könnten, würde es unmittelbar die Einstellung
gegenüber den Eltern und damit die Grundlagen der Zusammenarbeit verändern. Auch
65
nach der Heimaufnahme des Kindes, oder besser gesagt, gerade erst nach dieser
Lebensveränderung für die Eltern können ihre Fähigkeiten im Sinne aller Beteiligten
zum Tragen kommen und so auch von den Mitarbeitern für sich genutzt werden (siehe
meine Rollenbeispiele im Kapitel 4.2.).
Wenn Eltern das Gespräch mit den Mitarbeitern über ihr Kind suchen, wenn sie implizit
die Individualität ihres Kindes einfordern, wenn sie Kritik beispielsweise am Aussehen
des Kindes äußern, geschieht auch all das aus dem intuitiven Wissen um ihre Rolle
und ihre Bedeutung für das Kind. Sie wollen damit auch zum Ausdruck bringen, dass
das Kind nach wie vor Familienangehöriger ist und auch noch „in einen anderen Stall“
gehört. Auch wenn es bei den Mitarbeitern (z. B aufgrund deren anstrengender
Arbeitssituation) dann oft als unangebrachte Kritik ankommt, weil sie es persönlich
nehmen, ist es in der Regel so nicht gemeint sondern Ausdruck elterlichen
„Empowerments“. Wenn Eltern sich trotz der Rollenprobleme, der asymmetrischen
Machtverhältnisse,
ihrer
Unsicherheit
und
Bewältigungsprobleme
oder
der
Anpassungsschwierigkeiten an die Heimsituation trauen, ihre Gedanken und Gefühle
zu äußern, ist dies unbedingt anerkennenswert und sollte nicht gleich als unangemessen verurteilt werden. Auch Theunissen bemerkt dazu im Zusammenhang mit der
Schilderung eines Falles: „Dass beide Eltern dabei den Konflikt mit
pädagogischen
Fachkräften
nicht
scheuen,
ist
ebenfalls
ein
Ausdruck von Stärke und pädagogisch kompetenter Parteinahme und
nicht
etwa
-
wie
es
helfende
nur
Berufe
auszulegen
versuchen
-
ein
psychische
Probleme
(Verletzungen)
Hinweis
oder
mitunter
auf
einseitig
unbewältigte
Durchsetzung
von
Eigeninteressen“ (Theunissend, 1999: 111).
Dabei muss natürlich nicht alles berechtigt sein und kann evtl. wirklich auch Ausdruck
von Konflikten auf einer anderen Ebene sein, die die Eltern sich nicht anzusprechen
trauen, oder die ihnen so gar nicht bewusst sind, aber dennoch muss das Anliegen
unbedingt ernstgenommen werden, auch wenn dies vielleicht nur symbolischen Wert
hat.
Kritische Eltern sind sich kümmernde Eltern - ein in erster Linie
wünschenswertes Faktum!
66
6.6. Verbesserungsperspektiven auf verschiedenen Ebenen
6.6.1. Die Ebene der Mitarbeiter
Zur Auflösung der Konflikte zwischen Eltern und Mitarbeitern können nach Klauß und
Wertz-Schönhagen (1993) Fortbildungen für Mitarbeiter dienen, die zur Einstellungsund Verhaltensänderung beitragen sollen, da sich die strukturell angelegten
Spannungen
in
Einstellungen
und
im
Verhalten
niederschlagen.
In
diesen
Fortbildungen soll den Mitarbeitern Wissen über die strukturell angelegten Probleme
mit den Eltern vor dem Hintergrund biographischen und systemischen Denkens
vermittelt werden. Sie können sich in solchen Fortbildungen affektiv mit den Eltern und
dem gemeinsamen Verhältnis auseinander setzen. Auch Möglichkeiten und Grenzen
des eigenen Handelns und des gemeinsamen Handelns mit den Eltern können so
erarbeitet werden. Zentral für diese Fortbildungen sind zwei leitende Fragestellungen:
1. „Wie
können
Aufgaben
Erzieher
Eltern
bei
der
Bewältigung
dieser
[z. B. Bewältigung der Behinderung, der Heimunterbringung und der
Ablösung, G.K.] unterstützen?
2. Wie
können
Erzieher
sich
die
positive
Einstellung
Eltern
gegenüber aneignen, die Voraussetzung für diese Hilfestellung
und für eine Kooperation mit ihnen darstellt?“ (Klauß / WertzSchönhagen, 1993: 310).
„Der Begriff der Einstellung ist eines der zentralen Konzepte
innerhalb der Sozialpsychologie. Es handelt sich dabei um ein
komplexes Konstrukt, das der Tatsache Rechnung trägt, dass wir
allen Menschen und Dingen, denen wir begegnen, mit bestimmten
dauerhaften
Glaubensannahmen
Neigungen,
und
Dispositionen,
Wissensinhalten
Empfindungen,
gegenübertreten“
(Forgas,
1999: 192). Einstellungen haben eine kognitive, eine affektive und eine conative
Komponente, so dass Einstellungsveränderungen jeweils bei diesen drei Komponenten
ansetzen müssen. Durch die Vermittlung von Wissen über die Geschichte der Familien
mit behinderten Kindern, durch Aufzeigen der strukturell bedingten Probleme zwischen
Eltern und Heim aber auch durch Beleuchten der konfliktträchtigen Verhaltensweisen
beider Seiten kann die kognitive Einstellungskomponente verändert werden. Ebenso
kann sie durch die praxisnahe Darstellung des Empowerment-Konzeptes als
grundlegender Haltungseinstellung gegenüber Angehörigen behinderter Menschen
sowie hiermit verbundener Gedanken der Partnerschaft mit ihnen positiv beeinflusst
67
werden. Hier könnte man den Mitarbeitern auch ganz konkrete Tipps für
partnerschaftliches Verhalten geben.
Weiterhin gehören – als affektive Einstellungskomponente – zu einer positiven
Einstellung gegenüber den Eltern Einfühlungsvermögen in die Situation und
Betroffenheit
der
Eltern,
aber
auch
Auseinandersetzung
mit
der
eigenen
gefühlsmäßigen Beteiligung an der Interaktion. In diesem Zusammenhang könnten
z. B. das gezielte gemeinsame Erarbeiten von Literatur Betroffener oder Gespräche mit
bereitwilligen betroffenen Eltern hilfreich sein. Aber gerade auch für jüngere
Mitarbeiter, die vielleicht selbst noch in Auseinandersetzungen mit den eigenen Eltern
verstrickt sind, wäre eine Reflexion dieser Einstellungen wichtig.
In diesen Zusammenhang gehört auch die gezielte Förderung bzw. Einübung der
Fähigkeiten von Mitarbeitern zur Intuition und Empathie. Dies könnte durch
Rollenspiele, Videofeedback und Übungen und Umgang mit kreativen Medien
geschehen. Gerade sensible Intuition kann Gespräche mit den Eltern initiieren und
Gelegenheiten der Begegnung für das Ansprechen grundlegender Probleme nutzen.
„Aus
pädagogischer
Sicht
stellt
Intuition
eine
wesentliche
Voraussetzung für das Verstehen des anderen in seiner Eigenheit
dar. Neben dieser Verstehensleistung wirkt aber die Intuition
immer auch als Impuls, als fruchtbarer Moment für die zutreffende und „richtige“ Handlung des Erziehers oder der Pädagogen“
(Ackermann, 2000: 59). Das gilt insbesondere auch für die Beziehung zwischen
Erziehern und Eltern, wo Intuition vielleicht die stärkste Kraft ist, die oft großen
Erfahrungsunterschiede, die auseinanderklaffenden Lebenswirklichkeiten und die
unterschiedliche Bedeutung der Behinderung des Kindes für die Eltern und die
Erzieher fruchtbar zu überbrücken. Gerade Intuition kann die Wahrnehmung der
elterlichen
Motive
schärfen
und
so
vorschnelles
Verurteilen
elterlicher
Verhaltensweisen verhindern.
Die conative Einstellungskomponente kann positiv beeinflusst werden durch die
Vermittlung von Verhaltenskompetenz und Verhaltenssicherheit an die Mitarbeiter, die
dadurch gegenüber den Eltern Vorstellungen von Handlungsmöglichkeiten und
Handlungschancen, aber auch die Grenzen ihrer Aufgaben erkennen können.
„Erzieher sind keine Familientherapeuten, Familienrichter oder
Anwälte“ (Klauß / Wertz-Schönhagen, 1993: 311). In solchen Fortbildungskursen
sehen Klauß und Wertz-Schönhagen zahlreiche Möglichkeiten, um die Kommunikation
zwischen Eltern und Betreuern effektiv zu verbessern.
68
Kemme (1999: 103) erscheint dies zu einseitig: „Für die Eltern muss ebenso
die
Möglichkeit
Einstellungen
ihres
geschaffen
und
Kindes
den
werden,
Konflikten
allgemein
und
sich
aktiv
bezüglich
der
der
mit
ihren
Heimaufnahme
Zusammenarbeit
mit
den
MitarbeiterInnen auseinanderzusetzen. Nur so werden die Eltern
und
ihre
Sichtweise
wirklich
ernstgenommen,
und
es
kann
sichergestellt werden, dass auch dort direkte Einstellungs- und
Verhaltensveränderungen erzielt werden. Die Eltern müssen mit
ihren
Ängsten
und
Unsicherheiten
als
Person
ernstgenommen
werden“ (1999: 103). [Möglichkeiten hierzu beschreibe ich auf der Ebene der Institution,
siehe Kapitel 6.6.2.]
Ein weiterer, mir wesentlich erscheinender Aspekt auf der Mitarbeiterebene ist ihre
Unterrichtung in Techniken der Gesprächsführung mit Eltern von geistig behinderten
Kindern. Klauß forderte 1998 die „Gesprächsführung als sonderpädagogische
Basiskompetenz“ (1998: 266 ff.) und stellte fest, dass es sich bei diesen Gesprächen
zwischen Eltern und Mitarbeitern sowohl um Teamgespräche als auch um Gespräche
unter Konkurrenten handelt. Angesichts dieser Komplexität reicht es, so Klauß, nicht
mehr aus, Pädagogen mit einer personenzentrierten Gesprächsführung nach Rogers
vertraut zu machen, so wertvoll und notwendig die Variablen der unbedingten
Wertschätzung, der Echtheit und Selbstkongruenz sowie des einfühlenden Verstehens
nach wie vor sind. Wichtig sind ebenso Kenntnisse über Diagnostik von
Gesprächssituationen,
über
Bedingungen
effektiver
Teamgespräche,
über
elternbezogene Themen und Störfaktoren in der Angehörigenarbeit. Dabei ist zur
Vermeidung von Kommunikationsproblemen das Beachten verschiedener Gesprächsphasen sehr wichtig. Klauß hebt besonders hervor, dass Gesprächsmoderation
eine Kompetenzorientierung (im Sinne von Empowerment) bedeutet: „Wenn ihre
[der Eltern, G.K.] Erfahrungen genauso eingeholt, ihre Erklärungen
für das Verhalten ihres Kindes ebenso gefragt sind und geprüft
werden wie die der Professionellen, wenn bei der Entscheidung
berücksichtigt
bedeutet,
und
wird,
was
wenn
bei
ein
der
angestrebtes
Planung
Ziel
der
auch
für
sie
Realisierung
von
Vereinbarungen klare Prioritäten zur Sprache kommen und Möglichkeiten
und
Moderation
(1998: 285).
Grenzen
für
ein
berücksichtigt
ausgewogenes
werden,
Verhältnis
dann
der
sorgt
die
Kompetenzen“
69
Einstellungsänderungen
auf
der
Mitarbeiterebene
und
bessere
Ausbildung im konkreten Umgang mit den Eltern sind unerlässliche
Bausteine auf dem Weg zu einem Heim, in dem sich auch die Eltern
heimisch fühlen. Aber erst eine bewusste Wahrnehmung der Eltern und
ihrer Bedürfnisse und die Erkenntnis der Relevanz adäquater Elternarbeit
auf der Ebene der Institution gibt den Mitarbeitern einen geeigneten
Rahmen für ihre Bemühungen.
6.6.2. Die Ebene der Institution
„Zu wünschen ist vor allem, dass von den Einrichtungen und ihren Leitungen
eine neue Qualität des Zusammenwirkens mit Eltern für nötig erachtet, gewollt,
und als Bestandteil der Arbeit der Erzieher anerkannt wird“, forderten Klauß /
Wertz-Schönhagen schon 1993 (14).
1998 stellten Schroll-Decker und Kempfle in ihrer Studie „Angehörigenarbeit in
Einrichtungen der Behindertenhilfe auf dem Prüfstand (Eine Situationsanalyse
aus dem Raum Regensburg)“ fest, dass alle (15) befragten Einrichtungen
Angehörigenarbeit als selbstverständlich ansahen. „Manche stellen dabei mehr
die Wünsche der Behinderten nach Kontakt zu ihren Verwandten in den
Mittelpunkt;
andere
betonen
den
intensiven
Einfluss
von
Eltern
und
Angehörigen, der nicht ausgeklammert werden kann“ (1998: 129). Feste
Konzepte zur Elternarbeit, so die Autoren der Studie, gäbe es aber keine, zu
individuell seien die familiären Probleme und es sei eher eine bedarfs- und
fallorientierte Handlungsweise angezeigt. „Hier steht die Partnerschaftlichkeit
als Leitsatz für Angehörigenarbeit an vorderster Stelle“ (129). Nochmals fünf
Jahre später hat sich an diesem Leitmotiv der Angehörigenarbeit nichts
geändert. Hinzu gekommen ist noch ein weiteres Motiv für diese Arbeit: In
unserer heutigen, finanziell schwierigen Zeit für die Behindertenhilfe, müssen
die Institutionen auf die Eltern als Ressourcen zurückgreifen können, wenn sie
Gelder für die behinderten Menschen fordern. Denn den Eltern kann man keine
Vorwürfe machen, wenn sie ein Höchstmaß an Selbstbestimmung für ihre
Kinder einfordern, den Institutionen unterstellt man dagegen oft eigene, finanzielle Interessen (vgl. Wiemerd, 2003: 36).
70
Auf institutioneller Ebene sollte also die Verankerung des Postulats nach
partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Eltern sowohl im Leitbild als auch
der Einrichtungskonzeption selbstverständlich sein. Das Erstellen einer eigenen
Konzeption für die Arbeit mit den Eltern könnte m. E. Ausdruck der
tatsächlichen Umsetzung dieses Postulats und Grundlage für eine echte
Familienorientierung der Einrichtung sein. Vor dem Hintergrund meiner, auf der
Mitarbeiterebene beschriebenen Verbesserungsvorschläge, sind Angebote von
Mitarbeiterschulungen
mit
den
oben
beschriebenen
Inhalten
zwingend
notwendig und sollten für alle Mitarbeiter verpflichtend sein. Ebenso notwendig
sind
ausreichende
Zusammenhang.
Gruppen-
Sinnvoll
und
wären
Einzelsupervisionen
ein
gewisses
in
Zeitdeputat
diesem
und
die
Berücksichtigung der „zwangsläufigen“ Elternkontakte am Wochenende im
Dienstplan.
Ebenso
sinnvoll
könnte
die
Bereitstellung
geeigneter
Räumlichkeiten für längere Elterngespräche sein.
Der größte Wunsch des von mir befragten Wohnbereichsleiters war die Bitte
„um einen kleinen Geldtopf für Elternarbeit, schon ca. 15 Euro pro
Bewohner/Jahr wären hilfreich“, wobei mit dieser Bitte die Ebene der Institution
verlassen wird. Im Gegensatz zur Jugendhilfe, wo es für die Arbeit mit den
Eltern eine gesonderte Finanzierung gibt, zahlt der Kostenträger in der
Behindertenhilfe keinen Beitrag für diese Arbeit, ein Faktum, das sich in dieser
Zeit auch sicher nicht so schnell ändern wird. Die Institution muss sich in
diesem
Zusammenhang
fragen,
inwieweit
Gelder
anderen
Ursprungs
(Förderverein, Spendengelder usw.) möglicherweise an dieser Stelle eine
sinnvolle Investition darstellen würden. Aber auch Überlegungen, ob die Eltern
selbst sich mit einem kleinen Kostenbeitrag daran beteiligen wollen, halte ich für
gar nicht so unrealistisch.
Die Eltern sollten 1x jährlich zu einem möglichst offenen Gespräch über ihr Kind
mit allen dieses betreuenden Fachleuten eingeladen werden, so dass ein
interdisziplinärer
Gedankenaustausch
realisiert
wird
(
Entwicklungsplanungsgespräch).
Das Angebot an die Eltern, eine Angehörigenvertretung zu wählen sollte
selbstverständlich sein. Als nicht demokratisch empfinde ich beispielsweise,
71
wenn sich, wie ich es aus einer Einrichtung erfahren habe, die Mitglieder dieser
Vertretung automatisch nur aus den Mitgliedern des Fördervereins rekrutieren.
Sinnvoll könnte auch die zusätzliche Ausbildung eines engagierten Mitarbeiters
zum „Eltern-“ oder „Familienbeauftragten“ sein. Dieser sollte eng mit der
Angehörigenvertretung zusammenarbeiten, könnte die Fortbildungen für die
Mitarbeiter maßgeblich mitgestalten und wäre Ansprechpartner für Eltern, aber
auch für Mitarbeiter.
Anschließend an Kemmes Einwand, dass Schulungen lediglich auf der
Mitarbeiterebene nicht ausreichen und die Eltern mit ihren Bedürfnissen ernst
genommen werden müssen (s. Kapitel 6.6.1.), sowie an meine Ausführungen
zu den Konfliktbereichen (s. Kapitel 4.4.4.) plädiere ich für ein speziell an die
Eltern der Heimbewohner gerichtetes Angebot. Für relativ „neue“ Eltern sollten
regelrechte „Einführungskurse“ angeboten werden, in denen verschiedene
Punkte thematisiert werden könnten:
¾ Aufklärung über den Wohngruppenalltag und die Heimstrukturen
¾ (In kleinen Gruppen:) Ansprechen der elterlichen Befindlichkeiten im
Umgang mit dem Heim (Ängste, Befürchtungen, Probleme, Wünsche etc.)
¾ Möglichkeiten
zur
aktiven
Auseinandersetzung
mit
dieser
Situation
(Gesprächsmöglichkeiten mit „alten“ Eltern usw.)
¾ Infos über therapeutische / seelsorgerische Angebote der Institution und
Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern.
Sehr gut fände ich auch für Eltern und Wohngruppenmitarbeiter gemeinsame
Fortbildungsangebote, z. B. mit den Themen Selbstbestimmung, Sexualität
oder Altern des behinderten Menschen. Hierin käme gerade das gemeinsame
Bemühen um das Wohl des behinderten Menschen zum Ausdruck. Gerade das
Thema „Selbstbestimmung“ ist für viele Eltern behinderter Kinder völlig neu,
obwohl es in der Fachliteratur schon seit Jahren diskutiert wird. Wie dies
konkret im Gruppenalltag verwirklicht wird, was es konkret bedeuten kann und
wie sich alle im Trialog beteiligen können, ist für viele Eltern sicher sehr
interessant und bedarf dann eines unmittelbaren Gedankenaustausches mit
den Betreuern ihrer Kinder.
72
Elternarbeit in einer Institution ist zu wichtig, als dass sie nur
Imagepflege der Einrichtung oder bloße Kontaktpflege zu den Eltern
darstellen darf. Sie muss vielmehr auf jeder Ebene die Bedürfnisse
der Eltern im Focus haben (sie evtl. auch direkt erfragen!) und sich
entsprechend gestalten.
7.
Konzeptionelle Überlegungen
7.1. Vorüberlegungen
Jedes Konzept für die Arbeit mit Eltern findet seine Grenze in der Tatsache, dass die
Eltern und ihre Beziehungen zu ihren Kindern genauso individuell und unterschiedlich
sind wie ihre Bedürfnisse und persönlichen Ressourcen. Primär muss sich jeder
Kontakt zu den Eltern, jede Unterstützung ihrer Bedürfnisse sensibel am Einzelfall
orientieren und Rücksicht auf die individuelle Lebenswelt der Eltern nehmen. Dies ist
sicher auch einer der Gründe, warum es z. Zt. noch keine Konzepte für die Elternarbeit
in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe zu geben scheint. Meine diesbezügliche Anfrage bei ca. zehn verschiedenen Einrichtungen unterschiedlicher Größe und
auch bei der zentralen Abteilung für Wohnen bei der Lebenshilfe in Marburg ergab,
dass überall Elternarbeit als immens wichtig erachtet wird, diese in der alltäglichen
Arbeit untrennbar mit der gesamten Arbeit verbunden ist, es aber kein explizites
Konzept hierfür gibt, sondern dies immer ein wichtiger Punkt im Gesamtkonzept der
Einrichtung ist.
Um Elternarbeit nicht auf der Stufe bloßen „reaktiven“ Handelns zu belassen, durch
eine gewisse Strukturierung zu fundieren, aber auch um die mir möglich erscheinenden
Ansätze für die Elternarbeit zusammenzufassen, habe ich den Versuch unternommen,
einen (groben) Konzeptentwurf zur Elternarbeit in Wohnstätten für geistig behinderte
heranwachsende und erwachsene Menschen aufzustellen, wobei ich dies als den
Anfang konzeptioneller Überlegungen oder auch als Baustein auf dem Weg zu einer
Konzeption ansehe. Da sich m. E. Arbeit mit Eltern jüngerer Kinder eng an den
Entwicklungen in der Jugendhilfe orientieren müsste und anders motiviert ist (z .B. weil
eine Rückführung des Kindes in die Familie geplant ist oder noch keine Bindung
zwischen Eltern und Kleinkind besteht), gehe ich hierauf in diesem Zusammenhang
nicht ein.
73
7.2. Konzeptentwurf
Vorwort: Eltern und andere Angehörige gehören zum Leben eines jeden Menschen,
und durch die Heimaufnahme bleibt selbstverständlich auch der behinderte Mensch
Mitglied seiner Familie. Eltern von Menschen mit Behinderungen sind in einer anderen
persönlichen Situation als die professionellen Fachkräfte. Als Betroffene haben sie eine
andere Lebenswirklichkeit als die Mitarbeiter der Einrichtung. Respekt, sensible
Akzeptanz und Wertschätzung der Eltern in ihrer besonderen Situation muss die
Grundlage der Beziehungen zwischen Eltern und Mitarbeitern sein. Elternarbeit ist
dabei der Versuch, Eltern in ihrer persönlichen Lage, die gekennzeichnet ist durch die
Bewältigung der Tatsache der Behinderung und aber auch der Heimunterbringung
ihres Kindes Unterstützung zukommen zu lassen und die Beziehung zwischen Eltern
und Kind vom Heim aus adäquat zu unterstützen.
1. Zielgruppe: Primäre Zielgruppe sind die Eltern der Heimbewohner, sekundäre
Zielgruppe aber auch weitere Angehörige (z. B. Großeltern, Geschwister), wobei hier
spezifische Angebote sinnvoll und nützlich sind.
2. Ziele der Elternarbeit:
¾ Aufbau einer vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den
Eltern zum Wohle des Heimbewohners
¾ Transparenz der pädagogischen und institutionellen Arbeit
¾ Unterstützung des Ablösungsprozesses zwischen Eltern und Kind und damit
Unterstützung bei der Findung neuer Rollen
¾ Unterstützung des behinderten Menschen bei der Kontaktpflege zu seinen
Angehörigen.
3. Formen der pädagogischen Elternarbeit in der Wohngruppe:
¾ Hierzu
gehören
sämtliche
Maßnahmen,
die
der
Kontaktpflege,
dem
Informationsaustausch und der Beratung der Eltern dienen, wobei dies von „Tür
und
Angelgesprächen“
über
Elternbriefe,
Telefonate,
Einzelgespräche,
gemeinsame Unternehmungen, Feste, Bildungsmaßnahmen usw. bis hin zu
Hospitationen der Eltern auf der Wohngruppe reichen kann. Im Zusammenhang mit
der Heimaufnahme ist die Vermittlung von „Eltern-Paten“ und die Mitgabe eines
Infoblattes mit sämtlichen relevanten Angaben (Mitarbeiter, Telefonnummern usw.)
sinnvoll.
¾ Zu beachten sind dabei zwei Phasen: Die Aufnahmephase, in der Zeit und Raum
für längere Gespräche mit den Eltern gegeben sein müssen, und die
74
Fortsetzungsphase bzw. Kontaktaufrechterhaltungsphase, in der flexibel auf
mögliche Probleme der Eltern reagiert werden muss. Handlungsleitendes Motiv ist
in diesem Zusammenhang sensibles Erfragen der elterlichen Bedürfnisse und die
Intention, permanent im Gespräch zu bleiben. Hilfreich kann in diesem
Zusammenhang eine offizielle „Sprechstunde“ zu den Abhol- oder Rückbringzeiten
der Kinder am Wochenende sein, wobei hier entsprechende Regelungen im
Dienstplan erforderlich sind.
¾ Bei unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten kann die Hilfe einer dritten
Person
(z. B.
Psychologe
des
Heimes,
Sozialpädagoge
des
gruppenübergreifenden Dienstes etc.) in Anspruch genommen werden.
¾ Die Eltern sind ausdrücklich auf ihre formellen Mitwirkungsmöglichkeiten in der
Institution hinzuweisen bzw. zu ermutigen, sich dort zu beteiligen.
4. Formelle Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern:
¾ Angehörigenbeirat der Institution
¾ Teilnahme am jährlichen Entwicklungsplanungsgespräch für den behinderten
Menschen.
5. Zusätzliche institutionelle Angebote für die Eltern:
¾ Workshops / Seminare / Kurse mit bestimmten Themen (z. B. Sexualität, Ablösung,
Umgang mit der Wohngruppe, Infos über Heimstrukturen, Biographiearbeit etc.)
¾ Begleitung durch Familientherapeuten / Psychologen
¾ Seelsorgerische Unterstützung
¾ Familienbeauftragter.
6. Anforderungen an die Wohngruppenmitarbeiter:
Pädagogische Elternarbeit im Sinne dieser Konzeption ist primär Aufgabe der
Wohngruppenmitarbeiter, da diese in unmittelbarem Kontakt sowohl mit dem Kind als
auch den Eltern stehen. Damit sie diese Aufgabe erfüllen können, sind folgende
Maßnahmen nötig:
¾ Fortbildung (Themen: Grundlagen der Elternarbeit, Gesprächsführung) Diese
Fortbildung ist für alle Wohngruppenmitarbeiter verpflichtend.
¾ Supervision (Gruppen- / Einzelsupervision nach Bedarf).
75
7. Evaluation:
Jährliche Evaluation der Elternarbeit (z. B. durch Befragung der Eltern, Auswertung im
Team und Selbstevaluation durch die Mitarbeiter der Wohngruppe).
8. Schlussbetrachtung
Wenn Eltern ihr behindertes Kind am ersten Tag im neuen Zuhause an die
professionellen Mitarbeiter in einer Wohnstätte für geistig behinderte Menschen
vertrauensvoll „übergeben“, sehen sich die Mitarbeiter nicht nur dem Menschen mit
Behinderung gegenüber sondern auch einer Schicksalsgemeinschaft, die zumeist zwei
große Rucksäcke dabei hat. Der eine enthält eine oft lange, von Höhen und Tiefen
geprägte, gemeinsame Lebensgeschichte, verschiedene Versuche der Bewältigung
dieses Lebens, der Bewältigung dieser Bewältigungsversuche und aber auch die
tatsächliche
Bewältigung
vieler
Krisen,
gemeinsame
Probleme,
Erfahrungen,
Erinnerungen, Erlebnisse und letztendlich viele, noch ungelöste und jetzt aufgewühlte
Gefühle, die angesichts der radikalen Lebensveränderung besonders virulent werden.
Und ganz obenauf liegt die Hoffnung der Eltern auf eine gute Zukunft für die ganze
Familie unter neuen Lebensbedingungen (Kapitel 1 und 2). Der andere Rucksack
enthält die Kleidung des neuen Heimbewohners. Die Betreuer „übernehmen“ Kind und
Kleiderrucksack, gestalten mit dem Kind ihren neuen Arbeitsalltag, bleiben mehr oder
weniger lang, mehr oder weniger intensiv, auf jeden Fall aber immer nur zeitweise mit
ihm zusammen und ermöglichen dem Kind durch ihren geschulten, ganzheitlichen
Blick völlig neue Entwicklungsperspektiven (Kapitel 3). Und die Eltern gehen wieder
nach Hause, alleine und schwereren Schrittes, als sie kamen. Denn ihren Rucksack
nehmen sie wieder mit, und er ist noch ein bisschen schwerer geworden.
Dieser
Rucksack,
Machtverhältnisse,
das
Spannungsfeld,
strukturell
konfliktträchtig
Rollenprobleme,
angelegte
asymmetrische
Konkurrenzsituation
(„Kaukasischer Kreidekreis“), mangelndes Wissen umeinander, dazu evtl noch
„normale“ mitmenschliche Probleme (Kapitel 4), – die notwendige, befriedigende
Zusammenarbeit zum Wohle des behinderten Menschen (Kapitel 5), aber auch zur
Zufriedenheit der anderen Beteiligten ist auf schwankendem Fundament gebaut. Je
bewusster sie auf jeder Ebene der Einrichtung im Fokus der Wahrnehmung steht,
desto fester kann das Fundament werden (Kapitel 6 und 7).
76
Nach intensiver Auseinandersetzung mit diesem Thema kann ich folgendes Fazit
ziehen: Genauso normal wie die Tatsache, dass Eltern ihre Kinder lebenslang
begleiten wollen (und sei es auch nur gedanklich), dass sie möglicherweise lebenslang
das Thema Behinderung bearbeiten wollen und müssen (weil auch dies normal ist),
sollte es für die Mitarbeiter in Heimen normal sein, dass sie um die strukturell
bedingten Probleme wissen (weil auch diese normal sind), sich gezielt auf diese
Thematik vorbereiten und dann auf die Eltern zugehen können.
Während der Bearbeitung der Diplomarbeit kam ich mir selbst oft „wie ein Wanderer
zwischen diesen Welten“ vor, hatte teilweise Bedenken, dass ich die Situation zu
negativ darstelle (wobei ich in der heutigen Zeit finanzieller Restriktionen die Gefahr
der Verschärfung von Konflikten in diesen Konstellationen sehe), hätte selbst gerne
noch mehr Lösungsmöglichkeiten im Detail dargestellt (was den Rahmen dieser Arbeit
aber gesprengt hätte) und habe besonders die Tatsache der beiden verschiedenen
Perspektiven in ihrer letztendlichen Unauflösbarkeit als sehr schwierig empfunden,
aber gerade auch als professionelle Herausforderung. Erst nach der Bearbeitung
dieses Themas kann ich auch als Mutter viele Situationen mit den Betreuern in einem
anderen Licht sehen, eigene Verhaltensweisen hinterfragen und Reaktionen der
Betreuer meines Sohnes anders werten als zuvor. Mangelndes Wissen umeinander
und die besondere Situation lässt beide Personengruppen noch zusätzlich gegenseitig
„niedere“ Motive unterstellen und die jeweiligen Stärken des Anderen zum Vorwurf
werden, eine noch zusätzliche, völlig überflüssige und in seinen Auswirkungen fatale
Folge (wenn die Eltern z.B. aus Verzweiflung den Kontakt zum Kind ganz abbrechen
oder die Mitarbeiter pauschal alle Eltern negativ sehen und die Arbeit mit ihnen
ablehnen).
Je mehr alle Beteiligten um diese besondere Normalität ihrer Lage wissen, desto
entspannter, optimistischer und vielleicht sogar humorvoller können dann alle mit
zwangsläufig auftretenden Meinungsverschiedenheiten oder konträren Vorstellungen
umgehen und sich dann vielleicht gemeinsam folgenden Gedanken von Karl König anschließen, die dieser in einem Brief an Eltern seelenpflegebedürftiger Kinder formuliert
hat:
„Was ich aussprechen wollte, wäre etwa das Folgende gewesen:
dass Sie, als Eltern, doch versuchen sollten, sich immer mehr
und mehr mit unserer Arbeit, die wir hier tun, zu verbinden.
Nicht nur, weil wir sie für Ihre Kinder tun, sondern weil sie
überhaupt
geschieht.
Denn
im
Zusammenhang
mit
behinderten,
zurückgebliebenen und seelenpflegebedürftigen Menschen entsteht
77
ein neues Gleichnis wahrhaftiger Menschlichkeit. Und es sind
nicht die Lehrer, Pfleger, Helfer und Ärzte, die dieses neue
Gleichnis schaffen; sie bemühen sich nur darum, es sichtbar zu
machen, so dass es – mit Goethes Wort - ein offenbares Geheimnis
wird. Wirklich aber schaffen es allein die Kinder, die Ihnen und
uns
anvertraut
sind:
Ihnen
als
weitesten Sinne“ (König, 1997: 105).
Eltern,
uns
als
Erzieher
im
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Heilpädagogik
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ihre
Nachbargebiete) Heft Nr. 68 (1999) 1, Freiburg: S. 23-35.
Weiß, Hans: Eltern stark machen! In: Zeitschrift Geistige Behinderung
3/2001 der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger
Behinderung e. V., Lebenshilfe-Verlag, Marburg: S. 210-222.
84
Weiß, Hans: Älter-Werden mit behinderten Angehörigen (Impulsreferat). In:
Bundesvereinigung Lebenshilfe: Familien mit behinderten Angehörigen,
Lebenswelten – Bedarfe – Anforderungen. Lebenshilfe-Verlag, Marburg:
2002, S. 167-177.
Wiemerc, Karl-Heinz W.: Nicht ohne meine Eltern! Erfahrungen eines
Angehörigenvertreters. In: Zeitschrift Orientierung Heft Nr. 1/2003, Hrsg.
Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe, Stuttgart: S. 19-20.
Wiemerd, Karl-Heinz W.: Angehörige - die natürlichen Profis. In: Zeitschrift
Orientierung Heft Nr. 1/2003, Hrsg. Bundesverband Evangelische
Behindertenhilfe, Stuttgart: S. 36-38.
Wolf-Stiegemeyer, Dorothee: Der (etwas?) andere Alltag von Müttern
schwerstbehinderter Kinder. In: Zeitschrift Behinderte in Familie, Schule
und Gesellschaft, Heft Nr. 3/2000, 23. Jg., Reha-Druck Graz, Praxisteil
S. 1-16.
Cartoons:
Christian Bob Born, Freiburg. In: Zeitschrift Orientierung Heft Nr. 1/2003.
Hrsg. Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe, Stuttgart: S. 11, 18.
Mit frdl. Genehmigung der Redaktion.