nachfolgegestaltung bei behinderten oder bedürftigen angehörigen

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nachfolgegestaltung bei behinderten oder bedürftigen angehörigen
Schwerpunktthema
Testament
Nachfolgegestaltung bei behinderten oder
­bedürftigen Angehörigen – der praktische Fall
von RA Dr. Ansgar Beckervordersandfort, LL.M., EMBA, FA ErbR, Münster
| Einem behinderten oder bedürftigen Angehörigen können Vermögens­
werte zugewendet werden, ohne dass der Sozialhilfeträger auf die
Vermögens­substanz oder die Erträge zugreifen kann (BGH 19.1.11, IV ZR 7/10,
ZEV 11, 258 – mit entsprechender Anmerkung von Wendt, Mitglied des Erb­
rechtsenats beim BGH, ZErb 12, 313). |
1. Typischer Sachverhalt
Die Eheleute E haben einen gemeinsamen Sohn S und eine gemeinsame
Tochter T. Der Sohn ist geistig behindert und bewohnt eine Einrichtung für
geistig Behinderte. Die Kosten werden vom Landschaftsverband (Sozialhilfe­
träger) getragen. Sowohl die Eltern als auch die Schwester engagieren sich
ehrenamtlich für die Einrichtung und spenden regelmäßig an den Förder­
verein der Einrichtung. Von der Krankenkasse oder dem Landschaftsverband
nicht getragene Therapiekosten zahlen sie regelmäßig selbst. Dies gilt auch
für die Kosten von Reisen und Hobbys des behinderten Sohnes. Die ­Schwester
ist gesetzliche Betreuerin des Bruders.
Die Eheleute möchten sichergestellt wissen, dass der behinderte Sohn auch
nach ihrem Tod jede sinnvolle Therapie erhält und insbesondere auch seinen
Hobbys nachgehen kann. Die Eheleute E betreiben gemeinsam ein Hand­
werksunternehmen mit 25 Mitarbeitern in der Rechtsform einer GmbH. ­Beide
sind Gesellschafter und Geschäftsführer. Zudem sind beide Eigentümer der
selbst bewohnten Immobilie.
Eltern möchten eine
optimale Versorgung
des behinderten
Kindes dauerhaft ...
„„ Beim Tode des Erstversterbenden soll der überlebende Ehegatte zunächst
sämtliche Vermögenswerte erhalten und ­darüber vollkommen frei
­verfügen können. Insbesondere in der GmbH muss die Handlungsfähigkeit
nach dem Tode des Erstversterbenden sichergestellt sein.
„„ Nach dem Tode des Längstlebenden sollen die Tochter und der Sohn
­gemeinsam erben, wobei die Vermögenssubstanz möglichst für die ­Familie
erhalten bleiben soll. Da die Tochter kein Interesse an dem ­Unternehmen
hat, soll langfristig ein langjähriger und sehr qualifizierter ­Mitarbeiter das
Unternehmen fortführen. ... sicherstellen, aber
Vermögenssubstanz
in der Familie
erhalten
2. Geeignete Gestaltung
Im Folgenden wird bewusst nur auf die für die Beteiligung von behinderten
Angehörigen relevanten Punkte eingegangen.
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ErBfolgebesteuerung
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Schwerpunktthema
2.1 Errichtung gemeinschaftliches Testament
Die Eheleute E sollten ein gemeinschaftliches Testament errichten. Aufgrund
der GmbH-Beteiligung und der Immobilie bietet sich die notarielle ­Beurkundung
an, da dann kein Erbschein benötigt wird. Wirksam ist aber auch ein privat­
schriftliches Testament.
2.1.1 Wechselseitige Erbeinsetzung bei Erstversterben
Die Eheleute E sollten sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben einsetzen.
Abweichend von der früher üblichen Gestaltung sollte der behinderte Sohn
nicht auch zum Vorerben eingesetzt werden, da die dann entstehende Erben­
gemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und dem behinderten
Sohn nicht dem Begehren der Eheleute E entspricht. Stattdessen erhält der
behinderte Sohn ein Vorvermächtnis mindestens in der Höhe seines Pflicht­
teils. Seit dem Urteilt des BGH vom 19.1.11 (a.a.O.) und der klaren Anmerkung
bzw. Empfehlung von Wendt, dürfte diese Gestaltung als vom BGH
­„abgesegnet“ gelten.
Musterformulierung 
Beim Tod des
Erstversterbenden:
Vorvermächtnis für S
/ Wechselseitiger Erbeneinsatz
Der Erstversterbende von uns beruft den überlebenden Ehegatten zu seinem
unbe­schränkten Alleinerben.
2.1.2 Längstlebende setzt beide Kinder zu Erben ein
Der Längstlebende setzt die beiden Kinder zu gemeinschaftlichen Erben ein,
wobei der behinderte Sohn nur Vorerbe wird.
Musterformulierung 
/ Vor- und Nacherbschaft
Der Längstlebende von uns und für den Fall, dass wir beide gleichzeitig oder kurz
nacheinander aufgrund des gleichen Ereignisses versterben ein jeder von uns,
beruft zu seinen Erben unseren behinderten Sohn S und unsere Tochter T. Unser
behinderte Sohn S ist allerdings nur nicht befreiter Vorerbe. Der Nach­erbfall tritt
mit dem Tod des Vorerben ein. Nacherbin ist unsere Tochter T, ersatzweise deren
Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
Längstlebende setzt
S zum nicht befreiten
Vorerben ein
2.1.3 Vorvermächtnis für behinderten Sohn S
Beim Tode des erstversterbenden Ehegatten muss der behinderte Sohn S bereits ein Vorvermächtnis mindestens in Höhe des Pflichtteils erhalten, da
der Sozialhilfeträger sonst den Pflichtteilsanspruch des Sohnes auf sich
überleiten und geltend machen könnte. Zudem sollte immer ein Vorver­
mächtnis in Höhe eines möglichen Pflichtteilsergänzungsanspruchs ange­
ordnet werden, weil lebzeitige Vermögensübertragungen in der Familie nie
ausgeschlossen werden können.
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Schwerpunktthema
Musterformulierung 
/ Vor- und Nachvermächtnis
„„ Unser behinderte Sohn S erhält bereits beim Tode des erstversterbenden Ehe­
gatten ein Vermächtnis in Höhe von 103 % des Werts seines sich sonst
­ergebenden Pflichtteilsanspruchs.
Vermächtnis in Höhe
des Pflichtteils­
anspruchs
„„ Ein jeder von uns ordnet unabhängig von der Reihenfolge unseres Versterbens
für den Fall, dass unserem behinderten Sohn bei einem der beiden Erbfälle im
Hinblick auf lebzeitige Zuwendungen des jeweiligen Erblassers an eine andere
Person Pflichtteilsergänzungsansprüche zustünden, als Vorausvermächtnis
die Zahlung eines baren Geldbetrags an. Dieser beträgt 103 % des Werts der
sich sonst ergebenden Pflichtteilsergänzungsansprüche.
„„ Unser behinderter Sohn S ist hinsichtlich der vorstehend angeordneten
­Vermächtnisse jedoch nur Vorvermächtnisnehmer. Das Nachvermächtnis fällt
mit seinem Tod an. Nachvermächtnisnehmerin ist unsere Tochter T, ersatz­
weise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
Nachvermächtnis
fällt an Tochter
„„ Bis zum Anfall des Nachvermächtnisses stehen die Nutzungen aus dem als
Vorvermächtnis zugewandten Geldbetrag dem Vorvermächtnisnehmer zu.
Hinsichtlich der Verwendung der Nutzungen gelten dieselben ­Beschränkungen
wie für die sonstigen Nachlassbeteiligungen des Vorvermächtnisnehmers.
Eingeschränkte
Nutzung des
Vermächtnisses
2.1.4 Anordnung Testamentsvollstreckung
Schließlich wird für den Erbteil und das Vorvermächtnis des behinderten
Sohnes noch Testamentsvollstreckung angeordnet. Es ist dabei darauf zu
achten, dass die Person des Testamentsvollstreckers und des Betreuers
nicht identisch sind, da sonst eine Interessenkollision vorliegt und die
­Bestellung eines Ergänzungsbetreuers erforderlich wird.
Musterformulierung 
/ Dauertestamentsvollstreckung
„„ Für die unserem behinderten Sohn S zugewendeten Vermächtnisse und
Erben­stellung ordnen wir Dauertestamentsvollstreckung an. Hierdurch ­wollen
wir erreichen, dass unserem Sohn aus seiner Beteiligung am Nachlass dauer­
haft ein angemessener Lebensstandard, der über das Niveau der Sozialhilfe
als staatlicher Grundversorgung hinausgeht, ermöglicht wird. Diese Ziel­
setzung wollen wir auch dann beachtet wissen, wenn in Zukunft aufgrund
­einer Änderung der derzeitigen Rechtslage die Anordnung von Dauertesta­
mentsvollstreckung in der hier getroffenen Weise nicht möglich sein sollte.
Ziel: Angemessener
Lebensstandard, der
über das Sozialhilfe­
niveau hinausgeht
„„ Aufgabe des Testamentsvollstreckers ist es, die Beteiligung unseres
­behinderten Sohnes am Nachlass, d.h. seinen Erbteil und einen ihm etwaig als
Vermächtnis zugewandten baren Geldbetrag zu verwalten. Er soll hierzu
­zunächst gemeinsam mit den Miterben den Nachlass in Besitz nehmen, Nach­
lassverbindlichkeiten erfüllen und sodann bei der Auseinandersetzung der
Erbengemeinschaft mitwirken. Danach soll er alle Vermögenswerte dauerhaft
verwalten, die unserem behinderten Sohn durch die Erbauseinandersetzung
oder die Vermächtniserfüllung zugefallen sind. Der Testamentsvollstrecker
nimmt bis zum Eintritt des Nacherbfalls insbesondere für die Auseinander­
setzung auch die Rechte des Nacherben und Nachvermächtnisnehmers wahr.
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Schwerpunktthema
„„ Im Wege der Verwaltungsanordnung nach § 2216 Abs. 2 BGB weist ein jeder
von uns den Testamentsvollstrecker verbindlich an, unserem behinderten
Sohn aus den jährlichen Reinerträgen des Nachlasses solche Geld- oder
Sachleistungen zuzuwenden, die der Verbesserung der Lebensqualität ­unseres
Sohnes dienen, auf die der Sozialhilfeträger aber nach den sozialhilferecht­
lichen Vorschriften (insbesondere Sozialhilfe, Grundsicherung) nicht zugreifen
kann und hinsichtlich derer eine Anrechnung auf die unserem behinderten
Sohn gewährte Sozialhilfe nicht in Betracht kommt.
Verwaltungs­
anordnung nach
§ 2216 Abs. 2 BGB
„„ Der Testamentsvollstrecker hat die Erträgnisse unter den vorstehenden Vor­
aussetzungen insbesondere in folgender Form zuzuwenden:
▪▪ angemessene Geschenke zum Geburtstag des S, zu den üblichen Feier­
tagen sowie zu besonderen Anlässen oder bei anderen Gelegenheiten, die
durch Sitte und Anstand geboten sind; bei der Auswahl der Geschenke hat
der jeweilige Testamentsvollstrecker auf die Bedürfnisse und Wünsche des
S Rücksicht zu nehmen,
Wünsche des
Behinderten bei
Geschenken
berücksichtigen
▪▪ Zuwendungen zur Befriedigung individueller geistiger und künstlerischer
Bedürfnisse sowie individueller Bedürfnisse bei der Freizeitgestaltung, ins­
besondere Hobbys, Güter des persönlichen Bedarfs, soweit deren Besitz
kein Luxus ist,
Finanzierung
von Hobbys
▪▪ Geldbeträge zur Finanzierung von Besuchsfahrten, Kur- und Ferienaufent­
halten sowie Bezahlung einer gegebenenfalls erforderlichen ­Begleitperson,
▪▪ Finanzierung ärztlicher Behandlungen, Heilbehandlungen, Therapien und
Medikamenten, Hilfsmitteln und Ausstattungsgegenständen, die von der
Krankenkasse oder sonstigen Trägern von Sozialleistungen nicht voll­
ständig getragen werden,
▪▪ Geldzuwendungen, die jedoch im Falle der Gewährung von Sozialleistungen
innerhalb des nach den einschlägigen sozialrechtlichen Bestimmungen
­zulässigen Rahmens bleiben müssen.
„„ Bei der Verwendung der Mittel kann der Testamentsvollstrecker nach billigem
Ermessen entscheiden, soll aber die Bedürfnisse und – soweit möglich – die
Wünsche unseres behinderten Sohnes berücksichtigen. Notfalls darf er auch
die Vermögenssubstanz aufbrauchen oder Verbindlichkeiten für den Nachlass
eingehen.
Auch Vermögens­
substanz darf
aufgebraucht werden
▪▪ Werden jährliche Reinerträge nicht in voller Höhe in der genannten Weise
verwendet, so soll der Testamentsvollstrecker sie nach seinem Ermessen
gewinnbringend anlegen und entsprechend der genannten Ziele ­verwenden.
Eine mündelsichere Geldanlage obliegt ihm nicht.
▪▪ Zum Testamentsvollstrecker ernennen wir unseren Steuerberater X. Sollte
dieser das Amt als Testamentsvollstrecker aus irgendeinem Grunde nicht
antreten können, so kann er einen geeigneten Ersatztestamentsvoll­strecker
bestimmen. Dies gilt auch, wenn der berufene Testamentsvollstrecker nach
Annahme des Amtes dieses niederlegt oder nicht mehr ausüben kann. Not­
falls soll das Nachlassgericht einen geeigneten Testamentsvollstrecker
­benennen.
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2.2 Pflichtteilsverzicht des Sohnes
Seit dem Urteil des BGH vom 19.1.11 (a.a.O.) sollte man zudem auf einen
Pflichtteilsverzicht des behinderten Sohnes nach beiden Ehegatten ­hinwirken.
Gemäß BGH ist ein solcher Pflichtteilsverzichtsvertrag nicht sittenwidrig. Da
die Tochter als Betreuerin gemäß § 1908i BGB i.V. mit § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB
von der Vertretung des Bruders bei dem Vertragsschluss mit den ­gemeinsamen
Eltern ausgeschlossen ist, muss ein Ergänzungspfleger ­bestellt werden.
­Zudem ist die Genehmigung des Familiengerichts gemäß § 1908i BGB i.V. mit
§ 1822 Nr. 1 BGB erforderlich. Im Falle einer Kombination mit der Erbschafts- oder Vermächtnislösung, möglicherweise sogar in ­derselben notariellen
­Urkunde, liegt der Pflichtteilsverzicht auch im wohlverstandenen Interesse
des Behinderten (so auch Freiherr von Proff, RNotZ 12, 272, 279).
Bestellung eines
Ergänzungspflegers,
Genehmigung des
Familiengerichts
3. Ausblick
Aufgrund der Möglichkeit einen wirksamen Pflichtteilsverzicht mit dem
­behinderten Angehörigen zu vereinbaren, erschließen sich zudem ganz neue
Gestaltungsmöglichkeiten für die Versorgung von behinderten Angehörigen,
da das Problem des überleitbaren Pflichtteilsanspruchs durch einen wirk­
samen Pflichtteilsverzicht gelöst ist. Der behinderte Angehörige muss daher
nicht mehr mit einer Vorerbschaft oder einem Vorvermächtnis mindestens in
Höhe des Pflichtteilsanspruchs bedacht werden. Um die Versorgung des
­behinderten Angehörigen sicherzustellen, kann ihm dann per Vermächtnis
z.B. ein Nießbrauch an einer Immobilie, einer Gesellschaftsbeteiligung oder
einem Wertpapierdepot zugewendet werden. Für dieses Vermächtnis müsste
dann wieder Dauertestamentsvollstreckung angeordnet werden.
Wirksamer Pflicht­
teilsverzicht eröffnet
neue Möglichkeiten
Auf diese Weise kann die Entstehung einer Erbengemeinschaft mit dem
längstlebenden Ehegatten bzw. den anderen Erben im Schlusserbfall
­vermieden werden, ohne dass die noch nicht höchstrichterlich geklärte ­Frage
nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen der noch nicht erfüllten Verbind­
lichkeit gegenüber dem Nachvermächtnisnehmer (§ 2174 BGB) und der
Ersatz­pflicht gegenüber dem Sozialversicherungsträger (§ 102 SGB XII) zu
entscheiden ist.
Offen: Konkurrenz­
verhältnis zwischen
Verbindlichkeit und
Ersatzpflicht
↘↘ Weiterführender Hinweis
archiv
•Beckervordersandfort, Nachfolgegestaltung bei behinderten oder bedürftigen ­Angehörigen,
ErbBstg 13, 83 ff.
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Ausgabe 3 | 2013
Seite 83–88
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