Editorial von Benji Wiebe Auf ein Wort von Heiko Prasse

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Editorial von Benji Wiebe Auf ein Wort von Heiko Prasse
DIE BRÜCKE
TÄUFERISCH-MENNONITISCHE GEMEINDEZEITSCHRIFT · NR. 6/2010
November / Dezember Jahrgang 2010 5 Euro
Als Gemeinde
weiterkommen
2 inhalt
Umschau
Thema
4 Gemeinsam auf dem Weg sein
22 Gemeinsam alt
5 Gemeindeleben wie im Bilderbuch?
24 Neues von der Weltkonferenz
8 Sieben Gründe, warum Gemeinden schrumpfen
25 Ein stiller Blick nach vorne
11 Neues Gemeindezentrum für Sembach
28 Simbabwe – Wohin geht die Reise?
12 Wachstumspotenziale erkennen und fördern
29 Einander den Frieden erklären
31 Geschwister in Rumänien
14 Weiterkommen oder aufhören
32 Frieden für das Zelt der Völker?
16 Ein offenes Haus in Landau
26 60 Jahre Bienenberg
36 Zum Friedenszeugnis stehen
18 Startrainer gesucht
Rubriken
19 Wir bleiben am Ball
3 Auf ein Wort
21 Lyrik
DIE BRÜCKE 1/2011 erscheint Anfang Januar
2011, mit dem Thema „Paulus“
Redaktionsschluss ist der 06.12.2010
DIE BRÜCKE 2/2011 erscheint Anfang März 2011,
mit dem Thema „Sind Mennoniten unpolitisch?“
Redaktionsschluss ist der 01.02.2011
DIE BRÜCKE
TÄU F E R I S C H - M E N N O N I T I S C H E G E M E I N D E Z E I T S C H R I F T
Gegründet 1986
1974 bis 1985 »Mennonitische Blätter«
und »Gemeinde Unterwegs«
bis 1973 »Der Mennonit«
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DIE BRÜCKE
6 / 2010
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der nächsten Ausgabe: 06.12.2010
Erscheint Anfang Januar 2011
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editorial | auf ein wort 3
Liebe Leserinnen und Leser,
C
hristen sind Menschen, die auf dem Weg sind, das
lesen wir schon in der Apostelgeschichte, wo von
den „Anhängern des neuen Weges“ die Rede ist.
Jesus bezeichnet sich selbst als der Weg. Gemeinde ist eine
Gemeinschaft von unterschiedlichen Menschen, die miteinander unterwegs sind. Als Mennoniten sehen wir uns in
der Tradition der Täuferbewegung. Da steckt jede Menge
Dynamik drin, solange die Bewegung auf das Ziel hin das
Bestimmende bleibt – und nicht nur die Herkunft.
Näher betrachtet gibt es aber auch Momente, wo man sich
eher gegenseitig auf die Füße tritt, sich am vorwärtskommen
hindert oder gar ganz stehen bleibt, statt weiterzukommen.
Wer sich nicht bewegt, kann auch nichts bewegen. Manche
Gemeinde merkt, dass sie nicht mehr vom Fleck kommt und
sucht nach einer neuen Ausrichtung. Den einen hilft der Blick
nach innen, zum Beispiel in Form einer Gemeindeanalyse,
andere holen sich Beratung und Impulse von außen, und
manchmal kann sogar das Ende einer Gemeinde der nächste
Schritt auf dem Weg sein.
Für diese Ausgabe habe ich einige Menschen befragt, wie
das Weiterkommen als Gemeinde aussehen kann. Deutlich
wurde dabei, dass Weiterkommen ganz verschiedene Ausprägungen haben kann und sich ein Fortschritt gar nicht
so leicht messen lässt. Aber auch mit Stolpersteinen und
Gründen für das Schrumpfen von Gemeinden befassen sich
unsere Autoren.
Ich wünsche viel Freude, gute
Gesprächsanregungen und Impulse zum Weiterkommen beim Lesen
der neuen BRÜCKE
Benji Wiebe
Ich vergesse, was hinter mir liegt, und
strecke mich nach dem aus, was vor
mir ist. (Phil 3:13b) E
infach vergessen zu können, was gewesen ist – das
wünsche ich mir bei einigen meiner Erinnerungen.
Wenn ich daran denke, wie ich enttäuscht wurde,
gescheitert bin und an anderen Menschen schuldig wurde,
klingt es sehr verlockend, was Paulus hier schreibt. Einfach
ausblenden und nach vorne schauen, mit Freude und Mut
vorwärts gehen können. Aber wie soll das gehen? Erinnerungen, die ich gerne vergessen würde, scheinen unauslöschlich
in mein Gehirn eingeprägt, und kein Mittel der Welt scheint
sie dauerhaft aus meinen Gedanken verbannen zu können.
Und dann gibt es ja bei all dem, „was hinter mir liegt“, auch
viele angenehme Erinnerungen. Es wäre schade, wenn ich
sie vergessen würde! Sie machen mir Mut und lassen mich
zielstrebig vorwärts gehen! Oder? Wenn ich ehrlich zu mir
selbst bin, können mich auch positive Erinnerungen davon
abhalten, mich „nach dem, was vor mir ist“ auszustrecken:
Wenn ich wieder zurück will zur guten, alten Zeit und dabei
das Ziel aus den Augen verliere.
Wenn mich mein Weg durch die Wüste führt und ich
mich nach der letzten Oase zurücksehne, statt mich auf das
fruchtbare Land zu konzentrieren, das vor mir liegt. Auf
dem Weg dorthin werde ich andere Oasen finden, die mir
neue Kraft geben, von denen ich mich aber auch nicht zum
Bleiben verleiten lassen darf. Wenn wir uns entschlossen
haben, unsere Vergangenheit zu vergessen, bleibt die Frage:
Wie? Welches Wundermittel ermöglicht es Paulus, so selbstbewusst zu schreiben: „Ich vergesse, was hinter mir liegt“?
Die Umgebung des Verses zeigt uns tröstlicherweise: Auch
Paulus erinnert sich an seine Vergangenheit, hat grade noch
seinen früheren Eifer beschrieben, dessen Ausrichtung ihm
heute – nach seinen eigenen Worten – wie Kot erscheint.
Aber er lässt sich nicht von seiner Vergangenheit bestimmen,
definiert sich selbst nicht über seine Geschichte, sondern
richtet sich voll und ganz auf sein Ziel aus, auf welche Wege
ihn das auch führen mag. Diesen Mut wünsche ich mir – und
uns als Gemeinden – auch!
Heiko Prasse
Theologischer Mitarbeiter der
Mennonitengemeinde Hasselbach
DIE BRÜCKE
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4 als gemeinde weiterkommen
Gemeinsam auf dem Weg sein
Simon Höfli über das Weiterkommen als Gemeinde.
I
n unserem Gemeindehaus in
Owingen hängen viele verschiedene Bilder von Wegen und Straßen und es ist schon verrückt, wie
viele verschiedene Wege es so gibt.
Diese Bilder stehen für mich auch
für die verschiedenen Gemeinden
und ihre Möglichkeiten vor Ort.
Schließlich eignet sich nicht jede
Straße gleich für ein Rennen. Auf
manchen Wegen sind so viele Hügel
und Schlaglöcher, dass man froh ist,
pflegen. Seit Neustem darf ich sogar
in unserem Fußballverein eine D-Jugendmannschaft mittrainieren. Wenn
ich zu 100% angestellt wäre, würde
das wahrscheinlich nicht gehen. Ich
freue mich über diese Tür, die Gott
aufgemacht hat.
Ob weiterkommen messbar ist?
Nun ja, bisher gab es keine Erweckung
in unserem Dorf. Dennoch hilft es, mit
offenen Augen genau hinzusehen und
die Ohren auf Empfang zu stellen. Ich
bin kein Typ, der ständig die Messlatte
raus holt und Statistiken führt, aber
wenn ich nach dem Gottesdienst noch
über eine Stunde im Gemeindehaus
bin und mit allen möglichen Leuten
noch gute Gespräche führen darf, dann
hat sich da etwas verändert, woran ich
ein Weiterkommen feststellen kann.
Oder wenn mir Eltern aus dem Ort
Schlaglöcher auf dem Weg
erzählen, wie seit Neustem ihr Junge
Weiterkommen bedeutet für viele aber jeden Abend in der Bibel liest, dann
auch Mission und die Frage, ob die hat sich etwas getan.
Gemeinde wächst. Mit Sicherheit gehört das auch dazu. Und wieder diese Suchet der Stadt Bestes
Schlaglöcher: Zeit und Kraft.
Ich habe kein Rezept, aber einen
Mir fällt da nur immer das Bild Wunsch, der mir am Herzen liegt. Ich
von einer Katze ein, die ihren eigenen wünsche mir, dass wir wieder lernen
Waldweg - Foto: pixelio.de - Oliver Mohr
Schwanz jagt. Leider sieht es bei uns zu den Menschen zu gehen, und sie
an einem Tag 100 km zurückzulegen. und auch in anderen Gemeinden oft nicht ständig zu uns holen wollen.
Auch wenn unsere Wege als Gemein- nicht besser aus. Wir probieren den Manchmal muss dafür auch etwas
den unterschiedlich aussehen, so Leuten Angebote zu machen, dass sterben von unserem Angebot, damit
ist doch unser Ziel dasselbe – Jesus sie zu uns in die Gemeinden kom- wir Zeit dafür bekommen. Doch das,
Christus. Auf ihn konzentrieren und men. Dazu brauchen wir Mitarbeiter was wir eigentlich anzubieten haben,
fokussieren wir uns als Gemeinden. und Zeit. Und den Leuten, die wir ist kein Programm, sondern Jesus in
Ihm ähnlicher zu werden und zu ihm erreichen wollen, geht es ähnlich mit uns. Es heißt ja nicht „Sucht das Beshin zu wachsen ist sowohl meine ihrer Zeit. So frage ich mich wieder, te für die Gemeinde“, sondern „Supersönliche als
was würde Jesus chet der Stadt Bestes“. Ich wünsche
auch die Heraustun? Er würde mir dafür immer mehr Mut, neue
Zu viel Programm –
forderung einer
zu den Leuten Schritte zu wagen. Unterwegs sein
zu wenig Beziehungen? hin
Gemeinde. So
gehen und mit Jesus, andere einladen mitzugegibt es zwei Framit ihnen Bezie- hen – das funktioniert nur da, wo ich
gen, die mich immer wieder in Gang hungen leben. Doch dafür haben mich selbst mit anderen auf den Weg
bringen: „Was hat Jesus gesagt?“ und wir oft keine Kapazität mehr frei. mache.
„Was würde Jesus tun?“
Ich frage mich, ob wir nicht zu viel
Diese Fragen halte ich für ent- Programm haben und deswegen zu
scheidend. Vielleicht hat man sogar wenig Zeit bleibt für Beziehungen. auch Antworten darauf bekommen, Ich bin mir außerdem sicher, wenn
wie nun ein konkreter Schritt sein wir Gott bitten und fragen, wird es
kann, um die Gemeinde weiterzu- auch immer wieder neue Dinge gebringen, doch dann fehlt Zeit und ben, die uns weiterbringen. In unserer
die nötige „Manpower“. Genau da Gemeinde bin ich nur zu 60% angeSimon Höfli
sind wir bei einem Problem, was das stellt, dies ermöglicht mir vermehrt
Owingen
Weiterkommen schwierig macht. Kontakt und Beziehungen im Ort zu
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Wir als Gemeinde haben das auch
immer wieder heftig zu spüren bekommen. So haben wir gemerkt, dass
wir als Gemeinde das Miteinander
wieder neu fördern müssten. Wir
haben nach Lösungen gesucht und
schließlich auch gefunden. Warum
ein Extratermin? Warum sollten sich
nur Einzelne treffen? Geht das nicht
auch zusammen? Nun haben wir
mit unseren Brunch-, Kreativ- sowie
Grillgottesdiensten einen Rahmen
gefunden, in dem wir uns näher kennen lernen und Gemeinschaft pflegen
können. Auch die monatlichen Stehkaffees haben dazu beigetragen. Dies
hat uns von innen heraus neu gestärkt
und gefestigt und war ein wichtiger
Prozess, der für uns mit dazu gehört
um weiterzukommen.
als gemeinde weiterkommen 5
Gemeindeleben wie im Bilderbuch?
Martin Schnegg über die erste Gemeinde in Jerusalem und was sie uns zu sagen hat.
D
ie meisten von uns haben ein ist. Hat Lukas hier nur die schönen
Fotoalbum aus ihrer Kindheit Fotos ins Album geklebt und all die
oder ein Familienalbum. In Schwierigkeiten und Probleme ausgeFotoalben sind meistens die schönen blendet? Beschreibt er uns hier seinen
Momente des Lebens festgehalten, und Traum von Gemeinde?
wenn man dann die Fotos anschaut,
Wenn man die Apostelgeschichte
kann man so richtig gut in den guten weiterliest, dann taucht auch das eine
alten Zeiten schwelgen. Ach wie war oder andere Problem auf und es werdoch früher alles besser als heute… den Spannungen spürbar.
In solchen Alben sind aber selten FoIch weiß nicht, wie es aussehen
tos, die einen Ehestreit festhalten oder würde, wenn jemand beschriebe, wie
davon, wie man sich schmollend in unsere Gemeinde in Meßkirch entseinem Zimmer einschließt. Erinnern standen ist und wie es am Anfang war.
möchte man sich an die guten und Wahrscheinlich würde da auch vor alschönen Zeiten. So
lem das Schöne und
ähnlich wie das eben Ob die erste Gemeinde Tolle beschrieben
Es würde
beschriebene Famiwirklich so perfekt war? werden.
drin vorkommen,
lienalbum kommt
wie Gott gewirkt hat
mir das Bild der
ersten Gemeinde in der Apostelge- und wie gut doch alles war.
Ich glaube, dass Lukas sich sehr
schichte 2 vor.:
„42 Sie hielten an der Lehre der Apo- wohl bewusst war, dass auch in der
stel fest und an der Gemeinschaft, am ersten Gemeinde nicht alles perfekt
Brechen des Brotes und an den Gebeten. war, aber er blickt dankbar zurück und
43 Alle wurden von Furcht ergriffen; erinnert sich daran, was Gott alles in
denn durch die Apostel geschahen viele dieser Gemeinde bewirkt hat…
Wunder und Zeichen.
44 Und alle, die gläubig geworden wa- Als Gemeinde weiterkommen
ren, bildeten eine Gemeinschaft und Keine Gemeinde ist perfekt. Auch
wenn in unserer Gemeinde einiges
hatten alles gemeinsam.
45 Sie verkauften Hab und Gut und gut oder einigermaßen gut läuft, so
gaben davon allen, jedem so viel, wie gibt es auch Bereiche, wo es schlecht
läuft, oder diplomatisch ausgedrückt,
er nötig hatte.
46 Tag für Tag verharrten sie einmütig nicht so gut läuft. Wir haben zu wenig
im Tempel, brachen in ihren Häusern Mitarbeiter, den Jugendhauskreis gibt’s
das Brot und hielten miteinander Mahl nicht mehr, weil niemand da ist, um
in Freude und Einfalt des Herzens.
47 Sie lobten Gott und waren beim
ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte
täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu,
die gerettet werden sollten.“
ihn zu leiten, die Finanzen sind knapp,
die Räume zu klein, usw. Wenn man
mit diesen Problemen im Hinterkopf
die Entstehung der Jerusalemer Gemeinde betrachtet, könnte man bisschen neidisch werden…
Aber was bringt uns dieser Text, ist
es einfach ein Blättern im Fotoalbum,
ein Träumen von guten alten Zeiten,
wo sowieso alles viel besser war? Ich
glaube nicht.
Ich glaube, dass dieser Text unseren
Blick viel mehr auch nach vorne richten will. Die Beschreibung der ersten
Gemeinde soll uns zum Träumen anregen. Lukas will uns hier ermutigen
uns auf den Weg hin zur perfekten
Gemeinde zu machen!
Jetzt werdet ihr sagen, dass eine
Gemeinde nie perfekt sein wird und
es stimmt auch. Aber das „Idealbild“
von Gemeinde kann für uns eine Motivation sein, die uns antreibt, weiterzukommen. Es kann für uns ein Ziel
sein, auf das es zuzugehen lohnt.
Was macht die erste Gemeinde aus?
Wenn man die Gemeinde in Jerusalem so betrachtet, dann gibt es vier
wesentliche Faktoren, die beschrieben werden: Die Lehre der Apostel,
Gemeinschaft, Brotbrechen und das
gemeinsame Gebet.
Die Lehre der Apostel war ihnen
wichtig, sie sehnten sich nach den
Predigten und Hauskreisabenden,
Die perfekte Gemeinde
Hört sich wirklich gut an, diese erste Gemeinde: Super Gemeinschaft,
Zeichen und Wunder, gegenseitige
Unterstützung, Einmütigkeit, Freude, lautere Herzen, Wohlwollen beim
ganzen Volk und täglich neue Leute.
Lukas kommt gar nicht mehr aus dem
Schwärmen heraus!
Wenn man das so liest, kann man
sich schon fragen, ob diese erste Gemeinde wirklich so perfekt war oder
ob es eher der Traum von Gemeinde
DIE BRÜCKE
6 / 2010
6 als gemeinde weiterkommen
Gemeinschaft
Und dann ist da noch diese außer-
gewöhnliche Gemeinschaft, die be- untereinander werden die Menschen
schrieben wird. Die ersten Christen sehen, dass ihr zu mir gehört!“
in Jerusalem waren täglich zusamIch weiß nicht, ob unser Umgang
men, zum Beten, Predigten hören, miteinander in der Gemeinde so ist,
Abendmahl feiern, aber auch einfach dass die Menschen im Ort sofort seso um Gemeinschaft zu haben. Diese hen, „so wie die miteinander umgehen,
Gemeinschaft ging weit darüber hin- müssen die zu Jesus gehören“.
aus, dass man sich zum Gottesdienst
Aber ich wünsche mir, dass untraf. Gemeinschaft bedeutete für diese sere Gemeinschaft untereinander
Menschen, dass sie ihre Besitztümer so stark und intensiv wird wie bei
verkauften, um den
dieser Jerusalemer
Bedürftigen in der
Gemeinde, nicht
Die Vision dieser
Gemeinde zu helfen.
um ein WohlfühlBilderbuchgemeinde oder „Kuschelklub“
In dieser Gemeinschaft ging es jedem kann uns antreiben und zu werden, sondern
gut, weil sich jeder
um diese Liebe nach
weiterbringen
um jeden kümmeraußen abzustrahlen,
te. Als Christen sind
damit die Menschen
wir Brüder und Schwestern und das in unserer Stadt förmlich angezogen
waren für die ersten Christen keine werden von dieser Gemeinschaft.
leeren Worte, man behandelte sich
Gemeindezugehörigkeit
wie in einer Familie.
Vor einiger Zeit haben wir vier neue
Einheit in der Vielfalt
Personen offiziell in unsere GemeinAls ich Kind war, habe ich mich mit ei- defamilie aufgenommen. Diese Mennem meiner Brüder oft gestritten. Aber schen haben signalisiert, dass sie zur
immer dann, wenn er in der Schule ge- Gemeinde gehören wollen, sie haben
hänselt wurde, habe ich mich auf seine ihre Gemeindezugehörigkeit verbindSeite gestellt und versucht ihm zu hel- lich gemacht und sich so auch zur
fen. Obwohl ich ihn zuhause oft nicht Gemeinde bekannt. Auch das ist ein
leiden konnte, er war einfach mein wichtiger Aspekt dieser ersten GeBruder und es hat mich geschmerzt, meinde. Bei dieser ersten Gemeinde
wenn es ihm nicht gut ging.
war klar, Jesus und die Gemeinde sind
Genau so ist es auch in der Ge- zwei Dinge, die einfach zusammengemeinde. Wir sind eine Familie, in der hören. Wer sich für Jesus entscheidet,
man sich gegenseitig hilft und sich un- der entscheidet sich automatisch für
terstützt, auch dann, wenn man nicht seine Gemeinde. Paulus erklärt das im
immer gleicher Meinung ist.
1. Korintherbrief mit dem Bild eines
Wenn ich mir diese Gemeinschaft Körpers. Jeder einzelne Körperteil
vorstelle, dann kommt mir Joh 13,34-35 ist unterschiedlich und hat andere
in den Sinn. Dort sagt Jesus zu seinen Funktionen, aber nur als Ganzes ist
Jüngern: „Liebt einander, wie auch der Körper funktionstüchtig. Genau
ich euch geliebt habe. An dieser Liebe so ist jeder Christ anders und hat
andere Gaben und Fähigkeiten, aber
alle zusammen ergeben die Gemeinde. So wie die einzelnen Teile eines
Körpers ohne den ganzen Leib nicht
zu gebrauchen sind, so funktioniert
auch das Christsein nur in und mit
einer Gemeinde! Als Christen, als
Gemeinde sind wir die Familie Gottes. Dieses Verständnis hat zu dieser
starken Gemeinschaft geführt.
Menschen machen Fehler
Die Vision dieser Bilderbuchgemeinde, die Vision der perfekten Gemeinschaft kann uns antreiben und weiterbringen. Sie kann uns motivieren,
Dinge anders und besser zu machen.
DIE BRÜCKE
6 / 2010
Foto: pixelio.de - Sassi
bei denen sie Jesus besser kennenlernen konnten. Die Menschen blieben
beharrlich dabei, sie saugten alles wie
ein trockener Schwamm auf. Ich weiß
nicht, wie viele von euch sich nach der
sonntäglichen Predigt sehnen. Aber es
war nicht irgendeine Lehre, sondern
die Lehre der Apostel, für uns heute
ganz einfach die Bibel. Die Bibel, die
Lehre der Apostel, das Neue Testament
ist von Aposteln geschrieben, ist auch
für uns heute entscheidend, um Jesus
immer besser zu kennen und nach
seinem Willen leben zu können. Deshalb ist das Lesen in der Bibel keine
lästige Pflicht der Christen, sondern
Kraftquelle, Weisung für den Alltag
und vieles mehr.
Weiter haben sie das Brot gebrochen. Mit Brotbrechen ist sicherlich
das Abendmahl gemeint, dass sie zusammen gefeiert haben, aber darüber
hinaus auch gemeinsame Mahlzeiten.
Sie haben zusammen gegessen, sich
gegenseitig zum Kaffeetrinken eingeladen und auch ab und zu zusammen
eine Party gefeiert, und so die Gemeinschaft untereinander gestärkt.
Weiter haben sie täglich zusammen
gebetet. Gebet ist sehr wichtig, und
obwohl ich die Wichtigkeit des Gebetes kenne, gibt es bei mir auch Zeiten,
in denen das Beten schwerfällt. Das
Gebet ist etwas, das für uns im stillen
Kämmerlein geschehen kann, aber
auch als ganze Gemeinde wichtig ist.
Ich glaube, dass Gebete wirklich viel
bewirken. Es ist wichtig, dass wir als
Gemeinde gemeinsam im Gebet vor
Gott treten.
als gemeinde weiterkommen 7
Sie birgt aber auch eine Gefahr in sich.
Bonhoeffer schreibt in seinem Buch
„Gemeinsames Leben“:
„Wer seinen Traum von christlicher Gemeinschaft mehr liebt als die
christliche Gemeinschaft selbst, der
wird zum Zerstörer jeder Christlichen
Gemeinschaft, und ob er es persönlich
noch so ehrlich, noch so ernsthaft und
hingebend meinte“.
Gemeinde, das ist nicht ein Gebäude oder eine Denomination, das sind
Menschen. Menschen machen Fehler
und sind nicht perfekt, so kann auch
die Gemeinde nicht perfekt sein. Deshalb dürfen wir das Bild von Gemeinde aus der Apostelgeschichte nicht
mehr lieben als unsere Gemeinde vor
Ort. Wir dürfen es aber als Vorbild
und als Ansporn nehmen, gemeinsam
weiterzukommen. Faszinierend ist ja an der Gemeinde, dass so viele unterschiedliche
Menschen zu einer Familie zusammengestellt werden. Uns verbindet
nicht ein Hobby, ein Musik- oder
Kleidungsstil, ein Beruf oder sonst
irgendetwas. Uns verbindet Jesus
Christus. Weil er für unsere Sünden
gestorben und auferstanden ist und
uns unendlich liebt. Durch ihn können wir Familie Gottes sein.
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt,
Schritt für Schritt diesem biblischen
Bild von Gemeinde näher zu kommen.
Ich wünsche mir, dass wir als Mennonitengemeinde zu einer Gemeinschaft
werden, in der man sich unterstützt,
tröstet, sich gemeinsam freut und gemeinsam Spaß hat. Ein Ort, an dem
man gemeinsam und füreinander betet und in der Bibel liest. Je mehr es
uns gelingt, Gemeinde nach dem Vorbild von Apostelgeschichte 2 zu sein,
desto mehr Anziehungskraft werden
wir auch nach außen haben.
Martin Schnegg
Meßkirch
Weiterkommen ...
Assoziationen zum Thema von Martina Basso
Wie geht es weiter?
Gemeinde muss sich bewegen und sich bewegen
lassen. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir
etwas zu sagen haben, was wichtig ist. Damit dürfen wir nicht warten, bis die Leute zu uns kommen
sondern müssen hingehen – es braucht eine GehStruktur anstelle der Komm-Strukturen.
Vor Ort?
Wir kommen als Gemeinde Berlin weiter, wenn wir
miteinander im Gespräch bleiben, uns austauschen
und auch unausgegorene Ideen einander mitteilen.
Wir versuchen eine Balance zu finden, zwischen
den Bedürfnissen der Gemeinde und dem Auftrag,
Gemeinde in Bewegung zu setzen. Da spielt das
einander Mitteilen eine große Rolle.
Ist das messbar?
Wenn in der Gemeinde eine offene Atmosphäre
herrscht, eine Begeisterungsfähigkeit da ist, dann
kommen wir weiter. Manchmal müssen wir auch
innehalten, um zu schauen, wo wir stehen, um dann
gemeinsam zu überlegen, wie wir weiterkommen.
Was wünschst du dir?
Ich wünsche mir, dass es aufhört, nur auf die sinkenden Zahlen zu starren. Wenn wir global denken, sind
wir Mennoniten eine wachsende Kirche. Wir sollten
fröhlich und unverdrossen anerkennen, dass wir so
wie wir sind ein flexibler Sauerteig sein können in
der Ökumene. Wir haben Schätze und sollten mehr
auf unsere Ressourcen schauen als auf die Defizite.
Kirche braucht einen langen Atem und muss über
das hinaussehen, was offensichtlich ist.
Martina Basso
Berlin
DIE BRÜCKE
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leserecho 47
Rechtssicherheit und würdiges Sterben
Zu „Der Mensch im Konflikt mit men oder deren Unterlassung oder
sich selbst“ in BRÜCKE 5/2010, S. 21. Beendigung (mit Patientenverfügung
oder ohne) sind dramatische Grenzn seinem Kommentar zu Konflikten situationen. Sie machen uns Angst.
an Anfang und Ende des Lebens Sie sind Folge der Weiterentwicklung
geht es Knut Wiebe um eine bzw. seine von Medizin und Technik. Missbrauch
Wertung des BGH-Urteils vom Juni droht und geschieht; aber schlimmer
dieses Jahres, unter anderem um die noch: die Unsicherheit in diesen
„Selektionsgefahr am Ende des Le- überwiegend juristischen aber auch
bens“, um „Selbstjustiz versus Patien- ethischen Fragen zur Sterbehilfe, zu
tenwillen“ und um „den Menschen als Körperverletzung, zu unterlassener
Herrn über Leben und Tod“.
Hilfeleistung etc. bringen doch regelIm Gegensatz zu Herrn Wiebe mäßig unerträgliche Situationen mit
freue ich mich über das BGH-Urteil. sich, wie sie dem vom BGH zu entEs schafft mehr Rechtssicherheit und scheidenden Fall ebenfalls zugrunde
mehr Klarheit für alle Betroffenen: liegen. Deshalb gibt mir das Urteil
die Sterbenskranken, die Ärzte, die eher Zuversicht, dass meine diesbeKlinik- oder Einrichtungsträger, die züglichen Verfügungen auch befolgt
Be-treuer oder Bevollmächtigen, auch werden (können) und dass ich die mir
die Juristen. Solche Entscheidungen von anderen diesbezüglich übertrageüber lebensverlängernde Maßnah- nen Vollmachten ausüben kann, ohne
Strafverfolgung fürchten zu müssen.
Wie gut, dass durch das BGH-Urteil
diese Furcht etwas kleiner geworden
ist. Ganz persönlich: mir ist deutlich
mehr bange vor dem Nicht-sterbendürfen als vor „dem Beseitigt-werden“.
Im übrigen schenke ich einer BGHEntscheidung offenbar mehr Vertrauen als Herr Wiebe: sie mag an Stellen
vielleicht „verhängnisvoll“ oder auch
„wenig überzeugend“ sein, aber „nicht
hinnehmbar“ geht mir zu weit. Und
wenn von Herrn Wiebe der Bezug zur
Menschenwürde und zum biblischen
Menschenbild hergestellt wird, was ja
I
nahe liegt (für einen Kommentar diesen Inhalts in der BRÜCKE allemal),
dann bitte ein bisschen konsequenter:
über das Verständnis von Römer 14,8
setzen wir uns doch schon lange mit
Selbstverständlichkeit hinweg, in dem
wir Menschen dem Leben regelmäßig
Eingriffe zumuten, eben auch solche,
die ein natürliches Sterben schon fast
zur Ausnahme gemacht haben.
Dabei wünschen wir uns doch alle
ein würdiges Sterben am Ende unseres Lebens. Das BGH-Urteil bringt
uns diesem Wunsch etwas näher: es
klärt zulässige passive Sterbehilfe und
es stärkt die Bindungswirkung von
Verfügungen. Ich finde das gut.
Dieter Landes
Königswinter
Die nächsten Nummern:
DIE BRÜCKE 1/2011 erscheint Anfang Januar 2011, mit dem Thema „Paulus“
Redaktionsschluss ist der 06.12.2010
DIE BRÜCKE 2/2011 erscheint Anfang März 2011, mit dem Thema „Sind Mennoniten
unpolitisch?“, Redaktionsschluss ist der 01.02.2011
Wir freuen uns über Leserbriefe, Berichte und Zusendungen
für die Rubriken „Lyrik“ und „Friedensfoto“
Bitte schreiben Sie an: DIE BRÜCKE, Kastanienweg 19, 76297 Stutensee
Tel.: 07249 516344 -0 Fax: -9 E-Mail: [email protected]
DIE BRÜCKE
6 / 2010
DIE BRÜCKE | Wollgrasweg 3d | 22417 Hamburg
C 13593 E | Postvertriebsstück
Entgelt bezahlt | Deutsche Post AG
Frieden
istBegegnung
Begegnung
Frieden ist
Foto: privat
friedensfoto
I
m Jahr 1993 war es mir vergönnt,
eine Fahrt in die „Alte Heimat“ nach
Westpreußen zu machen, unter der
Leitung von Pastor Peter Foth und im
Südbus in Begleitung von Werner Funck,
damals Pastor in Friedelsheim und Kohlhof. Meine Brüder Heinz und Herman
Quiring waren mit ihren Frauen auch
dabei.
Die Spannung in uns war groß, den
heimatlichen Hof in Platenhof zu sehen
und die uns noch von 1945 bis 1947 bekannten neuen Einwohner, bei denen wir
in diesen Jahren lebten und arbeiteten,
zu treffen.
DIE BRÜCKE
6 / 2010
Zuerst trafen wir spielende Kinder
auf unserem früheren Hof in unserem
alten Sandkasten; das freute mich. Dann
klopfte ich an ein Fenster und Janek Jaros
öffnete uns die altvertraute Haustüre. Er
erkannte uns als die Quiring-Geschwister, begrüßte uns nach polnischer Art mit
dem Friedenskuss und legte zum Foto
freundschaftlich die Hand auf meine
Schulter. So entstand nach 46 Jahren
dieses Friedensfoto.
Irma Habegger-Quiring
Worms-Ibersheim

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