Rheinisch-Bergischer Kreis

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Rheinisch-Bergischer Kreis
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Adolf-Reichwein-Str. 2
57068 Siegen
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Hilfen zum selbständigen Wohnen
im Rheinisch Bergischen Kreis
vor der Zuständigkeitsveränderung (30.06.2003)1
1
Aktualisierte Fassung 06.03.2005
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Inhalt
1
Der Rheinisch Bergische Kreis ............................................................................................... 3
2
Strukturen der Planung .......................................................................................................... 4
2.1
Örtliche Angebotsplanung........................................................................................... 5
3
2.2
Individuelle Hilfeplanung............................................................................................. 11
2.3
Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen ..................................... 12
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung .............. 15
3.1 Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen
mit geistiger Behinderung und autistischen Syndromen............................................ 16
3.2 Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen
mit seelischer Behinderung ............................................................................................. 19
3.3 Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen
mit Suchterkrankungen.................................................................................................... 23
3.4 Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen
mit körperlicher Behinderung und mit Sinnesbehinderungen .................................. 25
3.5
Ambulante Krisendienste ............................................................................................ 26
4 Perspektiven der Hilfen für Menschen mit Behinderung
im Rheinisch Bergischen Kreis ................................................................................................. 26
Vorbemerkung
Seit langem wird die geteilte Zuständigkeit zwischen dem örtlichen und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe als Hemmnis für die Weiterentwicklung der Behindertenhilfe
angesehen. Insbesondere die faktische Durchsetzung des Grundsatzes ‚ambulant vor
stationär’ wird dadurch erschwert. Durch die ‚Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes’ (AV-BSHG) vom 20. Juni 2003 hat
die Landesregierung Nordrhein-Westfalens eine einheitliche Zuständigkeit der überörtlichen Sozialhilfeträger für Hilfen zum selbständigen Wohnen ab dem 01. Juli 2003 geschaffen. Die Zuständigkeitsverlagerung ist bis zum 30. Juni 2010 befristet. In diesem Zeitraum soll auf der Grundlage einer Evaluation der Auswirkungen der Zuständigkeitsveränderung entschieden werden, wie die Zuständigkeit der Eingliederungshilfe dauerhaft
geregelt werden soll. Mit der Begleitforschung wurde das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen beauftragt.
Mit der einheitlichen Zuständigkeit für die Hilfen zum selbständigen Wohnen verbindet
die Landesregierung die folgenden Zielsetzungen:
•
Verbesserung des bedarfsgerechten Ausbaus ambulanter Hilfen;
•
Entwicklung einer gemeindenah und flächendeckend verlässlichen Infrastruktur
aus ambulanten Diensten, die flexible Hilfen für Menschen mit Behinderungen im
Alltag vorhalten;
•
Ermöglichung von sozialer Integration und selbstbestimmtem Leben in der Heimatgemeinde;
•
Eingrenzung des Anstiegs der Fälle und Kosten im stationären Bereich;
•
Herbeiführung von finanzieller Entlastung;
-2-
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
•
Entwicklung einer Versorgungsstruktur, die effektiv und effizient optimale Hilfe
anbietet.
Da die Realisierung dieser Zielsetzungen in jeder Gebietskörperschaft auf unterschiedliche Voraussetzungen trifft, werden im Folgenden die Grundlagen und Ausgangsbedingungen für den Rheinisch Bergischen Kreis beschrieben. Dies stellt die Grundlage dar,
auf der von den beteiligten Akteuren und von der wissenschaftlichen Begleitforschung
Veränderungen in der Projektlaufzeit beobachtet werden können. Abgebildet wird die
Situation im Rheinisch Bergischen Kreis Mitte 2003. Die Ausführungen basieren auf einem
Interview mit Herrn Breidenbach, dem Koordinator für Behindertenangelegenheiten
und Psychiatrie, einer schriftlichen Befragung der Träger von Einrichtungen und Diensten
im Rheinisch Bergischen Kreis, einer schriftlichen Befragung von Interessenvertretungsgremien sowie einer Auswertung von Dokumenten und sozialstatistischen Daten. Da der
Rheinisch Bergische Kreis sich als Projektregion für das Forschungsprojekt zur Verfügung
gestellt hat, fließen auch Informationen aus weiteren Gesprächen in der Kreisverwaltung, der Teilnahme an Sitzungen und Veranstaltungen ein. Eine Erhebung am Ende der
Projektlaufzeit soll Aufschluss über den Grad der Zielerreichung geben.
Die Beschreibungen aller Gebietskörperschaften bieten die Grundlage zur Entwicklung
einer Typologie regionaler Hilfesysteme in Nordrhein-Westfalen.
1
Der Rheinisch Bergische Kreis
Im Rheinisch Bergischen Kreis leben ca. 278.000 Einwohner. Der Kreis umfasst die Städte
Bergisch Gladbach, Burscheid, Leichlingen, Overath, Rösrath und Wermelskirchen, sowie die Gemeinden Kürten und Odenthal. Die mit Abstand größte Stadt ist Bergisch
Gladbach mit etwa 106.000 Einwohnern
Der Kreis ist als Siedlungsgebiet stark durch seine Nähe zu den Ballungsgebieten an
Rhein und Wupper geprägt. Der Rheinisch Bergische Kreis grenzt an die kreisfreien Städte Köln, Leverkusen, Solingen und Remscheid sowie an den Oberbergischen Kreis und
den Rhein-Sieg-Kreis.
In den nördlichen, eher protestantischen geprägten Kreisteilen besteht eine sozialräumliche Orientierung in das Bergische Land, während sich der südliche, eher katholisch
geprägte Kreisteil stärker Richtung Rheinland orientiert. Die unterschiedliche Prägung
und sozialräumliche Orientierung schlägt sich auch in den Strukturen des Hilfeangebotes für Menschen mit Behinderung nieder.
Die Bevölkerungsdichte liegt mit 635 Einwohnern pro km² deutlich über dem Durchschnitt der Kreise in Nordrhein-Westfalen (430 Einwohner pro km²).
Indikatoren zur sozialen Lage der Bevölkerung2 lassen sowohl im Verhältnis zu NordrheinWestfalen insgesamt als auch im Verhältnis zu anderen Landkreisen auf vergleichsweise
günstige Lebensbedingungen schließen.
Das Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung hat eine Studie zur demografischen Veränderung und damit der „Zukunftsfähigkeit“ der deutschen Landkreise und kreisfreien Städte durchgeführt. Zu den Schwerpunkten Demografie, Wirtschaft,
Ausländer/innenintegration, Bildung, Familienfreundlichkeit und Flächennutzung wurden 22 Indikatoren ausgewählt und nach einem jeweils definierten Notenschlüssel bewertet. Aus dem Durchschnitt der einzelnen Bewertungen aller Indikatoren wurde eine
2
Nach Angaben des statistischen Landesamtes zu Einkommen der privaten Haushalte, Wohnfläche
pro Einwohner/in, Wohngeldempfänger/innen, Empfänger/innen von Hilfe zum Lebensunterhalt
und Arbeitslosenquote.
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Gesamtnote gebildet. Diese beträgt für den Rheinisch Bergischen Kreis 3,55 und ist damit etwas günstiger als die Note im Landesdurchschnitt Nordrhein-Westfalens (3,81). Alle
Daten, die der Benotung zugrunde liegen, sind in der Studie „Deutschland 2020 – die
demografische Lage der Nation“ unter www.berlin-institut.org verfügbar.
Im Rheinisch Bergischen Kreis lebten zum 31.12.2003 insgesamt 21188 anerkannte
Schwerbehinderte. Dies entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 7,6 %.
Die Quote liegt damit unter dem Durchschnitt in NRW (8,95 %) und auch unter dem
Durchschnitt der Kreise (8,17 %) in NRW.
2
Strukturen der Planung
Aufgrund eines differenzierten Geflechtes von gesetzlichen Regelungen zur Planung
wohnbezogener Hilfen und sich daraus ergebenden vielfältigen formalen Optionen,
haben sich in den Gebietskörperschaften Nordrhein-Westfalens auf der Grundlage von
Vorschriften aus unterschiedlichen Regelungsbereichen, den Aktivitäten von Trägern
der Behindertenhilfe, aktiver Interessenvertreter/innen und des Auftrags zur kommunalen Daseinsvorsorge ganz unterschiedliche Planungsstrukturen entwickelt3.
Im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen ist die
Angebotsentwicklung von Trägern geprägt, die ihr Angebot mit der Durchsetzung des
teilstationären Ansatzes wohnbezogener Hilfen entwickelt haben. Sozialräumlich sind
dabei Schwerpunktsetzungen erkennbar, die einer regionsübergreifenden Orientierung
der Träger entspricht und nicht planerischen Entscheidungen bezogen auf das Kreisgebiet.
Im Rheinisch Bergischen Kreis gibt es keinen Träger mit der Tradition einer Großeinrichtung oder einer Anstalt. Es befindet sich auch keine psychiatrische Landesklinik im Gebiet des Kreises. Die stationäre psychiatrische Pflichtversorgung wurde bis vor kurzer Zeit
durch Kliniken außerhalb des Kreises wahrgenommen. Durch den Aufbau der Pflichtversorgung am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach konnte die regionale Versorgung im Kreis verbessert werden.
3
Neben der Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen und chronischen
Krankheiten im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge, ergeben sich Planungsvorgaben mit
unterschiedlichem Wirkungsgrad aus verschiedenen Gesetzen. Zu nennen sind hier insbesondere
das Bundessozialhilfegesetz (BSHG, heute SGB XII), das Sozialgesetzbuch (SGB) I, IX und X, das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG), das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) und das Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen
(PfG NW). So sind durch den Landesrahmenvertrag nach § 93 d Abs. 2 BSHG (heute § 79 Abs. 1
SGB XII) überregionale Gremien implementiert worden, welche die örtlichen Planungen mit Entwicklungen auf Landesebene verzahnen. Die Kreise und kreisfreien Städte sind dort über die kommunalen Spitzenverbände vertreten. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I ist der Sozialhilfeträger im Kontext
seiner grundsätzlichen Strukturverantwortung verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die zur Ausführung von Sozialleistungen benötigten Einrichtungen und Dienste rechtzeitig und ausreichend zur
Verfügung gestellt werden. Regelungen vergleichbarer Art sind speziell für den Rehabilitationsbereich in § 19 Abs. 1 SGB IX zu finden. § 95 SGB X regelt, dass die Leistungsträger, ihre Verbände und
die in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen bei Planungen zusammenarbeiten und so beispielsweise gemeinsame örtliche und überörtliche Pläne über soziale Dienste und Einrichtungen anstreben. Dabei sollen die jeweiligen Gebietskörperschaften sowie die gemeinnützigen und freien Einrichtungen insbesondere bezüglich der Bedarfsermittlung beteiligt werden. Entsprechend § 23 ÖGDG wird die Koordination der psychiatrischen und Suchtkrankenversorgung den unteren Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämtern) der Kreise und kreisfreien Städte als
eigenständige Aufgabe zugewiesen. Nach §16 des PfG NW (seit 01.08.2003 §15 PfG) schließlich
sind Aufgaben der Bedarfserhebung bezüglich Einrichtungen, in denen Maßnahmen der Eingliederungshilfe durchgeführt werden, beim überörtlichen Sozialhilfeträger verortet.
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Die Entwicklungen der gemeindepsychiatrischen Hilfen setzte damit auf der Grundlage
der fachlichen Impulse der Psychiatrieenquete Anfang der 80er Jahre durch ein enges
Zusammenwirken der beteiligten Akteure in der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft
ein. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen gibt es zwei der sozialräumlichen Orientierung im Kreisgebiet entsprechende Versorgungsgebiete. Die in den jeweiligen Gebieten tätigen Träger bieten ein umfassendes
Spektrum komplementärer Hilfen an. Die Träger haben ihre Angebote mit Unterstützung
der Politik im Zusammenhang der Enthospitalisierung entwickelt.
Im Bereich der Hilfen für Menschen mit Körperbehinderung gibt es mit dem Angebot
des Betreuten Wohnens durch den Verein Progymnasium Bensberg e.V. einen Träger im
Bereich der Eingliederungshilfe. Andere vorhandene Dienste finanzieren sich insbesondere über Leistungen der Pflegeversicherung bzw. der Hilfe zur Pflege.
Vor diesem Hintergrund wurden im Rheinisch Bergischen Kreis fachliche Impulse zur Weiterentwicklung des Hilfesystems von Trägern und von Facharbeitskreisen aufgegriffen.
Die Herausbildung einer differenzierten regionalen Trägerstruktur gründet dabei eher
nicht planerischen Grundsatzentscheidungen, sondern orientiert sich an fachlich motivierten Initiativen und an Planungen der Träger. Dabei wird auch den unterschiedlichen
Prägungen der Kreisteile Rechnung getragen.
2.1
Örtliche Angebotsplanung
Es liegt im Ermessen der jeweiligen Gebietskörperschaft, ob die Planung von Hilfen für
Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten dem Gesundheits- oder dem
Sozialbereich zugeordnet werden. Die Psychiatriereform hat eine Zuordnung der Hilfen
für Menschen mit psychischen Krankheiten und Suchtproblemen zum Gesundheitsbereich nahe gelegt. Die Zuständigkeit für die ambulante Eingliederungshilfe legt hingegen eine Planungsverantwortung im Sozialbereich nahe.
Die Hilfen für Menschen mit Behinderungen sind in der Kreisverwaltung des Rheinisch
Bergischen Kreises dem Fachbereich Jugend und Soziales, Gesundheit und Lastenausgleich, Beschäftigungsförderung zugeordnet. Der Kreistag hat für diesen Bereich einen
Fachausschuss Soziales und Gesundheit gebildet. Das Gesundheitsamt und das Sozialamt befinden sich allerdings in unterschiedlichen Gebäuden und nicht in räumlicher
Nähe.
Planungsverantwortliche
Die Organisation der Hilfen für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen auf lokaler Ebene beeinflusst auch die Aufgabenbeschreibung der Planungsverantwortlichen.
In den Empfehlungen der Expertenkommission von 1988 wurde die verbindliche Einführung von Koordinationsstellen zur Psychiatrieplanung auf kommunaler Ebene gefordert.
In Nordrhein-Westfalen wurde die Einrichtung von Stellen für Psychiatriekoordinator/inn/en von 1989 bis 1993 zunächst modellhaft und von 1993 bis 1997 regelhaft durch
einen Festbetrag gefördert. Mit dem Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst
wurde 1998 die Koordination der psychiatrischen und Suchtkrankenversorgung den
Kommunen als eigenständige gesetzliche Aufgabe übertragen.
Insgesamt waren Mitte 2003 in 27 von 30 Kreisen und in 22 von 24 kreisfreien Städten
Psychiatriekoordinator/inn/en eingesetzt. Die Stellen sind bis auf 6 Ausnahmen im Gesundheitsamt angesiedelt. In zwei Fällen sind sie dem Sozialamt, in weiteren vier Fällen
einem gesonderten Amt für Planungsaufgaben oder soziale Dienste zugeordnet. Die
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Stellen sind fast immer verbunden mit anderen Aufgaben. Am häufigsten ist die Kombination mit der Suchthilfeplanung (38 Fälle), gefolgt von der Verbindung mit der Behindertenhilfeplanung (14 Fälle), einer Tätigkeit im sozialpsychiatrischen Dienst und einer
koordinierende Tätigkeit für die Gesundheitskonferenz (9 Fälle).
Es gibt in 20 Kreisen und 22 kreisfreien Städten Suchthilfeplaner/innen, also über die mit
der Psychiatrieplanung verknüpften Stellen hinaus vier weitere Stellen.
Im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen gab
es keine der Gemeindepsychiatrie vergleichbaren Anreize zur Schaffung von speziellen
Planungsstellen. Neben dem allgemeinen Auftrag zur kommunalen Daseinsfürsorge finden sich jedoch in zahlreichen gesetzlichen Vorgaben Hinweise, die kommunale Planungsaktivitäten im Bereich der Behindertenhilfe begründen. Insgesamt stellen sich die
gesetzlichen Grundlagen allerdings als stark interpretationsfähig dar und so haben sich
regional sehr unterschiedliche Planungstraditionen entwickelt.
Insgesamt waren Mitte 2003 in 13 von 30 Kreisen und 18 von 24 kreisfreien Städten Behindertenhilfplaner/innen eingesetzt. Die Stellen sind, wenn sie nicht mit der Psychiatrieplanung verknüpft sind, meist im Sozialamt angesiedelt. Bis auf eine Ausnahme sind die
Stellen mit Planungsaufgaben in anderen Bereichen und/oder Beratungsaufgaben verbunden.
Die Verbindung der Bereiche Gesundheit und Soziales im Rheinisch Bergischen findet
sich in der Ausrichtung der Stelle des ‚Koordinators Behindertenangelegenheiten und
Psychiatrie’ wieder. Der Bereich der Koordination der Behindertenhilfe wurde im Jahre
2000 der damaligen Stelle des Psychiatriekoordinators, die bereits seit 1990 besteht, zugeordnet. Seit 2003 ist diese Stelle nicht mehr im Gesundheitsamt, sondern im Sozialamt
angesiedelt.
Aus der Stellenbeschreibung geht hervor, dass es als zentrale Planungsaufgabe angesehen wird, Bedarfslagen zu erfassen, Planungsziele zu entwickeln und mit den Trägern
Vereinbarungen zur Umsetzung der Planungsziele zu entwickeln. In die Planungen im
Bereich der gemeindepsychiatrischen Versorgung ist der Sozialpsychiatrische Dienst des
Gesundheitsamtes einbezogen.
Im Rheinisch Bergischen Kreis wird zum Zeitpunkt der Ersterhebung eine Strukturanalyse
vorgenommen, die die Grundlage für ein umfassendes Qualitätsmanagement bilden
soll. In diesem Zusammenhang werden auch die Zuständigkeiten und Abläufe in der
Verwaltung im Bereich der gemeindepsychiatrischen Versorgung und in der Behindertenhilfeuntersucht.
Der Koordinator für Behindertenangelegenheiten und Psychiatrie vertritt ein lebenslaufbezogenes Planungskonzept. Umgesetzt wird dies beispielsweise in der Strukturierung
entsprechender Planungsgremien und einem Informationsangebot für Menschen mit
Behinderungen im Internet.
Planungsgremien
Grundsätzlich können auf kommunaler Ebene drei Arten von Gremien im Bereich der
Behindertenhilfe unterschieden werden:
•
•
•
Planungsgremien, die von den politischen Organen einen Planungsauftrag erhalten
haben,
Gremien, die dem fachlichen Austausch dienen und fachliche Impulse zur Weiterentwicklung geben und
Gremien, die der Abstimmung von Trägern untereinander dienen.
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Insgesamt gibt es in 42 der 54 Gebietskörperschaften in NRW im Bereich der Planung für
Menschen mit psychischen Erkrankungen und in 41 Gebietskörperschaften im Bereich
der Planung der Hilfen für Menschen mit Suchtproblemen Gremien, die mit einem Planungsauftrag ausgestattet sind. Deutlich schlechter sieht es im Bereich der Hilfen für
Menschen mit geistigen, körperlichen oder Sinnesbehinderungen. Gremien mit Planungsauftrag gibt es in diesem Bereich lediglich in 15 der 24 kreisfreien Städte und in 12
der 30 Kreise.
PSAG
Bereits durch die Psychiatrie-Enquete wurde die Einrichtung von psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) angeregt, die als fachlich orientierte- Gremien zur Information und zum Austausch von Mitarbeiter/inne/n psychosozialer Dienste dienen und
Anregungen zur Weiterentwicklung von Angeboten geben sollen. Ausgehend von dem
Schwerpunkt auf fachlich orientierter Zusammenarbeit haben sich regional sehr unterschiedliche Organisationsformen der psychosozialen Arbeitsgemeinschaft gebildet.
Die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) im Rheinisch Bergischen Kreis ist ein
Fachgremium, welches den Aufbau und die Entwicklung des gemeindepsychiatrischen
Angebotes im Rheinisch Bergischen Kreis begleitet. Es bestehen Arbeitsgruppen zu den
Bereich ‚Sucht’, ‚Soziale Psychiatrie’, ‚Gerontopsychiatrie’ und ‚Prävention’. Von den
Unterarbeitsgruppen werden Konzepte erarbeitet und Empfehlungen erarbeitet, die in
den politischen Gremien beraten werden. Sie sind organisatorisch mit der Gesundheitskonferenz verbunden. Die PSAG hatte, wie bereits erwähnt, für den Aufbau gemeindepsychiatrischer Angebote im Rheinisch Bergischen Kreis zentrale Bedeutung und begleitet nach wie vor die fachlichen Entwicklung des Versorgungsangebotes.
Lebensphasenorientierte Koordinationskreise
Seitens des Koordinators für Behindertenangelegenheiten und Psychiatrie wurde der
Aufbau lebensphasenorientierter Koordinationskreise initiiert. Für diese Arbeitskreise
wurde eine Satzung erarbeitet. In den Arbeitskreisen sollen Fragen der Beratung, Behandlung, Unterstützung und Versorgung beraten werden mit dem Ziel der Koordinierung und der Abgabe von Empfehlungen. Die Arbeitskreise wirken mit an der Berichterstattung und der Planung im Kreis. Die Umsetzung der Beschlüsse erfolgt durch die
Selbstverpflichtung der Beteiligten. Zu den Arbeitskreisen werden die im Kreis tätigen
Träger der Behindertenhilfe, die Vertreter von Selbsthilfegruppe, ggf. niedergelassene
Ärzte und Therapeuten weitere Mitarbeiter/innen der Kreisverwaltung und weitere Kostenträger eingeladen. Ebenfalls zur Mitarbeit eingeladen ist die Arbeitsgemeinschaft
Behindertenhilfe.
Zum Stand der Erhebung existiert der Arbeitskreis ‚Lebensphase Frühe Kindheit’ und der
Arbeitskreis ‚Lebensphase Erwachsene (Geistig Behinderte) befindet sich im Aufbau. Im
Schwerpunkt Psychiatrie bestehen die Koordinationskreise Allgemein-Psychiatrie und
Sucht.
Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe
Bereits im Jahre 1977 wurde die Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe im Rheinisch Bergischen Kreis gegründet. Sie umfasst nahezu das volle Spektrum der Behindertenhilfe
(Selbsthilfe, öffentliche Stellen, Träger und Behindertenvertretungen). Sie versteht sich
als Interessensvertretung gegenüber der Politik, bietet Möglichkeiten zum Informations-
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austausch und führt eigene Veranstaltungen durch. Die Arbeitsgemeinschaft nimmt
Einfluss auf Planungen, hat aber keinen eigenständigen Planungsauftrag.
Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
Auf Landesebene haben sich die Wohlfahrtsverbände zur Liga der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen, um ihre gemeinsamen Interessen gegenüber öffentlichen Stellen zu vertreten. Dies geschieht jedoch nur dann, wenn im Abstimmungsprozess unter den Verbänden ein Konsens erzielt werden kann. Einen Zusammenschluss der
Freien Wohlfahrtspflege gibt es auch im Rheinisch Bergischen Kreis. Die Arbeitsgemeinschaft tritt insbesondere dann auf, wenn es um gemeinsame Interessen der Träger gegenüber dem Kreis geht.
Gesundheitskonferenz
Die kommunalen Gesundheitskonferenzen wird nach den Regelungen des ÖGD-Gesetz
vom Kreistag einberufen. Ihr gehören Vertreter und Vertreterinnen der an der Gesundheitsförderung und -versorgung Beteiligten, der Selbsthilfegruppen und der Einrichtungen für Gesundheitsvorsorge und Patientenschutz ebenso an, wie Mitglieder des Gesundheits- und Sozialausschuss des Kreistages. Bei der Auswahl von Themen werden in
den Kommunen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Im Rheinisch Bergischen Kreis
gibt es mit Ausnahme der PSAG keine Überschneidungen zu den in den oben dargestellten Fachgremien.
Versorgungsverpflichtung
Die regionale Pflichtversorgung nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen
bei psychischen Krankheiten (PsychKG) wird durch die Landesregierung für den Bereich
der Krankenhausbehandlung festgelegt. Vergleichbare rechtliche Regelungen gibt es
für die regionale Versorgung mit komplementären Angeboten nicht.
Der Aufbau eines gemeindepsychiatrischen Verbundes, in dem die verschiedenen Bausteine des Unterstützungsangebotes zusammengeführt werden, wird in den Empfehlungen der Expertenkommission als Fundament allgemeinpsychiatrischer ambulanter Versorgung angesehen. Der Verbund trägt die gemeinsame, regionale Versorgungsverpflichtung. Der gemeindepsychiatrische Verbund hat daher sowohl eine wichtige Bedeutung für die Koordination der Hilfen im Einzelfall als auch für die fachliche Weiterentwicklung des Unterstützungsnetzwerkes.
Im Rheinisch Bergischen Kreis findet der Gemeindepsychiatrische Verbund praktisch seit
den neunziger Jahren statt. Formell vollzogen wurde seine Gründung im Mai 2004 durch
die öffentliche Unterzeichnung eines Verbundvertrages. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und mit Suchtproblemen sind wesentliche Elemente bereits verwirklicht.
Es gibt für beide Zielgruppen jeweils im Nordkreis und im Südkreis einen Träger, der einen
Versorgungsauftrag für die jeweilige Zielgruppe wahrnimmt Zu diesem Zweck wurden
die nicht-ärztlichen Aufgaben des sozialpsychiatrischen Dienstes durch die Delegation
der Mitarbeiter/innen bei den beteiligten Trägern angesiedelt. Im Bereich AllgemeinPsychiatrie sind zur Aufgabenerfüllung jeweils Sozialpsychiatrische Zentren bei den regional agierenden Trägern eingerichtet.
In einem Modellprojekt bei dem Träger 'Die Kette e.V.' wurden in Kooperation mit dem
LVR und dem Kreis neue Formen individueller Hilfen im Bereich des Betreuten Wohnens
auf der Basis einer Individuellen Hilfeplanung eingeführt. So konnte ein breites Spektrum
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von Hilfen in das Angebot des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) integriert werden.
Dies erlaubte eine auf den Einzelfall bezogene Zusammenführung der Leistungen.
Im Bereich der Hilfen für Menschen mit Suchterkrankungen werden die Hilfen ausgehend von den Suchtberatungsstellen im Nord- und Südkreis entwickelt.
Formen einer trägerübergreifenden, auf die Region bezogenen Versorgungsverantwortung sind im Feld der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung noch weitgehend
unterentwickelt. Auch im Rheinisch Bergischen Kreis sind es eher die Träger, die sich in
einer Versorgungsverantwortung gegenüber ihrer Klientel oder ihren Mitgliedern sehen.
Planwerke
Planungsprozesse drücken sich in schriftlichen Planungswerken aus. Dabei kann es sich
um umfangreiche Psychiatrie- oder Behindertenhilfepläne, aber auch um grundlegende Beschlüsse politischer Gremien handeln.
Psychiatrieplan
Der Rheinisch Bergische Kreis hat in der Vergangenheit einen Planungsauftrag insbesondere im Bereich der psychiatrischen Versorgung wahrgenommen. Es liegt ein Psychiatrieplan aus dem Jahre 1985 vor, der für den Zeitraum von 1990 bis 1995 durch einen neuen Plan fortgeschrieben wurde. Die beiden Planungswerke beziehen sich auf
den Aufbau eines gemeindepsychiatrischen Verbundes. Sie sind in den Inhalten und in
der Größenordnung mit dem Landschaftsverband Rheinland abgestimmt. Zu späteren
Zeitpunkten wurden den Ausschüssen Psychiatrieberichte vorgelegt.
Bausteinkataloge
Im Rahmen der Planung des Kreises wurden‚Bausteinkataloge’ erarbeitet:
Der Bausteinkatalog Sozialpsychiatrische Versorgung von Menschen mit psychischen
Erkrankungen im Rheinisch Bergischen Kreis entspricht in der Begrifflichkeit und der Systematik den Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung aus dem Jahre 1988. Die von den Trägern der Sozialpsychiatrischen Versorgung vorgehaltenen Versorgungsbausteine entsprechen diesen Empfehlungen, weil diese die in der Bundesrepublik Deutschland allgemein anerkannte Fachmeinung in qualitativer und quantitativer Hinsicht darstellen. Der Bausteinkatalog umfasst alle vorgesehenen Elemente, auch
wenn diese im Rheinisch Bergischen Kreis nicht eingerichtet sind bzw. „nur“ partiell, unvollständig und ohne die notwendige systematische Konsequenz „mit angeboten“
werden. In diesen Fällen findet sich in der Trägerspalte kein Eintrag und somit ist diese
Leistung kein Bestandteil des jeweiligen Versorgungsvertrages zwischen Kreis und Träger.
Wenn die jeweiligen Bausteine aus der heutigen Sicht langfristig zur Komplettierung des
Systems erforderlich oder anstrebenswert sind, befindet sich ein entsprechender Eintrag
in der Spalte „Zukunft“.
Die Leistungsbausteine der sozialpsychiatrischen Suchtkrankenversorgung im Rheinisch
Bergischen Kreis definieren sich in der Terminologie und der Systematik der DHS – Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V. Ihr sind die Definitionen der im Kreis
von den Trägern der Suchtkrankenhilfe vorgehaltenen Angebotspalette entnommen,
weil diese die in der Bundesrepublik Deutschland allgemein anerkannte Fachmeinung
in qualitativer und quantitativer Hinsicht widerspiegeln. Der Aufbau ist analog dem Bausteinkatalog für die sozialpsychiatrische Versorgung.
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Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Daneben wurden seitens des Kreises Instrumente zum Controlling als Grundlage von
Leistungsvereinbarung entwickelt.
Einschätzung der Planungsstrukturen
Die Einschätzung der Planungsstrukturen in der Region war Gegenstand der Befragung
der Planungsverantwortlichen, der Träger und der Interessenvertretungen. Die Befragten wurden um eine Bewertung der Kooperationsbeziehungen bei der Planung wohnbezogener Angebote für Menschen mit Behinderung gebeten. Auf einer vierstufigen
Skala (trifft zu (1)- trifft eher zu (2)- trifft eher nicht zu (3)- trifft nicht zu (4)) wurden im
Rheinisch Bergischen Kreis folgende Mittelwerte4 erreicht. In Klammern gesetzt sind jeweils die Werte für NRW insgesamt:
4
In die Auswertung wurden die schriftlichen Fragebögen der Interessenvertretungen auf der Ebene
der Kreise und kreisfreien Städte, der Träger und der Planungsverantwortlichen einbezogen. Es
wurde nur Mittelwerte gebildet, wenn mindestens drei Antworten vorliegen. Aufgrund der geringen
Fallzahlen wurden daher die Antworten für die Zielgruppe Menschen mit Körperbehinderung nicht
aufgenommen.
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geistiger Behinderung
n= 7
seelischer Behinderung
n=3
Suchterkrankungen
n= 3
Planungen werden in erster
Linie trägerintern vorgenommen.
1,14
(1,54)
1,33
(1,78)
1,33
(1,87)
Die Träger der Angebote kooperieren untereinander gut.
2,6
(2,45)
1,67
(2,21)
2
(2,12)
Die Fachplaner/innen des
Kreises / der kreisfreien Städte
sind in Planungsprozesse eingebunden.
2,67
(2,40)
1,33
(1,91)
1,33
(1,82)
Menschen mit Behinderung
sind in die Planungsprozesse
eingebunden.
2,83
(2,89)
2,33
(3,04)
2,33
(2,96)
In Planungsprozessen stehen
fachliche Gesichtspunkte im
Vordergrund.
1,57
(1,74)
2
(1,76)
1,67
(1,76)
Planungsprozesse sind transparent.
2,71
(2,51)
1,5
(2,49)
1,33
(2,31)
Zielgruppe: Menschen mit...
Die Einschätzungen hinsichtlich der Kooperation, der Einbeziehung der Fachplanung
des Kreises und der Transparenz fallen im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger
Behinderung leicht ungünstiger aus, als im Landesdurchschnitt. Im Bereich der Hilfen für
Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen fällt die Bewertung hingegen positiver aus, als im Landesdurchschnitt. Dies unterstreicht die Bedeutung einer
gewachsenen Planungskultur, die von einer gemeinsamen Verantwortung der Aufgabenwahrnehmung geprägt ist. Sozial- und Gesundheitsverwaltung sowie Träger befinden sich dabei in einer aktiven Position.
Planungsstrukturen im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistigen und körperlichen
Behinderungen sind im Jahre 2003 nur ansatzweise entwickelt. Prägend ist eine nur
schwach koordinierte Planung durch die unterschiedlichen Träger.
Der Kreis strebt im Rahmen seines Organisationsentwicklungsprozesses eine Beschreibung seiner Aufgaben an und strebt an, die Beziehungen zu den Trägern von Angeboten auf der Grundlage von Vereinbarungen zu strukturieren. Dazu dient die Entwicklung
einer Struktur für Planungsgremien, die Erarbeitung eines Systems der Berichterstattung
und Planung, die Einführung von Controllingverfahren und der Abschluss von Leistungsvereinbarungen. Erste Umsetzungsschritte im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind bereits erfolgt. Es ist jedoch offen, wie sich dieser neue Planungsansatz zu der stärker auf Austausch, informeller Kooperation und punktuellen Entscheidungen gegründeten Planungstradition verhält. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen besteht eine längere Tradition, sich auf kreisbezogene Planungsprozesse einzulassen, als im Feld der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung. Hier ist die Struktur nach wie vor stark von einem autonomen Agieren einzelner Träger geprägt, das sich nur bedingt in einen auf die Gegebenheiten des Kreises orientierten Planungsprozess integrieren lässt.
2.2
Individuelle Hilfeplanung
‚Individuelle Hilfeplanung’ ist zu einem Schlüsselbegriff in der gegenwärtigen Reformdiskussion der Hilfen für Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten gewor- 11 -
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den. Sie sollen dazu beitragen, die Hilfen personenzentriert zu gestalten, um so gleichzeitig Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu verbessern und die Effektivität der Hilfen zu
erhöhen. Das BSHG (§ 46, jetzt § 58 SGB XII) verpflichtet die Sozialhilfeträger zur Erstellung eines auf den Einzelfall bezogenen Gesamtplans. Die aktive Ausgestaltung dieser
lange Zeit wenig beachteten Bestimmung wird in den letzten Jahren intensiv diskutiert.
Mit der Gesamtplanung verbinden sich Erwartungen an verbesserte Steuerungsmöglichkeiten. Auch in den Einrichtungen und Diensten gewinnt die Einführung von systematischen Verfahren der Hilfeplanung an Bedeutung, um in einem als Dienstleistung
verstandenen Unterstützungsprozess die fachliche Qualität sicher zu stellen.
Vor dem 30. Juni 2003 wurden in 28 Gebietskörperschaften trägerübergreifende Verfahren der Hilfeplanung im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen
angewandt. In der Hälfte der Fälle war dies verbunden mit einer Hilfeplankonferenz. Im
Verfahren der Bewilligung von Hilfen für Menschen mit Suchtproblemen wurde in 23 Regionen ein übergreifendes Verfahren der Hilfeplanung genutzt, zu dem in 10 Fällen eine
Hilfeplankonferenz gehörte. In 19 Kreisen und kreisfreien Städten wurde auch im Bereich
der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung ein Verfahren der Hilfeplanung eingesetzt, zu dem in sieben Fällen eine Hilfeplankonferenz gehörte.
Es handelt sich um sehr verschiedene Verfahren mit einem unterschiedlichen Grad der
Systematisierung. Es fällt auf, dass die Arbeit mit Hilfeplanverfahren in Westfalen verbreiteter war als im Rheinland. Alle Kommunen, die solche Verfahren für Menschen mit geistiger Behinderung angewandt haben und auch der größte Teil der Kreise und kreisfreien Städte, die im Bereich der Gemeindepsychiatrie und der Suchthilfe Hilfeplanungsinstrumente eingeführt haben, liegen in Westfalen.
Verfahren der Individuellen Hilfeplanung wurden durch den Sozialhilfeträger in der Vergangenheit nicht zur Anwendung gebracht. Es wurden im Rahmen der Aufnahme in
das Betreute Wohnen lediglich durch Fachärzte oder durch das Gesundheitsamt Atteste zur Feststellung einer Behinderung nach § 39 angefertigt.
Der Rheinisch Bergische Kreis war an einem Modellprojekt zur 'Implementation des personenzentrierten Ansatzes in der psychiatrischen Versorgung in Nordrhein-Westfalen'
beteiligt, mit dem (Modellprojekt) die Empfehlungen der 'Aktion Psychisch Kranke' zur
Einführung eines Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplanes (IBRP) aus dem
Jahre 1998 aufgegriffen wurde. Es ist allerdings nicht gelungen, das Verfahren verbindlich für alle an der psychiatrischen Versorgung beteiligten Dienste und Einrichtungen
einzuführen. Dahingehende Bemühungen wurden schlussendlich in Erwartung der Einführung des Hilfeplanverfahrens des Landschaftsverbandes Rheinland aufgegeben. Mit
Erfolg wurde und wird das Verfahren bei einzelnen Trägern eingesetzt.
2.3
Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen können ihre Interessen am besten selbst vertreten, wenn
dafür entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Es ist mittlerweile Konsens,
dass Betroffene als Experten in eigener Sache bei allen Planungen, die sie betreffen,
gehört und beteiligt werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Anliegen der Begleitforschung zu erheben, auf welche Weise Vertretungen von Menschen mit Behinderungen in Planungsprozesse zur Gestaltung der Hilfen zum selbständigen Wohnen eingebunden sind.
Auf kommunaler Ebene wurden unterschiedliche Formen gefunden, um die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen durch Selbstvertretungsgremien oder durch Ansprechpartner/innen in der Verwaltung zu verbessern. Es gibt daher kein einheitliches
- 12 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Verfahren zur Berufung der Beauftragten und Gremien und keine einheitliche Aufgabenbeschreibung5.
Mit Unterstützung der Planungsverantwortlichen in den Regionen und durch eigene Recherchen wurden die folgenden Vertretungsgremien ermittelt:
• Behindertenbeiräte oder analoge Gremien in 13 von 23 kreisfreien Städten und in 2
von 31 Kreisen;
•
•
Behindertenbeiräte oder analoge Gremien in 32 von 373 kreisangehörigen Städten
und Gemeinden in 13 Kreisen;
Behindertenbeauftragte in 9 von 23 kreisfreien Städten und in 5 von 31 Kreisen
•
Behindertenbeauftragte in 26 von 373 kreisangehörigen Städten und Gemeinden
•
63 sonstige Vertretungsgremien in 37 Kreisen und kreisfreien Städten6.
Im Rheinisch Bergischen Kreis wurden nach den vorgenannten Recherchen folgende
Vertretungsgremien angeschrieben:
•
Fünf Behindertenbeiräte in kreisangehörigen Städten und Gemeinden;
•
zwei Behindertenbeauftragte in kreisangehörigen Städten und Gemeinden;
•
ein sonstiges Vertretungsgremien auf der Ebene des Kreises angeschrieben.
Damit ist die Vertretung von Menschen mit Behinderung auf der Ebene der kreisangehörigen Gemeinde und Städte in der Region überdurchschnittlich entwickelt. Auch auf
der Ebene des Kreises stellt sich die Situation durch die Existenz der Arbeitsgemeinschaft
Behindertenhilfe als gut dar.
Beirat für die Belange von Menschen mit Behinderung in Bergisch Gladbach
Das Vertretungsgremium für Menschen mit Behinderung und Suchterkrankungen existiert seit 2001. Es wurde auf der Grundlage von Vorschlägen aus Verbänden der Behindertenhilfe durch den Rat der Stadt Bergisch Gladbach berufen. Mitglieder sind Menschen mit Behinderung und Vertreter/innen der Verwaltung, die für die Geschäftsführung zuständig sind. Als Besonderheit des Gremiums wird genannt, dass politische Vertreter freiwillig beratend an den Beiratssitzungen teilnehmen. Das Gremium wird in den
meisten Fällen an Planungen der öffentlichen Infrastruktur beteiligt und findet mit seinen
Vorschlägen, die in regelmäßigen Berichten, Besprechungen mit Planungsverantwortlichen und durch Öffentlichkeitsarbeit abgegeben werden, meistens Gehör. An Planungen wohnbezogener Hilfen ist der Beirat als Gremium nicht unmittelbar, sondern lediglich durch seine Mitgliedsorganisationen beteiligt.
In der Stadt Bergisch Gladbach gibt es eine Behindertenbeauftragte, die allerdings keinen eigenen Fragebogen ausgefüllt hat, da ihre Einschätzungen mit denen im Fragebogen des Behindertenbeirates identisch sind.
Die Stadt Bergisch Gladbach ist der Erklärung von Barcelona 'Die Stadt und die Behinderten beigetreten'. Damit verpflichtet sich die Kommune zu Maßnahmen, die Men5
Auch das Landesgleichstellungsgesetz (BGG-NRW), das zum 1.1.2004 in Kraft getreten ist, lässt offen, wie die
Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung auf der örtlichen Ebene ausgestaltet werden soll (§ 13). Allerdings ist zu erwarten, dass mit der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes auf örtlicher Ebene in weiteren
Kommunen Vertretungsgremien eingerichtet werden.
6
Sonstige Vertretungsgremien (z.B. Zusammenschlüsse von Selbsthilfegruppen, Arbeitsgemeinschaften) wurden
in die Untersuchung nur einbezogen, wenn keine vorgenannten Gremien identifiziert werden konnten oder diese Gremien von den Planungsverantwortlichen ausdrücklich benannt wurden.
- 13 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
schen mit Behinderungen einen besseren Zugang zu Informationen, zu Einrichtungen
der öffentlichen Infrastruktur und zu öffentlichen Verkehrsmitteln ermöglichen. Außerdem sollen die Unterstützungsangebote und die Partizipationsmöglichkeiten verbessert
werden (vgl. zum Wortlaut der Erklärung den Text z.B. auf der Interseite
www.behinderten-ratgeber.de).
Behindertenbeirat der Stadt Rösrath
Das Vertretungsgremium für Menschen mit Behinderung konstituiert sich auf der Grundlage von Vorschlägen der Fraktionen, von Verbänden der Behindertenhilfe, der Verwaltung und Selbsthilfegruppen. Mitglieder sind Menschen mit Behinderung, Menschen mit
chronischen Erkrankungen, Angehörige von Menschen mit Behinderung, Vertreter/innen von Anbietern professioneller Hilfen, der Politik und der Verwaltung. Das Gremium wird selten an Planung der öffentlichen Infrastruktur beteiligt und findet mit seinen
Vorschlägen, die in Vorbesprechungen mit den Verwaltungsgremien und in den Beratungen der zuständigen Ausschüsse abgegeben werden, auch nur selten Gehör. An
Planungen wohnbezogener Hilfen ist der Beirat nicht beteiligt.
Es liegen keine Rückmeldungen vor von dem Behindertenbeiräten in Kürten, Overath
und Leichlingen, von dem Ansprechpartner für behinderte Menschen in Overath und
von der Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe im Rheinisch Bergischen Kreis. Diese bereits erwähnte Arbeitsgemeinschaft bezieht auch die Behindertenbeiräte und beauftragten in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden ein. Dazu ist eigens
eine Unterarbeitsgruppe eingerichtet.
Für die Vertretung der Interessen von Menschen mit Behinderungen sind auch die zahlreichen Selbsthilfegruppen im Rheinisch Bergischen Kreis bedeutsam. In diesem Bereich
übernimmt die Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle für die Stadt Leverkusen und
den Rheinisch Bergischen Kreis in Trägerschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
und des Ev. Krankenhauses Bergisch Gladbach eine wichtige Koordinationsfunktion.
Wenngleich die Vertretungsgremien auf der Ebene der kreisangehörigen Städte und
Gemeinden unterschiedlich verfasst sind und in unterschiedlicher Weise auf Planungen
der öffentlichen Infrastruktur Einfluss nehmen können, zeugt allein die Existenz von Vertretungsgremien in vier der sechs Städte und in einer der beiden Gemeinden des Kreises von einer Sensibilisierung für die spezifischen Belange von Menschen mit Behinderung. Mit der Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe gibt es auch auf der Ebene des Kreises einen Zusammenschluss mit politischer Zielsetzung oder Auswirkung und einer bereits
sehr langen Tradition, der sich für die Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung einsetzt. Mit der Selbsthilfekontakt- und Informationsstelle besteht für Menschen mit Behinderung die Chance zur Kontaktaufnahme mit Menschen in vergleichbaren Lebenssituationen, zum Austausch und zur Vertretung gemeinsamer Interessen.
Die Vertretungsgremien bieten somit einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die, im Zusammenhang des Ausbaus ambulanter wohnbezogener Hilfen, notwendige Sensibilisierung des Gemeinwesens und die Gestaltung eines, im weitesten Sinne barrierefreien
sozialräumlichen Umfeldes.
- 14 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
3
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung
Zum 1. Juli 2003 wurde die Zuständigkeit für die ‚Hilfe zum selbständigen Wohnen’ bei
den Landschaftsverbänden angesiedelt. Auf diese Hilfen wird daher der Fokus der folgenden Ausführungen gelegt, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass die Bedeutung dieser Hilfen nur in Zusammenhang des gesamten regionalen Unterstützungsangebots verstanden und gewürdigt werden kann.
Die Daten, die in diesem Kapitel Verwendung finden, beruhen auf den Angaben der
Planungsverantwortlichen aus den Kreisen und kreisfreien Städten, des Landschaftsverbandes Rheinland und auf eigenen Erhebungen bei den Trägern. Mit einem schriftlichen Fragebogen wurden die Träger von Diensten und Einrichtungen der Eingliederungshilfe in die Untersuchung einbezogen, die vor der Zuständigkeitsverlagerung eine
Vereinbarung mit dem örtlichen oder überörtlichen Träger der Sozialhilfe abgeschlossen
hatten und entsprechende Leistungen erbracht haben7. Nicht immer konnten die Daten aus den unterschiedlichen Quellen in Übereinstimmung gebracht werden und es
konnten auch nicht alle Aspekte des Unterstützungsangebotes erfasst werden.
Aus der Übersicht des Landschaftsverbandes zu den vorhandenen Trägern, Diensten
und Einrichtungen wurde eine Tabelle der Träger erstellt, die mit den Angaben aus der
Region abgeglichen wurden. Die so ermittelten Träger wurden mit einem Fragebogen
angeschrieben. Durch die Auswertung der Fragebögen und eigene Recherchen wurden die Angaben zu Diensten und Einrichtungen vervollständigt8.
Zur Ermittlung der Nutzer/innen von Angeboten des Betreuten Wohnens vor dem
30.6.2003 wurden alle Kreise und kreisfreien Städte mit einem Erhebungsbogen angeschrieben. Die Angaben konnten leider in einigen Fällen nicht gemacht werden. In diesen Fällen wurde im Gebiet des Rheinlandes die Anzahl der durch den LVR bewilligten
Plätze zugrunde gelegt. Im Gebiet des LWL wurde auf eine Abfrage des LWL bei den
Kommunen zu den bewilligten Angeboten im 2. Halbjahr 2002 zurückgegriffen. Zusätzlich wurden dort die Angebote des Betreuten Wohnens durch die Westfälischen Kliniken
ermittelt9.
Insgesamt gab es zum 30.6.2003 im Rheinisch Bergischen Kreis ein Angebot
•
an etwa 1,94 Plätzen pro Tausend Einwohner/innen in Wohneinrichtungen und Außenwohngruppen (Durchschnittswert NRW: 2,35) und
7
Insgesamt wurden 723 Träger von wohnbezogenen Hilfen für Menschen mit Behinderungen angeschrieben. Davon haben sich 395 Träger (54, 6 %) an der Befragung beteiligt. Diese unterhalten
Wohnheime und Außenwohngruppen mit Plätzen für 25.481 Menschen mit Behinderung (59,9 %).
Außerdem halten die Träger, die sich an der Befragung beteiligt haben 268 Dienste des Betreuten
Wohnens (60,6 %) vor. Aufgrund einer Beteiligung von über 50 % der Träger kann die Auswertung
der Befragung als repräsentativ für Nordrhein-Westfalen gelten.
8
Da dieses Verfahren fehleranfällig ist, bitten wir die aufmerksamen Leser/innen um eine Rückmeldung per e-mail an [email protected] . Bei gravierenden Abweichungen werden wir eine entsprechende Korrektur vornehmen.
9
Die angegebenen ambulanten wohnbezogenen Eingliederungshilfen für die Zeit vor dem 1.7.2003
sind nicht identisch mit den in die Zuständigkeit der Landschaftsverbände übergegangenen Hilfen.
'Hilfen zum selbstständigen Wohnen' umfassen beispielsweise auch Hilfen für Menschen mit Körperbehinderungen, die vorher von den Kommunen als Leistung der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung bewilligt wurde. Im Gebiet des LWL wurden mit dem beschriebenen Verfahren zum
30.6.2003 etwa 6055 Personen im Betreuten Wohnen ermittelt, der LWL teilt jedoch mit, dass zum
1.7.2003 insgesamt 6.129 Personen Hilfen zum selbständigen Wohnen durch den LWL erhielten. Der
LVR hat bis zum 30.6.2003 insgesamt 4650 Plätze im Betreuten Wohnen gefördert. Einige Kommunen
haben für weitere Personen Leistungen bewilligt. So ergibt sich nach den Recherchen des ZPE zum
30.6. 2003 ein Angebot im Gebiet des LVR für etwa 4950 Personen.
- 15 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
•
für etwa 0,74 Personen pro Tausend Einwohner/innen im Ambulant Betreuten Wohnen (Durchschnittswert NRW: 0,61).
Dieses Angebot soll im Folgenden nach Zielgruppen differenziert dargestellt werden.
3.1
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung
und autistischen Syndromen
Menschen mit einer geistigen Behinderung und Menschen mit autistischen Syndromen
sind in der Regel ihr Leben lang auf Unterstützung angewiesen. Lange Zeit dominierte
die Vorstellung, dass diese Unterstützung außerhalb der Familie nur in der schützenden
Umgebung einer stationären Einrichtung zu leisten ist. Erfahrungen mit ambulanten Unterstützungsarrangements belegen aber, dass die Hilfen unabhängig von Art und
Schwere der Behinderung auch außerhalb stationärer Einrichtungen erbracht werden
können. Grundlegend dabei ist die Erkenntnis, dass an die Stelle der Komplexhilfe in einer stationären Wohneinrichtung nicht das Angebot eines einzelnen Dienstes, sondern
ein individuelles Unterstützungsarrangement in unterschiedlichen Lebensbereichen treten muss. Ein solches Unterstützungsarrangements kann, je nach Einzelfall (multi)professionelle Hilfen und auch nichtprofessionelle Hilfen umfassen. Was sie aber unstreitbar erfordern ist eine professionelle und vieldimensionale Hilfeplanung.
Die Zielperspektive für alle beteiligten Akteure ist die Entwicklung eines Unterstützungsarrangements, das sowohl den Menschen mit geistiger Behinderung selbst ein Höchstmaß
an Selbstbestimmung ermöglicht, als auch den Erwartungen von Angehörigen Rechnung trägt, die nichts geringeres erwarten, als das ihre "Kinder" in Würde, Sicherheit und
gut versorgt leben können. Daher sind die Erwartungen an eine Weiterentwicklung des
Unterstützungsangebotes im Sinne des Vorrangs ambulanter Hilfen und an eine Weiterentwicklung der regionalen Infrastruktur als Vorraussetzung für ein möglichst selbstbestimmtes Leben sehr hoch.
Es gibt im Rheinisch Bergischen Kreis für Menschen mit geistiger Behinderung im Rahmen
der Eingliederungshilfe folgende Angebote wohnbezogener Hilfen:
•
Etwa 1,52 Plätze pro Tausend Einwohner/innen in Wohnheimen (DurchschnittswertNRW: 1,66);
•
etwa 0,41 Plätze pro Tausend Einwohner/innen in Außenwohngruppen (Durchschnittswert NRW: 0,26) und
•
Hilfen im Ambulant Betreuten Wohnen für ca. 0,16 Menschen pro Tausend Einwohner/innen (Durchschnittswert-NRW: 0,14).
Für die Zielgruppe der Menschen mit autistischen Syndromen gibt es ein Angebot, das
Wohnangebot des Hauses Hommeln in Kürten, mit 10 Plätzen und einem therapeutischen Beschäftigungsangebot in Trägerschaft des Regionalverbandes 'Hilfe für das autistische Kind' Köln-Bonn e.V.. Spezielle Angebote für diese Zielgruppen gibt es bislang
noch nicht flächendeckend. Die meisten Menschen mit autistischen Syndromen leben,
wenn nicht in ihrer Herkunftsfamilie, in Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung.
Die räumliche Verteilung der Dienste und Einrichtungen ergibt das folgende Bild:
- 16 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Dienste und Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung und Menschen mit autistischen Syndromen im Rheinisch Bergischen Kreis10
Leichlingen
Wermelskirchen
37
0
47
Burscheid
28
Odenthal
Kürten
10
Bergisch Gladbach
17
1
52
Overath
10
Rösrath
199
28
0
Legende:
□
Eine oder mehrere Wohneinrichtungen mit Plätzen insgesamt
∆
Eine oder mehr Außenwohngruppen mit Plätzen insgesamt
○ Angebot für Menschen mit autistischen Syndromen
● Ein oder mehrere ambulante Dienste
(Es sind auch Dienste, Einrichtungen und Plätze erfasst,
die auch für andere Zielgruppen angeboten werden.)
(Das Diakoniewerk Michaelshoven bietet einen weiteren ambulanten Dienst von seinem Standort in der Stadt Köln aus an.)
10
Die Darstellung orientiert sich an den Postleitzahlbezirken, die im Wesentlichen übereinstimmen mit
den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, für Verdichtungsräume aber eine kleinräumigere
Gliederung bieten.
- 17 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Im Rheinisch Bergischen Kreis gibt es sieben Träger wohnbezogener Hilfen für Menschen
mit geistiger Behinderung und einen Träger wohnbezogener Hilfen für Menschen mit
autistischem Syndrom. Der größte Träger im stationären Bereich (WMB-Wohnen für Menschen mit Behinderung gGmbH) unterhält stationäre Einrichtungen mit 146 Plätzen und
einen Ambulanten Dienst.
•
Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Mittelrhein e.V.
•
•
Caritasverband f. d. Rheinisch Bergischen Kreis e.V.
Diakoniewerk Michaelshoven/Coenaculum e.V.
•
Rhein. Heilpädag. Heim Langenfeld, LVR
•
Werkstatt Lebenshilfe im Berg. Land GmbH
•
WHB Refrath GmbH
•
•
WMB-Wohnen für Menschen mit Behinderung gGmbH
Hilfe für das autistische Kind, Regionalverband Köln-Bonn e.V.
Es haben sich 6 Träger aus dem Rheinisch Bergischen Kreis an der schriftlichen Befragung beteiligt, die insgesamt mehr als 80 % der stationären Plätze anbieten und 4 der 5
Dienste für Ambulant Betreutes Wohnen. Die Angaben in den Fragebögen sind repräsentativ, da sich die Mehrheit der Anbieter beteiligt hat, die auch die meisten Angebote vorhält.
In dem Fragebogen für die Träger wohnbezogener Hilfen wurde nach speziellen Angeboten zur Förderung der Selbständigkeit der Nutzer/innen gefragt. Genannt wurden die
Instrumente der Individuellen Entwicklungsplanung (IEP) nach dem Wiener Modell und
die Assistenzplanung sowie das Angebot von Trainingsgruppen und -wohnungen.
Die Planungsverantwortlichen und die Träger von Diensten und Einrichtungen wurden
um eine Einschätzung des Bedarfs an wohnbezogenen Hilfen für Menschen mit geistiger
Behinderung im Rheinisch Bergischen Kreis gebeten. Sie sollten auf einer fünfstufigen
Skala (nicht gedeckt (1) - teilweise gedeckt (2) überwiegend gedeckt (3) gedeckt (4)
es besteht ein Überangebot (5)) eine Angabe machen11.
11
Planungsverantwortliche
RBK
Planungsverantwortliche NRW
(n=33)
Träger in
Region
(n=6)
Träger in
NRW
(n=144)
im stationären Bereich
4
3,40
1,8
2,30
im ambulanten Bereich
1
2,24
1,6
1,74
im Bereich der Hilfen, die Menschen mit Behinderung auf den
Übergang in selbständige Wohn-
1
2,29
1,4
1,80
Aus den Antworten der Träger und der Planungsverantwortlichen in NRW wurden die Mittelwerte
gebildet. Es wurden nur Mittelwerte gebildet, wenn mindestens drei Antworten vorlagen.
- 18 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
formen vorbereiten:
im Bereich begleitender Beratung
1
2,22
1,4
1,60
Betrachtet man die Einschätzungen zum Bedarf an weiteren Hilfeangeboten, so überrascht, dass landesweit sowohl die Planungsverantwortlichen der Kommunen als auch
die Träger den Bedarf an stationären Hilfen nicht als vollständig gedeckt betrachten.
Ein wichtiger Grund für die Zuständigkeitsveränderung ist die Vermutung, dass durch
eine Umsteuerung auf ambulante Hilfen in einem ersten Schritt der Ausbau stationärer
Hilfen im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung gestoppt werden
kann und in einem zweiten Schritt ein Abbau von Plätzen zu erreichen ist. Erfahrungen in
anderen Ländern zeigen, dass auf stationäre Angebote im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung vollständig verzichtet werden kann. Die Einschätzungen im landesweiten Durchschnitt lassen darauf schließen, dass das Prinzip ‚ambulant
vor stationär’ und die Zielsetzung des Ausbaus Offener Hilfen nicht mit der Perspektive
verfolgt wird, langfristig für alle Menschen mit geistiger Behinderung ein Unterstützungsangebot außerhalb von stationären Einrichtungen zu realisieren.
Im Rheinisch Bergischen Kreis gibt es gemessen an den Platzzahlen ein im Landesvergleich leicht unterdurchschnittliches Angebot an stationären Plätzen und ein überdurchschnittliches Angebot an Wohnmöglichkeiten in Außenwohngruppen und im
Ambulant Betreuten Wohnen. Die Angebote sind nicht gleichmäßig im Kreisgebiet verteilt, sondern konzentrieren sich insbesondere in den Gemeinden Rösrath und Wermelskirchen. Viele Angebote im Rheinisch Bergischen Kreis adressieren ihr Angebot auch an
Personen außerhalb des Kreises. Dies hängt mit kreisübergreifenden Trägerstrukturen
und der bisherigen Aufnahmepraxis stationärer Einrichtungen zusammen. Die beide im
Kreis tätigen Lebenshilfe-Vereinigungen haben kreisgrenzenübergreifende Vereinsgebiete: die Lebenshilfe Bergisches Land ist auch im nördlichen Oberbergischen Kreis aktiv
und die Lebenshilfe Rheinisch Bergischer Kreis und Köln-Porz ist, wie der Name bereits
sagt, auch Raum Köln-Porz tätig. Die Standorte der beiden Träger orientieren sich an
dem trägerdefinierten Versorgungsgebietes. Ähnliches gilt auch für die Anbieter Diakonie Michaelshoven und AWO-Mittelrhein.
Seitens des Planungsverantwortlichen wird der Bedarf im stationären Bereich als gedeckt erachtet, wenngleich angemerkt wird, dass es für bestimmte Zielgruppen bislang
kein adäquates stationäres Angebot gibt. Von den Trägern wird ein überdurchschnittlich hoher Bedarf an weiteren stationären Hilfen gesehen. Im Bereich der ambulanten,
begleitenden und beratenden Hilfen wird von allen Befragten im Rheinisch Bergischen
Kreis ein weiterer Bedarf gesehen. Dies deckt sich mit der Bereitschaft und dem Interesse der Träger, in diesem Bereich aktiv zu werden. Die Zielsetzung des Ausbaus Offener
Hilfen kann im Rheinisch Bergischen Kreis als Chance genutzt werden, den weiteren Bedarf durch eine regionale Infrastruktur ambulanter Hilfen zu realisieren. Dazu ist allerdings die Entwicklung eines ambulanten Angebotes notwendig, das Menschen mit Behinderungen die Möglichkeiten der Offenen Hilfen unabhängig von der Art und dem
Grad der Behinderung erschließt.
3.2
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit seelischer Behinderung
Die Zuständigkeit der Sozialhilfe setzt im Bereich der Hilfen für Menschen mit seelischer
Behinderung ein, wenn die psychische Krankheit über einen längeren Zeitraum, mindestens sechs Monate andauert, beziehungsweise eine andauernde psychische Erkran- 19 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
kung droht. Unabhängig von der tatsächlich erfolgten Anerkennung als Schwerbehinderte/r wird im sozialhilferechtlichen Sinne von diesem Zeitpunkt von einer Behinderung
gesprochen. Der Grundsatz ‚Behandlung vor Chronifizierung’ weist zum Einen auf die
Bedeutung anderer Unterstützungssysteme, die vorwiegend im Gesundheitswesen angesiedelt sind. Eine kommunale Verantwortlichkeit für den Personenkreis der Menschen
mit seelischer Behinderung ist nicht nur durch die Zuständigkeit als örtlicher Sozialhilfeträger gegeben, sondern auch durch die Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Zu nennen sind hier insbesondere die Aufgaben der Psychiatriekoordination
und die Aufgaben des sozialpsychiatrischen Dienstes.
Der Grundsatz weist zum anderen darauf hin, dass der Bedarf an wohnbezogenen Hilfen nicht einmalig und dauerhaft geklärt werden kann, sondern in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Krankheitsverlauf und den sonstigen Möglichkeiten des Hilfesystems gesehen werden muss. Menschen mit einer seelischen Behinderung haben in der
Regel eine eigene Wohnung. Die Hilfen sollen sie befähigen, ihren Alltag zu bewältigen
und in ihrem sozialen Umfeld stabile Beziehungen aufzubauen. Die ambulanten Hilfen
zum selbständigen Wohnen fügen sich hier ein in ein regional unterschiedlich entwickeltes Netzwerk sozialpsychiatrischer Hilfen.
Es gibt im Rheinisch Bergischen Kreis für Menschen mit seelischer Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe folgende Angebote wohnbezogener Hilfen:
•
Etwa 0,25 Plätze pro Tausend Einwohner/innen in Wohnheimen (DurchschnittswertNRW: 0,45);
•
etwa 0,08 Plätze pro Tausend Einwohner in Außenwohngruppen (Durchschnittswert
NRW: 0,08) und
•
Hilfen im Ambulant Betreuten Wohnen für ca. 0,37 Menschen pro Tausend Einwohner (Durchschnittswert-NRW: 0,36).
Die räumliche Verteilung der Dienste und Einrichtungen ergibt das folgende Bild:
- 20 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Dienste und Einrichtungen für Menschen mit seelischer Behinderung im
Rheinisch Bergischen Kreis12
Leichlingen
Wermelskirchen
15
0
Burscheid
12
Odenthal
19
Kürten
1
6
Bergisch Gladbach
12
15
0
6
Overath
Rösrath
Legende:
□
Eine oder mehrere Wohneinrichtungen mit Plätzen insgesamt
∆
Eine oder mehr Außenwohngruppen mit Plätzen insgesamt
● Ein oder mehrere ambulante Dienste
(Es sind auch Dienste, Einrichtungen und Plätze erfasst,
die auch für andere Zielgruppen angeboten werden.)
12
Die Darstellung orientiert sich an den Postleitzahlbezirken, die im Wesentlichen übereinstimmen mit
den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, für Verdichtungsräume aber eine kleinräumigere
Gliederung bieten.
- 21 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Im Rheinisch Bergischen Kreis gibt es drei Träger wohnbezogener Hilfen für Menschen
mit seelischer Behinderung. Der größte Träger im stationären Bereich (Die Kette e.V.)
unterhält stationäre Einrichtungen mit 65 Plätzen und ein SPZ mit diversen Einzelbausteinen.
•
Alpha e.V. Wohn- und Werkgemeinschaften
•
Hof Sondern e.V.
•
'Die Kette' e.V. - Rheinisch-Bergischer Verein für Sozialtherapeutische Dienste 'Die
Kette' e.V.
Während der Hof Sondern e.V. ein kleines stationäres Angebot anbietet, handelt es sich
bei Alpha e.V. um den Träger des Sozialpsychiatrischen Zentrums im Nordkreis (Städte
Wermelskirchen, Burscheid und Leichlingen) und bei Die Kette e.V. um den Träger des
Sozialpsychiatrischen Zentrums im Südkreis (restliche fünf Kommunen). Beide Träger haben für ihren Zuständigkeitsbereich eine Versorgungsverpflichtung übernommen. An
der Befragung haben sich die beiden Träger der sozialpsychiatrischen Zentren beteiligt.
Der alpha e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Wuppertal und betreibt seit 1986
einen ambulanten Dienst, der zum Zeitpunkt der Zuständigkeitsverlagerung von 32 Personen genutzt wird. Seit 1980 unterhält der Verein in Wermelskirchen eine Übergangseinrichtung zur medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Die Aufenthaltsdauer ist auf 24 Monate begrenzt. Im Rheinisch Bergischen Kreis unterhält der
Verein des Weiteren eine Tagesstätte, ein Integrationsprojekt und einen Integrationsfachdienst.
Der Verein 'Die Kette' e.V. - Rheinisch Bergischer Verein für Sozialtherapeutische Dienste
bietet auch seit 1986 Ambulant Betreutes Wohnen an. Über das nach den regulären
Förderrichtlinien des LVR finanzierte Betreute Wohnen hinaus bietet Die Kette e.V. Betreutes Wohnen in dem bereits erwähnten Modellprojekt an. Mitarbeiter/innen verschiedener Professionen erbringen die Hilfen auf der Grundlage eines individuellen Hilfeplanes. Darüber hinaus werden, finanziert vom Kreis, weitere Eingliederungshilfen zum
Betreuten Wohnen geleistet.
Die Kette e.V. organisiert ihr stationäres Wohnangebot in den sozialtherapeutischen
Wohnstätten Topten. Diese wiederum sind organisiert in Wohngruppen mit maximal 11
Plätzen und werden im Fragebogen wie folgt charakterisiert: "Dauerwohnheimplätze
mit individuellen Betreuungsmöglichkeiten, Außenwohngruppen, stationärem Einzelwohnen und extramuraler Arbeitstherapie".
Neben dem Kontakt- und Beratungsangebot und den wohnbezogenen Hilfen bietet
'Die Kette' eine Tagesstätte, einen Integrationsfachdienst und psychiatrische Krankenpflege an und sie betreibt einen Integrationsbetrieb.
Die Planungsverantwortlichen und die Träger von Diensten und Einrichtungen wurden
um eine Einschätzung des Bedarfs an wohnbezogenen Hilfen für Menschen mit seelischer Behinderung im Rheinisch Bergischen Kreis gebeten. Sie sollten auf einer fünfstufigen Skala (nicht gedeckt (1) - teilweise gedeckt (2) überwiegend gedeckt (3) gedeckt
(4) es besteht ein Überangebot (5)) eine Angabe machen13.
13
Aus den Antworten der Träger und der Planungsverantwortlichen in NRW wurden die Mittelwerte
gebildet.
- 22 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Planungsverantwortliche
RBK
Planungsverantwortliche NRW
(n=32)
Träger in
Region
(n=2)
Träger in
NRW
(n=139)
im stationären Bereich
4
3,35
3,5
2,64
im ambulanten Bereich
2
2,97
2
1,97
im Bereich der Hilfen, die Menschen mit Behinderung auf den
Übergang in selbständige Wohnformen vorbereiten:
2
2,68
3
2,05
im Bereich begleitender Beratung
4
2,97
2,5
2,25
Wenngleich das stationäre Angebot im Rheinisch Bergischen Kreis unterdurchschnittlich
ausgebaut ist, ist sowohl aus Sicht des Kreises als auch aus Sicht der Träger eine Bedarfsdeckung weitgehend erreicht. Dennoch wird hinsichtlich der Versorgung bestimmter Zielgruppen ein weiterer Entwicklungsbedarf gesehen. So hat beispielsweise die Arbeitsgruppe Gerontopsychiatrie der PSAG eine Konzeption zur gerontopsychiatrischen
Versorgung dementiell erkrankter Menschen im Rheinisch Bergischen Kreis vorgelegt,
der Defizite in diesem Bereich beschreibt. Ausbaupotentiale werden im ambulanten
Bereich gesehen und in der Verbesserung der Unterstützung im Übergang zu selbständigen Wohnformen. Mit der regionalen Versorgungsverpflichtung und einem ausdifferenzierten Angebot besteht im Rheinisch Bergischen Kreis ein tragfähiges Netzwerk der
gemeindepsychiatrischen Versorgung.
3.3
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit Suchterkrankungen
Ganz ähnlich wie im Bereich der Hilfen für Menschen mit seelischer Behinderung weist
der Bereich der Hilfen für Menschen mit Suchterkrankungen große Überschneidungen
zum System gesundheitlicher Versorgung auf. Die Hilfen zielen auf eine dauerhafte Veränderung der sozialen Situation der Klientel und sollen zur Alltagsbewältigung und zum
Aufbau stabiler Beziehungen im sozialen Umfeld beitragen. Da Menschen mit Suchterkrankungen in hohem Maße auch von Wohnungslosigkeit betroffen sind, besteht eine
wichtige Aufgabe der Unterstützung darin, Übergänge und die Eingliederung in Wohnumfelder zu bewerkstelligen. Eine Verbindung von Suchterkrankungen und psychischen
Erkrankungen ist häufig anzutreffen und stellt spezielle Anforderungen. Eine kommunale
Verantwortlichkeit für den Personenkreis der Menschen mit Suchterkrankungen ist demnach nicht nur durch die Zuständigkeit als örtlicher Sozialhilfeträger gegeben, sondern
auch in der Bekämpfung von Obdachlosigkeit und durch die Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Zu nennen sind hier insbesondere die Aufgaben der Suchthilfekoordination und die Aufgaben des sozialpsychiatrischen Dienstes. Der Bedarf an
wohnbezogenen Hilfen kann nicht einmalig und dauerhaft geklärt werden, sondern
muss in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Krankheitsverlauf und den sonstigen
Möglichkeiten des Hilfesystems gesehen werden. Die nun folgende Übersicht über die
Hilfen zum selbständigen Wohnen stellt daher nur einen Ausschnitt des regionalen Unterstützungsangebotes dar.
- 23 -
Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen
Es gibt im Rheinisch Bergischen Kreis für Menschen mit Suchterkrankungen im Rahmen
der Eingliederungshilfe folgende Angebote wohnbezogener Hilfen:
•
•
Etwa 0,06 Plätze pro Tausend Einwohner/innen in Wohnheimen (DurchschnittswertNRW: 0,13);
Hilfen im Ambulant Betreuten Wohnen für ca. 0,11 Menschen pro Tausend Einwohner/innen (Durchschnittswert-NRW: 0,09).
In Region gibt es vier Träger wohnbezogener Hilfen für Menschen mit suchtbedingter
Behinderung, von denen sich zwei an der Befragung beteiligt waren.
•
Caritasverband für den Rheinisch Bergischen Kreis e.V. (beteiligt)
•
Psychosomatische Klinik Bergisch Gladbach (beteiligt)
•
Skarabaeus e.V.
•
Schlossparkklinik
Der Caritasverband für den Rheinisch Bergischen Kreis bietet Ambulant Betreutes Wohnen seit 1991 in unterschiedlichen Wohnformen (Einzelwohnen und Wohngemeinschaften) an Das seit 2001 bestehende Wohnhaus Horizont ist eine soziotherapeutische Einrichtung für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängige Das wohnbezogene Angebot
der Caritas RheinBerg verbindet sich mit dem Angebot von zwei Suchtberatungsstellen
(Alkohol/ Medikamente/Spielsucht bzw. Drogen) und einer Beratungsstelle für Wohnungslose (im Zusammenwirken mit der Diakonie) mit jeweils einer Aussenstelle in Rösrath sowie der Wahrnehmung der sozialarbeiterischen Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes (Sucht) im Südkreis.
Der Anlass zur Einrichtung des Ambulant Betreuten Wohnens der Psychosomatischen
Klinik Bergisch Gladbach war das fehlende Angebot an aufsuchenden Hilfen für Suchtkranke insbesondere mit psychiatrischer Comorbidität. Das Spezifikum der Hilfe wird in
der alltagsorientierten Unterstützung in enger Kooperation mit dem klinischen Angebot
gesehen.
Darüberhinaus hat der Verein Sakrabäus e.V. in Selbsthilfe ein Netzwerk von Wohn- und
Arbeitsmöglichkeiten geschaffen und die Schlossparkklinik bietet betreutes Wohnen als
Nachsorge in ihrer "Vorburg" an. Allerdings sind diese beiden Angebote keine Angebote, die nach den Regeln des LVR durchgeführt und von diesem auch entsprechend
refinanziert werden.
Die Planungsverantwortlichen und die Träger von Diensten und Einrichtungen wurden
um eine Einschätzung des Bedarfs an wohnbezogenen Hilfen für Menschen mit seelischer Behinderung in Rheinisch Bergischen Kreis gebeten. Sie sollten auf einer fünfstufigen Skala (nicht gedeckt (1) - teilweise gedeckt (2) überwiegend gedeckt (3) gedeckt
(4) es besteht ein Überangebot (5)) eine Angabe machen14.
14
Aus den Antworten der Träger und der Planungsverantwortlichen in NRW wurden die Mittelwerte
gebildet.
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Bedarfseinschätzungen
Planungsverantwortliche
RBK
Planungsverantwortliche NRW
(n=32)
Träger in
Region
(n=2)
Träger in
NRW
(n=76)
im stationären Bereich
4
3,0
3
2,51
im ambulanten Bereich
2
2,56
3,5
2,16
im Bereich der Hilfen, die Menschen mit suchtbedingten Behinderung auf den Übergang in
selbständige Wohnformen vorbereiten:
2
2,15
3,5
2,17
im Bereich begleitender Beratung
2
2,78
3
2,46
Auch im Bereich der Hilfe für Menschen mit suchtbedingten Behinderungen ergibt sich
das Bild einer weitgehenden Bedarfsdeckung, wenngleich sowohl seitens des Kreises als
auch der Träger Defizite hinsichtlich bestimmter Zielgruppen sehen. Im Psychiatriebericht von 2001 wird dazu ausgeführt: "Auch nach Psychiatriereform und Enthospitalisierungsprogrammen leben Menschen mit psychischen Erkrankungen und anderen massiven Beeinträchtigungen zum Beispiel Alkohol- und Drogenabhängigkeiten in den Langzeitbereichen von Kliniken oder gelten als “Drehtürpatienten” die zwischen Straße und
Parkbank oder Obdachlosenasyl und Klinikbett hin- und herpendeln, u.a. auch, weil die
in der klassischen Trennung von Suchtkrankenversorgung und Allgemein-Psychiatrie
verhafteten Träger- und Finanzierungsstrukturen auf die Bedürfnisse dieser Personengruppe keine Antwort gefunden haben" (S. 5).
3.4
Wohnbezogene Unterstützungsangebote für Menschen mit körperlicher Behinderung und mit Sinnesbehinderungen
Menschen mit körperlichen Behinderungen sind in erster Linie auf pflegerische Hilfen,
Hilfen im Haushalt und Hilfen zur Mobilität angewiesen. Diese Hilfen werden häufig
durch Pflegedienste oder ambulante Dienste der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) geleistet, die nicht in die Untersuchung einbezogen waren. Es ist bekannt, dass auch jüngere Menschen mit Körperbehinderungen aufgrund eines fehlenden Unterstützungsangebotes Hilfen in Altenpflegeeinrichtungen in Anspruch nehmen.
Auch die Hilfen für Menschen mit körperlichen Behinderungen sind Hilfen zum selbständigen Wohnen. Da die Leistungen aber zum größten Teil vor der Zuständigkeitsveränderung nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht wurden, können diese Hilfen in
diesem Portrait nicht angemessen dargestellt werden.
In Rheinisch Bergischer Kreis bietet der Verein Progymnasium Bensberg e.V. Ambulant
Betreutes Wohnen für Körperbehinderte an. Es ist eingebettet in ein umfangreiches
Beratungs-, Kultur- und Freizeitangebot des Vereins.
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3.5
Ambulante Krisendienste
Ambulante Krisendienste, die in Notfällen zu allen Tages- und Nachtzeiten erreichbar
sind, sind ein wichtiger Bestandteil der psychosozialen Versorgung. Ihnen kommt für den
Ausbau ambulanter Versorgungsstrukturen eine zentrale Bedeutung zu, da für viele
Menschen mit Behinderung das Leben in einer eigenen Wohnung nur dann möglich ist,
wenn in Krisensituationen eine schnelle Hilfe erfolgen kann. Dies gilt in besonderem Maße für Menschen mit psychischen Erkrankungen, aber auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Wenngleich die Notwendigkeit von Krisendiensten fachlich unumstritten ist, sind regionale Krisendienste aufgrund ungeklärter Zuständigkeits- und Finanzierungsfragen als eigenständiges Angebot nur selten vorhanden. Einen solchen Dienst
gibt es auch im Rheinisch Bergischen Kreis nicht.
Die Träger ambulanter Dienste wurden gefragt, auf welche Weise sichergestellt ist, dass
Nutzer/innen außerhalb der individuell vereinbarten Betreuungszeiten im Bedarfsfall Hilfen erhalten können.
Von den Diensten im Bereich der Hilfen für Menschen mit geisitger Behinderung wird
angegeben,
dass
Mitarbeiter/innen
in
bekannten
bzw.
vorhersehebaren
Krisensituationen telefonisch erreichbar sind. In einem anderen Fall kann die
Rufbereitschaft der Wohnstätte in Anspruch genommen werden.
Auch im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen werden im
Bedarfsfall mit einzelnen Klienten Absprachen bzgl der telefonischen Erreichbarkeit
getroffen. Ein anderer Dienst kann in Einzelfällen auf die Rufbereitschaft der
gerontopsychiatrischen Sozialstation zurückgreifen.
Im Bereich der Hilfen für Menschen mit Suchterkrankungen wird auf die Suchtambulanz
bzw. den Dienstarzt hingewiesen.
4
Perspektiven der Hilfen für Menschen mit Behinderung im Rheinisch Bergischen Kreis
Der Rheinisch Bergische Kreis verfügt über ein ausdifferenziertes wohnbezogenes Unterstützungsangebot. Es existiert für alle Zielgruppen ein Angebot im ambulanten und stationären Bereich. Bei allen Trägern, die sich an der Befragung beteiligt haben, wird ein
Interesse zum Ausbau der Offenen Hilfen deutlich.
Besonders gut ausgebaut ist das Angebot für Menschen mit psychischen Erkrankungen
und Suchtproblemen. Hier gibt es gut vernetzte Angebote im ambulanten Bereich, die
in allen Teilen der Region gut erreichbar sind. Hier zeigen sich die Wirkung einer am
Gemeindepsychiatrischen Verbund orientierten kooperativen Planung.
Das Angebot für Menschen mit geistiger Behinderung ist in quantitativer Hinsicht gut
ausgebaut. Zur Durchsetzung des Vorrangs 'ambulant vor stationär' bedarf es allerdings
einer stärker auf den Kreis bezogenen Planung und Vernetzung und einer stärkeren Dezentralisierung und Ambulantisierung der Angebote.
Der Rheinisch Bergische Kreis nimmt auch nach der Zuständigkeitsveränderung einen
aktiven Planungsauftrag im Feld der wohnbezogenen Hilfen wahr. Die Planungsstrukturen wurden auf das Erfordernis der Abstimmung mit dem Landschaftsverband hin angepasst. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen wurde ein
Gemeindepsychiatrischer Verbund gegründet. Ein vergleichbares Vorgehen im Bereich
der Hilfen für Menschen mit Suchterkrankungen ist erfolgt. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung wurde ein Koordinationskreis mit vergleichbarer Zielsetzung gebildet. Die Bildung eines Verbundes zur Beantragung von Mitteln zur Einrichtung
einer Koordinierungs- Kontakt- und Beratungsstelle hat in diesem Bereich ist Ausdruck
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der Erkenntnis nach der Notwendigkeit und des Wunsches nach einer verbesserten
Vernetzung.
Gefragt nach Besonderheiten, die das wohnbezogene Angebot für Menschen mit Behinderung in Rheinisch BergischerKreis kennzeichnen wurden in der schriftlichen Befragung auf die sozialräumliche Struktur hingewiesen, die die Inanspruchnahme von Angeboten außerhalb des Kreises in vielen Fällen attraktiv macht. Hingewiesen wird auch
auf die ländliche Strukturen insbesondere in den nördlichen Kreisteilen, die die Erreichbarkeit von zentralen Versorgungseinrichtungen erschwert. Positiv hervorgehoben wird
im Bereich der Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen
der erreichte Grad der Vernetzung.
Handlungsbedarf besteht den schriftlichen Fragbögen zu Folge insbesondere in folgenden Bereichen:
Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung:
•
ambulante Strukturen schaffen, die ein stationäres Setting kompensieren können.
Dazu wird eine attraktive Gestaltung des Ambulant Betreuten Wohnens als Netzwerk
als notwendig erachtet. In der Schaffung der Koordinations-, Kontakt und Beratungsstellen wird dazu ein geeigneter Ansatz gesehen, der aber in seiner bislang geplanten Ausgestaltung als nicht ausreichend erachtet wird;
•
zeitnahe Bewilligung, Möglichkeiten zu kurzfristigen Lösung zu kommen, Vereinfachung von Verwaltungsabläufen;
bessere Informationspolitik, verbindlichere Absprachen vor Ort und damit größere
Planungssicherheit für Träger;
•
Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen:
•
Überarbeitung der Leistungsvereinbarungen, um einen Wildwuchs im Bereich ambulanter Betreuungen zu verhindern;
•
Veränderung der Leistungsinhalte pro Fachleistungsstunde hin zur Anrechnung mehr
indirekter Leistungen, größeres Augenmerk auf die Spezifikation psychisch Kranker;
•
stärkre Durchlässigkeit zwischen ambulanten und stationären Hilfen herstellen;
Hilfen für Menschen mit Suchterkrankungen:
• Der ambulante Bereich sollt sich stärker an dem Flankieren von Lebenssituationen
orientieren und von therapeutischen Angeboten abgegrenzt werden;
In der schriftlichen Befragung sollte eine Einschätzung der Zuständigkeitsveränderung
abgegeben und begründet werden. Es wurden die folgenden Angaben gemacht15:
Rheinisch Bergischer
Kreis
15
Es wird keine Veränderung geben.
2
Die Unterstützungsmöglichkeiten
werden sich verbessern
3
NRW
24 (4 %)
213 (35,9 %)
Angegeben werden die absoluten Nennungen aus den eingegangenen Fragebögen der Interessenvertretungen auf der Ebene des Kreises/der kreisfreien Stadt, der Träger und der Planungsverantwortlichen. Aufgrund der
geringen Zellenbesetzung wurde eine zielgruppenspezifische Auswertung nicht vorgenommen. In der Landesauswertung lassen sich lediglich geringe Unterschiede zwischen den Zielgruppen feststellen.
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Die Unterstützungsmöglichkeiten
werden sich verschlechtern.
3
190 (32 %)
Keine Einschätzung möglich.
5
167 (28,1 %)
Es fällt eine starke Zurückhaltung bei der Einschätzung der Auswirkungen der Zuständigkeitsänderung auf. Positive Erwartungen knüpfen sich an die Zuständigkeit einer Stelle,
die damit verbundenen Steuerungsmöglichkeiten und die Unabhängigkeit von der finanziellen Situation der Gebietskörperschaft. Im Bereich der Hilfen für Menschen mit
geistiger Behinderung werden positive Veränderungen dadurch erwartet, dass der
Ausbau ambulanter Hilfen für diesen Personenkreis nun im Vordergrund steht.
Befürchtungen löst insbesondere das neue Vergütungssystem aus: Die Finanzierungsbeteiligung der NutzerInnen kann zu Betreuungsabbrüchen führen, insbesondere dort, wo
die Hilfe eigentlich am dringensten ist, bei den schwerstgestörten Menschen. Auch wird
befürchtet, dass die Höhe der Vergütung nicht bedarfsdeckend ist.
Trotz aller Skepsis und Kritik, die im Zusammenhang der Zuständigkeitsveränderung geäußert wird, vertreten die Befragten eine kritisch-konstruktive Haltung. Es besteht die
Bereitschaft und das Interesse, zu einer Weiterentwicklung der Hilfen für Menschen mit
Behinderungen im Sinne der Zielsetzung der Zuständigkeitsveränderung beizutragen.
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