Unterhalt für mündige Kinder: aktuelle Fragen
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Unterhalt für mündige Kinder: aktuelle Fragen
User-ID: [email protected], 15.03.2012 17:12:42 Dokument recht 2010 S. 69 Autor Alexandra Rumo-Jungo Titel Unterhalt für mündige Kinder: aktuelle Fragen Publikation recht - Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis Herausgeber Gunther Arzt, Peter Gauch, Daniel Girsberger, Jörg Paul Müller, Heinz Rey, René Rhinow, Wolfgang Wiegand, Roger Zäch ISSN 0253-9810 Verlag Stämpfli Verlag AG, Bern Unterhalt für mündige Kinder: aktuelle Fragen Alexandra Rumo-Jungo* Mit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters und den zunehmenden Ansprüchen an eine fundierte Ausbildung sowohl bei Berufslehre wie weiteren Ausbildungsgängen ist der Mündigenunterhalt für viele junge Erwachsene zu einem Thema geworden. Während viele Eltern ihre mündigen Kinder mit Stolz finanziell unterstützen, stellt der Mündigenunterhalt für getrennte oder geschiedene Eltern meist eine Fortsetzung ihrer Krise dar: Der Elternstreit belastet mitunter auch die persönlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Beeinflusst aber die persönliche Beziehung den Unterhaltsanspruch, ist das Kind schlechter gestellt als Ehegatten unter sich bezüglich des nachehelichen Unterhalts. Die neuere Entwicklung der bundesgerichtlichen Praxis signalisiert Verständnis für diesen Wertungswiderspruch, womit zu hoffen (aber weiterhin auch zu fordern) ist, dass der Ausbildungsanspruch Mündiger nicht vorrangig von einer "Wohlverhaltensprüfung", sondern vorab von wirtschaftlich-sachlichen Kriterien abhängt. recht 2010 S. 69 * Dr. iur., Professorin für Zivilrecht an der Universität Freiburg i. Ue. Ich danke MLaw Sandra Imbach sowie MLaw Christophe Herzig, wissenschaftliche(r) Mitarbeiter(in), für die Ergänzung und Bereinigung der Fussnoten sowie die kritische Durchsicht des Textes. - Ausgangspunkt dieses Textes bildet folgender Beitrag: Breitschmid Peter/RumoJungo Alexandra, Ausbildungsunterhalt für mündige Kinder - Bemerkungen zur jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichts und Thesen, in: Schwenzer Ingeborg/Büchler Andrea (Hrsg.), Dritte Schweizer Familienrecht§Tage, Bern 2006, 83 ff. Ausdruckseite 2 von 13 I. Mündigenunterhalt vor dem Hintergrund des heutigen Berufsbildungssystems Der ordentliche Unterhalt der Eltern gegenüber ihren Kindern endet mit der Mündigkeit der Kinder (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Nach Eintritt der Mündigkeit schulden die Eltern ihren Kindern unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin Unterhalt. Nach Art. 277 Abs. 2 ZGB ist dieser sogenannte Mündigenunterhalt unter zwei Voraussetzungen geschuldet: erstens wenn das Kind bei Mündigkeit noch keine angemessene Ausbildung hat (II.) und zweitens wenn es den Eltern nach den gesamten Umständen zugemutet werden kann (III.). Diese Unterhaltspflicht dauert maximal bis zum Zeitpunkt, in dem die fragliche Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (IV.).1 Aufgrund dieser Voraussetzungen liegt zunächst der Schluss nahe, das Ende des Kindesunterhalts mit der Mündigkeit sei die Regel, die Fortsetzung der elterlichen Unterhaltspflicht über die Mündigkeit hinaus sei die Ausnahme. Das stimmt zwar gesetzessystematisch durchaus. Das Bundesgericht hat aber seit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf das 18. Altersjahr (am 1. Januar 1996) seine bisherige Rechtsprechung2 zum Ausnahmecharakter des Mündigenunterhalts relativiert.3 Die Unterscheidung zwischen Regel und Ausnahme ist in der Tat nicht zielführend: Einerseits hat die Herabsetzung des Mündigkeitsalters zu einer massiven Erhöhung der Zahl jener Kinder geführt, welche im Mündigkeitszeitpunkt noch nicht über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen (Lehrlinge, Schüler, Studenten). Andererseits ist nach Auffassung des Bundesgerichts immerhin davon auszugehen, dass doch ein grosser Teil der Jugendlichen ungefähr mit 20 Jahren über eine angemessene Ausbildung verfügen.4 Mit der heutigen Entwicklung des Arbeitsmarkts ist allerdings auch diese Aussage zu relativieren: Erstens absolviert ein Drittel der Jugendlichen die Matura. Zweitens gilt für die zwei Drittel der Absolventinnen einer Berufslehre5 Folgendes: Die Berufslehren sind immer anspruchsvoller geworden und dauern daher häufig mehr als drei Jahre. Zusätzlich ermöglicht die Berufsmaturität den Zugang zu den Hochschulen. Die Durchlässigkeit zwischen Berufslehre und Hochschulstudium ist somit grösser geworden. Dem darf sich auch die Unterhaltspraxis für die mündigen Kinder nicht verschliessen. Ein Lehrabschluss darf mithin nicht als angemessene Ausbildung qualifiziert werden, wenn er im Rahmen eines Ausbildungskonzepts nur eine erste Etappe darstellt, die noch nicht zur selbstständigen bzw. selbstfinanzierten Vertiefungs- und Weiterbildung befähigt.6 Schliesslich haben sich seit der BolognaReform recht 2010 S. 69, 70 auch im Hochschulwesen die Ausbildungsetappen verändert: Mit dem Bachelor ist ein neuer Studienabschluss eingeführt worden. Mit Blick auf die Dauer der Unterhaltspflicht stellt sich die Frage, ob dieser Abschluss ein sogenannter "ordentlicher Abschluss" der Ausbildung darstellt. 1 BGE 132 III 97, 102 (E. 2.3); Sutter-Somm Thomas/Kobel Felix, Familienrecht, Zürich/Basel/Genf 2009, N 883; Guillod Olivier, Droit des familles, Neuenburg 2009, N 683 ff.; Meier Philippe/Stettler Martin, Droit de la filiation, 4. Aufl., Genf/Zürich/Basel 2009, N 1074 ff. 2 BGE 118 II 93 ff.; 111 II 416 ff. 3 BGE 127 I 202, 208 (E. 3); 129 III 375 ff.; Tuor Peter/Schnyder Bernhard/Rumo-Jungo Alexandra, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, § 42 N 7 f.; Büchler Andrea/Vetterli Rolf, Ehe Partnerschaft Kinder, Basel 2007, 214; Hausheer Heinz/Geiser Thomas/Aebi-Müller Regina E., Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. Aufl., Bern 2010, N 17.60; Sutter-Somm/Kobel (Fn. 1), N 884. 4 BGE 129 III 375, 378 (E. 3.3). 5 Diesem Umstand verdanken wir offenbar eine der niedrigsten Quoten von Jugendarbeitslosigkeit in Europa; siehe NZZ am Sonntag, 18. April 2010, 9. 6 Breitschmid Peter/Rumo-Jungo Alexandra, Ausbildungsunterhalt für mündige Kinder Bemerkungen zur jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichts und Thesen, in: Schwenzer Ingeborg/Büchler Andrea (Hrsg.), Dritte Schweizer Familienrecht§Tage, Bern 2006, 84 f. Ausdruckseite 3 von 13 II. Angemessene Ausbildung Der Unterhaltsanspruch nach Art. 277 Abs. 2 ZGB ist auf die Verwirklichung einer beruflichen Ausbildung gerichtet.7 Die Ausbildung muss es dem Kind erlauben, seine vollen Fähigkeiten zum Erlangen der finanziellen Unabhängigkeit zu nutzen. Der Begriff der angemessenen Ausbildung ist nicht eng zu verstehen und umfasst nicht nur die eigentliche Berufsschulung. Ein Anspruch auf Unterhalt über die Mündigkeit hinaus ist jedoch nur dann gegeben, wenn der Ausbildungsplan zumindest in seinen Grundzügen bereits vor der Mündigkeit angelegt ist.8 Das Gericht hat jene berufliche Ausbildung zu beurteilen, die vor der Mündigkeit angestrebt wurde, und nicht einfach den allgemeinen Ausbildungsstand des Kindes.9 Obwohl der Ausbildungsplan grundsätzlich in seinen Grundzügen bereits vor der Mündigkeit angelegt sein muss, dürfen erst nach der Pubertät erkennbare Fähigkeitsprofile nicht einfach ausgeblendet werden und ist auch die erst nach einem (vorübergehenden) Leistungseinbruch eingetretene Leistungsbereitschaft förderungswürdig.10 Die Erstausbildung umfasst unter Umständen neben der Grundausbildung auch eine Zusatzausbildung.11 Dieses breitere Verständnis einer angemessenen Ausbildung rechtfertigt sich insbesondere angesichts des heutigen vielstufigen Ausbildungsmarktes sowie der Anforderungen des Arbeitsmarktes an immer spezifischere Ausbildungen. 12 Eltern und Kind sollten den Ausbildungsplan bzw. den beruflichen Lebensplan gemeinsam erarbeiten. Er sollte den Fähigkeiten des Kindes und den tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen genügend Rechnung tragen. Der Ausbildungsplan sollte periodisch überprüft und der schulischen Entwicklung des Kindes angepasst werden.13 Ein Universitätsstudium, das vor Erreichen der Mündigkeit (allenfalls mit dem Besuch des Gymnasiums) begonnen und erst als Erwachsener abgeschlossen wird, gilt als ein Ganzes.14 Die Maturität stellt keinen Ausbildungsabschluss dar, bildet sie doch erst die erforderliche Grundlage für eine weiterführende - normalerweise universitäre Ausbildung.15 Ist das Kind aber bereits erwerbstätig, so gilt die Vermutung, dass eine allfällige Ausbildung eine selbst zu finanzierende Weiterbildung bzw. einen Berufswechsel darstellt.16 Bei einem Studium an einer schweizerischen Universität genügt grundsätzlich die Erlangung eines Lizenziats, damit man davon ausgehen kann, 7 Vgl. zur angemessenen Ausbildung eines behinderten Kindes: Aebi-Müller Regina E./Tanner Debora, Das behinderte Kind im Zivilrecht, in: Sutter Patrick/Sprecher Franziska, Das behinderte Kind im schweizerischen Recht, Zürich/Basel/Genf 2006, 93 ff. 8 BGE 115 II 123, 126 f. (E. 4b); BGE 127 I 202, 207 (E. 3e); Guillod (Fn. 1), N 684. 9 BGE 117 II 127, 131 f. (E. 5b). 10 In BGE 115 II 123, 128 (E. 4d) hielt das Bundesgericht noch fest, Fähigkeiten und Neigungen, die sich ausschliesslich erst nach der Mündigkeit entwickelt haben, würden nicht berücksichtigt. Dieses Urteil ist nach der Herabsetzung des Mündigkeitsalters zu relativieren. So auch Meier/Stettler (Fn. 1), N 1084. 11 BGer, 5P.463/1997 vom 27. Januar 1998, in: plädoyer 3 (1998) 61 ff. (Lehre als Chemielaborant, Berufsmatura, Ingenieurstudium); Schwenzer Ingbeborg, Allg. Bem. zu Art. 276-293 ZGB, in: Schwenzer Ingeborg (Hrsg.), FamKomm Scheidung, Bern 2005, N 25; Hausheer/Geiser/AebiMüller (Fn. 3), N 17.61. Die Frage, ob gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB ein Anspruch auf Unterhalt für eine Zweitausbildung (i.c. Zweitlehre) nach der Mündigkeit besteht, wenn der zuerst erlernte Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann, wurde vom Bundesgericht offengelassen, da ein solcher Anspruch jedenfalls nur im Rahmen eines bestimmten Ausbildungsplanes gegeben ist und daher voraussetzt, dass das neue Berufsziel feststeht: BGE 115 II 123, 128 f. (E. 4e). 12 Siehe dazu den Spezialbeitrag "Bildung" in der NZZ am Sonntag vom 18. April 2010. 13 Breitschmid Peter, Kommentar zu Art. 277 ZGB, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Geiser Thomas (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 3. Aufl., Basel/Genf/München 2006, N 9. 14 BGE 107 II 465 ff.; vgl. auch: BGer, 5C.205/2004 vom 8. November 2004 (E. 4.2) = FamPra.ch 6 (2005) 414; BGer, 5C.249/2006 vom 8. Dezember 2006 (E. 3.2.2). 15 BGE 117 II 127, 129 f. (E. 3b), vgl. auch BGer, 5C.249/2006 vom 8. Dezember 2006 (E. 3.2.3); Guillod (Fn. 1), N 684. 16 Breitschmid (Fn. 13), N 12 zu Art. 277 ZGB. Ausdruckseite 4 von 13 das Kind habe eine angemessene Ausbildung erhalten: Dieser akademische Grad bildet den Abschluss der ersten Ausbildungsstufe und ermöglicht seinem Inhaber/seiner Inhaberin in der Regel die Ausübung eines Berufs, der ihm/ihr erlaubt, seine/ihre materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Dagegen gehört ein ergänzender Titel (vorliegend ein Diplom in Psychologie) nicht zu der Ausbildung, die durch das Gesetz ins Auge gefasst wird.17 Unter dem "BolognaKonzept" stellt sich die Frage, ob bereits der Bachelor oder erst der Master eine angemessene Ausbildung beinhaltet, die den (weiteren) Anspruch auf Unterhalt ausschliesst. Aufgrund der aktuellen Marktlage sowie in Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung, die den Unterhaltsanspruch bis zum Abschluss des Lizenziats bejahte, ist erst der Master als angemessene Ausbildung zu qualifizieren. Tatsächlich wird der Bachelor an den Universitäten (heute noch) nicht als genügender Abschluss angesehen und gemeinhin der Master oder ein anderer höherer Diplomabschluss verlangt.18 Eine Dissertation gehört dagegen nicht zur Erstausbildung und untersteht somit nicht der Unterhaltspflicht der Eltern. Etwas anderes gilt für das Anwaltspraktikum: Wurde nämlich das Studium mit Blick auf einen Beruf gewählt oder fortgesetzt, recht 2010 S. 69, 71 welcher zusätzlich zum Lizenziat (bzw. zum Master bzw. zum Bachelor) ein Praktikum sowie eine Abschlussprüfung vorsieht, so ist die Erstausbildung erst mit erfolgreichem Bestehen dieser beiden Etappen abgeschlossen (so etwa die Anwaltsausbildung). Die Entscheidung, die universitäre Ausbildung in dieser Weise fortzusetzen, muss spätestens beim Erhalt des Master (oder Bachelor) bzw. kurz danach gefällt werden; nur dann gehört das Praktikum noch zur Erstausbildung. Andernfalls muss eine von der elterlichen Unterhaltspflicht nicht mehr gedeckte Zweit- oder Zusatzausbildung angenommen werden.19 Auch ein Lehrabschluss ist nicht immer eine angemessene Ausbildung, namentlich dann nicht, wenn im Rahmen eines Ausbildungskonzepts eine zusätzliche Ausbildung erforderlich ist, die nicht selbstfinanziert werden kann (siehe dazu oben unter Ziff. I).20 III. Zumutbarkeit 1. Zumutbarkeit in finanzieller Hinsicht a. Natural- oder Geldleistungen der Eltern Der Mündigenunterhalt betrifft die Frage der Dauer des Kindesunterhalts (Art. 277 ZGB), während Gegenstand und Umfang des Kindesunterhalts in Art. 276 ZGB geregelt sind. Danach schulden die Eltern den Unterhalt entweder in natura (durch Pflege und Erziehung) oder durch Geld (wenn das Kind nicht in ihrer Obhut ist). Beide Leistungsarten sind gleichwertig. Solange ein mündiges Kind noch bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil wohnt, sind somit auch die von diesem Elternteil erbrachten Naturalleistungen zu berücksichtigen. Ins Gewicht fallen etwa: die mehr oder weniger intensive Beanspruchung von Wohnraum in der Wohnung des Elternteils (neben dem Zimmer auch das Bad, ggf. die Küche sowie das Wohnzimmer), der Genuss von zubereiteten Mahlzeiten, evtl. die Inanspruchnahme von Kleiderwäsche.21 Dagegen 17 BGE 117 II 372, 373 f. (E. 5bb); Guillod (Fn. 1), N 684. 18 Meier/Stettler (Fn. 1), N 1087; Sutter-Somm/Kobel (Fn. 1), N 885; Guillod (Fn. 1), N 684. 19 BGer, 2P.213/2003 vom 5. November 2003 (E. 3); Roelli Bruno/Meuli-Lehni Roswitha, Kommentar zu Art. 277 ZGB, in: Amstutz Marc/Breitschmid Peter/Furrer Andreas/Girsberger Daniel/Huguenin Claire/Müller-Chen Markus/Roberto Vito/Rumo-Jungo Alexandra/Schnyder Anton K. (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Zürich/Basel/Genf 2007, N 5 20 Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 8; Schwenzer (Fn. 11), N 25 zu Allg. Bem. zu Art. 276-293 ZGB. 21 Trotz Synergieeffekten gemeinsamer Haushaltführung bedeutet das Zusammenwohnen von (meist) Mutter mit erwachsenen Kindern Einschränkungen der Lebensgestaltungsfreiheit, was als Leistung in natura zu berücksichtigen ist; Breitschmid/Rumo-Jungo (Fn. 6), 90; Büchler/Vetterli (Fn. 3), 216. Ausdruckseite 5 von 13 kann erwartet werden, dass sich das mündige Kind an den gemeinsamen Haushaltsarbeiten beteiligt und insofern keinen Hotelservice beanspruchen kann, den der betreffende Elternteil als Naturalleistung geltend machen könnte. In einem Urteil vom 11. Oktober 2005 hat das Bundesgericht die Naturalleistungen der Mutter angerechnet.22 b. Geldleistungen der Eltern aa. Umfang Einem Elternteil können Unterhaltsleistungen an ein mündiges Kind, das sich noch in Ausbildung befindet, grundsätzlich nur zugemutet werden, wenn ihm nach Ausrichtung der Unterhaltsleistungen noch ein Einkommen verbleibt, das den (erweiterten) Notbedarf um ungefähr 20% übersteigt.23 Von der Richtlinie eines Zuschlags von 20% zum erweiterten Notbedarf kann nach oben oder nach unten abgewichen werden, wenn dies die Umstände des Einzelfalls rechtfertigen.24 Der Prozentzuschlag kann etwa bei nur mehr kurzer Dauer der Unterhaltspflicht oder bei knappen wirtschaftlichen Verhältnissen herabgesetzt oder ganz gestrichen werden.25 In jedem Fall bleibt aber das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners unangetastet. Dementsprechend kann beim Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen auch eine bloss reduzierte Unterhaltspflicht bejaht werden.26 Prämien für freiwillige Versicherungen sind nicht dem Existenzminimum zuzurechnen, sondern sind aus dem Grundbetrag und aus dem gewährten Zuschlag von 20% zu bezahlen.27 Grundsätzlich sind Unterstützungsbeiträge, sofern sie für die unterstützte Person unbedingt erforderlich sind und selbst wenn sie nur aufgrund einer moralischen Verpflichtung erfolgen, im Notbedarf des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen. Hinterlässt aber die Mutter des Unterhaltspflichtigen, die von diesem unterstützt wurde, einen Nachlass im Wert von Fr. 50.000.-, kann sie nicht als unterstützungsbedürftig angesehen werden. Daher können die Unterstützungsbeiträge des Unterhaltspflichtigen an seine Mutter nicht in dessen Notbedarf recht 2010 S. 69, 72 eingerechnet werden.28 Drittschulden des Unterhaltspflichtigen sind, je nachdem in welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck sie begründet worden sind, in dessen Notbedarf zu berücksichtigen.29 Wird der Unterhalt für die unmündigen Kinder unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den dem mündigen Kind zu bezahlenden Unterhaltsbeitrag berechnet, kann die Bezahlung des Letzteren nicht mit der Begründung verweigert werden, es werde in das um 20% erhöhte Existenzminimum eingegriffen, denn der Eingriff ins Existenzminimum rechtfertigt sich hier aufgrund der Unmündigenunterhaltspflicht.30 Der Mündigenunterhalt eines Studenten bildet nicht Teil des Existenzminimums seiner 22 BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005 (E. 4.8.3). 23 BGE 118 II 97, 99 f. (E. 4b/aa). In einer staatsrechtlichen Beschwerde war der Zuschlag von 15% nicht angefochten und konnte daher nicht überprüft werden. Bestätigt wurde aber der Schutz des (so berechneten) Existenzminimums: BGer, 5P.280/2002 vom 7. Oktober 2002 (E. 2.4); siehe auch Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 9; Meier/Stettler (Fn. 1), N 1093; Sutter-Somm/Kobel, (Fn. 1), N 885. 24 BGE 118 II 97, 100 f. (E. 4); BGer, 5C.5/2003 vom 8. Mai 2003 (E. 3.4) = FamPra.ch 4 (2003) 965; Kritische Bemerkungen dazu bei Geiser Thomas, Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes (Art. 277 Abs. 2 ZGB), ZBJV 1992 296 f. 25 BGer, 5C.238/2003 vom 27. Januar 2004 (E. 2.1) = FamPra.ch 5 (2004) 426 26 BGer, 5P.280/2002 vom 7. Oktober 2002 (E. 2.3) = FamPra.ch 4 (2003) 205; BGer, 5C.238/2003 vom 27. Januar 2004 = FamPra.ch 5 (2004) 426 (E. 2.3). 27 BGer, 5C.53/2005 vom 31. Mai 2005 (E. 5.2). 28 BGer, 5C.53/2005 vom 31. Mai 2005 (E. 5.3). 29 BGer, 5C.238/2003 vom 27. Januar 2004, E. 2.2.3; vgl. zum Grundsatz, BGE 127 III 289, 292 (E. 2bb). 30 BGer, 5C.5/2003 vom 8. Mai 2003 (E. 3.5) = FamPra.ch 4 (2003) 965. Ausdruckseite 6 von 13 Eltern, da die Unterhaltspflicht nur bedingter Natur und von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern abhängt.31 Bei einem Bezüger von Ergänzungsleistungen zu einer AHV- oder IV-Rente liegt kein Einkommen vor, das den Notbedarf um 20% übersteigt.32 bb. Leistungspflicht Beide Elternteile sind in gleichem Masse verpflichtet, für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Nur dort, wo der eine Elternteil leistungsunfähig ist, trägt der andere die Unterhaltslast allein. Richtet sich die Unterhaltsklage nur gegen einen Elternteil, so ist darauf zu achten, dass dieser im Verhältnis zu seiner finanziellen Leistungsfähigkeit nicht stärker beansprucht wird als der andere Elternteil.33 Bei der Verteilung der Leistungen auf beide Elternteile ist einerseits deren finanzielle Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, andererseits aber auch die von einem oder von beiden erbrachten Naturalleistungen.34 Auch gegenüber einem mündigen Kind kann eine subsidiäre Beistandspflicht des Stiefelternteils im Sinn von Art. 278 Abs. 2 ZGB bestehen. Die Beistandspflicht des Stiefelternteils geht aber bloss so weit, als dass er nach Bestreitung seines Unterhalts und desjenigen seiner eigenen Kinder noch über vorhandene Mittel verfügt.35 Die Beistandspflicht der Stiefmutter entfällt nicht schon dann, wenn die leibliche Mutter des Mündigen wirtschaftlich in der Lage wäre, neben den Naturalleistungen auch noch den Kindesunterhaltsbeitrag zu tragen, den der Unterhaltspflichtige schuldet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Mündige gegen seine leibliche Mutter einen über deren bisherige Leistungen (i.c. volle Natural- sowie 80% der Geldleistungen) hinausgehenden Unterhaltsanspruch hat.36 Lebt der Mündige seit der Scheidung seiner Eltern ausserhalb der Hausgemeinschaft des Unterhaltspflichtigen, besteht der Beistand seiner Stiefmutter gegenüber dem Ehemann darin, dass diese - soweit die Mittel nicht ausreichen - einen höheren Anteil an den Kosten des Haushaltes trägt und verpflichtet sein kann, gegebenenfalls eine eigene Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Der Unterhaltspflichtige ist nicht so zu stellen, wie er ohne Ehe dastehen würde. Der Notbedarf der Stiefmutter ist deshalb als Aufwand im Notbedarf des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen.37 Da die Unterhaltsberechtigte noch mit ihrer Mutter wohnte, war dieser ein Anteil an Pflege und Erziehung gegenüber ihrem mündigen Kind anzurechnen.38 In wirtschaftlichen Verhältnissen, die weder ausgesprochen bescheiden noch aussergewöhnlich gut sind und in denen die Leistungsfähigkeit der beiden Elternteile nicht in ausserordentlichem Mass voneinander abweicht (Überschuss der Mutter: Fr. 3266.20, Überschuss des Vaters: Fr. 3888.30 bzw. ab 2004 Fr. 3086.25), war ein Anteil an die Unterhaltskosten von 60% bzw. 55% für den Vater und 40% bzw. 45% für die Mutter gerechtfertigt. 39 c. Leistungsfähigkeit des Kindes Bei der Bestimmung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem mündigen Kind, das sich noch in Ausbildung befindet, muss ein gerechter Ausgleich gefunden werden. Von den Eltern kann nicht ein gleich grosses Opfer verlangt werden wie gegenüber deren unmündigen Kinder. Vom mündigen Kind wird verlangt, dass es sein Lebensniveau den gegebenen Umständen und der zumutbaren Leistungsfähigkeit seiner 31 BGer, 5A_330/2008 vom 10. Oktober 2008 (E. 3). 32 BGer, P.21/02 vom 8. Januar 2003, (E. 3). 33 BGer, 5C.270/2004 vom 8. November 2004 (E. 6.1) = FamPra.ch 6 (2005) 414. 34 Siehe oben Ziff. 1.a) zu BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005 (E. 4.8). 35 BGer, 5A_685/2008 vom 18. Dezember 2008, (E.3.2.4). 36 BGer, 5C.53/2005 vom 31. Mai 2005, (E. 4.1). 37 BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005, (E. 4.2). 38 BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005, (E. 4.8). 39 BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005, E. 4.8.3 Ausdruckseite 7 von 13 Eltern anpasst.40 Auf der Seite der Eltern ist der Beitrag zu berücksichtigen, der von ihnen unter Berücksichtigung aller Umstände erwartet werden darf. Auf der Seite des Kindes ist zu prüfen, welcher Beitrag ihm in Form von Arbeitserwerb oder anderen Mitteln an den eigenen Unterhalt zugemutet werden kann.41 recht 2010 S. 69, 73 Auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Kindes sollten bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrags in Betracht gezogen werden. In einem konkreten Fall kann die Anzehrung des Kindesvermögens zur Finanzierung der Ausbildung als zumutbar erachtet werden.42 Einer Studentin der Fachrichtung Phil. I wurde eine Nebenerwerbstätigkeit im Umfang von ca. 20% zugemutet. In casu ergibt dies eine zeitliche Belastung von 420 Stunden/Jahr bzw. 10,5 Wochen/Jahr (bei 40 Stunden/Woche). In finanzieller Hinsicht wurde angenommen, dass sie einen Verdienst von Fr. 700.- im Monat (bei Fr. 20.-/Stunde) realisieren könne.43 Dieses Urteil ist an sich zu begrüssen, weil es erstmals konkrete Angaben zum Umfang der eigenen Leistungsfähigkeit der Studentinnen und Studenten liefert. Es wurde denn auch unter jenen mit grossem Interesse zur Kenntnis genommen. Gleichwohl ist es in zweifacher Hinsicht diskutabel: Erstens muss (in Abweichung der vorliegenden Pauschalangaben) die Leistungsfähigkeit der Studierenden mit Blick auf ihre Studienrichtung und Studienphase sowie mit Blick auf die konjunkturellen Rahmenbedingungen einzelfallbezogen beurteilt werden. Und zweitens ist zu prüfen, ob die den Studierenden zugemutete Leistungspflicht nicht letztlich zu einer Verlängerung der Ausbildungs- und damit der Abhängigkeitsphase zwischen Pflichtigen und Berechtigten führt.44 d. Rangfolge der Unterhaltspflichten aa. Verhältnis unter Geschwistern Unterhaltsberechtigte Kinder sind im Verhältnis zu ihren objektiven Verhältnissen gleich zu behandeln. Ungleiche Unterhaltsbeiträge sind zulässig, soweit sie durch unterschiedliche Erziehungs- und Gesundheitsbedürfnisse gerechtfertigt werden.45 Kinder haben mit zunehmendem Alter grössere finanzielle Bedürfnisse. Entsprechend ist es jedenfalls nicht geradezu willkürlich, 17 und 19 Jahre alten Kindern fast doppelt so hohe Unterhaltsbeiträge zuzusprechen wie ihren 1 und 6 Jahre alten Halbgeschwistern.46 Art. 285 ZGB enthält keine Berechnungsmethode für die Bemessung des Unterhalts. Im vorliegenden Fall entschied das Bundesgericht, dass das mündige Kind im Verhältnis zu seinen unmündigen Geschwistern nicht rechtsungleich behandelt wurde, da die gleiche Berechnungsmethode unter Berücksichtigung des Altersunterschieds angewendet wurde.47 Die Unterhaltspflicht gegenüber dem unmündigen Kind ist unbedingt, was bei beschränkter Leistungsfähigkeit der Eltern dazu führen könnte, dass nur das unmündige, nicht aber das mündige Kind Unterhaltsleistungen zugesprochen erhält. 40 Guillod (Fn. 1), N 686; Hausheer/Geiser/Aebi-Müller (Fn. 3), N 17.62. 41 BGE 111 II 410, 412 f. (E. 2b); siehe auch: BGer, 5C.270/2004 vom 8. November 2004 (E. 6.1) = FamPra.ch 6 (2005) 414; BGer, 5A_57/2007 vom 16. August 2007 (E. 8.1); BGer, 5A_685/2008 vom 18. Dezember 2008 (E. 3.1). Kritische Bemerkungen dazu bei Schnyder Bernhard, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1985, ZBJV 123 (1987) 87, 109; Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 6. 42 Kantonsgericht Graubünden, Entscheid vom 21. November 2005, FamPra.ch 7 (2006) 781 ff. 43 BGer, 5C.150/2005 vom 11. Oktober 2005 (E. 4.2.2). 44 So Breitschmid/Rumo-Jungo (Fn. 6), 92 f.; vgl. auch Hausheer/Geiser/Aebi-Müller (Fn. 3), N 17.63. 45 BGE 116 II 110, 114 f.; Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 14. 46 BGer, 5P.266/2000 vom 18. August 2000 (E. 4b). 47 BGer, 5A_685/2008 vom 18. Dezember 2008 (E. 3.2.5). Ausdruckseite 8 von 13 Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschwister kann in solchen Fällen durchbrochen werden.48 bb. Verhältnis zwischen ehelicher und elterlicher Unterhaltspflicht Eltern haben mündige Kinder nur zu unterstützen, wenn ihnen ein Überschuss vom erweiterten Existenzminimum bleibt. Die gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten geht derjenigen gegenüber mündigen Kindern vor. Daher dürfen Beiträge an den Unterhalt erwachsener Kinder im Rahmen vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens nicht zum erweiterten Grundbedarf des Unterhaltspflichtigen gerechnet werden.49 2. Zumutbarkeit in persönlicher Hinsicht Zu den Rechten und Pflichten zwischen Eltern und Kind gehören insbesondere der persönliche Verkehr sowie der elterliche Unterhalt. Diese bestehen grundsätzlich unabhängig voneinander. Wird das Besuchsrecht verweigert, kann der Unterhaltspflichtige die Rentenzahlung nicht einfach einstellen.50 Die Unterhaltspflicht muss den Eltern aber unter den gesamten Umständen zumutbar sein. Zu diesen Umständen gehört grundsätzlich auch die persönliche Beziehung zwischen Eltern und Kind. Die Beurteilung dieser Umstände durch das Bundesgericht hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Vor 20 Jahren standen die Pflichterfüllung und der Gehorsam des anspruchstellenden Kindes im Vordergrund. In BGE 111 II 413, 416 f. setzte das Bundesgericht voraus, dass das Kind pflichtbewusst seinem Studium obliegt, die familienrechtlichen Pflichten gegenüber den Eltern erfüllt und sich so verhält, dass das Eltern-Kind-Verhältnis nicht durch eigenes Verschulden in einer für die Eltern recht 2010 S. 69, 74 untragbaren Weise beeinträchtigt wird.51 Beharrt etwa ein Kind auch nach Eintritt der Mündigkeit auf seiner seit der Scheidung der Eltern geäusserten Ablehnung des nicht obhutsberechtigten Elternteils, obwohl sich dieser ihm gegenüber korrekt verhalten hat, so gereicht dem Kind diese unnachgiebige Haltung zum Verschulden.52 Immerhin schliesst der Umstand, dass das Kind aus dem Elternhaus ausgezogen ist und im Konkubinat lebt, dessen Anspruch auf Unterhaltsleistungen nicht aus, wenn das dem Wegzug zugrunde liegende Zerwürfnis mit den Eltern von diesen mitverschuldet worden ist.53 Ist dem Kind angesichts der gestörten Beziehungen eine Rückkehr ins Elternhaus nicht zuzumuten, hat es sich für das ausgeschlagene Angebot der Eltern, es in ihrem Heim aufzunehmen, grundsätzlich nichts anrechnen zu lassen.54 48 BGE 126 III 353, 358 ff.; BGer, 5P.266/2000 vom 18. August 2000, E. 4c; BGer, 5C.5/2003 vom 8. Mai 2003 = FamPra.ch 4 (2003) 965; BGer, 5C.238/2003 vom 27. Januar 2004 = FamPra.ch 5 (2004) 426; BGer, 5A_152/2007 vom 24. September 2007, (E. 3.3.2). 49 BGE 132 III 211, E. 2.3; BGer, 5P.361/2005 vom 19. Januar 2006, E. 2.3; siehe auch BGer, 5P.7/2006, vom 22. März 2006, (E. 2.2.2). Zum Verhältnis zwischen der nachehelichen Unterhaltspflicht und der Unterhaltspflicht gegenüber dem mündigen Kind, vgl. Tessiner Appellationsgericht, FamPra.ch 1 (2000) 122 ff. 50 BGer, 5C.237/2005 vom 9. November 2005 (E. 4.3.1). 51 Siehe auch BGE 113 II 374, 376 f. 52 BGE 113 II 374, 379 f. Kritische Bemerkungen dazu bei Hegnauer Cyril, Die Dauer der elterlichen Unterhaltspflicht, FS Keller, Zürich 1989, 19-33, sowie ders., Bemerkung zu BGE 113 II 374 ff., ZVW 1988 76 f. 53 BGE 111 II 413, 417 ff. Vgl. auch BGer, 5A_563/2008 vom 4. Dezember 2008: Das Kind ist aus dem Elternhaus ausgezogen und lebt in einem Konkubinat. Der Anspruch auf Unterhaltsleistungen wurde dennoch bejaht, da am Zerwürfnis zwischen Eltern und Kind nicht das Kind alleine die Schuld trägt. Siehe auch: FamPra.ch 10 (2009) 520 ff. und Meier Philippe/Häberli Thomas, Übersicht zur Rechtsprechung November 2008 bis Februar 2009 ZVW 64 (2009), 137 f. 54 Ausdruckseite 9 von 13 Auch in den jüngeren Urteilen wird die Pflicht des Kindes, sich in Bezug auf die persönliche Beziehung mit seinen Eltern kein Verschulden zukommen zu lassen (BGE 127 III 202, 129 III 375), betont und argumentiert, bei anderer Sichtweise würde der Schuldner auf eine blosse Zahlelternschaft ("parent payeur"; BGer, 5C.270/2002 vom 29. März 2003, E. 2.1) reduziert.55 Deshalb verneint das Bundesgericht die Unterhaltspflicht, wenn das Kind in schwerwiegender Art und Weise gegen seine Pflichten gemäss Art. 272 ZGB verstösst oder den persönlichen Kontakt sabotiert, in dem es beispielsweise Besuche ungerechtfertigterweise verweigert (BGer, 5A_464/2008 vom 15. Dezember 2008, E. 3.1).56 Das Bundesgericht geht davon aus, ein mündiges Kind könne bei gutem Willen und etwas Anstrengung die Spannungen mit dem unterhaltspflichtigen Elternteil überwinden (BGE 129 III 375, 378 ff.). Eine besondere Zurückhaltung ist jedoch geboten, wenn das Fehlverhalten eines Kindes geschiedener Eltern zu beurteilen ist. Es sind die starken Gefühle zu berücksichtigen, welche eine Scheidung beim Kind hervorrufen kann, sowie die Spannungen, die gewöhnlicherweise entstehen, ohne dass ihm Vorwürfe gemacht werden könnten.57 Beharrt das Kind aber nach Eintritt der Mündigkeit auf seiner Ablehnungshaltung gegenüber dem Elter, obwohl dieser sich ihm gegenüber korrekt verhalten hat, so gereicht ihm diese Haltung zum Verschulden. Bei der Beurteilung kommt dem kantonalen Gericht ein grosser Ermessensspielraum zu.58 Je jünger ein Kind ist, desto mehr ist es auf Ausbildungsunterhalt angewiesen, aber auch umso weniger dazu fähig, von traumatisierenden Erfahrungen in der Kind-Eltern-Beziehung Abstand zu gewinnen. Je älter hingegen ein Kind ist, desto weniger ist es im Allgemeinen auf Ausbildungsunterhalt angewiesen, aber auch umso eher sollte es in der Lage sein, zu früheren Vorkommnissen Abstand zu gewinnen. 59 Von einer jungen 24-jährigen Frau, deren Eltern sich scheiden liessen, als sie zehnjährig war (nachdem bereits seit einigen Jahren massive Spannungen bestanden hatten) und die während der letzten zehn Jahre jeglichen Kontakt mit ihrem Vater verweigert hatte, wurden gewisse Anstrengungen für die Aufnahme eines minimalen Kontakts erwartet. Sie sollte damit selber nachprüfen, ob ihre Eindrücke vom Vater aus der Jugendzeit heute noch zutreffen. Weil sie dies verweigerte und gleichzeitig dem Vater keine schwerwiegenden Verfehlungen vorgeworfen werden konnten (welche auch im Fall einer vollständigen Kontaktverweigerung durch das Kind die Aufrechterhaltung der Unterhaltspflicht rechtfertigen würden), war dieser nicht mehr zur Leistung von Unterhaltszahlungen verpflichtet.60 Kann dem Kind nicht die alleinige Verantwortung für den Abbruch der Beziehung gegeben werden, besteht grundsätzlich eine Unterhaltspflicht. In casu hatte das Bundesgericht die Rechtmässigkeit der vorinstanzlichen Lösung, wonach Unterhalt geschuldet, der Betrag aber reduziert wird, nicht zu beurteilen.61 Die fortwährende Verweigerung jeglichen Kontakts mit seinem Kind verletzt das Kindeswohl und kommt einer schweren Verletzung familienrechtlicher Pflichten gleich. Dies ist der Fall, wenn sich der Vater seit der Geburt seines Sohnes weigert, zu diesem in irgendeiner Weise eine persönliche Beziehung aufzubauen und - im Gegenteil - sogar alles unternimmt, dass es zu keiner Begegnung zwischen den beiden kommt und von Anfang an klarmacht, recht 2010 S. 69, 75 BGE 111 II 413, 419 f. Kritische Bemerkungen dazu bei Hegnauer (Fn. 52), 19-33 sowie bei Schnyder (Fn. 41), 87-120, insb. 109. 55 Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 9; Guillod (Fn. 1), N 686. 56 Meier/Stettler (Fn. 1), N 1097; vgl. auch Sutter-Somm/Kobel (Fn. 1), N 885. 57 Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 9. 58 BGer, 5C.270/2002 vom 29. März 2003; BGer, 5C.274/2006 vom 18. Dezember 2006, E.3; BGer, 5A_464/2008 vom 15. Dezember 2008 (E. 3.1). 59 BGE 129 III 375, 378; BGer, 5C.205/2004 vom 8. November 2004. 60 Siehe auch die Bemerkungen zu BGer, 5C.270/2002 von Schwander, AJP 12 (2003) 846 ff., sowie von Felber, SJZ 99 (2003) 379; siehe auch BGer, 5C.205/2004 vom 8. November 2004 (E. 5.1 f.); BGer, 5P.184/2005 vom 18. Juli 2005 (E. 4.2). 61 BGer, 5C.270/2002 vom 29. März 2003. Ausdruckseite 10 von 13 dass er zu Mutter und Kind keinen Kontakt wünsche, auf ein Besuchsrecht verzichte und einer Adoption von vornherein zustimme. Die Unterhaltszahlung hat er über eine neutrale Stelle abgewickelt. Unter diesen Umständen kann dem Sohn nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich nicht früher beziehungsweise nach dem ersten erfolglosen Versuch nicht ein weiteres Mal bei seinem Vater gemeldet hat. Die fehlende Vater-Sohn-Beziehung geht somit auf einen bewussten Entschluss des Vaters zurück, der ohne Rücksicht auf den Sohn getroffen worden ist. Dem Vater kann daher ohne Weiteres zugemutet werden, auch über die Mündigkeit hinaus Unterhaltsbeiträge zu leisten.62 Bei der Suche nach der Schuld am Abbruch der Beziehungen ist zu differenzieren: Die Ausrichtung von Mündigenunterhalt ist nicht schematisch immer dann als unzumutbar zu qualifizieren, wenn das mündige Kind den persönlichen Kontakt abgebrochen hat. Es sei immer in Beachtung sämtlicher Umstände und der konkreten Motivation für das jeweilige Verhalten im Eltern-Kind-Verhältnis zu entscheiden. Liegt die Verantwortung für den Abbruch der persönlichen Beziehung nicht ausschliesslich aufseiten des mündigen Kindes, sondern trägt der unterstützungspflichtige Elternteil durch sein Verhalten Mitschuld an der Entfremdung, so ist eine schwerwiegende Verletzung familienrechtlicher Pflichten durch das mündige Kind zu verneinen.63 Im vorliegenden Fall hatten ein sechsjähriges Scheidungsverfahren sowie die zwangsweise Räumung des Familienhauses zugunsten des Unterhaltspflichtigen während der Pubertät des Kindes objektive Gründe für das Scheitern des Vater-Kind-Verhältnisses geliefert. Die daraufhin folgenden geschäftsmässig wirkenden Aufforderungen des Vaters zu persönlichen Treffen reichten nicht aus, um die von ihm zerstörte Vertrauensbasis wieder aufzubauen.64 Die Weigerung des Kindes, nach Abschluss eines zweijährigen Verfahrens mit Vergleich, seinem Vater die Hand zu reichen, kann nicht als schuld- und dauerhafte Kontaktverweigerung ausgelegt werden und damit auch nicht als schwerwiegende Verletzung familienrechtlicher Pflichten. 65 Die zuletzt differenzierenden Urteile zeigen, wie schwierig das Abwägen des beiderseitigen Verschuldens ist. Das Aufwägen der beiderseitigen Verfehlungen ändert aber nichts daran, dass es dem Gericht kaum je möglich sein wird, die gesamte Familiengeschichte abzuklären und die ganze Tragweite des Geschehenen zu ermessen. Vielmehr bleiben diese Abwägungen ein untauglicher Versuch, den Unterhaltsberechtigten für seinen "Ungehorsam", sein fehlendes Wohlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. Tatsächlich liegt das Verschulden in den zirkulären familiären Beziehungen und Interaktionen kaum je nur auf einer Seite und ist eine linear-kausale Betrachtungsweise verfehlt. Ein Kind bricht die Beziehungen zu seinen Eltern grundsätzlich nicht einfach aus heiterem Himmel ab, sondern beide Seiten tragen die Verantwortung für eine gegenseitige Entfremdung. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und können nicht einfach jenem zugerechnet werden, der zuletzt die Wiederaufnahme der Beziehung verweigert hat. Dieser Gedanke stand auch der Aufhebung des Verschuldensprinzips im Scheidungsrecht Pate: Auch hier sollte die umständliche und unbehelfliche Suche nach Schuld, nach Ursache und Folge des Scheiterns der ehelichen Beziehung keine Rolle mehr für die (nacheheliche) Unterhaltspflicht spielen. Umso mehr muss auch die elterliche Leistungspflicht unabhängig vom Gehalt der Eltern-Kind-Beziehung bejaht werden. Wenn schon Eheleute einander zutiefst verletzen können, ohne Auswirkungen auf die Leistungspflicht, so darf auch ein Abbruch der Eltern-Kind-Beziehung keine Bedeutung für die elterliche Leistungspflicht haben, zumal diese ja zeitlich befristet ist. Damit sei nicht etwa gesagt, kindliches Wohlverhalten sowie gegenseitiger Anstand seien beim Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern bedeutungslos. Die in Art. 301 ZGB stipulierte gegenseitige Rücksicht sowie der Beistand gelten ebenso wie im ehelichen Verhältnis (Art. 159 ZGB). Daran ändert die Abkehr von der Verschuldenszuweisung bei der Beurteilung von finanziellen Leistungen nichts. Diese 62 BGer, 5C.237/2005 vom 9. November 2005 (E. 4.3.2). 63 BGer, 5C.231/2005 vom 27. Januar 2006 (E. 2); bestätigt in BGer, 5A_563/2008 vom 4. Dezember 2008 (E. 5); BGer, 5C.94/2006 vom 14. Dezember 2006 (E. 3.1). 64 BGer 5C.231/2005 vom 27. Januar 2006 (E. 3.2). 65 BGer 5A_464/2008 vom 15. Dezember 2008 (E. 3.1). Ausdruckseite 11 von 13 Abkehr trägt einzig und allein der Tatsache Rechnung, dass Gerichte schlicht nicht in der Lage sind, die familiensystemischen Entwicklungen vieler Jahre in einem Gerichtsverfahren zu erfassen, zu beurteilen und zu sanktionieren. Daher muss es dabei bleiben, dass die persönliche Beziehung zwischen Leistungspflichtigen und Leistungsberechtigten nicht zur Diskussion stehen kann. Auswege bieten nur Tatbestände von Rechtsmissbrauch nach dem Vorbild von Art. 125 Abs. 3 ZGB.66 Eine Handhabe bieten auch die Enterbungsgründe in Art. 477 Ziff. 1 ZGB: Im Fall einer Straftat gegenüber dem Unterhaltspflichtigen oder einer ihm nahestehenden Person werden familienrechtliche Pflichten so schwerwiegend verletzt, dass nicht nach den Gründen gesucht werden muss. Die Verletzung recht 2010 S. 69, 76 allein (z.B. fahrlässige Tötung, Körperverletzung, (schwere) Nötigung, (schweres) Mobbing) rechtfertigt die Einstellung der Unterhaltsleistungen. Eine schwerwiegende Verletzung familienrechtlicher Pflichten (Art. 477 Ziff. 2 ZGB) ist dagegen beim Fehlen einer Eltern-Kind-Beziehung namentlich nach elterlicher Trennung und Scheidung nur mit grosser Zurückhaltung zu bejahen. In diesen Fällen stellt der Abbruch oder die Nichtwiederaufnahme der Beziehung zu den Eltern grundsätzlich keine schwerwiegende Verletzung der familienrechtlichen Pflichten im Sinn von Art. 477 Ziff. 2 ZGB dar. Vorstellbar wäre ein Verletzungstatbestand (ausserhalb des Scheidungskontexts) etwa bei Verweigerung von psychischem Beistand während einer Krankheit. IV. Dauer der Unterhaltspflicht Die Ausbildung muss innerhalb der üblichen Fristen abgeschlossen werden; das Erreichen dieses Ziels hat das volljährige Kind mit Eifer oder zumindest mit gutem Willen anzustreben, ohne dass es jedoch eine ausserordentliche Begabung zeigen müsste. Das Gesetz verpflichtet nicht zur Unterstützung eines "Bummel-Studenten". Entscheidend sind das Interesse, der Einsatz und die Beharrlichkeit, welche das Kind bezüglich seiner Ausbildung an den Tag legt, wobei diese seinen Fähigkeiten entsprechen muss (BGer, 5C.40/2004 vom 5. Mai 2004). Ein gelegentlicher Misserfolg oder eine fruchtlose Periode von kurzer Dauer verlängert die Ausbildungszeit nicht notwendigerweise über Gebühr.67 Hat das Kind seine Ausbildung bereits vor einer gewissen Zeit begonnen, so obliegt ihm der Nachweis, dass es Erfolge verbucht und namentlich die erforderlichen Arbeiten eingereicht sowie die üblichen Prüfungen absolviert hat.68 Die Dauer der Unterhaltspflicht kann von einem Prüfungserfolg abhängig gemacht werden und auf die Regelstudienzeit beschränkt werden, falls Zweifel bestehen, ob das mündige Kind für das gewählte Studium überhaupt geeignet ist.69 Sind die wiederholten Misserfolge durch gesundheitliche Probleme bedingt, welche seit mehreren Jahren bestanden und bis zu einer Hospitalisierung des Betroffenen auf einer Station für Selbstmordgefährdete geführt hatten, kann nicht von einem "BummelStudenten" gesprochen werden. Ein krankheitsbedingter Unterbruch ist vorübergehender Natur und rechtfertigt weder eine Einstellung noch eine Reduktion der Unterhaltsbeiträge. 66 Vgl. Tuor/Schnyder/Rumo-Jungo (Fn. 3), § 42 N 9; Breitschmid/Rumo-Jungo (Fn. 6), 88; eher noch zurückhaltender Büchler/Vetterli (Fn. 3), 215. Meier/Stettler (Fn. 1), N 1099, schlagen in analoger Anwendung von Art. 44 OR vor, dass je nach Schwere der Verletzung von Art. 272 ZGB eine Reduktion des Unterhalts erfolgt, nicht aber eine Verneinung der Unterhaltspflicht; gl.M. Schwenzer (Fn. 11), N 30 zu Allg. Bem. zu Art. 276-293 ZGB. 67 Meier/Stettler (Fn. 1), N 1086; vgl. auch Sutter-Somm/Kobel (Fn. 1), N 885. 68 BGer, 5C.40/2004 vom 5. Mai 2004; Bestätigung von BGE 117 II 127, 129 f. und 114 II 205, 207 ff. 69 Nr. 25, Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilkammer, Entscheid vom 16. August 2005, FamPra.ch 7 (2006) 212 ff. Ausdruckseite 12 von 13 In BGer, 5A_563/2008 vom 4. Dezember 2008 hält das Bundesgericht fest, dass der Abbruch einer Lehre, welcher nicht aus mangelndem Willen der Mündigen erfolgte, nicht automatisch zur Einstellung der Unterhaltsleistungen führen muss. Im vorliegenden Fall hat die Tochter ohne Verschulden zwei Lehren abgebrochen und nun eine dritte Lehre erfolgreich begonnen. Gemäss BGer sind die Eltern für die Dauer der dritten Lehrausbildung weiterhin zu Unterhalt verpflichtet, sofern die Tochter die Ausbildung zielstrebig verfolgt. Daran ändert auch das Zerwürfnis zwischen Eltern und Kind nichts, da der Tochter in casu keine Verletzung der familiären Verpflichtungen vorgeworfen werden kann. Eine absolute zeitliche Begrenzung der Unterhaltspflicht auf das vollendete 25. Altersjahr besteht zivilrechtlich nicht. Deshalb hielt das Bundesgericht die Rz. C53 des Kreisschreibens des Seco über die Arbeitslosenentschädigung, wonach im Rahmen der Taggeldfestsetzung in der Arbeitslosenversicherung (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 lit. a AVIG, Art. 33 Abs. 1 AVIV) die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern gemäss Art. 276 ff. ZGB höchstens bis zum 25. Altersjahr anzuerkennen sei, für nicht gesetzmässig. 70 Eine ausländische Regelung, welche den Kindesunterhalt nicht aufgrund des Alters der Kinder zeitlich limitiert, verstösst nicht gegen den schweizerischen Ordre public.71 V. Thesen72 1. Zumutbarkeit in persönlicher Hinsicht: Im Licht der neuen gesetzgeberischen Tendenzen (Art. 125 ZGB) ist die persönliche Zumutbarkeit des Ausbildungsunterhalts für Mündige grundsätzlich unabhängig vom Verschulden der Beteiligten an einem Beziehungsabbruch zu beurteilen. Eine Grenze ist in Analogie zu Art. 125 Abs. 3 ZGB oder zu den Enterbungsgründen (Art. 477 Ziff. 1 ZGB) zu suchen. Beide Bestimmungen konkretisieren Fälle, in denen ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt gleichsam rechtsmissbräuchlich wäre.73 2. Eigene Leistungsfähigkeit der Mündigen: Die bundesgerichtliche Annahme über eine 20 prozentige recht 2010 S. 69, 77 Erwerbstätigkeit von Studierenden kann nicht pauschal Geltung beanspruchen. Vielmehr ist die zumutbare Erwerbstätigkeit mit Blick auf die konkrete Fachrichtung und die Studienphase einerseits sowie das konjunkturelle Umfeld andererseits im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Eigenleistung nicht durch eine entsprechende Verlängerung des Studiums neutralisiert wird. 3. Angemessene Ausbildung: Sowohl nach/neben Lehre, Fachhochschule oder Uni ist die Bedeutung von zusätzlichen Kursen/Ergänzungsausbildungen/Praktika zu berücksichtigen, die je länger je mehr Voraussetzung dafür bilden, dass überhaupt eine geregelte, die Selbstversorgung ermöglichende Berufstätigkeit aufgenommen werden kann. Entscheidend ist nicht ein bestimmter Ausbildungsabschluss, sondern die Fähigkeit zur Selbstversorgung. Ob zur Selbstversorgung auch die Finanzierung von Zusatzausbildungen nötig ist, ist im Einzelfall zu beurteilen. 4. Ausbildungsplan: In der stark ausgebauten und hochspezialisierten Ausbildungsindustrie lässt sich heute kaum im Alter von 17/18 Jahren abschliessend planen, was inskünftig an Zusatz-/Begleitausbildungen nötig werden wird, und selbst "klassische" Ausbildungscurricula sind im Umbruch. Der "Ausbildungsplan" versteht sich als Grundkonzept und nicht als in allen Details durchdachtes Handbuch. Innerhalb dieses Grundkonzepts müssen Änderungen möglich sein. 70 BGE 130 V 237, 239; Meier/Stettler (Fn. 1), N 1076; Schwenzer (Fn. 11), N 26 zu Allg. Bem. zu Art. 276-293 ZGB. Vgl. nunmehr Rz. 69 ff. des Kreisschreibens des Seco über die Arbeitslosenentschädigung (KS ALE) vom Januar 2007. 71 BGer, 5C.89/2004 vom 25. Juni 2004. Vgl. die kritischen Bemerkungen dazu von Schwander, AJP 14 (2005) 234 ff. 72 Siehe schon Breitschmid/Rumo-Jungo (Fn. 6), 100 ff. 73 Gl.M. Büchler/Vetterli (Fn. 3), 215. Ausdruckseite 13 von 13 5. Dauer der Leistungspflicht: Orientierungsjahre führen grundsätzlich nicht zum Ende der Ausbildung. Daher entfällt der Ausbildungsunterhalt nicht, sondern ist während der "Orientierungsjahre" zu sistieren. In dieser Zeit ist Selbstversorgung durch die mündige (gelegentlich auch schon eine unmündige) Person grundsätzlich möglich. Eine blosse Sistierung ist aber nur da angebracht, wo die Orientierungsjahre sachlich gerechtfertigt sind (wobei die Rechtfertigung mit zunehmendem Alter abnimmt), da nicht nur das Ausbildungsinteresse zählt, sondern auch Rücksichtnahme auf die Lebensplanung des/der Pflichtigen geboten ist, für welche das Ende der Leistungspflicht zwar nicht notwendigerweise von Anfang an exakt bestimmt sein, mit zunehmender Dauer aber kontinuierlich bestimmbarer werden muss.