Psychoakustische Bewertung von Krankenhauslärm

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Psychoakustische Bewertung von Krankenhauslärm
Psychoakustische Bewertung von
Krankenhauslärm
Fachausschuss „Lärm – Wirkungen und Schutz“ der DEGA
Herbstworkshop „Lärm im Krankenhaus“
Akustische Probleme im Krankenhaus –
Bestandsaufnahme und Verbesserungsvorschläge
André Fiebig
HEAD acoustics GmbH
Lemgo, 24.10.2014
Lärm im Krankenhaus
 Lärm im Krankenhaus in Form einer
physischen und/oder psychischen Beeinträchtigung
ist besonders kritisch, da …

der Heilungsprozess von Patienten gestört wird (Tag/Nacht),

Krankenhauspersonal zusätzlichem Stress ausgesetzt ist (schnellere
Ermüdung, erhöhte kognitive Belastung, Konzentrationsschwächen)

Sprachverständlichkeit beeinträchtigt und Höranstrengung erhöht wird
Relevanz
- In Befragungen* gaben Patienten wiederholt die Reduzierung
von Lärm als wichtigste Maßnahme zur Verbesserung Ihres
Krankenhausaufenthalts an
* State of Patient Experience Report, Beryl Institute, 2013, 2011
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Komplexe Geräuschsituationen (Soundscapes)
Gerätebedingte Geräusche

Überwachungsmonitore, Beatmungsgeräte, Atemgaskonditionierung,
Infusionsgeräte, Telefon, Pieper, Klingel
Personalbedingte Geräusche

Kommunikation (Visite, Patientenversorgung), Bedienung der Geräte,
diverse Tätigkeiten
Besuchsbedingte Geräusche

Kommunikation
Liege
Überwachungsmonitor
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Schritte
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Unterschied zwischen Akustik und Psychoakustik
 Akustik fragt:

Welche Schwingungen/Frequenzen liegen vor? Was sind die Amplituden?
Welche Energie?
 Häufig wird das gesamte Schallereignis auf eine einfache Größe reduziert
(A-bewerteter Schalldruckpegels dB(A))
 Psychoakustik stellt den Menschen in den Mittelpunkt:

Welche Lautheit, Schärfe, Rauigkeit, Schwankungsstärke, Tonalität
werden empfunden?
 „Die Psychoakustik beschreibt die Zusammenhänge zwischen
physikalischen Reizen und den durch sie hervorgerufenen
Empfindungen.“*
 Die Hörempfindung wird in einer komplexen Abhängigkeit von der
Signalzusammensetzung, zeitlichen Mustern, und des Zusammenspiels
von unterschiedlichen Frequenzen beschrieben
* Eberhard Zwicker (1982). Psychoakustik, Springer Verlag, Heidelberg 1982
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Die menschliche Geräuschwahrnehmung
80
Rauschen
100
f/Hz 2000
20k
80
Impulse
20
100
f/Hz 2000
Deutlich hörbarer
Unterschied, auch in der
Lautheit, trotz gleicher
Terzspektren
20k
80
60
50
40
Diesel
20
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60
50
40
100
f/Hz 2000
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L/dB[SPL]
20
60
50
40
L/dB[SPL]
Nahezu identische mittlere
Terzspektren und somit auch
keine Unterschiede im
Gesamtschalldruckpegel
und in der stationären
Lautheitsberechnung
L/dB[SPL]
Terzspektren
20k
5
Die menschliche Geräuschwahrnehmung
•
Mustererkennung in Verbindung
mit der Unterdrückung
“konstanter” Signalanteile
•
RA*: im Wesentlichen wird die
Differenz eines automatisch
generierten Referenzsignals
(Schätzung basierend auf den
zurückliegenden Werten) und
den momentanen Werten
berechnet
*Genuit, K. (1996). Objective evaluation of
acoustic quality based on a relative
approach, Internoise 1996, Proceedings,
Liverpool, UK
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Modulationen, Gemisch von Tönen
Geräusch
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Frequenz /
Hz
Modulations- Schwankung
frequenz / Hz
1000
0
1000
1
1000
4
1000
20
1000
70
1000 & 2000
0
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Rauigkeit
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Lästigkeit, Schalldruckpegel, Geräuschmuster
- 6dB
Wie verändert sich die Lästigkeit / Prominenz des Geräusches?
- 6dB
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Geräuschmuster und „Maskierer“
Hinzufügen eines maskierenden
Geräusches (Wasserplätschern)
erhöht Gesamtschallpegel,
aber …
+ Maskierer
Möglichkeiten durch gezieltes Hinzufügen von Geräuschen,
auffällige Geräuschmuster zu reduzieren und ggf. die Gesamtlästigkeit zu verringern
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Wall Street Journal “Hospitals Work on Patients' Most-Frequent Complaint: Noise”
June, 2013



Consultants offering "soundscaping" solutions, including architectural
changes and the use of ambient sound. Gary Madaras, director of Making
Hospitals Quiet, a consulting service, says a $10,000-to-$50,000 investment
over two years can raise patient satisfaction scores enough to bring in
$100,000 to $150,000 over three years in additional Medicare payments.
A facility, which opened last summer, is installing white-noise machines in
some halls and common areas to mask noise.
CARE Channel - it stands for "continuous ambient relaxation environment“ offers a 24/7 television menu of original instrumental music and nature
imagery, including a starry night sky
Diverse Maßnahmen sind grundsätzlich denkbar,
aber überstürzter Aktionismus ist nicht zielführend
Quelle: Wall Street Journal, June 2013
http://online.wsj.com/news/articles/SB10001424127887324634304578537350035525538
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Gezielte Überlagerung von Geräuschen
•
Durch energetische Maskierung oder Verschiebung der Aufmerksamkeit
kann Geräuschbelästigung verringert werden
Schneider and Biebuyck: “In the US background music is often in the
operating room […] While low-volume background music is probably helpful in
relieving stress, noisy music is not. Some kinds of music are soothing, some
are not. Music played loud enough to be perceptible may induce tranquility in
some and be annoying to others.” *
• Jede „Geräuschintervention“ muss inter-individuell gleichermaßen
interpretiert werden
• Jegliche unnötige zusätzliche Geräuschbelastung muss vermieden werden
* A. Schneider and J. Beibuyck (1990). “Music in the operating room,” Lancet, 335, 1407
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Anzahl Überschreitungen definierter Pegelgrenzen
Anzahl der Überschreitungen
von 70 dB(A) pro Stunde *

Bestimmung auffälliger Einzelereignisse und deren evozierte
Reaktionen sind bezüglich z.B. Schlafqualität wichtig
 An der Berliner Charité wurde eine Befragung von 757 Patienten zur
Schlafqualität durchgeführt
 Fazit: 34 % beurteilten die Schlafqualität grundsätzlich als „nicht erholsam“; 20 %
als zeitweise „nicht erholsam“; jeder 2. Patient leidet unter Durchschlafstörungen
* http://www.uni-weimar.de/Bauing/bauphysik
** Fietze, I. Wiesenäcker, D., Blau, A., Plenzel, T. (2008). Die Schlaqualität im Krankenhaus und der
Einfluss von Lärm, Somnologie - Schlafforschung und Schlafmedizin, 2008, Vol. 12 (2), 167-175
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Vermeidung bzw. Reduzierung von unnötigen
Geräuschen
Am Beispiel einer Eiswürfelmaschine
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Eiswürfelmaschine


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Automatisierte Herstellung von Eiswürfeln mittels einer Eiswürfelmaschine
- Krankenhauskorridor
Laute, auffällige Betriebsgeräusche (z. B. Kompressor, Lüfter)
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Prinzipmaßnahmen an einer Eiswürfelmaschine
 Verbesserte Entkopplung des Kompressors einer Eiswürfelmaschine
Original
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Optimiert
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Prinzipmaßnahmen an einer Eiswürfelmaschine
 33% geringere Lautheit
(nach DIN 45631/A1)
Original.Modulation Spectrum vs. Band
2000
f/Hz
 Auffällige tieffrequente
Modulationen deutlich reduziert
500
200
100
Left
50
60
41
80
42
100
120
43
44
140
45
160
46
47
180
200
220
48
49
50
240
51
fm/Hz
300
L/dB(SPL) 55
Kompressor - Entkoppelt.Modulation Spectrum vs. Band
2000
f/Hz
500
200
100
Left
50
60
41
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80
42
100
120
43
44
140
45
160
46
47
180
200
220
48
49
50
240
51
fm/Hz
300
L/dB(SPL) 55
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Psychoakustik und
physiologische Reaktionen
Zusammenhang zwischen psychoakustischen Eigenschaften und
physiologischen Reaktionen

Riebentisch et al.*: Blutdruck zeigte zum Teil einen stärkeren
Zusammenhang mit der subjektiven Lärmbelästigung als mit dem
Schallpegel

Hume und Athamad** beobachteten einen deutlichen Zusammenhang
zwischen physiologischen Reaktionen (Herzrate, Atemfrequenz,
Elektromyographie) und der Bewertungen der Angenehmheit von
Geräuschen
Verwendete Geräusche: Feuerwerk, Erbrechen, Kinderlachen, Flugzeug,
Feuerwehrsirene, Brunnen, Straßenverkehr, Pferdehufe, …
* Rebentisch, E., Lange-Aschenfeld, H. & Ising, H. (1994). Gesundheitsgefahren durch Lärm.
Kenntnisstand der Wirkungen von Arbeitslärm, Umweltlärm und lauter Musik.
München: MMV Medizin Verlag München.
** Hume, K., Ahtamad, M. (2013). Physiological responses to and subjective estimates of
soundscape elements. Applied Acoustics, Vol. 74 (2). 275-281
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Finger Pulse Amplitude in %
Physiologische Reaktionen (Fingerpulsamplitude)
Jansen, G., Rey, P.Y. (1962). Der Einfluss der Bandbreite eines Geräusches auf die Stärke vegetativer Reaktion.
In: European Journal of Applied Physiology, Vol. 19. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag
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Physiologische Reaktionen und Lautheit
•
Unterschiedliche Lautheit, obwohl alle Geräusche einen identischen A-bewerteten
Schalldruckpegel besitzen
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Psychoakustik und die Bewertung von Krankenhauslärm
 Psychoakustik kann die Geräuschbelästigung und den Grad der
Störung genauer erfassen als einfache, gemittelte
Schalldruckpegelindikatoren
 Psychoakustische Erkenntnisse ermöglichen das Gestalten der
Angenehmheit bestimmter Geräusche (wie Warngeräusche oder
Gerätegeräusche), ohne das notwendige Informationsniveau zu
verringern
 Erkenntnisse aus dem Bereich der Psychoakustik,
Geräuschqualität und Soundscape können zur aktiven Gestaltung
und Beeinflussung von komplexen Geräuschsituationen eingesetzt
werden
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Perzeptive und psychoakustische Bewertung
von Krankenhausgeräuschen
Hörversuch - Fallstudie
Versuchspersonen

Stichprobe: 10 Personen (7m, 3w), Altersbereich: 25 bis 55 Jahre
Stimuli

Verschiedene typische Geräusche aus Krankenhäusern (ca.10 s)
(Gerätegeräusche, Hintergrundgeräusche, … + Wasserplätschern)
Prozedur

Kategorialbewertung der Lästigkeit und Lautheit von
„Krankenhausgeräuschen“ (sequentieller Bewertungsmodus,
randomisierte Darbietung)
 11-stufige Kategorialskala (angelehnt an ISO15666-2003*)
 Instruktion: Bitte stellen Sie sich vor, dass Sie sich in einem
Krankenhaus befinden und warten.
Einrichtung:

Hörversuch im Laborkontext
*ISO/TS 15666 (2003). Acoustics. Assessment of noise annoyance by means of social and socio-acoustic surveys,
International Standardization Organization, Geneva, Switzerland
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Geräusche* für Hörversuch
EGK (54 dB(A))
Überlagerung (57 dB(A))
Intensivstation (54 dB(A))
Pulsmessung (51 dB(A))
Pulsmessung (54 dB(A))
Instrumentengeklapper ( 54 dB(A))
Plätschern+Intensivst.(55 dB(A))
Plätschern+Hintergrund( 57 dB(A))
Liege (54 dB(A))
Hintergrundgeräusche
Eiswürfelmaschine (original, optimiert)
Wasserplätschern (48, 54 dB(A))
* Quelle: https://www.freesound.org
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* Quelle: Notbohm, G., Siegmann, S. (2012). Lärmbelastung
von Personal und Patienten im Krankenhaus – eine aktuelle
Literaturauswertung, DAGA 2012, Darmstadt
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Bewertungsinterface
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Beobachtungen

Die Geräuschbewertungen der Lautheit und der Lästigkeit durch die
Versuchspersonen korrelierten nur schwach (r=0.3, n.s.)

Das Hinzufügen von (leisen) Wasserplätschern zum
Intensivstationsgeräusch erhöhte die Lautheitsbewertung (von 4.9 auf 5.9)
und reduzierte gleichzeitig die Lästigkeitsbewertung (von 5.5 auf 4.6)

Die Geräuschoptimierung der Eiswürfelmaschine führte zur deutlichen
Reduzierung der Lautheits- (-2.7 Kategorien ) und der
Lästigkeitsbewertungen (-2.1 Kategorien)

Ausfälligste Diskrepanz zwischen Lautheits- und Lästigkeitsbewertungen :
Instrumentengeklapper (-1.5), Liege (-1.5)
 Beide Geräusche besitzen die höchste Ausprägung der Schärfe (S5Aures)
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Reduzierung des Schalldruckpegels
Die Reduzierung des Schalldruckpegels
spiegelt sich in den
Lautheitsbewertungen wider
Die Lästigkeitsbewertung bleibt trotz der
Verringerung des Schalldruckpegels
auf einem ähnlichem Niveau
• Die Erhöhung des Pegels des Pulsmessungsgeräusches um 3dB erhöhte
die Lautheitsbewertung signifikant (p<0.05) (von 4.7 auf 5.9), erhöhte aber
nur geringfügig die Lästigkeit (von 6.1 auf 6.3)
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Akustische Indikatoren und Geräuschbewertungen
 Die Korrelation zwischen akustischen Indikatoren und den
Lästigkeitsbewertungen war (signifikant) niedriger als mit den
Lautheitsbewertungen
 Die psychoakustische Lautheit (N5) korrelierte höher mit den
Lästigkeits- und Lautheitsbewertungen als der LAeq
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Lautheit
N5 nach DIN
45631/A1
LAeq
r
0.94
0.78
Lästigkeit
N5 nach DIN
45631/A1
LAeq
r
0.65
0.38
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Bewertung
Zusammenhang Lautheit/Lästigkeit mit akustischen Größen
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
r=0.94
Bewertung
0
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
2
4
6
8
10
N5
12
14
16
18
Lautheit
Liegentransporgeräusch
Instrumentengeklapper
Wasserplätschern
r=0.38
45
André Fiebig
47
49
51
20
53
55
LAeq
57
59
Psychoakustische Bewertung von Krankenhauslärm
61
63
Anmerkung:
Deutlich höhere
Varianzaufklärung
mittels LA5 anstatt LAeq
65
Lästigkeit
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Psychoakustische Methoden wichtig für …
 psychoakustische Bewertung von Lärm im Krankenhaus,
 Bestimmung und Verbesserung von Sprachverständlichkeit und
Verringerung der Höranstrengung,
 Identifikation der Geräusche, die die Schlafqualität maßgeblich
beeinträchtigen,
 Entwicklung psychoakustisch unauffälliger Gerätegeräusche
(Betriebsgeräusche, Warngeräusche, Geräusche zum Monitoring) .
André Fiebig
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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