Padre Tom - Steyler Missionare

Transcrição

Padre Tom - Steyler Missionare
BRASILIEN
Im Dienst der einen Welt
Padre Tom,
der Bürgermeister
„Politik ist für uns eine wichtige missionarische
Herausforderung“, sagte mir Pater Arlindo
Pereira Dias, der Provinzial der Steyler
Missionare in São Paulo. Klar, dachte ich mir:
Kaffee und Bohnen aus Rondônia
Korruption, Vetternwirtschaft und die Kluft zwischen Arm und Reich schreien in Brasilien nach guter Politik. Beim nächsten
Satz verschlug es mir aber die Sprache: „Einer unserer Patres ist jetzt Bürgermeister …“ Ein katholischer Priester als Bürgermeister? Das musste ich mir
anschauen. Ich reiste nach Alto Alegre dos Parecis im Bundesstaat Rondônia.
Ein Grenzfall der Mission
Ordenspriesters Máriton de Holanda, genannt „Padre Tom“.
Mir kommt auch vor, ich bin zu
einem Grenzbereich unterwegs. Unter mir wird die Landschaft immer
eintöniger, je näher Rondônia
kommt. Im Bundesstaat Mato Grosso, den wir überfliegen, gibt es
kaum mehr „mata“, so das brasilianische Wort für Wald. Riesige kahle
Flächen, die von schnurgeraden
Straßen schachbrettartig eingerahmt
sind, ziehen sich unter mir hin.
„Tudo plantação de soja“, erklärt
mein Sitznachbar. „Alles Sojapflanzungen.“ Nur ab und zu ist noch ein
kleiner Streifen Urwald zu sehen.
Landlose vom
Camp „Che Guevara“: Mit Polizeigewalt vertrieben,
kämpfen sie weiter für ihr Recht
auf Land.
Fotos: P. Franz Helm SVD, privat
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Brutal wird der
Urwald gerodet.
Ob hier auch bald
Rinder grasen
oder Soja für den
Export wächst?
In Jí-Paraná werde ich von Padre
Tom abgeholt. Wir kennen einander
von früher, als er noch Seminarist in
São Paulo war. Nach seiner Priesterweihe wirkte er als Seelsorger unter
lateinamerikanischen Migranten in
den USA. Nun ist er seit 1999 hier in
Rondônia, wieder bei Migranten.
Glaube und Politik
Über kahles, ebenes Land fahren
wir zum Büro des Bischofs. Dom
Antônio Possamai stammt aus Südbrasilien, so wie viele Zuwanderer
hier in Rondônia. „Aber als Erstes
kamen weder Bischof noch Priester,
sondern Ordensschwestern hierher
und betreuten die Leute“, berichtet
er. „Auch Steyler Missionsschwestern arbeiten hier.“ Viele Basisgemeinden gäbe es und seit einigen
Jahren auch kirchliche Ausbildungskurse für Glaube und Politik.
„Unsere Leute sind politisch aktiv
Das Rind bringt uns um
Bei der mehrstündigen Fahrt auf
einer schnurgeraden Überlandstraße
begegnen uns riesige Lastwagen, die
mit Sojabohnen beladen sind. „Ouro
verde“, grünes Gold, nennt es Padre
Tom. Das Viehfutter für Nordamerika und Europa bringt gutes Geld.
Genauso wie das Fleisch, das in Tiefkühl-LKWs transportiert wird. Zehn
Millionen Rinder fressen in Rondônia da, wo Urwaldriesen standen,
bestes Gras. Als wir durch Rolim de
Moura fahren, sehen wir riesige
Schlachthöfe und Kühlhäuser. Vor
20 Jahren, nach der ersten großen
Zuwanderungswelle, produzierte
diese Region viel Kaffee, Bohnen,
Reis, Mais und Früchte. Jetzt breiten
sich die Rinderfarmen aus. Kleinbauern wandern wegen fehlender
Unterstützung durch die Politik ab,
füllen die Elendsviertel der Städte
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uf der Flugreise in
die 2700 Kilometer
entfernte Diözese JíParaná klingt manches aus dem Gespräch mit Pater Arlindo nach: Die
Ordensprovinz und der Ortsbischof
haben Ja zur Kandidatur von Pater
Máriton de Holanda gesagt. Es ist
ein ungewöhnliches Ja. Aber Rondônia ist auch ungewöhnlich, ein
Neusiedlungsgebiet. Der Urwald
wird dort ganz brutal gerodet, die
Stadt Alto Alegre dos Parecis ist gerade erst zehn Jahre alt, es gibt viel
Gewalt, Korruption und Abhängigkeit der Menschen. „Da haben wir
uns in diesen Grenzbereich vorgewagt“, meinte der Provinzial
zum politischen Engagement des
geworden, um die schlimmen Zustände zu verändern. Aber gewählt
werden dann doch meistens reiche
Großgrundbesitzer oder Unternehmer.“ Aha, denke ich mir, da braucht
es also die Bekanntheit eines Padre
Tom, damit jemand in der Politik
Chancen hat. Später, in Alto Alegre
dos Parecis, bestätigt mir das der Gemeinderat Geraldo: „Unser Bündnis
von Oppositionsparteien hätte ohne
den Padre die Bürgermeisterwahl
verloren.“ Gut – aber rechtfertigt das
seine Kandidatur? Sollte sich die
Kirche nicht grundsätzlich aus Parteipolitik und öffentlicher Administration heraushalten?
Padre Tom,
der Bürgermeister
Mit Motorrädern
kommen die
Menschen zum
Gemeindeamt.
Kleinbauern
sind die bevorzugten Adressaten der Politik
und der Mission.
oder gehen gar nach Nordamerika.
„Das Rind bringt uns um“, sagt der
Besitzer einer Lagerhalle, als wir bei
einem kurzen Halt ins Gespräch
kommen. Manche Kleinbauern versuchen sich zu wehren, organisieren
Proteste, machen durch Straßenblockaden auf ihre Probleme aufmerksam. Auch in Rondônia, wo das
Land erst vor einigen Jahrzehnten
auf Zuwanderer aufgeteilt wurde,
gibt es jetzt landlose Bauern, Landbesetzungen und Landkonflikte.
Verwalter
öffentlichen Gutes
War Padre Tom früher als Seelsorger vor allem durch das Feiern der
Sakramente für die Menschen da, so
ist er heute mit ihren alltäglichen
Lebensproblemen konfrontiert. Nur
noch selten – wenn der Pfarrer ver-
hindert ist – feiert er Gottesdienste.
Immer wieder gehen ihn Leute um
Unterstützung in persönlichen Nöten an, oder Unternehmer wollen
über persönliche Kontakte öffentliche Aufträge. „Aber als Bürgermeister bin ich ein Verwalter öffentlicher
Mittel und öffentlichen Gutes. Ich
versuche immer, das Gemeinwohl
im Blick zu haben“, erläutert Padre
Tom seine Amtsauffassung. Oft stößt
er damit auf Unverständnis. Die
Leute sind es gewohnt, dass politische Ämter zum persönlichen Vorteil des Amtsinhabers und zur Bereicherung von Angehörigen, Freunden und Unterstützern benutzt werden. Ein Paradebeispiel dafür ist der
Gouverneur Ivo Cassol. Er kam mit
seiner Familie als armer Zuwanderer, mittlerweile gehören ihnen Tausende Hektar Land, Straßenbaufirmen und Wasserkraftwerke.
KOMM
UND SIEH!
WENN dich die befreiende Botschaft
Jesu berührt und du aufbrechen möchtest,
um deine eigene Berufung zu suchen ...
WENN du andere mit deinem Glauben anstecken möchtest …
WENN du mit Menschen in der EINEN Welt dein Leben teilen willst …
DANN „Komm und sieh!“ und melde dich bei uns:
Sr. Hemma Jaschke SSpS
T: 01/402 87 10
E: [email protected]
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P. Norbert Cuypers SVD
T: 0664/972 10 67
E: [email protected]
Es erregte daher großes Erstaunen, als der neue Bürgermeister Padre Tom zuerst eine Straße in einem
Gebiet instand setzen ließ, wo ihn
die Bewohner – in der Mehrzahl
Angehörige einer Freikirche – nicht
gewählt hatten. „Dabei war das
doch ganz klar, diese Straße war im
schlechtesten Zustand“, erzählt er
schmunzelnd. Über die Verwendung der Gelder wird nach öffentlicher Debatte entschieden, alle
Ausschreibungen laufen transparent ab. „Mittlerweile haben das
auch die Unternehmer begriffen. Es
kommt zu keinen unerlaubten Absprachen mehr.“ Bei einem Besuch
in einer Landgemeinde wird ihm
für die Renovierung der Schule gedankt. Er wehrt entschieden ab und
sagt: „Ihr braucht mir nicht zu danken, das ist durch eure Steuergelder
geschehen!“
Eine Mission, die ausstrahlt
Besonders viel Energie steckt er
in die Begleitung der Landbesetzung „Che Guevara“. Vor einigen
Wochen mussten die 130 Familien
ihre Siedlung räumen, 550 Militärpolizisten waren zur Durchsetzung
der Räumung gekommen. Padre
Tom konnte bei Verhandlungen dahingehend wirken, dass die Leute
ihr Hab und Gut mitnehmen und
auch die Ernte einbringen konnten.
Immer wieder werden Einladungen aus anderen Gemeindebezirken
ausgesprochen, damit Padre Tom in
Vorträgen von der neuen Art, Politik
zu machen, erzählt. Was in Alto
Alegre (auf deutsch „Frohe Anhöhe“) im Grenzgebiet zu Bolivien geschieht, strahlt aus. Die „Stadt auf
dem Berg“ und das „Licht auf dem
Leuchter“ aus dem Evangelium fallen mir ein. Der Einsatz von Padre
Tom im „Grenzbereich Politik“ ist
ein Grenzfall, ohne Zweifel. Aber
im schwierigen Umfeld von Rondônia ist es ein Glücksfall für die Menschen, diesen Steyler Missionar als
ihren Bürgermeister zu haben.
P. Franz Helm SVD

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