Padre Tom - Steyler Missionare
Transcrição
Padre Tom - Steyler Missionare
BRASILIEN Im Dienst der einen Welt Padre Tom, der Bürgermeister „Politik ist für uns eine wichtige missionarische Herausforderung“, sagte mir Pater Arlindo Pereira Dias, der Provinzial der Steyler Missionare in São Paulo. Klar, dachte ich mir: Kaffee und Bohnen aus Rondônia Korruption, Vetternwirtschaft und die Kluft zwischen Arm und Reich schreien in Brasilien nach guter Politik. Beim nächsten Satz verschlug es mir aber die Sprache: „Einer unserer Patres ist jetzt Bürgermeister …“ Ein katholischer Priester als Bürgermeister? Das musste ich mir anschauen. Ich reiste nach Alto Alegre dos Parecis im Bundesstaat Rondônia. Ein Grenzfall der Mission Ordenspriesters Máriton de Holanda, genannt „Padre Tom“. Mir kommt auch vor, ich bin zu einem Grenzbereich unterwegs. Unter mir wird die Landschaft immer eintöniger, je näher Rondônia kommt. Im Bundesstaat Mato Grosso, den wir überfliegen, gibt es kaum mehr „mata“, so das brasilianische Wort für Wald. Riesige kahle Flächen, die von schnurgeraden Straßen schachbrettartig eingerahmt sind, ziehen sich unter mir hin. „Tudo plantação de soja“, erklärt mein Sitznachbar. „Alles Sojapflanzungen.“ Nur ab und zu ist noch ein kleiner Streifen Urwald zu sehen. Landlose vom Camp „Che Guevara“: Mit Polizeigewalt vertrieben, kämpfen sie weiter für ihr Recht auf Land. Fotos: P. Franz Helm SVD, privat A 30 SG M Ä R Z 2 0 0 8 Brutal wird der Urwald gerodet. Ob hier auch bald Rinder grasen oder Soja für den Export wächst? In Jí-Paraná werde ich von Padre Tom abgeholt. Wir kennen einander von früher, als er noch Seminarist in São Paulo war. Nach seiner Priesterweihe wirkte er als Seelsorger unter lateinamerikanischen Migranten in den USA. Nun ist er seit 1999 hier in Rondônia, wieder bei Migranten. Glaube und Politik Über kahles, ebenes Land fahren wir zum Büro des Bischofs. Dom Antônio Possamai stammt aus Südbrasilien, so wie viele Zuwanderer hier in Rondônia. „Aber als Erstes kamen weder Bischof noch Priester, sondern Ordensschwestern hierher und betreuten die Leute“, berichtet er. „Auch Steyler Missionsschwestern arbeiten hier.“ Viele Basisgemeinden gäbe es und seit einigen Jahren auch kirchliche Ausbildungskurse für Glaube und Politik. „Unsere Leute sind politisch aktiv Das Rind bringt uns um Bei der mehrstündigen Fahrt auf einer schnurgeraden Überlandstraße begegnen uns riesige Lastwagen, die mit Sojabohnen beladen sind. „Ouro verde“, grünes Gold, nennt es Padre Tom. Das Viehfutter für Nordamerika und Europa bringt gutes Geld. Genauso wie das Fleisch, das in Tiefkühl-LKWs transportiert wird. Zehn Millionen Rinder fressen in Rondônia da, wo Urwaldriesen standen, bestes Gras. Als wir durch Rolim de Moura fahren, sehen wir riesige Schlachthöfe und Kühlhäuser. Vor 20 Jahren, nach der ersten großen Zuwanderungswelle, produzierte diese Region viel Kaffee, Bohnen, Reis, Mais und Früchte. Jetzt breiten sich die Rinderfarmen aus. Kleinbauern wandern wegen fehlender Unterstützung durch die Politik ab, füllen die Elendsviertel der Städte M Ä R Z 2 0 0 8 SG 31 ▲ uf der Flugreise in die 2700 Kilometer entfernte Diözese JíParaná klingt manches aus dem Gespräch mit Pater Arlindo nach: Die Ordensprovinz und der Ortsbischof haben Ja zur Kandidatur von Pater Máriton de Holanda gesagt. Es ist ein ungewöhnliches Ja. Aber Rondônia ist auch ungewöhnlich, ein Neusiedlungsgebiet. Der Urwald wird dort ganz brutal gerodet, die Stadt Alto Alegre dos Parecis ist gerade erst zehn Jahre alt, es gibt viel Gewalt, Korruption und Abhängigkeit der Menschen. „Da haben wir uns in diesen Grenzbereich vorgewagt“, meinte der Provinzial zum politischen Engagement des geworden, um die schlimmen Zustände zu verändern. Aber gewählt werden dann doch meistens reiche Großgrundbesitzer oder Unternehmer.“ Aha, denke ich mir, da braucht es also die Bekanntheit eines Padre Tom, damit jemand in der Politik Chancen hat. Später, in Alto Alegre dos Parecis, bestätigt mir das der Gemeinderat Geraldo: „Unser Bündnis von Oppositionsparteien hätte ohne den Padre die Bürgermeisterwahl verloren.“ Gut – aber rechtfertigt das seine Kandidatur? Sollte sich die Kirche nicht grundsätzlich aus Parteipolitik und öffentlicher Administration heraushalten? Padre Tom, der Bürgermeister Mit Motorrädern kommen die Menschen zum Gemeindeamt. Kleinbauern sind die bevorzugten Adressaten der Politik und der Mission. oder gehen gar nach Nordamerika. „Das Rind bringt uns um“, sagt der Besitzer einer Lagerhalle, als wir bei einem kurzen Halt ins Gespräch kommen. Manche Kleinbauern versuchen sich zu wehren, organisieren Proteste, machen durch Straßenblockaden auf ihre Probleme aufmerksam. Auch in Rondônia, wo das Land erst vor einigen Jahrzehnten auf Zuwanderer aufgeteilt wurde, gibt es jetzt landlose Bauern, Landbesetzungen und Landkonflikte. Verwalter öffentlichen Gutes War Padre Tom früher als Seelsorger vor allem durch das Feiern der Sakramente für die Menschen da, so ist er heute mit ihren alltäglichen Lebensproblemen konfrontiert. Nur noch selten – wenn der Pfarrer ver- hindert ist – feiert er Gottesdienste. Immer wieder gehen ihn Leute um Unterstützung in persönlichen Nöten an, oder Unternehmer wollen über persönliche Kontakte öffentliche Aufträge. „Aber als Bürgermeister bin ich ein Verwalter öffentlicher Mittel und öffentlichen Gutes. Ich versuche immer, das Gemeinwohl im Blick zu haben“, erläutert Padre Tom seine Amtsauffassung. Oft stößt er damit auf Unverständnis. Die Leute sind es gewohnt, dass politische Ämter zum persönlichen Vorteil des Amtsinhabers und zur Bereicherung von Angehörigen, Freunden und Unterstützern benutzt werden. Ein Paradebeispiel dafür ist der Gouverneur Ivo Cassol. Er kam mit seiner Familie als armer Zuwanderer, mittlerweile gehören ihnen Tausende Hektar Land, Straßenbaufirmen und Wasserkraftwerke. KOMM UND SIEH! WENN dich die befreiende Botschaft Jesu berührt und du aufbrechen möchtest, um deine eigene Berufung zu suchen ... WENN du andere mit deinem Glauben anstecken möchtest … WENN du mit Menschen in der EINEN Welt dein Leben teilen willst … DANN „Komm und sieh!“ und melde dich bei uns: Sr. Hemma Jaschke SSpS T: 01/402 87 10 E: [email protected] 32 SG M Ä R Z 2 0 0 8 P. Norbert Cuypers SVD T: 0664/972 10 67 E: [email protected] Es erregte daher großes Erstaunen, als der neue Bürgermeister Padre Tom zuerst eine Straße in einem Gebiet instand setzen ließ, wo ihn die Bewohner – in der Mehrzahl Angehörige einer Freikirche – nicht gewählt hatten. „Dabei war das doch ganz klar, diese Straße war im schlechtesten Zustand“, erzählt er schmunzelnd. Über die Verwendung der Gelder wird nach öffentlicher Debatte entschieden, alle Ausschreibungen laufen transparent ab. „Mittlerweile haben das auch die Unternehmer begriffen. Es kommt zu keinen unerlaubten Absprachen mehr.“ Bei einem Besuch in einer Landgemeinde wird ihm für die Renovierung der Schule gedankt. Er wehrt entschieden ab und sagt: „Ihr braucht mir nicht zu danken, das ist durch eure Steuergelder geschehen!“ Eine Mission, die ausstrahlt Besonders viel Energie steckt er in die Begleitung der Landbesetzung „Che Guevara“. Vor einigen Wochen mussten die 130 Familien ihre Siedlung räumen, 550 Militärpolizisten waren zur Durchsetzung der Räumung gekommen. Padre Tom konnte bei Verhandlungen dahingehend wirken, dass die Leute ihr Hab und Gut mitnehmen und auch die Ernte einbringen konnten. Immer wieder werden Einladungen aus anderen Gemeindebezirken ausgesprochen, damit Padre Tom in Vorträgen von der neuen Art, Politik zu machen, erzählt. Was in Alto Alegre (auf deutsch „Frohe Anhöhe“) im Grenzgebiet zu Bolivien geschieht, strahlt aus. Die „Stadt auf dem Berg“ und das „Licht auf dem Leuchter“ aus dem Evangelium fallen mir ein. Der Einsatz von Padre Tom im „Grenzbereich Politik“ ist ein Grenzfall, ohne Zweifel. Aber im schwierigen Umfeld von Rondônia ist es ein Glücksfall für die Menschen, diesen Steyler Missionar als ihren Bürgermeister zu haben. P. Franz Helm SVD