2011-12 gelitten

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2011-12 gelitten
„gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben“
In der Tat steht und fällt der christliche Glaube mit dem Bekenntnis zu Jesus von Nazareth
als „Christus“, als „Messias“, den Gott gesandt und über seinen Tod hinaus bestätigt hat.
5[Aber der] war, ein Gehenkter, einer, den die Gesellschaft ausgestoßen hat. Und weil sich die
damalige jüdische Gesellschaft mit ihrem Gott vollkommen im Einklang glaubte, mußte
dieser Gekreuzigte zugleich als ein von Gott Gerichteter, der ein für allemal erledigt ist,
erscheinen. "Denn: Die Rede vom Kreuz ist Unsinn für die, die verlorengehen; für uns aber, die wir gerettet werden, ist sie Gottes
Macht ...Die Juden fordern Macht-Zeichen, und die Griechen suchen Weisheit, wir aber verkündigen den gekreuzigten Christus (=
10Messias), für die Juden ein Skandal und für die Griechen Unsinn, für alle aber, die berufen sind, Juden wie Griechen, Christus als Gottes
Macht und Gottes Weisheit. Denn Gottes Unsinn ist weiser als die Menschen, und Gottes Schwäche ist stärker als die Menschen“ (1 Kor
1, 18.22-25)
Das Kreuz und Gott Die Botschaft vom gekreuzigten Christus steht nach diesen Worten in
15schroffem Widerspruch zu einer Heilserwartung und dem mit ihr verbundenen Bild von
Gott, die nicht einfach mit der Auffassung des Alten Testamentes gleichgesetzt werden
dürfen, sich aber in den Köpfen vieler Juden zur Zeit Jesu fortgesetzt hatten. Es ist der Gott,
der seine Macht in Zeichen und Wundern offenbaren wird, ...
Wenn die Jünger Jesu sich trotzdem weiter zu ihm bekennen, wenn sie es sogar wagen,
20diesen Gekreuzigten zunächst der jüdischen und dann der gesamten Weltöffentlichkeit als
den gottgesandten Retter, als Messias, Sohn Gottes und Herrn vorzustellen und dabei ein
geradezu sagenhaft hohes Sendungsbewußtsein entwickeln, dann tun sie dies nicht aus einem
Ressentiment heraus. Sie waren vielmehr zu der Überzeugung gekommen, daß Gott auf
seiten dieses Gehenkten stand, daß Gott sich zu ihm, dem Gescheiterten, bekannt und ihn in
25seine Nähe aufgenommen hatte.
Es deutet vielmehr das Sterben Jesu vielfältig theologisch aus. Und diese theologischen
Deutungen, wie das Neue Testament und bald die christliche Dogmatik sie bieten, erwecken
Schwierigkeiten. Was heißt das, "gestorben für unsere Sünden", "stellvertretende Sühne",
oder, daß beim Leiden und Sterben Jesu nicht menschliche Verantwortung oder Willkür
30entscheidend mitspielten, sondern daß darin ein geheimnisvoller göttlicher Plan zur
Erfüllung kam? Daß Jesus freiwillig, aus Gehorsam gegen Gott, seinen Vater, in den Tod
ging - wer stirbt schon freiwillig? Oder daß sich ein Erlösungsdrama auf einer höheren
Ebene abspielt: als Kampf zwischen Gott und den gottfeindlichen, dämonischen Mächten,
zwischen Gott und dem Teufel? Solche Denkmodelle, wie wir das heute nennen würden,
35sind uns weitgehend fremd geworden. Wir müssen über die alte Frage nach der Bedeutung
des Sterbens Jesu ganz neu nachdenken und wollen das im folgenden wenigstens in
Umrissen versuchen.
Die Passionsberichte Eine solche Schilderung von Vorgängen, die man, realistisch
40gesehen, nur brutal, unmenschlich und ungerecht nennen kann, in einem verhaltenen, ja
sogar ruhig-feierlichen Erzählton, erreichen die Evangelisten hauptsächlich durch Rückgriff
auf alttestamentliche Vorbilder vom "leidenden Gerechten". Besonders wichtig sind die
Psalmen 22 und 69 und das Lied vom leidenden Gottesknecht, Jes 53; auch die
Leidensgeschichte des Propheten Jeremia ist zu erwähnen.
45......Bei Markus tritt die direkte Aussage über die "Heilsbedeutung" des Todes Jesu stark
zurück. Nur am Anfang wird sie ausgesprochen, im Eucharistie-Bericht (Mk 14, 22-25):
In jedem Falle bringen die Deuteworte Jesu eigene Absicht klar zum Ausdruck. Hier wird
in Verbindung mit einem Essen eine Deutung des Todes Jesu gegeben und damit eine
Interpretation all dessen, was Jesus war, was er getan und gewollt hat. Die Ausdrücke "Leib"
50und "Blut" beziehen sich nicht getrennt je auf die Elemente Brot und Wein, sondern haben
einen ganzheitlichen Sinn. Beidemal ist jeweils die ganze Person gemeint, die man so wenig
in "Leib" und "Blut" aufteilen kann wie in "Leib" und "Seele". So ergibt sich als Sinn des
Abendmahles: Im Zeichen dieses Mahles schafft Jesu Tod neue, bleibende Gemeinschaft
Jesu mit den Seinen, und er begründet zugleich den "neuen Bund" für alle.
55
Verkündigungsformeln Neben den Leidensgeschichten finden wir im Neuen Testament
verschiedene "kerygmatische" ("Verkündigungs-")Formeln, die vom Tode Jesu sprechen,
meist in Verbindung mit seiner Auferstehung. An erster Stelle ist die alte Formulierung von
1 Kor 15, 3-5 zu erwähnen-. "Christus ist für unsere Sünden gestorben gemäß den Schriften
60und ist begraben worden ... " Ferner die gleichfalls von Paulus schon vorgefundene Formel
Röm 3,25, wo der Tod Jesu als das von Gott aufgerichtete "Sühnezeichen" verstanden wird,
das dem Glaubenden Sündenvergebung und Heil ("Gerechtigkeit", wie Paulus sagt)
vermittelt. Weiter Röm 4,25: "Der ausgeliefert wurde wegen unserer Übertretungen und
auferweckt wurde wegen unserer Rechtfertigung", ebenfalls eine alte Formel, in welcher
65Jesu Tod der Sündenvergebung und Jesu, Auferstehung der Rechtfertigung zugeordnet
werden. Paulus hat in seiner eigenen Theologie diese Formeln nicht nur auf genommen,
sondern weiter ausgedeutet und verarbeitet. Immer wieder stößt man bei ihm auf Anklänge
an die genannten Formeln.
Daneben kann Paulus aber auch den Tod Jesu in einer Linie sehen mit den
70Prophetenverfol-gungen. So sagt er 1 Thess 2, 15 von den Juden: "Sie haben auch den Herrn
Jesus getötet und die Propheten, wie siel auch uns jetzt verfolgen." Diese Auffassung vom
Tod Jesu als "Prophetenmord" findet sich auch in der Tradition Q (Mt 239 37-39- Lk 13, 3435). Auch das Gleichnis von den "bösen Winzern" (Mk 12, 1-12; vgl. Mt 21, 33-46; Lk 20,
9-19) gehört zu dieser Interpretationslinie, die die Verwerfung Jesu in Entsprechung zur
75Ablehnung der alten großen Propheten durch Israel versteht. Wir stehen hier wahrscheinlich
vor einem der ältesten Versuche, die Verwerfung und Hinrichtung Jesu zu verstehen.
Die Leidensweissagungen Bei diesen Worten vom "leidenden, sterbenden und
auferstehenden Menschensohn“ handelt es sich nicht, wie man früher meinte, um genaue
80prophetische Leidensvorhersage Jesu, sondern um "kerygmatische Formeln" ähnlich wie in 1
Kor 15, 3-5. Die Wendung "der Menschensohn muß leiden" zeigt, wie diese Gemeinde den
Todesweg Jesu als ein Geschehen verstand, das einem göttlichen "Plan" entsprach. Das
"muß" meint diese göttliche Vorherbestimmung, nicht ein blindes Schicksal. Ein derartiges
Denkmodell vom "Heilsplan Gottes", dessen Stationen gleichsam von Ewigkeit her
85festgelegt sind, um sich dann im Lauf der Geschichte zu erfüllen, gehört in den Rahmen der
jüdischen Apokalyptik, und Gleiches gilt von dem Begriff "Menschensohn". Die christliche
Gemeinde hat, wie wir schon sahen, Jesus sehr früh mit dem "Menschensohn" identifiziert,
das heißt, sie hat Tod und Auferweckung Jesu als das Heilsereignis der Endzeit verstanden.
In die Reihe dieser "kerygmatischen Formeln" gehören auch die entsprechenden
90Abschnitte Joh 3, 11-21 [ erhöhte bronzene Schlange ] und Joh 12, 20-36 [ Weizenkorn ]. So
finden wir in den Evangelien verschiedene Weisen, von der Passion und der Auferweckung
Jesu zu sprechen, nebeneinander.
Die erste Leidensankündigung erfolgt unmittelbar nach dem Messiasbekenntnis des Petrus
(Mk 8,27-30; Mt 16,13-20 und Lk 9, 12-21). Damit will der Evangelist ganz deutlich sagen:
95Der Weg des Messias Jesus ist so angelegt, daß er zum Kreuz führt. Das Messiasgeheimnis
Jesu wird daher erst vom Kreuz und von Ostern her richtig verstanden. Wer das außer acht
läßt, läuft Gefahr, einem gefährlichen Mißverständnis Jesu zu verfallen - am Beispiel des
Petrus wird es drastisch gezeigt (Mk 8, 32-33). Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist für
Markus wichtig (vgl. Mk 8, 34-38): Wenn Jesus als Messias entschlossen den Weg zum
100Kreuz geht, dann legt er damit auch den Weg des Jüngers in der Jesusnachfolge fest. Dann
wird sein Weg zum Lebensmodell für die Glaubenden.
Kreuz und Kreuzesdeutung Man könnte - und müßte eigentlich - die neutestamentliche
Redeweise vom Tod Jesu noch viel genauer untersuchen und darstellen, als es hier
105geschehen kann. Drei Gesichtspunkte dürfen wir jedoch aufgrund unseres Einblicks schon
festhalten:
Erstens: Die Frage nach dem Tod Jesu führt direkt und unmittelbar dazu, daß man sich mit
der Person Jesu selbst befassen muß. Gerade der letzte Weg dieses Mannes verlangt
110gesteigertes Interesse. Es gibt da keine von Jesus selbst unabhängige "Sache", auf die man
ausweichen könnte. Die "Sache Jesu" wird auf dem Leidensweg Jesu entschieden. Hier,
nirgendwo anders, steht sie zur Debatte. Damit ist zugleich angedeutet, daß nach dem
Verständnis des Neuen Testamentes das Kreuz Jesu nicht eine äußerliche, zufällige
Angelegenheit war. Die neutestamentlichen Zeugen sehen das Kreuz durchweg mit der
115Sendung oder dem Auftrag Jesu verbunden.
Jesu Tod war darum eine Folge seines ganzen Lebens und seiner ganzen Botschaft. Er hätte ihm nur entrinnen
können, wenn er widerrufen hätte. Dies aber tat er nicht, sondern bestätigte seine Botschaft mit dem Tod. In
der Erfüllung des göttlichen Willens, der sein ganzes Leben bestimmte, wich er auch dem Tod nicht aus (vgl. 1
Kor 15, 3). Er besiegelte die Erlösung der Menschen, wozu er gekommen war, mit seinem Blute. Auf diese
120Weise machte er sein eigenes Wort wahr: "Gott hat die Welt so geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab,
damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat." (Joh 3,16). Wir dürfen die
Erlösungstat Jesu Christi nicht zu eng allein in seinem Kreuzestod sehen. Das ganze Leben Jesu, von Anfang
an, war Erlösung. (Aus KGI)
125 Zweitens: Es gibt keine Interpretation dieses "Weges Jesu", die nicht seine Heilsbedeutung
herausstellt. Diese bildet sogar den gemeinsamen Nenner jeder Interpretation des Kreuzes im
Neuen Testament. Wie man allerdings diese Heilsbedeutung des näheren erläutert, das kann
sehr verschieden sein. Die Lehre von der "Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben"
bei Paulus ist eine, sehr bedeutende, Interpretation der Heilsbedeutung des Todes Jesu, aber
130sie ist im Neuen Testament nicht die einzige oder ausschließlich gültige. Andere
Interpretationsweisen stehen gleichberechtigt daneben.
Drittens: Keiner der neutestamentlichen Zeugen denkt, mit dem Glauben an Jesu Tod sei
das menschliche Heil automatisch gesichert. Glaube ist keine Magie. Das Kreuz Jesu ist für
135den Glauben zugleich Lebensmodell, "Beispiel", das zur Nachfolge auffordert. "Nachfolge
des Gekreuzigten" heißt leben ohne Scheu vor Risiken und Konflikten, deren tödlicher
Charakter nicht bestritten werden kann - im Vertrauen auf das Ziel, das endgültige Freiheit,
vollendeter Friede, verwirklichte Menschlichkeit, umfassende Liebe und vollkommene
Freude ist. Hier trifft sich das neutestamentliche Zeugnis von der Kreuzesnachfolge mit der
140Verkündigung Jesu selbst.
Das neutestamentliche Zeugnis vom Tode Jesu ist Theologie – auch die Leidensgeschichten
der Evangelien.
Stellvertretung Da für Jesus von Nazareth Lehre und Verhalten, "Theorie und Praxis" eine
145Einheit bildeten, die in seinen tiefsten Überzeugungen begründet ist, kann man seinen Tod
auch nicht mehr als blindes Verhängnis verstehen. Jesus starb nicht, obwohl er ein guter
Mensch war, sondern weil er ein guter Mensch war. Jesus hat seinen Tod frei, im Sinne einer
letzten geistigen, existentiellen Freiheit, gewählt und angenommen, weil er darin den Willen
Gottes, seines Vaters, erkannte. "Gehorsam gegen Gott" und Selbstverantwortung, Treue zu
150sich selbst und zu dem übernommenen "Auftrag" waren bei ihm eins.
Aber hat Jesus selbst seinen Tod schon als "stellvertretenden Sühnetod für die Vielen" im
Sinne von Jes 53 verstanden? .....
Versteht man die "Stellvertretung" von der Liebe als radikalem "Sein für die anderen" her,
dann erschließt uns das auch heute, oder gerade heute im Zeitalter weltweiter Solidarität, die
155Bedeutung des Sterbens Jesu. Durch seinen Tod hat Jesus den Gott der Liebe endgültig
sichtbar gemacht (vgl. 1 Joh 4, 7-21). Dieser Liebe immer neu zu begegnen und von ihr sich
ergreifen zu lassen ist das Heil des Menschen.
(Prof. Josef Blank, in: Neues Glaubensbuch)