Vollständiger Artikel über Jutta Speidel aus der Januar

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Vollständiger Artikel über Jutta Speidel aus der Januar
Die
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Himmelsstürmerin
VON FRANK ERDLE
Schauspielerin Jutta Speidel sucht
die Herausforderung – als
streitbare Nonne im Fernsehen
ebenso wie im richtigen Leben
FOTOGRAFIERT VON KURT BAUER
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JANUAR 2005
as herrschaftliche
Gebäude dämmert
im Dornröschenschlaf. Nur ein paar
Spaziergänger bevölkern den winterlichen Park an
der Münchner Blutenburg. Niemand
nimmt Notiz von der prominenten
Radfahrerin, die da im morgendlichen
Nebel Kurs auf die Schlossschänke
nimmt, begleitet von einem drahtigen
Vierbeiner namens Gino.
Deutschlands berühmteste Klosterschwester macht Tempo. Weil das
Jaguar-Kabriolett, das sie sich zum
Fünfzigsten geschenkt hat, in der
Werkstatt steht, ist Jutta Speidel zum
Interview mit dem Drahtesel gekommen; schließlich wohnt sie mit ihren
Töchtern Franziska (21) und Antonia
(18) ganz in der Nähe. Doch in letzter
Zeit ist die Schauspielerin fast pausenlos unterwegs – zu den Dreharbeiten für ihre populäre Fernsehserie
Um Himmels Willen, die Anfang Januar mit 13 neuen Folgen in der ARD
zu sehen ist, und für ihren Verein
„Horizont“, der obdachlosen Menschen ein neues Zuhause gibt.
Mindestens sieben Millionen Deutsche schauen regelmäßig zu, wenn die
Ordensschwester Lotte Albers mit
Lust und List gegen die Machenschaften des schlitzohrigen Bürgermeisters Wolfgang Wöller (Fritz Wepper) kämpft. Die Lotte aus dem TVKloster Kaltenthal und die Jutta aus
München würden sich auch im normalen Leben blendend verstehen: „Es
gibt eine ganze Menge gemeinsamer
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Wesenzüge“, sagt Speidel. „Ich bin genauso stur, warmherzig und humorvoll, liebe aber auch das Spontane.
Wenn ich als Kind ein Schild ‚Rasen
betreten verboten!‘ gesehen habe,
dann habe ich mich mit Vergnügen an
dieser Stelle ins Gras gelegt.“ Doch im
Laufe ihrer Karriere hat sie gelernt,
die Konsequenzen übereilter Entscheidungen zu bedenken: „Mittlerweile schaue ich erst mal, ob da nicht
ein Hund hingemacht hat ...“
Jutta Speidel lacht zum ersten Mal
ihr unverschämt ansteckendes Lachen.
Der bittere Kaffee („Bäh, schmeckt
der grauslich!“) kann ihr an diesem
kalten Vormittag nicht die gute Laune
verderben. Eher schon das Balzgehabe
ihres vierbeinigen Begleiters, der in
unmittelbarer Nähe eine läufige Artgenossin ausgemacht hat. Mit der unnachgiebigen Strenge, die man von
einer Gottesdienerin erwartet, ruft sie
den Mischlingsrüden immer wieder
zur Ordnung, obwohl sie durchaus
Jutta Speidel steht mitten im Leben –
DIE HIMMELSSTÜRMERIN
Verständnis für seine amourösen Bedürfnisse hat: „Du armer, armer Hund!“
hre eigenen Partnerschaften, darüber mag die geschiedene Darstellerin, die im März 51 Jahre alt wird,
nicht so gern sprechen. „Mein Verein
‚Horizont‘ macht mich zu einer öffentlichen Person, aber mein Liebesleben gehört mir“, lautet die klare Ansage. Für die zahlreichen Prominenten-Partys in der Bayernmetropole hat
Jutta Speidel ohnehin keine Zeit. Fast
jede drehfreie Minute steckt sie in ihr
1997 gegründetes Hilfsprojekt. Seit
Kurzem besitzt der Verein im Münchner Norden ein Haus mit 24 Wohnungen, für das die Mimin in den vergangenen Jahren unermüdlich Spendengelder gesammelt hat. In dem rund
3,5 Millionen Euro teuren Bau sollen
obdachlose Münchner Kinder gemeinsam mit ihren Müttern neuen Lebensmut tanken. Die Kosten für die
pädagogische Betreuung übernimmt
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die prominente Wohltäterin: „Meine
Mitarbeiter sind 365 Tage im Jahr aktiv.
Diesen Luxus kann sich eine Stadt gar
nicht leisten.“ Kaum ist das Haus fertig, zieht die „deutsche Königin der
Herzen“ (mdr) aber schon für die
nächste Aktion mit dem Klingelbeutel
los: Wer monatlich zehn Euro aufbringt, kann den Verein als „Pate für
ein Lächeln“ unterstützen.
Stolz kramt die engagierte Initiatorin den ersten Entwurf für den
neuen Prospekt aus dem sportiven
Wollblazer. Die Rolle der lebhaften
Sozialmanagerin steht ihr mindestens
so gut wie die der streitbaren Kuttenträgerin. Die wachen meerblauen
Augen verraten Tatendrang und Lebensgier. In nächster Zeit will Jutta
Speidel nochmal so richtig durchstarten: „Wenn meine Kinder eigene
Wege gehen, möchte ich mir endlich
die Welt anschauen und nach Indien,
Birma oder Sri Lanka reisen. Aber
nicht nur für 14 Tage.“
und zu ihren Falten: „Die habe ich mir doch 30 Jahre lang mühsam angelacht!“
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FOTO: © CINETEXT
alle anderen.“ Diesen Satz hat
Jutta Speidel nie vergessen –
und tief im Herzen zu ihrer
persönlichen Lebensdevise
gemacht.
Schon zu Beginn ihrer
Karriere bewies sie in den seinerzeit höchst populären Pauker-Komödien und ernsthaften Theaterrollen (zum Beispiel in Friedrich Schillers
Kabale und Liebe) eine ungewöhnliche Vielseitigkeit. Der
Durchbruch als Fernsehdarstellerin gelang ihr 1975 in
Rainer Erlers Thriller Die
letzten Ferien. Vier Jahre später entstand, wiederum mit
Erler auf dem Regiestuhl, der
viel beachtete Actionfilm
Fleisch, in dem die Actrice
In „Fleisch“ von Rainer Erler festigt die junge
einer kriminellen OrganDarstellerin 1977 ihren Ruf als TV-Star
spende-Organisation durch
die USA nachjagt, weil diese
Die Programm-Manager von ARD ihren frisch angetrauten Gatten ge& Co. werden diese Botschaft nicht kidnappt hat. Aber vor allem als Frau,
gerne vernehmen. Schließlich zählt die im Alltag ihren Mann steht, sorgte
Jutta Speidel seit drei Dekaden zu den Jutta Speidel immer wieder für gute
beliebtesten Darstellerinnen der Re- Einschaltquoten – beispielsweise in
publik. Schon als Schülerin wusste sie, der ZDF-Reihe Alle meine Töchter
was sie wollte: „Bei der Abiturprüfung (1995) und dem Bildschirm-Hit Um
habe ich mir die Mathematikaufgaben Himmels Willen, der im Jahr 2002 TVnur angesehen. Dann bin ich aufge- Premiere feierte.
standen und zum Drehen in die Lüneburger Heide gefahren.“
ie rolle der Lotte in dieser
Vater Eberhardt, ein Patentanwalt,
Serie empfindet „Jutta Teresa“
weilte damals in den USA. Nach sei(Stern) als besondere Herausner Rückkehr, so erinnert sich die auf- forderung. „Ich zeige ja nur 20 Quamüpfige Tochter, kommentierte er die dratzentimeter Gesicht“, grinst die
Entscheidung kühl: „Du kannst Schau- schlanke Serienheldin. „Wenn du da
spielerin werden. Aber sei besser als nicht funktionierst, kannst du nach
DIE HIMMELSSTÜRMERIN
Hause gehen.“ Jutta Speidel aber spielt
die Klosterfrau jetzt schon in der vierten TV-Staffel mit Einfühlungsvermögen, Esprit – und einem unsichtbaren
Draht nach ganz oben.
Trotzdem ist es schon mehr als 25
Jahre her, dass sie einen „Bambi“ für
ihre schauspielerische Leistung entgegennehmen durfte; die „Goldene
Kamera“ bekam sie noch nie. Und
während ihr Widersacher vom Amt,
Fritz Wepper, 2003 für sein Spiel in
Um Himmels Willen mit dem „Deutschen Fernsehpreis“ ausgezeichnet
wurde, ging seine streitbare Partnerin leer aus. Darauf angesprochen,
blitzt Wut in den blauen Augen. Na-
türlich fand sie die Entscheidung der
Jury „daneben“. Aber schon im nächsten Moment bringt ihr Gesicht wieder die schönsten Lachfalten hervor.
Keck zeigt sie auf die Anstecknadel
am Revers: eine „Goldene Kamera“ im
Miniformat, die ihr ein Produzent zum
Trost geschenkt hat.
Auch sonst hat die katholisch erzogene Schauspielerin neue Freunde
gefunden, seit sie als telegene Kirchengesandte gegen das weltliche Ungemach kämpft. „Ich kenne wirklich
tolle Ordensfrauen“, gluckst sie wie
eine passionierte Klatschtante. „Wenn
sich die Gelegenheit ergibt, ratsche
ich gern mit ihnen.“ Doch Jutta Spei-
FOTO: © ARD/BARBARA BAURIEDL
Don Camillo und Peppone auf bayrisch: Schwester Lotte (Jutta Speidel) und
Bürgermeister Wöller (Fritz Wepper) in „Um Himmels Willen“
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del wäre nicht Jutta Speidel, wenn sie
nicht auch zur zweithöchsten Dienststelle ihrer Kirche eine kritische Meinung hätte: „Der Vatikan muss eine
andere Form von Hilfe in die Dritte
Welt tragen. Es genügt nicht, die Menschen in diesen Ländern aufzufordern,
in Keuschheit zu leben, damit sie sich
nicht mit Aids infizieren.“
uf die frage, ob sie ein religiöser Mensch sei, weicht die 50Jährige aus. „Ich glaube an eine
höhere Macht im Universum, die mich
beschützt. Dafür sage ich jeden Tag
Danke.“ Ihr Talent betrachtet die
Speidel durchaus als Geschenk des
Himmels. Umso ungläubiger verfolgt
sie, wie schnell die Gesichter aus
Gute Zeiten – Schlechte Zeiten oder
ähnlichen Serien Karriere machen.
„Diese Britney-Spears-Frauen“, pol-
A
tert sie in Anspielung auf die weltweit
erfolgreiche Pop-Barbie aus den USA,
„tun einfach alles, um berühmt zu werden.“ Die notwendige Auseinandersetzung mit der Rolle finde oft gar
nicht mehr statt. Dabei sei ein guter
Schauspieler ganz einfach zu erkennen: „Das Zuschauerherz muss klopfen. Es kann traurig oder belustigt sein.
Aber klopfen muss es.“
Dass sich immer mehr Kolleginnen
aus ihrer Generation unters Messer
legen, um dem Jugendwahn vieler TVMacher Genüge zu tun, ist für Jutta
Speidel ein Trauerspiel. „Ich würde
mich nie liften lassen“, sagt sie mit der
geballten Lebenserfahrung von Klosterschwester Lotte und Lebefrau Jutta
in der Stimme. „Warum soll ich mir
meine Falten wegoperieren lassen? Die
habe ich mir doch 30 Jahre lang mühsam angelacht!“
FA L S C H V E R S TA N D E N
Als ich meiner dreijährigen Enkeltochter Chelsea unser neues Vogelbad im Garten zeigte, wollte sie wissen, ob ich auch ein paar Vögel
dazukaufen würde. Ich erklärte ihr, dass das nicht nötig sei, da in unseren Sträuchern und Bäumen genug Vögel herumflatterten. Das
schien Chelsea einzuleuchten.
„Gut, Oma“, sagte sie darauf. „Dann machen wir es so: Du fängst
die Vögel, und ich bade sie.“
U. T.
R I C H T I G V E R S TA N D E N
Meine Mutter ermahnte mich immerzu, mein Zimmer aufzuräumen.
Das ging mir auf die Nerven. Schließlich brachte ich an der Tür ein
Schild an, auf dem zu lesen war: Mein Zimmer, mein Chaos.
Offensichtlich war die Botschaft bei meiner Mutter angekommen,
denn etwa eine Woche später lag ein Berg Wäsche vor meiner Tür.
Auf dem beigefügten Zettel stand: Deine Wäsche, dein Problem.
SHAZIA MUGHAL, Großbritannien
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