Unmögliche Freundschaft

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Unmögliche Freundschaft
28 Asphalt 07/2014
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Unmögliche
Freundschaft
20 Jahre nach dem ersten Luftangriff der Nato in Bosnien:
Eine Region verharrt in der Vergangenheit – trotz Fußball-WM.
einandersetzungen, noch immer ein
fragiles Arrangement in Bosnien. Nur
wenige Menschen, junge meist wie
Vedat, die des Stillstands überdrüssig sind, arbeiten an einer gemeinsamen Zukunft. Vedat nahm an einem
Projekt deutscher und bosnischer
Studenten in Mostar teil. Titel: »Vorurteile«. Für den jungen Mann eins
der größten Probleme seines Landes
und der Bevölkerung, die verunsichert und zutiefst gespalten ist.
Wenn der Fußballbegeisterte darüber zu erzählen beginnt, verschwindet sein Lachen schnell. Er habe
einen Kum, einen Paten. Keine Taufpatenschaft in christlichem Sinne.
Eher ein Versprechen zweier Menschen, ein Leben lang aufeinander acht zu geben und füreinander
einzustehen. Solch ein Versprechen
kann zwischen Menschen unterschiedlichen Alters oder Gleichaltrigen bestehen. So wie bei Vedat und
Marko, seinem Kum – ohne Vorurteile. Für die beiden jungen Männer,
die sich ihr Leben lang kennen, ist
es eine schwierige Freundschaft.
Denn sie gehören unterschiedlichen
Volks- und Glaubensgruppen an. Das war nicht immer problematisch. Vedats Eltern und die seines Paten-Freundes haben sich vor
dem Krieg nie um diese Unterscheidungen gekümmert. »Damals
war es unwichtig, aus welcher Volksgruppe man stammte und in
welche Kirche man ging«, bekräftigt Vedat. Die Abgrenzungsmerkmale seien irgendwann im Krieg eben national manifestiert und
schließlich im Abkommen von Dayton 1995 institutionalisiert worden. Auch die Väter der beiden jungen Männer schworen sich in
früher Jugend die Patenschaft. Von ihnen ging sie auf die nächste
Generation über. Passt so eine Freundschaft heute nicht in den
Rahmen, versucht die Gesellschaft sie hinein zu zwingen. Als eine
Art Selbstreinigungsprozess. »Wir haben Probleme deswegen«,
erzählt Vedat. Marko, ein Katholik, sei wegen der Freundschaft
sogar schon verprügelt worden. Von muslimischen Bosniern? »Nein,
Fotocollage: Wolf Böwig
Eigentlich hätte es ein Signal des Aufbruchs in die Moderne werden
können: die erstmalige Teilnahme einer bosnischen Mannschaft
an der Fußballweltmeisterschaft. Wenn Stars wie Edin Dzeko und
Vedat Ibisevic Tore für das Balkanland schießen, könnte dies das
kleine Land der vielen Völker endlich einen. So die Hoffnung. Doch
die Menschen in Bosnien-Herzegowina sind gespalten. Bosnische
Kroaten sind für Kroatien, die Serben im Land hätten für Serbien
gejubelt, doch das Nachbarland hat die Qualifikation zur WM nicht
geschafft. Diesen Sommer werden sie sich deshalb allenfalls heimlich über Dzekos Tore und die der anderen einstigen Kriegskinder freuen. Wenn kein serbischer Landsmann zusieht. Denn verkrustete Strukturen und alte Eliten achten heute – genau 20 Jahre
nach dem ersten Luftangriff der Nato zur Beendigung des Balkankrieges – immer noch argwöhnisch darauf, dass sich nichts ändert
mit dem Hass im Land und der Spaltung in den Köpfen.
Nur die Jugend will das nicht. Ob orthodoxe Serben, muslimische
Bosniaken oder katholische Kroaten: Für die Jungen im Land sind
»ihre« Fußballer Helden einer neuen Zeit. Jenseits der alten Wunden der 90er Jahre. Kroaten, Bosniaken und Serben hatten sich im
Zentralteil des ehemaligen Jugoslaven gegenseitig bis aufs Blut
bekämpft.
Vedat Begovic lebt seit seiner Geburt in Mostar, der Stadt mit
der berühmten Brücke über die Neretva. Als er sieben Jahre alt
war, schossen erst serbische, Monate später kroatische Milizen
Granaten von den umliegenden Hügeln auf die Stadt. Zumeist auf
die Viertel mit muslimischer Bevölkerung, zu der Vedats Familie
sich zählt. In Mostar leben hauptsächlich katholische Bosnier, die
sich als bosnische Kroaten definieren, und eben Muslime. Mostar
gehört zu einer der beiden Verwaltungseinheiten Bosniens, der so
genannten kroatisch-bosniakischen Föderation. Die zweite Teilrepublik nennt sich »Republik Srpska«, in der vor allem orthodoxe
(serbische) Bosnier und Muslime leben. Dies sind die politischen
Grundstrukturen. In vielen Städten und Gemeinden mischen sich
die drei großen Bevölkerungsgruppen außerdem, dazu weitere
Gruppen wie jüdische Bosnier und Roma.
Vedat spricht gerne über seine Hobbys, Fußball zum Beispiel, und
die neue Nationalmannschaft. Dabei legt sich ein breites Grinsen
auf sein Gesicht. Überhaupt ist er ein fröhlicher Mensch, wenn er
so mit seinen Freunden, Muslime und Katholiken, durch seine
Stadt schlendert. Über den Krieg spricht Vedat nicht. Nicht von
den Kämpfen um Mostar, nicht von der Belagerung Sarajevos
oder dem Massaker von Srebrenica. Der Krieg soll seine Vergangenheit sein. Der Frieden aber ist, fast 20 Jahre nach Ende der Aus-
von seinen eigenen Leuten«, lautet die Antwort, und es klingt, als
ob Vedat sich dafür schäme. Auch er bekam Ärger mit jungen
Erwachsenen seiner eigenen Volksgruppe. Warum? »Kaum einer
hat Arbeit, viele sehen keine Zukunft und haben jede Menge Zeit«,
berichtet Vedat. Bisher blieb es bei ihm bei Beschimpfungen.
Die Geschichte der Fußballfans Vedat und Marko steht exemplarisch für einen Staat, der de facto von der Regierung bis in die
Gemeinden hinein fragmentiert ist. Das Abkommen von Dayton,
mit dessen Durchsetzung der fast vier Jahre dauernde Kriegszustand mit ungefähr 100.000 Toten beendet wurde, beschreibt einen
»ungeteilten, souveränen Staat Bosnien-Herzegowina«. Doch legt
dieser Vertrag auch eine binnenstaatliche Grenzziehung fest, die
sich an den Kriegszielen der katholischen sowie der orthodoxen
Bosnier orientiert und so die ethno-politischen Konfliktlinien des
Krieges in der Verfassung fest schreibt. So entstanden zwei Teil­
republiken, die Republika Srpska im Norden und Osten des Landes, sowie die bosniakisch-kroatische Föderation. Die Verteilung
politischer Ämter und Verwaltungsposten erfolgt bis in die kleinste
Gemeinde hinein nach ethnischen Kategorien. Mit bizarren Auswüchsen: Innerhalb der Föderation besuchen Kinder von muslimischen und katholischen Bosniern unterschiedliche Schulen.
Befinden diese sich im gleichen Gebäude, haben sie nach Möglichkeit unterschiedliche Eingänge. Der Unterricht beginnt zudem zu
unterschiedlichen Zeitpunkten, damit sich die Kinder möglichst
nicht über den Weg laufen. Damit sie sich gegenseitig nicht kennen lernen. »Wenn wir miteinander reden, bekommen wir einen
Verweis vom Direktor. Über den Schulhof verläuft eine unsichtbare
Grenze«, sagt ein etwa neunjähriges Mädchen aus Mittel­bosnien
auf einem Schulhof einem Reporterteam der ARD. Später wird der
Beitrag unter dem Titel »Apartheid in der Schule« im »Weltspiegel« gesendet. Bosnien besitzt drei verschiedene Lehrpläne – und
das bei nicht einmal halb so vielen Einwohnern wie Niedersachsen. Und allein die nicht eben große Stadt Mostar verfügt über
zwei Müllabfuhren, zwei Elektrizitätswerke und zwei Mobilfunk­
anbieter.
Dass die Teilrepublik Srpska im Nordosten im Vorfeld der WM-Qualifikation gar eine eigene vom Rest Bosniens abgegrenzte Nationalmannschaft mit eigenen »Länderspielen« aufzubauen versucht hat,
wenn schon die Angliederung an Serbien nicht funktioniert hat,
zeigt, wie weit auch in Zeiten allgemeinen WM-Patriotismus’ das
Land von einer irgendwie gefühlten Einheit entfernt scheint. Für
die einstigen Kriegskinder lag ihr Heil in der Flucht aus dem zerstörten Land, erst im Ausland wurden die heutigen Fußballstars
der bosnischen Nationalmannschaft als Fußballtalente entdeckt.
»Jeder hat seine eigene Story, aber irgendwie verbindet uns die gleiche Geschichte mit der Kriegszeit. Das überträgt sich dann auf dem
Platz. Ich bin mit relativ jungen Jahren über ein paar Zwischenstationen nach Deutschland gekommen, Sead Salihovic genauso, Vedad
Ibisevic über Amerika. Aber groß thematisiert wird das nicht. Wir
haben uns alle irgendwie durchgekämpft und jetzt haben wir uns
hier in der Nationalmannschaft wieder getroffen. Wir sind die
Kriegskinder, die damals vor dem Krieg geflüchtet sind, das kann
man nicht vergessen«, erklärte der Hoffenheimer und Ex-Braunschweiger Ermin Bicakcic kurz vor seinem WM-Start für Bosnien
gegenüber Deutschlandradio. Es ist noch nicht ausgemacht, ob die
jetzige Kindergeneration in Bosnien endlich im eigenen Land eine
Chance bekommt. Philipp Schaper und Volker Macke

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