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magazin
mitte
Heft | 8
aus der
Gute Seiten aus NordHessen • Sommer 2014 • 3 Euro
Hoch hinauf.
Tief hinab.
Berge, Burgen und Balkone:
Nordhessische Höhepunkte
Von Aussichtstürmen
und Abgründen
Versunkene Dörfer:
100 Jahre Edersee
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• magazin aus der mitte
Editorial
G
enau 714 Meter liegen zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt Nordhessens,
zwischen dem Hegekopf bei Willingen und
dem Dörfchen Gertenbach an der Werra.
Höhenmeter natürlich, nicht Luftlinie: Wer von den
Bergeshöhen hinab zur Flusssenke reisen will, muss
gut und gerne hundert Kilometer zurücklegen. Oder er
blättert in diesem Heft: Bei uns sind es vom Hegekopf
(auf Seite 22) bis nach Gertenbach (auf Seite 58) nur
ein paar Seitensprünge.
Nordhessens Höhen und Tiefen ist diese Ausgabe des
Magazins aus der Mitte gewidmet. Denn – bitte verzeihen Sie die Kalenderweisheit – das eine ist ohne das
andere nicht zu haben. Ohne Täler gäbe es bekanntlich keine Berge. Oder auf nordhessisch: Immer nur
ruff geht nicht, man muss auch mal runner. Schon allein, weil man sonst jede Menge verpassen würde:
Mancher Höhepunkt, das zeigt dieses Heft, verbirgt
sich paradoxerweise nämlich sogar unter der Erde.
Wir steigen auf den folgenden Seiten also nicht nur
hoch hinauf, sondern auch tief hinab. Nicht nur hinauf in den Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe, der mit
seinen Wasserspielen im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe erklärt wurde (Seite 34). Sondern auch
hinab auf den Grund des Edersees, zu den Überresten
der Dörfer, die vor genau hundert Jahren beim Bau der
Talsperre überflutet wurden (Seite 18). Nicht nur hinauf auf Kirchtürme und Aussichtstürme, sondern
ebenso hinab in Bunkerstollen, Bergwerksschächte
und – ja, auch da gibt es etwas zu entdecken! – Fußgängerunterführungen.
Wir laden Sie ein auf eine Exkursion von A wie Abgrund bis Z wie Zweiburgenblick. Schauen Sie mit uns
in den Schlund, in dem vor gar nicht langer Zeit zwei
ausgewachsene Rindsviecher spurlos verschwanden
(Seite 40). Genießen Sie die Weitsicht von den Lieblingshöhepunkten unserer Autorinnen und Autoren
(Seite 22). Klettern Sie mit uns in die Unterwelt und
erheben Sie sich über die Wolken. Sie werden staunen, versprochen.
Joachim F. Tornau
Bismarckturm auf dem Brasselsberg in Kassel Foto: Franz Kröger
3
magazin aus der mitte •
6
Zwischen Himmel und Erde
Eine fotografische Erkundung von
nordhessischen Höhen und Tiefen
18 Dörfer aus der Tiefe
Was vor 100 Jahren beim Bau des Edersees
überflutet wurde, taucht alljährlich im Herbst
wieder auf
Dei
52
22 Burgen, Berge und Balkone
Hofgeismar
Autorinnen und Autoren des Magazins aus der
Mitte beschreiben ihre Lieblingshöhepunkte in
der Region
Bad Arolsen
28 „Ich mache keine Opfer-Filme“
Ein Interview mit Dokumentarfilmer Klaus
Stern über seine Vorliebe für Höhenflüge und
Abstürze
Habichtswald
Diemelsee
Willingen
Langer
Wald
Korbach
Goldhausen
Naumburg
Bad Emstal
Waldeck
32 Weitsicht ist Trumpf
4
Zierenberg
Wolfhagen
Vöhl
Eine kleine Auswahl aus der Vielfalt
nordhessischer Aussichtstürme
Edertal
Gudensberg
Edersee
Fritzlar
Bad Wildungen
Kellerwald
34 Wasserfälle von Weltrang
Der Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe mit
seinen 300 Jahre alten Kaskaden zählt seit
einem Jahr zum Weltkulturerbe
Frankenberg
Haina
Bad Zwesten
Borken
Frielendorf
38 Ein Job mit besten Aussichten
Schwalmstadt
Als Türmer der Homberger Stadtkirche hat
Dennis Willershausen stets den Überblick
Willingshausen
40 Wo sich der Boden auftat und
Kühe verschluckte
Bei einer Wanderung rund um den Hohen
Meißner ist viel Überraschendes zu entdecken
– über wie unter der Erde
18
44 Verführung in der Unterführung
Zwei Fußgängertunnel in Kassel wurden zum
„Raum für urbane Experimente“
38
Neukirchen
• magazin aus der mitte
46 Unterirdisch radeln
Hessens ältester Eisenbahntunnel, der
Carlsbahntunnel an der Diemel, wird für
Radfahrer wieder eröffnet
34
Bad Karlshafen
48 Feste, Festspiele, Festivals
isel
Ein Überblick über die Highlights des großen
nordhessischen Kultur- und Festprogramms
Trendelburg
Sababurg
52 Wenn Stein und Gips lebendig
werden
Reinhardswald
Fuldatal
40
Gertenbach
Witzenhausen
Kassel
Kaufungen
Lohfelden
Helsa
Baunatal
Söhrewald
Meißner
Kaufunger
Wald
Bad Sooden-Allendorf
Großalmerode
Hessisch Lichtenau
Das Christian Daniel Rauch-Museum in
Bad Arolsen zeigt Skulpturen eines der
bedeutendsten Bildhauer des Klassizismus
54 Alte und Neue Meister
Nordhessen ist reich an bemerkenswerten
Kunstmuseen
Frankershausen
56 Vergraben für die Ewigkeit
Eschwege
Das stillgelegte Salzbergwerk in Herfa-Neurode
ist die größte Untertagedeponie der Welt
Melsungen
Felsberg
Spangenberg
58 Einkaufen und Nachbarn treffen
Homberg
Alheim
Knüllwald
In Gertenbach, dem am tiefsten gelegenen
Ort Nordhessens, kämpften die Bewohner
erfolgreich für einen neuen Dorfladen
Rotenburg a. d. Fulda
Bebra
Schwarzenborn
Seulingswald
Bad Hersfeld
60 Das Fenster als Heizung
Heringen
Das junge Unternehmen Energy Glas aus
Wolfhagen steht exemplarisch für den
wirtschaftlichen Höhenflug der Region
Herfa-Neurode
Kirchheim
62 Rätsel & Impressum
56
5
U
ngezählte Aussichtspunkte kennt das nordhessische
Bergland. Nur ein Bruchteil von ihnen – und dennoch
etliche – krönt ein Turm, als Holz oder Stein oder Metall
gewordene Aufforderung, Blick und Gedanken in die
Weite schweifen zu lassen. Zum Beispiel auf dem Rosskopf bei Bad Sooden-Allendorf. In dem kleinen hölzernen Turm, der hier seit dem Jahr 1950 steht, sind zuerst
steile Treppen, dann eine Leiter zu überwinden. Und
dann kann genossen werden, wie sich zu Füßen das Land
ausbreitet. Wie in der Ferne die Kuppe des Hohen Meißner erscheint. Oder wie die Sonne stimmungsvolle Muster malt auf Wiesen und Wald. Dann verwandelt sich die
Hügellandschaft, wie auf unserem Foto, in eine verwunschene Märchenwelt. Foto: Gerhard Schuster
Zwischen Himmel und Erde
Eine fotografische Erkundung
von nordhessischen Höhen und Tiefen
K
lar, Fallschirme sollen Leben retten. Sollen dafür
sorgen, dass, wer notgedrungen sein Flugzeug in
hohen Höhen verlassen muss, nicht wie ein Stein zu
Boden fällt. Aber das ist längst nicht mehr alles. Fallschirme sind heute auch die Eintrittskarte zu immer
neuen Eskapaden zwischen Himmel und Erde. Auf
welch vielfältige Weise der Mensch zum Flugsäuger
werden kann, lässt sich am Flughafen Kassel-Calden
beobachten – oder, wenn der Mut reicht, auch ausprobieren. Vom Tandemsprung zu zweit über das
Springen in Formationen bis zum akrobatischen Luftballett. Freestyle oder Freefly nennt sich das dann.
Vorstellen, hat jemand mal gesagt, müsse man sich
das so ähnlich wie Bodenturnen. Nur eben ohne Boden.
Foto: Skydive
W
as hat das Stollenlabyrinth im Kasseler Weinberg nicht schon erlebt: Vor knapp 200 Jahren
zur Lagerung von – ironischerweise – Bier ins Gestein
getrieben, diente es im Zweiten Weltkrieg als riesiger
Luftschutzbunker. Später wurden hier Champignons
gezüchtet und illegale Techno-Partys gefeiert. Und
schließlich bekam der Weinbergbunker sogar künstlerische Weihen: Vor zwei Jahren machte ihn die
Weltkunstausstellung documenta zu einem ihrer
Schauplätze. Zehn Eingänge führen in ein Gewirr von
Gängen mit einer Gesamtlänge von rund drei Kilometern. Noch 2011 entdeckte man bis dato unbekannte
Hohlräume. Bei regelmäßigen öffentlichen Führungen durch die Feuerwehr kann die Stollenanlage besichtigt werden.
Foto: Stefan Wendling
E
in tief eingeschnittenes Bachbett, tosendes Wasser, Felsbrocken: Nicht ganz zu Unrecht erwartet man eine Klamm
vor allem in den Alpen. Doch auch Nordhessen hat eine
solch schroffe Schlucht – wenn auch, zugegebenermaßen,
nur diese eine. In Jahrtausenden hat sich der Lochbach zwischen Hülsa und Wallenstein in den weichen Buntsandstein
gegraben und Wände aus bläulich verfärbtem Gestein entstehen lassen. In Kaskaden mäandert sich der Bach auf einer
Strecke von gut einem Kilometer rund 150 Höhenmeter hinab ins Tal – überwölbt von Farnen und dem hohen Dach des
Waldes. Auf einem schmalen Pfad, der mit 16 Holzbrücken
kreuz und quer über das wilde Wasser führt, lässt sich die
Lochbachklamm erwandern. Foto: Michael Grün
magazin aus der mitte •
14
E
s gibt Skisprungschanzen, es gibt Skisprunggroßschanzen und es gibt die größte Skisprunggroßschanze der
Welt: Die Mühlenkopfschanze im nordhessischen Willingen ist fast genauso hoch wie der Kölner Dom. Genau 156
Meter stürzen sich die Sportler, die hier alljährlich im Februar beim Weltcup-Skispringen zu Gast sind, in die Tiefe.
Bei einer Sprungweite von 152 Metern liegt der Schanzenrekord. Für den Weg zurück nach oben in den futuristisch gestalteten Anlaufturm stehen Severin Freund &
Co. dann eine Standseilbahn und ein Aufzug zur Verfügung. Aber nicht nur ihnen: Die Anlage, die Platz für
35.000 Zuschauer bietet, kann ganzjährig auch von NichtSkispringern besichtigt werden. Foto: Uwe Zucchi
D
ie Zeiten, als Drachenbauen nur hieß, etwas bunten
Stoff auf ein hölzernes Kreuz zu tackern, sind vorbei.
Wie sehr sie vorbei sind, zeigt in jedem Herbst aufs
Neue das Drachenfest in Bebra-Iba. Ein Wochenende
lang steigen am Rand des kleinen Dörfchens in Waldhessen Fluggeräte zum Himmel auf, die mit den Trapezdrachen von einst gerade noch die Schnur gemeinsam
haben. Fische, Krokodile, Herbstlaub, Comicfiguren, ja
sogar eine riesige Tigerente und ein monströser Radlader wurden von den Drachenfreunden, die aus dem gesamten Bundesgebiet anzureisen pflegen, bereits präsentiert. In diesem Jahr wird es am 11. und 12. Oktober
wieder so weit sein. Foto: Bernhard Dingwerth
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Dörfer aus
der Tiefe
18
Foto: Volker Siesenop
magazin aus der mitte •
Was vor 100 Jahren beim Bau des Edersees überflutet wurde, taucht
jedes Jahr im Herbst wieder auf. Ein kleines Atlantis in Nordhessen.
Von Gesa Coordes
D
as alte Fachwerkhaus von Rita
verständlich aufgewachsen: 1914 wur-
nach Asel-Süd, wo neben dem Cam-
Wilhelmi stand einst auf dem
de das idyllische Tal geflutet. 900
pingplatz bis heute nur 16 Menschen
Grund des Edersees. Vor 100
Menschen mussten Haus und Hof ver-
leben. Hier ist Rita Wilhelmi aufge-
Jahren, als die Staumauer errichtet
lassen – die Bewohner der Dörfer Asel,
wachsen. Jahrelang stiegen die Kinder
wurde, nummerierten die damaligen
Bringhausen und Berich sowie mehre-
jeden Morgen in das kleine Fährboot,
Bewohner jeden Balken des Gehöfts
rer Gehöfte. Sie wichen den wirt-
das sie zur Schule auf der anderen See-
und bauten es am Ufer der neu ent-
schaftlichen Interessen der Weseran-
seite brachte. Dafür kamen die Wald-
standenen Talsperre wieder auf. Heute
rainer. Gebaut wurde die Talsperre
arbeiter aus der Gegenrichtung, um im
ist Rita Wilhelmi Gästeführerin für
nämlich nicht für die Touristen. Der
heutigen
das, was hier „Edersee-Atlantis“ ge-
See sollte in erster Linie dem Hoch-
Holz zu schlagen. Als kleine Entschä-
nannt wird. Für die Überreste der ver-
wasserschutz und als Wasserreservoir
digung für die verlorene Heimat und
sunkenen Dörfer. Jeden Herbst, wenn
für die Weser dienen.
die fruchtbaren Böden durften sie die
die Ruinen aus den Fluten wieder auf-
Kellerwald-Nationalpark
Fähre kostenlos benutzen. Bis heute
Versunkene Brücke
tauchen, wandert sie mit Trupps von
Touristen und Schulklassen zu den
fahren die Aseler Bürger gratis, wenngleich sie das Fährboot inzwischen
Spuren der Vergangenheit. „Auf mich
Da nützten die Proteste der Bürger von
fast nur noch für Ausflüge brauchen.
wirkt dieses große Tal wie ein Ur-
Alt-Asel am oberen Edersee, wo einst
Stattdessen setzen Radler und Wande-
stromtal, ein Stück Vergangenheit,
das
rer über – ein Gong lockt den Fähr-
das es sonst nicht mehr gäbe“, sagt die
stand, wenig. Der größte Teil der Dörf-
mann nach Bedarf.
49-Jährige.
ler zog ins heutige Asel auf den knapp
Im Herbst, wenn der See wegen des
Rita Wilhelmi ist mit der Geschichte
300 Meter hoch gelegenen Berg an der
sinkenden Pegelstandes im oberen
der versunkenen Dörfer ganz selbst-
Nordseite des Sees, einige wenige
Teil zu einem schmalen Flüsschen
Fachwerkhaus
der
Wilhelmis
Fotos: Michael Grün, Uwe Zucchi (2), Edersee Touristic
magazin aus der mitte •
20
20
Im Sommer ist kaum zu ahnen, was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt. Bei ihren herbstlichen Führungen durch den leeren Edersee
berichtet Rita Wilhelmi auch über den Bau der Sperrmauer von 1908 bis 1914. schrumpft, gehen die Menschen zu
den
weiß
blühenden
Uferhirsch-
Die Dorfstelle Berich ist auch die
Fuß ans andere Ufer. Dann taucht die
sprung und den gelben Wiesenalant.
Hauptattraktion für die Taucher, die
vor 100 Jahren untergegangene Brü-
Je länger die Trockenphase dauert,
dort mit Kompasskursen nach der al-
cke über die Eder wieder auf. Die 60
um so grüner wird der Grund des
ten Klostermauer suchen: „Das hat
Meter lange, vierbogige Ederbrücke
Sees, an dessen Rand Seggenried,
seinen ganz besonderen Reiz“, sagt
steht unter Denkmalschutz und ist
Blut- und Gilbweiderich wachsen.
Jens Rohland vom örtlichen RONIC-
das am besten erhaltene Bauwerk des
alten Tals. Trotzdem rät Rita Wilhelmi
ihren
Gästen
zu
Tauchshop. Selbst aus dem Ausland
Faszinierende Ruinen
Gummistiefeln,
reisten Taucher an, um Edersee-Atlantis zu entdecken.
wenn sie über die von Rissen durch-
Im Spätherbst tauchen meist auch die
Das Sperrmauermodell an der Beri-
zogene Erde stapft. An manchen
Ruinen der tiefer gelegenen Dorfstel-
cher Hütte – vormals die bedeutend-
Ecken sinken die Kinder knietief im
len von Bringhausen und Berich auf:
ste Eisenhütte des Fürstentums Wal-
Schlamm ein.
Grundmauern des ehemals reichen
deck – dürfen sie allerdings nicht an-
„Ich lasse die Besucher immer raten,
Nonnenklosters
Benediktiner,
steuern, weil es außerhalb der Tauch-
wie hoch das Wasser normalerweise
einst einer der schönsten Bauten go-
zone liegt. Nur alle paar Jahre taucht
über ihnen steht“, erzählt Wilhelmi.
tischen Stils im Waldecker Land. Teile
es aus dem See auf. An dem gut erhal-
Es sind zehn Meter. Auf den Ruinen-
der Klosterruine ragten noch jahre-
tenen Modell im Maßstab 1:40 haben
Feldern zeigt sie die Grundmauern
lang aus dem See, bis sie weitgehend
die Konstrukteure der Staumauer
der alten Gehöfte, der Schule, der Kir-
verschwanden. Zu sehen sind gepfla-
einst Vorrichtungen zur Abführung
che und die alten Baumstümpfe. Das
sterte Wege, Mauern, Gräberfelder,
des Wassers an der Sperrmauer aus-
Überschwemmungsgebiet
aber
Futtertröge, Treppenstufen, Keller-
probiert. Das Wasser lieferte der
auch Lebensraum für seltene Pflan-
gewölbe und Brückenpfeiler, Überre-
Mühlengraben.
zen – etwa für den Schlammling, die
ste einer kleinen Burganlage, einer
Doch die faszinierenden Ruinen brö-
kleinste Blühpflanze Deutschlands,
gräflichen Meierei und einer Mühle.
ckeln. Weil ihnen der endgültige Ver-
ist
der
Foto: Paul Würthner
magazin aus der mitte •
• magazin aus der mitte
Sieht groß aus, ist aber nur hüfthoch: Das Sperrmauermodell an der Bericher Hütte, das den Ingenieuren vor 100 Jahren für Experimente
diente, ist nur bei äußerst niedrigem Wasserstand zu sehen.
fall droht, hat sich ein 2012 gegründe-
Jahre alte Mistgabeln und Hacken ha-
gen Touren auf den Spuren der versun-
ter Förderverein den Erhalt der Dorf-
ben sie dabei entdeckt. Zum diesjähri-
kenen Wiesen und Felder. Und in den
stelle Berich auf die Fahnen geschrie-
gen Jubiläum des Edersees werden die
Herbstferien lädt Rita Wilhelmi zum
ben. Inzwischen haben Jugendliche
alten Ruinen ein wichtiges Thema
Wattwandern durch den leeren See.
vom Lehrbauhof damit begonnen,
sein: Eine ganze Wanderwoche auf den
Doppelsinniges Motto: „Ich will den
Grundmauern und Pflaster von Schlick
Spuren der untergegangenen Dörfer
Grund kennen“.
zu befreien und zu restaurieren. 100
ist für Ende September geplant. Es fol-
www.100jahre-edersee.de
Das Kraftwerk in der Höhle
Die Höhle bietet Platz für fast 100 Einfamilien-Bungalows. Lastwagen fahren durch den 900 Meter langen Zufahrtsstollen. In der Tiefe des Berges, 300 Meter unter den Oberbecken auf dem Peterskopf, liegt das Kavernenkraftwerk Waldeck
II, eine der größten künstlich geschaffenen Höhlen Europas. Der Energiekonzern Eon produziert hier Strom, wenn der
Verbrauch im Netz steigt. Dann genügt ein Knopfdruck und innerhalb von einer Minute stürzt das im Oberbecken gespeicherte Wasser mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde durch die unterirdische Druckleitung in die Turbinen des Kraftwerks. Von dort wird es wieder – meist bei Nacht – in das Oberbecken zurückgepumpt.
Nur noch bis Ende 2014 demonstriert das Infozentrum in Hemfurth, wie viel Arbeit es ist, Strom zu produzieren. Besichtigt
werden kann das ältere Kraftwerk Bringhausen. Die Standseilbahn öffnet wegen Bauarbeiten allerdings erst 2015 wieder.
Mit ihr können Wanderer und Radler dann wieder mühelos die 300 Höhenmeter zu den Oberbecken und zum Nationalpark Kellerwald überwinden.
& 05623 948390, www.edersee.com/eon.html
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magazin aus der mitte •
Fotos: Joachim F. Tornau (2)
Heidschnucken vor Nordhessens höchstem Gipfel:
dem Hegekopf bei Willingen.
22
Burgen, Berge und Balkone
Autorinnen und Autoren des Magazins aus der Mitte beschreiben
ihre Lieblingshöhepunkte in der Region
Nordhessisches Understatement
Genau 843,2 Meter misst der Langenberg. Ein Gipfelkreuz krönt seine Kuppe und großsprecherisch verkündet ein metallbetafelter Stein: „Höchster Berg in NRW“. Das stimmt:
Gerade eben noch im nordrhein-westfälischen Hochsauerland liegt der Gipfel. Doch
beim Abstieg gen Osten landet man schon nach wenigen Schritten in Nordhessen, im
Willinger Upland. Läuft man dann noch gut vier Kilometer weiter, kommt man zu Nordhessens höchstem Berg. Vorausgesetzt, man übersieht ihn nicht.
Nicht, dass der Hegekopf winzig wäre: Mit exakt 842,9 Metern über dem Meeresspiegel
bleibt er um bloß eine Wanderschuhlänge unter dem Langenberg. Aber er macht einfach
kein Gewese um sich. Keine markierten Wege führen zu seiner nicht eben markanten
Kuppe, kein Wegweiser macht auf ihn aufmerksam. Gipfelkreuze oder stolze Steine?
I wo. Der Hegekopf ist nordhessisches Understatement.
Wer dennoch zu ihm findet, wird reich belohnt. Weich federt das Gras unter den Füßen,
die Sonne malt leuchtende Muster auf den Waldboden, links und rechts des grasgrünen
Wegs sprießen Heidelbeeren. Und vor allem: Es ist still. Niemand spricht, niemand lärmt
und auch das Handy bleibt stumm – kein Empfang. Ein wunderbarer Ort. Auch ohne
spektakuläre Aussicht.
Wer die haben will, muss sich dann doch wieder ins Getümmel stürzen. Nur einen vielleicht 20-minütigen Spaziergang entfernt wartet der Ettelsberg mit Seilbahn, Berghütte
und Aussichtsturm. Die verglaste Kanzel des Hochheideturms liegt beeindruckende
875 Meter über dem Meer. Höher hinauf geht es in Nordhessen nirgends.
Joachim F. Tornau
• magazin aus der mitte
Romantische Spannung
Belauern sie sich? Burg Hanstein und Burg Ludwigstein stehen einander auf zwei Anhöhen des
Werratals gegenüber, als trauten sie sich auch
nach Jahrhunderten nicht über den Weg. Eine
spannungsgeladene und zugleich romantische
Ansicht, die ich am liebsten vom Ufer bei Wendershausen aus genieße. Hier, am Aussichtspunkt
Zweiburgenblick, bietet eine Ruhebank einen
Platz in der ersten Reihe.
Foto: Uwe Zucchi
Das Panorama inspirierte Künstler seit jeher zu
schwelgerischen Bildern und schmückt heute eine
90-Cent-Marke der Deutschen Post. So malerisch-unberührt wie auf der Briefmarke präsentiert sich die reale Landschaft zwar nicht mehr,
ein paar Schönheitsfehler wie die nahe Straße
muss man ausblenden. Aber dem Erhabenen der
Szene tut das keinen Abbruch. Einen Teil ihrer Spannung
malige Betrachter am hessischen Ufer gefragt haben. Und
bezieht sie aus der Geschichte ihrer beiden Höhepunkte:
doch konnte die optische Nähe der Burgen die Teilung fast
Als die Herren auf der Burg Hanstein sich im 15. Jahrhundert
vergessen machen.
aufs Raubrittertum verlegten, setzte Landgraf Ludwig I.
Noch heute regt die Ansicht die Fantasie an. Prescht dort
von Hessen die Burg Ludwigstein als Bollwerk dagegen.
hinten nicht eine Schar Ritter heran? Wer bewohnt den
Wie viel die zwei Bauten dies- und jenseits der Werra
Turm von Burg Ludwigstein – tatsächlich Gäste der dortigen
trennt, zeigte sich auch während der deutschen Teilung,
Jugendherberge? Oder doch eine Seelenverwandte Rapun-
denn Burg Hanstein steht auf thüringischem Grund. Wie
zels?
wäre es, nur einen Hügel weiter zu leben?, mögen sich da-
Gabriele Sümer
Mitten in der Musik
130 Stufen zum Klang. Erst durch die Karlskirche laufen, den Altar seitlich passieren, durch die Tür hinauf und rein in den Turm. Enge Wendeltreppe aus Stein und danach die luftigen Holzstufen. Der Blick runter
macht schon schwindelig. Der Glockenspieler läuft schnell, für ihn ist
das sein Weg zur Arbeit. Seit 1979 spielt Wilhelm Ritter zweimal wöchentlich das Glockenspiel im Turm der Kasseler Karlskirche. Ehrenamtlich macht er das, heute erklärt er mir seine Passion. Herr Ritter nimmt
am Stockspieltisch Platz, haut mit der Unterkante der geschlossenen
Hand auf die Stöcke. „Tut das weh?“, frage ich. „Nein“, sagt er.
Die Glocken erklingen und der Klang schwebt hinaus aus dem Turm, liegt
draußen über der Innenstadt. Trifft auf die Menschen da unten beim Eilen und Hasten, beim Kaufen und Nachhausegehen. Vielleicht schauen
sie mal hoch zum Turm. Das Geläut der Glocken im Turm, 47 an der Zahl
und mit vier Oktaven, hat dereinst zum Sturm ertönt, zum Krieg. Heute
läuten die Glocken zum Feierabend. Eine halbe Stunde spielt Herr Ritter,
Foto: HNA-Archiv/Jochen Herzog
Geistliches und Weltliches. Von halb sechs bis sechs Uhr.
Ich schaue durch die trüb gewordenen Fenster hinunter auf die Stadt,
hinüber zum Weinberg, zum Balkenhol-Mann auf der goldenen Kugel im
Turm der Elisabeth-Kirche. Herr Ritter spielt „I did it my way“, ich singe
mit. Gefällt mir hier oben. So weit weg von allem und mitten in der Musik. „Manchmal schwingt der Turm im Wind“, sagt Herr Ritter, und er
fühle sich „hier oben etwas abgehoben von der Langeweile der Welt.“
Wie er das sagt, beneide ich ihn.
Juliane Sattler
23
magazin aus der mitte •
Foto: HNA-Archiv
Das Gefühl, richtig
draußen zu sein
Es ist eine Mischung aus Weite, Fernsicht und
Vorfreude, die die Metzebacher Höhe für mich
zum Lieblingsort macht. Am intensivsten ist der
Genuss, wenn ich mich mit dem Rad dorthin
vorgearbeitet habe. Knapp einen Kilometer nach
dem östlichen Ortsausgang von Spangenberg im
Schwalm-Eder-Kreis zweigt eine kleine Straße
ins Landetal ab. Die Anstiege sind hier sanft,
links im Tal fließt der Bach, rechts machen grüne
Hügel was her. Um zum Lieblingsort zu gelangen, biege ich in Landefeld nach Metzebach ab.
Das Gefühl, richtig draußen zu sein – in der Natur
und auf dem Land –, nimmt jetzt noch zu.
Hinter Metzebach beginnt dann die kurze Herausforderung: Die Landstraße kurvt hinauf in einen Wald. Ein Schild knapp vor dem Pass (und der Grenze zum Kreis Hersfeld-Rotenburg) behauptet, die Steigung betrage bis zu 12 Prozent. Egal – die Belohnung ist köstlich. Denn oben angelangt,
geben das Berglein und der Wald eine kilometerweite Aussicht nach Süden frei. Der wohlgerundete Kegel des Alheimer,
mit 549 Metern einer der bergigeren Berge dieser Gegend, ist zu sehen. Und mich lacht eine leckere, lang gestreckte Abfahrt an – das Sausen Richtung Obergude, Niedergude und dann eine sanfte Tour der Fulda entgegen.
Doch auch zu Fuß liegt mein Lieblingsort auf schöner Strecke: Der Wanderweg „Wildbahn“ (X3) führt hier entlang und die
„Spangenberger Runde“ des „Ars Natura“. Der Kunstwanderweg würdigt das Panorama der Metzebacher Höhe übrigens
24
mit sieben Freiluft-Kino-Stühlen: „Cinema Natura“ heißt das Werk.
Katja Schmidt
Dem Wüterich trotzend
Bären gibt es auf dem Großen Bärenberg nicht, mag sein, dass sich Meister
Petz in grauer Vorzeit dort heimisch fühlte. Heute verirrt sich womöglich
nur einer der im nahen Kassel zahlreich anzutreffenden Waschbären in
diese Gegend. Groß ist die Erhebung allerdings: mit rund 600 Metern sogar die höchste im Kreis Kassel. Der Weg hinauf wird indes nicht etwa
durch die stattliche Höhe, sondern durch die Autobahn A 44 erschwert, die
– wagt der Wanderer den Aufstieg aus Richtung Zierenberg – als Barriere
am Fuße des Berges liegt. Apropos Barriere: Der Bärenberg seinerseits
Foto: HNA-Archiv/Antje Thon
stand den Urlaubsjets im Weg, die auf dem alten Flugplatz Kassel-Calden
starten wollten – und ist so mitverantwortlich für den Neubau an anderer
Stelle.
Weit lässt es sich vom Gipfel schauen, bei gutem Wetter bis ins Rothaargebirge oder das Lipper Bergland. Der Orkan „Kyrill“ im Jahre 2007 knickte
zig Bäume wie Streichhölzer um, seitdem ist, was die Forstleute weniger
erfreuen dürfte, die Aussicht in Richtung Zierenberg deutlich besser als
zuvor. Wem das nicht genügt, kann den Bärenbergturm erklettern, eine
Stahlkonstruktion, die außer einer Aussichtsplattform auch eine wild wuchernde Krone aus diversen Antennen ziert. Das Bauwerk ist derart stabil,
dass es dem Wüterich „Kyrill“ trotzen konnte. Anders als sein Vorgänger,
den der Rost zum Einsturz zu bringen drohte. Die Zierenberger haben den
alten Turm so sehr in ihr Herz geschlossen, dass sie ihn en miniature unten
in der Stadt, in der Nähe des Bahnhofes, nachbauten.
Ralf Pasch
• magazin aus der mitte
Aus der Vogelperspektive
Mein Lieblingsort in der Region? Die Frage ist gar nicht so
leicht zu beantworten. Zum einen wäre da der Platz im
Cockpit eines Segelflugzeuges, der mir als Pilot einen atemberaubenden Blick über das wunderschöne nordhessische
Bergland bietet. Das unmittelbare Erleben von Natur aus
der Vogelperspektive ist mir immer wieder ein unbeschreiblicher Genuss.
Auf der anderen Seite sehe ich da den Segelflugplatz „Zierenberg auf dem Dörnberg“ selbst. Einer der ältesten in
Foto: Tobias Kill
Deutschland, genutzt seit 90 Jahren und faszinierend gelegen in einem erloschenen Vulkan. Nach einem Flugtag von
hier aus aufzubrechen zu einem Abendspaziergang über
den Hohen Dörnberg oder die Helfensteine verleiht mir ein
sehr erhabenes Gefühl. Und es gestattet beeindruckende
Aussichten ins Umland.
Segelfliegen ist ein sehr emotionaler Sport, trotz seines
heutigen hohen Technisierungsgrads. Die persönlichen
Eindrücke in der Luft gestalten sich ständig neu, gerade im
Verlauf eines längeren Fluges, der mich oft weit über die
hessischen Landesgrenzen hinausträgt. Gerade diese Überlandflüge liefern mir dann das schönste aller Gefühle beim
Segelflug: nach einem erfolgreichen Flug zum Heimatflugplatz zurückzugleiten – voller neuer Eindrücke und in der
Foto: Peter Bräutigam
Vorfreude, das Erlebte nach der Landung mit den Fliegerfreunden im Fliegerlager auf dem einzigartigen Dörnberg
teilen zu können.
Somit fällt mir die Antwort nun leicht: Das Segelfliegen in
seiner Gesamtheit ist mein „Lieblingshöhepunkt“. Und das
immer wieder aufs Neue.
Stefan Krull,
Vorsitzender der Flugsportvereinigung Kassel-Zierenberg
Draußen vorm Balkon
sehbaren Türme der Martinskirche und wandert über das
Taxifahrer grinsen manchmal, wenn sie diese Adresse an-
Häusermeer bis in die Höhen des Söhrewaldes. Frühstück
steuern: „Kenn ich noch vom Bund. Hier habe ich mal ge-
mit Morgensonne und Fernblick, das ist köstlich. Aber so
dient.“ Eine – ehemalige – Kaserne also. Vom Stadtkern
richtig in Form präsentiert sich der Balkon nachts, wenn es
Kassel aus Richtung Weltkulturerbe Bergpark mit Herkules
klar und kalt ist. Dann glitzern die Lichter der Großstadt
und dann auf halber Höhe neben der Druseltalstraße links.
(also Kassels ...) in der nahen Ferne und lösen in jedem, der
Hier ist meine Wohnung, mein Balkon! Dass es den gibt,
hier nachts eine letzte Zigarette raucht oder noch einen
daran ist die Öffnung des Eisernen Vorhangs schuld. 1990,
Schluck im Freien trinkt, eine nordhessische Art von „New
Deutschland vereinte sich mit sich selbst und aus den nicht
York, New York“-Feeling aus: King of the Hill. Meist benei-
mehr benötigten Soldatenquartieren wurde das Wohn- und
de ich mich selbst darum. Allerdings, meine Freundin, eine
Geschäftsgebiet Marbachshöhe, die Kasernen verwandelte
Kasernenreihe weiter hangaufwärts, hat einen noch präch-
man in Wohnungen mit luftigen Balkons.
tigeren 1-A-Königin-der-Nacht-Ausblick. Etwa so wie dau-
Hoch über der Stadt schaut man von hier ins Kasseler Be-
ernd Silvester! Nun denn, meiner, der ist jedenfalls: 1-B. cken; bei klarer Sicht fällt der Blick zuerst auf die unüber-
Anne-Kathrin Stöber
25
magazin aus der mitte •
Ein wenig außer Atem kommt man schon beim Aufstieg zur
Burgruine, hoch oben auf dem Burgberg von Grebenstein. Hat
man aber die Stufen im Inneren des gut erhaltenen Palas erklommen, kann man sich gegen die vielleicht schon von der
Sonne erwärmte Mauerkrone lehnen und durchatmen. Und
staunen: über den beeindruckenden Rundblick ins Umland, der
den gerade wiedergewonnenen Atem von Neuem raubt. Über
die wohltuende Stille.
Der Wind, der viele Windräder am Horizont treibt, macht den
Kopf frei und die Gedanken kreisen wie die schwarzen Rabenvögel um die stattlichen Überreste der Burg, die erstmals immerhin schon anno 1272 erwähnt wurde. Was für ein Ort! Warum kann man diesen im wahrsten Sinne „hervorragenden“,
verschlafenen Ort nicht beleben? Ihn als traumhafte Kulisse für
sommerliches Theater und Konzerte nutzen? Oder gar für mittelalterliche Feste und kulinarische Gelage, begleitet von Musik
und Tanz?
Nein, nichts davon gibt es. Nur wenige Wanderer oder Spaziergänger steigen über den Philosophen-Pfad hinauf, um die Stille
und den Ausblick zu genießen. Und gefeiert wird hier oben selten. Beim Burgbergfest zum Beispiel, wenn es im Schatten der
Burg nach Bratwurst duftet und ein kühles Bier die Gäste für den
Aufstieg entschädigt. Oder am Silvesterabend, wenn am Berg
ein paar Grebensteiner auf das neue Jahr anstoßen und den Blick
auf das kleine Feuerwerk unten in der Stadt genießen.
Sonst aber geschieht: rein gar nichts. So sehr ich die Ruhe an
meinem Lieblingsort schätze: Das ist etwas zu viel des Guten.
Burkhard Fincke
Fotos: Paavo Blåfield (2)
26
Wohltuende Ruhe
www.kasselerbank.de
Fotos: Uwe Zucchi (2)
magazin aus der mitte •
28
„Ich mache keine
Opfer-Filme“
Dokumentarfilmer Klaus Stern über seine Vorliebe für Höhenflüge
und Abstürze – und über den Erfolg, den er damit hat
Themenschwerpunkt dieser Ausgabe
des Magazins aus der Mitte sind „Höhepunkte und Tiefpunkte“. Können Sie
sich denken, warum uns dazu gleich Ihr
Name eingefallen ist, Herr Stern?
Ja, klar. Augenzwinkernd bezeichne
Auf den ersten Blick könnte man meinen, ich müsste Schmerzensgeld bekommen, wenn ich über solche Typen
Dokumentarfilme mache. Aber das ist
Klar, stimmt. Aber Mehmet Göker will
falsch. So blöd das klingt: Das sind
zunächst einmal dennoch gemocht
Menschen, die alles tun, um Anerken-
und
nung zu bekommen – wie wir alle.
dert werden.
ich mich ja schließlich gern als Spezialist für Größenwahnsinn.
Was fasziniert Sie an Geschichten über
Aufstieg und Fall von Menschen, von
Gier und Größenwahn, von gigantischen und auch fragwürdigen Projekten?
veranstaltet hat, geht ja wohl über das
übliche Maß hinaus.
bewun-
Ein Getriebe-
Aber was Mehmet Göker – der ehemalige Chef des pleite gegangenen Kasseler
Versicherungsvermittlers MEG, über
den Sie Ihren Film „Versicherungsvertreter“ gedreht haben – für Anerkennung, vor allem aber auch zur Finanzierung seiner Ferraris und seiner Partys
ner ...
... der seit einiger Zeit nun
auch von der
Staatsanwaltschaft getrie-
• magazin aus der mitte
ben wird, weil er den Pfad der Legalität
verlassen haben soll.
Aber ich mag den, so merkwürdig das
neben Helmut Schmidt gesessen. Da
das fände ich
hat er schon rote Bäckchen bekom-
billig: Das sind
men. Aber Überschwang ist nicht die
einfache
Sache des Schwälmers.
meter, die man
Elf-
120
WELTMARKTFÜHRER
D I E G E S C H I C H T E D E S TA N S I E K M A N N
100
80
klingt. Der nutzt meinen Film übrigens zu PR-Zwecken auf seiner Facebook-Seite und hat da rund 3.000 Likes! Er versteht „Versicherungsvertreter“ als SEINEN Film. Ich finde das
gut, wenn ein Protagonist sich so
identifiziert. Außerdem ist das eine
versenken
Kritiker werfen Ihnen vor, dass etliche
Ihrer Protagonisten erst dann für Sie interessant wurden, als sie im Fahrstuhl
schon wieder nach unten fuhren, dass
Sie also vor allem an gescheiterten Existenzen und Projekten interessiert sind.
irre Geschichte – die fast verrückter ist
kann. Nehmen
60
wir das Beispiel
des
Hofgeis-
40
marer Bürgermeisters Heinrich Sattler und
20
EIN FILM VON KLAUS STERN
B u c h & R eg ie K LAUS S T ERN
M on ta g e F R I ED ER IK E ANDERS
K am era H A R A L D S C H M U C K, F RANK RE IMANN
Musik MICHAEL KADELBACH, SOPHIA published by RC 4004songs/La Chunga music
Regieassistenz JOSEPHINE SCHMÜCKER
R ed aktion C H R I S T I A N C L O O S , Z D F ‘ D as klein e Fern seh sp iel’
w w w.re alfic tionfilme .de · w w w.w e ltmarktfue hre r- de rfilm. de
0
2000
Eine Produktion von
2001
Im Verleih von
2002
seines Plans von einem gigantischen
als das, was Martin Scorsese jetzt in
Das stimmt nicht! Alle meine Protago-
Ferienresort in Beberbeck. Als ich mit
seinem Börsendrama „The Wolf of
nisten sind kluge und reflektierte
dem Filmen zu „Henners Traum“ be-
Wall Street“ bringt. Fast könnte man
Menschen, die viel geschafft haben.
gann, da waren doch alle – auch alle
meinen, Scorsese hätte „Versiche-
Ich suche doch keine sozial Benachtei-
Fraktionen vor Ort – noch euphorisch
rungsvertreter“ gesehen und sich in-
ligten aus, sondern Leute in bestimm-
und haben gehofft, dass der Traum in
spirieren lassen.
ten Positionen, Entscheider, Macher
Erfüllung geht.
wie Tan Siekmann ...
Das wäre doch ein Kompliment, wenn
einer der berühmtesten Regisseure und
Filmproduzenten bei Ihnen abkupfert!
Wobei Sie inzwischen ja auch zumindest in Deutschland berühmt sind und
einen bemerkenswerten Höhenflug absolviert haben: vom Briefträger zum Träger des Deutschen Fernsehpreises und,
sogar schon zweifach, des GrimmePreises.
Mit Höhenflügen konnten wir schon
daheim in der Schwalm nicht viel anfangen. Wir hatten einen 25-HektarBauernhof,
meine
Eltern
Haupterwerbslandwirte
und
waren
immer
die Letzten, die die Ernte eingebracht
haben. Meine Mutter hat auch nach
der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises an mich noch gefragt, ob
ich nicht doch lieber in meinem erlernten Beruf als Lehrer arbeiten will.
Die Glückssträhne könne ja nicht ewig
anhalten.
Und was sagt Ihr Vater zu Ihrer Arbeit,
zu Ihren Erfolgen?
Er ist jetzt 81 Jahre alt, hat sich früher
selten weiter als 20 Kilometer von zu
Hause entfernt. Zuletzt ist er mitgekommen zu einer Preisverleihung in
Hamburg und hat dann zwei Tische
... dessen kometenhaften Aufstieg und
tiefen Fall mit dem New-Economy-Unternehmen Biodata Sie in Ihrem Film
„Weltmarktführer“ dokumentiert haben.
Sie haben Sattler dann sehr lange begleitet, da hat sich offenbar eine intensive, vertrauensvolle Beziehung entwickelt.
Ja – und ich mag Herrn Sattler nach wie
Ich mache keine Opfer-Filme und hin-
vor. Der hat große Qualitäten, ist
terlasse auch keine verbrannte Erde,
volksnah, unterhaltsam, kann die
29
magazin aus der mitte •
Menschen begeistern, hat ehrgeizige
Ziele für seine Stadt und glaubt wirklich, dass er das Beste für die Stadt tut.
Ob das immer die richtigen Ziele sind,
sei dahingestellt. Aber schauen Sie,
trotz Scheitern und Insolvenz der Betreibergesellschaft ist er immer noch
Bürgermeister der Stadt.
Spricht er heute noch mit Ihnen?
Seit vier Jahren nicht mehr. Ich habe
Foto: Uwe Zucchi
ihn 2013 auf einem Konzert der Toten
Hosen beim Hessentag in Kassel gesehen, bin auf ihn zugegangen und habe
gefragt, ob wir ein Treffen vereinbaren
könnten – bei dem er mich auch beschimpfen dürfe. Er lehnte ab und
sagte: „Sie wissen gar nicht, was Sie
angerichtet haben.“ Für ihn bin ich
30
Klaus Stern
Klaus Stern (45), mehrfach mit dem
renommierten Grimme-Preis und anderen Auszeichnungen bedachter Dokumentarfilmer, absolvierte nach dem
Realschulabschluss eine Ausbildung
als Briefträger. Nachdem er ein Fachabitur in der Tasche hatte, studierte er
in Kassel Wirtschaftspädagogik und
arbeitete zusätzlich von 1994 an als
Autor bei der Jugendsendung „Live
aus dem Schlachthof“ des Hessischen
Rundfunks.
Im Jahre 2000 verfilmte er seine Diplomarbeit über die Entführung des
Berliner Politikers Peter Lorenz durch
die Bewegung 2. Juni („Der Austausch“). Der Film wurde von der ARD
ausgestrahlt und gleich für den Grimme-Preis nominiert. Drei Jahre später
folgte ein Film über den RAF-Terroristen Andreas Baader („Der Staatsfeind“), für den er den Deutschen
Fernsehpreis erhielt. Inzwischen hat
Stern neun Dokumentarfilme produziert, der zehnte ist in Vorbereitung.
Er lebt und arbeitet in Kassel.
derjenige, der Beberbeck hat scheitern
Stimmt. Aber ich bin auch nicht ob-
lassen.
jektiv – versuche allerdings, es zu sein.
Sie sehen das offenbar nicht so.
Sie sagen, der Göker-Film sei bisher Ihr
bester. Mit welchem sind Sie nicht zufrieden?
Natürlich nicht. Ich habe doch nur alles dokumentiert, am Ende aber nicht
alle Aufnahmen verwendet – auch, um
Das ist „Spielerberater“ – ein Film
die Akteure zu schützen. Henner Satt-
über das Geschäft mit Fußballspielern.
ler hat sich übrigens gleich nach der
Das ist mein schwächster Film. Wir
Premiere seines Films in Duisburg
hatten vom ersten Drehtag bis zur
persönlich bei mir bedankt und gesagt,
Sendung gerade mal fünf Monate Zeit,
das sei ein fairer Film. Das kann man
das ist sehr wenig. Und: Es gab nicht
im Protokoll der Duisburger Filmwo-
nur eine Vertrauensbasis mit den Ak-
che, das im Netz steht, nachlesen.
teuren, sondern es entwickelte sich
Nach der Filmvorführung waren wir
auch eine freundschaftliche Bezie-
dann alle gemeinsam essen.
hung. Das erzeugt Beißhemmungen.
Auch anderen Protagonisten ist wohl
erst nach der Reaktion von Freunden
oder Kollegen aufgegangen, dass Klaus
Stern keinen Werbefilm über sie gedreht hat – obwohl es ja in Ihren Filmen
ausschließlich authentische, unkommentierte Bilder und Statements gibt,
Sie also nicht bewerten, nicht urteilen.
Wo Sie diese Hemmungen bei der Arbeit nicht hatten: Gab es Versuche, die
Ausstrahlung von Filmen oder bestimmter Passagen zu verhindern?
Bisher nur einmal: Eine der Versicherungen, die Alte Leipziger Versicherung, die in meinem Film über Göker
• magazin aus der mitte
eine unrühmliche Rolle spielt, wollte
immer mit demselben Kameramann,
ren Leute aus dem Flughafen-Ma-
per einstweiliger Verfügung verhin-
derselben Cutterin.
nagement anwesend. Denen ist die
dern, dass eine bestimmte Szene ge-
Kinnlade runtergefallen ...
Sie bleiben also aus Gewohnheit in
Nordhessen?
Woran arbeiten Sie derzeit tatsächlich?
gegeben und ihren Antrag zurückge-
Nein, ich lebe gern hier – auch wenn
Es wird eine Fortsetzung des Göker-
zogen.
die Mentalität der Leute etwas ruppig
Films geben, bei dem es nicht nur um
ist. Aber es gibt schöne Landschaften
die jetzigen, ebenfalls bemerkenswer-
und eine kulturelle Vielfalt, die es an-
ten Aktivitäten Gökers in der Türkei
derswo so nicht gibt. Die Region wird
und das strafrechtliche Verfahren ge-
von vielen unterschätzt. Na ja, das er-
gen ihn hier in Deutschland geht, son-
zählt ja jeder. Egal. Ich lebe wirklich
dern vor allem auch darum, ob oder
Nein. Der WDR zum Beispiel hält sich
gerne hier. Ich könnte als Werbefigur
was die Versicherungen aus dem Fall
da raus. Juristische Auseinanderset-
für Kassel Marketing auftreten!
gelernt haben.
Hier in der Region sind Sie inzwischen
bekannt wie der sprichwörtliche bunte
Hund und es hat den Anschein, als hätten einige Nordhessen Angst, dass sie
zu Protagonisten Ihres nächsten Films
werden könnten.
Ist schon absehbar, wann der Film fertig
sein wird?
zeigt wird. Nach der Gerichtsverhandlung, also noch vor der Urteilsverkündung, hat die Versicherung klein bei-
Werden Sie bei solchen juristischen
Konflikten von Ihren Auftraggebern unterstützt?
zungen, so es sie denn gibt, muss ich
auf eigenes Risiko ausfechten.
Ihre Auftraggeber sitzen nicht in Nordhessen. Auch deshalb wundert mich,
dass Sie als erfolgreicher Dokumentarfilmer in Kassel und nicht etwa in Berlin,
München oder Hamburg leben.
Ich würde ihn gern in diesem Jahr machen. Aber ich fürchte, daraus wird
nichts, weil ein Termin für den Prozess
gegen Göker noch nicht in Sicht ist. Er
hat mir übrigens gesagt, dass er dann
Ich bin ein beständiger Mensch, lebe
einer Veranstaltung im Spaß erzählt,
zum Prozess nach Kassel kommt –
seit 25 Jahren in Kassel, seit 19 Jahren
dass ich über den Flughafen Kassel-
wenn er Zeit hat.
in ein und derselben Wohnung, arbeite
Calden einen Film mache – und es wa-
Interview: Anne Riedel
Fotos: Uwe Zucchi (2)
Das sieht so aus. Neulich habe ich auf
31
magazin aus der mitte •
Weitsicht ist Trumpf
Modern oder historisch, größer oder kleiner, schöner oder
nicht ganz so schön: Keiner der vielen Aussichtstürme in
der Region gleicht dem anderen. Doch jeder von ihnen
lohnt die Mühe des Aufstiegs. Eine Auswahl.
Alheimerturm
auf dem Alheimer
bei Alheim
32
rm
Hochheidetu illingen
lsberg bei W
auf dem Ette
Berghöhe:
Turmhöhe:
549 Meter
21 Meter
Stufen:
111
Einweihung:
1930
Material:
Stein
Berghöhe:
Turmhöhe:
831 Meter
59 Meter
241
Stufen:
2002
:
Einweihung
lb
Stah eton
Material:
Georg-Vict
or-Turm
auf dem Eis
enberg
bei Korbac
h-Goldhause
n
Fotos: HNA-Archiv (3), Michael Grün (2), Joachim F. Tornau
• magazin aus der mitte
turm
Kellerwald arten
üsteg
auf dem W
n
odenhause
bei Haina-D
Berghöhe:
562 Meter
Turmhöhe:
2
2,5 Meter
Stufen:
675 Meter
28 Meter
Berghöhe:
Turmhöhe:
122
Einweihun
g:
Material: 1905
123
:
n
2004
Stufe
:
g
n
u
Einweih
ernholz
Lärchen-K
l:
ia
er
at
M
Stein
33
m
Ofenberg-Tur lfhagen
August-Frank
e-Turm
berg bei Wo
auf dem Knüll
köpfchen
bei Schwarze
nborn
auf dem Ofen
Berghöhe:
Turmhöhe:
373 Meter
20 Meter
101
Stufen:
1964
:
Einweihung
lb
l, Stah eton
ckstein, Stah
Material: Ba
Berghöhe:
Turmhöhe:
634 Meter
12 Meter
Stufen:
60
Einweihung
:
19
Material: 78
Stein
Fotos: Andreas Weber (2)
magazin aus der mitte •
Wasserfälle von Weltrang
Vor 300 Jahren wurden die Wasserkünste im Bergpark Wilhelmshöhe
eingeweiht. Sie funktionieren noch immer wie zur Zeit der Landgrafen
Von Katja Schmidt
– und zählen heute zum Weltkulturerbe
34
E
rst tröpfelt es. Dann fließen
teilung der Museumslandschaft Hes-
erst seinem Urenkel Landgraf Wilhelm
kleine Rinnsale die ersten Kas-
sen-Kassel (MHK). Wie auf einer Wer-
IX. (1743–1821) – der sich dann Kur-
kaden vor dem Kasseler Herku-
be-Tour habe Karl Bilder seines Parks
fürst Wilhelm I. nennen konnte. Aus
les hinab. Und da ist dieser
durch Europa geschickt: „Es ging ihm
Uropas Karlsberg machte Wilhelm die
seltsame, anschwellende Ton. Bald
darum, seine Macht zu demonstrie-
Wilhelmshöhe. Mit Aufträgen für gi-
strömt das Wasser kräftig – und der
ren.“ Denn Karl habe noch Kurfürst
gantomanische
Ton schallt laut aus zwei Kupferhör-
werden wollen.
stand er seinem Vorfahren nicht nach.
nern am Mund einer Faun- und einer
Diesen Aufstieg in die höhere Liga
Er war es, der jenen extrahohen Was-
Zentauren-Statue: Die Wasserspiele
deutscher Fürstenhöfe gelang jedoch
serfall errichten ließ, den die UNESCO
im Park Wilhelmshöhe, dem größten
Bergpark Europas, sind ein weiteres
Mal eröffnet. Wie vor 300 Jahren.
Das tosende Spektakel gehört zum
Weltkulturerbe. Nirgends sonst gäbe
es Kaskaden solcher Größe oder künstliche Wasserfälle solcher Höhe, befand
das zuständige UNESCO-Komitee im
Juni 2013. Die monumentale Architektur für das Schauspiel sei ohne Parallele in der Gartenkunst des Barock und
der Romantik.
Dem Kasseler Barock-Herrscher Landgraf Karl (1654–1730), dem ersten Bauherrn im Bergpark, wäre dieses Urteil
wohl gerade recht gewesen. „Er wollte
überwältigen,
etwas
Superlatives
schaffen“, sagt Siegfried Hoß, Leiter
der Garten- und Gartenarchitekturab-
Wasserarchitektur
• magazin aus der mitte
erwähnt: Über die Abbruchkante eines
Mancher Zuschauer mag das kaum
Astronomisch-Physikalischen
als Ruine errichteten pseudo-antiken
glauben. „Ich werde oft gefragt, wie das
netts der MHK, geht davon aus, dass
Aquädukts stürzt an Wasserspieltagen
Wasser wieder auf den Berg gepumpt
Karl sich damals Sorgen machte, ob
ein reißender Bach gut 30 Meter in die
wird“, erzählt Siegfried Hoß. „Die Ant-
das geplante natürliche Wassersam-
Tiefe. Dann braust es und die Luft ist
wort ist: gar nicht.“ Die 750.000 Liter,
melsystem die Wasserkünste ausrei-
voller
sprühfeiner
Tropfen.
Kabi-
Alles
die pro Wasserkunst-Inszenierung flie-
chend würde versorgen können.
klingt, alles riecht nach Naturgewalt.
ßen, fließen aus dem Bergpark ab und
Der Wissenschaftshistoriker nimmt
Doch nur zehn Minuten lang. Danach
schließlich in die Fulda.
an, dass die neue Technik Karl noch
fällt das Aquädukt wieder trocken.
Dass das Wasser im Park zur ge-
aus anderem Grunde faszinierte: „Er
Industriespionage
wünschten Zeit strömt und wieder
wollte die höchste Fontäne Europas
für seinen Park – höher als die in Ver-
versiegt, dafür sorgen pro Inszenie-
Dass die Anlage ganz ohne Pumpe aus-
sailles.“ Hohe Fontänen und innovati-
rung sechs Park-Mitarbeiter live und
kommen würde, scheint allerdings
ve Vorreiterschaft strebte jedoch auch
vor Ort. Schon Stunden bevor die Be-
nicht von vornherein klar gewesen zu
die Konkurrenz an. Der Kurfürst von
sucher kommen, beginnen sie Wasser
sein. Noch während der Bauarbeiten,
Hannover etwa ließ Gottfried Wilhelm
aufzustauen, befüllen Becken, Zwi-
um 1704, zeigte Landgraf Karl ver-
Leibniz an Wasserkünsten für die Her-
schenspeicher und Druckleitungen.
schärftes Interesse an neuen Techno-
renhäuser Gärten tüfteln. In Kassel ar-
Mit überdimensionalen Steckschlüs-
logien, die mithilfe einer Dampfpum-
beitete der Erfinder Denis Papin an der
seln bedienen sie die Mechanik der
pe Wasser so hoch wie möglich heben
Dampfpumpe. Auffällig oft habe Leib-
zahlreichen Schieber, die wie Fall-,
sollten. Karsten Gaulke, Leiter des
niz sich erkundigt, ob diese Maschine
Dreh- oder Schiebetüren in Rohren
und Kanälen sitzen, um das Wasser zu
stoppen oder freizugeben.
Das Riesenkopfbecken etwa, hinter
dem der trompetende Zentaur und der
Faun ihren Platz haben, muss schon
vor dem Start der Wasserspiele gefüllt
sein. Sein Inhalt soll sich über die tieferen Kaskaden ergießen. Mitten im
Besuchergetümmel setzen dafür zwei
Männer die Steckschlüssel an und geben das Wasser frei. Dass der Riesenkopf im Becken kurz zuvor noch eine
zwölf Meter hohe Fontäne spuckt,
veranlasst ein dritter Kollege im Verborgenen. Sein Einsatzort ist das
„Hahnenkämmerchen“ am Rande der
Zuschauertreppe. Dort hindurch laufen mehrere Rohre mit Wasser aus
versteckten Zwischenspeichern höher
am Hang. Im richtigen Moment müssen die Hähne von Hand geöffnet werden.
Nichts an der Wasserkunst funktioniert auf Knopfdruck. Sie nutzt allein
Wasserdruck und – im Falle der Trompeten – auch Luftdruck.
Der Herkules ist Kassels Wahrzeichen. Er
blickt hinab auf den Bergpark Wilhelmshöhe
mit seinen Kaskaden und künstlichen Wasserfällen – wie den, der unter der Teufelsbrücke (links) hervortost.
Foto: Ralf Kröger
das Gefälle des Berges, natürlichen
magazin aus der mitte
mitte ••
Soll wie ein Geysir wirken: Die große Fontäne vor Schloss Wilhelmshöhe schießt mehr als 50 Meter in die Höhe.
im Bergpark eingesetzt werden solle,
hen die Kanäle im unteren Teil des
unten am Fontänenteich den Deckel
berichtet Gaulke: „Das hatte schon et-
Bergparks wie idyllische Bachläufe aus
auf dem Fontänenkopf. Er verschließt
was von Industriespionage.“
und Reservoirs liegen wie verwun-
so das untere Ende eines gusseisernen
Doch es kam keine Maschine zum Ein-
schene Weiher am Hang.
Rohres, das 80 Höhenmeter hinauf
satz, als Karls barocke Wasserspiele am
zum Fontänenreservoir führt. Am
Stundenlange Vorbereitung
noch heute werden sie allein mit Re-
oberen Ende öffnet der Wassermeister
dann einen Schieber und lässt das di-
gen, Schnee- und anderem Oberflä-
Auch die große Fontäne, die 37 Jahre
cke Rohr volllaufen.
chenwasser betrieben, das ein Graben-
nach Karls Tod erstmals über 50 Meter
Kurz vor 15.45 Uhr öffnet dann der
system im Hinterland des Herkules
in die Höhe schoss und dann tatsäch-
Wassermeister die Verschraubung des
einsammelt. Das Wasser für die ro-
lich die höchste der Welt war, musste
Deckels. Einige Meter entfernt nimmt
mantischen
Wilhelms
angepasst
er Aufstellung – mit einer langen Kette
hingegen aus einem stillgelegten Berg-
werden. Er ließ den Fontänenkopf so
in der Hand. Ein kräftiger Zug daran
baustollen und dem Bächlein Drusel.
umgestalten, dass das aufsteigende
hebelt den Deckel auf: Der Geysir
Wilhelm IX. war es wichtig, dass selbst
Wasser wie ein Geysir wirkt.
bricht aus dem Teich. Und auch ein
funktionale Elemente der Anlage dem
Doch das vorgebliche Naturphänomen
Ton
Natürlichkeits-Ideal
Land-
bedarf stundenlanger Vorbereitung:
Aaaaaaaaaaaaaah! Aber das sind Zu-
schaftsgartens genügten. Deshalb se-
Zuerst verschraubt ein Wassermeister
schauer – keine Fabelwesen.
Wasserkünste
eines
stammt
Vorstellungen
schwillt
wieder
an:
Die Wasserspiele im Kasseler Bergpark
Wilhelmshöhe sind zwischen dem
1. Mai und dem 3. Oktober immer
mittwochs, sonn- und feiertags zu erleben. Beginn ist um 14.30 Uhr am
Herkules-Monument. Der Eintritt ist
frei. Führungen hinter die Kulissen der
Wasserkünste gibt es an jedem ersten
Sonntag im Monat.
Fotos: Andreas Weber (2)
36
1. Juni 1714 eingeweiht wurden. Und
& 0561 31680-123,
www.museum-kassel.de
Gelegentlich werden die Wasserspiele auch
bei Dunkelheit in Szene gesetzt: das pseudoantike Aquädukt in effektvoller Beleuchtung.
:%.42!, ). $%543#(,!.$
). +!33%, :5(!53%
7!25- ). $)% &%2.% 3#(7%)&%.
.EHMEN 3IE SICH :EIT F¿R SICH ABER NICHT F¿R EINE
WEITE !NREISE $AS 3CHLOSSHOTEL "AD 7ILHELMSH–HE
#ONFERENCE 30! LIEGT EXKLUSIV INMITTEN DES
5.%3#/ 7ELTKULTURERBES "ERGPARK 7ILHELMSH–HE IN
DIREKTER .ACHBARSCHAFT ZUM 3CHLOSS 7ILHELMSH–HE
UND DEM (ERKULES -ONUMENT
$IE LUXURI–SE 7ELLNESS UND 30!/ASE MIT 3AUNA
LANDSCHAFT 2ASUL (AMAM )NDOORPOOL UND
.ATURSCHWIMMTEICH SOWIE DEM HOCHMODERN
EINGERICHTETEN &ITNESSBEREICH BIETET DIE PERFEKTE
3YMBIOSE F¿R VOLLKOMMENDE %NTSPANNUNG 'ENIE
’EN 3IE DEN "LICK AUF +ASSELS 3KYLINE WÇHREND 3IE IN
DER 0ANORAMASAUNA RELAXEN UND LASSEN 3IE SICH BEI
-ASSAGEN UND "EAUTYANWENDUNGEN MIT HOCH
KARÇTIGEN 0RODUKTEN DER ,IGNE 3T "ARTH UND "!"/2
VERW–HNEN
!B *UNI ERSTRAHLT DAS HOTELEIGENE 2ESTAURANT
MIT GRO’Z¿GIGER 3OMMERTERRASSE IM NEUEN 'LANZ UND
EINMALIGEM $ESIGN &REUEN 3IE SICH AUF KULINARISCHE
'ENUSSMOMENTE UND AUSGEWÇHLTE +–STLICHKEITEN IN
EINEM STILVOLLEN !MBIENTE
$AS 4EAM DES 3CHLOSSHOTEL "AD 7ILHELMSH–HE
#ONFERENCE 30! FREUT SICH AUF )HREN "ESUCHÐ
$!9 30!
å
3TD INKL "ADEMANTEL UND (ANDT¿CHER
$!9 30!
å
INKL -INUTEN -ASSAGE
7IR BITTEN UM VORHERIGE !NMELDUNG
UNTER 3CHLOSSPARK ) +ASSEL ) ) INFO SCHLOSSHOTELKASSELDE ) WWWSCHLOSSHOTELKASSELDE
magazin aus der mitte •
De
F
ilip
po
Ein Job mit
besten
Aussichten
Pa
m
ela
Als Türmer der Homberger Stadtkirche
hat Dennis Willershausen den Überblick
o:
t
Fo
Von Pamela De Filippo
Seit fünf Jahren arbeitet Willershau-
tanisch, die Räume winzig. „Man
zur kleinen Wohnung im
sen in einem nahezu ausgestorbenen
kann sich kaum vorstellen, dass einer
Kirchturm. Ein steiler Auf-
Beruf. Früher hielten Türmer auf den
der Türmer elf Kinder gehabt haben
stieg über 57 Meter. Doch
Kirchtürmen der Städte Wache und
soll“, sagt Dennis Willershausen.
Dennis Willershausen geht mit flot-
warnten vor Gefahren. Heute gibt es
Überhaupt hat der 23-Jährige viele
tem Tempo voran und ist kein bis-
deutschlandweit nur noch wenige
unterhaltsame Anekdoten zu erzäh-
schen außer Atem. „Alles eine Frage
von ihnen – und statt in luftiger Höhe
len. Etwa, dass die Tochter eines Tür-
des Trainings“, sagt er. Treppenstei-
Ausschau nach Feuer und Räubern zu
mers ein Leben lang unverheiratet
gen gehört für den Türmer der Hom-
halten, sind sie inzwischen haupt-
blieb, weil niemand freiwillig den
berger Stadtkirche St. Marien eben
sächlich touristische Attraktionen.
mühsamen Aufstieg in Kauf nehmen
zum Alltag.
wollte. Ein anderer seiner Vorgänger
Unterhaltsame Anekdoten
sei unter mysteriösen Umständen
vom Kirchturm gestürzt. „Man mun-
Foto: Uwe Zucchi
38
2
17 Treppenstufen sind es bis
Auch der Homberger Türmer schlüpft
kelt, seine Frau habe etwas damit zu
in erster Linie für auswärtige Besu-
tun gehabt.“ Jedenfalls habe man sie
cher in sein blau-gelbes Gewand:
schon kurze Zeit später mit einem
zum Beispiel für spezielle Stadtfüh-
anderen Mann gesehen.
rungen, die in den Sommermonaten
Natürlich hat Willershausen auch
in der Hauptstadt des Schwalm-Eder-
schon selbst in der Türmerwohnung
Kreises angeboten werden. Die Teil-
übernachtet. Eine eigenartige, aber
nehmer müssen gut zu Fuß sein, be-
unvergessliche
kommen aber auch Außergewöhnli-
sagt. Von hoch oben höre man jedes
ches geboten. Sie besuchen unter an-
Wort, das auf dem Marktplatz gespro-
derem den Läuteboden der vor fast
chen werde. Kein Wunder also, dass
700 Jahren erbauten Kirche mit den
die Turmwächter in früheren Zeiten
fünf Glocken und werden nach ge-
stets bestens informiert waren.
glücktem Aufstieg mit einem atem-
So ungewöhnlich der Beruf des Tür-
beraubenden Blick über die Stadt be-
mers ist, so naheliegend war er für
lohnt.
Dennis Willershausen. „Die Liebe zu
Ganz oben befindet sich auch die Tür-
Kirchen und insbesondere zu Glocken
merwohnung, in der die Wächter bis
begleitet mich schon mein Leben
zum 19. Jahrhundert mit ihren Fami-
lang“, sagt der junge Homberger. Sei-
lien lebten. Die Einrichtung ist spar-
ne Oma habe direkt neben einer Kir-
Erfahrung,
wie
er
Foto: Uwe Zucchi
• magazin aus der mitte
Der im Jahr 1374 errichtete Turm der Stadtkirche St. Marien überragt die Fachwerkaltstadt der Kreisstadt Homberg/Efze.
che gewohnt und oft hätten sie ge-
Sachen Geläut, Denkmalschutz und
meinsam dem Läuten gelauscht.
Statik beraten. „Wenn zum Beispiel
Schon als Kind besuchte er deshalb
im Glockenstuhl baulich etwas verän-
gern den damaligen Türmer Fritz
dert werden soll, muss viel beachtet
Dreytza und bestieg mit ihm den
werden“, erklärt er. Zudem könne er
Homberger Kirchturm. „Von ihm habe
den Zustand der vorhandenen Glo-
ich viel über Architekturgeschichte,
cken exakt beurteilen.
Glockenbau und die Aufgaben eines
Seine beiden Jobs ließen sich zum
Türmers gelernt.“ Als Dreytza 2008
Glück bestens miteinander vereinba-
schwer erkrankte, gab er sein Amt an
ren, sagt Dennis Willershausen. Denn
Dennis Willershausen ab. Und was als
das Amt des Türmers wieder aufzuge-
Vertretung geplant war, wurde zur
ben käme für den Homberger nie in-
Daueraufgabe.
frage: „Wer diese Aufgabe einmal
übernommen hat, gibt sie auch nicht
Zweites Zuhause
wieder ab.“ Der Kirchturm ist eben
längst sein zweites Zuhause.
Natürlich ist der Beruf des Türmers
heutzutage nur noch ein Nebenerwerb. Doch auch hauptberuflich dreht
Die Homberger Stadtkirche St. Marien
sich für den 23-Jährigen alles um Kir-
ist eines der bedeutendsten gotischen
chenglocken. An der Evangelischen
Baudenkmäler in Nordhessen. Turm-
Hochschule für Kirchenmusik in Halle
führungen werden von April bis Okto-
hat er gerade ein Studium zum Glo-
ber angeboten. Feste Termine gibt es
ckensachverständigen absolviert. „In
nicht, die Buchung erfolgt über Knüll-
den
ich
Touristik. Kosten: 30 € für Gruppen
schätzungsweise auf 350 Kirchtürmen
mit maximal zehn Personen, größere
in ganz Deutschland“, erzählt Willers-
Gruppen zahlen 40 €.
hausen.
 05681 939161,
vergangenen
Nach
Jahren
einem
war
zweijährigen
Mentorat wird er Kirchenvorstände in
www.homberg-efze.de
Dem Himmel entgegen
Mit dem 75 Meter hohen Turm der
Kilianskirche in Korbach kann im
Rahmen von Stadtführungen auch
einer der höchsten Kirchtürme der
Region bestiegen werden (Buchung:
Tourist-Info Korbach  05631 53232, www.korbach.de).
In Witzenhausen ist der Turm der
Liebfrauenkirche (54 Meter hoch)
mit voll eingerichteter Türmerstube
an Sonn- und Feiertagen um 11.15
Uhr geöffnet; individuelle Führungen können unter  05542 911305
(Wilfried Gerstenberg) gebucht werden.
In Bad Hersfeld sind sogar gleich
zwei Kirchturmbesteigungen möglich: Führungen auf den Stadtkirchenturm (55 Meter hoch) gibt es an
jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 15 Uhr; der 26
Meter hohe Katharinenturm der
Stiftsruine öffnet immer am ersten
Freitag im Monat, ebenfalls um 15
Uhr. Weitere Informationen unter
www.badhersfeld-tourismus.de
39
magazin aus der mitte •
Wo sich der Boden auftat
und Kühe verschluckte
Foto: HNA-Archiv
Bei einer Wanderung rund um den Hohen
Meißner ist viel Überraschendes zu entdecken
– über wie unter der Erde
Von Joachim F. Tornau
I
40
rgendwann sprudeln mir wie von
die mir an diesem Morgen die zwei au-
selbst die Kalauer ins Hirn. Wenn
ßergewöhnlichen Naturschutzgebiete
ich morgens hochmotiviert tief in
von Frankershausen zeigen möchte:
den Wald wandere, so frage ich
die Hielöcher und die Kripplöcher.
mich, werde ich dann abends hoch-
„Das
gradig erschöpft sein? Oder doch eher
Touch“, sagt sie. Und in der Tat: Vor
hat
ein
bisschen
Toskana-
tiefenentspannt? Sollte ich mir Ge-
uns liegen Hügel, auf denen zwischen
danken machen über das heranzie-
Felsen schlanke Nadelbäume in den
hende Tiefdruckgebiet? Oder besser
Himmel ragen, darunter breitet sich
über die „höggschde Disziplin“, die
Magerrasen aus. Da scheint es wirklich
Bundestrainer Jogi Löw einzufordern
nicht mehr weit zu sein bis zum schie-
pflegt? Hoch, tief. Tief, hoch. So geht
fen Turm von Pisa.
es immerzu in meinem Kopf. Oh je.
Das kommt davon, wenn man sich
„Toskana-Touch“
vornimmt, thematisch zu wandern.
Und wenn das Motto heißt: Höhen und
Doch natürlich täuscht das Italien-Ge-
Tiefen.
fühl. Es sind keine Säulenzypressen,
Ausgesucht habe ich mir dafür den
die da wie hineingespießt in der Land-
(sic) Hohen Meißner und sein Um-
schaft stecken, sondern Wacholder-
land. Aber nicht weil es sich in dieser
bäume. Und dass die Wiesen nicht in
Gegend trefflich bergauf und bergab
saftigem Grün stehen, hat nicht die
steigen lässt – das ginge ja überall, wo
mediterrane Sonne gemacht. Sondern
ein Berg herumsteht. Sondern weil
eine Schafherde. Deren Vorfahren ha-
hier, rund um eine der höchsten Erhe-
ben mit ihrem Appetit das besondere
bungen Nordhessens, auch im Unter-
Landschaftsbild erst entstehen lassen,
grund Erstaunlichstes zu entdecken
die Nachkommen sorgen nun in staat-
ist.
lichem Naturschutzauftrag dafür, dass
Ich beginne meine Erkundungstour in
das auch so bleibt.
Frankershausen. In dem Fachwerk-
Warum die hübschen Hügel „Löcher“
dörfchen, einem Ortsteil der Gemein-
heißen, bleibt aus der Ferne noch ver-
de Berkatal, ist die Verwaltung des Na-
borgen. Um das zu verstehen, muss
turparks Meißner-Kaufunger Wald zu
man mitten hinein wandern in die
Hause. Und hier lebt Hanna Wall-
Karstlandschaft. Und dann tun sich,
braun, eine Naturpark-Mitarbeiterin,
ganz buchstäblich, wahre Abgründe
Das Dreizähnige Knabenkraut ist eine der
raren Orchideen, die in der Karstlandschaft
bei Frankershausen gedeihen.
auf. Nur wenige Hundert Meter bin ich
mit meiner Führerin auf dem Lehrpfad
durch die Hielöcher gelaufen, da un-
Foto: Joachim F. Tornau
Foto: Gerhard Schuster
• magazin aus der mitte
Bizarre Felsen und plötzliche Abgründe: Hanna Wallbraun geleitet Besucher sicher durch das Erdfallgebiet der Hie- und Kripplöcher.
terbricht eine kreisrunde Absenkung
Dolomit bestehende Gestein im Laufe
Gebiet besuchen – und schaudernd in
den schmalen Weg. Mehrere Meter
der Erdgeschichte vom Wasser ausge-
den Schlund blicken, wo sich vor gut
misst sie im Durchmesser. Ein recht-
waschen wurde, sind nicht nur pitto-
einem halben Jahrhundert die Erde
schaffenes Elefantenklo. Aber noch vor
reske
derart auftat, dass sie zwei ausgewach-
zwei Jahrzehnten – in geologischen Di-
sondern auch Hohlräume unter der
sene Kühe verschlang.
mensionen betrachtet nicht einmal ein
Erdoberfläche. Und die können immer
Am 1. Juli 1958, so weiß Hanna Wall-
Augenzwinkern – hätte es allenfalls für
wieder einbrechen. „Das ist das Ge-
braun zu berichten, war der Frankers-
den Dachs gereicht, der hier in der
fährliche“, sagt meine Führerin und
häuser Landwirt Heinrich Schill hier
Nähe seine unterirdische Burg angelegt
hat sichtlich Spaß daran, mich zu beun-
mit seinem Rindergespann zum Grün-
hat. „Damals war das Loch so groß wie
ruhigen, „dass wir nicht wissen, was
futterholen unterwegs. Da brach eines
eine Suppenschüssel“, erzählt Hanna
unter uns ist.“ An den Kripplöchern
der Tiere mit den Füßen ein. Gerade
Wallbraun. „Und es wächst immer
steht deshalb sogar ein mahnendes
noch konnte der Bauer den Wagen aus-
noch weiter.“
Schild: „Betreten verboten! Einsturz-
spannen, schon versanken die beiden
Denn Hielöcher und Kripplöcher sind
gefahr!“ Nur in ortskundiger Beglei-
Kühe im Boden. Und verschwanden
Erdfallgebiete. Weil das aus Gips und
tung und im Gänsemarsch darf man das
spurlos. Zwei Jahre später spuckte das
Felsformationen
entstanden,
„Kuhloch“, wie es bis
heute genannt wird, die
Schädelknochen der Tiere wieder aus. Warum
auch immer. Eine Geschichte zum Gruseln.
Ein Glück, dass Hanna
Wallbraun mir zur Entspannung viel freundliche Flora präsentieren
Foto: Joachim F. Tornau
kann: Golddisteln, Deut-
Hier geschah’s: Vor einem halben Jahrhundert verschluckte das„Kuhloch“ zwei ganze Rinder.
scher Enzian und Dreizähniges
Knabenkraut
tüpfeln bunt den Magerrasen, Thymian und Oregano verbreiten Kräuterduft.
Und
dazwischen
flattert gelegentlich ein
Schmetterling, den sie
41
als „tagaktiven Nachtfalter“ vorstellt.
des Abmarkungsgesetzes v. 3. Juli 1956
Ein dialektisches Wesen offenbar.
GVBl. S. 124)“, teilt mir die Tafel mit.
Die Dialektik meiner Wanderung treibe
Ach so. Dann ist ja alles klar. Oh, hohe
ich danach weiter, indem ich Frankers-
Kunst der bürgernahen Sprache!
hausen mit seinen Tiefen verlasse, um
Apropos hoch: Auch wenn ich mich
die Höhen des Hohen Meißners zu er-
fortan nur mehr bergab bewegen muss,
klimmen – und schon nach wenigen
wartet noch ein weiterer Höhepunkt
Kilometern wieder auf Löcher treffe.
auf mich. Genau genommen sogar ein
„Teufelslöcher“ heißen sie, sehen aber
Höchstpunkt. Schon von Weitem ist zu
eher so aus, als habe der Teufel Boccia
sehen, wie sich auf dem Meißner-Pla-
gespielt und bereits vor langer Zeit das
teau vier rot-weiß geringelte Masten in
noch lagert Braunkohle unter dem
Interesse verloren. Grün bemooste Ba-
den Himmel bohren. Es sind Sendean-
Meißner. Das kann man zwar nicht se-
saltkugeln bedecken den Waldboden
lagen des Hessischen Rundfunks, ver-
hen, wohl aber: riechen. In der Luft
und ziehen sich höher den Hang hin-
täut mit mächtigen Drahtseilen. Der
liegt ein beißender Geruch. Als hätte es
auf, als ich schauen kann.
größte der Masten ist 200 Meter hoch.
mich aus der grünen Natur heraus und
Weiter geht’s. Im weiten Bogen zieht
Ein höheres Bauwerk gibt es in ganz
hinein in, sagen wir: ein Stahlwerk ver-
sich die Route um das Meißner-Massiv
Nordhessen nicht. Schade, dass man
schlagen.
herum, bis eine Abzweigung nach links
nicht hinaufsteigen kann. Oder viel-
Quell des üblen Odeurs ist ein Ort mit
und steil bergauf führt. Mein Schweiß
leicht doch nicht so schade: Wer
höchst programmatischem Namen: die
rinnt, doch nach einer halben Stunde
schwindelfrei ist, könnte es dort oben
Stinksteinwand. Wo eine steile Fels-
habe ich den Gipfel erklommen; ein
sicher verlernen.
wand nach oben ragt und sich grobes
wenig abseits des Weges liegt er, mitten im Wald und ist beeindruckend un-
Von 1628 bis 1888 wurde der Carlsstollen
in Schwalbenthal für den Kohlebergbau
genutzt.
Geröll angehäuft hat, brennt unter der
Odeur der Unterwelt
spektakulär. Ein steinerner Quader,
Erde bis zum heutigen Tag ein Kohleflöz. Alle Versuche, den Schwelbrand
darauf eine steinerne Säule und jede
Auf einem schmalen Pfad neben der
zu löschen, scheiterten bislang. Ein
Menge Moos: Das ist der Punkt, an dem
Landstraße wandere ich von dort wei-
Zaun hält mich auf Sicherheitsabstand,
ich mich 754 Meter über dem Meer be-
ter nach Schwalbenthal, zu einem Aus-
denn immer wieder treten hier schwe-
finde.
sichtspunkt, der weite Blicke ins Meiß-
felhaltiger Rauch und giftige Gase aus.
Das sonderbare Gipfelgebilde trägt ein-
ner-Vorland erlaubt. Und zu den Über-
Und im Frühjahr 2001 musste sogar
graviert die gerade noch zu entziffern-
resten eines einstigen Bergbaudorfes.
einmal die Feuerwehr anrücken, weil
de Aufschrift „Königl. Preußische Lan-
Vor etwas mehr als einem Jahrhundert
das Feuer bis zur Oberfläche vorge-
des-Triangulation 1880“. Ein kleines
fiel es bis auf wenige Häuser einem
drungen war.
weißes Schild überträgt den kaiserzeit-
Erdrutsch zum Opfer. Stolleneingänge
Da suche ich lieber das Weite und wan-
lichen Bürokratie-Jargon gekonnt in
erinnern an den Braunkohleabbau, der
dere weiter den Berg hinab, zurück
die Gegenwart: Es handele sich um ei-
hier rund 300 Jahre lang unter Tage be-
nach Frankershausen. Wieder am Aus-
nen „Vermessungspunkt (gemäß § 2
trieben worden ist. Und auch heute
gangspunkt angekommen, habe ich
gute 20 Kilometer in den Beinen. Und
wie verhält es sich nun mit höchster
Erschöpfung und tiefster Entspannung? Sowohl als auch, beschließe ich.
Und fühle mich sehr salomonisch.
Der
Naturpark
Meißner-Kaufunger
Wald bietet Führungen zu den Hie- und
Kripplöchern sowie viele weitere begleitete Wandertouren an.
& 05651 952125, www.naturparkmeisFoto: Uwe Zucchi
42
Foto: Joachim F. Tornau
magazin aus der mitte •
sner.de/wandertipps
Es schwelt und stinkt: Am Hohen Meißner
brennt unter der Erde die Braunkohle. Im
April 2001 kamen die Flammen sogar ans
Tageslicht.
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magazin aus der mitte •
Verführung in der Unterführung
Zwei Fußgängertunnel wurden zum „Raum für urbane Experimente“
Von Ralf Pasch
F
roten Tapeten überklebt, an denen Ge-
und Stadtplanungsstudenten der Kas-
nicht: Über Nacht hatte sich der
mälde in Goldrahmen hingen. Am
seler Universität erschaffen worden.
schmutzig-schwarze Fußboden
nächsten Tag aber war die Erscheinung
Seit anderthalb Jahren nutzen sie die
der Unterführung am Holländi-
schon wieder verschwunden. Als sei
Fußgängerunterführung am Holländi-
schen Platz in Kassel in ein Schach-
sie bloß eine Fata Morgana gewesen.
schen Platz sowie eine weitere am
brettmuster verwandelt. Weiße Säulen
Der temporäre Barocksaal, der heute
Weinberg als „Raum für urbane Expe-
ragten bis unter die Decke, an der far-
nur noch auf Fotos zu bewundern ist,
rimente“. Das ist nicht immer so ex-
benfrohe Fresken prangten. Und die
war im Sommer vergangenen Jahres
travagant wie bei der Verwandlung der
gekachelten Wände waren mit wein-
gemeinsam von Design-, Architektur-
unterirdischen Passage in einen barocken Saal, zu dem auch eine Festtafel und ein Rockkonzert gehörten.
Aber stets überraschend. So ließen die
Studierenden am Weinberg etwa ein
klassisches Trio des Kasseler Staatsorchesters auftreten.
„Orte der Inspiration“
Nachdem Kassel im Zweiten Weltkrieg
Fotos: Urbane Experimente e.V. (3)
44
ußgänger trauten ihren Augen
zerstört worden war, hatten Stadtplaner ihren Traum von der autogerechten Stadt verwirklicht. Unter vielen
der überbreiten Straßen, die die Stadt
durchschneiden, wurden Unterfüh-
Poetry Slam in der Unterführung am
Holländischen Platz in Kassel. Kaum zu glauben:
Es ist derselbe Ort wie auf dem Bild oben.
• magazin aus der mitte
rungen gebaut, die die Fußgänger
seum für urbane Kunst“, das inzwi-
ab. Offenbar haben die Beamten wie
buchstäblich zwingen, in den Unter-
schen als Touristenattraktion ver-
ihre Kollegen in São Paulo erkannt,
grund zu gehen. Das ermöglicht zwar
marktet wird. Künstler aus der Millio-
dass
ein sicheres und schnelleres Passieren
nenmetropole kamen nach Kassel,
städtische Leben bereichert. Nicht nur
einer Kreuzung, doch fragwürdige Ge-
unter ihnen der weltweit bekannte
die Universität, die etwa den Barock-
rüche, diffuses Licht, Schmierereien
Zezao, der seine Kunst einst in der Ka-
saal als Projekt für die Lehre nutzte, ist
und Müll lassen so manchen Passan-
nalisation zelebrierte. Seine markan-
ein Nutznießer. Auch andere Nach-
ten lieber oberirdisch an einer Ampel
ten blauen Wassermotive sind heute
barn haben etwas davon, etwa wenn
ausharren. Vorbei sind die Zeiten, da
über den ganzen Erdball verbreitet,
Kinder unter Anleitung die Wände in
in diesen speziellen Fußgängerzonen
Galerien reißen sich um Fotos seiner
den Tunneln bemalen oder sich musi-
Läden oder gar Cafés betrieben wur-
Arbeiten – und Originale zieren nun
kalisch austoben dürfen.
den.
auch die Wände in den beiden Kasseler
Der Raum für urbane Experimente ist
Die sechs Studierenden, die Ende 2012
Unterführungen.
inzwischen ein gemeinnütziger Verein
den Raum für urbane Experimente
gründeten, haben die ungeliebten Orte
die
Underground-Kultur
das
geworden; die damit verbundene Bü-
Underground-Kultur
wiederentdeckt. Im Kasseler Rathaus
rokratie soll freilich die Experimentierfreudigkeit seiner Gründer nicht
stießen sie damit auf mehr als offene
Medeiros lobt Kassel als „Paradies für
trüben. Dieses Jahr sind wieder diver-
Ohren: Ihre Idee spornte die Baube-
Sprayer“, immerhin gebe es in der
se Überraschungen in den Unterfüh-
amten regelrecht an. Zunächst näm-
Stadt sechs „Halls of Fame“, legale
rungen geplant. Künstler verschiede-
lich hatten die Studenten nur die Un-
Orte, an denen die Straßenkünstler ih-
ner Sparten aus der Region sollen ein-
terführung am Weinberg für ihr Vor-
rer Leidenschaft frönen können. Auch
geladen werden. Aber auch sonst kann
haben auserkoren. Es war die Stadt-
jede Aktion im Raum für urbane Expe-
jeder, der sich kreativ betätigen will,
verwaltung, die anregte, auch den
rimente, egal ob Graffiti oder Hip-
ein Experiment im Untergrund wa-
Fußgängertunnel am Holländischen
Hop-Konzert, ist legal, sagt Medeiros.
gen.
Platz zu einem solchen Experimen-
Alles werde mit den Behörden abge-
tierfeld zu machen. Die Studenten-
sprochen. Die Gruppe schloss mit der
gruppe, die zunächst zweifelte, ob sie
Stadt einen Vertrag über die Nutzung
sich mit zwei Standorten übernehmen
würde, ließ sich überreden.
Für die angehende Architektin Tanja
Simonovic, die zu den Initiatoren gehört, sind solche ungenutzten Räume
„Orte der Inspiration“. Sie und ihre
Mitstreiter haben sich vorgenommen,
die Unorte in Erlebnisräume zu verwandeln, die Passanten zu einem neuen Blick und zu einer Diskussion über
ihre Umgebung zu verführen. Marcel
de Medeiros sieht in den Unterführungen eine Art „Museum“ mit ständig
wechselnden Exponaten. Der angehende Produktdesigner, der gelegentlich Wände in den Unterführungen mit
seinen markanten Graffiti-Grimassen
verziert, wurde von einem Projekt in
seiner
brasilianischen
Heimatstadt
São Paulo inspiriert. Dort, erzählt
Medeiros, waren Künstler bei illegalen
Graffiti-Aktionen ertappt und eingesperrt worden. Im Knast entwickelten
sie ein Konzept, wie sie legal sprühen
könnten. So entstand das „Offene Mu-
www.r-u-e.de
45
magazin aus der mitte •
Unterirdisch radeln
Hessens ältester Eisenbahntunnel, der Carlsbahntunnel an der
Diemel, wird für Radfahrer wiedereröffnet
Von Joachim F. Tornau
E
s war wohl eher ein Prestige-
Nein, es ging ums Beeindrucken. Um
Leben als einer der schönsten Radwe-
projekt als Notwendigkeit: Als
eine Demonstration des technisch
ge in der Region beginnen durfte: Der
am 30. März 1848 der erste Ei-
Machbaren. Denn damals war die Ei-
Carlsbahntunnel verschwand im Un-
senbahnzug durch das Kurfür-
senbahn das modernste Verkehrsmit-
terholz. Wo einst der „Drache“, die
tel der Welt.
erste Dampflokomotive aus den Kas-
stentum Hessen-Kassel rollte, lag auf
der Strecke auch ein Tunnel. Mit 202
Metern zwar nicht eben endlos lang,
seler Henschel-Werken, gefaucht hat-
Fiepende Fledermäuse
te, fiepten fortan Fledermäuse.
aber doch einer der ersten in DeutschHeute hat sie auf der Carlsbahn aller-
der zugänglich. Die mächtigen, reprä-
biet des heutigen Hessen. Dabei ist der
dings schon lange ausgedient. Am 25.
sentativen Sandsteinportale wurden
Kesselberg, den der Carlsbahntunnel
September 1966 fuhr zwischen Bad
saniert. Und in diesem Jahr wird die
bei Deisel unterquert, kein unüber-
Karlshafen und dem Hofgeismarer
Röhre wiedereröffnet – für Radfahrer
windbares
einmal
Stadtteil Hümme der letzte Personen-
und Fußgänger. Wer bislang entlang
zwölf Meter ragt das Gestein maximal
zug. Zwanzig Jahre später legte die
der Diemel unterwegs war, musste
über die Tunnelröhre hinaus. Und auch
Bundesbahn die 16,5 Kilometer lange
kurz vor dem Tunnel den ehemaligen
einen Bogen um den Hügel herum, so
Strecke entlang der Diemel endgültig
Bahndamm verlassen und verpasste
meinen Experten, hätte man ohne
still und baute die Gleise ab. Und auch
das spektakulärste Überbleibsel von
Weiteres machen können.
wenn die Trasse danach ein zweites
Nordhessens erster Eisenbahnstrecke.
Massiv.
Gerade
Künftig soll man hier tief in den Berg
und die Geschichte eintauchen können.
Ganz ohne Umweg wird es jedoch auch
dann nicht gehen: Zwar muss nicht
mehr der Tunnel umrundet werden.
Aber dafür das Naturschutzgebiet, das
hinter seinem Südeingang entstanden
ist.
Wer beim unterirdischen Radeln auf
den Geschmack kommt: Neben der
ehemaligen Carlsbahn gibt es in der
Region noch zwei weitere Bahntrassenradwege, die mit Tunneln aufwarten können. Der Ruhr-Eder-Radweg
Foto: Stadtmuseum Kassel
46
Jetzt aber ist das Kulturdenkmal wie-
land. Und der allererste auf dem Ge-
Wo einst Henschels „Drache“ stampfte, rollen künftig Fahrräder: Der Carlsbahntunnel bei
Deisel auf einem Gemälde aus dem Jahr 1935.
von Winterberg nach Allendorf passiert bei Bromskirchen den 315 Meter
langen Bromskirchener Tunnel. Und
der Ederseebahn-Radweg von Korbach nach Edertal-Buhlen führt mit
dem Meineringhäuser Tunnel (75 Meter) und dem Sachsenhäuser Tunnel
(65 Meter) sogar gleich zwei Mal unter
Bergen hindurch.
Wahrzeichen der Region.
Immer dabei.
Fotos: Bad Hersfelder Festspiele (2)
Feste
Festspiele
Festivals
Machtspiele in der Stiftsruine
M
acht und Ohnmacht, Machtmissbrauch und Selbstüberschätzung: Unter
dem Motto „Von Menschen und Mächten“ zeigen die Bad Hersfelder Fest-
spiele in ihrer 64. Saison Machtspiele der verschiedensten Art. Am 13. Juni beginnt die Spielzeit auf der Freilichtbühne in der, nun ja, mächtigen Stiftsruine
mit Schillers „Maria Stuart“. Bis zum 3. August folgen das Musical „Kiss me,
Kate“, die „Wanderhure“ nach dem Roman von Iny Lorentz sowie als Familienstück für Kinder ab sechs Jahren „Don Quijote“, die Geschichte des Ritters von
der traurigen Gestalt. Auch die Erfolgsinszenierung der vergangenen Spielzeiten, der Klosterkrimi „Der Name der Rose“ nach Umberto Eco, steht noch einmal auf dem Programm. In Schloss Eichhof wird das Songdrama „Sekretärinnen“ von Franz Wittenbrink gezeigt. Als mobile Produktion, die an verschiedenen Orten gezeigt wird, ist „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu sehen. An den
Wochenenden sind die Vorstellungen besonders schnell ausverkauft.
www.bad-hersfelder-festspiele.de
Zu Wasser und zu Land
D
ie Fulda, Nordhessens mächtigster Strom, steht im Mittelpunkt
zweier besonderer Volksfeste. Das
Heimat- und Strandfest in Rotenburg
lockt vom 3. bis 7. Juli ans Flussufer
und auf den Festplatz mit Karussells,
Flohmarkt, Kinder-Olympiade und
Feuerwerk. Dazu gibt es einen Festzug durch die Stadt und einen Bootskorso auf der Fulda. Zu Wasser und zu
Lande wird vom 1. bis 4. August auch
in Kassel beim „Zissel“ gefeiert. Buden und Fahrgeschäfte werden entlang des Flusses aufgebaut. Wasserskishow, Drachenbootregatta, Fackelschwimmen und ein Festumzug
Foto: Uwe Zucchi
48
auf der „Fulle“ mit über 200 geschmückten Booten sind die ZisselHöhepunkte.
www.rotenburg.de
www.zissel.de
Nordhessen feiert. Auf der
Teichwiese, in einer alten
Ruine, auf einer Flussinsel,
in Parks, am Fulda-Ufer,
am Fuß einer Burg, in einer Altstadt, im Ballhaus,
in der Klosterkirche, im
Schlosspark: Viele auffallend schöne Orte in Nordhessen schmücken sich
mit Theateraufführungen
und Musicals, mit Konzerten von Rock, Pop, Jazz
und Klassik, mit Kabarett
und Literaturlesungen, mit
Jahrmärkten und Volksfesten. Eine kleine Auswahl
aus dem großen nordhessischen Kultur- und Festprogramm.
• magazin aus der mitte
Kultur allerorten
S
enta Berger, Katja Riemann, Nina
Hoger, Dominique Horwitz, Rufus
Beck: Viel Film- und Bühnenprominenz beehrt die Region in diesem
Sommer – dem Kultursommer Nord-
Foto: Uwe Zucchi
hessen sei Dank. Traditionell wird das
Festival eröffnet mit einem musikalischen Picknick am 9. Juni im Park von
Schloss Wilhelmsthal bei Calden. Danach werden bis zum 10. August rund
75 Veranstaltungen an 50 Orten gebo-
Perfekte Tage
ten: Folk, Jazz und Klassik, Stumm-
oodstock liegt einmal im Jahr in Nordhessen: Seit 1968 hält das Burg-Herz-
W
Nordhessen. Besonderes Highlight:
berg-Festival die Hippie-Kultur hoch – mit Auftritten von Rocklegenden
Vom 19. bis 21. Juni wird die Blumen-
der 70er Jahre, mit Jazz, Blues, Weltmusik und wallenden Gewändern. Unter
insel Siebenbergen in der Kasseler
dem Motto „Perfect Days“ spielen vom 31. Juli bis 3. August unter anderem Patti
Karlsaue zu „Ovids Traum“ – einer be-
Smith, Billy Bragg, JJ Grey und die Krautrockband Kraan.
gehbaren Traumwelt aus Licht und
Eine zwar kürzere, aber trotzdem schon lange Geschichte hat das Open-Flair-
Klang, Toncollagen, Tanz und Ge-
Festival in Eschwege: Vom 6. bis 10. August geht es zum 30. Mal über die Bühnen
schichten
auf dem Werdchen, der Werra-Flussinsel am Rande der Fachwerkstadt. Es kom-
Ovid.
men Madsen, Seeed, La Brass Banda, Die Schröders, Kakkmaddafakka, Feine
www.kultursommer-nordhessen.de
Sahne Fischfilet und rund 40 weitere Bands. Daneben gibt es noch Kleinkunst in
film, Literatur und Theater. Überall in
des
römischen
Dichters
49
einem eigenen Zirkuszelt.
www.burgherzberg-festival.de
www.open-flair.de
Abtauchen in die Unterwelt
P
latzangst, heißt es, sollte man besser nicht haben. Einmal im Jahr öffnet sich
im Schwalmstädter Ortsteil Treysa die Stadt unter der Stadt: Hunderte von
mittelalterlichen Kellergewölben, zum Teil sogar mehrgeschossig, liegen unter
der Altstadt. Am 24. Mai können einige von ihnen im Rahmen von Führungen
des stadtgeschichtlichen Arbeitskreises besichtigt werden. Höhepunkt der Tour
in den Untergrund ist ein rund 40 Meter langer Geheimgang unter dem Marktplatz. Anmeldung (unbedingt erforderlich!) und weitere Informationen unter
 06691 22504 oder per Mail an [email protected].
Gaumenfreuden
H
ier isst man Wild- und Möhrenwurst zum frisch gebackenen Brot, genießt
braucht anschließend vielleicht einen hausgemachten Obstler: Zum Spezialitätenfestival in Melsungen kommen all jene, die Gaumenfreuden genießen wollen. Und für Kinder gibt es Mitmachaktionen. In diesem Jahr hat das nordhessische Schlemmerparadies am 12. Oktober geöffnet.
www.nordhessen-geschmackvoll.com
Foto: Kultursommer
Wildbret und Fisch aus heimischen Gefilden, kostet Wein von Hessens nörd-
lichstem Weinberg, probiert selbst geschöpften Käse von Kuh oder Ziege – und
magazin aus der mitte •
Das Märchenfest geht weiter
D
as Grimm-Jahr 2013 ist vorbei, der
200. Geburtstag der von den Brü-
dern Grimm gesammelten Kinderund Hausmärchen ist gefeiert. In
Nordhessen, der langjährigen Heimat
der berühmten Germanisten, aber hat
man noch lange nicht genug. Auch in
Foto: HNA-Archiv/Lothar Koch
diesem Jahr ist dem Schaffen von Jacob und Wilhelm Grimm ein reiches
Veranstaltungsprogramm gewidmet.
Überall in der Region schlüpfen die
Schauspieler Stefan Becker und Carlo
Ghirardelli in die Rolle der Märchensammler, plaudern aus dem Leben des
Brüderpaars, erzählen Anekdoten –
und Märchen natürlich. Das Berliner
Konzerte und Kleinkunst unter Zeltplanen
W
50
Theater Anu zeigt am Edersee (4. bis 6.
September) und im Habichtswald (11.
enn andere in den Camping-Urlaub fahren, werden in Nordhessen die Zel-
bis 13. September) noch einmal seine
te für die Kultur aufgebaut. Seit mittlerweile 28 Jahren steht in Kassel das
theatralische Nachtwanderung durch
Kulturzelt allsommerlich an der Drahtbrücke und bietet ein prominent besetztes
den „Schattenwald“. Und vom 24. Juli
Musikprogramm. Diesmal wird vom 11. Juli bis 24. August fast täglich konzer-
bis zum 24. August wird der Kasseler
tiert; zu Gast sind unter anderem Maceo Parker, Calexico, Judith Holofernes, Al
Park Schönfeld zum Schauplatz eines
Di Meola und wie immer zum Abschluss die 17 Hippies. Und draußen wartet der
Open-Air-Musicals
idyllische und größte Biergarten der Stadt unter alten Kastanienbäumen.
Grimm’schen Märchen vom Rumpel-
In Wolfhagen steigt bereits vom 23. Mai bis 7. Juni das Kulturzelt-Festival auf der
stilzchen.
Teichwiese. Das Festival wird 20 Jahre alt und feiert sich mit einem üppigen Pro-
www.grimm2014.de
gramm in gleich zwei Zelten. Mit dabei: die Comedians Rüdiger Hoffmann und
www.brueder-grimm-festival.com
frei
nach
dem
Carolin Kebekus, der Popsänger Adel Tawil und die Neue-Deutsche-Welle-Ikone
im Park (9. bis 27. Juli) zu erleben – von Badesalz über Axel Prahl bis zu Konstantin Wecker.
www.kulturzelt-kassel.de
www.kulturzelt.de
Foto: Uwe Zucchi
www.vellmar.de
Foto: P. Blåfield
Nena. Namhafte Musiker und Kabarettisten sind auch in Vellmar beim Sommer
Feiern mit Vergangenheit
B
eim Lullusfest sagen sich die Bad Hersfelder nicht „Guten Tag!“ Dafür grüßen
sie sich mit „Bruder Lolls“. Gemeint ist der Heilige Lullus, der Patron der
Stadt, der 769 das Kloster Hersfeld gründete. Ihm ist Deutschlands wohl ältestes
Heimatfest gewidmet, bei dem eine Woche lang das Lullus-Feuer auf dem
Marktplatz lodert – in diesem Jahr vom 13. bis 20. Oktober. Es ist nicht das einzige nordhessische Fest mit langer Vergangenheit: Auch das Johannisfest in Eschwege (3. bis 7. Juli), den Arolser Kram- und Viehmarkt (7. bis 10. August) oder
das nur alle sieben Jahre stattfindende Freischießen in Mengeringhausen (16. bis
21. Juli) gibt es schon seit Jahrhunderten.
www.lullusfest.de, www.eschwege.de,
www.bad-arolsen.de
www.freischiessen-mengeringhausen.de
• magazin aus der mitte
Zeitreisen ins Mittelalter
H
istorisch geht es vom 15. bis 17.
August in Fritzlar zu: Beim Kaiser-
fest erinnern Ritter, Spielleute oder
Feuerkünstler an die Bedeutung, die
die Domstadt einst als bevorzugter
Aufenthaltsort der Könige und Kaiser
gehabt hat. An einer Zeitreise ins Mittelalter versucht man sich am 11. und
12. Oktober auch in Korbach: Hessens
für ein Wochenende in einen mittelalterlichen Ort. Dann ist hier plötzlich
fast jeder im Kostüm, spielt Burgfräulein oder Minnesänger. In der Altstadt:
Gaukler, Quacksalber, Kräuterhexen
und Marktstände mit Töpfereien und
deftigen Speisen.
www.kaiserfest-fritzlar.de
www.korbacher-hanse.de
Alles außer Spielfilmen
Foto: HNA-Archiv/Peter Zerhau
einzige Hansestadt verwandelt sich
Dokumentarfilm- und Videofest, wie
mances in der Dokfestlounge aufge-
spannend das aktuelle filmerische
führt. Mit seinem Fokus auf neue Me-
urz- und Langfilme, dokumenta-
Schaffen jenseits von Spielfilmen und
dien, seiner internationalen Ausrich-
risch
K
künstlerisch-experi-
Fernsehserien sein kann. Medienin-
tung und der Vielfalt der Formate gilt
mentell, von regionalen wie von inter-
stallationen werden in der begleiten-
das Festival als einzigartig.
nationalen Filmemachern: Vom 11. bis
den Ausstellung „Monitoring“ prä-
16. November zeigt das 31. Kasseler
sentiert
und
und
audiovisuelle
Perfor-
www.kasselerdokfest.de
Viel Wind um Kunst
E
r ist nie zu sehen, aber immer zu
spüren. Er kann völlig still sein,
aber auch wild toben. Nüchtern meteorologisch lässt er sich betrachten,
aber auch mythologisch deuten. Dem
Wind in all seinen Facetten widmet
kunstfestivals „Bewegter Wind“: Vom
17. bis 31. August zeigen Künstler an
mehreren nordhessischen Orten ihre
Auseinandersetzung mit Sturm, steifer Brise und lauen Lüftchen – als
Windobjekte, Installationen, Performances und Videos.
www.bewegter-wind.de
Foto: HNA-Archiv/Maja Yüce
sich die siebte Ausgabe des Wind-
Einen beeindruckenden Überblick über die Kulturlandschaft in Kassel und Umgebung gibt die Online-Datenbank www.kulturtopografie-kassel.de. Weit über 1500 Künstler aller Sparten, aber auch Initiativen, Veranstaltungsorte, Museen und Festivals
sind verzeichnet.
51
magazin aus der mitte •
Foto: Uwe Zucchi
D as beso n dere museum
Wenn Stein und Gips
lebendig werden
52
Das Christian Daniel Rauch-Museum in Bad Arolsen zeigt
Skulpturen eines der bedeutendsten Bildhauer des Klassizismus
Von Verena Joos
A
ls Christian Daniel Rauch
Skulpturen aus der Werkstatt des gro-
im Kreise prominenter Zeitgenossen
1777 in Bad Arolsen zur Welt
ßen Sohns der Stadt und seiner bild-
auf einem Sockel ruht. In Form und
kommt, genießt der Marstall
hauerischen Weggefährten. Und dar-
Präsentation eine idealisierende Dar-
gegenüber dem imposanten
unter sind auch die Vorarbeiten für das
stellung, in der Feinausführung aber
Residenzschloss derer von Waldeck
monumentale Reiterstandbild Fried-
durch und durch realistisch, bis hin zu
und Pyrmont fast noch Neubaustatus.
richs des Großen, das Rauch, heute als
dem müden Lächeln, das die Falten um
1755 ist das elegant geschwungene Ge-
einer der bedeutendsten Bildhauer des
die Mundwinkel mehr betont denn
bäude im Stil des Spätbarock nach
Klassizismus gefeiert, für den Berliner
mildert. „Man kann sehr damit zufrie-
Entwürfen Friedrich Franz Rothweils
Prachtboulevard Unter den Linden ge-
den seyn“, kommentierte der Dich-
vollendet worden. Im Giebelfeld über
schaffen hat.
terfürst, als er das Porträt 1820 zu Ge-
dem Eingang erinnert ein imposantes
Original-Gipsmodelle – sie zeigen mi-
sicht bekam. Goethe war, wie Daniel
Halbrelief mit Pferden daran, dass hier
litärische wie geistige Größen der Zeit
Christian Rauch, beides: dem antiki-
einmal die Wohnstatt der fürstlichen
– erzählen von der Detailversessenheit
sierenden Schönheitsideal seiner Zeit
Equipage war.
dieses Bildhauers, vom gnadenlosen
verpflichtet. Aber eben auch in hohem
Blick auf körperliche Makel, auf Fur-
Maße Realist.
Doppelkinn und Tränensack
chen, die das Leben den Gesichtern
eingraviert hat. Tränensäcke – sofern
Preußische Prinzessinnen
Die Referenz an die Vergangenheit ist
es sich um diejenigen der königlichen
gleichzeitig eine thematische Überlei-
Entourage handelt, nicht um die des
Wie das Schaffen des Bildhauers zwi-
tung zur neuen Funktion des Gebäu-
Königs selbst – werden nicht weggelif-
schen diesen beiden Polen oszilliert –
des: Das Innere, behutsam den Be-
tet. Ein Doppelkinn bleibt ein Doppel-
das zeigt das Museum in vielen Facet-
dürfnissen moderner Ausstellungsar-
kinn, sitze es auf dem Hals eines Feld-
ten, Größen und Materialien. Hier
chitektur angeschmiegt, beherbergt
herrn oder jenem des Dichters Johann
tummeln sich anmutige preußische
seit 2002 eine reiche Auswahl von
Wolfgang von Goethe, dessen Haupt
Prinzessinnen aus Bronze oder Gips,
• magazin aus der mitte
Foto: HNA-Archiv/Dirk Schwarze
Foto: Kerstin Göbel
finden sich Miniaturen der „Victoria“
Lebzeiten als Lichtgestalt am preußi-
schafft einen in dieser Komplexität
in blütenweißem Bisquit-Porzellan,
schen Hofe verehrt, ist in Rauchs Pla-
wohl einmaligen Überblick über die
dort blickt der sichtlich den angeneh-
stik zur Ikone geworden: eine junge
Entwicklung der Skulptur im 19. Jahr-
men Dingen des Lebens zugetane In-
Frau, mädchenhaft fast noch, die sich
hundert.
dustrielle
der
in edler Würde und vollkommener Ge-
Selbstzufriedenheit des Selfmademan
lassenheit dem Unvermeidlichen er-
auf den vergeistigten Gartenkünstler
gibt. In der Gewissheit, der Tod sei nur
Peter von Lenné. Und immer und
ein langer Schlaf, nicht das Ende. In
überall glaubt man, durch das tote Ma-
diesem Werk ist Rauch, damals ebenso
terial den lebendigen Menschen zu
alt wie sein verstorbenes Modell, eine
spüren.
selten
August
Borsig
mit
großartige
Verbindung
von
53
Klassizismus und dem Geist des Chri-
Wunder in Gips
stentums gelungen. Man verharrt lange vor diesem Wunder in Gips. Es ist
Selbst (oder gerade) da, wo dieser
der Höhepunkt der Sammlung.
Mensch zum Zeitpunkt seiner künst-
Bevor man von Luise Abschied nimmt,
lerischen Ausgestaltung schon dahin-
sollte man sich Zeit für den Film gön-
geschieden ist: 1810 erhielt Rauch, der
nen, der über den langwierigen bild-
nach seiner Ausbildung an der Kasse-
hauerischen Prozess zwischen Ent-
ler Akademie nach Berlin gezogen und
wurf, Modell und Endprodukt infor-
dort erst Gehilfe, dann Konkurrent des
miert. Und natürlich lohnt der Blick
Hof-Bildhauers
Gottfried
auf Werke berühmter Zeitgenossen
Schadow geworden war, den Auftrag,
wie Bosio, David d’Angers, Schadow,
die Statue der im Alter von 34 Jahren
Friedrich Tieck oder Ludwig Wich-
gestorbenen Königin Luise für das
mann. Das Museum bietet mehr als
Mausoleum in Charlottenburg zu ge-
eine „Personality Show“: Es ver-
Johann
stalten. Ihr Gemahl, Friedrich Wilhelm
III., hatte genaue Vorstellungen von
scheint die Erwartungen des Monar-
Christian Daniel Rauch-Museum
chen noch übertroffen zu haben; er
berichtet, dass diesen beim Anblick
der Skulptur „im Nu die Tränen zwangen, davon zu gehen“.
Der Original-Gipsabdruck lässt den
Schmerz des Hinterbliebenen mühelos nachvollziehen. Luise, schon zu
Marstall, Schlossstraße 30, Bad Arolsen
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 14–17 Uhr,
Sonntag 11–17 Uhr und nach Vereinbarung.
Eintritt: 3 €, ermäßigt 2 €
Informationen und Führungen: & 05691 625734
www.museum-bad-arolsen.de/rauch_museum.php
Foto: Uwe Zucchi
der zu erzielenden Wirkung. Rauch
Foto: Fotolia
magazin aus der mitte •
Schloss Wilhelmshöhe
Alte und neue Meister
Nordhessen ist reich an bemerkenswerten Museen, die sich der
Kunst widmen – auf verschiedenste Weise
54
Dürer und documenta
Die älteste Malerkolonie
Als Künstler an der Front
Für Kunstfreunde sind die Sammlun-
Im Jahre 1830 entstand in dem Dörf-
Theodor
gen der Museumslandschaft Hessen-
chen Willingshausen Europas erste
Kriegsberichterstatter schon vor Er-
Kassel ein Muss: In Schloss Wilhelms-
Künstlerkolonie. Bis ins 20. Jahrhun-
findung der Fotografie. Noch im Er-
höhe lockt die Gemäldegalerie Alte
dert hinein kamen immer wieder Ma-
sten Weltkrieg ging er als Maler an die
Meister mit Werken unter anderem
ler aus den Metropolen, um in der
Front, um die Kämpfe auf zumeist
von Rubens, Rembrandt, Tizian und
ländlichen Schwalm auf Motivsuche zu
großformatigen
Dürer. Die Neue Galerie, unterge-
gehen. An die von Gerhardt von Reu-
Gemälden festzuhalten. Das Stadtmu-
bracht in einem imposanten Neo-Re-
tern und Ludwig Emil Grimm – dem
seum Hofgeismar besitzt rund 650 sei-
naissancebau oberhalb der Karlsaue,
jüngeren Bruder der berühmten Ger-
ner Arbeiten. Und wer für Schlachten-
zeigt Kunst vom 19. Jahrhundert bis
manisten und Märchensammler – be-
malerei nicht so viel übrig hat: Ro-
heute – darunter auch Werke bedeu-
gründete Vereinigung erinnert das
choll, Initiator des nordhessischen
tender documenta-Künstler wie Jose-
Malerstübchen
Naturschutzgebiets Urwald Sababurg,
ph Beuys, Gerhard Richter und Per
angrenzender Kunsthalle.
hat auch etliche Pferde- und Land-
Kirkeby.
& 06697 1418,
schaftsbilder geschaffen.
& 0561 31680,
www.malerkolonie.de
& 05671 4791,
Willingshausen
mit
www.museum-kassel.de
Rocholl
(1854–1933)
war
impressionistischen
www.museum-hofgeismar.de
Kirchliche Kunst
Der den Dichter malte
Bauhaus-Design
Sein Gemälde des Dichterfürsten Jo-
Die nordhessische Firma Thonet hat
Sakrale Kunst vom Mittelalter bis in
hann Wolfgang von Goethe in der ita-
Designgeschichte geschrieben. Ihre
die Gegenwart ist im Museum und
lienischen Campagna kennt fast jeder.
freischwingenden
Domschatz des romanischen St. Petri
Dass Johann Heinrich Wilhelm Tisch-
wurden unter anderem von den Bau-
Doms in Fritzlar zu sehen. Bedeutend-
bein aus Nordhessen stammt, ist da-
hauskünstlern Mies van der Rohe und
stes Stück der Sammlung ist das soge-
gegen nicht eben Allgemeingut. Wer
Le Corbusier entworfen; Marilyn Mon-
nannte
König-Heinrich-Kreuz
Stahlrohrstühle
aus
diese Wissenslücke schließen möchte,
roe und Pablo Picasso haben auf Tho-
dem 11. Jahrhundert: Das mit fast 350
besichtigt am besten das Gebäude, in
net-Klassikern aus gebogenem Holz
Edelsteinen
verzierte
dem der Meister des Klassizismus am
posiert. Ein Museum am Firmensitz in
Kreuz trägt in der Mitte einen Holz-
15. Februar 1751 geboren wurde. Das
Frankenberg erzählt die Geschichte
span, der einst zum Kreuz Jesu Christi
kleine Fachwerkhaus steht an der Au-
des Familienunternehmens.
gehört haben soll.
ßenmauer des ehemaligen Zisterzi-
& 06451 508-0,
& 05622 9999-0
enserklosters in Haina.
www.thonet.de/kontakt/museum.html
www.katholische-kirche-fritzlar.de
& 06456 929743, www.haina.de
und
Perlen
Mehr Tipps unter www.nordhessen.de/de/museen und www.museen-in-hessen.de
1959
1945
1974
2000
2014
.de
Das starke Medienhaus der Region.
www.HNA.de
magazin aus der mitte •
Vergraben für
die Ewigkeit
Fotos: Uwe Zucchi (3)
Die größte Untertagedeponie der Welt: Das stillgelegte
Salzbergwerk in Herfa-Neurode schluckt alljährlich
40.000 Tonnen Giftmüll
Von Joachim F. Tornau
56
A
uf den ersten Blick sieht es so
stände des Fortschritts gibt es in
Kunststoffsäcke an ihren Lagerort. Vor
aus, als hätte jemand einen
Deutschland. Doch nirgends auf der
111 Jahren – im Jahr 1903 – begann der
Stadtplan
Welt liegt mehr Giftmüll begraben als
Kali- und Salzbergbau an der Werra.
von
Mannheim
hier.
Heute ist das Revier, das sich beider-
stiften ausgemalt. Grelles Grün, Oran-
„Wir haben Kunden aus ganz Europa“,
seits
ge oder Gelb füllt das Schachbrettmu-
sagt UTD-Chef Schaub. „Aber auch
Grenze erstreckt, das größte Kaliab-
ster. Doch was sich da in exakten
darüber hinaus – Israel ist das weite-
baugebiet der Welt. Noch für rund 40
rechten Winkeln auf der Karte aus-
ste, was mir spontan einfällt.“ Dann
Jahre sollen die Ressourcen reichen.
breitet, sind keine Straßen und Häu-
steigt er in den Förderkorb, mit dem
Aus der Erde geholt werden die Bo-
serblöcke, sondern Gänge und Pfeiler
im Laufe der Jahre schon mehr als drei
denschätze vom Kasseler Unterneh-
– rund 700 Meter unter der Erde, im
Millionen Tonnen Abfälle den Berg-
Kali-Revier an der Werra. Und die Far-
werksschacht hinabgereist sind: Fil-
ben stehen für Giftmüll.
terstäube aus Verbrennungsanlagen,
Olaf Schaub ist der Herr dieses Plans.
cyanid- und quecksilberhaltige Che-
Der 45-Jährige leitet die Untertagede-
miealtlasten, mit Dioxin oder PCB be-
ponie (UTD) in Herfa-Neurode: Seit
lastete Böden. Zum Beispiel.
oder Manhattan mit Bunt-
der
hessisch-thüringischen
mehr als 40 Jahren werden hier, in einem stillgelegten Salzbergwerk bei
260 Euro pro Tonne
Heringen, hochtoxische Abfälle in der
Erde versenkt. Jetzt steht der Berg-
Klappernd rast der Aufzug in die Tiefe.
bauingenieur vor der bunten Skizze
Nach einer Minute zugiger Fahrt ent-
seines unterirdischen Reichs und er-
lässt er Schaub und seine Begleiter
klärt. Das Orange etwa, das Gang um
mitten im Salz. Es ist eine andere Welt.
Gang bedeckt, bedeutet: Arsen. Allein
Grau, schummrig und scheinbar un-
davon lagert mittlerweile so viel in den
endlich weit entfernt von dem heißen
Tiefen unter der grünen nordhessi-
Sommertag 700 Meter weiter oben.
schen Hügellandschaft, dass sich die
Auf den breiten Straßen mit ihren
gesamte Menschheit damit ausrotten
niedrigen Decken, die der Kali-Abbau
ließe. Fünf solcher unterirdischer Auf-
hinterlassen hat, flitzen Lastwagen
nahmelager für die gefährlichen Rück-
hin und her und bringen Fässer und
Sieht nicht nur giftig aus: Probenfläschchen
mit Dioxin.
• magazin aus der mitte
men K+S, das auch den giftigen Müll
in die Tiefe hinabbringt. Wobei die
Untertagedeponie ein vergleichsweise bescheidenes Geschäft ist: Zum
Gesamtumsatz
des
DAX-notierten
Konzerns trägt die Entsorgungssparte
gerade einmal rund 1,5 Prozent bei.
Unter Tage passieren die Tieflader auf
ihrer Berg- und Talfahrt durch den
Salzflöz immer wieder akkurate Ziegelmauern: Hinter jeder von ihnen
verbirgt sich tonnenweise Giftmüll,
eingemauert bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Und jedes Jahr kommen bis zu 40.000 Tonnen hinzu, für
260 Euro pro Tonne, die K+S seinen
Kunden in Rechnung stellt. Zwei Deponiefelder sind bereits nahezu voll,
ein drittes wurde eröffnet. Und auch
das wird nicht das letzte sein – der
Der Förderturm in Herfa-Neurode bringt keine Rohstoffe mehr nach oben – sondern gefährliche Rückstände unserer Zivilisation in den Untergrund.
Stauraum unter Tage reicht noch für
Jahrzehnte.
Am 16. Juni 1993 kamen sie unter Po-
dischen Welt und gefeit vor jeglichen
In der Luft liegt ein leichter chemi-
lizeischutz in Herfa-Neurode an. Das
Wassereinbrüchen. Selbst die Gefahr
scher
aber,
Datum ist auf einer kleinen Glasfla-
von Erdbeben oder Meteoritenein-
heißt es, sei nicht, was da die Nase
sche mit einer Probe des grell rosafar-
schlägen sei für den sogenannten
kitzelt. „Wir messen nichts.“ Und
benen Pulvers exakt vermerkt.
Langzeitsicherheitsnachweis geprüft
gemessen, geprüft, analysiert wird
Von jedem Gift, das die Deponie ge-
worden, sagt Schaub. „Wir können
nicht eben wenig. Von jeder Liefe-
schluckt hat, gibt es solche Proben. In
sicher sein, dass die Schutzfunktion
rung werden Proben genommen und
eigenen Räumen unter Tage füllen sie
des Salzgesteins erhalten bleibt – so
untersucht. Denn die Regeln für die
Regal um Regal: 70.000 Fläschchen
wie sie sich seit 250 Millionen Jahren
Annahme sind streng: Weder radio-
für jedes volle Deponiefeld. Ein Ar-
nicht verändert hat.“ Mit der Asse,
aktiv noch explosiv, biologisch ab-
chiv zum Gruseln, das von vielen
jenem skandalumwitterten ehemali-
baubar, infektiös oder flüssig, ja nicht
Sünden erzählt. Von der Umweltzer-
gen Salzbergwerk in Niedersachsen,
einmal
Geruch.
Nachweisbar
darf
störung in der DDR, im Chemiekom-
in dem trotz Undichtigkeit Atommüll
sein, was hier unter die Erde kommt.
„geruchsbelästigend“
binat Bitterfeld. Oder vom Skandal
eingelagert wurde, sei das nicht zu
Und niemand soll schummeln kön-
um das dioxinverseuchte „Kieselrot“,
vergleichen.
nen. „Unser Sicherheits- und Kon-
das jahrzehntelang als Belag von
trollsystem ist so ausgefeilt,
Sportplätzen diente.
dass
noch nie jemand versucht hat, uns
Ist Herfa-Neurode der giftigste Ort
Für die Öffentlichkeit ist die weltgröß-
was unterzuschieben“, sagt Deponie-
der Welt? Davon will der Bergbauin-
te Untertagedeponie in Herfa-Neuro-
leiter Schaub.
genieur lieber nicht sprechen. „Man
de nicht zugänglich. Dafür kann aber
muss froh sein“, findet er, „dass es
ganz in der Nähe ein anderer Superla-
einen solchen Ort gibt, an dem man
tiv bestaunt werden, für den der Kali-
die Abfälle, die nun einmal anfallen,
bergbau gesorgt hat: Der strahlend
Vormals verschobene Abfälle aber
einlagern kann – konzentriert, schad-
weiße „Monte Kali“ oder „Kaliman-
haben in Nordhessen sehr wohl ihre
los und sicher.“ Über der 300 Meter
dscharo“ bei Heringen ist Deutsch-
letzte Ruhestätte gefunden: Pestizide
dicken, gasdichten Salzschicht liegen
lands größter künstlicher Salzberg. Bei
etwa, die illegal von Deutschland
hundert Meter wasserdichter Ton.
geführten Touren kann die 200 Meter
nach Rumänien gebracht worden wa-
Zusammen mit künstlichen Barrieren
aufragende Halde bestiegen werden.
ren und nur dank einer hartnäckigen
soll das garantieren, dass der eingela-
Greenpeace-Kampagne von der Bun-
gerte Müll für alle Zeiten unter sich
 06624 5127,
desrepublik
bleibt. Streng isoliert von der oberir-
www.kalimuseum.heringen.de
Archiv zum Gruseln
zurückgeholt
wurden.
57
magazin aus der mitte •
Einkaufen und
Nachbarn treffen
In Gertenbach, dem am tiefsten gelegenen Ort Nordhessens,
kämpften die Bewohner erfolgreich für einen neuen Dorfladen
Von Gabriele Sümer
Foto: Gabriele Sümer
Umsatzgründen investieren sie lieber
in große Filialen in der Stadt oder auf
der grünen Wiese. Gleichzeitig kauft
die mobiler gewordene Bevölkerung
nicht unbedingt am Wohnort ein und
wählt vermehrt nach Preis aus. Die
Folge: In ländlichen Kommunen findet
Nahversorgung kaum noch statt. Auch
die 940 Bewohner Gertenbachs mussten vier Jahre lang ohne auskommen
– gerade für die vielen Älteren ein Problem.
Soziales Projekt
Zu denen, die sich damit nicht abfinden mochten, gehörte Christian Neckel. Der Immobilienmakler war aus
Hamburg nach Gertenbach gezogen
Tante-Emma-Laden reloaded: Christian Neckel und Francine Beilschmidt haben dazu beigetragen, das geschlossene Lebensmittelgeschäft wiederzubeleben.
und fand: Ein Dorf braucht einen Laden. Er und eine Handvoll Mitstreiter
gründeten den Verein „Dorfladen für
E
Gertenbach“ und feilten an einem
in Donnerstag um 11 Uhr, drau-
schmidt spricht die meisten Kunden
Konzept, um das verwaiste Ladenlokal
ßen
Wetter.
mit Namen an, ist mit vielen per Du. In
im Ort wieder mit Leben zu füllen.
Nicht gerade Haupteinkaufs-
den Regalen liegen Lebensmittel und
„Wir wollten eine langfristige Lösung,
ungemütliches
zeit. Doch im Dorfladen in Ger-
andere Dinge des täglichen Bedarfs,
mit einem professionell und wirt-
tenbach steht die Eingangstür nicht
regionale sowie, mit einem Sorti-
schaftlich geführten Geschäft“, er-
still. „Zehn Minuten Ruhe, das kommt
mentsanteil von gut einem Drittel,
klärt er.
so gut wie nie vor“, sagt Filialleiterin
ungewöhnlich
Bio-Produkte.
In der Planungsphase gab es Unter-
Francine Beilschmidt. Mit dem von ihr
Rund 2.000 Artikel sind es insgesamt,
stützung vom Landkreis und eine
gemanagten „Lädchen für alles“ hat
die auf Wunsch auch nach Hause gelie-
30.000-Euro-Förderung aus dem Mo-
Gertenbach, ein Stadtteil von Witzen-
fert werden. Und dank einer Koopera-
dellvorhaben
hausen und mit 130 Metern Meereshö-
tion mit der VR-Bank kann sogar Geld
kunft“. Anfangs waren manche im Ort
he die tiefstgelegene Ortschaft in
abgehoben werden.
skeptisch. Bürgerversammlungen und
Nordhessen, seit Herbst 2010 wieder
Andernorts ziehen sich Lebensmittel-
eine Haushaltsbefragung jedoch zeig-
eine
märkte aus der Fläche zurück. Aus
ten, dass die Mehrheit hinter der Idee
Einkaufsmöglichkeit.
Beil-
viele
„Region
schafft
Zu-
Fotos: Joachim F. Tornau (2)
• magazin aus der mitte
Der Witzenhäuser Stadtteil Gertenbach liegt 130 Meter über dem Meer. Etwas außerhalb geht es sogar noch einen Meter weiter bergab:
Nordhessens tiefster Punkt findet sich nahe der hessischen Landesgrenze am Ufer der Werra.
stand. Dann ging alles schnell: Mit
noch mehr im Sinn als die Verbesse-
Kein Wunder also, dass Nachahmer aus
dem Verein Aufwind, der in der Region
rung der Nahversorgung. Sie wollten
anderen Kommunen sich Tipps beim
Hilfsangebote für behinderte und see-
einen Ort des Austauschs und der Be-
Dorfladenverein holen. Aber auch in
lisch erkrankte Menschen unterhält,
gegnung schaffen, der im Dorf fehlte.
Gertenbach ist die Arbeit nicht vorbei,
wurde der perfekte Betreiber gefun-
Hierzu wurde an den Laden ein kleiner
wie Vorsitzender Neckel betont. Im-
den, wie Neckel betont. „So konnten
Wintergarten angebaut, in dem wäh-
mer wieder wirbt er dafür, das neue
wir, quasi als Sahnehaube, den Laden
rend der Öffnungszeiten nun Getränke
Angebot auch zu nutzen. „Die Leute
als soziales Projekt aufziehen.“ Das
und Gebäck serviert werden. „Das
sind sich sonst schnell zu sicher, dass
Lädchen ist ein integrativer Betrieb,
Café sollte der soziale Treffpunkt sein.
der Laden läuft, und kaufen vielleicht
fünf der neun Beschäftigten sind Men-
Dann haben wir gemerkt: Der Laden
wieder woanders ein.“
schen
Aufwind
ist der Treffpunkt“, sagt Christian
schuf nicht nur Arbeitsplätze, sondern
Neckel und erzählt von einer über
investierte kräftig in den Ausbau der
80-Jährigen, die jahrelang ihr Haus
Räumlichkeiten. Hauptlieferant wurde
kaum verließ und nun täglich den La-
der Lebensmittelhändler tegut. Das
den besucht. Die Stimmung im ganzen
Unternehmen startete damals eine
Dorf habe sich verbessert, findet er.
Offensive, um gemeinsam mit lokalen
Filialleiterin
Partnern Einkaufsangebote in ländli-
„Die Älteren, aber nicht nur die, kom-
chen Gemeinden zu schaffen. „Das
men zum Schnuddeln vorbei. Manche
war ein weiterer wichtiger Baustein, es
zweimal am Tag.“
mit
Behinderung.
Beilschmidt
bestätigt:
passte einfach“, meint Neckel. Und so
bekam Gertenbach eines der ersten
Persönliche Atmosphäre
„Lädchen für alles“. Inzwischen sind
24 dieser tegut-Kooperationen ent-
Es sei der besondere Charakter des
standen, neun davon in Nordhessen,
Lädchens, der die Menschen anspre-
zum Beispiel in Gieselwerder, Körle,
che, sagt Neckel. „Den Leuten gefällt
Löhlbach und der Bad Hersfelder Eich-
die Kleinheit und die persönliche At-
hofsiedlung.
mosphäre, wie sie früher die Tante-
Der Gertenbacher Standort ist mit 94
Emma-Läden hatten.“ Marktbeob-
Quadratmetern der kleinste – wenn
achter wollen bereits eine Trendwende
auch sicher nicht der mit dem gering-
erkannt haben. Kleine und wohnort-
sten Umsatz: Der Laden brummt. 150
nahe Lebensmittelgeschäfte würden
bis 200 Käufer kommen am Tag, auch
wieder an Bedeutung gewinnen, heißt
aus
Die
es in einer Studie des Beratungsunter-
Schüler der nahen Grundschule zählen
nehmens KPMG. Der persönliche Kon-
zu den jüngsten Stammkunden. Von
takt zwischen Käufer und Verkäufer
Anfang an hatten die Initiatoren aber
spiele dabei eine entscheidende Rolle.
umliegenden
Gemeinden.
Nordhessische Dorfidylle: der Gertenbacher
Maibaum
59
magazin aus der mitte •
M ade in N ordhessen
Das Fenster
als Heizung
Das junge Unternehmen Energy Glas aus
Wolfhagen punktet mit Innovationen beim
Energiesparen – und steht exemplarisch für
den wirtschaftlichen Höhenflug der Region
Von Ralf Pasch
essisch Sibirien? Struktur-
mehr nach oben treibt. Sondern nach
eintreffen, könnten bis 2020 in der
schwach? Das war einmal.
unten. Nordhessen ist im Aufwind.
Region etwa 20.000 Arbeitsplätze in
Nordhessen,
das
einstige
Eine besondere Rolle spielen dabei
dieser Branche entstanden sein.
Sorgenkind
der
Wirt-
erneuerbare
Nirgends
Alternativen zu herkömmlichen En-
schaftspolitik, hat sich zur Boomregi-
sonst ist die Dichte an Unternehmen
ergiequellen zu suchen ist das eine.
on entwickelt. Staunend blickt man
und Forschungsinstituten, die sich
Das andere sind Technologien, die
im Rhein-Main-Gebiet auf die nord-
mit der Realisierung der Energiewen-
beim Energiesparen helfen. Das auf-
hessische Arbeitslosenquote, die den
de beschäftigen, so groß wie hier.
strebende Unternehmen Energy Glas
Landesdurchschnitt
Wenn
aus Wolfhagen verbindet in einem
längst
nicht
Energien:
optimistische
Voraussagen
seiner Produkte beides: Ein selbst
entwickeltes Fassadenelement besteht aus einem Isolierglasfenster
und einem Modul, das Sonnenenergie
in Wärme umwandelt.
Hessischer Gründerpreis
Hans Franke, Senior-Chef von Energy Glas und einer von vier Geschäftsführern, hat sein ganzes bisheriges
Berufsleben mit Glas gelebt und das
Material in dieser Zeit „lieben gelernt“, wie er schwärmt. Der Kaufmann und Industriefachwirt war fast
30 Jahre lang bei einem Unternehmen
der Branche angestellt. Im August
Fotos: Uwe Zucchi (3)
60
H
Kreative Ideen: Senior-Chef Hans Franke
2007 wurde ihm, seinem Sohn Kai
und Elmar Dohmann, einem weiteren
Mitarbeiter, gekündigt. Der Grund:
Ihre Ideen ließen sich in dem Betrieb
nicht verwirklichen. Schon einen
Monat später legte Franke mit seinen
• magazin aus der mitte
beiden Partnern und seinem zweiten
Sohn Mirco der Kasseler Sparkasse ein
Konzept für ein eigenes Unternehmen
vor. Sie wollten Isolierglas herstellen
und vertreiben. Und zur Überraschung
der Banker konnte Franke verkünden,
dass die erste Jahresproduktion bereits
verkauft sei: 13 Interessenten hatten
schriftlich ihr Wort gegeben, dass sie
ihm Glas abkaufen würden. „Heute“,
freut er sich, „sind wir der größte Isolierglashersteller in Hessen.“
Das gemeinsame Unternehmen sei
„auf der am besten bewachten Baustelle der Welt“ entstanden, erinnert
sich Franke. Denn als Standort hatte
sich das Quartett die Pommernkaserne
im Wolfhager Stadtteil Gasterfeld auserkoren, die die Bundeswehr von 2006
an räumte. Erst ein Jahr nach dem Einzug der jungen Firma zogen die letzten
Soldaten ab. Am 1. April 2008 wurde
die erste Isolierglasscheibe produziert.
Mit 23 Beschäftigten ging es damals
61
los, inzwischen sind es über 90. Und
Franke kündigt an, dass es demnächst
110 werden könnten. Vor zwei Jahren
die
verdoppelte.
wird. Sie fängt die UV-Strahlen der
bekam das Unternehmen den Hessi-
Seitdem können extrem dünne Iso-
Produktionsfläche
Sonne ein, wandelt sie in Wärme um
schen Gründerpreis in der Kategorie
lierglasscheiben produziert werden. In
und leitet sie in einen Wärmetauscher
„Geschaffene Arbeitsplätze“. Nord-
der angebauten Halle steht ein spezi-
im Haus weiter. So steht auf Abruf
hessens Boom, hier ist er mit Händen
eller Ofen für Einscheiben-Sicher-
warmes Wasser für die Dusche oder die
zu greifen.
heitsglas, das im Vergleich zu her-
Heizung zur Verfügung. „Ein solches
Als einige der geräumten Bundeswehr-
kömmlichem
deutlich
Modul ist an der Fassade viel leichter
Immobilien in ein Berufsschulzentrum
leichter ist. Statt 30 Kilogramm pro
zu installieren als auf dem Dach“, ver-
verwandelt wurden, bekam Energy
Quadratmeter – dem Standard bei
spricht Franke. Vier Patente hält das
Glas den Auftrag, das geplante Solar-
Dreifach-Isolierglas – bringt es nur 20
Unternehmen darauf.
dach zu konstruieren und auszustat-
Kilo auf die Waage. Mit vielen Ideen
Außer auf die eigene Kreativität setzt
ten. Die Photovoltaikanlage mit einer
aus dem eigenen Hause ist die neue
Energy Glas auf die regionale Vernet-
Fläche von rund 5.000 Quadratmetern
Technologie entwickelt worden.
zung. Schon als es um die Frage des
Isolierglas
war das erste Großprojekt des Unternehmens. Es lieferte und installierte
transparente
Solarmodule,
die
Standorts ging, schlugen Franke und
Regionale Vernetzung
das
seine Partner das deutlich günstigere
Angebot aus Thüringen und die in Aus-
Sonnenlicht nicht nur einfangen, son-
Genauso wie das mit einem Solarther-
sicht gestellten Zuschüsse aus. Geld
dern auch in die Räume fluten lassen.
miemodul kombinierte Isolierglasfen-
leiht Franke sich statt bei Großbanken
Das Konzept für eine kostensparende
ster. „Es spart nicht nur Energie, son-
lieber bei Instituten der Region. Und
Dachkonstruktion kam ebenfalls von
dern produziert auch noch selbst wel-
Energy Glas ist auch einer der Liefe-
Energy Glas. Die Solaranlage gehört
che“, freut sich Franke, als er vor ei-
ranten für das „Nordhessen-Fenster“,
heute zu den größten in Hessen.
nem Demonstrationsmodell steht. Auf
ein energiesparendes Bauteil, das drei
Das Unternehmen entwickelte sich so
den ersten Blick wirkt es wie ein ganz
Unternehmen aus der Gegend um Kas-
gut, dass im vergangenen Jahr eine
normales
sel gemeinsam herstellen.
neue Halle mit 5.000 Quadratmetern
Hinschauen entdeckt man eine Me-
gebaut werden musste, mit der sich
tallplatine, durch die Glykol geführt
Fenster,
bei
genauerem
www.energy-glas.com
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Fo
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Rätselhaft
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Tornau
Impressum
Wie hoch ist dieser Turm?
Wenn Sie die Lösung kennen – die aufmerksame Lektüre dieses Hefts könnte dabei
helfen –, dann schicken Sie Ihre Antwort per E-Mail an [email protected] oder per Postkarte an die Redaktion Magazin aus der Mitte, FriedrichEbert-Straße 66, 34119 Kassel.
Einsendeschluss ist der 15. Oktober 2014. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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Unter den richtigen Einsendungen werden verlost:
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Je ein Gutschein „Schöne Stunden zu zweit“ für einen
Besuch in der Kurhessentherme in Kassel-Bad Wilhelmshöhe. Der Gutschein gilt für zwei Tageskarten für
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Herausgeber
Regionalmanagement
Nordhessen GmbH
Ständeplatz 13, 34117 Kassel
 0561 9706200
[email protected]
www.regionnordhessen.de
Redaktion
Joachim F. Tornau (Leitung),
Anne Riedel, Reinhold Weber
Friedrich-Ebert-Straße 66, 34119 Kassel
 0561 7034213
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Autoren und Mitarbeiter dieser Ausgabe
Paavo Blåfield, Peter Bräutigam, Bernhard Dingwerth, Pamela De Filippo,
Burkhard Fincke, Kerstin Göbel, Michael Grün, Dr. Frank Hermenau, Verena Joos, Tobias Kill, Franz Kröger,
Stefan Krull, Ralf Pasch, Juliane Sattler, Katja Schmidt, Gerhard Schuster,
Volker Siesenop, Anne-Kathrin Stöber, Gabriele Sümer, Andreas Weber,
Stefan Wendling, Paul Würthner, Uwe
Zucchi
Titelfoto
Gerhard Schuster (Schloss Rothestein
bei Bad Sooden-Allendorf)
Gestaltung
Thorsten Messing, Klaus Gehring
Anzeigen
Verlag Dierichs GmbH & Co. KG
Frankfurter Str. 168, 34121 Kassel
Andrea Schaller-Öller
Ute Fehr
 0561 203-1248
[email protected]
Druck
Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG,
Kassel
Ausgabe: Sommer 2014
Druckauflage: 30.000
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Herausgeber und Redaktion haften
nicht für Druck- und Satzfehler, nicht
für verspätete Auslieferung durch die
Druckerei und nicht für unverlangt eingesandte Bilder und Manuskripte. Termin- und Adressangaben sind ohne Gewähr. Nachdruck nur mit schriftlicher
Genehmigung der Redaktion erlaubt.
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Neues aus dem Schlemmerkalender 2014
Juni
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Sonnenterrasse zum Schlemmerbufett.
Juli
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August
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September
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Oktober
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November
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Spezialitäten-Auswahl, das Bauchladentheater und Prinz Persico.
Ab dem Martinstag gibt es frische Freilandgänse, knusprig gebraten.
Dezember
Silvester Gala – Unser Motto: „Traumschiffreise zwischen Orient und
Okzident“. Liveband, Leckereien vom großen kalt-warmen Gala-Büfett
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